Affinitätsaufreinigung von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren aus nativen mikrosomalen Zellmembranfragmenten von Tetronarce californica mittels immobilisiertem α-Bungarotoxin
Affinity Purification of Nicotinic Acetylcholine Receptors from native microsomal cell membrane Fragments of Tetronarce californica Using immobilized α-bungarotoxin
Fabian Springera,b, Antonia Brüsera, Thomas Seegera, Franz Woreka, Lorenz Meinelb, Karin Veronika Niessena
a Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr, München
b Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Zusammenfassung
Trotz ihrer weltweiten Ächtung sind chemische Waffen auch heute noch eine aktuelle Bedrohung. Die direkte Folge einer Nervenkampfstoffintoxikation ist eine cholinerge Krise, die unbehandelt zum Tod führt. Bei der Anwendung der Standardtherapeutika (Obidoxim, Atropin) gibt es immer noch therapeutische Lücken. Eine neue mögliche Therapieoption sind Wirkstoffe, welche direkt am nikotinischen Acetylcholinrezeptor (nAChR) interagieren. Hierdurch kann dessen Dysfunktion beseitigt und die Funktion der Atemmuskulatur wiederhergestellt werden.
Für ein effektives Screening von Wirkstoffkandidaten werden in vitro-Experimente, wie beispielsweise Bilayer-basierte Elektrophysiologie mit hochreinen nAChR in biomimetischen Membranen, benötigt. In diesem Projekt wurde eine Methode entwickelt, hochreine nAChR mittels Affinitätsaufreinigung aus nativen Membranfragmenten zu gewinnen.
Nach einer vorangeschalteten Aufarbeitung des nativen Gewebes wurde für die weitere Anreicherung nAChR-haltiger Membranfragmente eine Affinitätschromatographie entwickelt. Als stationäre Phase diente der nAChR-Antagonist α-Bungarotoxin (α-Bgtx), der auf SilicaBond® Carboxylic Acid-Beads immobilisiert wurde. Die Charakterisierung der aufgereinigten, nAChR-haltigen Membranfragmente erfolgte mittels Gelelektrophorese (SDS-Page).
Es konnte gezeigt werden, dass die Solubilisierung der Membranproteine der entscheidende Schritt zur Aufreinigung des Rezeptors ist. Die Methodik ermöglicht die Gewinnung von nAChR für Einzelkanalmessungen, die besonders reines Material erfordern. Diese können parallel zu den bisher etablierten Affinitäts- und Funktionalitätsassays eingesetzt werden. Somit kann das Screening hinsichtlich der nAChR-Aktivität weiter ausgebaut werden und entscheidend zur Suche neuartiger Wirkstoffe für die Behandlung von Nervenkampfstoffen beitragen.
Schlüsselwörter: Rezeptor, Affinitätschromatografie, Solubilisierung, Detergenz, in vitro
Summary
Despite their worldwide ban, chemical warfare agents still pose a threat today. The direct consequence of nerve agent intoxication is a cholinergic crisis, leading to death if left untreated. There are still therapeutic gaps with the standard therapeutic regime (obidoxime, atropine). A possible therapeutic option are agents which directly interact with the nicotinic acetylcholine receptor (nAChR). This could eliminate its dysfunction and restore the activity of the respiratory muscles. Effective screening of drug candidates requires in vitroexperiments, such as bilayer-based electrophysiology with highly purified nAChR in biomimetic membranes. In this project, a method was developed to obtain high purity nAChR from native membrane fragments by affinity purification.
After upstream processing of the native tissue, affinity chromatography was developed to enrich nAChR-containing membrane fragments further. The nAChR antagonist α-bungarotoxin (α-Bgtx) immobilized on SilicaBond® Carboxylic Acid beads served as the stationary phase. Characterization of purified nAChR-containing membrane fragments was performed by gel electrophoresis (SDS-Page).
Solubilization of the membrane proteins is the crucial step for purifying the receptor. The methodology allows the recovery of nAChR for previously inaccessible single-channel measurements. These can be used in parallel with various affinity and functionality assays. Thus, screening for nAChR activity can be further extended and contribute crucially to the search for drugs to treat nerve agent poisoning.
Keywords: receptor; affinity chromatography; solubilization; detergent; in vitro
Einleitung
Am 29. April 1997 trat das „Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (CWÜ)“ in Kraft [2]. In der Folge wurden ca. 99 % der globalen Bestände an chemischen Waffen vernichtet [3]. Dennoch konnte deren Einsatz im Rahmen von Anschlägen, beispielsweise bei Sergei W. und Julia Skripal im März 2018 oder Aleksej Nawalny im August 2020, nachgewiesen werden [12][13]. Zahlreiche phosphororganische Verbindungen, wie etwa die hierbei eingesetzten Nervenkampfstoffe aus der Novichok-Gruppe, werden den chemischen Waffen zugeordnet. Nervenkampfstoffe hemmen die Acetylcholinesterase (AChE) im synaptischen Spalt [20]. Die Akkumulation des endogenen Agonisten Acetylcholin im synaptischen Spalt führt zur Desensitisierung und damit zur Dysfunktion von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChR). Die durch Nervenkampfstoffe vermittelte cholinerge Krise kann unbehandelt zum Tod durch Atemversagen führen (Abbildung 1) [9][20].
Abb. 1: Konformation des nAChR in Abhängigkeit von Acetylcholin:
Die Bindung von zwei Einheiten Acetylcholin an den orthosterischen Bindungsstellen katalysiert die Öffnung des nAChR. Die Desensitisierung kann nach einem Übergangszustand (schnell reaktivierbar) in einen nicht reaktivierbaren Zustand überführt werden. (Eigene Darstellung, abgeleitet aus [1])
Die etablierte Antidottherapie (z. B. Obidoxim, Pralidoxim) soll die Reaktivierung der AChE bewirken. Limitierend sind jedoch postinhibitorische Veränderungen am AChE-Nervenkampfstoff-Komplex, sodass die Wirkung der Oxime beeinträchtigt wird. Zudem sind einige Enzym-Kampfstoff-Komplexe einer Reaktivierung durch Oxime aufgrund chemischer Gegebenheiten nicht zugänglich [19]. Aufgrund dieser Limitierung der etablierten Therapeutika, insbesondere bei Vergiftungen mit Soman, Tabun oder auch Novichok-Derivaten, bedarf es neuer Ansatzpunkte [10][20]. Eine hochinteressante Therapieoption sind pharmakologisch aktive Substanzen, die direkt am nAChR interagieren und dessen Dysfunktion beseitigen [10].
Nikotinische Acetylcholinrezeptoren sind ligandengesteuerte, hochkomplexe Ionenkanäle aus fünf Untereinheiten (UE). Die UE werden mit den griechischen Buchstaben α, β, γ, δ und ε benannt (Abbildung 2) [10]. Beruhend auf dem Expressionsort erfolgt die Einteilung in den Muskel- bzw. den Neuronalen-Subtyp [5]. Mangels Verfügbarkeit des humanen nAChR-Subtyps (2α1β1δε) wurde für die vorliegende Arbeit der nAChR-Muskelsubtyp 2αβδγ aus dem elektrischen Organ (Elektroplax) des kalifornischen Zitterrochens (Tetronarce californica) gewonnen. Dieser ist aufgrund genetisch hochkonservierter Areale dem humanen Rezeptor sehr ähnlich.
Abb. 2: Struktur des Muskeltyp-nAChR in Tetronarce californica, Seitansicht und Draufsicht auf die 3D-Struktur des pentameren nAChR (Auflösung 2,7 Å):
Die extrazellulare (ED) und die intrazellulare Domäne (ID) wurden in der Seitansicht hervorgehoben. Die Transmembrandomäne (TD) vermittelt über hydrophobe Wechselwirkungen die Bindung in der Zellmembran. (Eigene Darstellung, abgeleitet aus RCSB PDB ID: 7SMR, 102210/pdb7smr/pdb [14]).
Neben der Affinität potenziell pharmakologisch aktiver Substanzen ist auch deren Funktion an der Zielstruktur von entscheidender Bedeutung. Zum Screening dieser potenziellen Wirkstoffkandidaten werden elektrophysiologischeVersuchemit hochreinen nAChR in künstlich erzeugten Lipidmembranen dringend benötigt. Vorversuche haben gezeigt, dass sich zu wenig aufgereinigte Membranpräparationen nur unzureichend in biomimetischen Membranen stabilisieren lassen. Hieraus leitet sich die Notwendigkeit der Gewinnung von hochreinen nAChR ab. In dem vorliegenden Projekt wurde eine Methode zur Aufreinigung von nAChR aus mikrosomalen Membranfragmenten mittels Affinitätsaufreinigung an immobilisiertem α-Bungarotoxin erarbeitet. Als Grundlage wurde hierbei die Methode von Gotti et al. verwendet [4].
Methode
Gewinnung und Anreicherung von Zellmembranfragmenten
Mikrosomale Zellmembranfragmente, welche reich an nativem nAChR-Muskelsubtyp 2α1β1δγ sind, werden gemäß Springer et al. hergestellt [18]. Der Proteingehalt der Suspension wird mit dem Bicinchoninsäure (BCA)-Assay bestimmt [17]. Zunächst werden die Zellmembranfragmente mittels Sucrose-Dichtegradientenzentrifugation weiter angereichert. Hierzu werden 2 ml homogenisierte Plasmamembransuspension zu einer 70 %-igen (w/w) Saccharoselösung (70 % Saccharose in 10mM Phosphatgepufferter Salzlösung (PBS = 10 mM NaH2PO4/Na2HPO4, 120 mM NaCl, 5 mM KCl, pH 7,4)) hinzugefügt. Die endgültige Saccharosekonzentration beträgt 51 % (w/w). Diese 51 %-ige Phase wird unter einen diskontinuierlichen Saccharosegradienten (7,0 ml 45 % (w/w), 7,0 ml 9 % (w/w)) in einem 39,4 ml-Polycarbonatröhrchen geschichtet. Die Zentrifugation erfolgt mit einem Beckman SE 41 Ti-Ausschwingrotor (3 h, 100 000 g, 4 °C). Vorversuche hatten gezeigt, dass eine optimale Belegung des Dichtegradienten mit 2 ml der Proteinsuspension erreicht wird. Die entsprechenden Fraktionen werden gesammelt, resuspendiert und zentrifugiert (30 min, 100 000 g, 4 °C). Der Überstand wird verworfen und das Pellet in einem Verhältnis von 1:2 Volumenteilen in 10 mM PBS resuspendiert. Mittels BCA-Assay wird der Proteingehalt der angereicherten Suspension erneut bestimmt.
Solubilisierung
Unter Solubilisierung wird die Erhöhung der Löslichkeit eines Stoffes in der umgebenden Phase durch einen Lösungsvermittler beschrieben. In diesem Fall wird Natriumcholat, ein anionisches Detergenz, zum Herauslösen der in der Biomembran verankerten Transmembranproteine, z. B. nAChR, genutzt. Hierzu werden 1,5 ml resuspendiertes Membranpellet in 18,5 ml Solubilisierungspuffer (2 % Natriumcholat, 5 mg/ml L-α-Phosphatidylcholin (L-α-PC), 10 mM PBS, pH 7,4) aufgenommen. Das Röhrchen wird zum Schutz vor Oxidation des nativen Lipidgemisches mit Stickstoff begast und am Thermoschüttler (Eppendorf, Hamburg) inkubiert (30 min, 300 U/min, 4 °C). Das solubilisierte Material wird zur Abtrennung von unlöslichen Bestandteilen erneut zentrifugiert (30 min, 100 000 g, 4 °C). Der Überstand wird abgenommen und bis zur Auftragung auf die Affinitätschromatografiesäule bei 4 °C gelagert.
Affinitätsaufreinigung
Als stationäre Phase werden 2 mg des nAChR-Antagonisten α-Bungarotoxin (α-Bgtx, KD ~ 10–9 - 10–11 M [11]) mittels N-Hydroxysuccinimid-Esterkopplung auf 4,00 g SilicaBond® Carboxylic Acid-Beads immobilisiert. Nach der Kopplung werden die Beads mit dem Überstand aus der Solubilisierung inkubiert (1 h, 300 U/min, 20 °C). Die vorinkubierte stationäre Phase wird mit 10 mM PBS in die Säule (HiScaleTM 16/20, Cytiva, Freiburg) eingeschlämmt. Zelluläre Verunreinigungen und weitere solubilisierte Transmembranproteine werden mittels Solubilisierungspuffer über 260 min unter sukzessiver Steigerung der Flussrate (0,1 – 2,5 ml/min) von der Säule gespült. Zur Detektion proteinhaltiger Banden wird die Absorption kontinuierlich bei 280 nm gemessen. Nach Absenkung des Hintergrundrauschens auf Ausgangsniveau erfolgt die Eluation. Diese erfolgt mittels Eluationspuffer (100 mM Carbamoylcholinchlorid, 10 mM PBS,pH 7,4) und Inkubation auf der Säule (30 min). Der Agonist Carbamoylcholinchlorid wird aufgrund der vergleichsweisen niedrigeren Affinität in hoher Konzentration zugesetzt, um eine ausreichende Dissoziation des nAChR vom α-Bgtx zu ermöglichen. Das Eluat wird in einen Spectra-Por® Float-A-Lyzer® G2 MWCO 20 kDa (Merck, Darmstadt) weiter verarbeitet. Das Carbamoylcholinchlorid wird durch anschließende Übernacht-Dialyse bei 4 °C gegen 10 mM PBS entfernt.
Charakterisierung
Die Charakterisierung der gewonnenen Proteinsuspension erfolgt mittels Gelelektrophorese (SDS-Page). Die nach der Dialyse gewonnene Suspension wird über eine Säulenzentrifugation angereichert. Hierzu werden sukzessive 2,0 ml in einen mit 10 mM PBS vorgewaschenen Amicon® Ultra Zentrifugeneinsatzfilter 0,5 ml/MWCO 10 kDa (Merck, Darmstadt) überführt und zentrifugiert (5 min, 10 000 g, 20 °C). Der Überstand wird abgenommen und nach Inkubation (5 min, 95 °C) mit 1 M Dithiothreitol zur Trennung der Disulfidbrücken auf ein Bis-Tris 4–12 % Gel aufgetragen (50 min, 200 V). Dieses wird mit Coomassie-Farbstoff (0,1 %) gefärbt. Ein weiteres Gel mit Eluat wird auf eine Polyvinylidenfluorid (PVDF)-Membran geblottet. Die Membran wird anschließend mit einem gegen die δ-UE gerichteten Antikörper (AK) (mMouse ab233758, Abcam, Cambridge, United Kingdom) inkubiert (1 h, 20 °C). Als Sekundär-AK wird ein AntiMouse Goat AK mit rotem Fluorophor über Nacht inkubiert. Die Messung erfolgt in beiden Fällen am Auswertesystem Odyssey® DLx (Licor, Lincoln, USA) bei 700 und 800 nm.
Ergebnisse und Diskussion
Ausgehend von den in Abbildung 3 ermittelten theoretischen physikochemischen Parametern konnte gezeigt werden, dass nur durch Einsatz entsprechender Detergenzien (hier: Natriumcholat) eine Aufreinigung des Rezeptors möglich war [16]. Die Stärke der hydrophoben Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der Aminosäuren in den 4 Domänen der Transmembrandomäne muss mittels Detergenz überwunden werden. Zusätzlich wurde mittels L-α-PC in der Solubilisierungslösung eine stabilisierende Lipidumgebung für die extrahierten Proteine geschaffen. Die Solubilisierung und weitgehende Abtrennung der Lipidumgebung, in welcher weitere Transmembranproteine verankert sind, ist ein essenzieller Schritt [7][16].
Abb. 3: Kyte-Doolittle-Hydrophobizitätsplot der α-UE (T. californica):
Die Transmembrandomäne besteht aus 4 Domänen (M1–4). Der Hydrophobizitäts-Plot erlaubt die Vorhersage und grafische Darstellung von lipophilen Wechselwirkungen (z. B. M1 Position 242–264). Diese resultieren aus den hohen Anteilen lipophiler Aminosäurereste. Je größer der Wert auf der y-Achse desto größer die Hydropathie im Bereich um die Aminosäureposition. Die Sekundärstruktur entspricht dabei immer einer α-Helix. Hierzu werden den 20 proteinogenen Aminosäuren anhand von experimentellen Daten Werte zugeordnet [6]. (Eigene Darstellung, UniProt Acession ID P02711, geplottet mit Expasy, ProtScale)
Die Eluation folgt der Beschreibung in der Literatur [8][15]. Zunächst werden proteinogene Verunreinigungen ausgespült. Der erneute Anstieg der UV-Absorption nach etwa 30 min deutet auf das spätere Auftreten einer im Absorptionsbereich von 280 nm detektierbaren Substanz hin, was auf die verwendeten Siliciumoxid-Beads zurückgeführt werden könnte. Diese besitzen im Gegensatz zu den normalerweise verwendeten quervernetzen Agarose- bzw. Sepharose-Beads einen niedrigen Kompressibilitätsfaktor. Durch die hohe Bettdichte könnte es zu einem der Größenausschlusschromatografie vergleichbaren Effekt gekommen sein. Hierdurch könnten kleinere solubilisierte Proteine später als solche mit hohen kDa-Größen eluiert werden, da sich deren Wegstrecke verlängert. Eine alternative Erklärung könnten ionische Wechselwirkungen zwischen den Kopfgruppen der verwendeten Lipide und der stationären Phase sein. Vergleichbare Wechselwirkungen können ebenfalls mit den gelösten Proteinbestandteilen auftreten. Es ist zu vermuten, dass beide Effekte additiv sind.
Die Abbildung 4 belegt die Anreicherung der AChR-reichen Membranfragmente durch die Sucrose-Dichtegradientenzentrifugation (Suc_1). Neben dem Targetprotein nAChR werden allerdings auch weitere Membran- und Transmembranproteine angereichert. Der Versuch einer Affinitätsaufreinigung ohne Solubilisierung (Aff_1) hat keinen Erfolg gezeigt. Dies stimmt mit den zuvor aufgezeigten physikochemischen Parametern überein (Abbildung 3). Ohne Detergenz ist der nAChR fest über die hydrophoben Wechselwirkungen der Aminosäuren der Transmembrandomäne in den kruden Zellmembranfragmenten verankert. Durch die Bindung des nAChR-Antagonisten α-Bgtx an die α-UE wird beim Waschen auch die gesamte Umgebung des Rezeptors auf der Säule zurückgehalten [7][16]. Es zeigt sich eine Reduzierung der Banden > 100 kDa, allerdings keine Verstärkung der dem Rezeptor zugeordneten Banden. Erst mittels Zugabe von Detergenz kann der nAChR aus der nativen Lipidumgebung herausgelöst werden (Aff_2). Die α-UE (52,7 kDa), β-UE (56,1 kDa), γ-UE (58,1 kDa) und δ-UE (60 kDa) können anhand ihrer Molekularmassen und des externen Referenzmaterials als Positivkontrolle identifiziert werden. Aufgrund des zweifachen Vorkommens der α-UE in einem Rezeptor zeigt die zugehörige Bande ein sehr deutliches Profil [5]. Trotz geringerem Proteineinsatz (1 µg) sind die Banden der PK deutlicher zu erkennen als die des aufgereinigten Materials (Aff_2). Dies deutet auf eine deutlich höhere Verdünnung stärkeren Unreinheiten im eigenen Material hin. Laut Hersteller wurde das Referenzmaterial über eine Entsalzungssäule dialysiert, wobei es zu einer Anreicherung der Proteinkonzentration kommt.
Abb. 4: Verlaufsdiagramm Affinitätsaufreinigung nAChR:
Die solubilisierten Membranfragmente wurden nach Inkubation auf der stationären Phase für 260 min mit sukzessiver Steigerung der Flussrate (0,1–2,5 ml/min) gespült. Der Proteinpeak bei 290 min bildet die Eluation des an die stationäre Phase gebundenen nAChR nach 30 min Inkubation mit 100 mM Carbamoylcholin ab. Der kleinere Peak davor wurde als Zeichen der erfolgreichen Umpufferung des Säulenvolumens gewertet.
Als zusätzlicher Nachweis wurde ein immunhistochemischer Nachweis (Western Blot) der δ-UE in den eigenen Membranfraktionen sowie im Referenzmaterial durchgeführt. Vorversuche hatten gezeigt, dass die Affinität des gegen die δ-UE gerichteten Antikörpers die höchste und spezifischste aller zu diesem Zeitpunkt verfügbaren AK ist. Die δ-UE konnte in beiden Materialien bei gleicher Bandenhöhe vergleichend und in Übereinstimmung mit dem Molekulargewicht des Markers nachgewiesen werden. Der immunhistochemische Nachweis wurde ebenfalls mit dem Ausgangsmaterial, nämlich dem mikrosomalen Zellfragmenten durchgeführt (nicht gezeigt). Auch in diesem Material ist die UE des Rezeptors bereits gut zu identifizieren.
Die affinitätsaufgereinigte Probe wurde gegen eine Positivkontrolle (PK) charakterisiert. Das rote Signal liegt auf der zu erwartenden Höhe der δ-UE. Es wurden 5 µg Protein aus der Affinitätschromatografie bzw. 1 µg Protein Referenzmaterial eingesetzt.
Abb. 5: Gelelektrophorese der nAChR-Fraktionen:
Das aus T. californica gewonnene mikrosomale Ausgangsmaterial (TOR) wurden vor und nach Aufreinigung mit Dichtegradientenzentrifugation (Suc_1) mittels SDS-Page aufgetrennt. Die aus der Affinitätschromatografie gewonnenen Proben (Aff_1 ohne Solubilisierung, Aff_2 mit Solubilisierung) wurden gegen Positivkontrolle (PK) (1 µg, Acetylcholin receptor protein, Artikelnummer: 28601, Cube Biotech GmbH) charakterisiert. Es wurden jeweils 5 µg Protein eingesetzt. Als Proteingrößenmarker wurde Chameleon® Duo Pre-stained 260–268 kDa verwendet.
Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass die hier entwickelte, speziell für die Anreicherung nAChR-haltiger Membranfragmente konzipierte Affinitätschromatografie reproduzierbar ist. Fehlerquellen wie etwa abweichende Solubilisierungsbedingungen konnten durch Vorversuche minimiert werden. Weitere Optimierungen könnten darin bestehen, dass quervernetze Agarose als stationäre Phase eingesetzt wird. Zusätzlich kann das Carbamoylcholinchlorid anstatt der Dialyse mittels Entsalzungssäule aus dem Eluat entfernt werden. Dennoch ermöglicht die dargestellte Methodik bereits die Gewinnung von ausreichend reinen nAChR-haltigen Membranen, die für elektrophysiologische Screening-Methoden in biomimetischen Membranen oder Vesikeln geeignet sind. Bisher unzugängliche Einzelkanalmessungen wären damit durchführbar, die parallel zu verschiedenen Affinitäts- und Funktionalitätsassays eingesetzt werden können. In der Folge kann das Screening hinsichtlich von nAChR-aktiven Substanzen ausgeweitet werden.
Die hier entwickelte Aufreinigungsmethode ist ein wichtiger Schritt, hochreines Material für sehr empfindliche elektrophysiologische Methoden zu generieren, die entscheidend zur Suche von Wirkstoffen für die Behandlung von Nervenkampfstoffen beitragen können.
Kernaussagen
- nAChR sind ligandengesteuerte, hochkomplexe Ionenkanäle aus fünf Untereinheiten.
- Die Akkumulation von Acetylcholin im synaptischen Spalt führt zur Desensitisierung und damit zur Dysfunktion von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChR).
- Der Kyte-Doolittle-Hydrophobizitätsplot erlaubt die Bewertung der möglichen Interaktionen von Proteinen mit ihrer Umgebung.
- Der Einsatz geeigneter Detergenzien ist zwingend notwendig für eine erfolgreiche Affinitätsaufreinigung von Transmembranproteinen.
- Mittels Insertion in biomimetische Membranen und geeigneter Aktivierung kann die Funktionalität von Rezeptoren bewertet werden.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Springer F, Brüser A, Seeger T, Worek F, Meinel L, Niessen KV: Affinitätsaufreinigung von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren aus nativen mikrosomalen Zellmembranfragmenten von Tetronarce californica mittels immobilisiertem α-Bungarotoxin. WMM 2024; 68(1-2): 41-46.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-238
Für die Verfasser
Leutnant (SanOA) Dipl.-Pharm. Fabian Springer
Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr
Neuherbergstraße 11, 80937 München
E-Mail: fabian1springer@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Springer F, Brüser A, Seeger T, Worek F, Meinel L, Niessen KV: [Affinity purification of nicotinic Acetylcholine receptors from native microsomal cell membrane fragments of Tetronarce californica using immobilized α-bungarotoxin]. WMM 2024; 68(1-2): 41-46.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-238
For the Authors
Lieutenant (MC) Dipl.-Pharm. Fabian Springer
Bundeswehr Institute for Pharmacology and Toxicology
Neuherbergstraße 11, D-80937 München
E-Mail: fabian1springer@bundeswehr.org
Mobiler Einsatz des zahnärztlichen intraoralen Scanners bei einem Intensivpatienten im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Use of the Dental Intraoral Scanner on an Intensive Care Patient at the Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Gabor Borosa, Kai Rademacherb, Melissa Marinusa, Gregor Gutschec
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnheilkunde
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahntechnisches Labor
c Sanitätsversorgungszentrum Idar-Oberstein, Zahnarztgruppe
Zusammenfassung
Im vorliegenden Behandlungsfall wird eine innovative Anwendungsmöglichkeit des zahnärztlichen intraoralen Scanners bei der Versorgung eines Intensivpatienten vorgestellt. Dazu wird der digitale Workflow des zahnärztlichen und zahntechnischen Behandlungsablaufs beschrieben. Moderne digitale Techniken ermöglichen es, die integrative Behandlungsbandbreite der zahnmedizinischen Versorgung in der Bundeswehr um weitere Behandlungsoptionen zu erweitern und zu vereinfachen.
Schlüsselwörter: Intraoraler Scanner, Intensivmedizin, digital, Zahnmedizin
Summary
This treatment case demonstrates a novel use of dental intraoral scanner for treating an intensive care patient. The dental and dental technical treatment process is explained using a digital workflow. With the help of advanced digital technologies, the integrative treatment options for dental care in the German Armed Forces can be expanded and simplified.
Keywords: intraoral Scanner; intensiv care; digital; dental medicine
Einleitung und Hintergrund
Die zahnmedizinische Versorgung an den Bundeswehrkrankenhäusern wird im Allgemeinen von den Abteilungen XXIII/Zahnmedizin sichergestellt. Dies umfasst die truppenzahnärztliche Behandlung des militärischen Personals des Krankenhauses und die fachzahnärztliche Behandlung der aus den regionalen Behandlungseinrichtungen ambulant zugewiesenen Patientinnen und Patienten. Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich der Abteilung XXIII im Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz ist die fachzahnärztlich-konsiliarische Mitbehandlung von Patienten, die sich zur stationären Behandlung im Hause befinden. Bei der Erfüllung des Auftrages steht die gesamte integrative Behandlungsbandbreite der prothetischen, konservierenden, parodontologischen, funktionstherapeutischen und oralchirurgischen Behandlungsoptionen zur Verfügung. Neben einem Truppenzahnarzt/DGParo-Spezialisten für Parodontologie werden diese Aufgaben von einem Fachzahnarzt für Parodontologie/DGParo-Spezialisten für Parodontologie (geschützte Berufsbezeichnung der Deutschen Gesellschaft für Paradontologie), zwei Fachzahnärzten für Oralchirurgie, dem für die jeweiligen Aufgaben besonders qualifizierten Fachassistenzpersonal sowie zwei Zahntechnikern (Zahntechnikermeister/Zahntechniker) wahrgenommen.
Als Alternative zu konventionellen Abformtechniken mit Alginaten- und Silikonabdruckmaterialien steht der Abteilung XXIII/BwZKrhs ein Intraoralscanner Trios 2/Fa. 3 Shape (Abbildung 1) zur Verfügung.
Abb. 1: Bild des Intraoralscanner Trios 2/ Fa. 3 Shape
Im Vergleich zu anderen zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr verfügt die Abteilung XXIII des BwZKrhs Koblenz über ein personell und technisch modern ausgestattetes Dentallabor, sodass zahntechnische Arbeiten zeitnah und hochpräzise „in house“ hergestellt werden können. Dabei kommen zunehmend digitale Verfahren zur Anwendung.
Der hier präsentierte Fallbericht soll den Einsatz und die Möglichkeiten der innovativen intraoralen Scantechnik und den digitalen Workflow der Zahntechnik anhand eines typischen Behandlungsfalls auf der Intensivstation aufzeigen.
Falldarstellung
Der Abteilung XXIII/Zahnmedizin wurde eine auf der Intensivstation bettlägerige Patientin zur konsiliarischen Mitbehandlung und Anfertigung eines „Beißschutzes“ bei traumatischem Einbiss in die Zunge vorgestellt.
Die zahnärztliche Befundaufnahme auf Intensivstation ergab folgende klinische Situation:
Die 72-jährige Patientin war tracheotomiert, beatmet und sediert, sodass eine Reaktion der Patientin auf Ansprachen nur verzögert und deutlich eingeschränkt möglich war. Der intraorale Befund zeigte einen zahnlosen Oberkiefer und eine lückige anteriore Restbezahnung des Unterkiefers. Der vorhandene Zahnersatz konnte aufgrund der Sedierung der Patientin nicht verwendet werden. Der Zungenkörper war deutlich ödematös vergrößert, sodass bei spannungsfreiem Lippenschluss der anteriore Anteil der Zunge aus dem Mundraum herausragte. Die Restbezahnung des Unterkiefers war dabei vollständig vom Zungenkörper bedeckt, sodass hier eine unmittelbare Verletzungsgefahr durch unwillkürliches Zubeißen der Patientin bestand.
Im Rahmen einer Notfallbehandlung wurde unter Verwendung eines zahnärztlichen Abdrucksilikons ein provisorischer „Beißschutz“ durch den diensthabenden Assistenzzahnarzt der Klinik VII/Mund- Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie hergestellt, sodass eine akute Verletzungsgefahr reduziert werden konnte. Jedoch wurde dieser provisorische „Beißschutz“ von der Patientin aufgrund der Größe nicht toleriert und deshalb wiederholt mittels Zungendruck aus der Mundhöhle herausgestoßen.
Aufgrund der eingeschränkten Kooperationsmöglichkeit der Patienten war eine konventionelle Abdrucktechnik des Unterkiefers, welcher zur Herstellung eines Arbeitsmodels und damit zur Anfertigung einer Beißschutzschiene benötigt wird, nicht durchführbar.
Aus diesem Grund sollte der Befund des Unterkiefers durch einen intraoralen Scan (Trios 2/3 Shape) (Abbildung 1) erfasst werden. Der Befund des Oberkiefers war in diesem Fall für die Herstellung der Schiene nicht relevant und konnte deshalb vernachlässigt werden. Die hochmobile Scaneinheit wurde aus der Ambulanz der Abt. XXII auf die Intensivstation verbracht. Der intraorale Scan der Unterkieferbezahnung inklusive der umliegenden Weichteile (Abbildung 2) wurde auf der Intensivstation bei der bettlägerigen Patientin durchgeführt.
Abb. 2: Darstellung des intraoralen Scans: Ansicht von frontal (a), vestibulär (b), okklusal lingual (c)
Die Scandaten wurde auf der Festplatte des Intraoralscanners (Trios 2/3 Shape) gespeichert, von wo aus anschließend die digitale Versendung über das Hausnetzwerk an das zahntechnische Labor des BwZKhs erfolgte. Dort wurden die Daten mittels CAD-Software (Modellbuilder/Fa. 3 Shape) vom Zahntechnikmeister bearbeitet und unter Zuhilfenahme eines 3-D-Druckers (Simplex/ Fa. Renfert) ein Positivmodell (Aligner Model/ Fa. Renfert) der Unterkiefersituation angefertigt (Abildung 3).
Für die Herstellung der Schutzschiene wurde im weiteren Verlauf der digitale Workflow verlassen und eine weiche flexible Schiene (Erkoflex 5 mm/ Fa. Erkodent) mittels thermoplastischer/Vakuum-Tiefziehtechnik (Erkoform 3d+/Fa. Erkodent) angefertigt (Abbildung 4).
Abb. 4: Schutzschiene auf dem Arbeitsmodell
Bereits am Folgetag des intraoralen Scans konnte die Schutzschiene auf der Intensivstation eingegliedert werden, um Verletzungen des Zungenkörpers im Fortgang des Krankenhausaufenthaltes und der anschließend geplanten Reha-Behandlung der Patientin zu verhindern. Das Einsetzen/Herausnehmen und die Pflege der Schiene wurde dem Intensivpflegepersonal demonstriert. Abschließend wurde die Schiene mit einem ausreichend starken Nahtmaterial, welches aus dem Mund der Patientin herausgeführt wurde, gegen Aspiration und Verschlucken gesichert.
Fazit
Die intraorale Scantechnik ist eine bereits etablierte Alternative zur konventionellen Abdrucktechnik in der Zahnmedizin. Im geschilderten Fall ermöglichte die Scantechnik eine schnelle Versorgung der intensivpflichtigen Patientin mit einer dringend benötigten Schutzschiene, um eine Verletzung der Zunge zu verhindern. Weitere Einsatzmöglichkeiten des Intraoralscanners im Praxisalltag bestehen in der konventionellen Prothetik, in der Implantatprothetik inklusive der Option einer prothetischen Sofortversorgung eines frisch inserierten Implantates, bei der Herstellung von Aufbiss-Schienen und bei Patienten mit ausgeprägtem Würgereiz, um hier nur einige Möglichkeiten zu benennen. Sowohl der digitale Workflow bei der Wiederherstellung der Funktion oraler Strukturen von einsatzverletzten Soldaten im Rahmen der zahnmedizinischen Rehabilitierung in der Role 4, als auch die Nutzung des Scanners in Einsatzszenarien können die Behandlungsoptionen als zukünftige innovative Anwendungsbereiche der intraoralen Scantechnik erweitern und vereinfachen.
Die symbiotischen Vorteile aller mittlerweile praxis- und labortauglichen digitalen zahnmedizinischen Geräte erlauben eine ungeahnte Performance. Die Basis für diesen Workflow ist eine flächendeckende stabile Praxisorganisationssoftware sowie ein Netzwerk mit Schnittstellen.
Manuskriptdaten
Ziterweise
Boros G, Rademacher K, Marinus M, Gutsche G: Mobiler Einsatz des zahnärztlichen intraoralen Scanners bei einem Intensivpatienten im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. WMM 2024; 68(1-2): 47-49.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Gabor Boros
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Abteilung XXIII – Zahnmedizin;
Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz
E-Mail: gaborboros@bundeswehr.org