VEXAS-Syndrom – Manifestation einer
ungewöhnlichen neutrophilen Dermatose bei
einem neubeschriebenen hämatologischen Krankheitsbild
VEXAS Syndrome – Manifestation of an Unusual Neutrophilic Dermatosis in a Newly Described Hematologic Condition
Kim Sophie Ennkera, Tina Uhlmanna, Elmar Elsnera, Staffan Vanderseea
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik III – Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Zusammenfassung
Wir stellen einen Patienten mit einer ungewöhnlichen dermatologischen Manifestation auf dem Boden eines neu beschriebenen hämatologischen Krankheitsbildes vor. Im Dezember 2020 erfolgte dessen stationäre Aufnahme mit seit Jahren bestehendem Hautausschlag, einhergehend mit rezidivierenden Fieberschüben und Leukopenien, zur Diagnostik und Therapie. Unter der Verdachtsdiagnose eines Sweet-Syndroms mit der Hauptdifferenzialdiagnose eines adulten Morbus Still erfolgten bereits im Vorfeld multiple Systemtherapien in anderen Kliniken, unter anderem mit Methotrexat, Anakinra, Canakinumab, Tocilizumab und zuletzt mit Dapson im Jahr 2020. Die Leukopenien wurden im Vorfeld am ehesten als medikamentenassoziiert gewertet (MTX, Metamizol). Im Rahmen eines weiteren stationären Aufenthaltes wurde bei einem erneuten Leukozyten- sowie Neutrophilenabfall einhergehend mit einem Fieberschub eine Umkehrisolation erforderlich. Medikamente als potenzielle Auslöser sowie ein infektiöser Fokus konnten ausgeschlossen werden.
In Anbetracht der Neutropenien, dem Fieber und der mit einem Sweet Syndrom zu vereinbarenden Histologie erfolgte zum Ausschluss einer hämatoonkologischen Erkrankung eine Knochenmarksbiopsie. Bei fehlendem Nachweis einer Blastenvermehrung, zeigte sich ein am ehesten zu einer Myelodysplasie passender Befund. Die Arbeitsdiagnose lautete: atypisches Sweet-Syndrom in Assoziation mit einer nicht näher klassifizierbaren myelodysplastischen Krankheit.
Es erfolgte eine Anbindung an die Hämatoonkologie der Charité, Campus Mitte, Berlin zur Einleitung einer Therapie mit Azacitidin (Vidaza®). Zu einem späteren Zeitpunkt erreichte uns die Information, dass mittels Genmutationsanalyse bei unserem gemeinsamen Patienten ein erst im Oktober 2020 neu beschriebenes Syndrom diagnostiziert werden konnte. Hierbei handelt es sich um die Erstbeschreibung des VEXAS-Syndroms, einer monogenen, hochfieberhaften, autoinflammatorischen Erkrankung des Erwachsenenalters, basierend auf einer somatischen Mutation resultierend in einen x-chromosomal lokalisierten E1-Enzym Defekt.
Schlüsselwörter: Dermatologische Manifestation, neutrophilenreiche Dermatitis, VEXAS-Syndrom, E1-Enzym-Defekt, Myelodysplastisches Syndrom
Summary
We present the case of a patient treated in the Department of Dermatology of the Bundeswehrkrankenhaus Berlin with an unusual dermatological manifestation based on a newly described hematological condition. In December 2020, a patient with a skin rash that had been present for years, accompanied by recurrent fevers and leukopenia, was admitted to the hospital for diagnosis and therapy. Under the suspected diagnosis of a Sweet syndrome with the main differential diagnosis of an adult Still’s disease, multiple systemic therapies had already been carried out in other hospitals, including Methotrexate, Anakinra, Canakinumab, Tocilizumab and most recently Dapsone in 2020. The leukopenias were considered most likely associated with prior medication (MTX, Metamizole). In the course of treatment, a reversal isolation was required due to a renewed leukocyte as well as neutrophil drop, also accompanied by a febrile episode. This time, no drugs were considered as potential triggers and an infectious focus was ruled out.
Considering neutropenia, fever, and histology consistent with Sweet syndrome, a bone marrow biopsy was performed to exclude other hemato-oncologic diseases. In the absence of blastic cyte proliferation, these findings were best consistent with myelodysplasia. Therefore, the working diagnosis was atypical Sweet syndrome associated with an unclassifiable myelodysplastic disease.
We referred the patient to the Hematooncology Department of the Charité, Campus Mitte Berlin, to initiate a therapy with azacitidine (Vidaza®). Later on, we received the information that by means of gene mutation analysis, a syndrome newly described only in October 2020, could be diagnosed in our common patient. This is the first description of the VEXAS syndrome, a monogenic, highly febrile, autoinflammatory disease of adulthood, based on a somatic mutation resulting in an x-localized E1 enzyme defect.
Keywords: dermatological manifestation, neutrophil-rich dermatitis, VEXAS syndrome, E1 enzyme defect, myelodysplastic syndrome
Fallbeschreibung
Vorgeschichte
Zur stationären Aufnahme kam ein 66-jähriger Patient, welcher seit Jahren an rezidivierenden Schüben von Hautveränderungen sowie Fieber und transienten, selbstlimitierten Leukozytenabfällen litt. Auslösende Triggerfaktoren konnten nicht beschrieben werden. Die Erniedrigung der Leukozytenzahl wurde als möglicherweise medikamentenassoziiert gewertet (MTX, Metamizol). Manifestationen der Haut waren erstmals im Rahmen eines Herpes Zosters mit assoziierter Neuralgie im Jahr 2017 aufgetreten, die Familienanamnese zu Hauterkrankungen und Hautkrebs war leer.
Darüber hinaus litt der Patient an einer beginnenden Lungenfibrose bei vorbekannter arzneimittelinduzierter interstitieller Lungenkrankheit sowie an einer chronischen Polyarthritis. Im Rahmen der Fokussuche waren bereits verschiedene Krankheitsbilder, unter anderem ein adulter Morbus Still und ein Sézary-Syndrom, vermutet worden. Im August 2020 wurde in der Charité nach einer Knochenmarkspunktion die Verdachtsdiagnose eines myelodysplastischen Syndroms gestellt. Systemische Vortherapien erfolgten jeweils bei Hospitalisationen in verschiedenen dermatologischen Kliniken mit Methotrexat, Anakinra, Canakinumab, Tocilizumab. MTX musste jedoch im Rahmen einer Panzytopenie Mitte des Jahres 2020 abgesetzt werden, die anderen Therapien wurden sukzessive aufgrund fehlender Wirksamkeit beendet. Er gab an, dass Symptomfreiheit auch nicht unter einer laufenden Immunsuppression mit Prednisolon 10 mg p.o und Dapson 50 mg p.o. bestünde; Beschwerdefreiheiten seien nur unter oralen Prednisolondosen > 40 mg vorhanden gewesen.
Klinisches Bild
Klinisch bestanden am Tag der Aufnahme weder Fieber, Schüttelfrost noch Gewichtsveränderungen. Bei Stuhlgang und Wasserlassen gab es keine Auffälligkeiten. Gewicht: ca. 70 kg, Größe: 165 cm. Die Haut präsentierte sich mit über dem gesamten Integument verteilten, multiplen urtikariellen, derben, sukkulenten, erythematös-lividen, druckdolenten und partiell exkoriierten Plaques im Hals-, Schulter, Arm-, Nacken-, Thorax- und Bauchbereich sowie an den Lippen von bis zu ca. 3,0 cm Durchmesser (Abbildung 1), ferner Xerosis cutis am gesamten Integument. Hautanhangsgebilde und einsehbare Schleimhäute waren ansonsten ohne pathologischen Befund. Hauttyp III nach Fitzpatrick.
Abb. 1: Kutane Manifestation eines VEXAS-Syndroms:
Am Oberkörper sowie an den oberen Streckseiten beidseits sind multiple disseminierte, teils konfluierende, rötlich-livide, sukkulente, druckdolente, urtikarielle Papeln und infiltriert wirkende Plaques zu sehen.
Diagnostik
Im Aufnahmelabor fand sich ein erhöhtes CRP von 48,8 mg/l bei normwertigen Leukozyten von 5,2 x 109/l. Im Verlauf kam es zu erneuten Fieberschüben bis < 39,4 °C. Außerdem zeigte sich ein Abfall der neutrophilen Granulozyten von 2,83 auf 0,84 und der Gesamtleukozyten von 6,09 auf 2,39 x 109 /l, sodass der Patient umkehrisoliert wurde. Die akute Neutropenie ging bereits einen Tag später, wie bei ähnlichen Episoden in der Vergangenheit, zurück.
Die abgenommenen Blutkulturen, die Infektparameter (HIV*, HCV*, HBV* und TPHA*) sowie die Vaskulitisdiagnostik (ANA*, ENA* und ANCA*) zeigten bis auf grenzwertig positive ANAs (1:100) keine relevanten Befunde. Die histologische Aufarbeitung ergab das Bild einer neutrophilenreichen Dermatose (Abbildung 2). Ein manuelles Differenzialblutbild ergab keinen Anhalt auf Sézary-Zellen im Blut, sodass diese Verdachtsdiagnose ausgeschlossen werden konnte.
Abb. 2: Histologischer Untersuchungsbefund, Biopsie vom linken Unterarm:
Zu sehen ist ein Ausschnitt des histologischen Untersuchungspräparates mit zahlreichen regellos disseminierten neutrophilen Granulozyten. In Zusammenschau mit Anamnese, klinischem Bild und bei fehlendem Anhalt für eine autoimmunvermittelte Dermatose in der direkten Immunfluoreszenz handelt es sich somit um eine neutrophile Dermatose, wie z. B. ein Sweet-Syndrom oder ein Erythema elevatum et diutinum.
Im Rahmen der Umfelddiagnostik wurden ein Dünnschicht-CT, Lungenfunktionstests inklusive Spirometrie, Bodyplethysmographie und CO-Diffusionskapazität sowie eine Abdomensonografie durchgeführt. Außer einer leichtgradigen Restriktion und einer mittelgradigen Einschränkung der globalen Diffusionskapazität ergaben sich keine Hinweise, die für eine akute Lungenbeteiligung oder Alveolitis sprachen. Nebenbefundlich wurde in der Abdomensonografie eine asymptomatische Leberzyste festgestellt.
In der Zusammenschau der Befunde gingen wir von einem schubförmigen, atypischen Verlauf einer seltenen Systemerkrankung auf dem Boden eines myelodysplastischen Syndroms namens „Sweet-Syndrom“ mit Neutropenie und Fieber aus.
Therapie
Wir leiteten zunächst eine systemische Therapie mit Prednisolon 1 mg/kg Körpergewicht p.o 1–0-0 (70 mg) ein. Topisch behandelten wir den Patienten mit Mometason-Creme 2x täglich neben einer rückfettenden Basistherapie. Bei insgesamt protrahiertem Ansprechen und wegen der zugrundeliegenden hämatologischen Erkrankung stellten wir den Patienten in der Folge für eine Systemtherapieeinleitung mit Azacitidin (Vidaza®) in der Klinik für Hämatoonkologie der Charité, Campus Berlin Mitte, vor. Nach telefonischen Rücksprachen mit den behandelnden Kollegen erfuhren wir, dass es sich bei der Erkrankung des Patienten um eine in sehr naher zeitlicher Korrelation zu unserer Patientenversorgung erstbeschriebene hämatologische Erkrankung (Vexas-Syndrom) mit kutaner Manifestation handelte. Im Verlauf und unter fortlaufender Systemtherapie mit Azacitidin sistierten die Symptome und Beschwerden unseres Patienten erfreulicherweise.
Vexas-Syndrom
Im Oktober 2020 gelang BECK et al. [1] durch eine Genotyp-Untersuchung der Nachweis einer genetischen Ursache für bis dahin unklare autoinflammatorische Erkrankungen. In einer Fallserie von 25 männlichen Probanden, gelang die Identifikation einer wiederkehrenden und inaktivierenden Mutation in Methionin-41 (p.Met41) in UBA1. Hierbei handelt es sich um ein Gen, welches für das Ubiquitin aktivierende Enzym 1 kodiert und x-chromosomal lokalisiert ist. UBA1 ist relevant für die Initiierung der Ubiquitinierung, sprich die Übertragung von Ubiquitin auf ein Zielmolekül. Ermöglicht wird dies durch eine posttranslationale Modifikation von Proteinen, welche zur Regulierung multipler Aspekte innerhalb der Zellbiologie benötigt werden. Dies beinhaltet auch die intrazelluläre Signalübertragung und den Abbau von Proteinen durch das Proteasom- oder das Autophagie-Lysosom-System.
Dies resultiert bei Männern im fortgeschrittenen Alter in spät auftretenden, behandlungsresistenten Entzündungsyndromen mit hämatologischen Anomalien und erhöhten Thromboseraten. Durch die Verbindung scheinbar ansonsten nicht zusammenhängender Entzündungssyndrome wurde die Erkrankung VEXAS-Syndrom genannt, ein Akronym zusammengesetzt aus den relevanten Kriterien: Vakuolen-Nachweis im Knochenmark, Nachweis der x-chromosomal lokalisierten somatischen Mutation im E1-Enzym sowie dem Vorhandensein autoinflammatorischer Entzündungssyndrome (siehe Tabelle 1).
Tab. 1: Kriterienübersicht VEXAS-Syndrom (modifiziert nach [1])
Diskussion
Dieser Fall demonstriert die Problematik der Einordnung und Therapieresistenz einer sich primär als neutrophile Dermatose manifestierenden, autoinflammatorischen Systemerkrankung.
Wegen des Krankheitsverlaufs, in dem die auch während der Behandlung in unserer Klinik sich manifestierenden neutrophilen Hautinfiltrate auftraten, war der Patient unter wechselnden Arbeitsdiagnosen verschiedenen antiinflammatorischen Systemtherapien zugeführt worden, die allerdings keine Besserung erzielen konnten. Die klinisch durchaus heterogene Gruppe neutrophiler Dermatosen, die u. a. das Sweet Syndrom, Erythema elevatum et diutinum, aber auch ulzeröse Manifestationen wie das Pyoderma gangraenosum umfasst, ist hierbei häufiger mit systemischen Erkrankungen gerade aus dem hämatologischen wie auch rheumatologischen bzw. autoinflammatorischen Formenkreis assoziiert, die es auszuschließen oder zu bestätigen gilt. Dies erklärt vor allem die Arbeitsdiagnosen eines adulten Morbus Still als autoinflammatorischer wie auch die eines atypischen Sweet-Syndroms bei zugrundeliegender hämatologischer Grunderkrankung.
Tab. 2: Abkürzungen
Die Besonderheit im vorliegenden Fall war jedoch die Assoziation mit einem zum Zeitpunkt der Manifestation der Beschwerdekonstellation noch gar nicht beschriebenen neuartigem Syndrom. Erst durch die Identifikation der Erkrankung als VEXAS-Syndrom [1] konnte eine suffiziente Therapiemodalität gefunden werden.
So illustriert das vorliegende Fallbeispiel, wie die fortschreitende Aufdeckung neuer pathophysiologischer Mechanismen Erklärungen für bisher nicht verstandene Zusammenhänge von scheinbar nicht korrelierbaren Beschwerdebildern unterschiedlicher Organsysteme liefern kann.
Durch dieses aktuelle Fallbeispiel möchten wir zudem die Möglichkeit der Anwendung bereits erfolgreich etablierter Therapieregime aus der Hämatoonkologie für behandlungsresistente autoinflammatorische Erkrankungen als ebenfalls mögliche Therapieoption anregen. Dies gilt insbesondere, da in dem vorliegenden Fall bereits zahlreiche moderne zielgerichtete Therapien wie IL-1-Antagonisten zur Anwendung gekommen waren. Damit könnten zukünftig bisher nosologisch nicht einzuordnende autoinflammatorische Erkrankungen, basierend auf somatischen Mutationen, durch die Wahl einer suffizienten Systemtherapie einem schnelleren Therapieerfolg zugeführt werden.
Literatur
- Beck DB, Ferrada MA, Sikora KA, Ombrello K, Collins JC, Pei W, et al.: Somatic Mutations in UBA1 and Severe Adult-Onset Autoinflammatory Disease. N Engl J Med 2020; 383(27): 2628–2638. mehr lesen
Bilder: Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Danksagung
Wir danken den Kollegen der Abteilung für Hämatoonkologie der Charité, Campus Mitte für die gute Korrespondenz, insbesondere Herrn Dr. med. Sebastian Schröder.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Ennker KS, Uhlmann T, Elsner E, Vandersee S: VEXAS-Syndrom – Manifestation einer ungewöhnlichen neutrophilen Dermatose bei einem neubeschriebenen hämatologischen Krankheitsbild. WMM 2023; 67(3): 93-96.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-105
Für die Verfasser
Stabsarzt Dr. med. Kim Sophie Ennker
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik III – Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: kimennker@bundeswehr.org
Vortrag „Vexas-Syndrom“ bei der 135. Tagung der Berliner dermatologischen Gesellschaft am 26. Februar 2022 in der Diaklinik in Berlin
Manuscript Data
Citation
Ennker KS, Uhlmann T, Elsner E, Vandersee S: [VEXAS Syndrome –Manifestation of an Unusual Neutrophilic Dermatosis in a Newly Described Hematologic Condition]. WMM 2023; 67(3): 93-96.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-105
For the Authors
Captain (MC) Dr. med. Kim Sophie Ennker
Bundeswehr Hospital Berlin
Department III – Dermatology, Venereology, Allergology
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: kimennker@bundeswehr.org
Lecture “Vexas-Syndrom“, given at the 135. Conference of the Berlin Dermatologic Society on February 26, 2022 at the Dia Hospital in Berlin