Abb. 1: Blick in einen vollbesetzten Hörsaal bei der eindringlichen Ansprache des Kommandeurs der Sanitätsakademie Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm
Internationale Strahlenschutzkonferenz vor angespannter weltpolitischer Lage
26. Medizinische A-Schutztagung (ConRad 2025) vom 06. bis 08. Mai 2025, SanAkBw München
Thorsten Frenzela,b, Christian Siebenwirtha, Laura Kubitschecka, Matthias Porta
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München
b Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Onkologisches Zentrum, Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie
Die 26. Ausgabe der internationalen “Global Conference on Radiation Preparedness, Response, Protection and Research” (ConRad 2025) fand vom 6. bis 8. Mai 2025 an der Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw) in München statt. Veranstaltet vom Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw), bot die Tagung erneut ein hochkarätiges Forum für den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaft, Militär, Katastrophenschutz und medizinischen Institutionen aus dem In- und Ausland.
Vor dem Hintergrund der anhaltenden geopolitischen Krisen, insbesondere des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, sowie wachsender sicherheitspolitischer Herausforderungen innerhalb des NATO-Bündnisses, erhielt die diesjährige Tagung eine besondere Relevanz. Auch die stärker ins Bewusstsein gerückte Gefahr nuklearer Unfälle oder Angriffe prägte die Agenda der Konferenz deutlich.
Teilnehmer, Beiträge und internationale Perspektiven
Über 260 Fachleute aus 29 Nationen nahmen an der Veranstaltung teil. Unter den Teilnehmenden befanden sich Vertreter internationaler Organisationen wie der WHO, der Strahlenschutzvereinigungen sowie zahlreicher europäischer, amerikanischer und asiatischer Universitäten, Forschungseinrichtungen und Behörden.
Das Konferenzprogramm gliederte sich in 13 Fachsitzungen, zwei Schwerpunktsitzungen, eine Postersitzung sowie eine virtuelle Vortragsveranstaltung. Dabei wurden aktuelle Erkenntnisse zur Strahlenbiologie, Strahlenphysik, Notfallvorsorge, Dekontamination, Therapie der akuten Strahlenkrankheit sowie Biodosimetrie vorgestellt.
Die Postersitzung fand in diesem Jahr in neuem Format mit Fingerfood-Buffet über eine Mittagspause statt und förderte durch das informelle Setting den intensiven fachlichen Austausch. Insgesamt wurden über 60 Poster präsentiert, die ein breites Themenspektrum von Grundlagenforschung bis hin zu einsatznaher Anwendung abdeckten (Abbildung 2).
Abb. 2: Gruppenfoto der Teilnehmer im Audimax und rege Diskussionen bei der Postersitzung. ©Julia Langer
Eröffnung und politische Einordnung
Die Konferenz wurde offiziell durch den Konferenzpräsidenten Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Port sowie Dr. Zhanat Kenbayeva von der WHO eröffnet. Auch Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm begrüßte die Anwesenden persönlich, wobei er besonders die internationalen Teilnehmer und v. a. die Delegation aus der Ukraine würdigte (Abbildung 1). Seine Worte unterstrichen die gewachsene Bedeutung radiologischer Einsatzvorbereitung im Kontext moderner Kriegsführung und hybrider Bedrohungslagen.
Tag 1: Prävention und akute Reaktion auf radiologische Ereignisse
Die Eröffnungssitzung stand im Zeichen der Strahlenunfall-Vorsorge. Ein Simulationsbeispiel für ein Szenario in einer deutschen Großstadt offenbarte Schwächen und notwendige Verbesserungen im aktuellen Katastrophenschutz. Die folgenden Beiträge thematisierten Hochdurchsatz-Screeningverfahren, schnelle PCR-basierte Tests, Strategien zur Triage großer Bevölkerungsgruppen sowie dezentrale Probenlogistik. Hier wurde speziell die internationale Laborzusammenarbeit im Rahmen der World Health Organization (WHO) und der International Atomic Energy Agency (IAEA) die Netzwerke Radiation Emergency Medical Preparedness and Assistance Network (REMPAN) und Response and Assistance Network (RANET) zur Analyse von Patientenproben vorgestellt.
Großes Interesse zog der Vortrag über virtuelle Trainingsumgebungen zur Verbesserung der Strahlennotfallkompetenz auf sich. Auch die Rolle von Zytokinen in der Therapie der hämatopoetischen Strahlenkrankheit nach Massenunfällen wurde im Rahmen internationaler Erfahrungen erörtert.
Die Schwerpunktsitzung am Nachmittag war den Dekorporationsstrategien gewidmet. Systematische Übersichten zur Wirksamkeit neuer Komplexbildner und Inhalationswege für Chelatbildner wurden gezeigt. Ein Beitrag zur WHO-Leitlinie „iCAM“ rundete die erste Plenarsitzung ab.
Zum Abschluss des ersten Tages wurden Beiträge US-amerikanischer Strahlenforscher in einer virtuellen Sitzung präsentiert – ein Format, das trotz der aktuellen politischen Lage diesen Forschenden eine Teilnahme ermöglichte. Gezeigt wurden unter anderem neue Entwicklungen in der Biodosimetrie, Erkenntnisse zur Romiplostim-Therapie der hämatopoetischen Strahlenkrankheit und KI-gestützte Ansätze zur Behandlung strahleninduzierter Lungenschäden. Nplate® (Romiplostim) ist ein Peptibody, der das Knochenmark stimuliert, mehr Blutplättchen zu produzieren. Dies soll das Blutungsrisiko von Patienten mit Immunthrombozytopenie verringern.
Tag 2: Forschung, Vernetzung und Systemlösungen
Der zweite Konferenztag begann mit einem vielfältigen Überblick zu gesundheitlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung und möglichen Gegenmaßnahmen. In einem Mausmodell wurden kombinierte Strahlen- und Verbrennungstraumata untersucht, gefolgt von Beiträgen zur Strahlenwirkung auf zellulärer Ebene – mit Blick auf mögliche Konsequenzen für Weltraummissionen. Weitere Vorträge thematisierten die Gewebetoleranz gegenüber hohen lokalen Strahlendosen, neue radioprotektive Substanzen sowie die Rolle von TRP-Kanälen (engl. transient receptor potential channels) als potenzielle Zielstrukturen zur Behandlung des akuten Strahlensyndroms.
In der anschließenden Sitzung zu Niedrigdosisstrahlung wurde die Eignung klassischer DNA-basierter Biomarker infrage gestellt und durch mögliche neue physiologische Mechanismen ergänzt. Zudem wurde die Quantifizierung von γ-H2AX-DSB-Foci zur Triage und der Dosisabschätzung bei Alpha- und Beta-Exposition vorgestellt.
Ein praxisnaher Blick in die Strahlenschutzphysik wurde von der PTB (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) vorgetragen. Sie stellte ein neues System zur Radon-Dosimetrie vor – relevant, da Radon eine zentrale Quelle der zivilisatorischen Strahlenbelastung darstellt. Ergänzt wurde dies durch eine app-gestützte Simulation von Dosimetern, die strahlungsfreies Training in Ausbildungsszenarien ermöglichen soll.
Abb. 3: Ein herzlicher und besonderer Moment – nach langjähriger, äußerst erfolgreicher Tätigkeit am InstRadBioBw wurde Oberstarzt Prof. Dr. Abend mit einer kunstvoll gestalteten Übersicht seiner zahlreichen Publikationen in den Ruhestand verabschiedet. ©Julia Langer und InstRadBioBw
Eine Spezialsitzung widmete sich dem Thema Datenmanagement. Es wurde gezeigt wie europäische Initiativen wie STORE, RENEB und PIANOFORTE offene Datenstandards und vernetzte Datenbanken die Forschung und Notfallvorsorge stärken können.
Die zweite Schwerpunktsitzung stellte schließlich aktuelle Entwicklungen in der Biodosimetrie vor. Neben fortgeschrittenen Entwicklungen wie miRNA-basierten Schnelltests (MiRADTM) wurden Multi-Omics-Strategien und Primatenstudien zur Schweregradabschätzung des akuten Strahlensyndroms diskutiert. Abschließend gaben hochrangige Behördenvertreter der USA Einblick in die laufenden Forschungsschwerpunkte in Bereichen wie Knochenmark, Haut und Gastrointestinaltrakt.
Ein besonderer Moment war die feierliche Verabschiedung von Prof. Dr. Michael Abend am zweiten Konferenztag mit musikalischer Untermalung des Heeresmusikkorps Ulm. In Anerkennung seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen und langjährigen Forschung am InstRadBioBw würdigten Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Institutionen seinen Beitrag zur Weiterentwicklung der deutschen Radiobiologie und des Medizinischen A-Schutzes. Die Tagungsteilnehmenden verabschiedeten ihn mit langanhaltendem Applaus.
Das feierliche Konferenzabendessen mit bayerischen Spezialitäten sowie der optionale Besuch der Ayinger Privatbrauerei boten einen gelungenen Rahmen für persönlichen Austausch und die Pflege internationaler Kontakte.
Abb. 4: Auch die bayerische Tradition wurde bei den Geschenken an die Konferenzteilnehmer und dem Konferenzdinner gelebt. ©InstRadBioBw
Tag 3: Methodenvielfalt und praktische Anwendungen
Am dritten Tag fanden parallele Sitzungen zu Biodosimetrie sowie Strahlenbiologie/-physik statt.
In der Sitzung zu Strahlenbiologie/-physik wurde unter anderem simuliert, welche Räume in Gebäuden bei einer nuklearen Explosion besonderen Schutz vor ionisierender Strahlung bieten können. Weitere Beiträge befassten sich mit den biologischen Auswirkungen von Schwerionen, möglichen Therapieansätzen bei Glioblastomen, u. a. unter Einsatz von Kombinationseffekten verschiedener Strahlenarten. Ein Tiermodell untersuchte die Wundheilung nach kombinierter Strahlen- und Muskelverletzung.
Die zweite Sitzung zur Biodosimetrie beleuchtete genetische Veränderungen nach CT-Diagnostik und Bestrahlung. Mit Einzelzell-RNA-Sequenzierung wurde die variable Zellantwort auf Strahlung analysiert. Auch der Einsatz von miRNA als Tumormarker für Glioblastome wurde vorgestellt. Zudem standen mobile, einfach handhabbare Testsysteme sowie neue Biomarker im Fokus – etwa aus Speichelproben oder extrazellulären Vesikeln. Auch radioprotektive Substanzen wie Piperazin wurden diskutiert. Abschließend präsentierten Vertreter von BfS, Bundespolizei, Bundeswehr und weiteren Behörden eine gemeinsame Übung zur radiologischen Einsatzlage, bei der militärische und zivile Taktikalgorithmen verglichen wurden.
Abb. 5: Die Auszeichnung der Soldaten nahm der Kommandeur der Sanitätsakademie, Generalstabsarzt Dr. Holtherm, persönlich vor.
Militärische Integration und Nachwuchsförderung
Die Tagung wurde in diesem Jahr verstärkt durch militärische Elemente ergänzt. In einer feierlichen Zeremonie wurden während der Konferenz im Audimax Soldatinnen und Soldaten des InstRadBioBw ausgezeichnet, Reservisten befördert und ihnen Leistungsabzeichen verliehen. Diese sichtbare militärische Einbindung wurde von internationalen Gästen als Alleinstellungsmerkmal der Tagung positiv bewertet.
Erfreulich war auch die erneut zahlreiche Beteiligung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, insbesondere des internationalen Masterstudiengangs „Radiation Biology“ der Technischen Universität München.
Fazit
Die ConRad 2025 hat erneut unter Beweis gestellt, dass aktuell die medizinische Vorbereitung auf radiologische Notfallszenarien eine internationale Kernaufgabe darstellt – besonders vor dem Hintergrund globaler Spannungen. Mit über 260 Teilnehmenden aus 29 Ländern wurde die Sanitätsakademie München zum Ort eines intensiven, disziplinübergreifenden Austauschs zwischen Forschung, Praxis und Politik.
Im Mittelpunkt standen in diesem Jahr Fortschritte in der Biodosimetrie, neue Strategien zur Dekorporation und innovative Ansätze im Datenmanagement. Auch digitale Lösungen und internationale Netzwerke zur Strahlenmedizin wurden als zentrale Zukunftsthemen diskutiert. Die Einbindung hybrider und virtueller Beiträge ermöglichte selbst unter geopolitisch schwierigen Bedingungen eine breite wissenschaftliche Beteiligung.
Die feierliche Verabschiedung von Prof. Dr. Michael Abend, sowie der bevorstehende Wechsel von Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Port von der wissenschaftlichen Leitung des InstRadBioBw markierten zugleich einen Generationenwechsel und erinnern daran, wie sehr wissenschaftlicher Fortschritt auf langfristigem Engagement und Nachwuchsgewinnung basiert.
Mit dem Leitmotiv „Preparedness, Response, Protection and Research“ war und ist die internationale ConRad Tagung mehr als eine Fachkonferenz – sie ist ein Signal der Verantwortung und der Zusammenarbeit im globalen Strahlenschutz.
Für die Verfasser
Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Dr. med. Thorsten Frenzel
Seit Ende 2022 beorderter Reservist am Institut für Radiobiologie der Bundeswehr.
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Onkologisches Zentrum
Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie
Martinistraße 52, D-20246 Hamburg
E-Mail: frenzel@uke.uni-hamburg.de