Prospektive Untersuchung der Kinetik von potenziellen Biomarkern und serologischen Parametern bei Patienten mit spontanen, nicht-traumatischen Dissektionen der supraaortalen hirnversorgenden Arterien
Lisa Geerkens1
1Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik für Neurologie
Einleitung
Eine spontane Gefäßdissektion der hirnversorgenden Arterien ist eine von der Arteriosklerose unabhängige Gefäßwandschädigung. Vermutet wird eine Inzidenz von etwa 2,6–2,9/100 000 pro Jahr der Dissektionen der A. carotis interna und für die Vertebralarterie etwas niedriger bei etwa 1,5/100 000 pro Jahr [11]. Damit zählen Dissektionen der hirnversorgenden Arterien eher zu den selteneren Erkrankungen und machen nur rund 2–3 % von allen ischämischen Schlaganfällen aus [1][7][12]. Jedoch sind sie eine häufige Ursache für Hirninfarkte (10–25 %) bei jüngeren Patienten (< 50 Jahre) [4] und demnach auch wehrmedizinisch relevant. Bei spontanen zervikal arteriellen Dissektionen liegt das mittlere Alter zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Sie sind demnach vor allem im jungen bis mittleren Lebensalter (< 50 Jahre) für Hirninfarkte, welche mit schweren bis tödlichen Verläufen einhergehen können, verantwortlich [5]. Über die Akutphase hinaus ist das Risiko für weitere Dissektionen im Langzeitverlauf jedoch nicht nennenswert erhöht [6], sodass das Konzept des Vorliegens einer akuten Noxe mit Schädigung der Gefäßwand plausibel erscheint und charakterisiert werden soll. Jedoch sind weder die Ätiologie noch die genaue Pathogenese von zervikalen Dissektionen hinreichend verstanden. Bei Patienten ohne primäre genetische Ursache für Dissektionen, wie beispielsweise ein bekanntes Marfan-Syndrom (betrifft lediglich ca. 0,5–2 % der Fälle), konnte noch keine andere Ursache für zervikale arterielle Dissektionen detektiert werden [3]. Auf Grund dessen existiert auch kein kausaler Therapieansatz. Die aktuelle Datenlage erbringt allerdings deutlich den Verdacht auf eine inflammatorische Beteiligung bei der Entstehung einer zervikalen Dissektion. Sowohl eine Leukozytose als auch erhöhte CRP-Level sowie eine mögliche Zytokin-Ausschüttung mit folglich endothelialer Dysfunktion wurden mehrfach beschrieben[8][10]. YANG et al. veröffentlichten erstmals ein Panel aus sechs Proteinen als möglichen Biomarker für zervikale Dissektionen [13].
Methodik
In der vorgestellten multizentrischen Studie (Universitätsklinikum des Saarlandes, Klinikum Saarbrücken) möchten wir mögliche Noxen anhand der kinetischen Veränderung von Entzündungswerten wie CRP, IL-6, BSG, Procalcitonin und Leukozytenzahl sowie des Hormonstatus und der T-Zellimmunität über einen Zeitraum von 90 Tagen nach Auftreten einer akuten zervikalen Dissektion durch wiederholte Blutuntersuchung identifizieren und somit die Hypothese einer inflammatorischen Beteiligung bei der Entstehung einer zervikalen Dissektion belegen. Mittels eines patientenbezogenen Fragebogens versuchen wir zusätzlich, mögliche Risikofaktoren zu identifizieren und epidemiologische Daten zu ergänzen bzw. zu untermauern. Dabei werden Patienten mit akuter Dissektion als primäre Gruppe untersucht. Als Kontrollgruppe dienen Patienten mit cerebraler Ischämie (TIA oder Hirninfarkt) anderer Ursache und lokalen muskuloskelettalen Beschwerden (Cervikalgien) durch Zerrung, Myogelose oder Fehlhaltung im Halsbereich ohne neurologische Ausfälle. Dies ist eine erste Zwischenauswertung einer noch laufenden Studie und untersucht die ersten 15 eingeschlossenen Dissektionspatienten sowie die ersten 15 geschlechts- sowie alters-gematchten Kontrollpatienten.
Ergebnisse
Sowohl in der Gruppe der Dissektionspatienten als auch in der Gruppe der Kontrollpatienten werden jeweils 60 % männliche Patienten und 40 % weibliche Patienten eingeschlossen. Die Entzündungswerte (CRP, BSG, Leukozyten, Procalcitonin und IL-6) werden im Verlauf über 90 Tage untersucht. Das CRP wurde in mg/l, BSG bei einer Stunde in mm, die Leukozyten mit 109, Procalcitonin in ng/ml und IL-6 in pg/ml ausgewertet. Am Aufnahmetag werden signifikant erhöhte BSG (p =0,035) und IL-6 (p =0,036) Werte bei der Gruppe der Dissektionspatienten beobachtet. Darüber hinaus zeigt sich in der Gruppe der Dissektionspatienten über den Verlauf von 90 Tagen bei den abgenommenen Entzündungswerten eine fallende Tendenz, wohingegen die Entzündungswerte in der Gruppe der Kontrollpatienten weitestgehend stabil verlaufen – hier am deutlichsten am IL-6 Wert (Median d0: 8,355 %; Median d90: 2,225 pg/ml) zu erkennen (Tab. 1).
Tab. 1: Auswertung des IL-6 in pg/ml
Hormonstatus (Testosteron, Progesteron, LH, FSH, Prolaktin, STH, Östradiol) und ASL werden am Aufnahmetag (d0) untersucht. Hier weisen die Dissektionspatienten im Durchschnitt vor allem signifikant erhöhte STH (p =0,018) Werte auf (Tabelle 2).
Tab. 2: Auswertung des Hormonstatus; STH in ng/ml
Darüber hinaus ist die Lokalisation der Dissektion ausschlaggebend für die schwere der klinischen Symptomatik. Patienten mit einer Dissektion der A. carotis interna (ACI) auf der linken Seite zeigen in unserer Untersuchung einen manifesten Hirninfarkt und Patienten mit einer Dissektion auf der rechten Seite lediglich lokale Symptome (p = 0,002).
Es fällt ebenfalls eine saisonale Häufung der Dissektionspatienten vor allem in den kälteren Monaten von Oktober 2018 bis April 2019 sowie von September 2019 bis Februar 2020 auf. Von Mai 2019 bis August 2019 wurde keine Dissektion der hirnversorgenden Arterien in unserem Einzugsbereich diagnostiziert (Abbildung 1).
Abb. 1: Saisonale Häufung bei Dissektionspatienten
Diskussion und Fazit
In einem Zeitraum von eineinhalb Jahren wurden insgesamt fünfzehn Dissektionspatienten und fünfzehn Kontrollpatienten in unsere Studie aufgenommen. Die demografischen Daten unserer Studie zeigen eine ausgeglichene Gruppenverteilung sowohl im Hinblick auf das Geschlecht mit jeweils 9 (60 %) männlichen und 6 (40 %) weiblichen Studienteilnehmern als auch im Hinblick auf das durchschnittliche Alter beider Gruppen. Das durchschnittliche Alter der Dissektionspatienten liegt bei 45,27 ±1 2,601 Jahren. Der jüngste Dissektionspatient wurde hier mit 26 Jahren eingeschlossen, der älteste mit 66 Jahren. Das durchschnittliche Alter in der Gruppe der Kontrollpatienten liegt bei 44,93 ± 14,415 Jahren. Das mittlere Erkrankungsalter wird in der Literatur zwischen 40–50 Jahren angegeben, was unsere Daten wiederspiegeln.
Die Auswertung der Blutwerte erfolgt im Hinblick auf einen möglichen prognostischen Biomarker und zeigt besonders am Aufnahmetag (d0) deutlich erhöhte BSG Werte, IL-6 Werte sowie erhöhte STH Werte. Bei genauer Betrachtung der Entzündungswerte im Verlauf zeigt sich eine fallende Tendenz bei den abgenommenen Entzündungswerten. In der Gruppe der Kontrollpatienten wiederum findet sich ein weitgehend stabiler Verlauf der Entzündungswerte. Dies ist vor allem eindeutig am IL-6-Wert in der Gruppe der Dissektionspatienten zu erkennen. Hier zeigt sich sogar eine Reduktion des Median Wertes des IL-6 von 73,37 % innerhalb der Gruppe der Dissektionspatienten von d0 auf d90. Auch bei Betrachtung des Procalcitonin-Wertes im direkten Vergleich der beiden Gruppen fällt auf, dass die Gruppe der Dissektionspatienten einen um fast 40 % höheren Procalcitonin-Wert aufweist als die Kontrollpatienten. Der p-Wert liegt hier jedoch bei p = 0,052. Eine Signifikanz lässt sich gegebenenfalls mit einer größeren Fallzahl herauskristallisieren. Einem erhöhten Spiegel des Wachstumshormons STH wird sowohl eine anti-inflammatorische als auch eine pro-inflammatorische Wirkung zugeschrieben [9], kann aber auch im Rahmen von genetischer Prädisposition, wie zum Beispiel einer Akromegalie vorkommen, wenngleich auch in unserer Studie anamnestisch eine solche genetische Prädisposition nicht erhoben wurde. Als pro-inflammatorischer Effekt wurde in der Literatur u. a. die Wirkung eines erhöhten STH-Spiegels auf IL-6 diskutiert. Hier konnte ein allgemeiner Anstieg der IL-6-Werte als Reaktion eines STH-Spiegels im Akromegalie-Bereich (1,72–6,34 µg/l) detektiert werden [2]. Aufgrund dessen können gegebenenfalls sowohl die erhöhten STH als auch die erhöhten IL-6 und BSG-Werte am Aufnahmetag (d0) im Rahmen einer stattgehabten Infektion diskutiert werden.
In der Zusammenschau der Ergebnisse ist ein latentes Entzündungsgeschehen im Rahmen der Entstehung einer Dissektion der hirnversorgenden Arterien durchaus möglich, was unsere aufgestellte These einer zugrundeliegenden Infektion für die Entstehung einer Dissektion der hirnversorgenden Arterien unterstützt. Hier scheint vor allem ein initiales Entzündungsgeschehen plausibel, was die deutlich erhöhten Entzündungswerte lediglich am Aufnahmetag (d0) erklärt sowie die saisonale Häufung von zervikalen Dissektionen in den kälteren Wintermonaten vermuten lässt.
Literatur
1. Ahl B, Bokemeyer M, Ennen JC et al: Dissection of the brain supplying arteries over the life span. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2004; 75(8): 1194-1196. mehr lesen
2. Andreassen M, Frystyk J, Faber J, Kristensen LO: GH activity and markers of inflammation: a crossover study in healthy volunteers treated with GH and a GH receptor antagonist. Eur J Endocrinol 2012; 166(5): 811-819. mehr lesen
3. Arnold M, Bousser MG, Fahrni G et al: Vertebral artery dissection: presenting findings and predictors of outcome. Stroke 2006; 37(10): 2499-2503. mehr lesen
4. Bogousslavsky J, Despland PA, Regli F: Spontaneous carotid dissection with acute stroke. Arch Neurol 1987; 44(2): 137-140. mehr lesen
5. Debette S, Compter A, Labeyrie MA et al: Epidemiology, pathophysiology, diagnosis, and management of intracranial artery dissection. The Lancet Neurology 2015; 4(6): 640-654. mehr lesen
6. Dittrich R, Nassenstein I, Bachmann R et al: Polyarterial clustered recurrence of cervical artery dissection seems to be the rule. Neurology 2007; 69(2): 180-186. mehr lesen
7. Giroud M, Fayolle H, André N et al: Incidence of internal carotid artery dissection in the community of Dijon. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1994; 57(11): 1443. mehr lesen
8. Grond-Ginsbach C, Giossi A, Aksay SS et al: Elevated peripheral leukocyte counts in acute cervical artery dissection. Eur J Neurol 2013; 20(10): 1405-1410. mehr lesen
9. Hattori N: Expression, regulation and biological actions of growth hormone (GH) and ghrelin in the immune system. Growth Horm IGF Res 2009; 19(3): 187-197. mehr lesen
10. Pelz JO, Harms K, Metze M, Michalski D: Spontaneous cervical artery dissection is accompanied by a hypercoagulable state and simultaneous inflammatory condition. J Neurol 2018; 265(2): 308-314. mehr lesen
11. Schievink WI: Spontaneous dissection of the carotid and vertebral arteries. N Engl J Med 2001; 344(12): 898-906. mehr lesen
12. Schievink WI, Mokri B, O’Fallon WM: Recurrent spontaneous cervical-artery dissection. N Engl J Med 1994; 330(6): 393-397. mehr lesen
13. Yang, Y, Peng J, Wang S et al: Serum-based proteomics reveals lipid metabolic and immunoregulatory dysregulation in cervical artery dissection with stroke. Front Neurol 2020; 11: 352. mehr lesen
Verfasser:
Stabsarzt Dr. Lisa Geerkens
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Klinik für Neurologie
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