MULTIDISZIPLINARITÄT GEFORDERT
Undifferenziertes Karzinom der Nase – Kasuistik
Undifferentiated carcinoma of the nose – case report
Theo Evers a, Michael Grunert b, Matthias Tisch a
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik V – Hals-, Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurge
b Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung XV – Nuklearmedizin
Zusammenfassung
Bösartige Neubildungen innerhalb der Nase werden durch ihre schwer einsehbare Lage und Seltenheit häufig erst spät erkannt.
Am Beispiel eines undifferenzierten Karzinoms der Nase bei einem 41-jährigen männlichen Patienten soll der diagnostische und therapeutische Ablauf am Kopf-Hals-Tumorzentrum am Bundeswehrkrankenhaus Ulm vorgestellt werden.
Der Fall zeigt auch, dass aus der Tumorchirurgie im HNO-Bereich wichtige Erfahrungen für die Behandlung schwerer einsatzbedingter Gesichtsverletzungen bei Soldatinnen und Soldaten gewonnen werden können.
Schlüsselwörter: Kopf-Hals-Chirurgie, Onkologie, HNO, Nasenkrebs, Kriegsverletzung, PET/MRT
Summary
Malignancy of the inner nose remain oftentimes unrecognized due to its rarity and hidden location.
We present the current diagnostic and therapeutic procedures by the example of a 41-year-old male patient with an undifferentiated carcinoma of the nose at the head and neck cancer center at the Bundeswehr Hospital Ulm.
This case demonstrates that important experience can be gained from ENT tumor surgery for the treatment of severe mission-related facial injuries in soldiers.
Keywords: head and neck surgery, oncology, ENT, nasal cancer, combat injury, PET/MRI
Einleitung
Mit der Einführung des Stahlhelms im Jahre 1916 und dem dadurch gewonnenen Schutz des Neurokraniums überlebten viele Verwundete mit Kopfverletzungen, allerdings häufig mit ausgedehnten Defektwunden im Mund-, Gesichts- und Kieferbereich [5]. Die dabei erlittenen Gewebeverluste finden sich in vergleichbarer Weise auch nach der radikalen Entfernung bösartiger Neubildungen in dieser Körperregion.
Am Beispiel eines 41-jährigen Patienten, der an einem undifferenzierten Karzinom der Nase erkrankt war, wird die moderne Vorgehensweise bei der Deckung großer Defektwunden im HNO-Bereich vorgestellt.
Abb. 1: Defektwunden des Gesichts nach Granatsplitterverletzungen im Ersten Weltkrieg (Bildquelle: August Lindemann: Die Deckung der Weichteil- und Knochendefekte des Gesichtes bei Kieferschussverletzungen unter besonderer Berücksichtigung des Wiederaufbaues der Nase und ihrer näheren Umgebung, in: Chr. Bruhn (Hrsg.), Die gegenwärtigen Behandlungswege der Kieferschussverletzungen. Ergebnisse aus dem Düsseldorfer Lazarett für Kieferschussverletzte (Königliches Reservelazarett), Heft 9/10, Wiesbaden 1917: S. 619–691)
Fallbeschreibung
Anamnese
Im Herbst 2021 stellte sich in der HNO-ärztlichen Ambulanz des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Ulm ein 41-jähriger Patient mit einer seit ca. 10 Monaten bestehenden druckdolenten Verdickung am linken Nasenflügel vor. Eine zuvor durchgeführte Schleimhautpflege aufgrund der Verdachtsdiagnose einer Rosacea hatte keine ausreichende Befundbesserung erbracht.
Abb. 2: Lokalbefund bei der ersten Untersuchung in der HNO-Klinik: Der Pfeil zeigt auf die tumoröse Verdickung der linken Nasenwand, die bis in den Bereich des Septums reicht.
Diagnostik
Probeexzision
In der HNO-Klinik erfolgte eine diagnostische Probeexzision aus einer etwa 2 x 2 cm durchmessenden und teils ulzerierenden Läsion im Bereich des vorderen Nasenseptums am Übergang zum linksseitigen Nasenflügelknorpel. Die histologische Untersuchung zeigte ein undifferenziertes Karzinom.
PET/MRT
Im Rahmen des Stagings wurde die Indikation für eine Untersuchung am PET/MRT (Positronen-Emissions- und Magnetresonanztomografie) mit 18F-2-Fluor-2-desoxy-D-Glucose (FDG) gestellt. Es zeigte sich der hypermetabole Tumor im Vestibulum nasi mit V.a. Knorpelinfiltration am Nasenseptum (Abbildung 3) und einen dringend metastasensuspekten Lymphknoten links submandibulär mit erhöhtem Stoffwechsel (Abbildung 4). Die Lymphknotenmetastase wurde im Rahmen einer Feinnadelaspirationszytologie gesichert.
Abb. 3: Präoperatives FDG-PET/MRT in transversaler Schnittführung mit Darstellung des Karzinoms im linken Vestibulum nasi (blauer Pfeil) mit deutlich erhöhter Stoffwechselaktivität.
Therapie
Mit diesen Befunden wurde der Fall des Patienten im interdisziplinären Tumorboard des BwKrhs Ulm vorgestellt. Hierbei erging die Empfehlung zu einer Ablatio nasi sowie einer beidseitigen Neck Dissection mit anschließender Wiedervorstellung des Patienten im Tumorboard.
Entsprechend dieser Empfehlung wurde eine Ablatio nasi sowie eine beidseitige Neck Dissection der Level I-III durchgeführt. Eine intraoperativ durchgeführte Schnellschnittuntersuchung der Absetzungsränder des Hauptpräparats der Nase ergab tumorfreie Schnittränder. Es wurden bereits während des primären Eingriffs Knochenanker zur Aufnahme einer späteren Epithese eingebracht (Abbildung 5).
Perioperativ wurde eine sozialdienstliche und psychoonkologische Betreuung durchgeführt sowie eine Ernährungsberatung veranlasst.
Abb. 5: Intraoperativer Befund nach Ablation der Nase mit Blick in die Nasenhöhle und auf die Vorderkante des verbliebenen Septums: Sichtbar sind die Metallanker zur späteren Aufnahme der Epithese.
Histologie und Tumorstadium
Der histopathologische Befund ergab an der Nase ein undifferenziertes Karzinom mit karzinomatöser Knorpelarrosion und Lymphangiosis carcinomatosa (= L1) sowie bei der Neck Dissection eine tumorokkupierte Lymphknotenmetastase mit fokalem Kapseldurchbruch und perinodalem Karzinomdurchsatz (= ece+).
Zusammenfassend ergab sich entsprechend der aktuellen UICC-Klassifikation ein TNM-Stadium pT1 pN2a (1/34, ece+) cM0, L1, V0, Pn0, G3, R0 entsprechend einem Stadium IVa.
Postoperative Nachsorge
Eine postoperative Vorstellung des Patienten im interdisziplinären Tumorboard der Klinik führte bei einem undifferenzierten Karzinom mit Kapseldurchbruch des betroffenen Lymphknotens zur Empfehlung einer adjuvanten kombinierten Radiochemotherapie.
Radiochemotherapie
Durch das Kopf-Hals-Tumor-Zentrum wurde eine heimatnahe kombinierte Radiochemotherapie vereinbart. Parallel wurde die Anfertigung einer Nasenepithese in Auftrag gegeben. Die Radiochemotherapie wurde als intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT-Hochvoltbestrahlung) der beidseitigen Lymphabflusswege I-III bis zu einer Gesamtherddosis (GHD) von 50 Gy durchgeführt. Anschließend erfolgte eine Aufsättigung der Tumor- und ece+-Lymphknotenloge bis zu einer kumulativen GHD von 60 Gy im Rahmen einer simultanen Radiochemotherapie mit Mitomycin C und 5-Flourouracil. Im Rahmen der Bestrahlungsvorbereitung wurde auch eine rechtsseitige Portanlage durchgeführt.
Hierbei kam es zu einer Mucositis III° mit der Notwendigkeit einer transdermalen Opioidtherapie und einer portassoziierten Thrombose der Vena subclavia rechts, die sowohl eine therapeutische Antikoagulation als auch eine Wickelung des rechten Arms notwendig machte.
Anschlussheilbehandlung und Rehabilitation
Nach dem erfolgreichen Abschluss wurde eine Anschlussheilbehandlung durchgeführt. Der Patient befindet sich nun für die nächsten fünf Jahre in einer regelmäßigen onkologischen Nachsorge, die sowohl bildgebende Verfahren (z. B. Ultraschall und PET/MRT) als auch HNO-ärztliche Spiegelbefunde beinhalten wird.
Die Nasenepithese wurde zwischenzeitlich fertiggestellt. Sie ist für den Patienten zurzeit ein insgesamt zufriedenstellendes Ergebnis (Abb. 6).
Abb. 6: Gutes ästhetisches Resultat nach Versorgung mit einer Epithese
Diskussion und Fazit
Der vorgestellte Fall verdeutlicht sowohl die Komplexität der onkologischen Therapie als auch die Parallelen einer onkologischen zu einer traumatologischen Therapie und hat damit unmittelbare wehrmedizinische Relevanz.
Wenn auch die standardisierte onkologische Therapie mit zahlreichen Besprechungen und Konsilen aufwändig erscheint, konnte im Rahmen zahlreicher Studien ein klarer Vorteil für den jeweiligen Patienten festgestellt werden. In einer erst jüngst publizierten Studie, bei der Krebsregisterdaten mit Krankenkassendaten kombiniert wurden, zeigten sich für zahlreiche Krebsentitäten – auch für Kopf-Hals-Tumore – Überlebensvorteile, sofern die Therapie an zertifizierten onkologischen Kliniken durchgeführt wurde [1].
Die PET/MRT als hochmoderne molekulare Bildgebung ermöglicht es, wie in diesem Fallbeispiel gezeigt, die genaue Tumorausdehnung zu erfassen und lokoregionäre und distante Metastasen zu detektieren. Diese Ergebnisse sind für die weitere Therapieplanung von elementarer Bedeutung. Ein Vorteil der PET/MRT-Untersuchung im Vergleich zum PET/CT ist die zeitgleiche Akquisition der PET- und MRT-Datensätze mit der verbesserten anatomischen Darstellung von relevanten Weichteilstrukturen im Kopf-Hals-Bereich. Zusätzlich ist die auf den Radiotracer FDG reduzierte Strahlenexposition ausschlaggebend dafür, diese multimodale Untersuchungsmethode bei jüngeren Patienten einzusetzen.
Die Vorteile der molekularen Bildgebung mittels PET/MRT können am BwKrhs Ulm als einem der wenigen außeruniversitären PET/MRT-Standorte in Deutschland, für Indikationen im onkologischen Primärstaging, zur Biopsieplanung und insbesondere zur Therapiekontrolle bzw. zum Therapiemonitoring für unsere Patienten bei komplexen Tumorerkrankungen in der klinischen Routine sowie für wissenschaftliche Fragestellungen genutzt werden [2].
Die Entität des undifferenzierten Karzinoms ist ein seltener und hochaggressiver histopathologischer Befund. Ein entsprechend zügiges und aggressives Therapieregime ist zwingend geboten [3].
Tumorbehandlung und Ästhetik
Die Nase als zentrales ästhetisches Element des Gesichts besitzt eine große Relevanz für die Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die psychischen Belastungen für Menschen mit Entstellungen des Gesichtes sind erheblich. Dem steht die Notwendigkeit einer radikalen Tumortherapie gegenüber und es stellte sich die Frage, wie die sich anschließende Wiederherstellungschirurgie erfolgen soll. Während halbseitige Defekte der Nase noch mittels lokaler bzw. regionaler Lappen versorgt werden können, ist die vollständig entfernte Nase ein bisher noch unbefriedigend chirurgisch zu lösendes Problem. Chirurgische Ansätze zur Rekonstruktion müssten sowohl das Nasenseptum, die innere Auskleidung der Nase und auch die äußere Nase ersetzen [4]. Dies würde den Beginn der notwendigen Radiochemotherapie verzögern und sich ggf. negativ auf die Prognose auswirken.
Hier bietet die epithetische Versorgung schnelle und gute Möglichkeiten der Wiederherstellung eines guten ästhetischen Ergebnisses. Epithesen werden individuell von Epithetikern angefertigt und angepasst. Gute Kooperationen in zivile Bereiche sind unerlässlich, da diese Fähigkeit in der Bundeswehr nicht vorgehalten wird.
Analogie: Traumaversorgung
Auch traumatische Verletzungen der Nase und Halsweichteile, zum Beispiel bedingt durch Hundebisse, Hieb-, Stich- oder Schussverletzungen können zu ähnlichen Verletzungen führen, stellen im Inland jedoch eine Rarität dar. Bei Soldaten bleibt trotz immer besser gewordenem Schutz des Kopfes durch moderne Helme und Schutzbrillen die Mund-Nasen-Region ein vulnerabler Bereich. Die Beschäftigung des Kopf-Hals-Chirurgen mit onkologischen Problemen nützt daher nicht nur dem individuellen Patienten im Regelbetrieb, sondern schult auch den Einsatzchirurgen.
Kernsätze
- Das undifferenzierte Karzinom der Nase ist eine seltene und hochaggressive Tumorentität.
- Es erfordert ein zügiges und umfassendes Therapieregime.
- Die Behandlung in zertifizierten onkologischen Kliniken ist mit einem signifikanten Überlebensvorteil für den betroffenen Patienten verbunden.
- Die onkologische Chirurgie im Kopf-Hals-Bereich hat zahlreiche Parallelen zur traumatologischen Chirurgie.
- Erfahrungen in der Tumorchirurgie im HNO-Bereich können unmittelbar in die Versorgung entsprechender Einsatzverletzungen einfließen.
Literatur
- Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Geringere Sterblichkeit bei Therapie in zertifizierten Krebszentren: , letzter Aufruf 6. Juli 2022. mehr lesen
- Grunert M, Prasad V: PET-basierte Bestrahlungsplanung. Der Nuklearmediziner 2020; 43(02): 115-132. mehr lesen
- Ejaz A, Wenig BM: Sinonasal undifferentiated carcinoma: clinical and pathologic features and a discussion on classification, cellular differentiation, and differential diagnosis. Adv Anat Pathol 2005; 12(3): 134-143. mehr lesen
- Sadick H, Gassner HG: Plastische Rekonstruktion einfacher und komplexer Nasendefekte. Laryngorhinootologie 2017; 96(9): 628-652. mehr lesen
- Vollmuth R, Zielinski S: Die kriegsbedingte Entwicklung neuer medizinischer Spezialdisziplinen – das Beispiel Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. WMM 2014; 58(7): 245-250. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Evers T, Grunert M, Tisch M: Undifferenziertes Karzinom der Nase – Kasuistik. WMM 2022; 66(8): 269-273.
DOI: https://doi.org/opus4-29
Für die Verfasser
Flottillenarzt Dr. Theo Evers
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik V – Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: theoevers@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Evers T, Grunert M, Tisch M: [Undifferentiated carcinoma of the nose – case report]. WMM 2022; 66(8): 269-273.
DOI: https://doi.org/opus4-29
For the authors
Commander (Navy MC) Dr. Theo Evers
Bundeswehr Hospital Ulm
Department V – Otorhinolaryngology, head and neck surgery
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: theoevers@bundeswehr.org