Regenerative Zahnmedizin
Parodontale gesteuerte Geweberegeneration mit nicht-chirurgischem Tension Access – ein Fallbericht1
Periodontal Guided Tissue Regeneration with Non-surgical Tension Access – Case Report
Gregor Gutschea, Gabor Borosb
1 Der Beitrag zeigt eine praktische Anwendung der im Artikel „Gutsche G, Boros G: Schmelzmatrixproteine zur nichtchirurgischen Regeneration einer Parodontitis – non-invasiv und patientenfreundlich. WMM 2022; 66(11); 366-372“ vorgestellten Behandlungsmethode
a Sanitätsversorgungszentrum Idar-Oberstein, Zahnarztgruppe
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnheilkunde
Zusammenfassung
Vorgestellt wird der Verlauf einer nicht-chirurgischen regenerativen Behandlung einer Parodontitis mit Schmelzmatrixproteinen bei einer Patientin mit einem tiefen vertikalen, parodontalen Defekt. Ein systematischer Therapieansatz konnte in einem engen Indikationsspektrum zeigen, dass die Anwendung von Schmelzmatrixproteinen auch bei einem nicht-chirurgischen Vorgehen zu einer zusätzlichen klinischen Verbesserung führt. Die Verbesserung der klinischen Daten und eine röntgenologisch dokumentierte Knochenneubildung demonstrieren Vorteile dieser techniksensitiven Methode. Das beschriebene Verfahren, das jedem Patienten angenehmer als ein parodontalchirurgischer Eingriff sein dürfte, ist techniksensitiv und stellt erhöhte Ansprüche an die manuellen und organisatorischen Fähigkeiten des Behandlungsteams.
Schlüsselwörter: Parodontitistherapie, parodontale Regeneration, Schmelzmatrixderivat, Wundheilungsprozess, nichtchirurgische Therapie
Summary
The course of a non-surgical regenerative treatment of periodontitis with enamel matrix proteins in a patient with a deep vertical periodontal defect is presented. A systematic therapeutic approach in a narrow range of indications demonstrated that enamel matrix proteins lead to additional clinical improvement even with a non-surgical approach. The improvement in clinical data and radiographically documented new bone formation demonstrate advantages of this technique-sensitive method. The described procedure, which is likely to be more comfortable for any patient than periodontal surgery, is technique sensitive and places increased demands on the manual and organizational skills of the treatment team.
Keywords: periodontal therapy, periodontal regeneration, enamel matrix derivative, wound healing process, non-surgical therapy
Einleitung
Die Möglichkeit der nicht-chirurgischen Behandlung auch fortgeschrittener Parodontitisformen durch die Flapless-Applikation von Schmelzmatrixxproteinen im Heft 11 der WMM vorgestellt. Im Folgenden werden die Behandlungsstrecke bei einer Patientin mit tiefer Taschenbildung vorgestellt und die Behandlungsmethode erörtert.
Behandlungsmethode „Tension Access“
In Erweiterung des vom Hersteller empfohlenen Vorgehens in der Anwendung von Emdogain® FL wird der aus der Arbeitsgruppe Dr. Frank Bröseler (Aachen)/Dr. Gutsche(Koblenz) entwickelte Ansatz des „Tension Access“ gewählt, bei dem die Gingiva temporär „aufgedehnt“ wird (Dehnungslappen, engl.: Tension Flap) [6]. Die Technik erfordert höchste Konsequenz und Sicherheit bei der Anwendung, da die Behandelnden im Gegensatz zur Parodontalchirurgie ohne komplette visuelle Kontrolle auskommen müssen. Die parodontale Tasche wird nicht unerheblich mit Hilfe von platzschaffenden Superflossstreifen (siehe Abbildung 5) oder Retraktionsfäden sowie mittels eines Parodontalraspatoriums nach Spahr manipuliert und sukzessive im Bereich des Defektes für einige wenige Minuten aufgedehnt. Hierbei ist eine unabsichtlich herbeigeführte Blutung durch eine zu rigide Manipulation unbedingt zu vermeiden. Um das Risiko dieser Komplikation zu minimieren, ist ihre Anwendung nach einer vorangegangenen antiinfektiösen Therapie sinnvoll. Ein Parodont, bei dem kein akuter Entzündungsprozess mehr vorliegt, bietet dem Behandelnden günstigere Voraussetzungen, da an einer physiologischen Gingiva seltener eine Blutungsreaktion auftritt.
Das Parodontalraspatorium, das ursprünglich für die Elevation von interdentalem Gewebe gedacht ist, ermöglicht es durch seine leichte Biegung, den Zugang zur Tasche cervikal zu vergrößern und hier tendenziell Einblick zu gewähren (Abbildungen 7 und 12). Der Einsatz klassischer und häufig noch verwendeter Heidemann-Spatel wäre auch möglich; diese sind aber weniger an die Anatomie des Sulcus angepasst. Ziel ist es, cervical eine größere horizontale Distanz von der Gingiva zur Wurzeloberfläche zu erreichen als am Boden der Zahnfleischtasche. Die anschließende Konditionierung mit EDTA-Gel (Ethylendiamintetraessigsäure), die Spülung mit NaCL-Lösung und die Trocknung der Oberfläche sind weitere Herausforderungen an die Fingerfertigkeiten des Behandelnden. Der versierte und chirurgisch ambitionierte Zahnarzt wägt hier sicher ab, ob ihm eine minimalinvasive Chirurgietechnik schneller gelingt und die visuelle Inspektion ihm bei der Behandlung mehr Sicherheit bietet.
Im Nachgang muss der Patient zunächst nicht viel beachten. Er sollte seine Zähne und den sulcär-cervikalen Bereich möglichst frei von Belägen halten, ohne beim Putzen zu viel Kraft aufzuwenden. Zusätzliche Spülungen, etwa mit Chlorhexidin, sind möglich, sofern sie Spülflüssigkeit nicht in den Sulcus eingebracht wird. Das Emdogain® induziert seine proliferativen Effekte unmittelbar nach der Applikation. Die Wirkung entfaltet sich weit bevor die Patienten nach dem Praxisbesuch am Abend ihre Zähne putzen.
Fallbeschreibung: Tension Access
Initialer Befund und Therapieeinleitung
Eine 42-jährige Patientin stellte sich mit Sondierungstiefen bis 9 mm an Zahn 21 vor (Abbildungen 1–2). Der Zahn war zudem nach anterior/vestibulär gekippt. Nach einer parodontalen Untersuchung wurde die Patientin eingehend über die Erkrankung Parodontitis informiert. Im strukturierten Rahmen der antiinfektiösen parodontalen Basistherapie nahm sie an einem Mundhygienetraining zur Optimierung der häuslichen Plaqueentfernung teil. Zudem erhielt sie eine Rauchstopp-Kurzintervention sowie eine professionelle mechanische Plaquereduktion (PMPR). Der erste Erfolg stellte sich ein: Die Rauchstopp-Intervention zeigte Wirkung, drei Wochen später war die Patientin bereits Nichtraucherin [7].
Abb. 1: Parodontaler Status der 42-jährigen Patientin zu Behandlungsbeginn: Vertiefte Taschen an Zahn 21 bis 9 mm Tiefe
Abb. 2: Oberkiefer Frontzahnbereich der Patientin in der PSA -Röntgenaufnahme (Panoramaübersichtsaufnahme): Tiefer vertikaler Knochendefekt an Zahn 21, die Wurzel ist apikal nur 3 mm mit dem Alveolarknochen verbunden.
Zunächst war es wichtig, den unphysiologisch parafunktionell mobilen Zahn 21 zu stabilisieren. Das geschah mit einer direkten adhäsiven Kompositschienung an den Nachbarzähnen [9]. Es folgten eine antiinfektiöse Therapie (subgingivale Instrumentierung als Full Mouth Scaling) mit adjunktiver systemischer Antibiose. Sechs Wochen später zeigten sich generalisiert deutliche Verbesserungen, wobei die Sondiertiefe an Zahn 21 von 5 mm mit positiven Bleeding on Probing (BoP, siehe Abbildung 3) die Notwendigkeit einer weiterführenden Therapie anzeigte. Tiefe Taschen bei behandelten Patienten bergen ein deutlich erhöhtes Risiko für das weitere lokale Fortschreiten einer Parodontitis [4]. Den primären Behandlungsvorschlag (mittiges Einrücken des Zahnes in den Alveolarfortsatz mittels kieferorthopädischer Methoden und regenerativer Parodontalchirurgie) lehnte die Patientin ab.
Tension Access
Als Alternative zur chirurgischen Behandlung wurde folgendes therapeutisches Vorgehen vereinbart:
Zunächst erfolgte unter Lokalanästhesie (Abbildung 4) eine subgingivale Instrumentierung – ein zeitintensives Debridement mittels Ultraschall und Slimline-Arbeitsenden. Dieses sollte einerseits immer sehr sensitiv erfolgen, um keine Blutung zu provozieren. Andererseits sollte dabei die Wurzeloberfläche so biokompatibel wie möglich vorbereitet werden [5].
Abb. 4: Lokalanästhesie vor Ultraschall-Debridement und Einbringen eines adhäsiven Splints (Verklebung/Verblockung) von Zahn 21 an 22 zur Stabilisierung der Situation
Im Rahmen des Tension Access wurde der Zugang zur Tasche nachhaltig mittels Superfloss (Abbildungen 5 und 6) und einem Parodontalraspatorium nach Spahr aufgedehnt (Abbildung 7). Nach Entfernung des Superfloss (3–5 Minuten) als Platzhalter hielt das Raspatorium den Taschenzugang geweitet (Abbildung 8), um das konditionierende EDTA-Gel (Straumann PrefGel®) besser einbringen zu können (Abbildung 9). Anschließend erfolgte die Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung (Abbildung 10).
Abb. 5: Getrimmtes Superfloss zum Aufdehnen der Tasche („TensionAccess“ Dr. Bröseler/Dr. Gutsche)
Abb. 6: Appliziertes Superfloss in der vertieften Zahnfleischtasche
Abb. 7: Weiteres Aufdehnen der Tasche mit zusätzlichen Superfloss-Streifen und Raspatorium nach Spahr
Abb. 8: Entfernung des Superfloss und Offenhalten der erreichten Dehnung mit dem Raspatorium. (Nebenbefund: Eine Gingivarezession (Pfeil) palatinal am vorletzten Backenzahn, typisch für Raucher)
Abb. 9: Applikation von konditionierendem EDTA-Gel auf die freie Wurzeloberfläche
Abb. 10: Spülung mit 0,9-prozentiger NaCl-Lösung zur Entfernung des EDTA-Gels.
Die Wurzeloberfläche kann man dabei mechanisch (zerkleinerte, angepasste Tupfer oder Zellstoff) oder auch mit Druckluft trocknen. Letzteres Vorgehen funktioniert, wobei eine Übertrocknung mit Druckluft jedoch nachfolgend Hypersensibilitäten hervorrufen kann. Die Abbildungen 11–13 zeigen die abschließende Applikation von Emdogain® FL in den Sulcus des Zahns 21.
Abb. 11: Einbringen von Emdogain® FL mesial, Superfloss dient distal noch zur Wahrung der Distanz in situ
Abb. 12: Einbringen von Emdogain® FL in den blutungsfreien Sulcus
Abb. 13: Vollständig appliziertes Emdogain® FL
Weiterer Verlauf
Acht Monate später stellte sich die Patientin aufgrund eines parafunktionellen Aufbisstraumas an Zahn 21 außerhalb der Termine der UPT (Unterstützende Parodontale Therapie) vor. Es zeigte sich klinisch und röntgenologisch (Abbildung 14) ein Defekt der Verblockung, was deren Erneuerung erforderte. Der Termin bot Gelegenheit, den Parodontalstatus zu prüfen (10 Monate nach Therapie). Standardisiert wurde zwölf Monate nach der Therapie erneut klinisch evaluiert, um die Wirksamkeit der Methode zu prüfen (Abbildung 15).
Abb. 14: Röntgenkontrolle 10 Monate nach Applikation von Emdogain® FL aufgrund eines Aufbisstraumas mit Fraktur der Verblockung 21/22: Es zeigt sich ein Zugewinn von 4–5 mm regenerierter Knochenstruktur.
Die Messwerte von durchschnittlich 3 mm Taschentiefe zeigten, dass es zu einer guten Reduktion der parodontalen Sondiertiefen gekommen war, was im Zusammenhang mit der Interpretation der Röntgenbefunde als Attachmentgewinn gewertet werden kann. Klinisch erschien die Gingiva stabiler, blassrosa, straff und mit geringer als physiologisch zu wertender Sondierblutung (BoP) von 7 %.
Fazit für die Praxis
Die parodontale Wundheilung verläuft nach konventioneller Parodontaltherapie (subgingivale Instrumentierung oder parodontalchirurgischer Zugang) im Sinne einer Reparation mit der Ausbildung eines langen Saumepithels an der Wurzeloberfläche. Nachfolgend ist es möglich, dass röntgenologisch eine Knochenapposition beobachtet wird, jedoch ist im Unterschied zur Regeneration der Zahn hier nicht funktionell über im Wurzelzement inserierende desmodontale Bindegewebefasern an diesem Knochen befestigt.
Das die Regeneration induzierende Schmelzmatrixderivat (Emdogain®) ist ein sicheres und seit mehr als zwei Jahrzehnten häufig verwendetes und erforschtes Biomaterial, dessen guten klinischen Behandlungsergebnisse im Rahmen der bisherigen parodontalchirurgischen Therapien für sich sprechen [8][10]. Es hat als nichtchirurgische Methode ein klares, wenn auch begrenztes Indikationsgebiet, sofern die antiinfektiösen Therapieschritte strukturiert durchgeführt und erfolgreich reevaluiert werden sowie zudem eine gute Patientenadhärenz besteht.
Eine inkomplette mechanische Therapie und/oder eine eingeschränkte Therapie-Adhärenz des Patienten schmälern das individuell maximal erreichbare Ziel. Zwar wären auch unter weniger optimalen Gegebenheiten positive Heilungseffekte zu verzeichnen, aber der Zugewinn eines möglichen Reattachments dürfte erfahrungsgemäß hinter den Erwartungen bzw. hinter den üblichen persönlichen Erfolgen des jeweiligen Zahnarztes zurückbleiben.
Zu den Indikationen für den Einsatz von Emdogain® FL gehören die mit von Alveolarknochen begrenzten tiefen, schmalen, vertikalen parodontalen Defekte mit Sondierungstiefen von ≥ 5 mm [2][3]. Darüber hinaus ist die Anwendung bei Patienten zu empfehlen, die keine indizierte chirurgische Therapie akzeptieren (z. B. Angstpatienten), bei Vorliegen hämorrhagischer Diathesen sowie bei Patienten mit Hämodilution, die für eine Parodontalbehandlung keine Änderung einer notwendigen Antikoagulation vornehmen lassen möchten. Für die parodontalchirurgische Vorgehensweise bei Patienten unter Bisphosphonat-Therapie liegen keine Daten vor, wobei es ratsam erscheint, umfangreichere Eingriffe zeitlich nach hinten zu verschieben. Im Anschluss an eine antiinfektiöse subgingivale Instrumentierung kann allerdings die nichtchirurgische Applikation von Emdogain® auch bei diesen Patienten erfolgen, um regenerative Effekte zu nutzen und somit einen langfristigeren Zahnerhalt zu erzielen.
Die Indikation ist im beschriebenen Fall dadurch gestützt, dass eine unphysiologische anatomische Lokalisation von Zahn 21 nach vestibulär (ohne anteriore Knochenlamelle) ein Risiko bzw. eine Kontraindikation für eine parodontalchirurgische Intervention bedeutete. Diese für die Blutversorgung und den Heilungsverlauf nach chirurgischer Lappenbildung ungünstige Voraussetzung macht einen Behandlungserfolg unwahrscheinlich oder inkomplett (unübersehbare postoperative Weichgewebedefekte im ästhetischen Gesichtsfeld). Wenn ein Patient in einem solchen Fall keine kieferorthopädische Lagekorrektur des parodontal kompromittierten Zahns wünscht, ist die alternative Anwendung von Emdogain® FL sinnvoll. So können weitere Attachment- und Knochenverluste vermieden, Sondiertiefen verringert und Sondierblutungen (klinischer Entzündungsmarker) vermindert werden.
Durch das Konservieren der Situation wurde im vorgestellten Fall erreicht, dass nachfolgend aufwendiger Zahnersatz zunächst vermieden werden konnte und die Physiognomie sich nicht veränderte. Außerdem wurden die im Falle einer gewünschten, visuell nicht erkennbaren Rehabilitation vielfach (!) höheren Kosten in die Zukunft verlagert und ggf. sogar vermieden.
Grundsätzlich ist die Behandlung mit Emdogain® FL einfach, praktisch und sowohl anwender- als auch patientenfreundlich [1]. Es ist eine geeignete Alternative zur klassischen offenen parodontalchirurgischen Therapie mit Geweberegeneration. Während für umfangreiche parodontalchirurgische Therapien Patienten oft weite Wege zu Parodontologen auf sich nehmen müssen, besteht mit dieser regenerativen Methode die Möglichkeit, durchaus auch in der Praxis des zahnärztlichen „Generalisten“ zu therapieren. Curriculäre Fortbildungen in der Parodontologie, Praxisfortbildungen zum Einsatz von Schmelzmatrixderivaten oder Hands-on-Kurse sowie Hospitanzen bei erfahrenen Anwendern sind empfehlenswert, um Anwendungssicherheit zu gewinnen und Behandlungsmöglichkeiten maximal auszuschöpfen.
Literatur
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- Graziani F, Gennai S, Petrini M, Bettini L, Tonetti M: Enamel matrix derivative stabilizes blood clot and improves clinical healing in deep pockets after flapless periodontal therapy: A Randomized Clinical Trial. J Clin Periodontol 2019; 46(2): 231-240. mehr lesen
- Jepsen S, Topoll H, Rengers H et al.: Clinical outcomes after treatment of intra-bony defects with an EMD/synthetic bone graft or EMD alone: A multicentre randomized-controlled clinical trial. J Clin Periodontol 2008; 35(5): 420-428. mehr lesen
- Matuliene G, Pjetturson BE, Salvi GE et al.: Influence of residual pockets on progression of periodontitis and tooth loss: results after 11 years of maintenance. J Clin Periodontol 2008; 35(8): 685-695. mehr lesen
- O’Leary TJ, Kafrawy AH: Total cementum removal: A realistic objective? J Periodont 1983; 54(4): 221-226. mehr lesen
- Pecanov-Schröder A: Emdogain „flapless“ im Fokus von Parodontologen und Implantologen. DENTALE IMPLANTOLOGIE 2019; 23(5): 316-319. mehr lesen
- Ramseier CA: Rauchen - Intervention in der zahnmedizinischen Praxis. Eine Entwicklung der Kurzintervention für das gesamte zahnmedizinische Praxisteam - von der Idee bis zur Realisierung. SwissDENT 2003; 1-2: 5-10. mehr lesen
- Sculean A, Kiss A, Miliauskaite A, Schwarz F, Arweiler NB, Hannig M: Ten-year results following treatment of intra-bony defects with enamel matrix proteins and guided tissue regeneration. J Clin Periodontol, 35(9): 817-24 (2008). mehr lesen
- Sonnenschein S, Ziegler P, Ciardo A et al.: The impact of splinting mobile mandibular incisors on Oral-Health-Related Quality of Life— preliminary observations from a randomized clinical trial. J Clin Periodontol 2021; 48(6): 816-825. mehr lesen
- Stavropoulos A, Bertl K, Spineli LM, Sculean A, Cortellini P, Tonetti M: Medium- and long-term clinical benefits of periodontal regenerative/reconstructive procedures in intrabony defects: Systematic review and network meta-analysis of randomized controlled clinical studies. J Clin Periodontol 2021; 48(3): 410-430. mehr lesen
Bildquellen: Alle Abbildungen Dr. Gutsche, Koblenz
Interessenkonflikte: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Uniform Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals der ICMJE (International Committee of Medical Journal Editors) bestehen.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Gutsche G, Boros G: Parodontal gesteuerte Geweberegeneration mit nicht-chirurgischem Tension Access – ein Fallbericht. WMM 2022; 66(11); 460-465.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-45
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Gregor Gutsche
Sanitätsversorgungszentrum Idar-Oberstein
Am Rilchenberg 30, 55743 Idar-Oberstein
E-Mail: gregorgutsche@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Gutsche G, Boros G: Periodontal guided tissue regeneration with non-surgical tension access – case report. WMM 2022; 66(11); 460-465.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-45
For the authors
Lieutenant Colonel (DC) Dr. Gregor Gutsche
Medical Clinic Idar-Oberstein
Am Rilchenberg 30, D- 55743 Idar-Oberstein
E-Mail: gregorgutsche@bundeswehr.org
Komplizierte Malaria tropica bei einem deutschen Soldaten im Rahmen des Bundeswehreinsatzes in Mali
A case of a Complicated Malaria Tropica of a German Soldier on Deployment in Mali
Matthias Halftera, Matthis Feischena, Sandra Mittmesserb, Christian Koeniga,c, Maja Iversenb, Annett Michelc, Dorothea Wiemera
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik I – Innere Medizin, Fachbereich Tropenmedizin und Infektiologie
b Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik X – Anästhesiologie und Intensivmedizin
cBundeswehrkrankenhaus Hamburg, Abteilung XXI – Mikrobiologie und Krankenhaushygiene
Zusammenfassung
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr sieht heutzutage bei weltweiten Einsatzszenarien wenige Malariafälle innerhalb der Streitkräfte, vermutlich aufgrund wirksamer Prävention und beeinflusst durch die Art der aktuellen Einsätze, im Vergleich zu Partnernationen. Dennoch muss die Malaria zwingend als Differentialdiagnose in Betracht gezogen werden, um die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und so schwere Verläufe zu verhindern. Der folgende Fall einer komplizierten Malaria tropica mit verzögerter Diagnosestellung bei einem deutschen Soldaten in Mali stellt beispielhaft die Komplexität dieser Problematik dar und dient einer intellektuellen Auseinandersetzung mit den vielen Facetten der Malaria im Rahmen eines militärischen Einsatzes und der Notwendigkeit einer unmittelbaren Diagnose und Therapie. Als Konsequenz lässt sich die individuelle Verbesserung der tropenmedizinischen Qualifikation im Sanitätsdienst der Bundeswehr ableiten. Eine vorbereitende Weichenstellung hinsichtlich personellem und materiellem Ausbau des bereits teilweise vorhandenen Kompetenznetzwerks für aktuelle und zukünftige Einsatz- und Bündnisszenarien ist ebenso zu fordern.
Schlüsselwörter: Militärmedizin, Malaria tropica, Fallbericht, Einsatz, Tropenmedizin, Sanitätsdienst, Bundeswehr
Summary
Compared to partner nations today, the Bundeswehr Medical Service faces only a few cases of Malaria within the armed forces in worldwide deployment scenarios. This is mainly due to effective preventive measurements, but is also influenced by the nature of the current missions themselves. Nevertheless, considering Malaria as early as possible as a potential differential diagnosis has the highest priority in order to avoid catastrophic outcomes. The following case of a complicated Malaria tropica with delayed diagnosis of a German soldier in Mali serves as an example of the complexity of this problem. This case is explicitly not intended to criticize the involved personnel, but rather as an intellectual evaluation of the disease with the need of timely testing and treating. In conclusion, the individual qualification regarding tropical medicine in the Bundeswehr Medical Service should be improved and conceptual measures like the expansion of a currently only partly existing network of excellence for current and future missions should be taken into consideration.
Key words: Military medicine, Malaria tropica, case report, deployment, tropical medicine, Joint Medical Service, Bundeswehr
Hintergrund
Im Rahmen internationaler Einsätze ist die Malaria nach wie vor eine der wichtigsten Erkrankungen, weil sie das Leben und die Einsatzfähigkeit der Truppe gefährdet. Dies gilt insbesondere für Einsatzverbände aus Nicht-Malaria Ländern, die in einem Gebiet mit hoher Endemizität operieren, da hier die Erreger auf einen immun-naiven Wirt treffen. Umfangreiche Prophylaxemaßnahmen und der Einsatz von Gesundheitsaufsehern in den Einsatzgebieten können nicht gänzlich verhindern, dass es zu Infektionen kommt.
Während im Rahmen der vergangenen und jetzt aktuellen Bundeswehreinsätze in Afghanistan, im Kongo, in Niger und in Mali bislang nur vereinzelt klinische Fälle beobachtet wurden, kennen die französischen Streitkräfte die Malaria als stetige Bedrohung und berichten von über 200 Fällen pro Jahr mit zwar seltenen, aber regelmäßig vorkommenden letalen Verläufen [4]. Diese Rate kommt durch die wesentlich robusteren Mandate zustande, die die Soldaten signifikant mehr exponieren. Der nun hier vorgestellte Fallbericht soll die militärspezifischen Herausforderungen der Malaria an Personal, deren Ausbildung und Infrastruktur beschreiben.
Fallbericht
Im Camp CASTOR in Gao, Mali, betreibt der Sanitätsdienst der Bundeswehr aktuell im Rahmen der UN Stabilisierungsmission MINUSMA eine medizinische Einrichtung Role1+, die einen allgemeinmedizinisch tätigen Truppenarzt sowie eine chirurgisch/anästhesiologische Notaufnahme mit dazugehöriger Bettenstation umfasst.
Ein 32-jähriger, männlicher, deutscher Soldat stellte sich kurz vor Ende seines Einsatzes mit neu aufgetretenen Cephalgien, trockenem Husten und Gliederschmerzen, jedoch ohne Fieber, in der Truppenarztsprechstunde vor. Der Soldat gab an, seine Malaria-Chemoprophylaxe mit Atovaquon-Proguanil wie angewiesen eingenommen zu haben.
Das medizinische Personal vor Ort veranlasste einen Antigenschnelltest sowie eine PCR auf SARS-CoV-2. Beides fiel negativ aus, und der Soldat wurde symptomatisch bei Verdacht auf „grippalen Infekt“ mit Paracetamol/Phenylephrin behandelt. In den nächsten Tagen stellte er sich insgesamt noch fünfmal vor, viermal davon in der Notaufnahme. Die klinische Symptomatik aggravierte zunehmend, Übelkeit, Erbrechen und rechtsseitige Photopsien kamen hinzu. Bei jedem Besuch wurde Fieber ausgeschlossen. Die wechselnden Arbeitshypothesen „Grippaler Infekt“, „Gastritis“ und „Migräne“ führten zur Gabe diverser Antiphlogistika, Protonenpumpen-Inhibitoren, Antiemetika, intravenöser Volumengabe und Sauerstoffinsufflation.
Am fünften Tag nach Erstvorstellung erfolgte erstmals eine Blutentnahme. Klinisch war der Patient zu diesem Zeitpunkt anscheinend weiterhin afebril und zeigte normwertige Vitalfunktionen. Laborchemisch bestand jedoch eine schwere Thrombozytopenie mit 21 Tsd./µl (Norm: 140–440 Tsd./µl) und ein erhöhter Bilirubinwert im Serum von 9,8 mg/dl (Norm: <1,2 mg/dl). Die nun eingeleitete Malariadiagnostik umfasste einen Antigenschnelltest sowie die mikroskopische Untersuchung des Blutausstrichs und des „dicken Tropfens“. Es fanden sich Plasmodien-typische Strukturen in den Erythrozyten, und die Parasitenlast wurde initial mit 16 % angegeben. Im Schnelltest blieb aber die Plasmodium falciparum-spezifische Bande negativ, bei gleichzeitig positiver Pan-Plasmodien-Bande (Abbildungen 1 und 2).
Abb. 1: Prozonenphänomen im Schnellest
Daraufhin erfolgte, zeitgleich zur laufenden Diagnostik, die Kontaktaufnahme mit dem Fachbereich Tropenmedizin und Infektiologie (FbTropMedInf) am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. Als Ursache der falsch negativen P. falciparum-spezifischen Bande wurde hier das sogenannte Prozonen-Phänomen vermutet. Durch Verdünnung der Blutprobe (1:100 NaCl), konnte das Ergebnis des Schnelltestes korrigiert und die gesehene Plasmodienart auch mikroskopisch als Plasmodium falciparum bestätigt werden. Es wurde die Indikation zur intravenösen Therapie einer komplizierten Malaria und die Entscheidung zur Repatriierung mittels StratAirMedevac getroffen.
Die Behandlung mit Artesunat® (schnell wirksames, intravenös appliziertes Artemisininderivat) wurde unmittelbar begonnen, und der Patient auf das intensivmedizinische Element der vorhandenen Bettenstation aufgenommen. Die Repatriierung erfolgte am Folgetag mittels etablierter Rettungskette via Lufttransport von Gao (Mali) über Niamey (Niger) und von dort nach Deutschland. Da der Patient während des Transportes Zeichen einer beginnenden respiratorischen Dekompensation zeigte, erhielt er Sauerstoff, außerdem Analgetika, Antiemetika und ein Anxiolytikum.
Bei Ankunft im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg war der Patient kreislaufstabil, katecholaminfrei, zeigte eine moderate Tachykardie und einen deutlichen Ikterus. Weiterhin lag eine hypoxäme, respiratorische Partialinsuffizienz vor, die eine Fortführung der Sauerstofftherapie erforderlich machte. Laborchemisch persistierten die schwere Thrombozytopenie und Bilirubinämie. Es folgte die Aufnahme auf die interdisziplinäre Intensivstation des Hauses. Die antiparasitäre Behandlung wurde zuerst mit Artesunat® intravenös, dann nach Stabilisierung mit Riamet® (Artemether/Lumefantrin) oral fortgeführt. Der Patient blieb während des gesamten intensivmedizinischen Aufenthaltes kardiopulmonal stabil, die Nierenfunktion glücklicherweise unbeeinträchtigt, und die anfänglich erforderliche Sauerstoffgabe konnte bald beendet werden. Neurologisch zeigten sich außer rezidivierenden Cephalgien, die gut auf nicht-steroidale Antirheumatika ansprachen, keine Auffälligkeiten. Nach drei Tagen konnte der Patient zur weiteren Behandlung auf die internistische Normalstation verlegt werden.
Hier verbesserte sich der klinische Zustand kontinuierlich. Die initial deutlich erhöhten Entzündungsmarker waren rückläufig, und die Thrombozytenzahl normalisierte sich. Der Patient wurde dann nach dem dritten Tag ohne Plasmodien-Nachweis im Blut in die ambulante tropenmedizinische Weiterbehandlung entlassen.
Diskussion
Der hier geschilderte Fall veranschaulicht, dass Malaria auch weiterhin eine kollektive und individuelle Herausforderung für militärische Einsatzverbände ist.
Im großen Rauschen von COVID-19, Influenza und Diarrhoe als zurzeit häufig prävalente Erkrankungen wird Malaria gern verzögert erkannt. Hauptgrund hierfür ist fehlende Erfahrung mit dieser Erkrankung, welche sich mit vielfältigen, unspezifischen Symptomen präsentieren kann und sich oftmals klinisch nicht von einer infektiösen Gastroenteritis oder einer SARS-CoV-2-Infektion unterscheiden lässt. Eine Malaria mit einer Parasitämie von mehr als 10 % führt aber bei der Hälfte aller nicht teilimmunen Patienten zum Tode. Daher ist vor allem die frühzeitige Diagnosestellung bei der Malaria für den weiteren Verlauf oft entscheidend [1].
Vor allem das Fehlen von Fieber als Kardinalsymptom der Malaria war initial irreführend. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob der Soldat bereits vor ärztlichem Erstkontakt eigenständig medikamentöse Antipyrese betrieben hatte oder ob der Krankheitsverlauf zu Beginn afebril war. Fälle einer Malaria ohne Fieber sind bei nicht teilimmunen Patienten beschrieben, aber eine Rarität. Die Diagnosestellung war so durch ein fehlendes Leitsymptom erschwert [6].
Darüber hinaus stellt sich die Frage nach suffizient erfolgter Chemoprophylaxe. Soldaten, die in Endemiegebieten eingesetzt sind, haben die Pflicht, Malaria-Chemoprophylaxe zu betreiben. Der hier vorgestellte Patient gab an, vollständig therapieadhärent gewesen zu sein. Wissenschaftliche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass das die Therapieadhärenz unter Soldaten aus unterschiedlichen Gründen deutlich lückenhaft ist [3].
Nachdem die Differentialdiagnose Malaria postuliert worden war, erfolgte zügig die Einleitung der Diagnostik. Der Antigen-Schnelltest zeigte einen inkohärenten Befund mit negativer P. falciparum-Bande und positiver Pan-Plasmodien-Bande. Malaria-Schnelltests beruhen auf einer Markierung Erreger spezifischer Antigene mittels Antikörpern. Während die Mischung aus Patientenblut und Reagenz durch das Trägermaterial des Schnelltests diffundiert, binden die Malaria-Antigene an fest aufgebrachte, spezifische Antikörper („Immobilisierungs-Antikörper“) und werden auf Höhe des Positiv-Streifens fixiert. Durch einen weiteren mit Farbe markierten Antikörper („Farbmarkierungs-Antikörper“) werden sie sichtbar gemacht. Grund für den inkohärenten Befund bei diesem Fall war mit großer Wahrscheinlichkeit das Prozonenphänomen. Bereits bei Parasitämien ab 5 % kann es zu falsch negativen Ergebnissen führen. Wenn das Malaria-Antigen im Überschuss (hohe Parasitämie) vorliegt, wird es vom „Immobilisierungs-Antikörper“ gebunden, bis alle Bindungsstellen besetzt sind. Das im Überschuss vorhandene freie Antigen bindet jetzt auch den „Farbmarkierungs-Antikörper“, jedoch ohne immobilisiert zu werden. Der Großteil der Farbmarkierung verteilt sich folglich gleichmäßig über die Breite des Teststreifens, anstatt als distinkte Bande gebunden zu werden [4]. Erfahrene Diagnostiker begegnen dem Prozonen-Phänomen mit einer Proben-Verdünnung und bewirken so die Reduktion des freien Antigens. Neben dem Prozonenphänomen können auch bestimmte, lokal auftretende Mutationen, wie die vielfach beschriebene PfHRP2 (Plasmodium falciparum Histidine Rich Protein 2) -Negativität bei P. falciparum zu einem falsch negativen Ergebnis führen und somit die Diagnostik erschweren [5]. Da dem Kollegen vor Ort parallel ein Mikroskop als weiteres einfaches, aber grundlegendes Diagnostikum zur Verfügung stand, wurde die Diagnose einer komplizierten Malaria tropica nicht weiter verzögert.
Die Evakuierung aus einem Konfliktgebiet (MedEvac) ist eine essenzielle Fähigkeit der deutschen Streitkräfte. Sie hat hier dafür gesorgt hat, dass der Patient zügig und unter höchsten medizinischen Standards in das BwKrhs Hamburg als Behandlungsebene 4 mit tropenmedizinischem Schwerpunkt verlegt werden konnte. Die im täglichen Dienst erprobte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Klinik I – Innere Medizin und der Klinik X – Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie dem FBTropMedInf am Bernhard-Nocht-Institut ermöglichte die komplikationslose Behandlung des Soldaten.
Zusammenfassend reiht sich die Malaria in eine Gruppe von Infektionskrankheiten ein, die in tropischen Klimazonen besonders im Zusammenhang mit kriegerischen Konflikten verstärkt auftreten. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat aufgrund der kontinuierlich verbesserten Prophylaxemaßnahmen sowie eher geringer Exposition deutscher Soldaten im Einsatz bisher wenig Erfahrung mit Malaria. Daher stellt diese Erkrankung für den fachlich wenig erfahrenen Sanitätsoffizier aus Deutschland vor große Herausforderungen. Fallstricke wie fehlende Kardinalsymptome oder Besonderheiten bei der Diagnostik erfordern eine umfassende Ausbildung und eine stetige Auseinandersetzung mit der Thematik. Sanitätsoffiziere jedes Faches absolvieren vor einem Einsatz im tropischen Ausland eine einwöchige curriculare Ausbildung am FbTropMedInf. Diese kann jedoch eine notwendige jahrelange Ausbildung auf dem Gebiet Tropenmedizin und Infektiologie nicht ersetzen. Gerade dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, personelle Kapazitäten aufzubauen, um möglichst vor Ort, mindestens jedoch als dauerhaft erreichbare konsiliarische Rückfalloption bei der Behandlung dieses besonderen Patientenguts zur Verfügung zu stehen.
Die diskussionswürdige Argumentation, dass Infektionserkrankungen im Rahmen der bisherigen Auslandseinsätze kaum angetroffen wurde, ist lediglich eine Momentaufnahme und berücksichtigt in keiner Weise aktuell postulierte politische Ansprüche der Bundeswehr, eine militärische Führungsrolle im Verbund einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsstrategie einnehmen zu wollen.
Verbündete Streitkräfte, die aufgrund ihres Auftrags gezwungen sind, ihre Soldaten im höheren Maße zu exponieren, zeigen den Zusammenhang zwischen Inzidenzen und Art des Einsatzes klar auf. Dabei beschränkt sich dies nicht nur auf Einsatzgebiete in tropischen Regionen. Das Auftreten von Armutserkrankungen beziehungsweise von epidemisch verlaufenden Infektionserkrankungen wie der Cholera kann prinzipiell im Rahmen eines militärischen Konfliktes in jeder Klimazone begünstigt werden. Da aber Arbovirosen, Parasitosen, Wundinfektionen mit multiresistenten Bakterien oder Armutserkrankungen wie Tuberkulose aktuell in Deutschland noch selten sind, können so auch kaum Erfahrungen mit der Diagnostik und Behandlung dieser Erkrankungen gesammelt werden. Es erfordert eine konzeptuelle Weichenstellung, um die spezialisierte Versorgung in den Einsatzgebieten zu verbessern und eine breite Expertise im Sanitätsdienst der Bundeswehr aufzubauen. Abschließend soll betont werden, dass diese Fallschilderung nicht als individuelle Kritik an mitbehandelnden Kollegen aufgefasst werden soll. Vielmehr dient sie der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Komplexität tropisch-infektiologischer Erkrankungen und sie illustriert, dass ab Zeitpunkt der Diagnosestellung die zeitgemäße und leistungsfähige Versorgung des Soldaten im Einsatz funktioniert.
Fazit
Bei Einsätzen in anderen Klima- und Konfliktzonen ist mit einem anderen Spektrum von Infektionskrankheiten zu rechnen als im Heimatland.
Unspezifische Allgemeinsymptome oder fehlende Leitsymptome müssen jeweils im Kontext von Einsatz, Epidemiologie und lokalen Risikofaktoren gesehen werden.
Redundanz bei den diagnostischen Methoden führt zur erhöhten Sicherheit bei der Feststellung potenziell lebensbedrohlicher Erkrankungen wie der Malaria.
Ergänzend zur Lehrgangsausbildung vor Einsatzbeginn wird im Einsatz- und Heimatland eine materiell und personell hochklassige Infrastruktur benötigt.
Etablierte Strukturen wie die Rettungskette und interdisziplinäre Zusammenarbeit funktionieren und sind in ihrer Anwendung nicht nur auf traumatologische Patienten beschränkt.
Literaturverzeichnis
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Bildquellennachweis:
Abbildung 1 und 2: Annett Michel
Manuskriptdaten
Zitierweise
Halfter M, Feischen M, Mittmesser S, Koenig C, Iversen M, Michel A, Wiemer D: Komplizierte Malaria tropica bei einem deutschen Soldaten im Rahmen des Bundeswehreinsatzes in Mali. WMM 2022; 66(12): 466-469.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-49
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Matthias Halfter
Bundeswehrkrankenhaus HamburgF
Fachbereich Tropenmedizin/Infektiologie am Bernhard-Nocht Institut
Bernhard-Nocht Str. 74, 20359 Hamburg
E-Mail: matthiashalfter@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Halfter M, Feischen M, Mittmesser S, Koenig C, Iversen M, Michel A,
Wiemer D: [A case of a Complicated Malaria Tropica of a German
Soldier on Deployment in Mali.] WMM 2022; 66(12): 466-469.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-49
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Matthias Halfter, MC:
Bundeswehr Hospital Hamburg
Section Tropical Medicine/Infectious Diseases Bernhard-Nocht Institute
Bernhard-Nocht Str. 74, D-20359 Hamburg
E-Mail: matthiashalfter@bundeswehr.org