MEHR ALS NUR DIE STIMME
Globus Pharyngis und Dysphagie – Probleme auch in der Wehrmedizin
Zur Etablierung der Phoniatrie im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Franziska Marsiana
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Zusammenfassung
Die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Hör- und CI-Rehazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg bietet Untersuchungen und Behandlungen aus der Fachrichtung Phoniatrie und Pädaudiologie an. Dieser Beitrag soll insbesondere die Truppenärztinnen und Truppenärzte sowie Ärztinnen und Ärzte anderer Fachrichtungen über die Schwerpunkte dieser neu etablierten phoniatrischen Sprechstunde informieren.
Der überwiegende Teil der Soldatinnen und Soldaten, die sich vorstellen, klagt über ein Globusgefühl mit ganz unterschiedlicher Ursache. Aber auch Patienten mit Schluck-, Stimm- und Sprachstörungen, Störungen der auditiven Wahrnehmung oder Tumorpatienten in der Nachsorge werden vorstellig.
Nach einer kurzen Vorstellung des Fachgebietes wird im Schwerpunkt die diagnostische und therapeutische Vorgehensweise bei Globus pharyngis und Dysphagie erörtert.
Schlüsselwörter: transnasale flexible videoendoskopische Schluckuntersuchung, oropharyngeale Dysphagie, transnasale flexible (Pan)-Endoskopie, laryngopharyngealer Reflux, Narrow Band Imaging
Keywords: fiber-optic endoscopic evaluation of swallowing, oropharyngeal dysphagia, transnasal flexible (pan)-endoscopy, laryngopharyngeal reflux, narrow band imaging
Einführung
Die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Hör- und CI-Rehazentrum des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Hamburg bietet seit Ende 2019 Untersuchungen sowie konservative und operative Behandlungen aus der Fachrichtung Phoniatrie und Pädaudiologie an.
Das seit 1993 eigenständige Fachgebiet Phoniatrie und Pädaudiologie beschäftigt sich mit Störungen der Stimme, des Sprechens und des Schluckens sowie mit frühkindlichen Hörstörungen und der auditiven Wahrnehmung. Man nennt diese Fachrichtung auch gerne Kommunikationsmedizin. Hören, das Gehörte verarbeiten, Stimmbildung bis hin zum Singen, Sprechen, miteinander kommunizieren, aber auch das gemeinsame Einnehmen einer Mahlzeit sind wertvolle Fähigkeiten, die unser Leben maßgeblich gestalten und uns an der Gesellschaft teilhaben lassen.
Die wehrmedizinische Relevanz zur Etablierung der Phoniatrie an unseren Bundeswehrkrankenhäusern resultiert sich aus der großen Anzahl an Soldatenpatienten aller Altersgruppen, die mit Stimm-, Schluck- und Hörstörungen vorstellig werden. Zudem bildet die Phoniatrie eine wichtige Schnittstelle zum ebenfalls in Hamburg etablierten Hörzentrum. Hörschäden sind die weltweit mit Abstand häufigste einsatzbedingte Verletzung in allen Streitkräften und eine häufige berufsbedingte Erkrankung.
In diesem Beitrag sollen Diagnostik und Therapie des Globusgefühls und von Schluckstörungen näher betrachtet werden. Diese Symptomatiken bilden den Schwerpunkt in der phoniatrischen Sprechstunde des BwKrhs Hamburg.
Ausgewählte Krankheitsbilder
Globus pharyngis
Die Patienten leiden an einem Kloß- oder Fremdkörpergefühl im Hals, zum Teil auch verbunden mit erhöhter Schleimproduktion und Räusperzwang. Der Ausschluss einer malignen Erkrankung steht diagnostisch an erster Stelle. Auch ein gastroösophagealer bzw. laryngopharyngealer Reflux sollte in Betracht gezogen werden. Dieser ist bei unseren Soldatenpatienten eine sehr häufige Ursache für die Missempfindung im Sinne eines oro-pharyngealen Kloßgefühls.
Erst nach Ausschluss aller in Frage kommenden Erkrankungen darf die Diagnose eines „psychogenen Globus pharyngis“ erwogen werden.
Dysphagie
Oropharyngeale Dysphagien sind Schluckstörungen, die den Mund-, Rachen- und Kehlkopfbereich betreffen. Sie beschreiben die Schwierigkeiten, einen Schluck Flüssigkeit oder eine Portion Speisebrei sicher von der Mundhöhle in die Speiseröhre zu transportieren. Die Komplexität des Schluckvorganges wird bei Betrachtung der Physiologie deutlich. Am „normalen Schluckvorgang“ sind 50 Muskeln und 6 Hirnnerven beteiligt. Bewegungs- und Zeitabläufe sind exakt koordiniert und mit der Wahrnehmung im Mund-/Rachenbereich verschaltet. Das Schlucken dient in Doppelfunktion einerseits der angemessenen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sowie andererseits dem Schutz der Atemwege. Der Vorgang ist komplex und sehr störanfällig.
Schluckstörungen sind ein weit verbreitetes und ernstes Gesundheitsproblem; sie können zu schweren Komplikationen wie Malnutrition, Dehydratation und Aspirationspneumonie sowie zu Beeinträchtigungen von Aktivitäten, Teilhabe und Lebensqualität führen. Schluckstörungen sind multifaktoriell bedingt, mit Komorbiditäten sowie schlechter Prognose assoziiert und erfordern ein multidimensionales Diagnostik- und Therapiekonzept, ein Dysphagiemanagement [13].
Abb. 1: Transnasale Videoendoskopie: Retentionen in der Vallecula
Tumornachsorge
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Klinik ist die Tumornachsorge bei Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen (insbesondere Oropharynx- und Larynxkarzinomen), die phoniatrisch mitbetreut werden.
Diagnostik
Die Diagnostik des Globusgefühls und die Diagnostik von Stimm- und Schluckstörungen erfolgt bei uns mittels transnasal flexibler Videoendoskopie und ggf. –stroboskopie an Olympus®-Endoskopietürmen und an einem Xion® -Endoskopieturm. Die Untersuchung wird nach einer nasalen Sprühanästhesie durchgeführt und weist so gut wie keine Komplikationsraten auf. Standard ist bei uns die Videoaufzeichnung der Untersuchung, die uns eine gezielte Nachbetrachtung der Videosequenzen erlaubt. Hierzu wird das Archivierungsprogramm rpSzene® (Rehder und Partner, Hamburg, Deutschland) eingesetzt.
Transnasale flexible videoendoskopische Schluckuntersuchung (FEES)
Die transnasale flexible videoendoskopische Schluckuntersuchung (FEES= fiber-optic endoscopic evaluation of swallowing) ist eine aufwändige Untersuchung, die den oropharyngealen Schluckvorgang genauestens analysiert. Während der Untersucher eine transnasale flexible Videoendoskopie durchführt, schluckt der Patient angefärbte „Nahrung“ von flüssiger, breiiger und fester Konsistenz (Abbildung 3). Die FEES erlaubt beim wachen Patienten die Beobachtung von willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen von Larynx, Pharynx, Ösophagus und Trachea. Insbesondere wird nach Hinweisen für eine Dysphagie wie Leaking, laryngeale Penetration, Aspiration und Residuen geschaut und deren Schweregrad bestimmt.
Gibt es die Befürchtung, dass Tabletten nicht richtig geschluckt werden können, wird dies mit verschiedenen Placebotabletten überprüft. Der ärztliche Untersuchungsvorgang dauert mit Anamneseerhebung, Untersuchungsdurchführung, Befundbesprechung und Therapieempfehlung sowie Erstellung eines ausführlichen Arztberichtes bis zu 1,5 h.
Abb. 2: Beginnende laryngeale Penetration über die Epiglottis
Abb. 3: Hilfsmittel zum Anfärben und Andicken der „Probenahrung“ mit verschiedenen Konsistenzen
Transnasale flexible (Pan)-endoskopie (TFE)
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Klinik ist die ambulante transnasale flexible (Pan)-endoskopie des Larynx, Pharynx und Ösophagus als Alternative zur starren Panendoskopie im Rahmen der Tumornachsorge. Diese wird angewendet zum einen im Rahmen der Tumornachsorge bei Patienten mit klinisch unauffälligem Situs zum anderen bei Patienten, die nicht starr einzustellen sind oder bei denen eine Intubationsnarkose nicht möglich ist.
Die starre Panendoskopie ist normalerweise eine aufwändige Untersuchung, weil sie Operationszeit und Narkose-Ressourcen benötigt. Als Alternative bietet sich hier die transnasale flexible (Pan)-endoskopie (TFE) an, die für viele Fragestellungen ein gleichwertiger Ersatz zur konventionellen Panendoskopie ist.
Bei einer Panendoskopie sollen folgende anatomische Regionen in einem typischen Untersuchungsgang inspiziert werden: Nase, Nasopharynx, Oropharynx, oberer Ösophagussphinkter, Ösophagus, unterer Ösophagussphinkter und Magen [7]. Auch Larynx (bei Noxenabusus sehr schnell der Ort einer weiteren Dysplasie oder eines Zweitkarzinoms) sowie Subglottis können bei voller Funktion eingesehen werden. Alle diese anatomisch relevanten Regionen werden mit einer einzigen flexiblen und minimal-invasiven Methode betrachtet. Die starre Panendoskopie hingegen benötigt mehrere unterschiedliche starre Rohre und Endoskope, die durch das Ein- und Ausführen Schleimhautläsionen und Zahnschäden verursachen können. Zielgruppen der TFE sowie Einschlusskriterien sind in Tabelle 1 dargestellt.
Für die Untersuchung kommen nur Patienten infrage, die kontinuierlich kleine Schlucke Wasser trinken können (ca. einen Plastikbecher voll), ohne dabei zu husten. Damit ist ein Patient mit einer Schluckstörung, bei dem eine flexible Ösophagoskopie (Abbildung 4) durchgeführt werden muss, für diese Methode nicht geeignet.
Durchführung der TFE
Zur Untersuchung ist ein ruhiger Raum mit Endoskopieturm erforderlich. Grundsätzlich sind zwei Untersucher, davon mindestens ein Facharzt, anwesend (4-Augen-Prinzip). Vorzuhalten sind ein flexibles Bronchoskop mit Arbeitskanal und Biopsiezange, 2 gefüllte Wasserbecher (mit und ohne grüne Lebensmittelfarbe).
Die Untersuchung selbst umfasst folgende Arbeitsschritte:
•Der Patient wird rechtzeitig auf der weiteren (besser durchgängigen) Nasenseite mit einem Oberflächenanästhetikum eingesprüht.
•Soll ein Stimmlippenpolyp entfernt werden, wird der Rachen bis hinunter zu den Stimmlippen betäubt; zusätzlich kann auch eine Sprühanästhesie durch den Arbeitskanal des Bronchoskops direkt auf die Stimmlippen erfolgen.
•Ein Untersucher führt das flexible Bronchoskop, der andere Untersucher bedient den Endoskopieturm (zum Beispiel startet und beendet er/sie die Videoaufzeichnung).
•Beim Einführen des Bronchoskops und bei der Inspektion wird der Patient angeleitet, ruhig durch die Nase zu atmen.
•Soll eine flexible Ösophagoskopie erfolgen, muss zunächst das Schluckvermögen mit angefärbtem Wasser überprüft werden.
•Zur flexiblen Ösophagoskopie trinkt der Patient kontinuierlich kleine Schlucke klares Wasser, der Untersucher platziert das flexible Bronchoskop oberhalb des Ösophaguseinganges und lässt es mit dem Wasser abschlucken.
•Sollte eine Biopsie nötig sein oder ein Stimmlippenpolyp abgetragen werden müssen, führt diese der 2. Untersucher mittels Biopsiezange durch den Arbeitskanal des flexiblen Bronchoskops durch.
Der ärztliche Untersuchungsvorgang dauert mit Anamneseerhebung, Untersuchungsdurchführung, Befundbesprechung und Therapieempfehlung sowie Erstellung eines ausführlichen Arztberichtes bis zu 1 h.
Abb. 4: Einblick in den Ösophagus mit einem flexiblen Bronchoskop
Narrow Band Imaging (NBI)
Durch die Integration moderner Zusatztechniken in die Endoskopie, etwa die Nutzung des Narrow Band Imaging (NBI), kann die diagnostische Aussagekraft der TFE gesteigert werden, wodurch sie der traditionellen Weißlicht-Endoskopie im Rahmen der Panendoskopie deutlich überlegen sein kann [1][8][12].
Die Technik des NBI basiert auf der Darstellung muköser (intraepithelialer papillärer Kapillarschlingen) und submuköser Gefäßstrukturen durch die Verwendung unterschiedlicher Wellenlängen (Abbildung 5). Nach guten Erfahrungen im Gastrointestinalbereich findet das NBI auch Indikationen in der HNO-Heilkunde und ermöglicht hier insbesondere die Detektion von oberflächlichen malignen Veränderungen der Schleimhaut. Das NBI ist im Vergleich zum Weißlicht sensibler in der Beurteilung von Erythem, Hyperämie, Stimmlippenödem, allgemeiner Reflux-Finding-Score-Auswertung und Refluxösophagitis [16].
Abb. 5: Prinzip des Narrow Band Imaging (NBI): Submuköse Venen reflektieren längerwelliges (grünes) Licht stärker als muköse Kapillaren, die wiederum kürzerwelliges (blaues) Licht stärker reflektieren.
Zudem vermag das NBI Veränderungen der subepithelialen Gefäßstrukturen bei prämalignen und malignen Veränderungen der Schleimhaut aufzudecken. Die Möglichkeit der Echtzeitbeurteilung prämaligner Strukturen wie Leukoplakien und Erythroplakien im oberen Aerodigestivtrakt könnte unnötige Biopsien und Exzisionen vermeiden, andererseits auch eine sichere Resektion unterstützen und die Qualität der Tumornachsorge verbessern.
Am häufigsten nutzen wir NBI, um eine Aspiration in der Schluckdiagnostik besser zu erkennen. Die grün angefärbten Konsistenzen, erscheinen mit NBI rot und sind sehr viel deutlicher zu sehen, wie Abbildung 6 darstellt.
Abb. 6: Aspiration von grün angefärbtem Wasser, (A) ohne und (B) mit NBI
Phoniatrische Therapie
Aus den Ergebnissen der phoniatrischen Diagnostik resultieren Therapiemaßnahmen, die auch in andere Fachgebiete (in erster Linie HNO, Neurologie, MKG, Intensivmedizin, Geriatrie, Innere Medizin, Chirurgie) fallen.
An erster Stelle in der Therapie steht nach der sorgfältigen Anamneseerhebung und Untersuchung das aufklärende Gespräch, in welchem ein patientenspezifischer Therapieplan gemeinsam erarbeitet wird. Häufig werden hierzu, vor allem bei den Dysphagie- und Tumorpatienten, die Begleitpersonen sowie auch gerne die eigene Logopädin mit einbezogen. Hierbei wird das zuvor in der Untersuchung aufgenommene Video genutzt und ein Biofeedback gegeben. Dadurch gewinnt der Betroffene ein besseres Verständnis für die nötige Änderung von Gewohnheiten, die Anpassung von Konsistenzen sowie die Anwendung von Schluckmanövern.
Ein weiterer Bestandteil der phoniatrischen Sprechstunde ist die Vorstellung der Patienten zur logopädischen Diagnostik und ersten Therapie bei den Logopäden der Klinik. Hier werden die aus dem ärztlichen Gespräch gemeinsam erarbeiteten Gewohnheits- und Verhaltensänderungen, Haltungs- und Schluckmanöver (kompensatorische Maßnahmen) sowie der besprochene Ernährungsplan bzw. die Anpassung von Nahrungsmittelkonsistenzen (adaptive Maßnahmen) weiter vertieft sowie erste logopädische Therapieoptionen besprochen.
Ein ausführlicher ärztlicher Bericht beinhaltet alle für die im Anschluss besuchte logopädische Praxis wichtigen Informationen. Hilfreich ist häufig auch, dass aufgenommene Video der Stimm- und Schluckpatienten für die Logopädie mitzugeben.
Gibt es Schwierigkeiten beim Schlucken der Tabletten, wird ggf. die Hausarztpraxis auf die nötige Umstellung der Medikation hingewiesen. Viele Arzneimittel gibt es auch als Saft. Zumindest sollten Tabletten mörserbar sein, um sie mit Apfelmus oder einem Tablettenschluckgel vermengt einnehmen zu können. Das ist mit der Hausapotheke zu klären.
Abb. 7: Feststeckende Arzneimittel-Kapsel im Sinus piriformis links
Bestehen Hinweise auf eine ösophageale Dysphagie, wie z. B. eine eosinophile Ösophagitis zeigt, werden die Patienten internistisch vorgestellt. Bei Verdacht auf Zenker-Divertikel schließt sich eine Röntgen-Breischluckuntersuchung und bei Bestätigung eine laserchirurgische Schwellendurchtrennung an.
Patientinnen und Patienten mit laryngopharyngealem Reflux werden, falls noch nicht erfolgt, zur Ösophagogastroduodenoskopie und Ernährungsberatung vorgestellt. Im eigenen Bereich werden phonochirurgische Eingriffe zur Stimmverbesserung, wie zum Beispiel die Stimmlippenaugmentation und Thyreoplastik, durchgeführt.
Diskussion
Oropharyngeale Dysphagien
Oropharyngeale Dysphagien gewinnen national und international zunehmend an Bedeutung [2]. Bei oropharyngealen Dysphagien handelt es sich um häufig verkannte oder nicht beachtete Störungen der Fähigkeit zu essen und zu trinken. Damit liegt eine Störung elementarer Fähigkeit des menschlichen Lebens vor, die neben der Sicherstellung der Ernährung zusätzlich mit Genuss, Lebensfreude und Geselligkeit verbunden ist. Die Unterschätzung der Gefahren und Folgen von Schluckstörungen verstärkt die Bedrohung der Betroffenen durch Sekundärkomplikationen dieses Krankheitsbildes mit teilweise gravierenden Folgen für Individuum und Gesellschaft. Diese Folgen können alle Bereiche des Lebens betreffen, mit Gesundheitsproblemen, mit Verlust von Lebensqualität und Teilhabe sowie Einschränkung des Lebens in der Gemeinschaft.
Komplikationen
Einerseits findet sich ein erhöhtes Auftreten klassischer medizinischer Sekundärkomplikationen durch Probleme beim Schlucken wie
•Mangelernährung (Malnutrition) mit ihren Folgen,
•Flüssigkeitsmangel (Dehydratation) mit seinen Folgen,
•Verschlucken (Aspiration) bis zum Tod durch Ersticken (Bolustod) sowie
•Atemwegsinfekte bis hin zur Lungenentzündung (Pneumonie) mit ihren Folgen.
Andererseits zeigen sich häufig übersehene psychosoziale Komplikationen wie:
•Verschlucken mit Husten beim Essen und Trinken,
•Angst vor Husten und Erstickungsanfällen,
•zunehmende Mangelernährung, Schwäche, Verlust von Alltagskompetenzen,
•Verlust von Freude am Essen und Entwicklung von Vermeidungsstrategien von Freude an Gesellschaft,
•Verlust von Selbstwertgefühl und Entwicklung von reaktiven Depressionen, Angst und Scham beim Husten während des Essens in Gesellschaft,
•Ergreifen von Rückzugsstrategien zur Vermeidung der Reaktion der Gesellschaft sowie
•soziale Isolation und Vereinsamung
Prävalenz
Eine hohe Prävalenz für oropharyngeale Dysphagie findet sich bei folgenden ausgewählten Krankheitsbildern [5][10]:
•Schädel-/Hirn-Trauma (25–30%),
•Hals-/Nackentumoren (44–50%),
•Motoneuronenerkrankungen (30–100%),
•Schlaganfall (37–78%),
•Parkinson-Syndrom (52–82%)
•Alzheimer-Demenz (57–84%) und
•Intensivpatienten mit prolongierter Beatmung (70–80%).
Dysphagiemanagement
Die Behandlung von Patienten mit Dysphagie erfolgt immer sektorübergreifend und interdisziplinär. Sie erfordert das spezielle Wissen aller Fachdisziplinen und ist nur im interdisziplinären Team aus Pflegepersonal, Therapeuten, Diätassistenten, Angehörigen und Ärzten zu managen. Aufklärung und Anleitung der Betroffenen, ihrer Angehörigen und dem Umfeld kommen im Dysphagiemanagement eine große Bedeutung zu. Diese Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung ist mitentscheidend für die Gesamtprognose des Patienten [13].
Phoniatrische Therapie ist interdisziplinär
Ähnlich wie bei der Dysphagiebehandlung ist es bei den anderen Krankheitsbildern aus dem Fachgebiet Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen. Auch hier werden Diagnostik und Therapie im interdisziplinären Team abgestimmt.
In Bezug auf das häufig bei Soldatinnen und Soldaten vertretende und hierbei sehr häufig durch einen laryngopharyngealen Reflux entstandene Globusgefühl ist der Truppenarzt oder die Truppenärztin das Bindeglied zwischen den Beteiligten. Stellen sie uns daher gerne ihre Patienten zur Diagnostik und Therapieplanung vor.
Narrow Band Imaging
In unserer phoniatrischen Sprechstunde als auch in der Tumornachsorge kristallisiert sich der Einsatz der transnasal flexiblen Videoendoskopie mit NBI als die überlegene Untersuchungsmethode heraus. Die flexible Endoskopie erlaubt am wachen Patienten die Beobachtung von willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen in Larynx, Pharynx, Ösophagus und Trachea. Sie wird ambulant und ohne Allgemeinnarkose durchgeführt und hat daher das Potenzial, erhebliche Ressourcen im Operationsbetrieb einzusparen und weist gleichzeitig wesentlich geringere Komplikationsraten auf.
PIAZZA et al. [11] berichten 2016 über die Ergebnisse einer nicht-randomisierten prospektiven Studie zur Beurteilung bisher unbehandelter prämaligner Läsionen der Mundhöhle und des Oropharynx unter direkter Sicht im Weißlicht und mittels NBI. Die Autoren konnten eine signifikante Verbesserung der optischen Beurteilung oberflächlicher Läsionen unabhängig von der Lokalisation feststellen.
Eine Gruppe um ZWAKENBERG aus Groningen [17] untersuchte 2016 in einer retrospektiven Studie die „interobserver reliability“ des NBI und des Weißlichts. Sie folgern, dass mit Hilfe des NBI zumindest die Übereinstimmung zwischen verschiedenen Untersuchern im Vergleich zum Weißlicht zunimmt und dass besonders das Auftreten von „brown dots“ als Kriterium für Malignität hier verlässlich ist. Interessant ist auch der Gebrauch des NBI bei der Definition der Resektionsgrenzen von Tumoren [15].
Detektion von Ösophaguskarzinomen
Mit der Entwicklung der bildgebenden und endoskopischen Verfahren und der Veränderung der Inzidenz von Ösophaguskarzinomen wird der Stellenwert der starren Ösophagoskopie zunehmend fraglich. MC GAREY et al. [9] untersuchten die Rolle der starren Ösophagoskopie und die Wahrscheinlichkeit, ein synchrones Ösophaguskarzinom zu entdecken. Die Studie weist auf, dass die Wahrscheinlichkeit, in der starren Ösophagoskopie ein synchrones Zweitmalignom zu entdecken, eher gering ist, aber immerhin doch besteht.
Zu einem anderen Ergebnis kommen GONG et al. [6]. Die Arbeitsgruppe konnte bei 458 Patienten, die von 2010 bis 2014 in eine prospektive Studie eingeschlossen wurden, 24 (5,2 %) Fälle mit synchronen Ösophagusveränderungen entdecken. Die Patienten wurden mit flexibler Endoskopie, NBI sowie Lugol Chromoendoskopie untersucht. Bei suspekten Läsionen wurde eine Biopsie entnommen. Ein invasives Karzinom konnte bei 10 Patienten entdeckt werden, bei weiteren 14 Fällen wurden Dysplasien identifiziert. 20 % der Läsionen wurden im distalen Drittel des Ösophagus entdeckt. Hier werden die Limitationen der starren Ösophagoskopie eindrucksvoll dargestellt.
Vorteil der starren Untersuchung ist und bleibt die genaue Ausdehnungsbestimmung vor allem in Regionen, die nur durch ein starres Rohr aufgespannt (z. B. der Sinus piriformis) bzw. mit zusätzlichen Instrumenten zur Seite geschoben (z. B. Taschenfalte) untersucht werden können. Im Falle des Verdachts auf ein Rezidiv oder Zweitkarzinom ist daher in der Regel die sichere Probenentnahme im Rahmen einer starren Endoskopie in Intubationsnarkose zu empfehlen, um ggf. eine suffiziente Blutstillung durchführen zu können.
Inzwischen ziehen einige HNO-Kliniken die flexible Panendoskopie der starren vor und indizieren die starre nur noch in bestimmten Fällen. Bei der zunehmenden Bedeutung bildgebender Verfahren (CT, PET/CT [4]) in der Tumornachsorge dürfte die Bedeutung der heute gebräuchlichen Panendoskopie zurückgehen.
Fazit
Die Phoniatrie am BwKrhs Hamburg stellt ein zeitgemäßes Spektrum an Diagnostik und Therapie bei Krankheitsbildern zur Verfügung, die bei Soldatinnen und Soldaten häufig vorkommen. Besonders die gründliche Abklärung des die Betroffenen oft sehr belastenden Globus pharyngis sowie aller Formen von Dysphagien spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Durch den Systemverbund aus Klinik und truppenärztlichem Bereich ergeben sich optimale Möglichkeiten, phoniatrische Krankheitsbilder zielgerichtet und koordiniert zu behandeln und individuell auf den einzelnen Patienten abzustimmen.
Moderne Diagnostikverfahren wie die TFE mit NBI tragen wesentlich dazu bei, die knappe Ressource „Operationskapazität“ zu entlasten. Die Phoniatrie ist somit eine wertvolle Ressource sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die anderen Fachdisziplinen einer modernen Klinik.
Literatur
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WMM 2022–66(8)294 A
Danksagung
Die Autorin dankt Frau Priv.-Doz. Dr. Christina Pflug, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, für die freundliche Genehmigung zur Nutzung der Abbildungen 1, 2, 4, 6 und 7 in diesem Beitrag.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Marsian F: Globus Pharyngis und Dysphagie – auch ein Problem in der Wehrmedizin. WMM 2022; 66(8): 288-294.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-33
Verfasserin
Oberfeldarzt Dr. Franziska Marsian
Bundewehrkrankenhaus Hamburg
Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Lesserstrasse 180, 22049 Hamburg
E-Mail: franziskamarsian@bundeswehr.org
WENN DIE STIMME VERSAGT
Stimmstörungen
Frank Hofera
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Zusammenfassung
Stimmstörungen kommen nicht selten vor und haben unterschiedliche Ursachen. Vor allem bei länger anhaltenden Stimmstörungen ist die Kenntnis der Anatomie und Physiologie der stimmbildenden Organe wichtig, um die verschiedenen Krankheitsbilder der organischen Dysphonie, der funktionellen Dysphonie und der psychogenen Dysphonie voneinander zu unterscheiden.
Dem Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie – ein Fachgebiet, das sich aus der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde entwickelt hat – stehen dabei spezielle diagnostische und therapeutische Mittel zur Verfügung. In seiner Hand werden die Weichen für die Ausrichtung der Therapie gestellt und therapeutische Fortschritte überwacht.
Schlüsselwörter: Phoniater, organische Dysphonie, funktionelle Dysphonie, psychogene Dysphonie, Phonochirurgie
Keywords: phoniatrist, organic voice disorder, functional voice disorder, psychogenic voice disorder, phonosurgery
Einleitung
Das „Phänomen Stimme“ ist zugleich Ausdruck der Persönlichkeit und von großer Bedeutung in der täglichen privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Kommunikation. Fast jeder kennt Heiserkeit während einer Erkältung oder einer Grippe. Sie verschwindet meist von selbst und belastet uns nur mäßig.
Aber was ist, wenn die Heiserkeit bleibt oder wenn eine Stimmstörung ohne vorherige Erkrankung allmählich oder gar plötzlich entsteht oder gar chronisch wird?
Die Stimme des Menschen und das menschliche Stimmorgan, der Kehlkopf mit den dazugehörigen Funktionen sind anatomisch und physiologisch sehr genau untersucht und beschrieben. Die folgende kurze Übersicht soll eine Zusammenfassung der Grundlagen menschlicher Stimmbildung, der Differenzierung der verschiedenen Stimmstörungen sowie der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei Stimmstörungen geben.
Anatomie und Physiologie des Stimmapparats
Zum Stimmapparat gehört der gesamte obere und untere Atemtrakt. Eine gesunde Stimme setzt daher voraus, dass in allen anatomischen Bereichen keine Einschränkungen vorhanden sind.
Zur Stimmbildung wird die Exspirationsphase des Atemzyklus genutzt. Während bei der Ein- und Ausatmung die Stimmlippen voneinander entfernt sind und die Atemluft ungehindert passieren lassen, legen sich bei der Phonation die Stimmlippen locker aneinander an und werden durch den Luftstrom der Ausatemluft in periodische Schwingungen versetzt. Zur Bildung eines klaren Tons ist es notwendig, dass die glottische Schleimhaut ungehindert über das Stimmband schwingen kann. Je nach Spannungszustand der Stimmlippen gelingt es, vergleichbar mit einer Instrumentensaite, unterschiedliche Tonhöhen zu bilden.
Um aus dem erzeugten Ton einen individuellen Klang und letztendlich Sprache zu bilden, ist noch das Ansatzrohr notwendig, also der Resonanzraum, der sich kranial des Kehlkopfes anschließt und sämtliche anatomische Strukturen wie den Rachen, die Zunge, die Mundhöhle mit den Zähnen, den Gaumen, die Lippen, die Nasenhaupt- und -nebenhöhlen umfasst.
Bei dieser Anzahl beteiligter Strukturen ist es gut zu verstehen, dass jede Art von Funktionseinschränkung – insbesondere der unteren Atemwege und des Larynx – zu einer Stimmstörung führen kann. Störungen des Ansatzrohres wiederum führen in aller Regel zu einer Artikulations- oder Sprechstörung.
Im Wesentlichen kann man Stimmstörungen in drei Kategorien unterteilen, die jedoch in aller Regel fließend ineinander übergehen und daher häufig nicht so klar getrennt werden können.
Formen der Stimmstörungen
Organische Stimmstörungen
Eine organische Stimmstörung, beruht, wie der Name schon vermuten lässt, auf einer pathologischen Veränderung der stimmbildenden Organe, hierbei im Wesentlichen des Kehlkopfes.
Stimmlippenzysten
Hierbei handelt es sich um echte schleim- bzw. flüssigkeitsgefüllte und epithelausgekleidete Zysten, wie sie überall im Pharynx und im Larynx auftreten können und dort in aller Regel als Zufallsbefund erhoben werden. Im Falle einer Stimmlippenzyste führt diese zu einer rauen, gepressten Stimme, teilweise in Verbindung mit einem Räusperzwang.
Die Therapie besteht in einer Mikrolaryngoskopie, bei der unter strikter Schonung der Stimmlippenschleimhaut die Marsupialisation der Zyste erfolgt.
Stimmlippenpolyp
Hierbei handelt es sich um eine Schleimhautaussackung als organische Folge einer funktionellen Dysphonie (Abbildung 1). In neueren Publikationen wird vermutet, dass es sich bei Stimmlippenpolypen um die Vorstufe von Phonationsverdickungen, auch Sängerknötchen oder Schreiknötchen genannt, handelt.
Abb. 1: Polyp der rechten Stimmlippe mit typischer Lokalisation am Übergang vom vorderen zum mittleren Drittel
Solange die Stimmlippenveränderung noch nicht zu stark organsiert erscheint, besteht die Möglichkeit, dass ein Stimmlippenpolyp unter logopädischer Therapie wieder vollständig remittiert. Bei ausbleibender Besserung kann die Veränderung ebenfalls im Rahmen einer Mikrolaryngoskopie entfernt werden.
Reinke-Ödem
Reinke-Ödeme treten nahezu ausschließlich bei Rauchern auf, hierbei häufig beim weiblichen Geschlecht mit einem Krankheitsbeginn in der 5. Lebensdekade. Reinke-Ödeme sind für eine charakteristische dunkle und raue Stimme verantwortlich. Flüssigkeitseinlagerungen in der Lamina propria des Stimmlippenepithels, dem sogenannten Reinke-Raum, die mit zunehmender Dauer gallertartig eindicken, führen zu einer charakteristischen glasigen Aussackung der Stimmlippe. Es handelt sich trotz der Nikotingenese nicht um eine Präkanzerose.
Die Therapie besteht im Einschlitzen der Schleimhaut im Rahmen einer Mikrolaryngoskopie. Anschließend kann die eingelagerte Flüssigkeit mit dem Sauger entfernt werden. Um den Erfolg der Operation zu garantieren und ein Rezidiv zu verhindern, sollte bei dem Patienten auf eine dauerhafte Nikotinkarenz bereits im Vorfeld hingewirkt werden.
Abb. 2: Ausgeprägtes Reinke-Ödeme beidseits bei einer 56jährigen Raucherin
Larynxpapillomatose
Bei der Larynxpapillomatose handelt es sich um eine HPV-assoziierte Schleimhautveränderung, die ebenfalls überall im Larynx vorkommen und im Übrigen auch die gesamten oberen und unteren Atemwege befallen kann. Bei Affektion der Stimmlippen kann dieses zur Heiserkeit bis hin zur Atemnot führen. Typisch sind die blumenkohlartigen Schleimhautveränderungen, die im Narrow Band Imaging (NBI) wie „schmutzige Schneebälle“ imponieren.
Je nach Virussubtyp ist die Larynxpapillomatose als Präkanzerose einzustufen. Die juvenile respiratorische Papillomatose bei Erstdiagnose vor dem 12. Lebensjahr stellt eine aggressive Form der Erkrankung dar. Eine histologische Sicherung durch eine Mikrolaryngoskopie ist daher indiziert.
Abb. 3: Larynxpapillomnester auf beiden Stimmlippen: Man erkennt auch flache Schleimhautveränderungen im Bereich des Petiolus.
In diesem Rahmen kann eine Reduktion der Viruspapillome mit dem Microdebrider oder mit dem CO2-Laser erfolgen. Das Ziel ist dabei jedoch häufig nicht die vollständige Entfernung der Papillome – vor allem, da die Larynxpapillomatose zu Rezidiven neigt –, sondern nur die Entfernung der Schleimhautveränderungen, die zu einer Heiserkeit führen. Papillome an anderen anatomischen Substrukturen des Larynx, beispielsweise der Taschenfalten, können belassen werden, solange sie keine Beschwerden verursachen.
Verschiedene adjuvante Therapieansätze zur Verhinderung eines Rezidivs wie das lokale Auftupfen von Mitomycin C, die intraläsionale Injektion oder inhalative Applikation von Cidofovir haben entweder keine ausreichende Wirkung gezeigt oder sind nebenwirkungsbehaftet.
Eine postexpositionelle Impfung mit polyvalenten HPV-Impfstoffen scheint jedoch in kleineren Studien zumindest eine Verlängerung der rezidivfreien Zeit gezeigt zu haben. Insgesamt bleibt auch abzuwarten, wie sich die Inzidenz der Larynxpapillomatose, wie im Übrigen auch der HPV-assoziierten Kopf-Hals-Tumore, nach Einführung der HPV-Impfungen auch von männlichen Kindern und Jugendlichen in Zukunft entwickeln wird.
Recurrensparesen
Die häufigste Ursache einer Recurrensparese ist die iatrogene Verletzung des Nervus recurrens im Rahmen einer Thyroidektomie. Das Risiko steigt hier mit der Dauer des Eingriffs, bei Rezidiveingriffen und bei zugrundeliegender Malignität der Schilddrüsenerkrankung an.
Eine Recurrensparese kann jedoch auch im Rahmen einer Virusinfektion, einer malignen Erkrankung entlang des Nervenverlaufs (z. B. „Pancoasttumor“), neurologischen Erkrankungen, durch ein Trauma oder idiopathisch entstehen.
Der Nachweis einer Recurrensparese erfolgt durch die Laryngoskopie, die einen respiratorischen Stillstand einer oder beider Stimmlippen in Paramedian-, Intermediär- oder Lateralstellung zeigt. Je nach Position des Stillstandes imponiert durch den inkompletten Glottisschluss entweder eine Heiserkeit (typische „Diplophonie“) oder eine Stimmlosigkeit.
Abb. 4: Recurrensparese rechts in Lateroposition während der Phonation mit einem deutlichen inkompletten Glottisschluss
Im Fall einer einseitigen Stimmlippenparese können zunächst eine Cortisonstoßtherapie und eine logopädische Therapie erfolgen. Bei ausbleibender Besserung der Heiserkeit kann eine Stimmlippenaugmentation durchgeführt werden. Hierbei wird die betroffene Stimmlippe durch das jeweilige Augmentat in den Reinke-Raum (Hyaluronsäure) oder lateral des Stimmbandes (autologes Fett, Hydroxalapatit, Silikon) medialisiert und somit wieder ein kompletter Glottisschluss erreicht. Bei sehr großen Stimmlippenspalten kann unter Umständen eine Thyroplastik mit einer Titanspange, einem Silikonimplantat oder autologem Knorpel nötig werden.
Eine bilaterale paramediane Stimmlippenparese führt zu einer Ruhedyspnoe mit inspiratorischem Stridor bis hin zur vital gefährdenden Atemnot, wohingegen die Stimme häufig kaum beeinträchtigt erscheint. Es muss dann entweder eine temporäre Stimmlippenlateralisation durch Anzügeln einer Stimmlippe erfolgen („Operation nach Lichtenberger“), solange noch die Möglichkeit einer Remission besteht. Bei einer persistierenden bilateralen Recurrensparese kann eine posteriore Chordektomie oder partielle Arythenoidektomie einer betroffenen Seite erfolgen, bei der entweder Teile der Stimmlippe oder des Arythenoidknorpels auf Kosten der Stimmqualität entfernt werden.
Im Notfall sind als Ultima ratio die Koniotomie und/oder die Tracheotomie notwendig.
Funktionelle Dysphonie
Eine funktionelle Dysphonie äußert sich in einer Heiserkeit, die offensichtlich zunächst keine organische Ursache hat. Letztendlich überstrapaziert der Patient die ihm gegebenen anatomischen Möglichkeiten, in dem er zu viel und/oder zu laut redet. Damit wechselt er in aller Regel in eine überhöhte mittlere Sprechstimmlage, die wiederum dazu führt, dass er beim Sprechen presst und/oder eine falsche Atemtechnik einsetzt.
Das ausbalancierte System „Stimmbildung“ kommt aus dem Gleichgewicht und wird dadurch überfordert. Die Folge ist eine Stimmermüdung, das heißt, dass der Patient mit zunehmendem Stimmgebrauch heiser wird, im Extremfall bereits nach wenigen Minuten. Meist steht die Heiserkeit in Verbindung mit einem Globusgefühl, Räusperzwang und Verspannungen der Hals- und Nackenmuskulatur.
In der Literatur werden hypofunktionelle Stimmstörung und hyperfunktionelle Stimmstörung unterschieden, aber auch hier sind die Übergänge fließend. Man kann aber davon ausgehen, dass die Mehrheit der Stimmstörungen zwar hypofunktioneller Natur sind, von Patienten jedoch überkorrigiert werden und in eine hyperfunktionelle Störung münden.
Die Stimme weist bei einer hyperfunktionellen Störung häufig einen harten Stimmeinsatz auf, klingt gepresst, belegt und es fällt eine gestörte Sprechatmung auf. Betroffene zeigen typischerweise eine Thorakal- oder gar Clavicular-Atmung, die zu einer zu flachen Atmung und zu pathologischen Atempausen während des Sprechens führen. Der Sprecher klingt im weiteren Sinne „gehetzt“.
Bei der Laryngostroboskopie1 finden sich phasenverschobene Randkantenverschiebungen, eine reduzierte Amplitude, die auf eine ungleiche Stimmlippenspannung und die gestörte Atmung zurückzuführen sind. Zeichen einer muskulären Überanstrengung sind eine Taschenfaltenaktivierung ein- oder beidseits. Letzteres bedeutet, dass die Taschenfalten bei der Phonation durch den erhöhten laryngealen Druck zusätzlich adduzieren, teilweise kommt es zu einer Einwölbung des Petiolus der Epiglottis in das Larynxlumen. Im Extremfall kommt es gar zu einer sogenannten Taschenfaltenphonation oder zur ventralen Adduktion der Arythenoidknorpel.
Wird eine funktionelle Dysphonie nicht behandelt, so können sich organische Korrelate bilden, entweder als sogenannte Phonationsverdickungen, auch als Schrei- oder Sängerknötchen bekannt, die typischerweise am Übergang vom vorderen auf das mittlere Drittel auftreten, oder als Kontaktgranulome im Bereich der Processus vocalis. Letztere werden interessanterweise in aller Regel bei Männern gesehen und stehen auch in direktem Zusammenhang mit einem laryngopharyngealen Reflux.
Klassische hypofunktionelle Dysphonien finden sich hingegen eher selten. Hier klingt die Stimme sehr verhaucht und kraftlos. Bei der Laryngostroboskopie zeigt sich ein inkompletter Stimmlippenschluss, nicht als Zeichen einer Parese, sondern der Hypofunktion. Selbstverständlich kann eine hypofunktionelle Stimmstörung auch das Resultat einer „erschöpften“ Hyperfunktion sein.
Die Therapie einer funktionellen Dysphonie erfolgt bei einer Logopädin/einem Logopäden, die zusammen mit dem Patienten an der Reduktion der Lautstärke, der Senkung der mittleren Sprechstimmlage und der Normalisierung der Sprechatmung arbeiten.
Psychogene Dysphonie bzw. psychogene Aphonie
Psychogene Dysphonien oder Aphonien sind für den Laien meist schwer von einer funktionellen Dysphonie zu unterscheiden. Nur selten lässt sich ein Lebensereignis direkt auf den Stimmverlust zurückführen. In aller Regel tritt die Aphonie schlagartig ein. Interessanterweise ist es den meist weiblichen Patienten häufig möglich, stimmhaft zu singen, zu husten oder zu lachen. Bei der Laryngostroboskopie imponiert zunächst das Bild einer hypofunktionellen Dysphonie mit einem inkompletten Stimmlippenschluss.
Neben der logopädischen Therapie ist in solchen Fällen die Hinzuziehung von Psychiatern oder Psychotherapeuten zur Diagnostik, Exploration und Therapie unabdingbar. Überrumpelungsmanöver, z. B. mit der sogenannten Muck’schen Kugel, sind historisch, nicht von Nachhaltigkeit geprägt und heute obsolet.
Diagnostik von Stimmstörungen
Anamnese
Die Diagnostik einer Stimmstörung beginnt immer bereits mit der Anamnese. Wichtige Informationen sind beispielsweise, ob die Heiserkeit plötzlich oder schleichend, im Rahmen eines Infektes oder „aus heiterem Himmel“ aufgetreten ist, tageszeitlich unterschiedlich ist („morgens oder abends schlimmer“) oder ganztags konstant schlecht ist. Weitere Fragen sind, ob beispielsweise ein gastroösophagealer Reflux, Allergien oder Atemwegserkrankungen bekannt sind. Der ausgeübte Beruf gibt Hinweise auf einen erhöhten Stimmeinsatz oder inhalative Belastungen. Selbstverständlich sollte auch eine Medikamenten- und Noxenanamnese erhoben werden, allem voran der Nikotinkonsum.
Standardisierte Fragebögen
Es hat sich im klinischen Alltag bewährt, standardisierte Patientenfragebögen, wie den Voice-Related Quality of Life („VRQOL“) oder den Voice Handicap Index („VHI“) zu nutzen, um das Krankheitserleben und auch -bewusstsein des Patienten besser einordnen zu können, denn in verblüffender Weise findet man häufig genug Menschen mit einer hochpathologischen Stimme, die diese jedoch nicht als störend empfinden. Fehlt das Krankheitsbewusstsein, wird beispielsweise eine logopädische Therapie, die ein hohes Maß an Mitarbeit durch den Patienten erfordert, erfahrungsgemäß nicht erfolgreich sein.
Subjektive auditive Beurteilung
Ein erster diagnostischer Schritt ist die subjektive auditive Beurteilung. Selbst einem medizinischen Laien ist es einfach möglich, die Heiserkeit als Leitsymptom einer Dysphonie wahrzunehmen.
Die auditive Beurteilung der Stimmstörung kann bereits in der Anamneseerhebung erfolgen oder besser mittels Lesen eines standardisierten Textes. Ein sehr verbreitetes Beispiel ist Äsops Fabel „Der Nordwind und die Sonne“ oder auch Grimms Märchen „Das tapfere Schneiderlein“.
Bei dieser Gelegenheit bietet es sich an, auf den Stimmeinsatz, die Prosodie und die Steigerungsfähigkeit der Stimme, aber auch auf die Sprechatmung zu achten, also zu beobachten, ob passende Atempausen zum Textfluss eingehalten werden oder ob eine physiologische Bauch- oder pathologische Brustatmung bestehen.
Beurteilungsschemata
Um die Heiserkeit genauer einzuordnen und auch den Schweregrad zu bestimmen, wurden verschiedene Beurteilungsschemata entwickelt, wie das GRBAS-Schema (Grade of hoarseness, Roughness, Breathiness, Asthenia, Strain) oder das im deutschsprachigen Raum verbreitete RBH-Schema, welches die beiden Teilkomponenten Rauheit und Behauchtheit sowie die Heiserkeit als Gesamtmerkmal in Stufen von 0 (keine Ausprägung) bis 3 (maximale Ausprägung) einordnet. Gruppenhörversuche haben hierbei eine hohe Reproduzierbarkeit der an sich subjektiven Einschätzungen ergeben.
Maximale Tonhaltedauer/Phonationsquotient
Eine ebenfalls einfache Einordnung der Atemtechnik stellt die Bestimmung der maximalen Tonhaltedauer auf den Laut „A“ bzw. „S“ und daraus abgeleitet die Berechnung des Phonationsquotienten, für den allerdings noch die Messung der Vitalkapazität notwendig ist.
Objektive Untersuchungsmethoden
Alle bisher genannten Aspekte unterliegen mehr oder minder der subjektiven Beurteilung des Untersuchers, so dass nach Möglichkeiten gesucht wurde, die Stimme objektiv apparativ zu beurteilen.
Stimmumfangsprofil
In einem Stimmumfangsprofil werden nacheinander Sprech-, Ruf- und Singstimme des Patienten aufgezeichnet. Es besteht dann die Möglichkeit, die mittlere Sprechstimmlage in Hertz, den melodischen Akzent (Tonhöhenumfang) und den dynamischen Akzent (Lautstärkenumfang) zu identifizieren.
Abb. 5: Stimmumfangsprofil mit Sprechstimme in verschiedenen Lautstärken (grün) und Singstimme (blau: leise; schwarz: laut)
Diagnose: Funktionelle Dysphonie bei einem 52-jährigen Patienten nach Radiatio eines Kopf-Hals-Tumors
Dysphonia severity index
Der Dysphonia severity index („DSI“) ist eine weitere Möglichkeit, eine genormte Bewertung der Stimme zu erhalten. Der DSI berechnet sich aus dem Produkt der Komponenten „höchstmögliche Frequenz“, „geringste Intensität“, „maximale Tonhaltedauer“ und „Jitter“ dar. Als Jitter wird die Stabilität der Grundfrequenz bei einem gehaltenen Vokal bezeichnet. Bei gesunden Stimmen werden Schwankungen von bis zu einem Prozent beobachtet.
Visualisierung der Stimmlippen
Unabdingbar ist selbstverständlich die Visualisierung der Stimmlippen und deren Beweglichkeit.
Laryngoskopie
Die Laryngoskopie mittels starrer oder flexibler Endoskopie dient dazu, pathologische Veränderungen oder funktionelle Veränderungen des Kehlkopfes darzustellen.
Neue Entwicklungen der Technik bieten bei extrem dünnen flexiblen Endoskopen von bis zu ca. 2 mm Durchmesser mittels Chip-on-the-tip-Technik trotzdem 4K-Videoaufnahmen oder dank starrer Lupenlaryngoskope mit doppelten Bildkanälen 3D-Darstellungen des Larynx.
Hier findet sich die größte Überschneidung mit dem Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, denn selbstverständlich kann auch jeder HNO-Arzt Veränderungen wie Ödeme, Polypen, Zysten oder Leukoplakien bis hin zu malignen Erkrankungen diagnostizieren. Auch kann er natürlich die respiratorische Beweglichkeit, also die Abduktions- und Adduktionsbewegung der Stimmlippen bei der Stimmbildung beurteilen.
Stroboskopie/Videomykografie
Im Alltag fällt jedoch auf, dass viele HNO-Ärzte häufig nicht die technischen Voraussetzungen zur Stroboskopie haben oder diese nicht nutzen, um die Funktion der Stimmlippen weitergehend zu untersuchen.
Die Stroboskopie ist jedoch unverzichtbar, wenn es um die Beurteilung der phonatorischen Beweglichkeit der Stimmlippen geht – also die Darstellung der Schleimhautwelle, die sich während der Phonation symmetrisch über den beiden Stimmbändern ausbreitet, denn erst diese erzeugt einen klaren Ton!
Eine, bisher allerdings nur zu wissenschaftlichen Zwecken genutzte Weiterentwicklung der Stroboskopie ist die Videomykografie, mit der eine asynchrone Randkantenverschiebung besser visualisiert werden kann.
Videoendoskopische Untersuchung
Video 1: Regulärer stroboskopischer Befund: Bei normal weiter Amplitude finden sich synchrone Stimmlippenschwingungen, eine normale Randkantenverschieblichkeit und ein kompletter Glottisschluss. Nebenbefundlich zeigt sich in der hinteren Kommissur ein Schleimhautödem als Hinweis auf das Vorliegen eines laryngopharyngealen Reflux.
Video 2: Funktionelle Dysphonie: Die Stimmlippen sind verdickt und teilweise leukoplakisch verändert. Bei der Stroboskopie findet sich eine deutliche Taschenfaltenaktivierung links mit reduzierter Amplitude, asynchroner Stimmlippenbeweglichkeit und teilweise inkomplettem Stimmlippenschluss. Im Hypopharynx ist reichlich zähes Sekret sichtbar (Zustand nach Radiatio eines CUP-Syndroms).
Video 3: Stimmlippenpolyp: Im vorderen Drittel der rechten Stimmlippe findet sich ein Polyp, die linke Stimmlippe zeigt eine dazu korrespondierende Vertiefung. Der Glottisschluss ist inkomplett; es verbleit ein durchgängiger Spalt infolge des mechanischen Einklemmens des Polypen ziwischen beide Stimmlippen und einer reduzierten Randkantenverschieblichleit. Vor allem die rechte Stimmlippe wirkt leukoplakisch verändert.
Video 4: Reinke-Ödem: Beide Stimmlippen zeigend das Bild eines ausgeprägten Reinke-Ödems. Auf eine Funktionsüberprüfung wurde verzichtet, weil durch die massiven Schleimhautaussackungen keine weitergehende stroboskopische Auswertung zu erwarten gewesen wäre. Nebenbefundlich findet sich mit einer pflasterartigen Ödembildung in der hinteren Kommissur ebenfalls der Hinweis auf einen laryngopharyngealen Reflux (Patientin ist Raucherin).
Video 5: Recurrens-Parese: Die Untersuchung erfolgte als starre Videolaryngostroboskopie mit dem 90°-Lupenlaryngoskop. Bei dem Patienten besteht eine iatrogene Stimmlippenparese links bei Z. n. Thyreoidektomie aufgrund eines Schilddrüsenmalignoms.
Bereits zu Beginn des Videos erkennt man die Ventralverlagerung des linken Arythenoidknorpels und die Stimmlippenexcavation links aufgrund der reduzierten Muskelspannung. Bei der Phonation schwingt die rechte Stimmlippe über die gedachte Mittellinie und schafft so noch den Anschluss an die in Paramedianstellung stillstehende Stimmlippe links. Die Stroboskopie zeigt eine reduzierte Amplitude mit asynchronen Stimmlippenschwingungen bei normaler Randkantenverschieblichkeit und inkomplettem Stimmlippenschluss mit irregulärem Spalt. Durch den gesteigerten Kraftaufwand bei der Phonation kommt es zu einer Taschenfaltenaktivierung mit Einschwenken des Petiolus der Epiglottis nach dorsal.
Therapie von Stimmstörungen
Wie bereits angesprochen, sind nach erfolgter Diagnostik durch den Phoniater Logopädinnen und Logopäden die primären Ansprechpartner bei der Therapie von organischen, funktionellen und psychogenen Dysphonien. Auch bei primär phonochirurgisch zu behandelnden Patienten ist deren Einbindung der Sprach- und Stimmtherapeuten in die operative Therapie, im Anschluss an diese oder in Form einer Sandwich-Therapie „konservativ-operativ-konservativ“ je nach Krankheitsbild unbedingt zu empfehlen. In den seltensten Fällen reicht eine alleinige operative Therapie aus, um den Patienten von seiner Heiserkeit dauerhaft zu heilen.
Selbstverständlich sind noch weitere Disziplinen in der Therapie von Stimmstörungen beteiligt, beispielsweise Physiotherapeuten, Pulmonologen und Atemtrainer, Psychotherapeuten, um nur einige zu nennen.
Phonochirurgie
Die Phonochirurgie ist eine Spezialisierung sowohl im Fachgebiet HNO als auch vor allem bei einigen Phoniatern und Pädaudiologen. Dieses Spezialgebiet ist allerdings keine neuzeitliche Erfindung. Der erste „phonochirurgische“ Eingriff wurde im Jahr 1860 in Tübingen von dem Chirurgen von Bruns durchgeführt, der seinen Bruder ohne jegliche Anästhesie bei Kerzenschein und indirekter Laryngoskopie mit dem Stirnhohlspiegel und einem Kehlkopfspiegel von einem Stimmlippenpolypen „befreite“.
Sicherlich ist die Entwicklung seither in großen Schritten vorangeschritten. Mit der Anästhesie und der Entwicklung von Laryngoskopen zur direkten (Mikro-)Laryngoskopie mit entsprechend feinem Mikroinstrumentarium, der Zuhilfenahme von Mikrodebridern sowie der Lasertechnik wurden die operativen Verfahren immer weiter verfeinert.
Da in Vollnarkose ein üblicherweise genutzter Intubationstubus einen Großteil der Stimmlippen verdeckt, bietet sich als Narkoseverfahren die Jet-Ventilation an, die mit Hochdruck über einen strohhalmdünnen Tubus und unter Nutzung des Bernoulli-Effekts hochfrequent oxygenierte Luft in die unteren Atemwege bläst.
Ambulante Eingriffe
Trotz alledem ist auch eine ambulante Operation im sogenannten „office-based“-Verfahren in örtlicher oder Oberflächenanästhesie und unter Nutzung flexibler oder starrer Laryngoskope im indirekten Verfahren möglich. Das Spektrum reicht von der Stimmlippenaugmentation mit Hyaluronsäure über die Injektion von Botox zur Behandlung der spasmodischen Dysphonie bis hin zur Abtragung von Polypen. Selbst die Therapie von Larynxpapillomen über eine flexible KTP-Laserfaser ist problemlos durchführbar.
Stimmangleichung bei Transsexuellen
Auch die Stimmangleichung im Rahmen einer Geschlechtsangleichung bei transsexuellen Menschen erfolgt in einem phonochirurgischen Vorgehen.
Im Gegensatz zu female-to-male-Transsexuellen, bei denen im Grunde die mittlere Sprechstimmlage im Rahmen der Hormonbehandlung irreversibel gesenkt werden kann, ist dies bei male-to-female-Transsexuellen eine große Herausforderung, denn hier gelingt keine Stimmangleichung durch Hormongabe. Stattdessen ist es hier vonnöten, die Stimmlippen einer Instrumentensaite gleich zu spannen. Dies gelingt durch Ventralverlagerung der Knorpelanteile des Thyreoids, an dem Stimmlippen in der vorderen Kommissur fixiert sind (Thyreoplastik Typ IV nach Isshiki), durch Kippen des Thyroids zum Cricoid (Cricothyroidapproximation) oder durch Ausdünnen und Verkürzen des schwingenden Anteils der Stimmlippen (Glottoplastik).
Fazit
Stimmstörungen sind Erkrankungen, die Menschen jeden Lebensalters betreffen können und damit auch bei militärischem Personal häufig vorkommen. Mit der Etablierung des Fachgebiets Phoniatrie in den Bundeswehrkrankenhäusern Hamburg, Koblenz und Ulm steht diese Expertise, die im zivilen Bereich durchaus nicht flächendeckend etabliert ist, allen Soldatinnen und Soldaten (meist) zeitnah zur Verfügung.
Literaturauswahl
- Friedrich G, Bigenzahn W, Zorowka P (Hrsg.): Phoniatrie und Pädaudiologie (5. überarbeitete Auflage). Bern: Huber 2013
- Seidner W, Nawka T (Hrsg.): Handreichungen zur Stimmdiagnostik – aus der Praxis für die Praxis (1. Auflage). Berlin: Xion 2012.
- Wendler J, Seidner W, Eysholdt U (Hrsg.): Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie (5. unveränderte Auflage). Stuttgart: Thieme 2014.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Hofer F: Stimmstörungen. WMM 2022; 66(8): 295-300.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-36
Verfasser
Oberfeldarzt Frank Hofer
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: frank1hofer@bundeswehr.org
1 Abbildungen des laryngoskopischen Bildes bei funktioneller Dysphonie sind wenig aussagekräftig, da die Veränderungen nur bei dynamischer Darstellung sichtbar sind. In der E-Paper-Version des Beitrags sind deshalb kurze Videoclips von dieser Untersuchung zu sehen.