Die Forschungslandschaft in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr und ihre Akteure
Sabine Sauera, Kai Keheb, Michaela Schneidera, Martina Schilhaa, Bernd Mattiesena
a Sanitätsakademie der Bundeswehr, Direktorat Wehrmedizinische Forschung und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst, München
πάντα ῥεῖ – Alles fließt
(Heraklit, 520–460 v.Chr.)
Die Welt ist in stetem Wandel, was in gleicher Weise auf Sicherheitspolitik, Formen der militärischen Auseinandersetzung und globale Gesundheitsgefahren zutrifft. Daher muss die Bundeswehr sich fortlaufend diesen Herausforderungen stellen und sich entsprechend anpassen, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Diese stete Transformation kann nur auf der Basis einer soliden Forschung und Entwicklung gelingen. Damit wird die Zukunftsfähigkeit der Streitkräfte gesichert.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr nimmt hier eine Rolle ein, welche über die reine Unterstützungsleistung im Sinne der Gesundheitsversorgung hinausgeht. Beispielhaft sei hier die Integration in Rüstungsprozesse genannt, bei denen der Faktor Mensch eine wesentliche Rolle spielt. Weiterhin hat die „Dimension Mensch“ auch Aspekte, die sinnvollerweise nur mit der im Sanitätsdienst der Bundeswehr vorhandenen Expertise zu bearbeiten sind. Insofern ist es folgerichtig, dass der Begriff „wehrmedizinische Forschung“ durch „Forschung in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ abgelöst wurde. Dies betont den Gesamtprozess und nicht die Fokussierung auf Einzelaspekte.
Die Forschung im bzw. mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und das jeweilige „Kapital“ analysiert werden. Hier sind das humane, infrastrukturelle Kapital als auch das Beziehungskapital zu nennen, die jedem einzelnen Akteur zugeordnet werden können. Aus der Summe dieser Faktoren ergibt sich das vom Sanitätsdienst investierte wissenschaftliche „Gesamtkapital“, welches im günstigen Fall einen Output im Sinne von Publikationen, Vorträgen, Patenten, Leitlinien etc. erzeugt und aus dem als Outcome eine verbesserte Leistung des Sanitätsdienstes erzielt werden kann.
Eine breite Palette an verschiedenen Akteuren sichert diese Fortschritte in der Forschung und Entwicklung in der Gesundheitsversorgung auf wissenschaftlich hohem Niveau. Wagen wir aus verschiedenen Blinkwinkeln und mit Beispielen versehen eine Betrachtung ausgewählter Akteure – seien es Einzelpersonen oder Einrichtungen – in der Forschung in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr (Abbildung 1).
Abb. 1: Forschungskonferenz des Sanitätsdienstes an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München. (Bild: PresseOffz SanAkBw/Bernd Andres)
Forschung in der Gesundheitsversorgung
der Bundeswehr
Der Beauftragte für Forschung in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr – eine Schlüsselfigur
Mit der Dienstanweisung für den Beauftragten des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für die Forschung in der Gesundheitsversorgung (BeauftrInspSan F GesVersBw) wurde faktisch der Direktor des Direktorates Wehrmedizinische Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst an der Sanitätsakademie der Bundeswehr mit der Wahrnehmung der dazugehörigen Aufgaben betraut. Somit werden alle operativen Tätigkeiten sowie Managementaufgaben für die Forschung für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr und des Wissensmanagements nach strategischen Vorgaben und unter Beachtung ministerieller Weisungen durch diesen wahrgenommen (Abbildung 2). Im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) hat der BeauftrInspSan F GesVersBw einen Wahrnehmungsdienstposten und somit die Dienststellung eines Abteilungsleiters. Hoch komplexe Aufgabenstellungen wie die Entwicklung einer multinationalen Forschungslandschaft sind im Aufgabenportfolio vertreten.
Abb. 2: Generalarzt Dr. Bernd Mattiesen ist seit 2020 Beauftragter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für die Forschung in der Gesundheitsversorgung. (Bild: Bundeswehr/Christian Thiel)
Es ist die Aufgabe des bzw. der Beauftragten für Forschung, die Forschungsfelder auf Ebene NATO und EU mit dem Forschungsprogramm des SanDstBw zu harmonisieren. Prioritäten, welche z. B. in der Research Priority List von COMEDS festgelegt wurden, sind in nationalen Projekten zu berücksichtigen. Darüber hinaus fällt es in seine Zuständigkeit, translationale Aspekte der Forschung zu fördern. Darunter ist zu verstehen, dass Forschungsergebnisse in Rüstungsvorhaben einfließen, in fachlichen Leitlinien Berücksichtigung finden und Grenzwerte festgelegt werden. Sowohl die fachliche Zukunft des Sanitätsdienstes der Bundeswehr als auch die Weiterentwicklung im sanitätsdienstlich-materiellen Bereich sind von diesem Prozess abhängig. In der Person des Direktors bzw. der Direktorin des Direktorates Wehrmedizinische Forschung und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst sind im Idealfall sowohl einsatzmedizinische Erfahrungen, profunde wissenschaftliche Expertise als auch administrative Fähigkeiten vereint, um diesen komplexen Prozess mitgestalten zu können.
Beispiel einer komplexen Antragsstellung im internationalen Kontext
Anhand des folgenden Beispiels wird exemplarisch aufgezeigt, wie sich der SanDstBw bei multinationalen Ausschreibungen auf europäischer Ebene einbringen kann. Dieser Aufgabenstellung wurde unter Beteiligung zahlreicher Dienststellen des Sanitätsdienstes (Kdo SanDstBw Unterabteilung VI, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Bundeswehrkrankenhaus Berlin – Psychotraumazentrum, Institut für Radiobiologie und Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr) an einer Ausschreibung des Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF) Rechnung getragen. Auch die wehrwissenschaftliche Dienststelle in Munster wurde integriert.
Abb. 3: Wissenschaftler bei einer Übung in ABC-Schutzkleidung (Bild: Bundeswehr/Michael Franz)
Der EDF soll die innovative, industrielle und wissenschaftliche Basis der europäischen Verteidigungsindustrie stärken und einen Beitrag zur strategischen Autonomie der EU leisten. Die Ausschreibung im Rahmen des Arbeitsprogramms 2022 beinhaltet auch einen Call mit dem Titel „Diagnostics, treatment, transport and monitoring of highly contagious, injured and/or contaminated personnel (HICP)“, auf den sich das o.a. Bundeswehrkonsortium gemeinsam mit dem sehr technik-orientierten Konsortium unter Federführung der Technischen Universität München mit zahlreichen Partnern aus unterschiedlichen EU-Ländern bewerben. Worum geht es in dieser Ausschreibung?
Die Zeit, um einem Verwundeten zu helfen, ist entscheidend für dessen Überleben. Die derzeit begrenzten Fähigkeiten, HICP unter Beschuss oder aus einer gefährlichen Umgebung zu retten, kann als eine Hauptursache für reduzierte Überlebensraten und Todesfälle klassifiziert werden.
In dem CBRN1-kontaminierten Szenario können kampfbedingte Verletzungen „kombiniert“ – sowohl im Zusammenhang mit Traumata als auch mit Kontaminationen – auftreten. Dafür gilt es, disruptive Einsatzgrundsätze zu entwickeln. Es besteht daher ein sehr hoher Bedarf an Lösungen für die autonome Triage auf dem Gefechtsfeld, die sichere Extraktion/Bergung von HICP aus dem Gefechtsfeld, die Bereitstellung von sofort verfügbaren Informationen über Vitalfunktionen, die schnelle Diagnose lebensbedrohlicher Verletzungen, den Fernzugriff von medizinischem Personal auf den Verletzten/Verwundeten und die Durchführung lebensrettender Interventionen. Das gesamte Szenario wurde mit ärztlicher Expertise des Sanitätsdienstes und wissenschaftlich exzellenten Kooperationspartnern bearbeitet.
Ressortforschungseinrichtungen – Hauptakteure der SollOrg Forschung
Sechs Ressortforschungseinrichtungen im Sanitätsdienst befassen sich speziell mit wehrmedizinischen Fragestellungen:
- Institut für Radiobiologie der Bundeswehr,
- Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr,
- Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr,
- Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr,
- Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe und
- Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine.
Die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und Exzellenz dieser Einrichtungen ist unbestritten und wird durch aktuell laufende, durchweg positive Evaluationen des Wissenschaftsrates bestätigt.
Besondere Kennzeichen und Stärken dieser Einrichtungen mit Ressortforschungsaufgaben sind
- kurzfristig abrufbare wissenschaftliche Kompetenz bei gleichzeitiger Fähigkeit zur kontinuierlichen Bearbeitung längerfristig angelegter Fragestellungen,
- Verknüpfung von Wissenschaft, Politikberatung und ggf. Vollzug sowie
- Forschung auf Gebieten, die (noch) keinen aktuellen Handlungs- oder Regelungsbedarf seitens der Politik erkennen lassen, um frühzeitig neue Entwicklungen zu identifizieren und aufzunehmen und die diesbezügliche Bewertungsfähigkeit sicherzustellen.
Ein Beispiel hierfür ist das durch das Institut für Radiobiologie begleitete extramurale Forschungsvorhaben, die sog. „RADARSTUDIE“, deren Durchführung durch einen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag (Drucksache 18/9032 05.07.2016) gefordert wurde und zeitnah durch den Sanitätsdienst mit tatkräftiger Unterstützung durch das BAAINBw2 umgesetzt wurde. Wagner et al. aus dem Institut für Radiobiologie der Bundeswehr stellen die bei dieser Studie eingesetzte Methodik in dieser Ausgabe vor.
Bundeswehrkrankenhäuser mit professionellem Forschungsmanagement –
Akteur Forschungsmanagerin/Forschungsmanager
Bundeswehrkrankenhäuser haben seit Ende 2017 einen institutionellen Forschungsauftrag. Zunehmend komplexere externe und interne wissenschaftliche Kooperationen erfordern die Koordination durch ein professionelles Forschungsmanagement innerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser selbst. Dadurch wird der Zielvorgabe des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Rechnung getragen, mindestens zwei Bundeswehrkrankenhäuser auf universitäres Niveau zu heben.
Die Anzahl der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Organisationsbereichen stieg, so dass hier eine Professionalisierung des Forschungsmanagements erforderlich wurde. So konnte auch ein wichtiges strategisches Ziel der Bundeswehrkrankenhäuser angegangen werden: der Ausbau der Vernetzung mit zivilen Kooperationspartnern. Zunehmend beteiligen sich die Einrichtungen an der Einwerbung von Drittmitteln, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch im internationalen Bereich. Die Stärkung dieser Rolle im Bereich des Wissenschafts-/Forschungsmanagements an den Bundeswehrkrankenhäusern wurde erkannt, und mit dem Etablieren von Dienstposten Forschungsmanager/in und Study Nurseserfolgreich umgesetzt. Vertreterinnen aus zwei ausgewählten Bundeswehrkrankenhäusern berichten über ihre Erfahrungen:
Erfahrungsbericht der Forschungsmanagerin des Bundeswehrkrankenhauses Berlin
Seit der vollständigen personellen Besetzung im April 2021 hat sich unsere Koordinierungsstelle für Forschungs- und Wissenschaftsaufgaben im Bundeswehrkrankenhaus Berlin hervorragend entwickelt.
Die Aufgaben innerhalb unseres Forschungsmanagements sind vielfältig: Wir überblicken die Forschungsaktivitäten mittels Datenbanken, erstellen Prozesse, erleichtern Abläufe, sind Schnittstelle, unterstützen bei Antragstellungen und begleiten die Forschenden verlässlich von der Forschungsidee bis zur Publikation. Der stetig wachsende Bedarf an Beratungen sowie die Vielzahl angestoßener und sich in Planung befindlicher Forschungsvorhaben bestätigen die erfolgreiche Etablierung unseres Forschungsmanagements.
Eines unserer ersten Ziele, die stärkere Vernetzung der Forschenden und Forschungsinteressierten aller Kliniken und Abteilungen des Bundeswehrkrankenhauses Berlin, wurde erfolgreich im Rahmen einer Forschungs-AG verwirklicht. Neben einem wissenschaftlichen Austausch bieten uns diese regelmäßig stattfindenden Treffen die Möglichkeit, über Aktuelles aus dem Forschungsbereich zu berichten und unter Mitwirkung der jeweiligen Verantwortlichen bundeswehrspezifische Prozessabläufe zu erläutern.
Dr. Nadine Schäfer
Erfahrungsbericht der Forschungsmanagerin des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg
Mit der Etablierung der Koordinierungsstelle für Forschungs- und Wissenschaftsaufgaben wurde die Voraussetzung geschaffen, die forschenden Akteure in den Bundeswehrkrankenhäusern Hamburg und Westerstede von administrativen, ablauf- und prozessorganisatorischen Tätigkeiten zu entlasten. Das Team der Koordinierungsstelle versteht sich dabei als Dienstleister und Unterstützer der Kliniken, Abteilungen und Bereiche, um das dortige Personal bestmöglich zu unterstützen und somit den Ausbau der wehrmedizinischen Expertise durch Forschung bestmöglich voranzutreiben. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen.
Ein Aufgabengebiet ist die Kommunikation und Koordination des Schriftverkehrs mit den übergeordneten Dienststellen sowie bereits etablierten, aber auch potenziellen Kooperationspartnerinnen und -partnern aus dem militärischen und zivilen Bereich. Die Koordinierungsstelle fungiert somit als zentrale Anlaufstelle nicht nur für das forschende und wissenschaftlich aktive hausinterne Personal, sondern auch als zentraler Kontakt für Externe. Ein großer Vorteil ist, dass das Team in die Besprechungen, Projektgruppentreffen und in den Schriftverkehr nahezu lückenlos integriert ist. In Kürze wird die Study Nurse beim ersten Forschungsprojekt bei der Erhebung von Daten direkt an Probandinnen und Probanden unterstützen. Dies untermauert die gute Integration und bereits etablierte Position der Koordinierungsstelle für Forschungs- und Wissenschaftsaufgaben.
Dr. Ulrike Runge
Tierversuche in der Forschung – nicht ohne die/den Tierschutzbeauftragte(n) der Bundeswehr
Das Deutsche Tierschutzgesetz fordert, dass alle Träger von Einrichtungen, in denen Tierversuche durchgeführt werden, sowie Einrichtungen und Betriebe, in denen Wirbeltiere oder Kopffüßer zu Versuchszwecken gezüchtet oder zum Zweck der Abgabe an Dritte gehalten werden, einen Tierschutzbeauftragten zu bestellen haben. Eine wichtige Aufgabe des/der Tierschutzbeauftragten der Bundeswehr besteht daher in der Beratung aller Einrichtungen in der Bundeswehr, an denen Tierversuche durchgeführt werden sowie der mit den Tierversuchen und der Haltung der Versuchstiere befassten Personen. Das Augenmerk des/der Tierschutzbeauftragten liegt dabei darauf, dass das Wohlergehen der Versuchstiere bei Kauf, Unterbringung und Haltung sowie bei medizinischer Betreuung und Behandlung sichergestellt werden.
Zusätzlich ist der/die Tierschutzbeauftragte der Bundeswehr in alle Versuchsvorhaben eingebunden, die Tierversuche beinhalten und von der Bundeswehr beauftragt werden oder bei denen Einrichtungen der Bundeswehr involviert sind. Eine Hauptaufgabe ist dabei die Beratung der Versuchsdurchführenden hinsichtlich der praktischen Umsetzung des vom Gesetzgeber geforderten 3R-Prinzips (Replace – Reduce – Refine) sowie die Kontrolle von dessen Anwendung im Versuchsantrag.
Das 3R-Prinzip wurde bereits 1959 von den Wissenschaftlern William Russel und Rex Burch in ihrem Buch „The Principles of Humane Experimental Technique“ veröffentlicht. Im Jahr 2010 wurde das 3R-Prinzip dann in die Europäische Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere aufgenommen und 2013 in nationales Recht mit dem novellierten Tierschutzgesetz und der Tierschutz-Versuchstierverordnung umgewandelt.
Ziel des 3R-Prinzips ist es, Tierversuche vollständig zu vermeiden (Replace) und die Zahl der Tiere (Reduce) sowie ihr Leiden (Refine) in Versuchen auf ein unerlässliches Maß zu beschränken. Aus diesem Grund muss in jedem Versuchstierantrag durch den verantwortlichen Wissenschaftler/die verantwortliche Wissenschaftlerin umfassend und fundiert begründet dargelegt werden, dass
- es keine Möglichkeiten gibt, den geplanten Tierversuch durch den Einsatz anderer Methoden zu vermeiden,
- die Anzahl der eingesetzten Versuchstiere auf das unerlässliche Maß reduziert ist und
- die Belastungen, denen die Tiere im Versuch ausgesetzt sind, so gering wie möglich gehalten werden.
Tierschutzbeauftragte sind im Bereich der Wissenschaft mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Der Dienstposten des/der Tierschutzbeauftragten der Bundeswehr ist im Direktorat Wehrmedizinische Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst in der Abteilung E verankert. Diese Einbindung gewährleistet eine enge Zusammenarbeit mit der Planung und Steuerung der wehrmedizinischen Forschung und Entwicklung und die konsequente Umsetzung des Schutzes der im Tierversuch eingesetzten Tiere im Bereich der Bundeswehr.
Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) als Enabler für extramurale Forschung
Die Umsetzung von Forschungsvorhaben mit externen Forschungspartnern (z. B. Universitäten und Institute) erfolgt durch die Akteure des BAAINBw. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Umsetzung und Zusammenarbeit zwischen dem BAAINBw, dem Sanitätsdienst und den externen Forschungspartnern deutlich zu verbessern. Durch eine transparente Darstellung des Gesamtprozesses konnte die hohe Anzahl an Prozessschritten allein im BAAINBw gestrafft und damit die Umsetzung von Forschungsvorhaben spürbar beschleunigt werden. Es stellte sich zudem heraus, dass die Vorgaben der Bundeshaushalts-ordnung und insbesondere die Jährlichkeit des Haushalts den Forschenden selbst bzw. den forschenden Einrichtungen nicht immer präsent sind und dies gerade im Bereich von mehrjährigen Forschungsvorhaben oftmals eine erfolgreiche Umsetzung erschwerte. Diese Vorgaben sind insbesondere vor dem Hintergrund der eingeschränkten Planbarkeit von Forschung im Allgemeinen eine große Herausforderung für beteiligte Stellen.
Nach Aufstellung eines eigenen Organisationselementes im BAAINBw mit zusätzlichen Dienstposten im Referat U7.1 konnte ein umfangreiches Projektcontrolling zur Verbesserung des Projektmanagements eingerichtet werden. Zudem hat die Einführung regelmäßiger Jour Fixe und Workshops für Projektoffiziere die Kommunikation und die Aus- und Weiterbildung aller am Prozess beteiligten Stellen deutlich verbessert. Die eingeführten Maßnahmen zeigen ihre Wirkung, sodass der Ablauf gemäß Regelprozess mittlerweile standardisiert durchgeführt wird und eine stetige Verbesserung in allen Bereichen der Forschung erkennbar ist. Im Ergebnis hat dies wesentlich dazu beigetragen, dass die getätigten Investitionen trotz Corona-Einschränkungen erheblich gesteigert werden konnten.
Der Wissenschaftsrat als externe Qualitätskontrolle
Am Ende sei der Blick auf einen externen Akteur – den Wissenschaftsrat – gerichtet, der es als eine zentrale Aufgabe betrachtet, an der nachhaltigen Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems mitzuwirken und es international konkurrenzfähig zu gestalten. Aktuell werden durch den Wissenschaftsrat wissenschaftliche Evaluationen für Forschungseinrichtungen, auch Ressortforschungseinrichtungen, durchgeführt.
Auf Bitte des Bundesministeriums der Verteidigung werden die benannten Ressortforschungseinrichtungen im Sanitätsdienst ab 2017 durch spezielle Arbeitsgruppen, die der Wissenschaftsrat eingesetzt hat, begutachtet. Zuletzt wurde die Stellungnahme zum Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw), Andernach, Juli 2022 veröffentlicht (https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9780–22.html).
Insgesamt wurden den evaluierten Einrichtungen durchgängig positive bis exzellente Forschungsleistungen und Bewertungen attestiert. Beispielsweise wurde im Vergleich zur letzten, weniger zufriedenstellenden Evaluation durch den Wissenschaftsrat im Jahr 2009 die Leistungsfähigkeit des Schifffahrtmedizinischen Instituts der Marine nach dessen Bewertung erheblich verbessert. Auch den Ressortforschungseinrichtungen am Standort München wird sehr gute Forschung unter schwierigen Bedingungen bescheinigt. Es wird auch Verbesserungspotenzial bei den Rahmenbedingungen adressiert, wobei vorrangig die Personalausstattung der Institute zu verbessern sei und auch die infrastrukturellen Bedingungen, sprich der Neubau für die Institute des Medizinischen ABC-Schutzes, forciert werden müsse. In jedem Fall muss entsprechend der Bewertung auch in den Instituten ein professionelles, vorzugsweise zivil besetztes Forschungsmanagement mit ausreichendem Personalansatz etabliert werden, um die Forschenden zu entlasten und die Akquise von Drittmitteln zu unterstützen.
Die externen wissenschaftlichen Evaluationsergebnisse der Einrichtungen im Sanitätsdienst durch dieses hochkarätige Gremium zeigen, dass die Forschungseinrichtungen durchweg sehr positive Entwicklungen aufweisen, dass es aber auch noch Optimierungspotenzial gibt.
Hervorzuheben ist weiterhin, dass der Wissenschaftsrat in einem Bericht u. a. feststellt, dass die Forschungskorridore, in denen die Forschungsschwerpunkte für die Einrichtungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für die nächsten Jahre festgelegt werden, den Forschungseinrichtungen im Prinzip eine breite Möglichkeit eröffnen, die jeweiligen Forschungsprogramme entsprechend einzurichten. Diese Forschungskorridore kommen jährlich in der Strategie-Klausur durch die Leitungsebene mit Beteiligung aller Akteure auf den Prüfstand und werden mit Blick auch auf die Entwicklungen in den Forschungsfeldern anderer Nationen auf internationaler Ebene praktisch „bundeswehrintern“ evaluiert. Im Nachgang nach Billigung der angepassten Forschungskorridore durch die Führung werden anhand dieser Dokumente durch die Forschungscommunity Forschungsanträge für die Forschungskonferenzen eingereicht bzw. auch die Themen im Rahmen der SollOrg-Forschung beachtet.
Schlussbemerkung
Die Forschung in der Gesundheitsversorgung ist für die Zukunftsfähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr von herausgehobener Bedeutung. Sie berücksichtigt globale Entwicklungen in der Sicherheits- und Gesundheitspolitik, integriert militärstrategische Vorgaben mit grundlagennaher Forschung und liefert so die wissenschaftliche Basis künftiger sanitätsdienstlicher Fähigkeiten. Diese komplexe Aufgabe spiegelt sich in dem vorstehend vorgestellten hochdifferenzierten Netzwerk verschiedener Akteure wider, welche alle zum Forschungserfolg beitragen.
„Deutschland ist das Land der Ideen – eines der innovativsten Länder in der Welt. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind nicht nur Orte der Forschung „made in Germany”, sondern auch weltweit attraktive Partner!“, so lautet die Überschrift eines Artikels im Jahre 2021 aus dem Auswärtigen Amt. Von Seiten des Forschungsmanagements des Sanitätsdienstes der Bundeswehr können wir diese Aussage nachdrücklich unterstreichen.
Die Verfasserinnen und Verfasser danken Dr. Nadine Schäfer und Dr. Ulrike Runge für ihre Beiträge aus den Bundeswehrkrankenhäusern Berlin und Hamburg.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Sauer S, Kehe K, Schneider M, Schilha M, Mattiesen B: Die Forschungslandschaft in der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr und ihre Akteure. WMM 2023; 67(3); 54-59.
Für die Verfasser
Oberstveterinär Dr. Sabine Sauer
Sanitätsakademie der Bundeswehr
Direktorat Wehrmedizinische Wissenschaft und Fähigkeitsentwicklung Sanitätsdienst
Abteilung E – Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung
Ingolstädter Str. 240, 80939 München
E-Mail: sabinesauer@bundeswehr.org
bKommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Unterabteilung A VI – Präventivmedizin, Vorbeugender Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung, Koblenz
Hochdurchsatzsequenzierung – ein vielseitiges Werkzeug zur Detektion strahlungsinduzierter DNA-Schäden
High-throughput Sequencing – a Versatile Tool for the Detection of Radiation-induced DNA Damage
Simon Wagnera, Laura Kubitschecka, Matthias Porta, Reinhard Ullmanna
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München
Zusammenfassung
Soldaten und Zivilpersonen können durch Unfälle, terroristische Anschläge oder den Einsatz von Kernwaffen ionisierender Strahlung ausgesetzt werden. Der aktuelle Krieg in der Ukraine hat verdeutlicht, dass die Bundeswehr auf nukleare Bedrohungsszenarien vorbereitet sein muss und deswegen die entsprechenden Fähigkeiten kontinuierlich ausbauen und weiterentwickeln muss. Das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr nutzt modernste Sequenziertechnologien um die Schadwirkung von Strahlung auf unsere DNA qualitativ und quantitativ zu erfassen. Die im Forschungsbereich des Instituts bereits eingeführte Hochdurchsatzsequenzierung soll nun auch als biodosimetrische Anwendung etabliert werden. Damit könnte die Biodosimetrie vom immensen technologischen Entwicklungspotential der Hochdurchsatzsequenzierung profitieren und auf diese Weise der Durchsatz an Untersuchungen im Rahmen der medizinischen Akutversorgung strahlungsexponierter Personen signifikant erhöht und langfristige Risiken nach Exposition präziser abgeschätzt werden.
Schlüsselworte: Hochdurchsatzsequenzierung, Biodosimetrie, ionisierende Strahlung, Mutationen, Einzelzellsequenzierung
Summary
Soldiers and civilians can be exposed to ionizing radiation through accidents, terrorist attacks or the use of nuclear weapons. The current war in Ukraine has made it clear that the Bundeswehr must be prepared for nuclear threat scenarios and must therefore continuously expand and develop the corresponding capabilities. The Bundeswehr Institute of Radiobiology uses state-of-the-art sequencing technologies to qualitatively and quantitatively determine the damaging effects of radiation on our DNA. The high-throughput sequencing already introduced in the research area of the institute is now to be established as a biodosimetric application. Thus, biodosimetry could benefit from the immense technological development potential of high-throughput sequencing. In this way the throughput of examinations in the context of medical acute care of persons exposed to radiation could be significantly increased and long-term risks after exposure could be assessed more precisely.
Keywords: high-throughput sequencing, biodosimetry, ionizing radiation, mutations, single cell sequencing
Hintergrund
Die Analyse genetischer Veränderungen nimmt einen immer größer werdenden Stellenwert in vielen Bereichen der Medizin ein. Beispielsweise werden in der Pathologie spezifische Mutationen als diagnostische und prognostische Marker genutzt, um klinisch relevante Subklassifikationen histologisch nicht unterscheidbarer Tumoren zu ermöglichen und therapeutische Entscheidungen unterstützen zu können, insbesondere im Zusammenhang mit personalisierter Krebstherapie. Im Bereich der vererbten Erkrankungen ermöglicht die Identifikation krankheitsspezifischer Mutationen eine frühzeitige Diagnose, oftmals sogar schon vor dem Auftreten spezifischer Symptome, und das Erkennen möglicher prädisponierender Faktoren. Gefördert wurde diese Entwicklung vor allem durch das Aufkommen moderner Hochdurchsatzsequenzierverfahren, welche die genomweite Untersuchung genetischer Veränderungen mit höchster Auflösung erlauben.
Auch das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) nutzt diese neuen Sequenzierverfahren zur Detektion strahlungsinduzierter DNA-Schäden, um radiobiologische Fragestellungen zu adressieren und neue Biodosimetrieverfahren zu entwickeln. Das Vorliegen erhöhter Mutationsraten oder spezifischer Mutationsmuster nach Strahlungsexposition kann auch arbeitsschutzrechtlich relevant sein. Das InstRadBioBw konzeptionierte und begleitet die vom deutschen Bundestag beauftragte Studie „Mögliche DNA-Schädigung in Nachkommen von Radartechnikern“. Durch genomweite Hochdurchsatzsequenzierung soll in dieser aktuell noch laufenden Studie geklärt werden, ob die Exposition von Radarsoldaten im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit das Risiko einer genetischen Erkrankung in deren Nachkommen erhöht hat. Mit den Ergebnissen dieser Studie ist im ersten Quartal 2023 zu rechnen.
Arten strahlungsinduzierter DNA-Schädigungen
Ionisierende Strahlung kann die DNA auf vielfältige Art schädigen – durch direktes Einwirken der Strahlungsenergie auf die DNA-Moleküle und indirekt über Interaktion mit verschiedenen radiolytischen Zerfallsprodukten, insbesondere der Wassermoleküle, aus denen der menschliche Körper mehrheitlich besteht. Als Folge können einzelne DNA-Basen verloren gehen oder chemisch modifiziert werden. Die DNA-Doppelhelix kann an einem DNA-Strang (Single Strand break, DNA SSB) oder beidseitig an beiden Strängen brechen (DNA-Doppelstrangbruch, DNA DSB). Der Effekt ionisierender Strahlung beschränkt sich nicht auf die Schädigung der DNA-Moleküle selbst, sondern kann auch die mit der DNA assoziierten Proteine verändern und in weiterer Folge die dreidimensionale Organisation der DNA im Zellkern beeinflussen.
Zellen haben unterschiedliche DNA-Reparaturmechanismen entwickelt, die den Großteil dieser Schäden eliminieren, bevor sie sich im Zuge der nächsten Zellteilung im Genom als Basenveränderung oder strukturelle Chromosomenveränderungen manifestieren können. Das gelingt der Zelle meist, aber nicht immer. Eine besondere Gefahr für die genomische Integrität stellen dabei DNA-Doppelstrangbrüche dar. Im Zuge ihrer Reparatur kann es zum Verlust einiger Basen am Bruchpunkt kommen oder sogar zum fehlerhaften Verknüpfen zweier nicht zusammengehörender Chromosomenstücke. Passiert dies innerhalb eines Chromosoms, kann das zum Verlust oder Gewinn chromosomalen Materials kommen (Kopienzahlvariante, CNV), oder es wird ein chromosomales Fragment ohne DNA-Kopienzahländerung innerhalb des Chromosoms auf den Kopf gestellt (Inversion). Werden im Zuge der dysfunktionalen DNA-Doppelstrangreparatur zwei unterschiedliche Chromosomen verknüpft, spricht man von einer Translokation. Eine Sonderform der Translokation ist das dizentrische Chromosom, bei dem ein derivatives Fusionschromosom mit zwei Zentromeren entsteht. Persistierende DNA-Läsionen können replikativen Stress verursachen, der zum Auftreten neuer DNA-Doppelstrangbrüche selbst Stunden bzw. Tage nach Exposition führen kann.
Die dynamische Entwicklung der Hochdurchsatzsequenzierung
Lange war die klassische Sanger-Sequenzierung weltweit das Standardsequenzierverfahren. Als Ergebnis zahlreicher Optimierungen seit seiner Erstpublikation im Jahre 1977 kann man damit mittlerweile die Basenabfolge von DNA-Fragmenten mit einer Länge von bis zu 800 Basen aufklären. Pro Sequenzreaktion kann mit Sanger-Sequenzierung allerdings immer nur ein einzelnes DNA-Fragment untersucht werden, weshalb das interessierende Fragment zuvor durch Klonierung oder PCR isoliert dargestellt werden muss. Will man einen längeren genomischen Abschnitt entziffern, muss man zahlreiche dieser DNA-Fragmente – einem Puzzle gleich – zusammensetzen. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, welche große wissenschaftliche Leistung die erstmalige Sequenzierung der etwa 3 Milliarden Basen des humanen Genoms unter Anwendung der Sanger Sequenzierung war [4][10].
Seit der Sequenzierung des ersten humanen Genoms, die von ~1990 bis 2001 dauerte und mehrere Milliarden Dollar kostete, hat sich die Technologie fundamental weiterentwickelt. Durch Miniaturisierung und Parallelisierung der Sequenzierreaktionen können mittlerweile viele Millionen DNA-Fragmente gleichzeitig sequenziert werden. Das am InstRadBioBw genutzte Gerät kann bis zu 400 Millionen unterschiedliche DNA-Fragmente in einem Lauf sequenzieren. Andere Geräte können sogar 16–20 Milliarden DNA-Fragmente in einem Durchlauf lesen, was der vollständigen Sequenzierung von ~48 humanen Genomen innerhalb von 44 Stunden entspricht. Die einstmalige Utopie des „1000.- Dollar Genoms“, der vollständigen Sequenzierung eines humanen Genoms für einen Preis unter 1000.- Dollar, ist längst von der Realität unterboten worden [1].
Analyse chromosomaler Veränderungen mittels Hochdurchsatzsequenzierung
Anders als bei der klassischen Sanger-Sequenzierung beschränkt sich das Anwendungsspektrum der Hochdurchsatzsequenzierung nicht auf das Lesen der Sequenz und das Auffinden einzelner Basenveränderungen. Vielmehr repräsentiert die Hochdurchsatzsequenzierung eine vielseitige Analyseplattform, die für die genomweite Detektion unterschiedlichster genetischer und epigenetischer Veränderungen genutzt werden kann. Im Folgenden werden zwei Anwendungen beschrieben, wie sie am Institut für Radiobiologie etabliert sind. Gemeinsam ist den hier beschriebenen Methoden, dass sie eine DNA-Sequenzinformation nur nutzen, um das jeweilige DNA-Fragment im Genom zu verorten. Das wesentliche Ergebnis dieser Analysen beruht auf der Quantifizierung der verorteten DNA-Fragmente, d. h. der Feststellung, wieviele DNA-Fragmente einem bestimmten chromosomalen Abschnitt zugeordnet werden können.
Eine auf diesem Prinzip beruhende Anwendung auf RNA-Ebene hatten wir bereits 2021 in der Wehrmedizinischen Monatsschrift beschrieben, nämlich unsere Untersuchungen zu den Auswirkungen von CT-Untersuchungen auf die Genregulation [2]. Analog dazu kann man die Quantifizierung der DNA-Fragmente für die Detektion chromosomaler Gewinne und Verluste nutzen. Wie in Abbildung 1 schematisch dargestellt, werden alle Sequenzfragmente im Genom verortet. DNA-Kopienzahlunterschiede zeigen sich dann als statistisch signifikante Unterschiede in der Verteilung der Fragmente in einer chromosomalen Region relativ zum restlichen Genom [7]. Die Untersuchung chromosomaler Gewinne und Verluste kann Hinweise auf für die Entwicklung strahlungsinduzierter Tumore wichtige Onkogene und Tumorsuppressorgene geben.
Abb. 1:Schematische Darstellung der Identifikation chromosomaler Gewinne und Verluste durch Hochdurchsatzsequenzierung:
Die sequenzierten DNA-Fragmente werden im Genom verortet und ihre Verteilung entlang der Chromosomen quantifiziert. Im Anschluss wird die lokale Anzahl an sequenzierten DNA-Fragmenten mit dem gesamtgenomischen Durchschnitt abgeglichen (graue horizontale Balken). Ein chromosomaler Verlust hat zur Folge, dass für die jeweilige Region weniger DNA-Fragmente relativ zum gesamtgenomischen Durchschnitt vorhanden sind (blaue horizontale Balken). Bei einem chromosomalen Gewinn sind die DNA-Fragmente der korrespondierenden Region überrepräsentiert (rote horizontale Balken).
In Kooperation mit dem Bundesamt für Strahlenschutz nutzen wir aktuell diese Strategie, um chromosomale Veränderungen in Lungentumoren ehemaliger Uranbergbauarbeiter der früheren Wismut AG zu identifizieren. Die Arbeiter waren besonders in der frühen Phase des Uranabbaus erhöhten Belastungen durch Feinstaub, Silikaten und vor allem dem alpha-Strahler Radon ausgesetzt, was die Untersuchung dieser Tumoren radiobiologisch außerordentlich interessant macht [3]. Bei der Suche nach radonspezifischen chromosomalen Veränderungen in diesen Tumorproben muss natürlich bedacht werden, dass viele der Uranbergbauarbeiter auch Raucher waren und die Muster der chromosomalen Veränderungen in den Lungentumoren dieser Gruppe das additive Zusammenwirken verschiedener mutagener Prozesse widerspiegeln. Es wurden deshalb besondere statistische Verfahren aus dem Bereich des „machine learnings“ angewandt, um die unterschiedlichen Mutationssignaturen bestmöglich zu trennen. Die Relevanz der durch diese Untersuchungen identifizierten Kandidatengene wird derzeit mittels funktioneller Studien überprüft.
Auch chromosomale Translokationen können mittels Hochdurchsatzsequenzierung identifiziert werden. Der Vorteil im Vergleich zu klassischen zytogenetischen und molekular-zytogenetischen Verfahren ist, dass es keine teilungsfähigen Zellen braucht und die chromosomalen Bruchpunkte auf die Base genau bestimmt werden können. Anders als bei zytogenetischen Verfahren mit einem Auflösungsvermögen von ca. 10 Millionen Basen, können Fusionsgene und chromosomale Regionen mit erhöhter Vulnerabilität präzise bestimmt werden. Am InstRadBioBw charakterisieren wir Translokationen mit Hi-C [8][9], einer auf Hochdurchsatzsequenzierung basierenden Methode, die ursprünglich für die Analyse der dreidimensionalen Organisation der DNA im Zellkern entwickelt wurde [5][6]. Chromosomale Translokationen verändern die räumliche Organisation des Zellkerns und die Position der Chromosomen zueinander, was mittels Hi-C außerordentlich verlässlich und robust angezeigt wird (Abbildung 2).
Abb. 2: Detektion chromosomaler Translokationen durch Hochdurchsatzsequenzierung:
In diesem sogenannten Circos-Plot sind die Ideogramme des Chromosoms 4 (außen links) und Chromosoms 3 (außen rechts) als Halbkreise dargestellt. In den dazu benachbarten Histogrammen wird in Grün die durch Hochdurchsatzsequenzierung ermittelte Wahrscheinlichkeit der räumlichen Nähe von Chromosom 3 und 4 im Zellkern angezeigt. Durch eine Translokation zwischen den beiden Chromosomen ändert sich deren Positionierung im Zellkern. Der abrupte Anstieg der Wahrscheinlichkeit für eine benachbarte Lage der involvierten Chromosomensegmente im Zellkern weist auf die Lokalisation der beiden DNA Doppelstrangbrüche hin, deren dysfunktionale Reparaturen zur Translokation geführt haben. Im Inneren des Kreises verbindet die braune Linie die beiden chromosomalen Bruchpunkte. Das hellbraune Band zeigt die fusionierten Chromosomenfragmente.
Entwicklung neuer Verfahren für die Biodosimetrie – ein Ausblick
Kommt es zu einer Strahlenexposition durch Unfall, terroristische Aktivität oder den Einsatz von Nuklearwaffen, ist es für den effizienten und adäquaten Einsatz sanitätsdienstlicher Ressourcen essenziell, möglichst schon vor Eintreten klinischer Symptome exponierte Personen mit Therapiebedarf von nicht oder nur gering exponierten Personen unterscheiden zu können. Der kriegerische Konflikt in der Ukraine hat wieder einmal deutlich gemacht, dass sich die Bundeswehr auf solche Bedrohungsszenarien vorbereiten und ihre entsprechenden diagnostischen Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln muss.
Ein wesentliches Instrument für die retrospektive Dosisabschätzung ist die Biodosimetrie. Grundprinzip der Biodosimetrie ist, dass das Ausmaß strahleninduzierter biologischer Schäden mit der ursächlichen Strahlendosis korreliert. Biodosimetrische Methoden machen sich diese Korrelation zunutze, indem sie über quantitative Bestimmung der DNA-Schäden Rückschlüsse auf die Strahlendosis ermöglichen.
Es gibt verschiedene biodosimetrische Verfahren. Die Etabliertesten basieren auf der mikroskopischen Quantifizierung struktureller Chromosomenveränderungen, insbesondere der Häufigkeit dizentrischer Chromosomen, die die retrospektive Dosisabschätzung mit beeindruckender Präzision ermöglicht (Abbildung 3). Da diese chromosomalen Veränderungen allerdings nur in bestimmten Zellzyklusphasen mikroskopisch sichtbar sind, benötigen diese Verfahren lebende Zellen als Ausgangsmaterial, welche in Kultur genommen und zur Zellteilung stimuliert werden müssen. Das kostet wertvolle Zeit und wirkt sich negativ auf den Probendurchsatz aus. Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Analyse verschiedener struktureller Chromosomenveränderung durch Hochdurchsatzsequenzierung am InstRadBioBw wollen wir in einem laufenden Sonderforschungsvorhaben überprüfen, ob diese Analyseplattform auch für die Biodosimetrie genutzt werden kann. Der methodische Ansatz ist anspruchsvoll, da durch ionisierende Strahlung in jeder exponierten Zelle ein individuelles Set chromosomaler Veränderungen erzeugt wird, welches bei Analyse einer Zellpopulation durch die jeweils anderen Zellen maskiert wird. Erst durch die Sequenzierung einzelner Zellen werden diese individuellen Mutationen detektierbar.
Abb. 3: Hochdurchsatzsequenziergerät:
Der am Institut für Radiobiologie eingesetzte NextSeq500 der Firma Illumina ermöglicht die gleichzeitige Sequenzierung von bis zu 400 Millionen DNA Fragmenten. Im Vordergrund sieht man die sogenannte Flowcell, in der die eigentliche Sequenzierreaktion passiert.
Schlussfolgerung
Die Hochdurchsatzsequenzierung ist eine vielseitige Analyseplattform, die der Radiobiologie neue Perspektiven eröffnet. Ein besonders spannender Aspekt dabei ist die Sequenzierung von Einzelzellen, die das Potenzial hat, den Durchsatz der Biodosimetrie beachtlich zu erhöhen, die benötigte Analysezeit zu verringern und dabei nicht von der Verfügbarkeit teilungsfähiger Zellen abhängig ist.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Wagner S, Kubitscheck L, Port M, Ullmann R: Hochdurchsatzsequenzierung – ein vielseitiges Werkzeug zur Detektion strahlungsinduzierter DNA-Schäden. WMM 2023; 67 (3): 60-64.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-106
Für die Verfasser
Regierungsdirektor Priv.-Doz. Mag. Dr. Reinhard Ullmann
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstrasse 11, 80937 München
E-Mail: reinhard1ullmann@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Wagner S, Kubitscheck L, Port M, Ullmann R: High-throughput sequencing - a versatile tool for the detection of radiation-induced DNA damage. WMM 2023; 67 (3): 60-64.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-106
For the authors
Regierungsdirektor Priv.-Doz. Mag. Dr. Reinhard Ullmann
Institute für Radiobiology, German Armed Forces
Neuherbergstrasse 11, 80937 München
E-Mail: reinhard1ullmann@bundeswehr.org