Zähneknirschen und Trauma: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Bruxismus und PTBS
Teeth Grinding and Trauma: New Findings on the Link Between Bruxism and PTSD
Christian Justenhovena, Michael Lüpkeb, Thomas Beiklerc,
a Zahnarztgruppe Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg, Universität der Bundeswehr München
b Klinik für Zahnmedizin, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
c Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zusammenfassung
Der Artikel widmet sich der Untersuchung potenzieller Verbindungen zwischen Bruxismus, umgangssprachlich oft als Zähneknirschen bezeichnet, und der Posttraumatischen Belastungsstörung. Ziel ist es, eine interdisziplinäre Perspektive zwischen Zahnmedizin und Psychologie zu etablieren, um ein besseres Verständnis und innovative Therapieansätze für beide Zustände zu fördern. Die Arbeit basiert auf einer strukturierten Literaturrecherche und einer quantitativen Analyse von Begriffen, sogenannter „cues“, aus den beiden Forschungsfeldern.
Schlüsselwörter: Zähneknirschen, Trauma, Bruxismus, posttraumatische Belastungsstörung, PTBS, Cues, quantitative Analyse
Summary
The article investigates potential links between bruxism, commonly known as teeth grinding, and post-traumatic stress disorder. Its aim is to establish an interdisciplinary perspective between dentistry and psychology, fostering a better understanding and innovative therapeutic approaches for both conditions. This paper is based on a structured literature review and a quantitative analysis of terms and cues from the two fields of research.
Keywords: teeth grinding; trauma; bruxism; posttraumatic stress disorder; cues; PTSD
Einleitung und Hintergrund
Historie
Die Beschreibung von Bruxismus reicht weit zurück: Bereits vor über 2000 Jahren wurde das Zähneknirschen in chinesischen medizinischen Schriften dokumentiert [4]. Xu Shen definierte im „Shuowen Jiezi“ (um 100 n. Chr.) das Zeichen als das Zusammenbeißen der Zähne. 610 n. Chr. beschrieb Chao Yuanfang im „Zhubing yuanhou lun“ das nächtliche Zähneknirschen und führte es auf eine Unterversorgung der Lebensenergie Qi im Körper und Blutstau zurück. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit blieb es ein bekanntes, aber wenig systematisch erforschtes Phänomen.
Erst im 20. Jahrhundert erhielt Zähneknirschen, wie Bruxismus umgangssprachlich bezeichnet wird, eine wissenschaftlichere Betrachtung: 1907 prägten die Neurowissenschaftler Marie und Pietkiewicz den französischen Begriff „Bruxomanie“ [23]. 1931 führte der US-amerikanische Psychiater Bertrand Frohman den Begriff „Bruxismus“ ein, abgeleitet vom griechischen „brychien odontas“ (Zähne zusammenbeißen) [15]. Sigmund Freud sah Bruxismus im Rahmen seiner psychoanalytischen Theorie als Ausdruck psychischer Konflikte und als Teil der psychosexuellen Entwicklung [19]. Zwischen den 1960er und 2000er-Jahren dominierte in der Forschung die Theorie, dass Fehlstellungen der Zähne die Hauptursache von Bruxismus seien, was zu Behandlungen mit Aufbissschienen und Fehlstellungskorrekturen führte.
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wurde als eigenständige Diagnose erst 1980 im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 3. Auflage (DSM-III) der American Psychiatric Association offiziell anerkannt [14]. Zuvor gab es zwar Konzepte wie die 1952 etablierte „gross stress reaction“, doch diese berücksichtigten nicht die langanhaltenden und komplexen Symptome von Traumafolgestörungen [6]. Die Anerkennung von PTBS als eigenständiges Krankheitsbild war das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und gesellschaftlichen Engagements, insbesondere von Kriegsveteranen und Opfern von Gewalt und Katastrophen [14].
Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen körperlichen und psychischen Symptomen hat in den letzten Jahrzehnten einen grundlegenden Wandel erfahren [7][28]. Während bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts häufig eine strikte Trennung zwischen somatischen und psychischen Erkrankungen vorgenommen wurde, zeigt die aktuelle Forschung, dass viele Beschwerdebilder – insbesondere solche mit chronischem Verlauf – nur durch eine ganzheitliche, interdisziplinäre Betrachtung adäquat verstanden werden können. Ein faszinierendes Feld an dieser Schnittstelle ist die Untersuchung eines potenziellen Zusammenhangs zwischen Bruxismus und der PTBS, einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung [12].
Bruxismus und PTBS sind beide in der Bevölkerung weit verbreitet. Sie werden jedoch in der klinischen Praxis bislang meist isoliert betrachtet, obwohl zahlreiche Hinweise auf wechselseitige Einflüsse vorliegen. Die gesellschaftliche und gesundheitspolitische Relevanz dieser Thematik ist erheblich: Bruxismus kann, wenn er nicht erkannt und behandelt wird, zu schwerwiegenden Folgeschäden wie Zahnverlust, Kiefergelenksproblemen und chronischen Schmerzen führen [16]. Menschen, die eine PTBS entwickeln, ziehen sich häufig zurück und suchen selten Hilfe [10]. Die Konsequenzen reichen von einer Chronifizierung der Symptome über die Entwicklung weiterer psychischer Erkrankungen bis hin zur Zerstörung sozialer Beziehungen und zu erhöhter Suizidalität [17].
Definition des Bruxismus
Bruxismus ist ein komplexes Phänomen, das weit über die Grenzen der Zahnmedizin hinausreicht. Bruxismus ist definiert als sich wiederholende Kaumuskeltätigkeit, die durch Zusammenpressen oder Knirschen der Zähne gekennzeichnet ist und sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand auftreten kann [20]. Die Folgen reichen von Zahnabnutzung und Kiefergelenksproblemen bis hin zu chronischen Kopfschmerzen und Nackenverspannungen [16]. Obwohl die genauen Ursachen des Bruxismus noch nicht vollständig geklärt sind [29], werden verschiedene Faktoren diskutiert: Stress und Anspannung, Schlafstörungen, Fehlstellungen im Kiefer-/Zahnbereich, neurologische Faktoren sowie Medikamente und Substanzen [8].
Definition der Posttraumatischen Belastungsstörung
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich nach dem Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses entwickeln kann [27]. Charakterisiert wird PTBS durch vier Hauptsymptomgruppen:
- das Wiedererleben des Traumas (Intrusionen, Flashbacks, Albträume),
- aktives Vermeidungsverhalten,
- emotionale Taubheit sowie
- Übererregung (Hyperarousal) mit erhöhter Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit [3].
PTBS kann zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen und geht oft mit komorbiden Störungen wie Depressionen, Angststörungen und Substanzmissbrauch einher [5].
Zusammenhang zwischen Bruxismus und PTBS
Mehrere Aspekte legen nahe, dass eine tiefergehende Betrachtung eines Zusammenhangs zwischen Bruxismus und PTBS lohnend sein kann. Beide Phänomene sind eng mit der körperlichen und psychischen Stressreaktion verknüpft [12]. Sowohl Bruxismus als auch PTBS können den Schlaf erheblich beeinträchtigen [2][26], was wiederum Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden hat. PTBS kann sich zudem in verschiedenen körperlichen Symptomen äußern, wobei die Manifestation im orofazialen Bereich bisher wenig erforscht ist [9]. Die aktuelle Forschung deutet darauf hin, dass somatische Beschwerden wie Kiefer- und Gesichtsschmerzen, Muskelverspannungen und Kopfschmerzen bei PTBS-Patienten häufiger auftreten als bislang angenommen [9][28]. Gleichzeitig wird in der Bruxismusforschung zunehmend anerkannt, dass psychische Belastungen und Traumafolgestörungen als Auslöser oder Verstärker wirken können [29].
Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Beitrag zur Entwicklung eines interdisziplinären Forschungsansatzes zu leisten, der die Grenzen zwischen Zahnmedizin und Psychologie überwindet und neue Perspektiven für das Verständnis und die Behandlung beider Zustände eröffnet.
Forschungsfeld „Bruxismus und PTBS“
Die zahnmedizinische Forschung hat sich in den vergangenen Jahren stark diversifiziert und international aufgestellt. Drei Forschungsschwerpunkte stehen dabei im Zentrum der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion:
Abb. 1: Flussdiagramm über die Schnittmenge der Begriffe Bruxismus und PTSD: Der gelbe Kasten steht für Begriffe aus der Bruxismus-Forschung, der blaue Kasten für solche aus der PTBS-Forschung. Der längere Balken darunter zeigt die jeweiligen cues, sowie die Schnittmenge der Begriffe – gemeinsame cues.
1. Pathophysiologie und Klassifikation von Bruxismus
Ein zentraler Schwerpunkt liegt auf der Erforschung der Pathophysiologie und der präzisen Klassifikation von Bruxismus. Führend auf diesem Gebiet ist Frank Lobbezoo, der mit seinem Team maßgeblich zur Entwicklung der aktuellen Definitionen und diagnostischen Kriterien beigetragen hat. Lobbezoo und Kollegen betonen, dass Bruxismus als eigenständiges Verhalten und nicht als Krankheit zu verstehen ist und differenzieren klar zwischen Schlaf- und Wachbruxismus [20]. Seine Forschung konzentriert sich auf neurobiologische Mechanismen, genetische Dispositionen und die Rolle zentralnervöser Steuerungsprozesse. Moderne bildgebende Verfahren und Biomarker-Analysen liefern zunehmend Einblicke in die komplexen Regelkreise, die dem Bruxismus zugrunde liegen. Weitere Forscher, die sich mit dem Thema befassen: Jeffrey Okeson betont die multifaktorielle Ätiologie von Bruxismus und die Bedeutung neurophysiologischer Mechanismen [25]. Daniele Manfredini arbeitet eng mit Frank Lobbezoo zusammen und trägt wesentlich zur internationalen Standardisierung der Bruxismus-Definition bei [22].
2. Psychosoziale und stressbezogene Einflussfaktoren
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt widmet sich den psychosozialen Einflussfaktoren auf orofaziale Funktionsstörungen. Daniele Manfredinis Forschung ist führend in diesem Bereich. Seine Arbeiten zeigen, dass Stress, Angst und emotionale Belastungen einen signifikanten Einfluss auf die Ausprägung von Bruxismus und anderen orofazialen Schmerzsyndromen haben [21]. Die Entwicklung und Validierung von Fragebögen zur Stress- und Angstmessung sowie die Integration psychologischer Interventionen in die zahnärztliche Therapie stehen im Fokus dieser Forschungsrichtung. Es wird zunehmend anerkannt, dass psychosoziale Faktoren nicht nur Auslöser, sondern auch Verstärker somatischer Symptome sein können.
3. Interdisziplinäre Therapieansätze und Versorgungsforschung
Ein dritter, zunehmend bedeutsamer Schwerpunkt betrifft die Entwicklung und Evaluation interdisziplinärer Therapieansätze. Peter Svenssons Forschung befasst sich mit der Integration von zahnmedizinischen, physiotherapeutischen und psychologischen Behandlungsstrategien bei Patienten mit chronischen orofazialen Schmerzen und Bruxismus [18]. Im Mittelpunkt stehen multimodale Therapieprogramme, die sowohl die körperlichen als auch die psychischen Aspekte berücksichtigen. Die Versorgungsforschung untersucht, wie diese Ansätze in die klinische Praxis implementiert werden können und welche Effekte sie auf Lebensqualität und Behandlungserfolg haben.
Fehlende Interdisziplinarität
Trotz dieser Fortschritte ist auffällig, dass die Forschung nur ansatzweise interdisziplinär arbeitet und psychotraumatologische Faktoren unberücksichtigt bleiben. Während die Zusammenhänge zwischen Stress, Angst und Bruxismus intensiv untersucht werden, bleibt die spezifische Verbindung zwischen PTBS und Bruxismus weitgehend unerforscht. Bislang existieren nur wenige Studien, die gezielt nach Überschneidungen oder Wechselwirkungen suchen. Insbesondere die Frage, inwieweit somatische Symptome des Bruxismus als Ausdruck oder Folge einer PTBS interpretiert werden können – oder umgekehrt –, wurde bislang kaum systematisch adressiert. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, indem sie erstmals die Begriffslandschaften beider Forschungsfelder systematisch vergleicht und potenzielle Schnittstellen identifiziert.
Mit dieser Analyse soll eine Forschungslücke geschlossen und ein Beitrag zur Entwicklung eines interdisziplinären Forschungszweigs geleistet werden, der die Grenzen zwischen Zahnmedizin und Psychotraumatologie überwindet. Im Folgenden werden die methodischen Schritte zur Identifikation und Auswertung gemeinsamer Begriffe aus beiden Feldern dargestellt.
Methodik
Wir führten eine strukturierte Literaturrecherche und eine quantitative Analyse von Begriffen („cues“) aus den beiden Forschungsfeldern durch. Im Folgenden werden unter „cues“ charakteristische Begriffe oder Schlüsselwörter verstanden, die in wissenschaftlichen Publikationen als repräsentativ für Symptome, Konzepte oder Zusammenhänge eines Forschungsfeldes gelten. Die Methode der cue-Analyse, ursprünglich aus der Informationswissenschaft stammend, ermöglicht es, Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen den Begriffswelten der Bruxismus- und PTBS-Forschung systematisch zu identifizieren. Diese Begriffe werden in Gruppen eingeteilt, denen sie eindeutig zugeordnet werden können, um sie anschließend vergleichen zu können. Die Ergebnisse können das Verständnis beider Zustände vertiefen und Impulse für innovative Therapie- und Präventionsansätze liefern, die den Bedürfnissen der Betroffenen besser als bisher gerecht werden. Abbildung 1 präsentiert das Verfahren visuell.
Daraus lassen sich folgende Hypothesen aufstellen
- Nullhypothese (H0)
Für bestimmte Begriffsgruppen besteht keine relevante Überschneidung in der Bruxismus- und PTBS-Forschung entsprechend einem Jaccard-Koeffizienten ≤ 0,2.
- Alternativhypothese (H1)
Für bestimmte Begriffsgruppen besteht eine relevante Überschneidung in der Bruxismus- und PTBS-Forschung entsprechend einem Jaccard-Koeffizienten > 0,2.
Eine Erläuterung zum Jaccard-Koeffizienten erfolgt im Kapitel „Ergebnisse“.
Recherchemethode
Die Literaturrecherche wurde in zwei Zeitabschnitte aufgeteilt. Die erste Recherche wurde im Jahr 2021 vorgenommen. Eine Überprüfung der Ergebnisse erfolgte im Jahr 2024. Ziel war die Feststellung der Entwicklung in beiden Forschungsfeldern durch den anschließenden Vergleich der Daten. Für die Recherche wurden die Datenbank „PubMed“ für Bruxismus und die Datenbank „PTSDpubs“ für PTBS ausgewählt.
Es wurden nur englisch- und deutschsprachige Studien herangezogen. Die Suche wurde beendet, wenn nach acht aufeinanderfolgenden Studien in absteigender Reihenfolge keine neuen cues in die Liste aufgenommen wurden.
Recherche 2021
In PubMed wurde die Literatursuche über die MeSH-Funktion und den PubMed Search Builder am 4. Juli 2021 durchgeführt. Der Suchstring „Bruxismus“ lautete:
(“Bruxism”[Mesh] OR bruxer[text word] OR bruxers[text word] OR bruxing[text word] OR bruxist[text word] OR bruxists[text word] OR bruxofacets[text word] OR bruxomania[text word] OR clenching[text word] OR parafunction[text word])
AND
(“Craniomandibular Disorders”[Mesh] OR “Pain”[Mesh] OR “Muscle Fatigue”[Mesh] OR “Muscle Weakness”[Mesh] OR “Muscle Hypertonia”[Mesh] OR “Myalgia”[Mesh] OR “Temporomandibular Joint Disorders”[Mesh] OR “Temporomandibular Joint”[Mesh] OR “Stomatognathic System”[Mesh] OR “Stomatognathic Diseases”[Mesh])
Die Suche ergab 4 202 Treffer. Eine Beschränkung der Suche auf „systematic reviews“ grenzte das Ergebnis auf 72 Treffer ein. Der Zugriff auf die Reviews und die in den Reviews herangezogene Literatur wurde über den VPN-Server des Rechenzentrums der Universität Hamburg sichergestellt.
Anschließend wurden die cues aus den einzelnen Studien herausgearbeitet und in einer Excel-Liste gesammelt. Tabelle 1 zeigt das Beispiel einer cue-Auflistung in einer Studie [11].
Tab. 1 – cues aus der Tabelle [11]
Comparison Results Between Phases 1 and 2 of the Control and Treated Groups (Wilcoxon Test)
Die Suche wurde im August 2021 mit 302 cues beendet.
In der Datenbank PTSDpubs wurde die Literatursuche am 19. August 2021 durchgeführt. Der Suchstring “PTBS” lautete:
(MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (DSM-III-R)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (DSM-III)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (DSM-IV)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (DSM-5)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (ICD-11)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (ICD-10)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD Assessment Instruments”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“PTSD (ICD-9)”))
AND
(MAINSUBJECT.EXACT(“(Stress Disorder Symptoms)”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“Dental Symptoms”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“Musculoskeletal Symptoms”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“Somatic Symptoms”) OR MAINSUBJECT.EXACT(“Neurological Symptoms”))
Die Suche ergab 1 572 Treffer. Eine Beschränkung der Suche auf „systematic reviews“ grenzte das Ergebnis hier auf 9 Treffer ein.
Auch hier wurden die cues aus den in den Reviews untersuchten Studien herausgearbeitet und in einer Excel-Tabelle gesammelt. Die Suche wurde im November 2021 mit 453 cues beendet.
Datenmanagement
Rephrasing
In einem ersten Schritt, dem „rephrasing“, wurden die cues beim Übertrag aus den Studien in die Liste für die Verarbeitung in Excel angepasst. Zum Beispiel wurde der Begriff „Muscular pain“ aus Abbildung 3 zu „muscular_pain“ verändert.
Interpretationslayer
In einem zweiten Schritt wurde ein „Interpretationslayer“ angefertigt. Dazu wurden cue-Gruppen erstellt, die als Sammelbecken für einander zuordenbare cues dienten. Als Beispiel wurde eine Gruppe „grinding“ erstellt, in denen cues wie „grind_per_hour“, „diurnal_tooth_grinding“ und „grind_teeth“ gesammelt wurden.
Das Datenmanagement wurde im Februar 2023 beendet.
Überprüfungsrecherche 2024
Am 23. Juli 2024 startete die Überprüfung der Studienlage für die Jahre 2022–2024 analog zur ersten Suche auf denselben Datenbanken mit exakt denselben Suchstrings. Bei PubMed wurden 110 statt 72 Treffer erzielt mit 648 statt 302 cues. Bei PTSDpubs fanden sich 22 statt 9 Treffer mit 765 statt 453 cues.
Die Gruppen wurden nach Kategorie Bruxismus und PTBS jeweils für die Jahre 2021 und 2024 nebeneinander aufgelistet.
Ergebnisse
Für die Datenauswertung wurde der Jaccard-Koeffizient herangezogen. Er kann als Ähnlichkeitsmaß für Mengen verwendet werden und ist besonders gut für binäre Daten geeignet, da er sich auf das Vorhandensein oder Fehlen von Elementen konzentriert. Um den Koeffizienten von zwei Mengen berechnen zu können, muss die Anzahl der Schnittmenge (A ∩ B) durch die Größe der zu vereinigenden Menge (A U B) geteilt werden. Der kleinste Wert des Jaccard-Koeffizienten liegt bei 0, der größte bei 1. Ein Wert von 1 bedeutet vollständige Überschneidung, ein Wert von 0 keine Überschneidung. Werte zwischen 0 und 1 weisen auf graduelle Ähnlichkeit hin, wobei höhere Werte auf größere Ähnlichkeit hinweisen. Abbildung 2 verbildlicht die Definitionen „Schnittmenge“ und „zu vereinigende Menge“.
Abb. 2: Schnittmenge und zu vereinigende Menge: Die linke Abbildung zeigt die Schnittmenge (grün), die rechte zeigt die zu vereinigende Menge.
Gemäß Nullhypothese (H0) besteht für bestimmte Begriffsgruppen keine relevante Überschneidung in der Bruxismus- und PTBS-Forschung entsprechend einem Jaccard-Koeffizienten ≤ 0,2.
Um die Hypothese zu überprüfen, muss die Nullhypothese (H0) widerlegt werden. Für die Berechnung wurde ein Schwellenwert von 0,2 für den Jaccard-Koeffizienten festgelegt. Die Jaccard-Koeffizienten der zu vergleichenden Gruppen sind in Abbildung 3 dargestellt.
Abb. 3: Jaccard-Koeffizienten der verglichenen Gruppen „Bruxismus“ und „PTBS“ 2021 und 2024 im Vergleich:
Auf der x-Achse sind die Größen der Gruppe 1 (Bruxismus) angegeben, auf der y-Achse die der Gruppe 2 (PTBS). Die Punkte im Diagramm geben die Schnittmenge der beiden Gruppengrößen wieder. Die danebenstehende Zahl bezieht sich auf die jeweilige in der Legende aufgeführte Begriffsgruppen, der die entsprechende Zahl zugeordnet wurde. Der farbige Balken gibt die Ähnlichkeit der Mengen laut Jaccard-Koeffizienten an. Die Punkte im Koordinatensystem sind entsprechend des errechneten Jaccard-Koeffizienten eingefärbt. Je stärker lila, desto weniger Überschneidung, je gelber, desto mehr Überschneidung ist vorhanden.
Insgesamt zeigt sich die Tendenz, dass mit zunehmender Gruppengröße die Ähnlichkeit abnimmt. Die Recherche von 2021 weist insgesamt nur eine geringe Ähnlichkeit auf (0–0,16), wohingegen die Daten von 2024 Jaccard-Koeffizienten von bis zu 0,5 aufweisen.
In beiden Betrachtungsjahren weist die Gruppe „somatization“ für die entsprechende Auswertung einen höheren Ähnlichkeitskoeffizienten auf (0,16 in 2021 und 0,5 in 2024), die Gruppe „anxiety“ kommt in beiden Abschnitten auf mittlere Werte (0,1 in 2021 und 0,3 in 2024). Die Gruppe „stress“ weist in 2021 mit 0,16 den für das Auswertejahr höchsten Wert auf, und kommt in 2024 auf 0,1. Hier zeigt sich allerdings eine gewisse Konstante. Die Gruppe „interference_with_sleep“ zeigt in 2021 einen Score von 0,06 und in 2024 einen von 0,2 und entspricht damit nur einer geringen Ähnlichkeit. Hervorzuheben ist jedoch, dass es sich bei dieser Gruppe um eine der größten Gruppen mit darin gesammelten cues handelt.
Diskussion
Gemeinsame Forschungsfelder „Bruxismus“ und „PTBS“
Die vorliegende Analyse zeigt, dass sich die Forschungsfelder Bruxismus und PTBS in den vergangenen Jahren zunehmend angenähert haben. Dies spiegelt sich insbesondere im Anstieg der Jaccard-Koeffizienten wider, die als Maß für die thematische Überschneidung der verwendeten Begriffe dienen. Diese Entwicklung lässt sich vermutlich auf die wachsende Bedeutung interdisziplinärer Forschung und eine verstärkte Integration psychosomatischer und zahnmedizinischer Ansätze zurückführen.
Somatization
Besonders die Gruppe „somatization“ sticht hervor: Die Zunahme der Überschneidung in dieser Begriffsgruppe legt nahe, dass somatische Symptome eine zentrale Schnittstelle zwischen den physischen Manifestationen des Bruxismus und den psychischen Belastungen bei PTBS bilden könnten. Dies steht im Einklang mit aktuellen Studien, die darauf hinweisen, dass körperliche Beschwerden häufig als Ausdruck psychischer Belastungen auftreten und umgekehrt [1].
Anxiety
Auffällig ist auch die Entwicklung der Gruppe „anxiety“, die in beiden Untersuchungszeiträumen eine mittlere, aber steigende Überschneidung aufweist. Dies könnte darauf hindeuten, dass Angststörungen sowohl im Kontext von Bruxismus als auch bei PTBS eine relevante Rolle spielen – ein Befund, der durch zahlreiche klinische Beobachtungen und epidemiologische Studien gestützt wird [21].
Stress
Demgegenüber ist der Rückgang des Jaccard-Koeffizienten für die Gruppe „stress“ möglicherweise Ausdruck einer zunehmenden Differenzierung innerhalb der Forschung: Während Stress früher als unspezifischer Sammelbegriff verwendet wurde, erfolgt heute eine spezifischere Beschreibung, etwa durch die Unterteilung in Angst, Schlafstörungen oder andere psychische Belastungen. „Stress“ wird in klar abgegrenzte Subtypen wie Angststörungen und verschiedene Schlafproblematiken aufgeteilt und deren wechselseitige Beziehungen analysiert [13][24].
Limitationen
Die Limitationen der vorliegenden Arbeit zeigen, dass methodische Verfeinerungen dringend erforderlich sind.
Zuordnung der cues
Die subjektive Zuordnung der cues zu bestimmten Gruppen birgt ein erhebliches Verzerrungspotenzial, das durch die Einbindung mehrerer unabhängiger Beurteiler und die Entwicklung standardisierter Zuordnungskriterien reduziert werden könnte. Darüber hinaus könnte die Berücksichtigung der Häufigkeit einzelner cues sowie eine Gewichtung nach ihrer klinischen Relevanz die Aussagekraft der Analysen erhöhen.
Literaturbasis
Ein weiterer methodischer Aspekt betrifft die Auswahl und Breite der Literaturbasis. Die Fokussierung auf systematische Reviews aus den Datenbanken PubMed und PTSDpubs gewährleistet zwar eine hohe Qualität der eingeschlossenen Studien, schließt jedoch relevante Literatur aus anderen Quellen wie RCTs, Buchkapiteln, Konferenzbeiträgen oder nicht-englischsprachigen Arbeiten aus. Dies könnte dazu führen, dass bestimmte Aspekte der Thematik unterrepräsentiert bleiben. Zukünftige Analysen sollten daher eine noch umfassendere Literatursuche und gegebenenfalls auch eine Handsuche einschließen, um das Spektrum der relevanten Forschung vollständig abzubilden.
Jaccard-Koeffizient allein nicht ausreichend
Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass der Jaccard-Koeffizient als rein quantitatives Maß keine Aussage über die inhaltliche Tiefe oder klinische Bedeutung der Überschneidungen erlaubt. Alle cues werden gleich gewichtet, unabhängig davon, wie häufig sie in der Literatur genannt werden oder wie relevant sie für die Praxis sind. Der niedrige Schwellenwert von 0,2 wurde gewählt, um auch subtile Verbindungen zwischen den Forschungsfeldern zu identifizieren. Bei dieser ersten explorativen Analyse kann ein niedriger Schwellenwert helfen, potenziell interessante Bereiche zu identifizieren, die dann genauer untersucht werden können. Zum einen wird das Risiko reduziert, mögliche relevante Überschneidungen zu übersehen, da auch weniger stark überlappende Mengen berücksichtigt werden. Zum anderen kann ein darunter liegender Schwellenwert, zum Beispiel 0,1, zu einer höheren Anzahl falsch positiver Ergebnisse führen. Das bedeutet, Verbindungen, die eigentlich nicht relevant sind, werden als signifikant eingestuft. Basierend auf den vorherig genannten Limitationen, insbesondere der Subjektivität bei der cue-Auswahl sowie der Vereinfachung durch die cue-Gruppierung, wurde der Schwellenwert von 0,2 für den Jaccard-Koeffizienten als sinnvoll erachtet. Er bildet einen ausgewogenen Ansatz, um sowohl relevante Überschneidungen zwischen den Begriffsgruppen zu identifizieren als auch die Anzahl falsch-positiver Ergebnisse zu begrenzen.
Die Entwicklung ergänzender qualitativer Analyseverfahren könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten, um die tatsächliche Bedeutung der identifizierten Überschneidungen besser zu erfassen.
Zusammenfassende Bewertung
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Erforschung der Schnittstellen zwischen Bruxismus und PTBS ein vielversprechendes Feld für zukünftige interdisziplinäre Studien darstellt. Die zunehmende thematische Annäherung der beiden Forschungsbereiche eröffnet neue Perspektiven für ein besseres Verständnis der wechselseitigen Zusammenhänge und für die Entwicklung ganzheitlicher Therapieansätze. Gleichzeitig machen die identifizierten Limitationen deutlich, dass methodische Sorgfalt und eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Analyseverfahren unerlässlich sind, um valide und praxisrelevante Erkenntnisse zu gewinnen.
Fazit für die Praxis
Somatische Symptome zeigen einen wichtigen Zusammenhang zwischen den körperlichen Manifestationen des Bruxismus und den psychischen Belastungen bei PTBS auf. Gleichzeitig findet sich eine zunehmende Überschneidung der Forschungsfelder auch in dem Begriff „anxiety“. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass interdisziplinäre Ansätze zur Erforschung dieser Phänomene dringend erforderlich sind. Die Somatisierung könnte künftig eine Schlüsselrolle für interdisziplinäre Studien einnehmen.
Ganzheitlicher Ansatz erforderlich
Für die Praxis bedeutet dies, dass eine engere Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizin und Traumapsychologie notwendig ist, um Patienten mit Bruxismus und/oder PTBS umfassender und zielgerichteter diagnostizieren und behandeln zu können. Praktisch sollten Patienten mit Bruxismus systematisch auf psychische Belastungen, insbesondere Traumafolgestörungen, gescreent werden, während bei PTBS-Betroffenen verstärkt somatische Symptome im orofazialen Bereich berücksichtigt werden sollten. Die Behandlung sollte ganzheitlich erfolgen und neben zahnmedizinischen Maßnahmen auch psychotherapeutische Interventionen, Stressmanagement und Schlaftherapie umfassen, da Schlafstörungen eine zentrale Rolle bei beiden Erkrankungen spielen. Die Koordination zwischen verschiedenen Fachdisziplinen, wie Zahnärzten, Psychotherapeuten und Schlafmedizinern, ist dabei essenziell, um eine umfassende Versorgung sicherzustellen.
Für die Zukunft bieten sich spezialisierte Versorgungsstrukturen insbesondere für die Wehrmedizin an, die zahnmedizinische und traumapsychologische Expertise bündeln, um eine vorausschauende medizinische Versorgung im Interesse der Kameraden und des Dienstherrn zu ermöglichen. Der Einsatz digitaler Screening- und Monitoring-Tools erlaubt eine frühzeitige Identifikation von Risikopatienten. Zudem könnten personalisierte Therapieansätze, unterstützt durch Big Data und künstliche Intelligenz, die Behandlungsqualität weiter verbessern. Um diese Potenziale auszuschöpfen sind Fortbildungen für alle beteiligten Berufsgruppen notwendig, die das Bewusstsein für psychosomatische Zusammenhänge stärken und die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern.
Nicht zuletzt sind methodische Weiterentwicklungen in der Forschung erforderlich, um die Validität zukünftiger Analysen zu erhöhen. Standardisierte Definitionen, größere multizentrische Studien und die Entwicklung validierter Screening-Instrumente sind wichtige Schritte, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Bruxismus und PTBS besser zu erfassen und evidenzbasierte Therapieempfehlungen abzuleiten. Insgesamt zeigt sich, dass die Verbindung der beiden Forschungsfelder konkrete Verbesserungen in der Patientenversorgung ermöglichen kann, die direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und Einsatzfähigkeit der Truppe haben.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Justenhoven C, Lüpke M, Beikler T: Zähneknirschen und Trauma: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang von Bruxismus und posttraumatischer Belastungsstörung. WMM 2025; 69(7–8): 325-332.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-567
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Christian Justenhoven
Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg, Zahnarztgruppe
Universität der Bundeswehr München
Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg
E-Mail: christianjustenhoven@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Justenhoven C, Lüpke M, Beikler T: [Teeth Grinding and Trauma: New Findings on the Link between Bruxism and PTSD.] WMM 2025; 69(7–8): 325-332.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-567
For the Authors
Major (MC) Christian Justenhoven
Dentistry Section Medical Clinic Neubiberg
University of the Bundeswehr Munich
Werner-Heisenberg-Weg 39, D-85579 Neubiberg
Snus-induzierte orale submuköse Fibrose – ein klinisch-histopathologischer Fallbericht
Snus-induced Oral Submucous Fibrosis – a Clinical and Histopathological Case Report
Lukas Grebera, Stephan Ihrlerb
a Sanitätsunterstützungszentrum München
b Dermpath München
Zusammenfassung
In vielen asiatischen Ländern, insbesondere Indien, besteht ein etablierter Zusammenhang zwischen dem Konsum rauchloser Tabakprodukte – vor allem in Kombination mit der Betelnuss – und einer erhöhten Inzidenz von Mundhöhlenkarzinomen. Eine wichtige Vorstufe ist die orale submuköse Fibrose (OSMF), eine chronisch-entzündliche Erkrankung mit fortschreitender Fibrosierung der Submukosa und Einschränkung der Mundöffnung. Ein zunehmend verbreitetes Produkt in Deutschland und vor allem im militärischen Umfeld ist Snus – ein traditionelles schwedisches Oraltabakprodukt. Epidemiologische Studien zeigen bislang keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Snus-Konsum und Mundhöhlenkarzinomen, belegen jedoch das Vorkommen mutagener Substanzen wie Nitrosamine.
Diese Arbeit präsentiert erstmals eigene klinische und histopathologische Befunde zu Schleimhautveränderungen im Zusammenhang mit Snus-Konsum. Zudem werden dentale und parodontale Auswirkungen wie Zahnverfärbungen, Abrasionen, Karies, Gingivitis und Parodontitis beschrieben. Histologisch zeigte sich eine Entwicklung von reaktiver Gingivitis bis hin zu submuköser Fibrose, insbesondere an der bevorzugten Applikationsstelle im Vestibulum maxillare.
Die Ergebnisse verdeutlichen die potenziellen Risiken von Snus für die Mundgesundheit und unterstreichen die Notwendigkeit klinischer Überwachung sowie weiterführender Studien, um langfristige Folgen und mögliche kanzerogene Wirkungen genauer zu erfassen.
Schlüsselwörter: Snus, orale submuköse Fibrose, Hyperkeratose, Schleimhautveränderung, Parodontitis, Mundschleimhaut
Summary
In many Asian countries, particularly India, there is an established link between the consumption of smokeless tobacco products – especially in combination with betel nut – and an increased incidence of oral cavity carcinomas. A critical stage is oral submucosal fibrosis (OSMF), a chronic inflammatory disease characterized by progressive fibrosis of the submucosa and restriction of mouth opening. An increasingly widespread product in Germany and, especially in the military environment, is snus – a traditional Swedish oral tobacco product. Epidemiological studies have so far shown no clear link between snus consumption and oral cavity carcinomas but do confirm the presence of mutagenic substances such as nitrosamines.
This paper presents the first clinical and histopathological findings on mucosal changes associated with snus consumption. In addition, dental and periodontal effects, such as tooth discoloration, abrasions, caries, gingivitis, and periodontitis, are described. Histologically, a development from reactive gingivitis to submucosal fibrosis was found, particularly at the preferred site of application in the maxillary vestibule.
The results highlight the potential risks of snus to oral health and emphasize the need for clinical monitoring and further studies to more accurately assess the long-term consequences and possible carcinogenic effects.
Keywords: Snus; oral submucous fibrosis (OSMF); hyperkeratosis; mucosal alterations; periodontitis; oral mucosa
Einleitung und Hintergrund
In vielen asiatischen Ländern, insbesondere in Indien, besteht ein klar belegter Zusammenhang zwischen dem Konsum rauchloser Tabakprodukte, vor allem in Kombination mit dem Kauen von Betelnuss, und einer erhöhten Inzidenz von Mundhöhlenkarzinomen. Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich gut untersucht und durch zahlreiche epidemiologische Studien belegt. In den meisten Fällen verläuft die maligne Transformation über die Entwicklung einer oralen submukösen Fibrose (OSMF), einer chronisch-entzündlichen Erkrankung mit progressiver Fibrosierung der Submukosa und Einschränkung der Mundöffnung. OSMF ist als anerkannte Präkanzerose klassifiziert, mit einer Malignitätsrate von 2–8 % [13]. Die kanzerogene Wirkung wird vor allem auf reaktive Sauerstoffspezies (ROS), freie Radikale und tabakspezifische Nitrosamine zurückgeführt, die DNA-Schäden und Mutationen verursachen [5]. In stark exponierten Bevölkerungsgruppen lassen sich bis zu 66 % der oralen Karzinome dem Gebrauch von Kautabakprodukten zuschreiben [9][13]. Während die Rolle von Betelnuss und Kautabak in der Krebsentstehung im asiatischen Raum gut dokumentiert ist, wird die kanzerogene Relevanz von Snus, einem traditionellen schwedischen Oraltabakprodukt, bislang deutlich weniger beschrieben. Dennoch deuten aktuelle Untersuchungen darauf hin, dass auch der Konsum von Snus mit mukosalen Veränderungen assoziiert ist [10][20].
Snus erfreut sich auch in Deutschland und vor allem im militärischen Umfeld zunehmender Beliebtheit. Es handelt sich um feuchten Tabak, entweder als Paste oder in Beuteln mit Zusatzstoffen wie Feuchthaltemitteln, Salzen und Aromen, der meist zwischen Oberlippe und Zahnfleisch platziert wird. Die Anwendung dauert meist 20 bis 60 Minuten, manche Konsumenten verwenden Snus über mehrere Stunden hinweg. Im Gegensatz zur Betelnuss, deren kanzerogenes Potenzial gut dokumentiert ist, fehlen für Snus eindeutige Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Konsum und der Gefahr der Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen. Die kaum dokumentierten histopathologischen Untersuchungen beschrieben überwiegend verdickte Epithelschichten (Hyperplasie) mit reduzierter Zellproliferation, jedoch nur selten dysplastische Veränderungen [15][22]. In einer Untersuchung mit 15 000 Konsumenten zeigten sich bei 157 Probebiopsien nach 9,5 Jahren keine Dysplasien oder Malignome [24][25]. Auch in einer weiteren Studie wies keine der 114 Proben zelluläre Atypien oder Dysplasien auf [4]. Zudem zeigen Langzeitstudien, dass Snus-induzierte Läsionen nach Absetzen des Konsums meist nicht fortschreiten und rückläufig sind [23].
Auf der anderen Seite enthält Snus neben Nikotin auch tabakspezifische Nitrosamine (TSNAs), die genotoxisch wirken können. Zellstudien belegten DNA-Schäden, erhöhte Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) und eine Hemmung der Apoptose [17]. In einer anderen Studie wurden Dysplasieraten von 3,1 % sowie präkanzeröse oder kanzeröse Veränderungen von 6,2 % dokumentiert [22]. Unterschiede in den Befunden könnten auf die lange Entstehungszeit von Karzinomen und die breite Produktvielfalt der Snusprodukte mit variierender Toxizität zurückzuführen sein. Tierstudien dokumentieren bei Langzeitexposition vereinzelte maligne Tumoren [12]. Demnach zeigen sich Schleimhautveränderungen, doch bislang fehlt ein eindeutiger histologischer Nachweis für eine kanzerogene Wirkung beim Menschen. Angesichts der wachsenden Verbreitung dieses Produkts – insbesondere in Regionen, in denen OSMF nicht endemisch ist – sind weiterführende Untersuchungen dringend erforderlich. Zur weiteren Bewertung der Schleimhautveränderungen unter Snus-Einfluss werden im Folgenden erstmals klinische und histologische Befunde dargestellt.
Kasuistik
Im Rahmen einer zahnärztlichen Routineuntersuchung stellte sich ein männlicher Patient Anfang 30 mit klinisch auffälligen Schleimhautveränderungen im Vestibulum des Oberkiefers vor (Abbildung 1). Der Patient konsumierte seit etwa fünf Jahren regelmäßig Snus, mit täglicher Applikation über mehrere Stunden.
Abb. 1: Klinische Situation in A mit Lokalisation der Probeentnahmestellen (Rechtecke 1, 2). Ledrig verfärbte und hyperkeratotische Schleimhaut im linken Vestibulum bis zu den Zähnen. An den Zähnen 21–23 Rezessionen (Pfeile) mit empfindlichen Zahnhälsen. B zeigt die postoperative Situation. C/D entnommenes Gewebe. (Bild: L. Greber).
Anfangsbefund
Im linken Vestibulum des Oberkiefers zeigt sich eine ausgeprägte Schleimhautveränderung im Bereich der Zähne 21 bis 23, beginnend an der ehemaligen Schmelz-Zement-Grenze und sich über die Umschlagfalte hinausziehend. Die Schleimhaut wirkt verfärbt, vermutlich infolge Tabakeinlagerungen. Im Bereich des Snus-Applikationsortes – vom Lippenbändchen bis distal regio 23 – ist klinisch deutlich eine Hyperkeratose erkennbar, begleitet von vermehrter Faltenbildung und einer weißlich-gräulichen Oberfläche. Die Veränderung ist diffus auslaufend und ohne exakte Abgrenzung zur angrenzenden gesunden Schleimhaut. Im Gegensatz zu den freiliegenden Zahnhälsen ist die Mundschleimhautläsion nicht schmerzhaft. Die Veränderung ist ausschließlich einseitig ausgeprägt auf der linken Seite, konsistent mit der angegebenen Applikationsgewohnheit. Es bestehen massive gingivale Rezessionen an den Zähnen 21–23.
Diagnostik
Da Veränderungen der Mundschleimhaut grundsätzlich bis zur gesicherten Diagnose als tumorverdächtig zu betrachten sind, wurde eine Fotodokumentation zur klinischen Verlaufskontrolle angefertigt. Der Patient wurde aufgefordert, den Snus-Konsum vollständig einzustellen bzw. mindestens die Applikationsstelle zu wechseln. Eine Wiedervorstellung erfolgte nach zwei Wochen. Da in diesem Zeitraum keine Anzeichen einer Rückbildung der Läsion erkennbar waren, wurde entsprechend den aktuellen Empfehlungen bei Mundschleimhautveränderungen eine histopathologische Diagnosesicherung mittels Biopsie eingeleitet.
Biopsie
Unter lokaler Anästhesie erfolgten in der truppenzahnärztlichen Einrichtung mit oralchirurgischer Ambulanz zwei Biopsien. Die erste Inzisionsbiopsie erfolgte im Vestibulum regio 23 im Übergang zur gesund erscheinenden Mundschleimhaut, die zweite (Stanzbiopsie) zentral der Veränderung. Beide Wunden wurden mit Einzelknopfnähten unter Verwendung von Vicryl 4–0 (V5, Ethicon) verschlossen. Am Folgetag zeigte sich ein stadiengerechter Heilungsverlauf ohne Hinweise auf Schwellung, Blutung oder Schmerzen; die Nähte waren reizlos in situ. Am 9. postoperativen Tag erfolgte die Nahtentfernung.
Befunde
Histopathologie
Das entnommene Gewebe wurde in Formalin fixiert, paraffineingebettet und anschließend mittels Hämatoxylin-Eosin-Färbung untersucht. Zusätzlich kamen immunhistochemische Verfahren zur Anwendung, um eine weiterführende Differenzierung der Gewebeveränderungen zu ermöglichen (Abbildung 2).
Die histopathologische Untersuchung des entnommenen Materials zeigte eine akanthotische und massiv papillomatöse Schleimhaut mit stellenweise parakeratotischer Hornschicht und nur eine geringfügige Spongiose. Im Corium stärkere lymphohistiozytäre Zellinfiltrate mit wenigen neutrophilen Granulozyten und vermehrten Plasmazellen. Die Zellen zeigten keine Atypien. Die PAS-, Ki67- (Abbildung 2C) und p53-Färbung sind unauffällig.
Im Bindegewebe fand sich eine massive submuköse Fibrose (Abbildung 2B). In der ERG-Färbung zeigte sich, dass die Kapillaren eindrucksmäßig vermindert waren (Abbildung 2E). Dabei bestand kein Anhalt für eine Dysplasie oder für Malignität, auch kein Nachweis einer Candidose. Histopathologisch entsprach die Mundschleimhautveränderung einer mäßig chronischen Gingivitis mit massiver papillärer Epithelhyperplasie und ausgeprägter submuköser Fibrose (im Kontext des anamnestischen Snus Konsums jedoch paradigmatisch). Auffallend sind die Unterschiede zwischen den beiden Entnahmestellen.
- PE 1: stärkere Entzündung mit bereits vorhandener Fibrose,
- PE 2: weniger Entzündung mit am stärksten fibrosiertem Abschnitt.
Abb. 2: Histopathologischer Befund der PE 1:
Massiv akanthotische und papillomatöse Schleimhaut mit parakeratotischer Hornschicht, geringfügige Spongiose, keine Atypien, darunter massive submuköse Fibrose
Im Corium stärkere lymphohistiozytäre Zellinfiltrate (dominierend CD3; (D)) mit wenigen neutrophilen Granulozyten und vermehrten Plasmazellen.
Die Ki67- (C) und p53-Färbung sind unauffällig.
Kein Anhalt für Dysplasie, kein Nachweis einer Candidose.
Kapillaren in der Fibrose eindrucksmäßig vermindert (ERG; (E))
Bewertung
Fasst man die histologische Analyse zusammen, so zeigen sich in frühen Stadien mäßige bis starke lymphozytäre Infiltrate ohne lichenoiden Charakter mit Akanthose der Schleimhaut und Parakeratose. Mit Fortschreiten tritt eine ausgeprägte, breite submuköse Fibrose mit dann verminderter Entzündung auf. Diese Veränderungen entsprechen weitgehend den histologischen Befunden einer klassischen OSMF, wie häufig in Asien beschrieben [15][19].
Dokumentation und weiteres Vorgehen
Die Dokumentation umfasste neben dem klinischen Befund auch anamnestische Angaben zum Konsumverhalten (Dauer, Häufigkeit, Produktform), zur allgemeinen Gesundheit sowie zur Bereitschaft zur Abstinenz oder Entwöhnung. Der Patient wurde in ein Recall-System aufgenommen und zur engmaschigen Verlaufskontrolle einbestellt.
Tab. 1: Klinische Klassifikation mukosaler Läsionen nach Greer und Poulsen [8]
Diskussion
Die orale submuköse Fibrose (OSMF) wird von der Weltgesundheitsorganisation als potenziell maligne Erkrankung eingestuft [28]. Obwohl der Zusammenhang zwischen OSMF und dem Konsum von Betelnuss gut belegt ist, bleibt die Rolle von Snus als Risikofaktor bislang unzureichend belegt. Die vorliegende Kasuistik liefert eindrucksvolle histopathologische Befunde, die mit dem klinischen Bild von Snus-assoziierten Schleimhautveränderungen korrelieren. Darüber hinaus werden parodontale und dentale Konsequenzen beleuchtet. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Snus, insbesondere in Regionen ohne endemische OSMF-Prävalenz, ist eine intensivere Beleuchtung dieses Zusammenhangs dringend erforderlich.
Snus-assoziierte Veränderungen im oralen Bereich
Snus-Konsum ist mit verschiedenen Veränderungen an Zähnen, Parodontium und Schleimhaut assoziiert. Zahnverfärbungen treten infolge der Einlagerung pigmentierter Inhaltsstoffe auf, ebenso wie abrasionsbedingter Substanzverlust durch mechanische Bestandteile. Gleichzeitig begünstigt der hohe Zucker- und Aromastoffanteil eine erhöhte Kariesanfälligkeit. Epidemiologische Daten zeigen bei Snus-Konsumenten ein 67 % erhöhtes Risiko für Zahnverlust im Vergleich zu Nichtrauchern [27].
Im Bereich des Parodontiums führt Snus über chronisch-entzündliche Prozesse zu Taschenbildung, Plaqueakkumulation und einer erhöhten Progressionsrate der Parodontitis [7][14][18]. Zudem entstehen durch mechanische Reizung und begleitende Fibrosierung häufig Gingivarezessionen, wie sie auch in den vorliegenden Fallbeispielen dokumentiert sind. Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass bis zu 17,8 % der Snuskonsumenten Rezessionen im Applikationsbereich aufweisen, wobei Konsumenten von losem Snus stärker betroffen sind [1][2]. Zusätzlich wurden wie auch teilweise im vorliegenden Fall Abfraktionen, Abrasionen und Diskolorationen beobachtet [6][21].
Die zentrale klinisch und histologisch relevante Auswirkung des Snus-Konsums betrifft jedoch die orale Mukosa. Häufig treten im Bereich der Applikationsstellen Leukoplakien und ausgeprägte Hyperkeratosen auf. Eine standardisierte klinische Einordnung bietet die Klassifikation nach Greer und Poulsen [8], welche mukosale Läsionen in drei Schweregrade unterteilt. In der klinischen Beobachtung finden sich bei Snus-Konsumenten bevorzugt Läsionen der Grade 2 und 3 im Vestibulum maxillare.
Snus und Plattenepithelkarzinom
Die histologische Untersuchung der Snus-induzierten Schleimhautläsionen zeigt in frühen Stadien mäßige lymphozytäre Infiltrate, Akanthose und Parakeratose. Mit Fortschreiten dominiert eine ausgeprägte submuköse Fibrose bei gleichzeitig rückläufiger Entzündungsaktivität – ein Muster, das den histologischen Merkmalen einer OSMF entspricht [8].
In Asien ist der Übergang von OSMF zu Plattenepithelkarzinomen gut belegt. Dort liegt die maligne Entartungsrate bei 2–8 % [28]. Klassisch wird OSMF durch Betelnuss (Arecanuss) durch das Areca-Alkaloid Arecolin getriggert, welches über den TGF-β1-Signalweg zu einer Dysbalance zwischen Kollagenproduktion und -abbau führt und so eine irreversible Fibrosierung verursacht. Zusätzlich fördert oxidativer Stress durch reaktive Sauerstoffspezies (ROS) DNA-Schäden und entzündliche Umbauprozesse [8]. Neuere Studien zeigen, dass Snus ähnliche fibrotische Umbauprozesse induzieren kann [10].
Obwohl Snus kein Arecolin enthält, scheint es über alternative Mechanismen – etwa chronische Hypoxie, lokale Reizung und tabakspezifische Nitrosamine (TSNA) – zu vergleichbaren fibrotischen Umbauprozessen zu führen [11]. Pathophysiologisch lässt sich der Übergang von Reiz zu potenzieller Präkanzerose anhand des präsentierten Falles nachvollziehen: Die wiederholte lokale Applikation von Snus ist eine chronische Noxe, die mechanisch, chemisch und toxisch wirkt. Initial entsteht eine akute Entzündung mit lymphozytärer Infiltration. Wird der Reiz nicht eliminiert, chronifiziert die Entzündung; proinflammatorische Zytokine stimulieren Fibroblasten, was zu übermäßiger Kollagenproduktion und submuköser Fibrose führt [16]. Gleichzeitig treten epitheliale Umbauprozesse wie Akanthose und Parakeratose auf. In späten Stadien kann diese Matrix als dysregulierte Mikroumgebung präkanzeröse Veränderungen begünstigen – insbesondere unter Persistenz des auslösenden Agens. Die dabei entstehenden submukosalen Veränderungen sind von potenzieller präkanzeröser Relevanz.
Heterogene Studienlage
Die Bewertung dieser Befunde erfordert Vorsicht. Während einige Snus-induzierte Läsionen nach Konsumverzicht regredient erscheinen [26], erfüllen persistierende Mundschleimhautveränderungen die Kriterien einer potenziellen Präkanzerose. Historische Daten aus Schweden [3][4] wiesen auf ein erhöhtes Karzinomrisiko hin, stehen aber im Kontrast zu neueren prospektiven Erhebungen – ein Indiz für die Heterogenität der Studienlage. Die lange Latenzzeit oraler Karzinome (10–30 Jahre) erschwert zusätzlich die Bewertung eines kausalen Zusammenhangs.
Variabilität von Snus-Produkten
Ein weiteres Problem stellt die große Variabilität von Snus-Produkten dar, was eine pauschale Einordnung ihrer Auswirkungen erschwert. Die Zusammensetzung beeinflusst maßgeblich die lokale Toxizität und Reaktivität.
Fazit
Nicht zuletzt die Variabilität von Snus-Produkten unterstreicht die Notwendigkeit individualisierter klinischer Überwachung und einer differenzierten Risikobewertung. In einer geplanten prospektiven Studie sollen diese Befunde validiert und Frühdiagnostik sowie Therapieoptionen weiterentwickelt werden. Die Etablierung eines Recall-Systems (alle 3–6 Monate) ist als sinnvoll zu erachten.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Greber L, Ihrler S: Snus-induzierte orale submuköse Fibrose – Ein klinisch-histopathologischer Fallbericht. WMM 2025; 69(7–8): 333-337.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-565
Für die Verfasser
Oberstabsarzt
Dr. med. dent. Lukas Greber
Zahnarztgruppe Kaufbeuren
Sanitätsunterstützungszentrum München
Apfeltrangerstraße 15, 87600 Kaufbeuren
E-Mail: lukasgreber@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Greber L, Ihrler S: [Snus-induced Oral Submucous Fibrosis – A Clinical and Histopathological Case Report.] WMM 2025; 69(7–8): 333-337.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-565
For the Authors
Major (MC) Dr. Lukas Greber, MD
Dentistry Section Kaufbeuren
Medical Support Centre Munich
Apfeltrangerstraße 15, D-87600 Kaufbeuren
E-Mail: lukasgreber@bundeswehr.org