Resilient in der Pflege – Erprobung eines Konzepts für ein Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen
Resilience in Nursing – Trial of a Debriefing Seminar for Pandemic-Related Stress
Kristina Küpera, Franziska Langnerb, Kim-Elisa Wilkenb, Manuela Andrea Hoffmann*a, Peter Zimmermann*b
* Geteilte Senior-Autorenschaft
a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
Zusammenfassung
Hintergrund: Pflegekräfte sind enormen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, die sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt haben. Die Folge sind langfristige Beeinträchtigungen von Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit. Aus diesem Grund hat das Psychotraumazentrum der Bundeswehr ein „Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen“ konzipiert. Ziel ist es, die Resilienz von Pflegekräften zu steigern und so Belastungen im Arbeitsalltag besser kompensierbar zu machen.
Material und Methode: Im Rahmen einer Pilotuntersuchung wurden das Nachbereitungsseminar an 28 Pflegekräften (14 Soldatinnen und Soldaten und 14 Zivilangestellte der Bundeswehr) erprobt, die auf COVID-Stationen tätig waren. Die Evaluation der Maßnahme erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr und umfasste eine Befragung der Teilnehmenden, die auch die Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala (ASKU) beinhaltete.
Ergebnisse: Das Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen verbesserte nicht nur die Selbstwirksamkeitserwartung der teilnehmenden Pflegekräfte, sondern steigerte auch deren subjektive Sicherheit im Umgang mit allgemeinem Stress und moralischen Konflikten. Die Maßnahme erreichte darüber hinaus eine hohe Akzeptanz: Alle Teilnehmenden stuften die Seminarinhalte als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ für den eigenen dienstlichen Alltag ein und erteilten der Frage nach einer Weiterempfehlung des Seminars den höchstmöglichen Zustimmungswert.
Fazit: Vor dem Hintergrund ständig steigender Arbeitsanforderungen und -belastungen im Pflegebereich wird empfohlen, Resilienzförderungsmaßnahmen innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser zu verstetigen und auszuweiten.
Schlüsselwörter: Corona-Pandemie, Pflegepersonal, Stress, Burnout, Resilienz, Selbstwirksamkeit, Training
Summary
Background: The physical and mental stress inherent in healthcare has only increased during the COVID-19 pandemic and negatively impacts health, wellbeing and workability of healthcare workers. To address this issue, the Bundeswehr Center for Psychotraumatology has designed a “debriefing seminar for pandemic-related stress”. The seminar aims at improving nursing staff’s resilience and enabling them to better compensate work-related stress.
Materials and Methods: In a pilot study, the debriefing seminar was tested with 28 nurses (14 Bundeswehr soldiers and 14 civilian staff) who were working in COVID-19 care. In cooperation with the Bundeswehr Institute for Preventive Medicine, the intervention was evaluated by having participants complete a questionnaire that included the Short Scale for Measuring General Self-Efficacy Beliefs (ASKU).
Results: The debriefing seminar for pandemic-related stress did not only improve general self-efficacy beliefs, but also increased participants’ subjective confidence in their ability to deal with general stress and moral conflicts. The intervention itself was-well received: all participants deemed the contents of the seminar “relevant” or “very relevant” for their daily work and awarded the highest approval rating when asked whether they would recommend the seminar to others.
Conclusion: In light of continuously increasing job demands and work stress in healthcare, we recommend that Bundeswehr Hospitals consolidate and expand interventions aimed at improving the resilience of their staff.
Keywords: COVID-19 pandemic; healthcare workers; stress; occupational burnout; resilience; self-efficacy; training
Hintergrund
Arbeitsbedingungen in der Pflege
Im Vergleich zu anderen Tätigkeiten sind Pflegeberufe durch überdurchschnittliche psychische und physische Belastungen geprägt. Beschäftigte in der Pflege sind viermal so häufig im Schichtdienst tätig wie der Durchschnitt aller Arbeitnehmer. Darüber hinaus muss ein Großteil des Pflegepersonals regelmäßig abends bzw. nachts sowie an Wochenenden arbeiten. Die im Rahmen dieser Arbeit verrichteten Tätigkeiten stellen nicht nur hohe körperliche Anforderungen, sondern sind auch emotional belastend. So sind Pflegekräfte beispielsweise regelmäßig mit Krankheit, Leid und Todesfällen konfrontiert, müssen die daraus resultierenden eigenen Emotionen allerdings im Kontakt mit Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen unterdrücken und verbergen (Emotionsarbeit). Beschäftigte in der Pflege berichten zudem über dauerhaften Zeitdruck sowie eine zunehmende Arbeitsverdichtung, d. h. dass in der gleichen Zeit mehr Arbeit verrichtet werden muss. Um das hohe Arbeitspensum zu bewältigen, müssen die Pflegenden Abstriche in der Versorgungsqualität machen und können so den eigenen Ansprüchen an ihre Arbeitsleistung nicht mehr gerecht werden. Dies wird ebenso wie die geringe Wertschätzung von Pflegetätigkeiten, vor allem auch im Sinne der finanziellen Vergütung, als psychisch beanspruchend wahrgenommen [17].
Vor dem Hintergrund solcher Arbeitsbedingungen ist es nicht überraschend, dass Beschäftigte in Pflegeberufen sowohl häufiger als auch über längere Zeiträume arbeitsunfähig sind als Beschäftigte in anderen Berufsgruppen [3][7]. Neben Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Muskel-Skelett-Erkrankungen sind psychische Erkrankungen der häufigste Grund für die Krankschreibung, wobei Pflegende insbesondere von Depressionen und Anpassungsstörungen, auch im Sinne von Burnout (s. Abbildung 1), betroffen sind.
Die Corona-Pandemie als besondere Belastungssituation für Pflegekräfte
Die Corona-Pandemie hat die ohnehin schon belastende Situation von Pflegekräften noch verschärft [6][19]. Das stark erhöhte Arbeitsaufkommen gepaart mit Personalausfällen aufgrund von SARS-CoV-2-Infektionen führte zu einer extremen Arbeitsverdichtung. Diese machte das Auslassen von Pausen, regelmäßige Überstunden und Zusatzschichten erforderlich und führte dazu, dass Pflegekräften dauerhaft eine zu geringe Regenerationszeit zur Verfügung stand. Bestehen solche Arbeitsbedingungen längerfristig – wie es in der Corona-Pandemie der Fall war –, so können sich daraus schwerwiegende physiologische Probleme mit gesundheitsgefährdenden Auswirkungen ergeben [13].
Darüber hinaus sahen sich Pflegekräfte emotionalen und psychischen Belastungen ausgesetzt, die über das in der Allgemeinbevölkerung durch die Pandemie-Lage ohnehin schon erhöhte Maß noch weit hinausgingen. Neben der Angst vor Ansteckung, auch hinsichtlich der eigenen Familie, ist hier vor allem die Überlastung der (Intensiv-)Versorgungskapazitäten als Stressor zu nennen [19]. So konnte eine ausreichende Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Atemwegsproblemen aufgrund eines Mangels an Beatmungsgeräten zeitweise nicht sichergestellt werden. Pflegekräfte machten so vermehrt die Erfahrung von Kontrollverlust und mussten sich zu den Hochzeiten der Pandemie auch mit dem ethischen Dilemma der Triage auseinandersetzen. Bei den Betroffenen können sich aus diesen Erlebnissen moralische Verletzungen entwickeln (s. Abbildung 1), wie sie auch bei Einsatzrückkehrerinnen und Einsatzrückkehrern beobachtet werden [6][8].
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Corona-Pandemie – auch über ihr Ende hinaus – zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität und psychischen Gesundheit von Beschäftigten im Pflegebereich geführt hat. Pflegekräfte berichteten vermehrt über emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und Misserfolgserleben, den drei Leitsymptomen von Burnout. Zudem wird gehäuft über Mitgefühlsmüdigkeit geklagt, einer emotionalen Abstumpfung gegenüber dem Leid anderer, wie sie in Folge der langfristigen und ständigen Konfrontation mit diesem Leid entstehen kann [5][11][16].
Resilienz als protektiver Faktor
Auch stark belastende Arbeitsbedingungen, wie sie im Pflegebereich während der Corona-Pandemie vorherrschten, müssen nicht zwangsläufig zu Dauerstress und Burnout führen [5]. Nach dem Belastungs-Beanspruchungsmodell kann die gleiche Arbeitsbelastung bei unterschiedlichen Personen (oder auch an verschiedenen Zeitpunkten bei der gleichen Person) zu ganz unterschiedlichen Beanspruchungen und Beanspruchungsfolgen führen [15]. Entscheidend sind hier die individuellen Ressourcen und Risikofaktoren der betroffenen Personen. In der Corona-Pandemie waren z. B. insbesondere Frauen und Personen, die in unmittelbarem Kontakt mit COVID-19-Patientinnen und Patienten arbeiteten, für einen Burnout gefährdet. Weitere Hauptrisikofaktoren waren bereits bestehende psychische Erkrankungen oder Schlafstörungen [11].
Dem gegenüber stehen protektive Faktoren, deren Vorhandensein vor Beanspruchung und ihren Folgen schützen kann. Dazu gehören z. B. bereits vorhandene Arbeitserfahrung, effektive Bewältigungsstrategien und eine gute emotionale und körperliche Tagesverfassung. Solche Ressourcen tragen zur individuellen Resilienz bei (s. Abbildung 1). Ein hohes Maß an dieser psychischen Widerstandsfähigkeit verringert deutlich die subjektiv empfundene psychische Beanspruchung und somit auch das Risiko an Burnout oder einer Depression zu erkranken [23][26].
Wie viele andere persönliche Ressourcen ist Resilienz trainierbar. Entsprechende Trainingsinterventionen verbessern dabei nicht nur die Resilienz selbst, sondern wirken sich auch positiv auf die psychische Gesundheit, das subjektive Wohlbefinden sowie psychosoziale Fähigkeiten aus [14]. Am effektivsten hat sich dabei eine Kombination aus Achtsamkeits- und Entspannungstechniken sowie edukativen Elementen erwiesen, die auf eine kognitiv-behaviorale Verhaltensänderung abzielen [9].
Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen
Auch am Pflegepersonal der Bundeswehr ist die Corona-Pandemie nicht spurlos vorübergegangen. Die Beschäftigten in den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) waren enormen Belastungen ausgesetzt, die sich bis heute auf Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit der Betroffenen auswirken. Das Psychotraumazentrum der Bundeswehr am BwKrhs Berlin (PTZBw) entwickelte aus diesem Grund ein Konzept für ein „Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen“. Ziel der Maßnahme ist die Steigerung der Resilienz der Teilnehmenden. So soll einerseits die Verarbeitung vergangener pandemieassoziierter Belastungen verbessert werden, andererseits sollen die Beschäftigten befähigt werden, zukünftige Belastungen in ihrem Arbeitsalltag besser kompensieren zu können.
Zur Erprobung der Maßnahme wurden im Dezember 2022 und im Januar 2023 erste Pilotseminare mit bundeswehreigenem Pflegepersonal durchgeführt und in Kooperation mit dem Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) evaluiert. Dabei wurde ein Hauptaugenmerk auf die Akzeptanz der Maßnahme bei den Teilnehmenden gelegt. Darüber hinaus wurden die Auswirkungen der Maßnahme auf die Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmenden untersucht. Selbstwirksamkeit beschreibt die individuelle Erwartung hinsichtlich der eigenen Fähigkeit, Schwierigkeiten und Hindernisse im Alltag bewältigen zu können (s. Abbildung 1), und steht in engem Zusammenhang mit Resilienz [10][21]. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser ersten Erprobung vorgestellt.
Methoden
Auf Initiative des Stellvertretenden Inspekteurs des Sanitätsdienstes und Kommandeurs Gesundheitseinrichtungen wurden seitens Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) Pilotseminare zur Nachbereitung pandemieassoziierter Belastungen an zwei Terminen in 2022/2023 in Berlin veranstaltet. Die Veranstaltungen richteten sich an Pflegekräfte aus BwKrhs, die zum Zeitpunkt der Intervention auf COVID-Stationen tätig waren bzw. während der Pandemie auf diesen tätig gewesen sind.
Die Seminare gliederten sich in zehn Doppelstunden, die eine Einführungsrunde, eine Auswertungsrunde sowie je vier fachärztliche und fachpflegende Gesprächseinheiten umfassten (s. Abbildung 2).
Abb. 2: Zeitlicher Aufbau der Nachbereitungsseminare pandemieassoziierter Belastungen
Inhalt der fachärztlichen Gespräche war einmal ein Vortrag mit Lehrgespräch zu Burnout und Stressbewältigung. Dieser thematisierte unter anderem die Entwicklungsstadien von Burnout, prädisponierende Kognitionen und Persönlichkeitsakzentuierungen. Diese Grundlagen wurden ergänzt durch Hinweise für eine Hilfe zur Selbsthilfe, die unter anderem Folgendes behandelten: Begrifflichkeit und Umsetzung von Selbstfürsorge, Nutzung von Ressourcen (insbesondere sozialer Kontakte), Anwendung eines Entspannungstrainings, Umgang mit Schlafstörungen, Etablierung von Sport im Alltag und mögliche weiterführende therapeutische Angebote. Eine Anleitung und Vertiefung zum Umgang mit Burnout findet sich in der Monographie „Die Bundeswehr im Einsatz – Psychosoziale Belastungen und ihre Bewältigung“ des PTZBw, die unter der DSK-Nummer SF004520001 über die Fachinformationsstellen der Bundeswehr erhältlich ist [22].
Des weiteren erfolgte ein Lehrgespräch zum Umgang mit moralischen Konflikten in der Pflege. Dieses wurde auf Grundlage des „Handbuchs für die Primär- und Sekundärprävention einsatzbezogener psychischer Belastungen und moralischer Konflikte“ [24] konzipiert, welches durch das PTZBw für den Psychologischen Dienst der Bundeswehr erarbeitet wurde. Unter stetiger Bezugnahme auf COVID-assoziierte Belastungen wurde dabei auf psychische Konfliktfelder eingegangen, die sich auf persönliche Wertorientierungen und Moralvorstellungen auswirken können. Dazu gehören etwa der Umgang mit Hilflosigkeit angesichts schwer erkrankter oder sterbender Patienten und damit verbundene Schuldgefühle, die Auseinandersetzung mit erschwerten Arbeitsbedingungen und möglichen erlebten Behinderungen durch Führungsprozesse oder auch der Wandel von Werten und die Umgestaltung von Schwerpunkten im Lebensrhythmus. Eine der dabei vermittelten praktischen Übungen war beispielsweise das Konzept des inneren Trainers, bei dem der bewertende Umgang mit sich selbst imaginativ, also bildhaft ausgestaltet, erarbeitet und gegebenenfalls modifiziert wird.
Die fachpflegenden Gesprächseinheiten beinhalteten praktische Einführungen in Yoga, stressbezogene Akkupunktur und allgemeine Entspannungstechniken. Die Referenten der Pilotseminare, die seitens des PTZBw gestellt wurden, waren ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie zwei Gesundheitspflegende aus dem Bereich der Fachpflege Psychiatrie.
Stichprobenbeschreibung
Insgesamt nahmen 28 Personen an den Pilotseminaren teil. Davon waren 14 Soldatinnen bzw. Soldaten, während es sich bei den anderen um Zivilangestellte der Bundeswehr handelte. Weitere soziodemografische Daten zu den Teilnehmenden wurden nicht erhoben, da diese aufgrund der geringen Stichprobengröße einen Rückschluss auf die Identität der teilnehmenden Personen erlaubt hätten.
Maßnahmenevaluation
Die Evaluation der Pilotseminare erfolgte im Rahmen eines mündlichen Gesprächs mit den Teilnehmenden sowie anhand eines Fragebogens, der zum Ende des Seminars ausgegeben wurde. Dieser beinhaltetet neben skalierten Fragen auch die Möglichkeit zu Freitextantworten, die z. B. der Erfassung von Verbesserungsvorschlägen der Teilnehmenden dienten.
Die skalierten Fragen umfassten (I) eine Einschätzung des Zeitansatzes für die Gesamtveranstaltung sowie für die theoretischen und praktischen Seminaranteile als „zu kurz“, „zu lang“ oder „angemessen“. Zudem gaben die Teilnehmenden an, (II) inwieweit sich ihre Sicherheit im Umgang mit allgemeinem Stress bzw. mit moralischen Konflikten durch das Seminar verbessert hatte, (III) wie sie das Nachbereitungsseminar insgesamt bewerteten, (IV) inwieweit es relevant für den eigenen dienstlichen Alltag war und (V) ob sie eine Teilnahme am Seminar weiterempfehlen würden. Antworten erfolgten hier jeweils anhand von 4-stufigen Likert-Skalen (Ankerpunkte: 1 = „stimme nicht zu“ bis 4 = „stimme zu“ bzw. 1 = „nicht gut“ bis 4 = „sehr gut“ bzw. 1 = „unwichtig“ bis 4 = „sehr wichtig“).
Zusätzlich wurde (VI) unmittelbar vor und nach dem Seminar die Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmenden mittels der ASKU („Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala“) erfasst [1]. Die Skala umfasst 3 Items, deren Beantwortung über eine 5-stufige Likert-Skala erfolgt (Ankerpunkte: 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 5 = „trifft voll und ganz zu“). Zur Berechnung des Gesamtskalenwerts werden die Antworten zu den einzelnen Items gemittelt. Für den so gewonnenen mittleren Skalenwert liegen Vergleichsdaten einer bevölkerungsrepräsentativen Zufallsstichprobe vor (n = 1134).
Die Analyse der Fragebogendaten erfolgte rein deskriptiv. Für die ASKU-Daten wurde zusätzlich eine inferenzstatistische Analyse durchgeführt. Mithilfe von t-Tests wurden die vor und nach der Maßnahme erhobenen ASKU-Werte sowohl miteinander, als auch mit denen der Normstichprobe verglichen. Die dargestellten p-Werte sind zweiseitig und das Signifikanzniveau wurde auf α = 5 % festgelegt.
Ergebnisse
Der Gesamtzeitansatz des Seminars wurde von einem Großteil der Teilnehmenden als zu kurz empfunden (82,1 % vs. angemessen: 17,9 %). Dabei wurde der Zeitansatz für den Theorieteil ungefähr zu gleichen Teilen als zu kurz (50 %) oder angemessen (46,4 %) beurteilt. Ähnlich verhielt es sich beim Zeitansatz für den Praxisteil (zu kurz: 57,1 % vs. angemessen: 42,9 %).
Die mittleren Bewertungen der Seminarinhalte lagen hinsichtlich aller Variablen im oberen Bereich der Skala (s. Tabelle 1). Besonders positiv fielen die Bewertung des Gesamtseminars sowie die Einschätzung von dessen dienstlicher Relevanz aus. Zudem gaben alle 28 Teilnehmenden an, dass sie eine Teilnahme am Seminar weiterempfehlen würden.
Die nach der Maßnahme erhobenen ASKU-Skalenwerte (s. Tabelle 2) waren im Vergleich zu den Werten der Vormessung signifikant erhöht, t(27) = 4.385, p < .001, d = .829. Darüber hinaus entsprachen die Werte der Teilnehmenden vor der Maßnahme denen der Normstichprobe, t(27) = 0.979, p = .336, d = .185, während sie nach der Maßnahme deutlich über den Normwerten lagen, t(27) = 4.264, p < .001, d = .806.
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Pilotuntersuchung zeigen, dass die vom PTZ Bw konzipierten Nachbereitungsseminare pandemieassoziierter Belastungen von den Teilnehmenden sehr gut angenommen wurden. So wurde die Maßnahme von allen 28 Teilnehmenden als „gut“ oder „sehr gut“ beurteilt. Die Frage nach einer Weiterempfehlung des Seminars erhielt von allen Teilnehmenden sogar den höchstmöglichen Zustimmungswert. All diejenigen, die in die Analyse eingingen, stuften die Seminarinhalte außerdem als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ für den eigenen dienstlichen Alltag ein und die weitaus überwiegende Mehrheit gab an, dass sie die Teilnahme am Seminar sicherer im Umgang mit allgemeinem Stress und moralischen Konflikten gemacht habe.
Diese positiven Rückmeldungen gingen mit einer Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmenden einher: die nach der Seminarteilnahme erhobenen ASKU-Werte waren gegenüber der Vormessung deutlich erhöht und lagen auch über den Normwerten einer bevölkerungsrepräsentativen Vergleichsstichprobe. Selbstwirksamkeit beschreibt die Einschätzung der eigenen Fähigkeit, schwierige Situationen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Dabei ist Selbstwirksamkeit eine generalisierte Kompetenzerwartung, die nicht auf bestimmte Situationen oder Handlungsbereiche beschränkt ist und somit in engem Zusammenhang zur allgemeinen Resilienz steht [10][18]. Trainingsbedingte Steigerungen der Selbstwirksamkeit können deswegen weitreichende positive Effekte nach sich ziehen, die von verbesserten Wiedereinstellungsquoten bei Arbeitssuchenden [4] bis hin zu erhöhter Compliance hinsichtlich der Selbstfürsorge bei chronischen Erkrankungen reichen [20]. Selbstwirksamkeitssteigernde Maßnahmen, wie das vorliegende Nachbereitungsseminar, gelten deswegen als eine der zweckmäßigsten Methoden, um Resilienz situationsübergreifend zu verbessern [18].
Limitierende Faktoren und Ausblick
Trotz dieser durchweg positiven Ergebnisse sollten die Nachbereitungsseminare pandemieassoziierter Belastungen weiterhin wissenschaftlich begleitet werden, da die vorliegende Pilotstudie eine Reihe von limitierenden Faktoren aufweist. So ist es aufgrund der geringen Fallzahl und dem daraus resultierenden Fehlen von soziodemographischen Angaben zu den Teilnehmenden nicht möglich, interindividuelle Unterschiede in der Maßnahmenwirkung zu betrachten. Nachfolgeuntersuchungen sollten in diesem Zusammenhang insbesondere prüfen, inwieweit die Maßnahme auch zur Resilienzstärkung von Personen mit einer unterdurchschnittlichen Selbstwirksamkeitserwartung geeignet ist.
Die Daten der Seminarteilnehmenden sollten zudem mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden, die sich aus Teilnehmenden von Maßnahmen zusammensetzt, die zwar strukturell vergleichbar sind, deren Zielsetzung aber nicht resilienzbezogen ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die in dieser Pilotstudie gefundenen Effekte spezifisch für die untersuchte Maßnahme sind. Da es sich bei Selbstwirksamkeit beispielsweise um eine Facette des eigenen Kompetenzerlebens handelt, ist zu erwarten, dass jede Fortbildungsmaßnahme, die neue Kompetenzen vermittelt, zu einer Erhöhung des eigenen Selbstwirksamkeitserlebens führt. Ein Kontrollgruppenvergleich könnte allerdings belegen, dass dieser Zugewinn für Maßnahmen, die der Resilienzstärkung dienen, deutlich größer ausfällt als es für andere Fortbildungsangebote der Fall ist.
Um zu prüfen, wie weitreichend die positiven Effekte der Nachbereitungsseminare sind, sollte in Nachfolgeuntersuchungen zudem ein erweitertes Testinstrumentarium zum Einsatz kommen, das neben der allgemeinen Selbstwirksamkeit noch weitere Facetten der Resilienz erfasst, wie z. B. Selbstbewusstsein oder Optimismus [2]. Im Rahmen einer zusätzlichen Messung einige Monate nach der Maßnahme könnte darüber hinaus geprüft werden, wie lange deren positiver Effekt anhält und inwieweit eine wiederholte Seminarteilnahme sinnvoll sein kann.
Die im Rahmen dieser Pilotstudie erhobenen Befragungsdaten zeigen außerdem Optimierungsmöglichkeiten für die Maßnahme selbst auf. Anpassungsbedarf scheint hauptsächlich hinsichtlich des gewählten Zeitansatzes zu bestehen, der von den Teilnehmenden mehrheitlich als zu kurz empfunden wurde. Dabei wurden sowohl der theoretische als auch der praktische Anteil jeweils von mindestens der Hälfte der Teilnehmenden als zu kurz bewertet.
Im Rahmen der Freitextantworten äußerten die Teilnehmenden zudem ein starkes Bedürfnis nach vermehrtem Austausch untereinander: 12 der 28 Teilnehmenden wünschten sich mehr (Klein-)Gruppengespräche zur Fallbesprechung sowie die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch hinsichtlich belastender persönlicher Erlebnisse während der Corona-Pandemie. Eine Erweiterung des Seminars um die Möglichkeit des kollegialen Austausches ist auch aus theoretischer Perspektive sinnvoll, da die wahrgenommene soziale Unterstützung und das Zugehörigkeitsgefühl einen deutlich positiven Zusammenhang mit individueller Resilienz aufweisen [12][21].
Daneben sprachen sich die Teilnehmenden für einen noch stärkeren Bezug des Nachbereitungsseminars zur Corona-Pandemie (n = 4) sowie für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Tod (n = 2) aus. Andere Verbesserungsvorschläge wurden jeweils nur von einzelnen Teilnehmern geäußert.
Fazit
Die in dieser Pilotstudie evaluierten Nachbereitungsseminare pandemieassoziierter Belastungen verbesserten nicht nur die Selbstwirksamkeitserwartung der teilnehmenden Pflegekräfte, sondern steigerten auch deren subjektive Sicherheit im Umgang mit arbeitsbedingten Stressoren. Vom zeitlichen Umfang her wurde das Seminar als angemessen oder sogar zu kurz bewertet und die Seminarinhalte erreichten eine hohe Akzeptanz, insbesondere hinsichtlich ihrer Relevanz für den dienstlichen Alltag.
Die Pilotstudie wies allerdings auch einige Optimierungsmöglichkeiten auf. So wünschten sich die Teilnehmenden insbesondere einen stärkeren kollegialen Austausch innerhalb der Maßnahme. Genauere Aussagen über Umfang und Nachhaltigkeit der hier gezeigten positiven Effekte erfordern außerdem eine weitere wissenschaftliche Begleitung der Nachbereitungsseminare.
Vor dem Hintergrund ständig steigender Arbeitsanforderungen und -belastungen im Pflegebereich wird empfohlen, derartige Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz innerhalb der BwKrhs zu verstetigen und gegebenenfalls auf andere Pflegebereiche mit erhöhter psychischer Belastung auszuweiten. Über den Bereich der Krankenpflege hinaus sind einzelne Seminarinhalte bereits im Rahmen der Reintegration von Einsatzrückkehrerinnen und Einsatzrückkehrern zur Anwendung gekommen [25] und könnten zusätzlich auch zur Einsatzvorbereitung genutzt werden.
Literatur
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Danksagung
Die Autoren danken besonders Marek Giese und Tatjana Urban für die aktive Mitgestaltung des Programms.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Küper K, Langner F, Wilken KE, Hoffmann MA, Zimmermann P: Resilient in der Pflege – Erprobung eines Konzepts für ein Nachbereitungsseminar pandemieassoziierter Belastungen. WMM 2023; 67(9): 342-347.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-190
Für die Verfasser
Oberregierungsrätin Dr. Kristina Küper, Dipl.-Psych.
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Fachbereich A1 – Angewandte Gesundheitsförderung
Aktienstraße 87, 56626 Andernach
E-Mail: kristinakueper@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Küper K, Langner F, Wilken KE, Hoffmann MA, Zimmermann P: [Resilience in Nursing - Trial of a Debriefing Seminar for Pandemic-Related Stress]. WMM 2023; 67(9): 342-347.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-190
For the Autors
Dr. Kristina Küper, Dipl.-Psych.
Bundeswehr Institute of Preventive Medicine
Section A1 – Applied Health Promotion
Aktienstrasse 87, D-56626 Andernach
E-Mail: kristinakueper@bundeswehr.org
Militärpersonal mit einsatzbedingten psychischen Störungen:
Durchschnittliche Anzahl neuer Fälle und Veränderung der Komorbiditäten über die letzten 10 Jahre
Deployment-Related Mental Disorders: Average Number and Change in Comorbidities over the Last 10 Years
Ulrich Wesemanna, Nils Hüttermanna, Francesco Pahnkea, Peter Zimmermanna, Gerd Willmunda, Kai Köhlera, René Giesenb, Karl-Heinz Rennerc
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
b Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, Sankt Augustin
c Fakultät für Humanwissenschaften, Institut für Psychologie, Universität der Bundeswehr München
Zusammenfassung
Hintergrund: Psychische Störungen gehören zum Berufsrisiko von Soldatinnen und Soldaten. Während der Fokus der letzten Dekaden auf posttraumatischen Belastungsstörungen lag, rücken in letzter Zeit auch immer häufiger andere Störungen und Einzelsymptome in den Vordergrund. Untersuchungen aus Afghanistan (International Security Assistance Force; ISAF) belegen eine 1-Jahres-Inzidenz psychischer Störungen von 7 %. Die Fragestellung dieser Arbeit bezieht sich darauf, wie viele Soldatinnen und Soldaten im Jahresdurchschnitt erstmalig die Diagnose einer einsatzbedingten psychischen Störung erhalten. Zusätzlich wird die Veränderung komorbider Störungen in 5-Jahres-Intervallen untersucht.
Methoden: In der am Psychotraumazentrum der Bundeswehr zentral geführten Einsatzstatistik werden alle Soldatinnen und Soldaten erfasst, die aufgrund einsatzbedingter psychischer Störungen eine Diagnose erhalten. Aufgrund der Vergabe eines speziellen Verschlüsselungscodes können doppelte Fälle ermittelt und ausgeschlossen werden. Für die Berechnung der Erstdiagnosen einsatzbedingter psychischer Störungen wurden die Jahre 2018–2022 sowie 2013–2022 herangezogen. Für die Berechnung der komorbiden Störungen wurden die Jahre 2011, 2016 und 2021 gewählt und miteinander verglichen.
Ergebnisse: In dem 5-Jahres-Zeitraum wurden im Schnitt jährlich 301 Soldatinnen und Soldaten erstmalig mit einer einsatzbedingten psychischen Störung gemeldet; im 10-Jahres-Zeitraum 310. Die Anzahl der komorbiden Diagnosen unterscheiden sich in den Stichjahren mit χ² (2, N = 980) = 33,42; p < .001 signifikant voneinander. Die geringste Anzahl komorbider psychischer Störungen findet sich im Jahr 2011, die höchste im Jahr 2021.
Schlussfolgerungen: Die reine Anzahl an Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen ist über die letzten 10 Jahre weitgehend konstant geblieben. Dies sollte aber nicht als Zeichen für eine „Entwarnung“ gesehen werden, da die Dunkelziffer nach wie vor als deutlich höher eingeschätzt wird. Vor allem die sich abzeichnende lange Latenz zwischen Symptombeginn und Behandlungsaufnahme, die häufig mit einer Chronifizierung einhergeht, erschweren den Behandlungsverlauf erheblich. Dies wird durch die signifikante Zunahme komorbider psychischer Störungen verschärft. Ein Fokus sollte auf die nicht erkannten Soldatinnen und Soldaten gesetzt werden.
Schlüsselwörter: Militärpersonal, psychische Gesundheit, Komorbidität, Inzidenz, Stigma
Summary
Background: Mental disorders are part of the occupational risk for military personnel. While the focus in recent decades has been on post-traumatic stress disorders, other disorders, and individual symptoms recently have also come to the fore. Studies from Afghanistan (International Security Assistance Force; ISAF) show a 1-year incidence of mental disorders of 7 %. The total number of military personnel diagnosed for the first time with a deployment-related mental disorder was an average of 340 per year. This data should be updated since the investigation period is already 5 years ago. In addition, the development of comorbid disorders is examined at 5-year intervals.
Methods: All servicewomen and men diagnosed with a deployment-related mental disorder are recorded in the deployment statistics maintained centrally in the Bundeswehr Center for Psychotraumatology. By using a HASH code, duplicate cases can be identified and excluded. The years 2018–2022 and 2013–2022 were used to calculate the initial diagnoses of deployment-related mental disorders. 2011, 2016 and 2021 were chosen and compared to calculate the comorbid conditions.
Results: In the 5-year period, a deployment-related mental disorder was reported for the first time in 301 soldiers; in the 10-year period 310. The number of comorbid diagnoses in the reference years differs significantly with χ² (2, N=980) = 33.42; p < .001. The lowest number of comorbid mental disorders was recorded in 2011, and the highest in 2021.
Conclusions: The number of soldiers with deployment-related mental disorders has remained constant over the past 10 years. However, this should not be interpreted as an all-clear signal, as the number of unreported cases is still significantly higher. Above all, the emerging long latency between the onset of symptoms and the start of treatment, which is often associated with chronicity, and the significant increase in comorbid mental disorders make the course of therapy considerably more difficult. A focus should be placed on the unrecognized soldiers.
Key words: military personnel; mental health; comorbidity; incidence; stigma
Hintergrund
Einsatzbedingte psychische Störungen sind ein erhebliches Berufsrisiko von Militärpersonal und Einsatzkräften [24]. Während der Fokus der letzten Jahrzehnte hauptsächlich auf posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) lag [6][21], finden sich nun immer häufiger Studien, die depressive Episoden und andere Angststörungen untersuchen [18]. Dabei rückten auch Einzelsymptome wie Schlafstörungen [3][4], Aggressivität und Feindseligkeit [8][16][25][28], Misstrauen [26], körperdysmorphe Störungen, Muskeldysmorphie, Unzufriedenheit mit Gewicht und Figur sowie die Einnahme von Medikamenten zur Verbesserung des Aussehens [1], Veränderungen von Werteorientierungen und moralischen Verletzungen [2][30], Veränderungen bei Zytokinen wie den Rezeptoren des TNF-α [9][22], Tabakkonsum [19] oder hirnorganische Veränderungen [11][12] immer stärker in den Vordergrund. Ebenfalls finden Arbeitsplatzbedingungen [5] wie dort erlebte Gewalt [15], die Charakteristika der kritischen Ereignisse [13][16][23][27], psychosoziale Faktoren [20] aber auch Ressourcen [14] und ethische Herausforderungen [17] immer größere Beachtung. Einen weiteren wichtigen Faktor nimmt Suizidalität in den Streitkräften ein. In der Bundeswehr ist Suizid nach wie vor die häufigste spezifische Todesursache aktiver Soldatinnen und Soldaten [29]. Durch diese ganzheitlichere Betrachtung entstand ein realistischeres Bild der einsatzbedingten psychischen Symptome, Syndrome und Störungen. Vor allem für den truppenärztlichen Bereich ist dieses Wissen wichtig, da dieser von betroffenem Militärpersonal häufig als die erste professionelle Ansprechstelle aufgesucht wird.
In einer kürzlich erschienenen Studie wird der prozentuale Anteil von männlichen Kampftruppensoldaten, die während oder kurz nach einem ISAF-Einsatz eine psychische Störung entwickelten, mit 7,3 % angegeben. Die häufigsten dabei waren spezifische Phobien, die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und depressive Episoden, wobei knapp 30 % aller Betroffenen komorbide Störungen entwickelten. Spannend vor diesem Hintergrund ist auch, dass 19,5 % der für den Einsatz vorgesehenen Soldaten bereits vor der ISAF-Mission an einer psychischen Störung litten. Dies liegt zwar deutlich unter dem Durchschnitt von knapp 28 % bei der in Deutschland lebenden Allgemeinbevölkerung, zeigt jedoch, dass eine bessere Detektionsrate hier hilfreich wäre.
Eine Studie aus dem Vereinigten Königreich zeigt, dass 1,8 % des Militärpersonals gleichzeitig die Kriterien für eine PTBS und Alkoholmissbrauch erfüllen [7]. Bei männlichen Kampftruppensoldaten der Bundeswehr liegt die Prävalenz für Alkoholmissbrauch bei 2,7 %. Auch in diesem Punkt scheint die Detektionsrate eher gering zu sein, sodass es hier noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Diese könnten durch spezifische Weiterbildungsmaßnahmen im truppenärztlichen Bereich erreicht werden. Ein weiterer wichtiger Schritt könnte hier das vom Psychologischen Dienst der Bundeswehr entwickelte Rahmenkonzept zur psychischen Fitness darstellen, um die Genese psychischer Störungen zu minimieren. Ebenfalls sind De-Stigmatisierungs-Programme ein hilfreiches Mittel, um die Eigenverantwortung der Betroffenen zu steigern. Auch hier wird aktuell der State-Trait Einsatzkräftefragebogen für Partner evaluiert, der die Partnerinnen und Partner in diesen Prozess einbezieht.
In einer weiteren Analyse des Datensatzes der zuvor geschilderten Untersuchung männlicher Kampftruppensoldaten fand sich auch hier ein Einfluss spezifischer Charakteristika der Arbeitsplatzbedingungen. So hatten Soldaten, die während des Einsatzes ein lebensbedrohliches militärspezifisches Ereignis erlebten, ein 6,7-fach höheres Risiko, eine depressive Störung zu entwickeln. Dies ist für die Routineexploration des truppenärztlichen Bereichs von Bedeutung. Kritische Lebensereignisse sind ein starker Prädiktor für die Entwicklung psychischer Probleme und sie können schnell erhoben werden. Dies ersetzt natürlich nicht die gründliche Erfassung der mentalen Fitness, liefert aber wertvolle erste Hinweise. Zusätzlich kann dieses Wissen dabei helfen, die Ausbildung und Vorbereitungsmaßnahmen weiter zu verbessern [10] und vorhandene De-Stigmatisierungsprogramme weiterzuentwickeln.
Studienziel
Ziel dieser Studie ist es, die durchschnittliche Anzahl von Soldatinnen und Soldaten, die erstmalig die Diagnose einer einsatzbedingten psychischen Störung erhalten, zu ermitteln. Dafür soll der Jahresdurchschnitt für die letzten 5 und 10 Jahre berechnet werden. Neben den reinen Neudiagnosen von Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen fiel im klinischen Alltag auf, dass das Militärpersonal zunehmend komplexere Störungsbilder mit weiteren komorbiden psychischen Störungen entwickelte. Dies hat massive Auswirkungen auf den Behandlungsprozess und die Behandlungsdauer. Deshalb ist ein weiteres Ziel, die Veränderungen komorbider Störungen über ein längeres Intervall zu prüfen. Untersucht wird, ob es insgesamt zu einer Zunahme komorbider Störungen gekommen ist und welche komorbiden Störungen am häufigsten auftreten.
Methode
Für die Berechnungen wurde auf die im Psychotraumzentrum der Bundeswehr (PTZBw) zentral geführte Einsatzstatistik zurückgegriffen. Dort werden auf Weisung der Bundesregierung alle Soldatinnen und Soldaten erfasst, die sich aufgrund einsatzbedingter psychischer Störungen in Behandlung begeben. Die Zahlen werden monatlich von den Bundeswehrkrankenhäusern und Sanitätszentren der Bundeswehr übermittelt. Durch die Generierung eines HASH-Codes (spezielle Verschlüsselung der Daten) können keine Rückschlüsse auf die Einzelpersonen vorgenommen werden, doppelte bzw. mehrfach gemeldete Personen werden jedoch, unabhängig von den meldenden Stellen, erkannt. Damit lassen sich die neu gemeldeten Personen eindeutig als „neuer Fall“ identifizieren.
Aufgrund der pseudonymisierten Speicherung der Daten lassen sich für diese Registerstudie keine Einverständniserklärungen der erfassten Personen einholen. Um die Standards für gute wissenschaftliche Praxis zu gewährleisten, wurde deshalb ein Ethikvotum der Universität der Bundeswehr München (AZ: EK UniBW M 2023–2) eingeholt.
Für die Berechnung der Neuvorstellungen wurden die Jahre 2013–2022 und 2018–2022 herangezogen. Hier wurden alle Personen, die erstmalig die Diagnose einer einsatzbedingten psychischen Störung erhielten, zusammengefasst und daraus der Jahresdurchschnitt berechnet.
Zur Prüfung, ob sich die Komorbiditäten bei Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen über die Zeit verändern, wurden alle Fälle extrahiert, die mehr als eine Diagnose aufwiesen. Dafür wurden 5-Jahres-Intervalle, ausgehend vom Jahr 2021, gewählt. Zuerst wurden die häufigsten psychischen Störungen, die zusammen mit anderen auftreten, in eine Rangfolge gebracht. Anschließend wurden ausgewählte psychische Störungen für die benannten Intervalle mittels χ²-Test auf Unterschiede untersucht. Abschließend wurde mit dem gleichen Test geprüft, ob sich die Intervalle für die Gesamtheit der Komorbiditäten voneinander unterscheiden. Da es sich jeweils um Einzelvergleiche handelt, ist keine Alpha-Adjustierung notwendig. Das Signifikanzniveau wird auf p < .05 festgelegt. Die Berechnungen erfolgten mittels SPSS, Version 21.
Ergebnisse
In dem 5-Jahres-Zeitraum 2018–2022 wurden 1 504 Soldatinnen und Soldaten (1 399 (93 %) männlich; 104 weiblich (6,9 %) und 1 divers (0,1 %)) erstmalig mit einer einsatzbedingten psychischen Störung gemeldet; also knapp 301 (300,8) pro Jahr. Die durchschnittliche Anzahl an Einsätzen bei Erstdiagnose liegt hier bei 3,3 (Standardabweichung (SD) 3,5), die durchschnittlich absolvierten Dienstjahre bei 15,4 (SD 8,7) und die Einsatztage bei 260,5 (SD 541,4).
In dem 10-Jahres Zeitraum 2013–2022 wurden 3 101 Soldatinnen und Soldaten (2 879 (92,8 %) männlich; 221 weiblich (7,1 %) und 1 divers (0,0 %)) erstmalig mit einer einsatzbedingten psychischen Störung registriert. Dies entspricht 310 (genau 310,1) pro Jahr. Für die Untersuchung der komorbiden psychischen Störungen wurden im ersten Schritt die sieben am häufigsten auftretenden Störungen identifiziert und in eine Rangfolge gebracht (Tabelle 1).
Tab. 1: Die 7 häufigsten einsatzbedingten komorbiden psychischen Störungen bei Soldatinnen und Soldaten
Für die Auswertung der komorbiden Störungen wurden „psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ (ohne Alkohol), „Störungen durch Alkohol“, „depressive Störungen“, „Angststörungen“, „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ sowie „komorbide Störungen insgesamt“ zusammengefasst und betrachtet. Die Auswertung erfolgte mittels χ²-Test. Die absoluten Zahlen (ohne Prozentwerte) sind in den Tabellen jeweils ohne Klammern angegeben.
Tab. 2: χ²-Test zum Vergleich der Komorbiditäten „Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ (ohne Alkohol) im 5-Jahres-Intervall
Die Gruppen unterscheiden sich in der Komorbidität „psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ (ohne F10.x) mit χ² (2, N=980) = 14.37; p < .001 signifikant voneinander. Die geringste Komorbidität findet sich im Jahr 2011, die höchste im Jahr 2016.
Tab. 3: χ²-Test zum Vergleich der Komorbiditäten „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ im 5-Jahres-Intervall
Die Gruppen unterscheiden sich in der Komorbidität von F10.x Diagnosen mit χ² (2, N=980) = 18,78; p < .001 signifikant voneinander. Die geringste Komorbidität findet sich im Jahr 2011, die höchste im Jahr 2021. Dies entspricht einer Zunahme um das 3,2-fache.
Die Gruppen unterscheiden sich in der Komorbidität von depressiven Erkrankungen mit χ² (2, N=980) = 5,83; p = .054 nicht signifikant voneinander, es ist jedoch ein Trend in Richtung Zunahme komorbider depressiver Störungen zu sehen. Dies entspricht einer Zunahme um 58 %.
Die Gruppen unterscheiden sich in der Komorbidität von Angsterkrankungen mit χ² (2, N = 980) = 5,54; p = .063 nicht signifikant voneinander, es ist jedoch ein Trend in Richtung Zunahme komorbider Angststörungen zu sehen. Damit haben komorbide Angststörungen um 56 % zugenommen.
Die Gruppen unterscheiden sich in der Komorbidität von F6x.x Diagnosen mit χ² (2, N=980) = 3.67; p = .16 nicht signifikant voneinander.
Die Gruppen unterscheiden sich in der Anzahl komorbider Diagnosen mit χ² (2, N=980) = 33,42; p < .001 signifikant voneinander. Die geringste Anzahl komorbider psychischer Störungen findet sich im Jahr 2011, die höchste im Jahr 2021. Damit hat die Anzahl komorbider psychischer Störungen für den Vergleich von 2011 und 2021 um 70 % zugenommen.
Diskussion
Mit 300–310 Soldatinnen und Soldaten, die jährlich die Erstdiagnose einer einsatzbedingten Störung erhalten, ist die reine Anzahl der neu erkannten Personen über die letzte Dekade weitgehend konstant geblieben. Dennoch wird die Dunkelziffer nach wie vor als deutlich höher eingeschätzt. Ein Rückgang der Zahlen nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan seit Juli 2021 ist noch nicht zu beobachten. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Latenzzeit zwischen Symptombeginn und Behandlungsaufnahme im Durchschnitt bei 3 bis 4 Jahren liegen dürfte. Eine detaillierte Auswertung dazu wird gerade vom Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin in Kooperation mit der Bundeswehruniversität München durchgeführt.
Da die Dunkelziffer, wie bereits beschrieben, deutlich höher ausfallen dürfte, sind hier weitere Bemühungen im Bereich der De-Stigmatisierung sinnvoll. Dies könnte die Latenzzeit zwischen Symptombeginn und Behandlungsaufnahme verkürzen bzw. überhaupt zur Aufnahme einer adäquaten Behandlung führen. Um die Detektionsraten zu erhöhen, könnten Schulungen im truppenärztlichen und truppenpsychologischen Bereich hilfreich sein. Mit der Einführung niedrigschwelliger Maßnahmen wie der Moralprävention, der aktuellen Entwicklung von Einzel- und Gruppen-Resilienztrainings des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr sowie weiterer Angebote aus dem Bereich der psychischen Fitness könnte die Anzahl an Soldatinnen und Soldaten, die an einer psychischen Störung erkranken, verringert werden. Dies ist auch weitgehend unabhängig von Auslandseinsätzen. Zusätzlich wird durch die Einführung des neuen Konzepts zur „Psychologischen Krisenintervention“ eine Reduktion der Krankheitslast erwartet. Der Einbezug Angehöriger in gesundheitsförderliche Maßnahmen erhöht dabei die Compliance und bietet einen breiteren Rahmen.
Bei nahezu gleichbleibenden Fallzahlen lässt sich insgesamt eine Zunahme einsatzbedingter komorbider psychischer Störungen vom Jahr 2011 zu 2021 um 70 % feststellen. Dies spricht dafür, dass die Behandlungen immer komplexer werden, sich die Prognose verschlechtert und die Behandlungsdauer damit deutlich ansteigen dürfte. Dies dürfte sich vor allem bei Soldatinnen und Soldaten mit komorbiden Störungen durch Alkohol, Depression und Angststörungen bemerkbar machen. Bezogen auf die deskriptive Statistik (Tabelle 1) lässt sich erkennen, dass es zu einer Verschiebung der Diagnosehäufigkeit der komorbiden Störungen kam. So haben Anpassungsstörungen abgenommen, wobei Agoraphobien und Alkoholprobleme zugenommen haben. Dies spricht auch für eine höher Krankheits- und Symptomlast, die sich negativ auf das Behandlungssetting (Dauer, Prognose, etc.) auswirkt.
Positiv haben sich die Zahlen der Soldatinnen und Soldaten mit komorbider PTBS entwickelt. Hier lässt sich eine Abnahme verzeichnen. Dies könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass gerade bei diesem Störungsbild keine weiteren Diagnosen wie die der Agoraphobie oder depressiver Episoden gestellt werden. Hier gibt es in der Symptomatik deutliche Überschneidungen, sodass dies ohnehin in die Behandlung mit einfließt.
Ebenfalls lässt sich im letzten Jahr ein Trend in Richtung gehäufter Diagnosen von F43.8 (sonstige Reaktionen auf schwere Belastungen) beobachten. Es ist zu vermuten, dass der Fokus hier zunehmend auch auf moralische Verletzungen gelegt wird.
Eine Stärke der Studie liegt darin, dass die geführte Datenbank einer Vollerhebung entspricht und damit repräsentativ für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist.
Limitationen
In der Einsatzstatistik finden sich nur die gemeldeten Soldatinnen und Soldaten, sodass keine Aussage über die nicht identifizierten Betroffenen gemacht werden kann. Genau dieser Anteil wird aber als beträchtlich höher eingeschätzt. Ebenfalls finden Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen häufig keinen Eingang in diese Statistik, wenn sie im außermilitärischen therapeutischen Setting behandelt werden.
Bei den Berechnungen der Komorbiditäten wurden nur die 3 Stichjahre als Vergleichsjahre einbezogen. In einer weiteren Studie wäre es sinnvoll, die gesamte Zeitspanne abzudecken.
Fazit
Die Zunahme einsatzbedingter komorbider psychischer Störungen und die Verschiebung von „leichteren“ zu „schwerwiegenderen“ Diagnosen spricht für komplexere Krankheitsbilder. Dies hat Auswirkungen auf die Behandlungsdauer und die Prognose. Eine verbesserte Diagnostik im Sinne der Früherkennung durch den truppenärztlichen und -psychologischen Bereich wäre hilfreich, um Chronifizierungen vorzubeugen. Dies könnte durch zusätzliche Schulungen erfolgen. Den vielleicht wichtigsten Schritt dazu könnte die Erfassung „Psychische Fitness“ sein. Ebenfalls wird das Screening der „Psychologischen Krisenintervention“ als hilfreich eingeschätzt, da dies über einen 3-Jahres-Zeitraum erfolgt und damit auch Soldatinnen und Soldaten erkennen kann, die später Probleme entwickeln. Das Primärziel beider Programme besteht darin, Ressourcen und Resilienz der Soldatinnen und Soldaten so zu steigern, dass es zu keiner psychischen Störung kommt. Unabhängig von zukünftigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist mit einem weiteren Anstieg psychischer Störungen bei Soldatinnen und Soldaten zu rechnen. Vermutlich wird sich die Prävalenz aber knapp unter dem Durchschnitt der deutschen Allgemeinbevölkerung halten können.
Kernaussagen
- Einsatzbedingte psychische Störungen sind ein erhebliches Berufsrisiko von Soldatinnen und Soldaten und Übersteigen das Risiko von körperlicher Verwundung oder Tod.
- Pro Jahr erhalten im Schnitt 310 Soldatinnen und Soldaten erstmalig die Diagnose einer einsatzbedingten psychischen Störung.
- Einsatzbedingte komorbide psychische Störungen haben über die letzten 10 Jahre signifikant zugenommen und erschweren den Behandlungsprozess erheblich.
- Durch Schulungen von Truppenärzten & Truppenpsychologen könnte die Detektionsrate verbessert und die Latenzzeit zwischen Störungsbeginn und Behandlung verkürzt werden.
- Maßnahmen der „Psychologischen Fitness“ und der „Psychologischen Krisenintervention“ sollen einer Störung primärpräventiv vorbeugen.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Wesemann U, Hüttermann N, Pahnke F, Zimmermann P, Willmund G, Köhler K, Giesen R, Renner KH: Militärpersonal mit einsatzbedingten psychischen Störungen: Durchschnittliche Anzahl neuer Fälle und Veränderung der Komorbiditäten über die letzten 10 Jahre. WMM 2023; 67(9): 348-353.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-195
Für die Verfasser
Regierungsdirektor Priv.-Doz.Dr. Ulrich Wesemann
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Psychotraumazentrum der Bundeswehr
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: uw@ptzbw.org
Manuscript Data
Citation
Wesemann U, Hüttermann N, Pahnke F, Zimmermann P, Willmund G, Köhler K, Giesen R, Renner KH: Average number of deployment-related mental disorders and development of comorbidities in a 5-year interval among military personnel. WMM 2023; 67(9): e1.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-196
For the Authors
Associate Professor Dr. Ulrich Wesemann
Bundeswehr Hospital Berlin
Bundeswehr Center for Psychotraumatology
Scharnhorststr. 13, D-10115 Berlin
E-Mail: uw@ptzbw.org