CASEVAC – Optionen für Inhalte einer strukturierten Ausbildung für nicht-medizinisches Evakuierungspersonal
Oliver C. Thielea, Mike von Rettbergb, Andreas Sakkasc, Lars Engelsd, Christian Schambergere
a 9./Fallschirmjägerregiment 31, Seedorf und Universitätsklinikum Köln
b Ausbildungszentrum spezielle Operationen, Pfullendorf und Klinikum Ludwigshafen
c Bundeswehrkrankenhaus Ulm
d 5./ Versorgungsbataillon 7, Unna
e 9./Fallschirmjägerregiment 31, Seedorf und Universitätsklinikum Heidelberg
Hintergrund und Zielsetzung
Der Begriff CASEVAC („casualty evacuation“) bezeichnet in Abgrenzung zum Begriff Medevac den Evakuierungsvorgang Verwundeter durch nicht-medizinisches Personal und mittels nicht speziell medizinisch ausgerüsteter und gekennzeichneter Transportmittel. Grundsätzlich ist die Option des CASEVAC immer eine Notlösung und nicht als Erstoption in der Rettungskette vorgesehen, da es zu Qualitätsverlusten in der Versorgung der Verwundeten kommt.
Weiterhin werden Einsatzszenarien mit sehr kurzer Dauer (z. B. Militärische Evakuierungs-Operationen (MEO)), mit mittlerer bis längerer Dauer und asymmetrischer Bedrohungslage (z. B. internationale Stabilisierungseinsätze), aber priorisiert nun das Szenario der Landes-/Bündnisverteidigung (LV/BV) mit dem hochintensiven Gefecht der verbundenen Waffen zur Aufgabe der Streitkräfte gehören.
Die Autoren dieses Beitrags – aktive Soldaten und Reservisten mit medizinischem und nicht- medizinischem Hintergrund und verschiedenen Verwendungen in der Bundeswehr, erstellten basierend auf eigenen Überlegungen und aus der nur in sehr geringem Umfang zur Verfügung stehenden Literatur zum Thema (v. a. aus den US-amerikanischen Streitkräften) eine Übersicht, wie eine CASEVAC-Situation in der Bundeswehr entstehen könnte und wie die möglichen Beteiligten darauf bestmöglich vorbereitet sein könnten.
Ergebnisse
Im LV/BV-Fall wird die „golden hour of trauma“ mit entsprechend kurzen Evakuierungszeiten mit durchgehender medizinisch hochqualifizierter Versorgung für Verwundete in vielen Fällen nicht einzuhalten sein. Gleiches gilt für bestimmte Einsatzszenarien von Spezialkräften und spezialisierten Kräften bereits jetzt. Gerade bei fehlender Lufthoheit/-überlegenheit und bei guten Aufklärungs- und Angriffsmöglichkeiten durch zunehmenden Einsatz von Drohnen (FPV u. a.) müssen Optionen gedacht werden, um eine schnellstmögliche Evakuierung einer größeren Zahl Verwundeter mit möglichst geringem Qualitätsverlust in der Versorgung zu gewährleisten. Wie aus bisherigen Einsätzen von Spezialkräften und spezialisierten Kräften, aber auch aus den Erfahrungen im Ukrainekrieg bekannt, bietet der CASEVAC-Einsatz eine Alternative, wenn aus verschiedenen Gründen ein Einsatz von Medevac bzw. die Kapazität der Rettungskette des Sanitätsdienstes nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen.
In der Bundeswehr würden im Falle LV/BV verschiedene Transportoptionen (z. B. Versorgungs- bzw. Logistikbataillone mit dem System MULTI – „mechanisierte Umschlag-Lagerung-Transport-Integration“ mit containerbasierten Optionen, aber auch mittlere Kräfte oder Heeresflieger, Luftwaffe und Marine, sowie zivile Bus und Bahnsysteme) für CASEVAC potenziell zur Verfügung stehen.
Abb. 1: Transportoptionen für eine improvisierte Rettungskette mit Nicht-Sanitätsfahrzeugen
Optionen der CASEVAC-Ausbildung
Basierend auf einer strukturierten modularen Ausbildung – möglichst aufbauend auf der Tactical Combat Casualty Care (TCCC)- bzw. Taktische Verwundetenversorgung (TVV)-Ausbildung – muss diskutiert werden, ob analog zu spezialisierten und Spezialkräften (Stichwort Combat First Responder (CFR) A-C) bestimmte Nicht-Sanitätssoldaten für CASEVAC-Aufgaben in modularen Systemen ausgebildet werden sollten. Dieses soll den Qualitätsverlust der Versorgung während der CASEVAC-Situation möglichst gering halten. Hierbei kann die dritte Phase der TCCC (Tactical Evacuation Care (TEC)) mit den entsprechenden Fähigkeiten für bestimmte Nicht-Sanitätseinheiten geschaffen werden.
Auch die Option, Sanitätspersonal als CASEVAC-Teams mit entsprechender Ausrüstung („CASEVAC-Satz“) auszubilden – basierend auf einer zusätzlichen Ausbildung korrespondierend zur Prolonged Casualty Care (PCC) – wäre eine Möglichkeit, den Qualitätsverlust der medizinischen Versorgung bei CASEVAC-Szenarien zu reduzieren. Hierbei müsste dann der Fokus der Zusatzausbildung mehr auf die technische Ausbildung an den nicht-medizinischen Transportmöglichkeiten gerichtet werden. Natürlich wären beide Lösungen als Parallelansatz (modulare CASEVAC-Ausbildung für Sanitätsdienst und Nicht-Sanitätsdienst) wünschenswert, um im CASEVAC-Fall über möglichst viel Einsatzflexibilität zu verfügen.
Diskussion und Fazit
CASEVAC soll nicht als Alternative zum Medevac-Einsatz bzw. zum Ablauf der allgemeinen Rettungskette gesehen werden. CASEVAC ist ein Ersatz bei Ausfall oder völliger Überlastung der Rettungskette. Um einen unvermeidlichen Qualitätsverlust der medizinischen Versorgung während CASEVAC so gering wie möglich zu halten, ist aus unserer Sicht eine Ausbildung von CASEVAC-Personal notwendig, und zwar sowohl im Sanitätsdienst als auch in der Truppe selbst.
Hierbei wird bei der Ausbildung von Sanitätspersonal der Schwerpunkt auf der Bedienung der einsetzbaren Fahrzeuge und deren technischen Besonderheiten, sowie sekundär auf der notwendigen medizinischen Zusatzausstattung mit Schwerpunkt auf TEC und PFC/PCC Grundlagen liegen.
Bei Nicht-Sanitätspersonal sollte eine Basisausbildung an den jeweils vorhandenen Fahrzeugen in der CASEVAC-Verwendung erfolgen, der Schwerpunkt müsste aber in der erweiterten medizinischen Ausbildung unter Anwendung der o.g., auf dem TCCC-Konzept basierenden Techniken liegen. Die Ausbildung kann sinnvollerweise modular und blockweise strukturiert erfolgen.
Die Schaffung eines möglichen „Ausbildungszentrums CASEVAC“ zur modularen technischen und medizinischen Ausbildung von Sanitäts- und Nicht-Sanitätspersonal kann Ressourcen schonen und mit geringem Aufwand zeitnah umgesetzt werden.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt d. R. Priv.-Doz. Dr. Dr. Oliver Thiele, M.Sc., FEBOMFS
Ostendorfallee 5, 59555 Lippstadt
E-Mail: info@praxis-villa-linhoff.de
Der Beitrag wurde als Poster auf dem 55. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. vom 14. bis 16. November 2024 in Augsburg vorgestellt.
Medizinischer B-Schutz im Fokus: Rückblick auf die Medical Biodefense Conference 2025
Medical Biodefense in Focus: Review of the Medical Biodefense Conference 2025
Markus H Antwerpena, Gordon Wilkea, Roman Wölfela
a Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München
Zusammenfassung
Wissenschaft, Verantwortung und internationale Zusammenarbeit – ein starkes Zeichen aus München
Die Medical Biodefense Conference 2025 (MBDC2025) war mehr als nur eine Konferenz – sie war ein lebendiges Zeugnis dafür, wie wissenschaftlicher Austausch, sicherheitspolitische Verantwortung und internationale Kooperation Hand in Hand gehen können. In einer Zeit globaler Herausforderungen war die diesjährige Tagung ein Ort der konstruktiven Diskussion, des fachlichen Tiefgangs und der spürbaren Aufbruchsstimmung.
Ob hochaktuelle Forschung zu neu auftretenden Krankheitserregern, Diskussionen über die Rolle künstlicher Intelligenz oder Einblicke in internationale Biosicherheitsprojekte – die MBDC2025 hat deutlich gemacht: Nur gemeinsam, über Disziplinen und Grenzen hinweg, können wir die komplexen Fragestellungen im Bereich Biodefense wirksam angehen.
Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr ist stolz, Gastgeber dieser einzigartigen Plattform zu sein – und bedankt sich herzlich bei allen Beteiligten für ihr Engagement, ihre Expertise und den offenen Austausch.
Schlüsselwörter: Wehrmedizin, Biodefense, Tagung, Internationale Zusammenarbeit
Summary
Science, responsibility and international cooperation – a strong signal from Medical Biodefense Conference Munich
The MBDC2025 was more than just a conference – it was a living testimony to how scientific exchange, security policy responsibility, and international cooperation can go hand in hand. In a time of global challenges, this year’s conference was a place of constructive discussion, professional depth, and a palpable spirit of optimism.
Whether it was cutting-edge research on emerging pathogens, discussions on the role of artificial intelligence, or insights into international biosecurity projects, the MBDC2025 made it clear: Only together, across disciplines and borders, can we effectively tackle the complex issues in the field of biodefense.
The Bundeswehr Institute of Microbiology is proud to have hosted this unique platform, and would like to thank all participants for their commitment, expertise, and open exchange.
Keywords: Military Medicine; Biodefense; Conference; International cooperation
Medizinische Biodefense im Fokus: Rückblick auf die MBDC2025
Die 19. Medical Biodefense Conference (MBDC) fand vom 8. bis 10. April 2025 in der Ernst-von-Bergmann-Kaserne in München statt und wurde vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr ausgerichtet. Mit über 430 Teilnehmenden aus 46 Ländern bestätigte die Veranstaltung ihren Status als eine der führenden internationalen Plattformen im Bereich des medizinischen B-Schutzes.
Ein zentrales Thema der diesjährigen Konferenz war das 50-jährige Jubiläum des Biowaffenübereinkommens (BWÜ). In seiner Keynote-Rede würdigte Daniel Feakes, Leiter der Implementation Support Unit des BWÜ bei der UNODA, die bisherigen Erfolge des Abkommens und betonte die Notwendigkeit, angesichts neuer biotechnologischer Entwicklungen die internationale Zusammenarbeit zu intensivieren (Abbildung 1). Die MBDC dient seit ihrer Internationalisierung im Jahr 2009 als vertrauensbildende Maßnahme im Rahmen des BWÜ und fördert den zivil-militärischen Dialog zu Biosicherheitsfragen.
Abb. 1: Keynote von Daniel Feakes (UNODA)
Das wissenschaftliche Programm der Konferenz war thematisch breit gefächert. Schwerpunkte lagen auf innovativen Diagnose- und Detektionsverfahren, dem Einsatz mobiler Labore bei Ausbrüchen sowie aktuellen Bedrohungslagen durch Biotoxine und neu auftretende Erreger. Ein wiederkehrendes Querschnittsthema war die Rolle künstlicher Intelligenz (KI) in der Biotechnologie – etwa bei der Bewertung großer Sprachmodelle (“Large Language Modells”) für diagnostische Zwecke oder beim Einsatz von KI-gestützter Massenspektrometrie zur Erkennung biologischer Kampfstoffe.
Ein weiteres Highlight war die Round-Table-Diskussion, die nach ihrem erfolgreichen Debüt 2023 zum zweiten Mal stattfand (Abbildung 2). Sie brachte Vertreter des Auswärtigen Amts, der Universität der Bundeswehr München, NATO-Partnern sowie des Schweizer Think Tanks Pour Demain zusammen. Im Mittelpunkt stand der Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die Wissenschaft – mit all ihren Potenzialen, aber auch Herausforderungen. Die Diskussion beleuchtete sowohl die Möglichkeiten von KI-gestützter Forschung als auch die Risiken von Fehlinterpretationen und Missbrauch. Besonders intensiv wurde dabei der durch KI befeuerte Bereich von Desinformation und Fake News thematisiert – ein zunehmend sicherheitsrelevanter Aspekt.
Abb. 2: Expertenpanel zur Synthetischen Biologie
Von links nach rechts: Dr. Toni Johansen (FHI, NOR), Patrick Stadler (Pour Demain, CHE), Silke Bellmann (Auswärtiges Amt, DEU), Prof. Dr. Jasmin Riedl (UniBw München, DEU) und Dr. Dr. Petra Dickmann (drc, GBR, Moderatorin)
Das Konferenzdinner in der historischen Flugwerft Schleißheim bot den Teilnehmenden eine besondere Gelegenheit zum informellen Austausch. In stilvoller Atmosphäre zwischen historischen Luftfahrzeugen wurde die internationale und interdisziplinäre Ausrichtung der Konferenz eindrucksvoll unterstrichen (Abbildung 3).
Abb. 3: Konferenzdinner in der Flugwerft Schleißheim
Ein weiterer Programmpunkt war die Vorstellung von Projektaktivitäten des Deutschen Biosicherheitsprogramms, einer Initiative des Auswärtigen Amtes. Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr engagiert sich seit Beginn des Programms in verschiedenen Regionen der Welt. Präsentationen – etwa aus der Sahel-Region und Tunesien, aber auch aus Usbekistan, Georgien und der Ukraine – verdeutlichten den praxisnahen Beitrag Deutschlands zur Stärkung der biologischen Sicherheit in sensiblen Regionen und das gegenseitige Vertrauen in eine langfristige Zusammenarbeit.
Neben den 76 wissenschaftlichen Vorträgen bildeten die 213 Posterbeiträge eine weitere tragende Säule des Konferenzprogramms. Sie ermöglichten den Teilnehmenden, zusätzliche Forschungsergebnisse in kompakter Form kennenzulernen und sich in persönlichen Gesprächen vertieft auszutauschen. Besonders beim wissenschaftlichen Nachwuchs stieß die Postersession auf großes Interesse – nicht nur als Bühne für eigene Arbeiten, sondern auch als Türöffner für den internationalen wissenschaftlichen Dialog.
Die 19. MBDC zeichnete sich durch eine offene, konstruktive Atmosphäre aus, in der der internationale Austausch über komplexe Herausforderungen im Bereich des B-Schutzes gefördert wurde. Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr bedankt sich bei allen Teilnehmenden für ihre Beiträge und die inspirierende Zusammenarbeit. Die 20. MBDC ist für 2027 in München geplant und wird bereits mit Spannung erwartet.
Alle Abbildungen: © copyright, InstMikroBioBw, 2025
Für die Verfasser
Regierungsdirektor Priv.-Doz. Dr. Markus H Antwerpen
Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstr. 11, 80937 München
E-Mail: markusantwerpen@bundeswehr.org