WENN DIE STIMME VERSAGT
Stimmstörungen
Frank Hofera
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Zusammenfassung
Stimmstörungen kommen nicht selten vor und haben unterschiedliche Ursachen. Vor allem bei länger anhaltenden Stimmstörungen ist die Kenntnis der Anatomie und Physiologie der stimmbildenden Organe wichtig, um die verschiedenen Krankheitsbilder der organischen Dysphonie, der funktionellen Dysphonie und der psychogenen Dysphonie voneinander zu unterscheiden.
Dem Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie – ein Fachgebiet, das sich aus der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde entwickelt hat – stehen dabei spezielle diagnostische und therapeutische Mittel zur Verfügung. In seiner Hand werden die Weichen für die Ausrichtung der Therapie gestellt und therapeutische Fortschritte überwacht.
Schlüsselwörter: Phoniater, organische Dysphonie, funktionelle Dysphonie, psychogene Dysphonie, Phonochirurgie
Keywords: phoniatrist, organic voice disorder, functional voice disorder, psychogenic voice disorder, phonosurgery
Einleitung
Das „Phänomen Stimme“ ist zugleich Ausdruck der Persönlichkeit und von großer Bedeutung in der täglichen privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Kommunikation. Fast jeder kennt Heiserkeit während einer Erkältung oder einer Grippe. Sie verschwindet meist von selbst und belastet uns nur mäßig.
Aber was ist, wenn die Heiserkeit bleibt oder wenn eine Stimmstörung ohne vorherige Erkrankung allmählich oder gar plötzlich entsteht oder gar chronisch wird?
Die Stimme des Menschen und das menschliche Stimmorgan, der Kehlkopf mit den dazugehörigen Funktionen sind anatomisch und physiologisch sehr genau untersucht und beschrieben. Die folgende kurze Übersicht soll eine Zusammenfassung der Grundlagen menschlicher Stimmbildung, der Differenzierung der verschiedenen Stimmstörungen sowie der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei Stimmstörungen geben.
Anatomie und Physiologie des Stimmapparats
Zum Stimmapparat gehört der gesamte obere und untere Atemtrakt. Eine gesunde Stimme setzt daher voraus, dass in allen anatomischen Bereichen keine Einschränkungen vorhanden sind.
Zur Stimmbildung wird die Exspirationsphase des Atemzyklus genutzt. Während bei der Ein- und Ausatmung die Stimmlippen voneinander entfernt sind und die Atemluft ungehindert passieren lassen, legen sich bei der Phonation die Stimmlippen locker aneinander an und werden durch den Luftstrom der Ausatemluft in periodische Schwingungen versetzt. Zur Bildung eines klaren Tons ist es notwendig, dass die glottische Schleimhaut ungehindert über das Stimmband schwingen kann. Je nach Spannungszustand der Stimmlippen gelingt es, vergleichbar mit einer Instrumentensaite, unterschiedliche Tonhöhen zu bilden.
Um aus dem erzeugten Ton einen individuellen Klang und letztendlich Sprache zu bilden, ist noch das Ansatzrohr notwendig, also der Resonanzraum, der sich kranial des Kehlkopfes anschließt und sämtliche anatomische Strukturen wie den Rachen, die Zunge, die Mundhöhle mit den Zähnen, den Gaumen, die Lippen, die Nasenhaupt- und -nebenhöhlen umfasst.
Bei dieser Anzahl beteiligter Strukturen ist es gut zu verstehen, dass jede Art von Funktionseinschränkung – insbesondere der unteren Atemwege und des Larynx – zu einer Stimmstörung führen kann. Störungen des Ansatzrohres wiederum führen in aller Regel zu einer Artikulations- oder Sprechstörung.
Im Wesentlichen kann man Stimmstörungen in drei Kategorien unterteilen, die jedoch in aller Regel fließend ineinander übergehen und daher häufig nicht so klar getrennt werden können.
Formen der Stimmstörungen
Organische Stimmstörungen
Eine organische Stimmstörung, beruht, wie der Name schon vermuten lässt, auf einer pathologischen Veränderung der stimmbildenden Organe, hierbei im Wesentlichen des Kehlkopfes.
Stimmlippenzysten
Hierbei handelt es sich um echte schleim- bzw. flüssigkeitsgefüllte und epithelausgekleidete Zysten, wie sie überall im Pharynx und im Larynx auftreten können und dort in aller Regel als Zufallsbefund erhoben werden. Im Falle einer Stimmlippenzyste führt diese zu einer rauen, gepressten Stimme, teilweise in Verbindung mit einem Räusperzwang.
Die Therapie besteht in einer Mikrolaryngoskopie, bei der unter strikter Schonung der Stimmlippenschleimhaut die Marsupialisation der Zyste erfolgt.
Stimmlippenpolyp
Hierbei handelt es sich um eine Schleimhautaussackung als organische Folge einer funktionellen Dysphonie (Abbildung 1). In neueren Publikationen wird vermutet, dass es sich bei Stimmlippenpolypen um die Vorstufe von Phonationsverdickungen, auch Sängerknötchen oder Schreiknötchen genannt, handelt.
Abb. 1: Polyp der rechten Stimmlippe mit typischer Lokalisation am Übergang vom vorderen zum mittleren Drittel
Solange die Stimmlippenveränderung noch nicht zu stark organsiert erscheint, besteht die Möglichkeit, dass ein Stimmlippenpolyp unter logopädischer Therapie wieder vollständig remittiert. Bei ausbleibender Besserung kann die Veränderung ebenfalls im Rahmen einer Mikrolaryngoskopie entfernt werden.
Reinke-Ödem
Reinke-Ödeme treten nahezu ausschließlich bei Rauchern auf, hierbei häufig beim weiblichen Geschlecht mit einem Krankheitsbeginn in der 5. Lebensdekade. Reinke-Ödeme sind für eine charakteristische dunkle und raue Stimme verantwortlich. Flüssigkeitseinlagerungen in der Lamina propria des Stimmlippenepithels, dem sogenannten Reinke-Raum, die mit zunehmender Dauer gallertartig eindicken, führen zu einer charakteristischen glasigen Aussackung der Stimmlippe. Es handelt sich trotz der Nikotingenese nicht um eine Präkanzerose.
Die Therapie besteht im Einschlitzen der Schleimhaut im Rahmen einer Mikrolaryngoskopie. Anschließend kann die eingelagerte Flüssigkeit mit dem Sauger entfernt werden. Um den Erfolg der Operation zu garantieren und ein Rezidiv zu verhindern, sollte bei dem Patienten auf eine dauerhafte Nikotinkarenz bereits im Vorfeld hingewirkt werden.
Abb. 2: Ausgeprägtes Reinke-Ödeme beidseits bei einer 56jährigen Raucherin
Larynxpapillomatose
Bei der Larynxpapillomatose handelt es sich um eine HPV-assoziierte Schleimhautveränderung, die ebenfalls überall im Larynx vorkommen und im Übrigen auch die gesamten oberen und unteren Atemwege befallen kann. Bei Affektion der Stimmlippen kann dieses zur Heiserkeit bis hin zur Atemnot führen. Typisch sind die blumenkohlartigen Schleimhautveränderungen, die im Narrow Band Imaging (NBI) wie „schmutzige Schneebälle“ imponieren.
Je nach Virussubtyp ist die Larynxpapillomatose als Präkanzerose einzustufen. Die juvenile respiratorische Papillomatose bei Erstdiagnose vor dem 12. Lebensjahr stellt eine aggressive Form der Erkrankung dar. Eine histologische Sicherung durch eine Mikrolaryngoskopie ist daher indiziert.
Abb. 3: Larynxpapillomnester auf beiden Stimmlippen: Man erkennt auch flache Schleimhautveränderungen im Bereich des Petiolus.
In diesem Rahmen kann eine Reduktion der Viruspapillome mit dem Microdebrider oder mit dem CO2-Laser erfolgen. Das Ziel ist dabei jedoch häufig nicht die vollständige Entfernung der Papillome – vor allem, da die Larynxpapillomatose zu Rezidiven neigt –, sondern nur die Entfernung der Schleimhautveränderungen, die zu einer Heiserkeit führen. Papillome an anderen anatomischen Substrukturen des Larynx, beispielsweise der Taschenfalten, können belassen werden, solange sie keine Beschwerden verursachen.
Verschiedene adjuvante Therapieansätze zur Verhinderung eines Rezidivs wie das lokale Auftupfen von Mitomycin C, die intraläsionale Injektion oder inhalative Applikation von Cidofovir haben entweder keine ausreichende Wirkung gezeigt oder sind nebenwirkungsbehaftet.
Eine postexpositionelle Impfung mit polyvalenten HPV-Impfstoffen scheint jedoch in kleineren Studien zumindest eine Verlängerung der rezidivfreien Zeit gezeigt zu haben. Insgesamt bleibt auch abzuwarten, wie sich die Inzidenz der Larynxpapillomatose, wie im Übrigen auch der HPV-assoziierten Kopf-Hals-Tumore, nach Einführung der HPV-Impfungen auch von männlichen Kindern und Jugendlichen in Zukunft entwickeln wird.
Recurrensparesen
Die häufigste Ursache einer Recurrensparese ist die iatrogene Verletzung des Nervus recurrens im Rahmen einer Thyroidektomie. Das Risiko steigt hier mit der Dauer des Eingriffs, bei Rezidiveingriffen und bei zugrundeliegender Malignität der Schilddrüsenerkrankung an.
Eine Recurrensparese kann jedoch auch im Rahmen einer Virusinfektion, einer malignen Erkrankung entlang des Nervenverlaufs (z. B. „Pancoasttumor“), neurologischen Erkrankungen, durch ein Trauma oder idiopathisch entstehen.
Der Nachweis einer Recurrensparese erfolgt durch die Laryngoskopie, die einen respiratorischen Stillstand einer oder beider Stimmlippen in Paramedian-, Intermediär- oder Lateralstellung zeigt. Je nach Position des Stillstandes imponiert durch den inkompletten Glottisschluss entweder eine Heiserkeit (typische „Diplophonie“) oder eine Stimmlosigkeit.
Abb. 4: Recurrensparese rechts in Lateroposition während der Phonation mit einem deutlichen inkompletten Glottisschluss
Im Fall einer einseitigen Stimmlippenparese können zunächst eine Cortisonstoßtherapie und eine logopädische Therapie erfolgen. Bei ausbleibender Besserung der Heiserkeit kann eine Stimmlippenaugmentation durchgeführt werden. Hierbei wird die betroffene Stimmlippe durch das jeweilige Augmentat in den Reinke-Raum (Hyaluronsäure) oder lateral des Stimmbandes (autologes Fett, Hydroxalapatit, Silikon) medialisiert und somit wieder ein kompletter Glottisschluss erreicht. Bei sehr großen Stimmlippenspalten kann unter Umständen eine Thyroplastik mit einer Titanspange, einem Silikonimplantat oder autologem Knorpel nötig werden.
Eine bilaterale paramediane Stimmlippenparese führt zu einer Ruhedyspnoe mit inspiratorischem Stridor bis hin zur vital gefährdenden Atemnot, wohingegen die Stimme häufig kaum beeinträchtigt erscheint. Es muss dann entweder eine temporäre Stimmlippenlateralisation durch Anzügeln einer Stimmlippe erfolgen („Operation nach Lichtenberger“), solange noch die Möglichkeit einer Remission besteht. Bei einer persistierenden bilateralen Recurrensparese kann eine posteriore Chordektomie oder partielle Arythenoidektomie einer betroffenen Seite erfolgen, bei der entweder Teile der Stimmlippe oder des Arythenoidknorpels auf Kosten der Stimmqualität entfernt werden.
Im Notfall sind als Ultima ratio die Koniotomie und/oder die Tracheotomie notwendig.
Funktionelle Dysphonie
Eine funktionelle Dysphonie äußert sich in einer Heiserkeit, die offensichtlich zunächst keine organische Ursache hat. Letztendlich überstrapaziert der Patient die ihm gegebenen anatomischen Möglichkeiten, in dem er zu viel und/oder zu laut redet. Damit wechselt er in aller Regel in eine überhöhte mittlere Sprechstimmlage, die wiederum dazu führt, dass er beim Sprechen presst und/oder eine falsche Atemtechnik einsetzt.
Das ausbalancierte System „Stimmbildung“ kommt aus dem Gleichgewicht und wird dadurch überfordert. Die Folge ist eine Stimmermüdung, das heißt, dass der Patient mit zunehmendem Stimmgebrauch heiser wird, im Extremfall bereits nach wenigen Minuten. Meist steht die Heiserkeit in Verbindung mit einem Globusgefühl, Räusperzwang und Verspannungen der Hals- und Nackenmuskulatur.
In der Literatur werden hypofunktionelle Stimmstörung und hyperfunktionelle Stimmstörung unterschieden, aber auch hier sind die Übergänge fließend. Man kann aber davon ausgehen, dass die Mehrheit der Stimmstörungen zwar hypofunktioneller Natur sind, von Patienten jedoch überkorrigiert werden und in eine hyperfunktionelle Störung münden.
Die Stimme weist bei einer hyperfunktionellen Störung häufig einen harten Stimmeinsatz auf, klingt gepresst, belegt und es fällt eine gestörte Sprechatmung auf. Betroffene zeigen typischerweise eine Thorakal- oder gar Clavicular-Atmung, die zu einer zu flachen Atmung und zu pathologischen Atempausen während des Sprechens führen. Der Sprecher klingt im weiteren Sinne „gehetzt“.
Bei der Laryngostroboskopie1 finden sich phasenverschobene Randkantenverschiebungen, eine reduzierte Amplitude, die auf eine ungleiche Stimmlippenspannung und die gestörte Atmung zurückzuführen sind. Zeichen einer muskulären Überanstrengung sind eine Taschenfaltenaktivierung ein- oder beidseits. Letzteres bedeutet, dass die Taschenfalten bei der Phonation durch den erhöhten laryngealen Druck zusätzlich adduzieren, teilweise kommt es zu einer Einwölbung des Petiolus der Epiglottis in das Larynxlumen. Im Extremfall kommt es gar zu einer sogenannten Taschenfaltenphonation oder zur ventralen Adduktion der Arythenoidknorpel.
Wird eine funktionelle Dysphonie nicht behandelt, so können sich organische Korrelate bilden, entweder als sogenannte Phonationsverdickungen, auch als Schrei- oder Sängerknötchen bekannt, die typischerweise am Übergang vom vorderen auf das mittlere Drittel auftreten, oder als Kontaktgranulome im Bereich der Processus vocalis. Letztere werden interessanterweise in aller Regel bei Männern gesehen und stehen auch in direktem Zusammenhang mit einem laryngopharyngealen Reflux.
Klassische hypofunktionelle Dysphonien finden sich hingegen eher selten. Hier klingt die Stimme sehr verhaucht und kraftlos. Bei der Laryngostroboskopie zeigt sich ein inkompletter Stimmlippenschluss, nicht als Zeichen einer Parese, sondern der Hypofunktion. Selbstverständlich kann eine hypofunktionelle Stimmstörung auch das Resultat einer „erschöpften“ Hyperfunktion sein.
Die Therapie einer funktionellen Dysphonie erfolgt bei einer Logopädin/einem Logopäden, die zusammen mit dem Patienten an der Reduktion der Lautstärke, der Senkung der mittleren Sprechstimmlage und der Normalisierung der Sprechatmung arbeiten.
Psychogene Dysphonie bzw. psychogene Aphonie
Psychogene Dysphonien oder Aphonien sind für den Laien meist schwer von einer funktionellen Dysphonie zu unterscheiden. Nur selten lässt sich ein Lebensereignis direkt auf den Stimmverlust zurückführen. In aller Regel tritt die Aphonie schlagartig ein. Interessanterweise ist es den meist weiblichen Patienten häufig möglich, stimmhaft zu singen, zu husten oder zu lachen. Bei der Laryngostroboskopie imponiert zunächst das Bild einer hypofunktionellen Dysphonie mit einem inkompletten Stimmlippenschluss.
Neben der logopädischen Therapie ist in solchen Fällen die Hinzuziehung von Psychiatern oder Psychotherapeuten zur Diagnostik, Exploration und Therapie unabdingbar. Überrumpelungsmanöver, z. B. mit der sogenannten Muck’schen Kugel, sind historisch, nicht von Nachhaltigkeit geprägt und heute obsolet.
Diagnostik von Stimmstörungen
Anamnese
Die Diagnostik einer Stimmstörung beginnt immer bereits mit der Anamnese. Wichtige Informationen sind beispielsweise, ob die Heiserkeit plötzlich oder schleichend, im Rahmen eines Infektes oder „aus heiterem Himmel“ aufgetreten ist, tageszeitlich unterschiedlich ist („morgens oder abends schlimmer“) oder ganztags konstant schlecht ist. Weitere Fragen sind, ob beispielsweise ein gastroösophagealer Reflux, Allergien oder Atemwegserkrankungen bekannt sind. Der ausgeübte Beruf gibt Hinweise auf einen erhöhten Stimmeinsatz oder inhalative Belastungen. Selbstverständlich sollte auch eine Medikamenten- und Noxenanamnese erhoben werden, allem voran der Nikotinkonsum.
Standardisierte Fragebögen
Es hat sich im klinischen Alltag bewährt, standardisierte Patientenfragebögen, wie den Voice-Related Quality of Life („VRQOL“) oder den Voice Handicap Index („VHI“) zu nutzen, um das Krankheitserleben und auch -bewusstsein des Patienten besser einordnen zu können, denn in verblüffender Weise findet man häufig genug Menschen mit einer hochpathologischen Stimme, die diese jedoch nicht als störend empfinden. Fehlt das Krankheitsbewusstsein, wird beispielsweise eine logopädische Therapie, die ein hohes Maß an Mitarbeit durch den Patienten erfordert, erfahrungsgemäß nicht erfolgreich sein.
Subjektive auditive Beurteilung
Ein erster diagnostischer Schritt ist die subjektive auditive Beurteilung. Selbst einem medizinischen Laien ist es einfach möglich, die Heiserkeit als Leitsymptom einer Dysphonie wahrzunehmen.
Die auditive Beurteilung der Stimmstörung kann bereits in der Anamneseerhebung erfolgen oder besser mittels Lesen eines standardisierten Textes. Ein sehr verbreitetes Beispiel ist Äsops Fabel „Der Nordwind und die Sonne“ oder auch Grimms Märchen „Das tapfere Schneiderlein“.
Bei dieser Gelegenheit bietet es sich an, auf den Stimmeinsatz, die Prosodie und die Steigerungsfähigkeit der Stimme, aber auch auf die Sprechatmung zu achten, also zu beobachten, ob passende Atempausen zum Textfluss eingehalten werden oder ob eine physiologische Bauch- oder pathologische Brustatmung bestehen.
Beurteilungsschemata
Um die Heiserkeit genauer einzuordnen und auch den Schweregrad zu bestimmen, wurden verschiedene Beurteilungsschemata entwickelt, wie das GRBAS-Schema (Grade of hoarseness, Roughness, Breathiness, Asthenia, Strain) oder das im deutschsprachigen Raum verbreitete RBH-Schema, welches die beiden Teilkomponenten Rauheit und Behauchtheit sowie die Heiserkeit als Gesamtmerkmal in Stufen von 0 (keine Ausprägung) bis 3 (maximale Ausprägung) einordnet. Gruppenhörversuche haben hierbei eine hohe Reproduzierbarkeit der an sich subjektiven Einschätzungen ergeben.
Maximale Tonhaltedauer/Phonationsquotient
Eine ebenfalls einfache Einordnung der Atemtechnik stellt die Bestimmung der maximalen Tonhaltedauer auf den Laut „A“ bzw. „S“ und daraus abgeleitet die Berechnung des Phonationsquotienten, für den allerdings noch die Messung der Vitalkapazität notwendig ist.
Objektive Untersuchungsmethoden
Alle bisher genannten Aspekte unterliegen mehr oder minder der subjektiven Beurteilung des Untersuchers, so dass nach Möglichkeiten gesucht wurde, die Stimme objektiv apparativ zu beurteilen.
Stimmumfangsprofil
In einem Stimmumfangsprofil werden nacheinander Sprech-, Ruf- und Singstimme des Patienten aufgezeichnet. Es besteht dann die Möglichkeit, die mittlere Sprechstimmlage in Hertz, den melodischen Akzent (Tonhöhenumfang) und den dynamischen Akzent (Lautstärkenumfang) zu identifizieren.
Abb. 5: Stimmumfangsprofil mit Sprechstimme in verschiedenen Lautstärken (grün) und Singstimme (blau: leise; schwarz: laut)
Diagnose: Funktionelle Dysphonie bei einem 52-jährigen Patienten nach Radiatio eines Kopf-Hals-Tumors
Dysphonia severity index
Der Dysphonia severity index („DSI“) ist eine weitere Möglichkeit, eine genormte Bewertung der Stimme zu erhalten. Der DSI berechnet sich aus dem Produkt der Komponenten „höchstmögliche Frequenz“, „geringste Intensität“, „maximale Tonhaltedauer“ und „Jitter“ dar. Als Jitter wird die Stabilität der Grundfrequenz bei einem gehaltenen Vokal bezeichnet. Bei gesunden Stimmen werden Schwankungen von bis zu einem Prozent beobachtet.
Visualisierung der Stimmlippen
Unabdingbar ist selbstverständlich die Visualisierung der Stimmlippen und deren Beweglichkeit.
Laryngoskopie
Die Laryngoskopie mittels starrer oder flexibler Endoskopie dient dazu, pathologische Veränderungen oder funktionelle Veränderungen des Kehlkopfes darzustellen.
Neue Entwicklungen der Technik bieten bei extrem dünnen flexiblen Endoskopen von bis zu ca. 2 mm Durchmesser mittels Chip-on-the-tip-Technik trotzdem 4K-Videoaufnahmen oder dank starrer Lupenlaryngoskope mit doppelten Bildkanälen 3D-Darstellungen des Larynx.
Hier findet sich die größte Überschneidung mit dem Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, denn selbstverständlich kann auch jeder HNO-Arzt Veränderungen wie Ödeme, Polypen, Zysten oder Leukoplakien bis hin zu malignen Erkrankungen diagnostizieren. Auch kann er natürlich die respiratorische Beweglichkeit, also die Abduktions- und Adduktionsbewegung der Stimmlippen bei der Stimmbildung beurteilen.
Stroboskopie/Videomykografie
Im Alltag fällt jedoch auf, dass viele HNO-Ärzte häufig nicht die technischen Voraussetzungen zur Stroboskopie haben oder diese nicht nutzen, um die Funktion der Stimmlippen weitergehend zu untersuchen.
Die Stroboskopie ist jedoch unverzichtbar, wenn es um die Beurteilung der phonatorischen Beweglichkeit der Stimmlippen geht – also die Darstellung der Schleimhautwelle, die sich während der Phonation symmetrisch über den beiden Stimmbändern ausbreitet, denn erst diese erzeugt einen klaren Ton!
Eine, bisher allerdings nur zu wissenschaftlichen Zwecken genutzte Weiterentwicklung der Stroboskopie ist die Videomykografie, mit der eine asynchrone Randkantenverschiebung besser visualisiert werden kann.
Videoendoskopische Untersuchung
Video 1: Regulärer stroboskopischer Befund: Bei normal weiter Amplitude finden sich synchrone Stimmlippenschwingungen, eine normale Randkantenverschieblichkeit und ein kompletter Glottisschluss. Nebenbefundlich zeigt sich in der hinteren Kommissur ein Schleimhautödem als Hinweis auf das Vorliegen eines laryngopharyngealen Reflux.
Video 2: Funktionelle Dysphonie: Die Stimmlippen sind verdickt und teilweise leukoplakisch verändert. Bei der Stroboskopie findet sich eine deutliche Taschenfaltenaktivierung links mit reduzierter Amplitude, asynchroner Stimmlippenbeweglichkeit und teilweise inkomplettem Stimmlippenschluss. Im Hypopharynx ist reichlich zähes Sekret sichtbar (Zustand nach Radiatio eines CUP-Syndroms).
Video 3: Stimmlippenpolyp: Im vorderen Drittel der rechten Stimmlippe findet sich ein Polyp, die linke Stimmlippe zeigt eine dazu korrespondierende Vertiefung. Der Glottisschluss ist inkomplett; es verbleit ein durchgängiger Spalt infolge des mechanischen Einklemmens des Polypen ziwischen beide Stimmlippen und einer reduzierten Randkantenverschieblichleit. Vor allem die rechte Stimmlippe wirkt leukoplakisch verändert.
Video 4: Reinke-Ödem: Beide Stimmlippen zeigend das Bild eines ausgeprägten Reinke-Ödems. Auf eine Funktionsüberprüfung wurde verzichtet, weil durch die massiven Schleimhautaussackungen keine weitergehende stroboskopische Auswertung zu erwarten gewesen wäre. Nebenbefundlich findet sich mit einer pflasterartigen Ödembildung in der hinteren Kommissur ebenfalls der Hinweis auf einen laryngopharyngealen Reflux (Patientin ist Raucherin).
Video 5: Recurrens-Parese: Die Untersuchung erfolgte als starre Videolaryngostroboskopie mit dem 90°-Lupenlaryngoskop. Bei dem Patienten besteht eine iatrogene Stimmlippenparese links bei Z. n. Thyreoidektomie aufgrund eines Schilddrüsenmalignoms.
Bereits zu Beginn des Videos erkennt man die Ventralverlagerung des linken Arythenoidknorpels und die Stimmlippenexcavation links aufgrund der reduzierten Muskelspannung. Bei der Phonation schwingt die rechte Stimmlippe über die gedachte Mittellinie und schafft so noch den Anschluss an die in Paramedianstellung stillstehende Stimmlippe links. Die Stroboskopie zeigt eine reduzierte Amplitude mit asynchronen Stimmlippenschwingungen bei normaler Randkantenverschieblichkeit und inkomplettem Stimmlippenschluss mit irregulärem Spalt. Durch den gesteigerten Kraftaufwand bei der Phonation kommt es zu einer Taschenfaltenaktivierung mit Einschwenken des Petiolus der Epiglottis nach dorsal.
Therapie von Stimmstörungen
Wie bereits angesprochen, sind nach erfolgter Diagnostik durch den Phoniater Logopädinnen und Logopäden die primären Ansprechpartner bei der Therapie von organischen, funktionellen und psychogenen Dysphonien. Auch bei primär phonochirurgisch zu behandelnden Patienten ist deren Einbindung der Sprach- und Stimmtherapeuten in die operative Therapie, im Anschluss an diese oder in Form einer Sandwich-Therapie „konservativ-operativ-konservativ“ je nach Krankheitsbild unbedingt zu empfehlen. In den seltensten Fällen reicht eine alleinige operative Therapie aus, um den Patienten von seiner Heiserkeit dauerhaft zu heilen.
Selbstverständlich sind noch weitere Disziplinen in der Therapie von Stimmstörungen beteiligt, beispielsweise Physiotherapeuten, Pulmonologen und Atemtrainer, Psychotherapeuten, um nur einige zu nennen.
Phonochirurgie
Die Phonochirurgie ist eine Spezialisierung sowohl im Fachgebiet HNO als auch vor allem bei einigen Phoniatern und Pädaudiologen. Dieses Spezialgebiet ist allerdings keine neuzeitliche Erfindung. Der erste „phonochirurgische“ Eingriff wurde im Jahr 1860 in Tübingen von dem Chirurgen von Bruns durchgeführt, der seinen Bruder ohne jegliche Anästhesie bei Kerzenschein und indirekter Laryngoskopie mit dem Stirnhohlspiegel und einem Kehlkopfspiegel von einem Stimmlippenpolypen „befreite“.
Sicherlich ist die Entwicklung seither in großen Schritten vorangeschritten. Mit der Anästhesie und der Entwicklung von Laryngoskopen zur direkten (Mikro-)Laryngoskopie mit entsprechend feinem Mikroinstrumentarium, der Zuhilfenahme von Mikrodebridern sowie der Lasertechnik wurden die operativen Verfahren immer weiter verfeinert.
Da in Vollnarkose ein üblicherweise genutzter Intubationstubus einen Großteil der Stimmlippen verdeckt, bietet sich als Narkoseverfahren die Jet-Ventilation an, die mit Hochdruck über einen strohhalmdünnen Tubus und unter Nutzung des Bernoulli-Effekts hochfrequent oxygenierte Luft in die unteren Atemwege bläst.
Ambulante Eingriffe
Trotz alledem ist auch eine ambulante Operation im sogenannten „office-based“-Verfahren in örtlicher oder Oberflächenanästhesie und unter Nutzung flexibler oder starrer Laryngoskope im indirekten Verfahren möglich. Das Spektrum reicht von der Stimmlippenaugmentation mit Hyaluronsäure über die Injektion von Botox zur Behandlung der spasmodischen Dysphonie bis hin zur Abtragung von Polypen. Selbst die Therapie von Larynxpapillomen über eine flexible KTP-Laserfaser ist problemlos durchführbar.
Stimmangleichung bei Transsexuellen
Auch die Stimmangleichung im Rahmen einer Geschlechtsangleichung bei transsexuellen Menschen erfolgt in einem phonochirurgischen Vorgehen.
Im Gegensatz zu female-to-male-Transsexuellen, bei denen im Grunde die mittlere Sprechstimmlage im Rahmen der Hormonbehandlung irreversibel gesenkt werden kann, ist dies bei male-to-female-Transsexuellen eine große Herausforderung, denn hier gelingt keine Stimmangleichung durch Hormongabe. Stattdessen ist es hier vonnöten, die Stimmlippen einer Instrumentensaite gleich zu spannen. Dies gelingt durch Ventralverlagerung der Knorpelanteile des Thyreoids, an dem Stimmlippen in der vorderen Kommissur fixiert sind (Thyreoplastik Typ IV nach Isshiki), durch Kippen des Thyroids zum Cricoid (Cricothyroidapproximation) oder durch Ausdünnen und Verkürzen des schwingenden Anteils der Stimmlippen (Glottoplastik).
Fazit
Stimmstörungen sind Erkrankungen, die Menschen jeden Lebensalters betreffen können und damit auch bei militärischem Personal häufig vorkommen. Mit der Etablierung des Fachgebiets Phoniatrie in den Bundeswehrkrankenhäusern Hamburg, Koblenz und Ulm steht diese Expertise, die im zivilen Bereich durchaus nicht flächendeckend etabliert ist, allen Soldatinnen und Soldaten (meist) zeitnah zur Verfügung.
Literaturauswahl
- Friedrich G, Bigenzahn W, Zorowka P (Hrsg.): Phoniatrie und Pädaudiologie (5. überarbeitete Auflage). Bern: Huber 2013
- Seidner W, Nawka T (Hrsg.): Handreichungen zur Stimmdiagnostik – aus der Praxis für die Praxis (1. Auflage). Berlin: Xion 2012.
- Wendler J, Seidner W, Eysholdt U (Hrsg.): Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie (5. unveränderte Auflage). Stuttgart: Thieme 2014.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Hofer F: Stimmstörungen. WMM 2022; 66(8): 295-300.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-36
Verfasser
Oberfeldarzt Frank Hofer
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: frank1hofer@bundeswehr.org
1 Abbildungen des laryngoskopischen Bildes bei funktioneller Dysphonie sind wenig aussagekräftig, da die Veränderungen nur bei dynamischer Darstellung sichtbar sind. In der E-Paper-Version des Beitrags sind deshalb kurze Videoclips von dieser Untersuchung zu sehen.