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Schlaf ist eine Waffe – Erprobung und Evaluierung circadianer Seewachsysteme zur Reduzierung von Ermüdung für die Deutsche Marine

Sleep is a Weapon – Testing and Evaluating Circadian Watch Bills for Reduced Fatigue in the German Navy

Melanie Gieschea, Andrea Milbrodtb, Thomas Sabbaghc, Stefan Röttgera

s Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine

b Marinekommando

c Einsatzgruppenversorger Berlin

Zusammenfassung

Hintergrund: Traditionelle Wachsysteme, die in der Seefahrt genutzt werden, verursachen Erschöpfung bei seefahrendem Personal. Zu wenig Schlaf in der Nacht führt zu Erschöpfung und zu einer reduzierten Vigilanz. Es wird angenommen, dass circadiane Wachsysteme diese negativen Auswirkungen reduzieren können.

Methode: Im Feldversuch mit zwei Minenjagdbooten wurde mit 67 Soldatinnen und Soldaten ein circadianes Wachsystem (7–5-5–7, beginnend 3.00 Uhr) im Vergleich zum traditionellen 6er Wachsystem (beginnend 00.00 Uhr) gefahren. Im Cross-Over-Design wurde jeweils für sieben Tage entweder das neue oder das traditionelle Wachsystem gefahren. Erhoben wurden Ruhe- und Schlafenszeiten, subjektive Müdigkeit, Erschöpfung und Reaktionszeiten sowie Fehler im Psychomotor Vigilance Test (PVT). Zur Durchführung des PVT und zur Bestimmung der Ruhe- und Schlafphasen trugen die Teilnehmenden Aktigraphen am Handgelenk. Die subjektive Müdigkeit wurde mit verschiedenen Fragebögen evaluiert (Fatigue Severity Scale (FSS), Karolinska Sleepiness Scale (KSS), Epworth Sleepiness Scale (ESS)).

Explorativ wurden auf dem EGV BERLIN in verschiedenen Zeiträumen 3-er und 4-er Wachsysteme ohne Rotation erprobt. Hierbei lag der Fokus vor allem auf der Gestaltung der organisatorischen Rahmenbedingungen. Das neue Wachsystem sollte geeignet sein, um langfristig und durchhaltefähig den kompletten Dienst an Bord abzubilden.

Ergebnisse: Aktuell werden die Daten statistisch ausgewertet, so dass die finalen Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt präsentiert werden. Aus den Rückmeldungen der Soldaten und Soldatinnen lässt sich jedoch schließen, dass die circadianen Wachsysteme grundsätzlich umsetzbar sind. Allerdings gäbe es organisatorisch noch Verbesserungsbedarf, so dass die Wachsysteme oft, aber nicht durchgehend positiv bewertet werden.

Fazit und Ausblick: Die bisherige Erprobung der neuen Seewachsysteme hat aufgezeigt, dass eine Modifizierung bis dato etablierter Schiffsroutinen geeignet sein kann, um dem betroffenen Personal Entlastung zu verschaffen und den vergleichsweisen erhöhten Belastungen des traditionellen Seewachrhythmus entgegenzuwirken. Fernziel ist der Aufbau einer Ansprechstelle für Wachplangestaltung und Fatigue Management am Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine (SchiffMed­InstM).

Schlüsselwörter: Wachsysteme, Fatigue, Schlafdauer, Vigilanz, Aktigraphie

Summary

Background: There is evidence that traditional watch schedules used at sea lead to fatigue. A lack of sleep during night time hours often induces exhaustion and a reduced psychomotor vigilance performance. It is assumed that circadian-based watch standing schedules can reduce these negative effects.

Methods: In a field trail with two mine counter measure vessels and N = 67 sailors, we compared a circadian 7–5-5–7 watch bill starting at 3 A.M. with the traditional 6/6 watch bill starting at midnight. In a cross-over design, both vessels employed the traditional and the circadian watch bill for 7 days each. Hours of rest, sleep duration, subjective sleepiness, fatigue and performance in the psychomotor vigilance test were assessed. To determine the rest and sleep durations of the sailors we used actigraphy data. The 3-minute Psychomotor Vigilance Test (PVT) was used to collect performance data. Furthermore, questionnaires were assessed for self-ratings of fatigue (Fatigue Severity Scale) and sleepiness (Karolinska Sleepiness Scale, Epworth sleepiness scale).

Three and four section watch bills without rotation were tested on the EGV BERLIN in various periods of time. The focus here was primarily on the design of the organizational framework. The new watch system should be suitable to realise all duties on board in the long term and in a sustainable manner.

Results: Data analysis is currently in progress; empirical results will be available and presented later. However, based on the feedback from the sailors it can be concluded that in principle, circadian watch bills can be implemented. Nevertheless, some organizational improvements are needed, which may be why many, but not all sailors preferred the watch bills at trial.

Conclusion and Outlook: The testing of the new sea watch systems so far has shown that a modification of previously established ship routines can be suitable to relieve the affected personnel and to counteract the comparatively increased stress of the traditional sea watch rhythm. The long-term goal is to establish a consultancy service for designing watch schedules and fatigue management measures.

Keywords: Watch bills, fatigue, sleep duration, vigilance, actigraphy

Hintergrund

Seefahrten dauern im zivilen wie im militärischen Bereich in der Regel mehrere Tage und Wochen, in denen das Schiff rund um die Uhr überwacht und betrieben werden muss. Dazu wird die Arbeit an Bord in Schichten (in der Seefahrt Wachen genannt) organisiert, die sich in Überwachung, Betrieb und sonstigen Arbeiten sowie in Schlaf- und Ruhepausen abwechseln. Für die Besatzungsangehörigen ist dies, je nach Wachsystem, mit mehr oder minder starken Abweichungen von der natürlichen circadianen Rhythmik [1] des Organismus verbunden, zum Beispiel, indem in den Nachtstunden gearbeitet, am Tage geruht oder zu wechselnden Zeiten geschlafen werden muss. Dadurch und aufgrund langer Arbeitszeiten sowie mangelnder Qualität des Schlafes (Umgebungslärm, Schiffsbewegungen, hoher Stresslevel) bauen die Besatzungsangehörigen während der Seefahrt in der Regel ein Schlafdefizit auf. Folgen können langfristig ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen sein [6], kurzfristig treten Müdigkeit, Erschöpfung sowie eine reduzierte Leistungsfähigkeit ein [10]. Die vor allem kognitiven Leistungseinbußen erhöhen wiederum das Unfallrisiko. So kommt etwa der Untersuchungsbericht der U.S. Navy über eine Unfallserie im Jahr 2017 zu dem Schluss, dass ungünstige Wachplanung, Müdigkeit und Erschöpfung zu allen untersuchten Havarien beitrugen [3].

Der Einfluss unterschiedlicher Wachpläne auf die menschliche Physiologie und Leistungsfähigkeit in der militärischen Seefahrt wurde bereits seit den späten 1940er Jahren untersucht [15]. In jüngerer Zeit haben sich vor allem Arbeitsgruppen der Royal Canadian Navy [9] und der United States Navy [14] mit der Optimierung von Wachplänen beschäftigt und Empfehlungen für die Gestaltung von Wachsystemen abgeleitet, die so weit wie möglich an der circadianen Rhythmik des Menschen ausgerichtet sind. Die Gestaltungsprinzipien solcher circadianen Wachsysteme lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Möglichst 5, 4 oder 3 Wachen, Vermeiden von Zweiwachsystemen,
  • feste Arbeits- und Ruhezeiten in einem 24h-Rhythmus,
  • für alle Wachgänger möglichst lange Ruhephasen während der Nacht und des circadianen Tiefs ermöglichen,
  • Einführen von geschützten Ruhezeiten (kein Weckruf, keine Übungen und Besprechungen außerhalb einer 8–10 stündigen Kernzeit am Tage).

Schwerpunkt der Erprobungen dieser Prinzipien in der U.S. Navy war bislang ein nicht rotierendes Vierwach­system mit drei Stunden Wache, gefolgt von neun Stunden wachfreier Zeit, das gegenüber den traditionell ­rotierenden Vier- und Dreiwachsystemen der U.S. Navy Befinden und Leistungsfähigkeit der Besatzungen verbessern konnte [2][13]. Zu der Frage, wie groß mögliche Verbesserungen bei einer Optimierung von Drei- und Zweiwachsystemen anhand der obigen Punkte ausfallen, wenn die Anzahl der Wachen unverändert bleibt, liegen bislang kaum Daten vor.

Besonders problematisch sind Zweiwachsysteme, weil sie zum einen eine Wachdauer von 12 Stunden am Tag erfordern, zum anderen, weil jede Verlängerung der Ruhephase einer Wachhälfte unmittelbar eine Verlängerung der Wachdauer der anderen Wachhälfte zur Folge hat. Zwar gibt es einige wenige Arbeiten mit Vorschlägen zur Optimierung hergebrachter Zweiwachsysteme, diese basieren jedoch oft auf nicht in der Praxis verifizierten Modellrechnungen [8]. Eine empirische Arbeit des Schifffahrtmedizinischen Institutes der Marine [9] erforschte in den 1980er Jahren ein optimiertes Zweiwachsystem, das zu Verbesserungen der Vigilanzleistung von Radarbeobachtern geführt hat. In dieser Arbeit wurden sowohl die Länge der Wachen (in Stunden 8–4-4–8 vs. 6–6-6–6) als auch die Lage der Wachwechsel verändert (Wachwechsel 03.00, 11.00, 15.00, 19.00 vs. 00.00, 06.00, 12.00, 18.00). Zusätzlich wurde die Zuteilung der Wachgänger auf die Wachen, wenn möglich, anhand ihres persönlichen circadianen Rhythmus [11] so vorgenommen, das Morgentypen ihren Dienst am frühen Morgen begannen (Wache 3.00 Uhr bis 11.00 Uhr), und Abendtypen in die Nacht hinein arbeiteten (Wache 19.00 Uhr bis 03.00 Uhr).

In Versuchen der Deutschen Marine sollen traditionelle und gemäß den Leitlinien circadianer Wachplanung optimierte Wachsysteme mit zwei und drei Wachen erprobt und in ihren Auswirkungen auf Befinden, Schlaf und Leistungsfähigkeit der Besatzungen verglichen werden. Bei Zweiwachsystemen steht die Frage im Vordergrund, ob auch mit Wach- und Ruhephasen kürzer als acht Stunden eine Verbesserung von Befinden und Leistungsfähigkeit erzielt werden kann. Bei Dreiwachsystemen sollen Vor- und Nachteile rotierender und konstanter Wach- und Ruhezeiten verglichen werden. Praktikabilität und Effektivität der Wacheinteilung anhand der individuellen circadianen Rhythmik sollen sowohl bei Zwei- als auch bei Dreiwachsystemen untersucht werden.

Methoden

Im Rahmen eines Sonderforschungsprojektes (gefördert von der Sanitätsakademie der Bundeswehr unter der Nummer 14M2-S-90–2123) wurden auf den Minenjagdbooten (MJB) DATTELN und FULDA jeweils das traditionelle 2-Wachsystem sowie ein optimiertes Wachsystem erprobt. Der Einsatzgruppenversorger (EGV) BERLIN erprobte die Umsetzbarkeit eines 4- und 3-Wachsystems im Truppenversuch. Hierbei stand vor allem die organisatorische Umsetzbarkeit an Bord im Fokus. Bei allen Vorhaben wurden nicht rotierende neue Wachsysteme erprobt.

Erprobung eines 2-Wachsystems

Die Datenerhebung fand in der Ostsee in Form eines Cross-Over-Designs vom 04.02. - 23.02.2022 auf den MJB FULDA und DATTELN statt. Insgesamt nahmen 67 Versuchspersonen an der Studie teil.

Verglichen wurde das von den Minenjagdbooten eingesetzte traditionelle Wachsystem mit einem anhand des aktuellen Forschungsstandes optimierten circadianen Wachsystem (Abbildung 1). Bei dem bisher gefahrenen Seewachsystem findet alle sechs Stunden ein Wachwechsel (beginnend 00.00 Uhr) statt. Dies ermöglicht maximal fünf Stunden Schlaf am Stück. Durch das neue Wachsystem sollen längere Schlafperioden realisiert werden, die zudem für beide Wachhälften wenigstens zum Teil in der Nacht, also in der Zeit des erholsamsten Schlafes, liegen. Beide an der Studie teilnehmenden Einheiten fuhren mit unterschiedlichen Wachsystemen (MJB FULDA alt, MJB DATTELN neu) das gleiche Missionsprofil im gleichen Seegebiet. Nach einer Woche (während eines Hafenaufenthaltes) wechselten die beiden Einheiten das Wachsystem (MJB DATTELN neu, MJB FULDA alt) und der Versuch wurde für die Dauer einer weiteren Woche fortgesetzt (Abbildung 2).

Abb. 1: Oben: Traditionelles Wachsystem (6–6-6–6 Wachwechsel 00.00 Uhr); Unten: Circadianes Wachsystem (7–5-5–7 Wachwechsel 03.00 Uhr)

 

Abb. 2: Versuchsaufbau zur Erprobung der 2-Wachsysteme auf den MJB FULDA und DATTELN im Cross-Over-Design

Auf diese Weise lassen sich die Auswirkungen der Wachsysteme auf Schlaf, Müdigkeit und Erschöpfung zuverlässig von Effekten der Gefechts-, Einsatz- und Umweltbelastungen trennen und zugleich belastbare Erfahrungen mit dem neuen Wachsystem von zwei Einheiten gewinnen. Zur Reduzierung von Carry-Over Effekten von der ersten auf die zweite Untersuchungsperiode dauerte der Hafenaufenthalt drei Tage. Dies ermöglichte für einen Großteil der Besatzung mindestens zwei Nächte ununterbrochenen Schlaf.

Um die motorische Aktivität der Teilnehmenden abbilden zu können, trugen diese während des Erhebungszeitraums ununterbrochen Aktigraphen am Handgelenk. Diese Daten erlauben eine Eingrenzung der in den jeweiligen Wachsystemen auftretenden Wach- und Schlafphasen. Die subjektive Müdigkeit und Erschöpfung wurde mittels verschiedener Fragebögen ermittelt (Epworth Sleepiness Scale [5], Karolinska Sleepiness Scale [4], Fatigue Severity Scale [7]). Die Vigilanz, also die Fähigkeit, einen zu einem unbekannten Zeitpunkt erscheinenden Stimulus zuverlässig zu entdecken und schnell auf diesen zu reagieren, wurde mittels des Psychomotor Vigilance Tests erhoben. Dieser war auf den Aktigraphen programmiert, den die Teilnehmenden im Datenerhebungszeitraum trugen. Der dreiminütige Aufmerksamkeitstest war jeweils zu Wachbeginn und -ende (also viermal am Tag) durchzuführen. Hierbei war der Aktigraph abzulegen und in die Hände zu nehmen. Sobald ein Signal auf dem Display erschien, musste so schnell wie möglich eine Taste auf dem Aktigraphen gedrückt werden (Abbildung 3).

Abb. 3: Durchführung des Psychomotor Vigilance Tests (links). Das rechte Bild zeigt den Aktigraphen der Firma Motionlogger® Micro Watches (Ambulatory Monitoring, Inc.)

Müdigkeitsbedingte Leistungseinbußen an Bord wurden vor allem am Ende einer Wache, in den Nachtstunden, und stärker im traditionellen Wachsystem erwartet. Zudem wurde durch die Probanden ein Tagebuch geführt, in dem sie Wach- und Schlafphasen, Alkohol-, Nikotin-, und Medikamentenkonsum dokumentierten.

Erprobung eines 4-und 3-Wachsystems EGV BERLIN

Auch auf dem EGV Berlin wurde je ein nicht rotierendes 4- und 3- Wachsystem erprobt. Diese Truppenversuche fanden sowohl in der Nord- als auch in der Ostsee statt. Insgesamt nahmen 104 Soldatinnen und Soldaten aus vier Betriebsräumen an den Studien teil. Im Rahmen der Erprobung des Seewachsystems mit festen Zeiten lag der Fokus auf dem Seewachbereich Brücke, der für die nautisch sichere Führung des Schiffes unerlässlich ist. Weitere Bereiche wie der Operationsdienst, die Schiffstechnik und der Fernmeldedienst waren ebenfalls Bestandteil der Erprobung, da ihre Gesamtheit und das Zusammenspiel für die sichere Führung des Schiffes in allen Bereitschaftszuständen essentiell sind.

 

Abb. 4: Neuer Wachrhythmus EGV BERLIN im 3-bzw. 4-Wachsystem.

Die Erprobungen fanden während der Teilnahme eines ISEX (Internal Ship Exercise, 01.11.21–12.11.21), der STANDING NATO MARITIME GROUP 1 (02.02.22–01.04.22) und während des multinationalen Manövers BALTOPS (02.06.22–17.06.22) statt. Die Einsatzzeiten sowie das Aufgaben- und Missionsziel waren trotz der unterschiedlichen Zeiträume vergleichbar. Die klimatischen Bedingungen hingegen waren sehr unterschiedlich – so waren während der Teilnahme ISEX und SNMG1 sehr kalte und feuchte Umweltbedingungen bestimmend. Während der Teilnahme an BALTOPS waren hingegen eher warme und trockene Bedingungen vorherrschend.

Durch Hafenaufenthalte, verändernde Vorhaben (bspw. Ankern) und angepasste Manöverzeiträume konnte das neue Wachsystem nicht über einen längeren Zeitraum am Stück erprobt werden.

Das neue Wachsystem soll geeignet sein, um langfristig und durchhaltefähig den kompletten Dienst an Bord abzubilden. Insbesondere sollte das Wachsystem auch während fordernder Ausbildungsabschnitte, wie einem Einsatz- und Ausbildungsprogramm (EAP) sowie einer Teilnahme an einem multinationalen Manöver (z. B. ­BALTOPS, NoCo, SNMG 1/2, etc.) uneingeschränkt anwendbar sein.

Einmalig wurde die Rotation der Seewachen in See durch Aufteilung der Wachzeit von 16.00 Uhr – 20.00 Uhr, in 16.00 Uhr – 18.00 Uhr und 18.00 Uhr – 20.00 Uhr durchgeführt. Dies erfolgte während einer langen Seephase nach sieben Tagen, um Ausbildungsabschnitte und Aufgaben im Tagesdienst gleichmäßig zu verteilen und der Monotonie während der Seewachen durch immer wiederkehrende Arbeiten und Zielsetzungen entgegenzuwirken.

Ergebnisse

Absicht war es zu erproben, inwieweit ein verändertes Seewachsystem dazu dienen kann, die Belastung und die Ermüdung durch den Wechsel der Seewachen zu reduzieren sowie Faktoren wie z. B. Müdigkeit und Konzentrationsmangel des betroffenen Personals entgegenzuwirken. Überdies konnten erste Erfahrungswerte gesammelt werden, inwieweit sich diese Änderung auf das Gesamtsystem Schiff (z. B. Innendienst, Aufgaben außerhalb der Seewachen) auswirkt.

Aktuell werden hierzu die Daten statistisch ausgewertet, so dass abschließende empirische Ergebnisse später berichtet werden. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen Rückmeldungen zum subjektiven Empfinden bezüglich der gefahrenen Wachsysteme vor.

Rückmeldung zum 2-Wachsystem auf den MJB ­DATTELN und FULDA

Die Teilnehmenden wurden nach der Datenerhebung gebeten, ein Feedback zum jeweiligen Wachsystem abzugeben. Auf einer fünf-stufigen Skala sollte angegeben werden, ob der neue circadiane Seewachrhythmus bevorzugt wird.

Aus Abbildung 5 geht hervor, dass 1/4 der Erprobungsteilnehmer das erprobte Zweiwachsystem nicht bevorzugen würden; 1/3 ist unentschieden, die restlichen 42 % würden das circadiane Zweiwachsystem bevorzugen. Ein möglicher Grund für die geringere Zustimmung im Vergleich zum erprobten Drei- bzw. Vierwachsystem auf dem EGV (Abschnitt 3.2) könnte sein, dass das Zweiwachsystem immer ein Kompromiss aus Essens- und Schlafenszeit ist. Mit dem Verschieben der Wachwechsel ergeben sich an Bord ungewohnt späte Mahlzeiten. Dies wurde auch in den abschließenden Fragebögen durch die Teilnehmenden bemängelt. Vermehrt wurden die ungewohnten Essenszeiten kritisiert. Jedoch wurde auch hervorgehoben, dass sich Teile der Besatzungen ausgeruhter fühlten und so tagsüber leistungsfähiger gewesen seien. Ob sich dieses Empfinden auch mit den standardisiert erhobenen Daten deckt, wird sich nach der gesamten Datenauswertung zeigen.

Abb. 5: Prozentuale Zustimmung zum circadianen Wachsystem auf den MJB FULDA und DATTELN (Abb. 1–5: Aufnahme bzw. Erstellung durch SchiffMedInstM/ © SchiffMedInstM)

Erprobung eines 3-Wachsystems

Die Evaluierung erfolgte mit Hilfe eines Feedbackbogens. Die Teilnehmenden sollten die mentalen, physischen, sozialen und emotionalen Belastungen und ­daraus resultierenden Beanspruchungen subjektiv einschätzen. Unter Anwendung des herkömmlichen Seewachsystems konnte mit Zunahme der Seefahrtsdauer eine deutlich erkennbare subjektiv ­berichtete physische und psychische Belastung bei Seewächtern festgestellt werden. Des Weiteren wurde ­evaluiert, ob man persönlich das geänderte (feste) Seewachsystem oder das traditionelle (rotierende) Seewachsystem bevorzugen würde. Bezüglich der Reduzierung von Ermüdung und Durchhaltefähigkeit war der Großteil der befragten Personen für das feste Seewach­system – in dem Bereich (schneller) Ausbildungserfolg zum Verschaffen eines gleichmäßigen Ausbildungsstandes in kürzester Zeit, wurde das traditionelle Seewach­system als überlegen angesehen.

Aus Zwischengesprächen während der Testphase wurde bereits frühzeitig deutlich, dass insbesondere die Wachgänger der Betriebsräume Brücke (Oberdeckspersonal, welches permanenter Witterung ausgesetzt ist) und Schiffstechnischer Leitstand (technisches Personal u. a. im Motorenraum in sehr warmer und lauter Umgebung) sich ausgeruhter fühlten und ihre Aufgaben konzentrierter wahrnehmen konnten.

Diese Ergebnisse und Bewertungen spiegelten sich auch in 90 % der Feedbackbögen wieder. In Hinblick auf die körperliche Belastung ergab die Auswertung, dass 68 % der Befragten sich ausgeruhter fühlten und sich der Biorhythmus trotz der vergleichsweise kurzen Erprobungsphase gut an die Bedingungen anpasste. Der positive Eindruck wird dadurch untermauert, dass sich 70 % der Teilnehmenden für eine dauerhafte Übernahme des erprobten Seewachsystems aussprachen.

Das 4-er Wachsystem ist grundsätzlich dem 3-er Wachsystem vorzuziehen. Hier sind die größte Regeneration und Erholung möglich. Die Belastung reduziert sich zugunsten der Leistungsbereitschaft und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten.

Jedoch kann die Umsetzung des 4-Wachsystems in der Praxis aus personellen Gründen schwierig sein. Allerdings sind auch die Rückmeldungen und die Ergebnisse des nicht rotierenden 3-Wachsystems überzeugend. Auch ist dieses an Bord besser auszuplanen, da grundsätzlich die Seewachroutine auf Schiffen in einem 3-Wachsystem, personell, als auch strukturell, geplant ist.

Der Fokus soll daher zukünftig schwerpunktmäßig auf der Optimierung fester 3-er Wachsysteme liegen. Dabei sollte das Fatigue Management und die Verbesserung der Schlafhygiene durch organisatorische Maßnahmen berücksichtigt werden. Auch die gezielte Förderung intrapersoneller Fähigkeiten (Schlaftraining) sowie Maßnahmen zum Stressabbau sind denkbar.

Fazit und Ausblick

Die bisherige Erprobung der neuen Seewachsysteme hat aufgezeigt, dass eine Modifizierung bis dato etablierter Schiffsroutinen geeignet sein kann, dem betroffenen Personal Entlastung zu verschaffen sowie den vergleichsweise erhöhten Belastungen und den daraus resultierenden Beanspruchungen durch den traditionellen Seewachrhythmus entgegenzuwirken. Ziel des Vorhabens ist es, die Leistungsfähigkeit der Seegehenden ­Einheiten der Marine durch ein besseres Fatigue Management zu erhöhen. Die im Laufe des Projektes entstehende Expertise soll genutzt werden, um eine für die Marine direkt verfügbare Kompetenzstelle zur Wachplanberatung und Fatigue Management aufzubauen. Sie soll über die methodische Expertise zur Messung und Beurteilung von Regeneration und Leistungsbereitschaft an Bord verfügen, Wachpläne mit aktuellen Computermodellen analysieren und beim Aufstellen von Wachplänen beraten sowie eine Sammlung der Best Practices beim Implementieren circadianer Wachsysteme vorhalten. Darüber hinaus soll sie den aktuellen Stand der Literatur zum Thema Fatigue Management und Wachplanung verfolgen und auf dieser Basis Beiträge zu Lehrgängen, Fortbildungsveranstaltungen und Rüstungsvorhaben der Marine liefern können.

Literaturverzeichnis

  1. Brown MR, Matveyenko AV: Biological timekeeping: Scientific background. In: Auger R (eds.): Circadian Rhythm Sleep-Wake Disorders. Cham, Springer 2020: 1–20.
  2. Brown S, Matsangas P, Shattuck NL: Comparison of a circadian-based and a forward rotating watch schedules on sleep, mood, and psychomotor vigilance performance. Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society Annual Meeting 2015; 59(1): 1167–1171.
  3. Comprehensive review of recent surface force incidents. Arlington, VA: The United States Department of the Navy Report 2017.
  4. Gillberg M, Kecklund G, Åkerstedt T: Relations between performance and subjective ratings of sleepiness during a night awake. Sleep 1994; 17(3): 236–241.
  5. Johns, MW: A new method for measuring daytime sleepiness: The Epworth sleepiness scale. Sleep 1991; 14(6): 540–545.
  6. Kecklund G, Axelsson J: Health consequences of shift work and insufficient sleep. The BMJ 2016: 355: i5210.
  7. Krupp LB, LaRocca NG, Muir-Nash J, Steinberg AD: The fatigue severity scale. Application to patients with multiple sclerosis and systemic lupus erythematosus. Archives of neurology 1989; 46(10): 1121–1123.
  8. Paul, MA, Hursh, SR, Miller JC: Alternative submarine watch schedules: Recommendations for a new CF watch schedule. Toronto: DRDC Report 2010.
  9. Paul MA, Love RJ: Comparison of Royal Canadian Navy watchstanding schedules. Military Medicine 2021; 187(3–4): e418–e425.
  10. Pilcher JJ, Huffcutt AI: Effects of sleep deprivation on performance: A meta-analysis. Sleep 1996; 19(4): 318–326.
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  14. Shattuck NL, Matsangas, P (2021). NPS crew endurance handbook. A guide to applying circadian-based watchbills (Version 2.0). Monterey, CA: Naval Postgraduate School 2021.
  15. Utterback RA, Ludwig GD: A comparative study of schedules for standing watches aboard submarines based on body temperature cycles. Bethesda Maryland, Naval Medical Research Institute 1949.

Bildquellennachweis beim Autor

Manuskriptdaten

Zitierweise

Giesche M, Milbrodt A, Sabbagh T, Röttger S: Schlaf ist eine Waffe – Erprobung und Evaluierung circadianer Seewachsysteme zur Reduzierung von Ermüdung für die Deutsche Marine. WMM 2022; 66(9-10): 323-328.

 

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-40

Für die Verfasser

RAmtfr Melanie Giesche

Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine

Medizinische Ergonomie und Schifffahrtpsychologie

Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen

E-Mail: melaniegiesche@bundeswehr.org

Manuscript Data

Citation

Giesche M, Milbrodt A, Sabbagh T, Röttger S: Sleep is a Weapon – Sleep is a Weapon – Testing and Evaluating Circadian Watch Bills for Reduced Fatigue in the German Navy. WMM 2022; 66(9-10): 323-328.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-40

For the Authors

Melanie Giesche

Naval Institute of Maritime Medicine

Medical Ergonomics and Naval Psychology

Kopperpahler Allee 120, D-24119 Kronshagen

E-Mail: melaniegiesche@bundeswehr.org

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