Notfall- und Intensivmedizin in See
Entwicklung von Algorithmen zur intensivmedizinischen Langzeitversorgung in See – Prolonged Field Care on Sea: Beyond the “Golden Hour”
Ein Projekt im Rahmen einer Reserve-Dienstleistung am Marine-Kommando
Nils Wagnera
a ADAC-Luftrettungsstation RTH CHRISTOPH 65 - Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Diakonie-Klinikum Schwäbisch Hall
Hintergrund
Am 28.02.2022 wurde das “Handbuch zur Qualitätssicherung Algorithmen in der präklinischen Notfallversorgung” [1] basierend auf den Musteralgorithmen des Deutscher Berufsverband Rettungsdienst (DBRD e. V.) für den Sanitätsdienst der Marine vom Admiralarzt der Marine freigegeben. Vergleichbar mit den Handlungsanweisungen eines Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) im Zivilen wurden hiermit Handlungsempfehlungen für das unterstellte medizinische Assistenzpersonal im Sinne einer Dienstvorschrift formuliert [2].
Abb. 1: Algorithmen in der präklinischen Notfallversorgung im Sanitätsdienst der Marine
Seit der Umstrukturierung der Deutschen Marine hin zu einer “Expeditionary Navy” mit weltweiten Einsätzen erfährt auch der Bordsanitätsdienst auf Schiffen der Deutschen Marine in Abhängigkeit des Einsatzspektrums eine abgestufte Erweiterung seiner Versorgungsebene [3], zuletzt offenkundig geworden mit dem Einsatz der Fregatte „BAYERN“ im Indo-Pacific Deployment 2021/2022.
Die auf Fregatten und den Einsatzgruppenversorgern eingesetzten Bordfacharztgruppen, bestehend aus je einem Sanitätsstabsoffizier mit der Gebietsbezeichnung Anästhesiologie und Chirurgie sowie spezialisierten Pflegekräften, können über die allgemeinmedizinische und rettungsmedizinische Versorgung (Role 1) hinaus eine zusätzliche Notfallversorgung im Sinne einer Schockraumversorgung und gegebenenfalls notfallchirurgische und intensivmedizinische Interimsversorgung (Role 1+) ermöglichen [3]. Anästhesie und Chirurgie in der Bordfacharztgruppe auf einem Kriegsschiff unter Einsatzbedingungen bedeuten aber keinesfalls klinische Medizin unter Bordverhältnissen [3]. Fregatten und auch Einsatzgruppenversorger mit Bordfacharztgruppe fahren zudem nicht unter dem Schutz des Roten Kreuzes zur See, sie sind keine klinisch optimierten Hospitalschiffe. Die Infrastruktur an Bord der Kampfschiffe ist auf Durchhaltefähigkeit und Sicherung der Plattform Kriegsschiff im Einsatz ausgerichtet. Somit ist auch eine den vorgegebenen Grundsätzen der fachlichen Leitlinie des Inspekteurs des Sanitätsdienstes entsprechende Patientenversorgung unter den gegebenen Voraussetzungen an Bord eines Kriegsschiffes nur sehr eingeschränkt umsetzbar [3]. Dies gilt umso mehr für die notfallmedizinische Versorgung auf nicht arztbesetzten seegehenden Einheiten.
Neben der dem Verletzungsmuster bzw. der Erkrankungsschwere geschuldeten Triagierung ist hier folglich auch mit einer Priorisierung des für die medizinische Versorgung zur Verfügung stehenden ärztlichen (Assistenz-) Personals sowie der daran anschließend für den MedEvac zur Verfügung stehenden Mittel und Ausrüstung zu rechnen.
Projekt im Rahmen einer Reserve-Dienstleistung
Wurde mit dem “Handbuch zur Qualitätssicherung Algorithmen in der präklinischen Notfallversorgung” [1] eine Handlungsanweisung für die primäre präklinische Notfallversorgung im Sinne einer „Taschenkarte“ formuliert, blieb die Frage nach vergleichbaren Algorithmen zur intensivmedizinischen Weiterversorgung auf See bisher kaum bearbeitet, wenngleich die Fortsetzung der professionellen medizinischen Behandlung nach erfolgreicher Primärversorgung doch nur eine logische Konsequenz darstellt: Prolonged Field Care: Beyond the „Golden Hour“ [4].
Im Rahmen einer Reservedienstleistung im Juni 2021 in der Abteilung Sanitätsdienst am Marinekommando wurde hierfür ein erster Grundstein gelegt.
Im deutschsprachigen Raum befasst sich schwerpunktmäßig u. a. die TREMA (Tactical Rescue & Emergency Medicine Association) mit der Optimierung von Leitlinien für TCCC (Tactical Combat Casualty Care).
Basierend auf den unter pfc.org hinterlegten US-amerikanischen Leitlinien [5], wird in der 2018 veröffentlichten TREMA-Guideline Version 3.0 auf die zehn wesentlichen Aspekte der Prolonged Field Care mit einem eigenen Abschnitt eingegangen [6]:
- Monitoring
- Flüssigkeitsmanagement
- Ventilation, Oxygenierung
- Atemwegsmanagement
- Sedierung, Analgesie
- Untersuchung und Diagnosen
- Pflege, Hygiene, persönlicher Komfort
- Wundpflege
- Telemedizin
- Transportbereitschaft [6].
Angelehnt an diese Auflistung wurde der Entwurf für die marineeigenen Algorithmen intensivmedizinischer Langzeitversorgung in See entwickelt:
Auch für den nicht-militärischen Bereich wird in der Literatur regelmäßig über das „äußere“ Gefahrenpotential im Kontext von Umlade- und Transfer-Situationen berichtet [6]. Während sich der komplett „verkabelte“ und leitliniengemäß anbehandelte Patient auf einer Intensivstation durchaus in einer Form von „steady-state“ befinden kann, können Intra- und Interhospitaltransporte beinahe schon eine Art „Sollbruchstelle“ darstellen, die sich signifikant auf die Morbidität und Mortalität auswirkt [7].
Es ist unschwer vorstellbar, dass dies für ein maritim-militärisches Setting mindestens genauso zutrifft. Umso mehr gilt es hier, durch entsprechend präemptiv-vorausschauende Handlungsempfehlungen anzusetzen.
Abb. 3: Beispiel aus dem Abschnitt „Transportbereitschaft-Minimierung des Gefährdungspotentials“
Die als „Taschenkarte“ im Sinne einer Check- und To-do-Liste insbesondere für medizinisches Assistenzpersonal bzw. Ärzte ohne die sog. „arbeitsalltägliche Routine“ im Umgang mit solchen Situationen gedachten Algorithmen sollen kein weiteres medizinisches Kitteltaschenbuch sein, sondern v. a. „aus-der-Praxis-für-die-Praxis“ für eine angemessene Risikowahrnehmung sensibilisieren.
Der Entwurf der Algorithmen intensivmedizinischer Langzeitversorgung in See wurde im Rahmen eines Vortrages auf der 6. Arbeitstagung der Marineoffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr (30. März-01.April 2022) in Wilhelmshaven vorgestellt.
Bezüglich Feinabstimmung und Layout bedarf es sicherlich noch weiterer konzentrierter Arbeit an dem Projekt. Ein erster Grundstein hierfür ist aber gelegt!
Literatur
- Sanitätsdienst der Marine: Handbuch zur Qualitätsssicherung - Algorithmen in der präklinischen Notfallversorgung. Version 2.0 (Stand: Februar 2022). Rostock: Marine-Kommando 2022.
- Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e. V. : Muster-Algorithmen 2021 online. , letzter Aufruf 29. Juli 2022. mehr lesen
- Fohr W, Hartmann V, Posselt D: Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie (AINS) im maritimen Umfeld. WMM 2015; 59(11): 360-364. mehr lesen
- Keenan S, Riesberg JC: Prolonged Field Care: Beyond the "Golden Hour". Wilderness Environ Med 2017; 28(2S): S135-S139. mehr lesen
- Joint Trauma System: Prolonged Casualty Care Guidelines (CPG ID:91). , letzter Aufruf 29. Juli 2022. mehr lesen
- TREMA Europe: Leitlinien1 der TREMA e.V. für Taktische Verwundetenversorgung. , letzter Aufruf 29. Juli 2022. mehr lesen
- Monnig M, Brokmann JC, Poloczek S: Intra- und Interhospitaltransport von Intensivpatienten. In: Rossaint R, Werner C, Zwißler B (eds): Die Anästhesiologie. Berlin, Heidelberg: Springer 2018. mehr lesen
Verfasser
Flottillenarzt d. R. Dr. Nils Wagner
Crew-Notarzt RTH CHRISTOPH 65 ADAC Luftrettung
Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
DIAKONEO DIAK Klinikum
Schwäbisch Hall gGmbH
Diakoniestraße 10, 74523 Schwäbisch Hall
E-Mail: nils.wagner@diakoneo.de
Vortrag bei der 6. Arbeitstagung der Marineoffiziere im Sanitätsdienst der Bundeswehr in Wilhelmshaven vom 30. März – 01.April 2022
Trinkwasserhygiene an Bord –
gewinnen Vibrio-Spezies zukünftig an Bedeutung?
Drinking Water Hygiene on Ships – will Vibrio Species Become more Important in the Future?
Monique Löwea; Susanne Fleischmannb; Jörg Schulenburga; Thomas Alterb
a Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel Abteilung A Veterinärmedizin
b Freie Universität Berlin Fachbereich Veterinärmedizin, Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene
Zusammenfassung:
Die Sicherstellung von unbedenklichem Trinkwasser an Bord von schwimmenden Einheiten der Deutschen Marine nimmt einen hohen Stellenwert zum Schutz der Gesundheit der Soldaten und Soldatinnen ein. Humanpathogene Vibrio-Spezies gewinnen unter anderem durch die Erhöhung der Oberflächentemperatur der Meere zunehmend an Bedeutung. Kommt es zu Defekten in den technischen Anlagen der Frischwassererzeuger der schwimmenden Einheiten, könnte dies zu einer Kontamination des aufbereiteten Trinkwassers mit humanpathogenen Mikroorganismen, wie Vibrio parahaemolyticus oder Vibrio vulnificus führen. Folglich steigt das Risiko für die Besatzung an Infektionen wie Gastroenteritiden zu erkranken. Dementsprechend sollte aufgrund des fortschreitenden Klimawandels und den damit einhergehenden Auswirkungen auf das marine Ökosystem eine Erweiterung des mikrobiologischen Untersuchungsspektrums bei technischen Defekten von Frischwassererzeugern in Betracht gezogen werden.
Schlüsselwörter: Veterinärmedizin, Trinkwasserhygiene, Schiffe, Klimawandel, Deutsche Marine
Summary:
Ensuring safety of drinking water on German Navy ships is of high importance for the protection of soldiers’ health. Human pathogenic Vibrio species are of increasing importance, due to rising surface temperatures of oceans, among others. Technical damages of fresh water generators of navy ships could lead to a contamination of drinking water with human pathogenic microorganisms, such as Vibrio parahaemolyticus or Vibrio vulnificus. Consequently the risk of infections such as gastroenteritis increases for the crew. Accordingly, due to the ongoing climate change and the associated effects on the marine ecosystem, an upgrade of the microbiological examination spectrum in case of technical defects of fresh water generators should be considered.
Keywords: veterinary medicine, drinking water hygiene, ships, climate change, German Navy
Einleitung
Der wesentliche Baustein unserer Existenz ist Wasser. Dementsprechend ist Trinkwasser das mit am bedeutsamste und unentbehrlichste Gut, dessen Qualität und Verfügbarkeit es zu schützen gilt. Aus diesem Grund ist die Versorgung der Soldaten und Soldatinnen mit unbedenklichem Trinkwasser das oberste Ziel aller hierbei beteiligten Fachbereiche. Schwimmende Einheiten der Marine sind nahezu alle mit Frischwassererzeugern ausgestattet. Diese sind in der Lage, aus dem salzhaltigen Meerwasser durch spezielle Umkehrosmoseanlagen (RO-Anlagen) in mehreren Aufbereitungsschritten Trinkwasser zur Nutzung herzustellen und dieses in den sogenannten Frischwasserzellen (FrWaZe) an Bord zu speichern. Das so gewonnene Trinkwasser wird vielfältig genutzt, z. B. zur Zubereitung von Lebensmitteln oder zur Körperhygiene. Die mikrobiologische Qualität des gewonnenen Trinkwassers wird regelmäßig und risikoorientiert durch das Zentrale Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel Abteilung A – Veterinärmedizin (ZInstSanBw Kiel Abt A VetMed) untersucht. Die mikrobiologischen Untersuchungen werden gemäß den strengen Vorgaben der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) [1] durchgeführt. Das an Bord aufbereitete und gespeicherte Trinkwasser wird auf das Vorhandensein von mikrobiologischen Parametern (z. B. Escherichia (E.) coli, Enterokokken, Pseudomonas (P.) aeruginosa) und Indikatorparametern (z. B. Coliforme Bakterien, Koloniezahl kultivierbarer Mikroorganismen bei 22 °C und 36 °C) untersucht. Die regelmäßige Überprüfung der technischen Anlagen zur Wasseraufbereitung sowie die Kontrolle der Trinkwasserhygiene sind essentiell, da zum einen Meerwasser natürlicherweise Mikroorganismen beinhaltet, zum anderen Schiffe außerhalb der 12-Seemeilen-Zone in viel befahrenen Wasserstraßen ihre Abwässer unbehandelt einleiten dürfen. Diese können unter Umständen eine Quelle für Infektionskrankheiten wie Virushepatitis, Cholera und Typhus sein [2]. Die Klimaerwärmung stellt uns nicht nur international, sondern auch immer häufiger national vor empfindliche Herausforderungen. Ein durch den Klimawandel verursachter Anstieg der Meeresoberflächentemperatur wird nicht nur in den großen Weltmeeren verzeichnet [3], sondern auch für die Oberflächentemperatur des Wassers der Ostsee wird ein Anstieg von voraussichtlich 4–5 °C in den kommenden Jahrzehnten prognostiziert [4]. In diesem Zusammenhang rücken zunehmend Nicht-Cholera-Vibrionen in den Vordergrund, wobei das Infektionsrisiko im Wesentlichen von der Wassertemperatur sowie von dem darin enthaltenen Salzgehalt abhängt [5]. Tabelle 1 gibt einen Überblick über einen Teil der Vibrio-Spezies, die im Zusammenhang mit einem Infektionsgeschehen beim Menschen stehen [6].
Tab. 1: Manifestationsformen von ausgewählten humanpathogenen Vibrio-Spezies.
Zu diesen gehören beispielsweise Vibrio (V.) parahaemolyticus-Stämme, denen zahlreiche Virulenzfaktoren zugeordnet werden, die Bestandteil eines komplexen Pathogenitätssystems sind [7]. Zu den wichtigsten Virulenzfaktoren zählen unter anderem das thermostabile direkte Hämolysin (TDH), das TDH- verwandte Hämolysin (TRH) und die Typ III-Sekretionssysteme (T3SS1 und T3SS2) [8]. Durch die nahe immunologische Verwandtschaft von TRH und TDH ergeben sich gemeinsame biologische Eigenschaften wie Hämolyse, Enterotoxizität und Zytotoxizität [9]. V. parahaemolyticus bedingte Gastroenteritiden stehen vor allem im Zusammenhang mit der Aufnahme von rohen und unzureichend gegarten Meeresfrüchten. Eine weitere Vibrio-Spezies, die häufig im Zusammenhang mit einem Infektionsgeschehen beim Menschen steht, ist V. vulnificus. Dabei handelt es sich um einen komplexen Mikroorganismus, der mit Wund- und Ohrinfektionen, primären Septikämien und mit Gastroenteritiden einhergehen kann. Die extraintestinalen Infektionen werden häufig durch direkten Hautkontakt mit V. vulnificus-haltigem Meerwasser bei der Ausübung von Freizeitsport an den Küstenregionen, z. B. Baden in den Sommermonaten, verursacht. Auch V. vulnificus besitzt vielfältige Virulenzfaktoren, wie die Bildung einer Polysaccharidkapsel, ein spezifisches Hämolysin (VvhA), Zytotoxizität, Säureneutralisation, Motilität und Expression von Proteinen, die an der Anheftung und Adhäsion beteiligt sind [10].
Abb. 1: Anzahl gemäß Trinkwasserverordnung beanstandeter und nicht beanstandeter Trinkwasserproben aus Frischwasserzellen (FrWaZe) und Umkehrosmoseanlagen (RO-Anlagen) auf schwimmenden Einheiten der Marine aus den Jahren 2016 bis 2019.
Somit stellt sich die Frage, ob durch die Klimaerwärmung und die daraus resultierenden Veränderungen des maritimen Ökosystems die mikrobiologischen Untersuchungen gemäß der Trinkwasserverordnung für schwimmende Einheiten zukünftig ausreichen, um Einträge von anderen gesundheitsschädlichen Mikroorganismen, wie humanpathogenen Vibrio-Spezies im Fall einer insuffizienten Trinkwasseraufbereitung, zu detektieren. Das Ziel dieser Arbeit ist, erste Erkenntnisse über eine mögliche Korrelation zwischen dem Vorkommen von Indikatorbakterien und Vibrio-Spezies in RO-Anlagen und FrWaZe an Bord schwimmender Einheiten der Marine zu erhalten.
Material und Methoden
Die aus dem Labor-Informations-Management-System (WinLIMS) des ZInstSanBw Kiel gespeicherten Trinkwasserergebnisse von schwimmenden Einheiten der Marine aus den Jahren 2016 bis 2019 wurden gemäß den Vorgaben der Trinkwasserverordnung ausgewertet [1]. In die Betrachtung wurden nur die Ergebnisse von Trinkwasserproben (n = 1500) aus RO-Anlagen (n = 574) sowie FrWaZe (n = 926) einbezogen. Für die mikrobiologischen Untersuchungen sind die gemäß § 15 der Trinkwasserverordnung festgelegten Verfahren angewendet worden. Zusätzlich wurde ein Teil der genannten Trinkwasserproben (n = 196) aus den Jahren 2018 und 2019 und Wasserproben aus der Nord- bzw. Ostsee (n = 79) auf das Vorkommen von Vibrio-Spezies untersucht. Bei den Probenahmestellen aus der Nord- bzw. Ostsee handelt es sich um Proben aus dem direkten Umfeld der schwimmenden Einheiten. Um jedoch keine Rückschlüsse auf die einzelnen Standorte der schwimmenden Einheiten zuzulassen, sind sie hier unter den Begriffen „Nord- bzw. Ostsee“ zusammengefasst.
In Bezug auf den Nachweis von Vibrionen in Trinkwasser oder Wasser wurde im Allgemeinen das Verfahren der DIN EN ISO 21872–1:2017–10 „Bestimmung von potentiell enteropathogenen Vibrio-Spezies in Lebensmittel“ auf die Matrix Wasser übertragen und angewandt. Basierend auf der Untersuchung von Trinkwasser sind hohe Herstellungs- und / oder Lagerkapazitäten von Anreicherungsmedium notwendig, die im Einsatz oft nicht vorhanden sind. Um Herstellungs- und Lagerkapazitäten einzusparen, wurde als alternativer Ansatz zur Untersuchung von Trinkwasser bzw. Meerwasser die Methode modifiziert. Hierfür wurde zweimal je 100 ml derselben Wasser- bzw. Trinkwasserprobe membranfiltriert. Anschließend wurde einer der beiden Membranfilter direkt auf Selektivagar (Thiosulfate-Citrate-Bile (Salts)Sucrose Agar (TCBS-Agar)) bei 37°C für 24 h inkubiert. Der zweite Membranfilter wurde zunächst auf einem mit 1,5 ml alkalischem Peptonwasser getränkten Pad derselben Größe aufgelegt und für 18 h bei 37 °C zur selektiven Anreicherung von Vibrionen vorinkubiert. Anschließend wurde dieser Membranfilter auf TCBS-Agar aufgebracht und für weitere 24 h bei 37 °C inkubiert. Präsumtive Vibrio-Isolate wurden anschließend mittels MALDI-MS System autoflex speed der Firma Bruker bestätigt. Die so gewonnenen Isolate von V. parahaemolyticus wurden zusätzlich mit Hilfe der Multiplex-PCR nach HOSSAIN et al. [11] auf den spezies-spezifischen Gen-Marker groEL und die beiden Virulenzmarkergene tdh und trh molekularbiologisch untersucht. Des Weiteren wurden unter Verwendung der PCR nach CAMPBELL et al. [12] die Isolate von V. vulnificus auf das Vorhandensein eines spezifischen Hämolysingens (vvhA) untersucht.
Ergebnisse
Die Auswertungen der Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchung von Wasser- und Trinkwasserproben (n = 1500) aus den Probenahmestellen RO-Anlage (n = 574) und FrWaZe (n = 926) aus den Jahren 2016 bis 2019 sind in Abbildung 1 dargestellt. Von den untersuchten Proben aus FrWaZe wurden 180 (19,4 %) und aus RO-Anlagen wurden 257 (44,8 %) beanstandet. Hauptursache für Beanstandungen waren bezogen auf die gesamte Trinkwasserprobenanzahl die Überschreitung der Koloniezahl kultivierbarer Mikroorganismen bei 36 °C (Koloniezahl bei 36 °C) bei 235 Proben (15,7 %) und der Nachweis von P. aeruginosa in 239 Proben (15,9 %). Der Nachweis von E. coli, Enterokokken, Coliformen Bakterien oder eine Überschreitung der Koloniezahl bei 22 °C führte in weniger als 5 % der Wasserproben zu Beanstandungen. Die detaillierte Verteilung der mikrobiologischen Parameter und Indikatorparameter der Jahre 2016 bis 2019, die zu einem beanstandeten Ergebnis von FrWaZe und RO-Anlagen gemäß den Vorgaben der TrinkwV geführt haben, können der Abbildung 2 entnommen werden.
In den Trinkwasserproben aus den RO-Anlagen (n = 85) und den FrWaZe (n = 109) konnten keine Vibrio-Spezies nachgewiesen werden. In den Meerwasserproben hingegen konnten wiederholt Vibrio-Spezies nachgewiesen werden (Abb. 3). In 2 Proben, die aus dem Zulauf zur RO-Anlage einer schwimmenden Einheit entnommen wurden, konnten ebenfalls Vibrio-Spezies nachgewiesen werden (Tabelle 2).
Die Verteilung der nachgewiesenen Vibrio-Isolate (n = 131) ist in Tabelle 3 dargestellt. Hierbei ist hervorzuheben, dass die enteropathogenen Vibrio-Spezies V. parahaemolyticus einen Anteil von 29 % und V. vulnificus von 3,8 % der detektierten Isolate ausmachten, wobei aus einigen Proben der Nachweis von mehreren Vibrio-Spezies möglich war. Mit Hilfe der Multiplex-PCR nach HOSSAIN et al. [11] wurden die V. parahaemolyticus Isolate (n = 33) auf das Vorhandensein von Virulenzfaktoren untersucht. Hierbei konnten in 5 Isolaten trh nachgewiesen werden. Die bei den V. vulnificus Isolaten (n = 4) verwendete PCR [12] detektierte in allen Isolaten das Hämolysingen vvhA.
Tab. 3: Darstellung der Häufigkeit der aus Wasserproben (n = 50) detektierten Vibrio-Spezies in Isolaten (n = 131).
Schlussfolgerung und Diskussion
Die Auswertungen der Untersuchungsergebnisse aus den Jahren 2016 bis 2019 unterstreichen die Bedeutung einer stetigen Überwachung der mikrobiologischen Trinkwasserqualität an Bord von schwimmenden Einheiten. Aufgrund der Anzahl an Beanstandungen im Hinblick auf die Grenzwertüberschreitungen der Koloniezahlen bei 36°C und von P. aeruginosa wird deutlich, dass der Nachweis der „klassischen fäkalen Indikatorbakterien“ wie E. coli oder Enterokokken in den Bereichen der Umkehrosmoseanlagen und Frischwasserzellen eine untergeordnete Rolle spielen. Als Koloniezahl bei 36 °C wird die Zahl von sichtbaren Kolonien bezeichnet, die sich bezogen auf ein festgelegtes Untersuchungsvolumen, mit Hilfe eines spezifischen Nährmediums und innerhalb einer bestimmten Bebrütungszeit entwickeln. Das Pathogenitätspotential der mit diesem Verfahren detektierten Mikroorganismen wird jedoch für gewöhnlich nicht untersucht. Hingegen zählt P. aeruginosa zu den fakultativ pathogenen Krankheitserregern mit großer Bedeutung im Bereich der nosokomialen Infektionen und geht häufig mit Resistenzen gegenüber Antibiotika einher [13]. Durch den eingangs erwähnten Klimawandel und die Erhöhung der Oberflächentemperatur der Meere, könnten zukünftig wasserassoziierte Infektionserreger wie humanpathogene Vibrio-Spezies zunehmend eine wesentliche Rolle für die Trinkwasserhygiene spielen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vermutet in seiner Stellungnahme vom 13. April 2022, dass Vibrio-Infektionen bis 2020 aufgrund der fehlenden Meldepflicht unterdiagnostiziert waren, auch weil es an belastbaren Surveillance-Daten fehlte [14]. Seit dem 01.03.2020 besteht in Deutschland nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine Meldepflicht für den direkten oder indirekten Nachweis von humanpathogenen Vibrio-Spezies, vorausgesetzt die Nachweise deuten auf eine akute Infektion hin [15]. Auch der Arbeitskreis der auf dem Gebiet der Lebensmittelhygiene und der Lebensmittel tierischer Herkunft tätigen Sachverständigen (ALTS) setzt sich zunehmend mit humanpathogenen Vibrio-Spezies auseinander und beurteilt in seiner Empfehlung vom Januar 2021 verzehrfertige Lebensmittel, in denen TDH- und/oder TRH-positive V. parahaemolyticus nachgewiesen werden, als gesundheitsschädlich im Sinne des Artikels 14 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 [16].
Aufgrund der gewonnenen Untersuchungsergebnisse ist grundsätzlich eine sichere Trinkwasseraufbereitung auf den schwimmenden Einheiten gegeben und demnach ein Eintrag von Infektionserregern aus dem Meerwasser bei leistungsfähigen und intakten Umkehrosmoseanlagen nicht zu erwarten. Gleichwohl wurde aufgrund der eigenen Untersuchungen festgestellt, dass das zur Aufbereitung verwendete Meerwasser der Nord- und Ostsee mit potentiell pathogenen Vibrio-Spezies belastet ist. Dieser Umstand wird durch die Folgen des Klimawandels und der damit verbundenen Zunahme der Meeresoberflächentemperatur in den kommenden Jahren voraussichtlich noch verstärkt werden [5]. Folglich ist bei technischen Defekten in den Anlagen der Frischwasseraufbereitung eine Kontamination des Trinkwassers mit humanpathogenen Mikroorganismen wie V. parahaemolyticus oder V. vulnificus möglich. Vor allem bei gleichzeitig auftretender Gruppenerkrankung an Bord sollten neben anderen Erregern auch humanpathogene Vibrio-Spezies als Infektionserreger in Betracht gezogen werden. In diesem Fall sollten vollumfängliche Probenahmen und mikrobiologische Untersuchungen des Wasserverteilungssystems durchgeführt werden. Wegen der zunehmenden Belastung des Meerwassers mit Vibrionen sollte auch zukünftig zum Schutz der Soldaten und Soldatinnen die Wasserqualität einen hohen Stellenwert einnehmen und engmaschig kontrolliert werden.
Fazit
- Leistungsfähige und intakte Umkehrosmoseanlagen sorgen grundsätzlich für eine sichere Trinkwasseraufbereitung auf den schwimmenden Einheiten der Marine.
- Bei Defekten in den technischen Anlagen der Frischwassererzeuger ist eine Kontamination des Trinkwassers mit humanpathogenen Vibrio-Spezies möglich.
- Beim Verdacht lebensmittelbedingter Gruppenerkrankungen an Bord sollte zusätzlich eine umfassende Trinkwasseruntersuchung angestrebt werden.
- Eine Sensibilisierung des medizinischen Personals über das Vorkommen humanpathogener Vibrio-Spezies im Meerwasser und ihrer Manifestationsformen (wie Gastroenteritiden, Wund-/Ohrinfektionen, primäre Septikämien) sollte erfolgen.
Literatur
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- ALTS-AG: Empfehlungen zur Einstufung bedenklicher Keime als wahrscheinlich gesundheitsschädlich i. S. des Artikels 14 Abs. 4 oder als inakzeptable Kontamination i. S. des Artikels 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 2021. Berlin: BVL 2021. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Löwe M, Fleischmann S, Schulenburg J, Alter T: Trinkwasserhygiene an Bord – gewinnen Vibrio-Spezies zukünftig an Bedeutung? WMM 2022; 66(9-10): 336-341.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-42
Für die Verfasser
Oberstabsveterinär Monique Löwe
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel
Abteilung A – Veterinärmedizin
Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen
E-Mail: moniqueloewe@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Löwe M, Fleischmann S, Schulenburg J, Alter T: Drinking Water Hygiene on Ships – will Vibrio Species Become more Important in the Future? WMM 2022; 66(9-10): 336-341.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-42
For the Authors
Major (VC) Monique Löwe
Central Institute of the Bundeswehr Medical Service Kiel
Division A – Veterinärmedizin
Kopperpahler Allee 120, D-24119 Kronshagen
E-Mail: moniqueloewe@bundeswehr.org