Digitales Beschwerde- und Meinungsmanagement im Marinesanitätsdienst
Digital Appeal and Feedback Management in the Medical Service of the Navy
Marika Schrötera
a Marinekommando, Marinesanitätsdienst
Zusammenfassung
Hintergrund: Das ärztliche Qualitätsmanagement ist Teil der medizinischen Tätigkeit und somit auch Teil der sanitätsdienstlichen Versorgung an Bord seegehender Einheiten. Das Beschwerde- und Meinungsmanagement ist Bestandteil des Qualitätsmanagements. Mit dem nachfolgenden Konzept soll diese Fähigkeit an Bord wiederhergestellt werden.
Schlüsselwörter: Qualitätsmanagement, Beschwerde- und Meinungsmanagement, Digitalisierung, Innovation, Intrapreneurship
Summary
Background: Medical quality management forms part of medical support, and is thus also part of medical care aboard seagoing units. Appeal and feedback management is a component of quality management. With the following concept, this capability shall once again be established on board.
Key words: Medical quality management, Appeal and feedback management, digitization, innovation, intrapreneurship
Einleitung
Das Beschwerde- und Meinungsmanagement ist ein Bereich des Qualitätsmanagements zur Erfassung, Analyse und Auswertung von Patientenäußerungen. Mit diesem Konzept wird der analoge Kummerkasten mittels Digitalisierung aktualisiert.
Soziologie an Bord seegehender Einheiten der Marine
Die Schiffsbesatzung ist das perfekte Beispiel einer Totalen Institution, denn „dieSchranken,dienormalerweisediedreiLebensbereiche(desSchlafens,desSpielens, des Arbeitens) voneinander trennen“[6] sind an Bord aufgehoben.
Die soziale Struktur an Bord ist von ausgeprägter Asymmetrie bestimmt. Als Teil dieser asymmetrischen sozialen Struktur bildet der Bordsanitätsdienst den organisatorisch-institutionellen Rahmen für die Arzt-Patient-Beziehung an Bord.
Die Arzt-Patient-Beziehung ist von verschiedenen Merkmalen geprägt. Hierzu zählt die unterschiedliche Wissensverteilung, wobei der Schiffsarzt/die Schiffsärztin der Experte/die Expertin und der Patient/die Patientin der Laie ist. Weiterhin befinden sich Schiffsarzt/Schiffsärztin und Patient/Patientin in unterschiedlichen sozialen Rollen. Der Patient/die Patientin ist der/die Hilfesuchende und der Arzt/die Ärztin hat die Definitionsmacht (Diagnosestellung, Krankschreibung, Repatriierung/Ausschiffung). Auch die Steuerungsmacht liegt an Bord deutlich bei dem Schiffsarzt/der Schiffsärztin, denn anders als an Land, hat der Patient/die Patientin nicht die Möglichkeit, den Arzt/die Ärztin frei zu wählen, da sich keine weiteren Kollegen/Kolleginnen an Bord befinden. Die Verhandlungsmacht des Patienten/der Patientin ist somit massiv eingeschränkt.
In einer solch asymmetrischen Beziehung, wie sie hier aufgezeigt ist, können sich latente Konflikte finden, die sich in umgeleiteten Konflikten äußern. In der Arzt- Patient-Beziehung sind latente interpersonelle Konflikte zu erwarten, die strukturinduziert sind. Eine aufgetretene Erwartungsenttäuschung aufseiten des Patienten/der Patientin wird unter diesen Bedingungen eventuell nicht angesprochen, da es nicht jedem Patienten/jeder Patientin gegeben ist, Kritik oder Konflikte direkt zu artikulieren.
Auch die Formen der klinischen Entscheidungsfindung unter medizinischen und nicht medizinischen Aspekten (z. B. Hafenplanung) birgt Konfliktpotential und hat u. a. Einfluss auf das Kontrollgefühl des Patienten/der Patientin.
Ferner können Behandlungsfehler Anlass für Kritik sein und sind in 80 % der Fälle auf Prozessfehler zurückzuführen [8]. Diese sind mittels eines umfassenden funktionierenden Qualitätsmanagements vermeidbar. An Bord wird die Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung durch die Asymmetrie des Bordlebens verstärkt.
Konzept
Das Konzept des digitalen Beschwerde- und Meinungsmanagements bietet dem/der Patienten/Patientin mittels eines QR-Codes, den er/sie mit dem privaten Smartphone scannt, die niedrigschwellige Möglichkeit, Feedback anhand eines Fragebogens und Freitextes äußern zu können. Über eine Eingabemaske kann das Feedback anonymisiert oder mit Angabe der persönlichen Daten (für Rückfragen oder ggf. ein persönliches Gespräch) abgegeben werden. Ein Aushang mit dem QR-Code wird direkt in der Nähe des Behandlungsortes angebracht und ist so für die Patienten gut sichtbar und zugänglich. Abb. 1 zeigt beispielhaft, wie ein Aushang und Fragebogen aussehen könnte. Die Realisierung umfasst drei Komponenten: Mobile (App), Web und Backend. Dem Patienten/der Patientin stehen entweder eine App oder eine responsive Webanwendung zur Abgabe des Feedbacks zur Verfügung. Eine zweite Webanwendung dient der Schiffsarztgruppe zur Erfüllung ihrer Aufgaben und hält automatisch die Daten in einem vordefinierten Dashboard zur Ansicht und Auswertung vor, die diese auch im Rahmen eines zeitgemäßen Beschwerde- und Meinungsmanagements weiterbearbeitet.
Abb. 1: Scan des QR-Codes
Der/Die Beauftragte Qualitätsmanagement Admiralarzt Marine als unabhängiger Bearbeiter/unabhängige Bearbeiterin und die Leiter/Leiterinnen Sanitätsdienst(LSD) als Fachvorgesetzte der beiden Flottillen erhalten über die Webanwendung ebenso Zugang zu den anonymisierten Daten, um diese im Sinne eines umfassenden Qualitätsmanagements zu analysieren und auszuwerten sowie Prozesse anpassen zu können (Abb. 2). Ziel des digitalen Beschwerde- und Meinungsmanagements ist die Erhöhung der Patientenzufriedenheit. Weiterhin soll mithilfe der Patientensicht das Risikomanagement verbessert werden, indem Hinweise der Patienten/Patientinnen auf Fehler zur Prozessanpassung genutzt werden.
Abb. 2: Darstellung Prozess
Rechtliche Rahmenbedingungen
„DerSanitätsdienstderBundeswehr(SanDstBw)stelltunterBerücksichtigung militärischer Erfordernisse und Besonderheiten eine demallgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende und demwissenschaftlichenFortschrittRechnungtragendesanitätsdienstlicheVersorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sicher. AuftragdesSanDstBwbeiEinsätzenistdieumfassendesanitätsdienstlicheVersorgung, die neben der Patientenversorgung auch alle Maßnahmen desGesundheitsschutzesundderGesundheitsförderungmitdemZielbeinhaltet,imEinsatzeinimErgebnisdemfachlichenStandardinDeutschlandentsprechendesBehandlungsergebniszugewährleisten“ [3].
Das „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) hat für die sanitätsdienstlichen Einrichtungen des Marinesanitätsdienstes richtungsweisenden Charakter. Der Admiralarzt der Marine trägt die Verantwortung für das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung im Marinesanitätsdienst. Das Beschwerde- und Meinungsmanagement ist als ein wesentlicher Bestandteil zur Umsetzung angewiesen. In zivilen wie auch militärischen Krankenhäusern ist es seit 2013 Pflicht, ein Beschwerde- und Meinungsmanagement zu betreiben, zu analysieren und auszuwerten.
Aspekt der Gesundheitskommunikation
Betrachtet man die Arzt-Patient-Beziehung aus Sicht Watzlawicks anhand des Konstruktivismus, so haben Arzt/Ärztin und Patient/Patientin jeweils eine eigene Vorstellung der wirklichen Welt, jedoch keine objektive Erkenntnis der wirklichen Welt. Die persönliche Interpretation von Gegebenheiten ist individuell verschieden und „die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation“ [7]. So ist es zu erklären, dass Arzt/Ärztin und Patient/Patientin über ein und dieselbe Situation oder dasselbe Gespräch einen jeweils individuellen und gegebenenfalls konträren Eindruck erhalten.
In der heutigen Zeit haben Medien in allen Formen einen hohen Stellenwert in allen Lebensbereichen, so auch für die Besatzung an Bord. Das eingeführte Betreuungsnetz (Internet) ermöglicht nun auch die Nutzung von Smartphones, Tablets oder ähnlichen Geräten auf See. Social Media, Bewertungsportale und Fitnessapps gehören zum Alltag der Soldaten an Bord. So wird das Internet auch genutzt, um eventuelle Informationsdefizite nach dem Besuch beim Schiffsarzt zu recherchieren. Genau hier setzt das Konzept an. Der militärische Patient/Die militärische Patientin an Bord bekommt eine fortschrittliche und im Zivilen alltägliche Variante, um seine/ihre Anliegen mit dem Schiffsarzt/der Schiffsärztin zu kommunizieren. Dies bietet die Gelegenheit, der Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung zu begegnen. Der Patient/Die Patientin erhält eine weitere Möglichkeit, außerhalb der Sprechzeit und der asymmetrischen direkten Situation im Arzt-Patient-Gespräch seine/ihre Anliegen zu adressieren.
Dieses Konzept hat das Potential, die Verbindung zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin zu stärken und der dargestellten Asymmetrie entgegen zu wirken. Der Patient/Die Patientin erhält die Möglichkeit, seine/ihre Anliegen ggf. anonym zu äußern und kann bei Abgabe der persönlichen Daten auch eine Rückmeldung zum Sachverhalt erhalten. So kann der Schiffsarzt/die Schiffsärztin bei Bedarf eine Anschlusskommunikation anbieten und persönlich mit dem Patienten/der Patientin über das Anliegen sprechen. Auf diese Weise lassen sich unter anderen Umständen ungeklärt gebliebene Konflikte auflösen.
Fazit und Ausblick
Die Sichtweise der Patienten/Patientinnen soll aktiv eingefordert werden, um diese wahrnehmen zu können, zu analysieren und auszuwerten. Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse können anschließend die Anliegen der Patienten/Patientinnen gelöst werden und Prozesse im Rahmen des Qualitätsmanagements angepasst werden. Auch Hinweise für materielle und konzeptionelle Anpassungen sind zu erwarten. Durch das Wahrnehmen des Patienten/der Patientin und das Lösen seiner/ihrer Anliegen erfährt der Patient/die Patientin, dass ihm/ihr zugehört wird und er/sie wertgeschätzt wird. Weiterhin bietet das Konzept für den Patienten/die Patientin Transparenz, da er/sie über das Ergebnis seiner/ihrer Anliegen informiert wird. Auf diese Weise kann die Arzt-Patient-Beziehung verbessert werden. Dies ist gerade an Bord, einer Totalen Institution, von großem Wert, um der ausgeprägten Asymmetrie zu begegnen.
Die Einführung als digitale Variante ist in der heutigen Zeit geboten, um die Akzeptanz der Patienten/Patientinnen zu erreichen, da es ansonsten, wie aufgezeigt, nicht angenommen werden würde. Durch das Angebot von zwei intuitiven Anwendungen (Webkomponente und App) ist dem Patienten/der Patientin jede Möglichkeit geboten, sein/ihr Feedback anzubringen. Bei Klärungsbedarf kann diese/r sogar eine personalisierte Rückmeldung abgeben, umso die Patienten-Arzt-Beziehung zu verbessern. Es muss unbedingt anwenderfreundlich und intuitiv nutzbar umgesetzt werden, damit das Angebot niedrigschwellig ist.
Rechtlich gesehen ist der Marinesanitätsdienst, nicht wie Krankenhäuser, dazu verpflichtet, ein Beschwerde- und Meinungsmanagement einzuführen, jedoch deutlich dazu unter Beachtung des Datenschutzes angewiesen.
Die Patientensicherheit wird dahingehend beeinflusst, dass die nun möglichen Prozessanpassungen die Sicherheit der Behandlung erhöhen. Auch die Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin ist in der Lage die Patientensicherheit zu erhöhen, denn der Patient/die Patientin wird in die Lage versetzt, validere Entscheidungen für seine/ihre eigene Gesundheit zu treffen. Der Arzt/Die Ärztin erhält durch eine verbesserte Kommunikation von seinen/ihren Patienten/Patientinnen gegebenenfalls wichtige Informationen, die ihn/sie in der Diagnose und Therapieentscheidung wesentlich beeinflussen.
Dieser hier aufgezeigte kleine Bereich des Qualitätsmanagements für einen sehr kleinen Bereich der Marine zeigt auf, welche Vorteile aus einem umfassenden Qualitätsmanagement nicht nur für den Marinesanitätsdienst, sondern auch für die Marine entstehen können. Zufriedenes Personal, verbesserte Arbeitsbedingungen, verbesserte Kommunikation und somit gesteigerte Effizienz und Effektivität könnten dringend benötigte Ressourcen zur Erfüllung des Auftrages freisetzen.
Diese technische Variante kann nicht nur an Bord, sondern auch an Land eingesetzt werden. Wenn man den Fragebogen austauscht, kann jede Evaluation in der Bundeswehr auf diese Weise durchgeführt werden. Es muss jedoch die Möglichkeit geschaffen werden, digitale Innovationen, deren Nutzen experimentell bewiesen wurde, nach dem Pilotprojekt zügig und dauerhaft in der Bundeswehr einzuführen.
Infobox:
SoftWerk006: Digitales Beschwerde- und Meinungsmanagement
Startschuss für die Agile Coding Phase des SW006 mit dem Marinekommando ist August 2022. Das MVP soll bis Ende 2022 zum Testen der Nutzergruppe bereitgestellt werden.
Die Schmiede ist eine Innovationseinheit der BWI GmbH und entwickelt in drei bis sechs Monaten ohne extra Beauftragung einsatzfähige Software in Form eines MVPs. Die Use Case dafür kommen direkt von einem Nutzer/einer Nutzerin aus der Bundeswehr.
Kontakt zur Schmiede: www.schmiede.dev
Literaturverzeichnis
- Goffmann E: Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995.
- Kleve H: Die Wirklichkeit der Möglichkeit. In: Huber A, Fürst R (Hrsg.):Watzlawicks pragmatischer Konstruktivismus. , aufgerufen am 29. Juli 2022. mehr lesen
- Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: C1–885/0–4004 Bereichsvorschrift Medizinische Qualitätssicherung für die ambulante und stationäre Patientenversorgung in Einrichtungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Koblenz: Kdo SanDstBw 2018.
- Walhalla Fachredaktion: Das gesamte Sozialgesetzbuch SGB I bis SGB XIV mit Durchführungsverordnungen und Sozialgerichtsgesetz (SGG). Regensburg: Walhalla Fachverlag 2022.
- Schrappe M: APS-Weißbuch Patientensicherheit. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verkagsgesellschaft 2018.
- Siegrist J: Medizinische Soziologie, München: Urban & Fischer Verlag 2005.
- Watzlawick P: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen. München: Piper 1976.
- Wiesener TM: Qualitätsförderung durch Fehlervermeidung. Analyse von Behandlungsfehlerverläufen in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (Magisterarbeit im Public-Health-Aufbaustudiengang). Düsseldorf: Heinrich-Heine-Universität 2004.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Schröter M: Digitales Beschwerde- und Meinungsmanagement
im Marinesanitätsdienst. WMM 2022; 66(9-10): 352-355.
Verfasser
Oberstabsarzt Marika Schröter
Marinekommando
Marinesanitätsdienst
Referat Planung/Konzeption
Kopernikusstraße 1, 18057 Rostock
E-Mail: marikaschroeter@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Schröter M: Digital Appeal and Feedback Management in the Medical Service of the Navy. WMM 2022; 66(9-10): 352-355.
Author
Lieutenant Commander (Navy MC) Marika Schröter
Navy Command
Navy Medical Service
Department Planning and Concepts
Kopernikusstraße 1, D-18057 Rostock
E-Mail: marikaschroeter@bundeswehr.org