Vergleich von hyperspektraler Bildgebung und Mikro-Doppler-Sonografie zum Perfusionsmonitoring mikrovaskulärer Transplantate in einem in-vivo Kleintier-Modell1
Philipp Becker a, b, 2, Sebastian Blatt b, 2, Andreas Pabst a, b, Diana Heimes b, Bilal Al-Nawas b,
Peer W. Kämmerer b, 2, Daniel G. E. Thiem b, 2
1 Die vorliegende Arbeit wurde bereits im Journal of Clinical Medicine publiziert:
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VII – Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie
b Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen
Einleitung
Mikrovaskuläre Transplantate sind ein Standardverfahren der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, um Gewebedefekte nach Unfall- und Explosionsverletzungen, Tumoroperationen oder Verbrennungen funktionell und ästhetisch zu rekonstruieren. Für Weichteilrekonstruktionen stehen z. B. der Radialis-Lappen oder der anterolaterale Oberschenkel-Lappen zur Verfügung. Wenn eine knöcherne Rekonstruktion erforderlich ist, kann ein Fibula-, Scapula- oder mikrovaskuläres Beckenkamm-Transplantat verwendet werden, wobei abhängig von der Art des mikrovaskulären Transplantats Erfolgsraten von über 95 % erreicht werden [1][9][17][19][25].
Trotz der hohen Erfolgswahrscheinlichkeit treten regelmäßig Komplikationen auf, die zu einem komplettem Transplantatverlust führen können [27]. Dabei ist die venöse Insuffizienz die häufigste Komplikation. Arterielle Perfusionsstörungen hingegen sind aufgrund der schlechteren Revisions-Prognose die häufigste Ursache für einen Transplantatverlust [18][29]. Ein engmaschiges Monitoring ist obligat, um Perfusionsprobleme frühestmöglich zu erkennen und intervenieren zu können, bevor irreversible Schäden am Transplantat auftreten [24]. Zu diesem Zweck wurden Monitoring-Methoden, wie z. B. verschiedene Doppler-Verfahren, Nahinfrarotspektroskopie, Mikrodialyse oder Gewebeoxymetrie, etabliert,
wobei die klinische Beurteilung immer noch der Goldstandard des Transplantatmonitorings ist [3][8][10].
Ein wesentlicher Nachteil der klinischen Beurteilung ist die Untersucherabhängigkeit, die objektive klinische Kriterien nur bedingt erfassen kann. Daneben ist Expertise des Untersuchers erforderlich, um eine geeignete Aussage über den Transplantatstatus treffen zu können. Erfahrene Spezialisten stehen im Rahmen des postoperativen Transplantatmonitorings nicht uneingeschränkt zur Verfügung, wodurch valide, gerätebasierte Monitoring-Methoden den weniger erfahrenen Untersucher bei der Interpretation des klinischen Transplantatstatus unterstützen können [25]. Ein seit Jahrzehnten angewandtes Verfahren ist das Monitoring mit der implantierbaren Mikro-Doppler-Sonografie (Cook-Swartz-Doppler) [23]. Mithilfe eines Cook-Swartz-Dopplers kann im Vergleich zur klinischen Beurteilung eine höhere Erfolgsrate bei mikrovaskulären Transplantaten erzielt werden. Eine mögliche Limitation kann in einer höheren Rate falsch-positiver Ergebnisse gesehen werden, was zu unnötigen Revisionsoperationen führen kann [4][6]. Zusätzlich ist die Methode invasiv.
Durch die ständige Weiterentwicklung von Monitoring-Methoden wird versucht, den Limitationen der bereits etablierten Monitoring-Methoden entgegenzuwirken. Die hyperspektrale Bildgebung ist dabei ein kontaktloses bildgebendes Verfahren für medizinische Anwendungen, das für die Messung der Gewebeperfusion und Sauerstoffversorgung entwickelt wurde und so bereits zur Beurteilung unterschiedlicher Krankheitsbilder wie Verbrennungen, Ulzera, Wundanalysen und auch beim Transplantatmonitoring zur Anwendung kommt [2][13][14][21][30]. Die hyperspektrale Bildgebung basiert auf der Auswertung von Spektren elektromagnetischer Wellenstrahlung im sichtbaren- und Nahinfrarotbereich, die von einzelnen Gewebemolekülen remittiert werden. Charakteristische Absorptionsspektren von oxygeniertem und desoxygeniertem Hämoglobin lassen eine Berechnung hämoglobinbasierter Parameter zu, die eine Aussage über die aktuelle Gewebeperfusion liefern. Die hyperspektrale Bildgebung kann als untersucherunabhängiges, nicht-invasives und nicht-ionisierendes Verfahren als eine Monitoring-Methode für die intra- und postoperative Beurteilung mikrovaskulärer Transplantate dienen [5][7][25].
Bisher gibt es keine Studie, die die hyperspektrale Bildgebung quantitativ mit einer anderen gerätebasierten Methode zum Monitoring mikrovaskulärer Transplantate prä-, intra- und postoperativ in einem standardisierten Modell verglichen hat. In dieser Arbeit sollen absolute Messparameter der hyperspektralen Bildgebung mit absoluten Messparametern der Mikro-Doppler-Sonografie verglichen und korreliert werden. Das Ziel dieser Studie ist es, die hyperspektrale Bildgebung (HSI) im Vergleich zur Mikro-Doppler-Sonografie (MDS) zum Perfusionsmonitoring mikrovaskulärer Transplantate in einem in-vivo-Kleintiermodell an Ratten zu evaluieren.
Material und Methoden
Sprague-Dawley-Ratten (N = 20, männlich, ± 12 Wochen alt, mit einem Gewicht zwischen 300 und 500 g) wurden unter Standardbedingungen gehalten. Der Umgang mit den Tieren, die Haltung und die Versuchsdurchführung entsprachen den Vorgaben des Deutschen Tierschutzgesetzes und den ARRIVE (Animal Research: Reporting of In Vivo Experiments) Guidelines (National Centre for the Replacement, Refinement and Reduction of Animals in Research, London, Großbritannien). Die Versuche wurden von der zuständigen Behörde (Landesuntersuchungsamt, Referat 23, Koblenz) genehmigt (G 19–1-078). Zur Analgesie erfolgte eine intraperitoneale Injektion von Buprenorphin (0,1 mg/kg Körpergewicht) 30 min vor der Operation, zur Anästhesieeinleitung (Isofluran 3–4 %) und -aufrechterhaltung (Isofluran 1–2 %) eine Isofluran-Inhalationsnarkose.
Bei den Tieren wurden bilateral adipokutane Leistenlappen präpariert (medial-lateral 3 cm und kaudal-cranial 4 cm, Abbildungen 1und 2) [22]. Nach Hautinzision wurden A. und V. femoralis und A. sowie die V. epigastrica superficialis aufgesucht und davon ausgehend ein an diesen Gefäßen gestieltes Transplantat präpariert, das über die A. und V. epigastrica superficialis ausschließlich aus der A. femoralis gespeist wird. Die A. femoralis wurde auf der rechten Seite durchtrennt und mittels mikrovaskulärer Naht (10–0) re-anastomosiert. Im gleichen Zeitraum wurde die A. femoralis der linken Seite ausschließlich abgeklemmt.
Abb. 1: Klinischer Situs nach Transplantatpräparation und Anastomosierung der A. femoralis mittels mikrovaskulärer Naht. * zeigt die Hautinsel des Leistenlappens, der gelbe Pfeil den Gefäßstil aus A. und V. epigastrica superficialis, der weiße Pfeil die A. und der schwarze Pfeil die V. femoralis. Für detailliertere Informationen zu den Modellen siehe Wallmichrath et al. [28].
Abb. 2: Versuchsaufbau (erstellt mit bioRender.com)
Die Transplantate und die Anastomosen wurden vor, während und nach der Ischämie alle 10 min für einen Nachbeobachtungszeitraum von insgesamt 60 min mit der hyperspektralen Bildgebung und der Mikro-Doppler-Sonografie gemonitort. Die Transplantate der linken Seite dienten dabei als Kontrollen.
Gewebesauerstoffsättigung (StO2), NIR Perfusion Index (NPI), Hämoglobin- (THI) und Wasserverteilung (TWI) wurden mithilfe der hyperspektralen Bildgebung im Bereich der Hautinsel des Transplantats gemessen, während das arterielle Mikro-Doppler-Signal direkt distal der Anastomose abgeleitet wurde (Abbildungen 2 und 3).
Abb. 3: Klinische Fotos (A) und Messungen der HSI (B) und MDS (C) während des Versuchsablaufs zu den Zeitpunkten t0, t1, t2, t3, t4
Ergebnisse
Nach Durchtrennen bzw. Abklemmen der A. femoralis (t2) waren die Messwerte der HSI und MDS signifikant reduziert und stiegen nach Reperfusion wieder auf Ausgangsniveau an (p < 0.05). Bei suffizienter und vollständig unterbrochener Perfusion korrelierten die Ergebnisse beider Verfahren.Insgesamt nahmen die hyperspektralen Mikrozirkulationsparameter StO2 und NPI von 40 min nach Reperfusion (t7) bis einschließlich t9 signifikant (p < 0.05) ab. Es gab keine entsprechenden Änderungen in den verschiedenen Mikro-Doppler-Parametern (maximale und mittlere Doppler-Frequenz, RI und PI) von t7 bis t9 (Abbildung 4).
Abb. 4: Vergleich von hyperspektraler HSI und MDS:
Ab dem Zeitpunkt t7 gab die HSI eine signifikant reduzierte Perfusion an, während die MDS keine Veränderungen des Flusssignals im Vergleich zum Reperfusionswert anzeigte.
Diskussion
Das Ziel dieser Arbeit war der Vergleich der hyperspektralen Bildgebung mit der Mikro-Doppler-Sonografie zum Perfusionsmonitoring mikrovaskulär anastomosierter Leistenlappen in einem in-vivo-Kleintiermodell an Ratten. Das „rat groin flap“-Modell wurde 1967 von Strauch und Murray entwickelt [22]. Die Versuchsdurchführung ist mit einer eher geringen Belastung der Tiere verbunden und wurde in zahlreichen Hämodynamik-Studien untersucht [15][16][28]. Das an A. und V. epigastrica superficialis gestielte, spindelförmige, adipokutane Transplantat wird ausschließlich über die A. femoralis gespeist. Bereits 1986 wurde die Möglichkeit der perioperativen Beurteilung von Anastomosen mikrovaskulärer Transplantate mithilfe der Mikro-Doppler-Sonografie anhand dieses Tiermodells nachgewiesen [20]. Ein Vorteil besteht darin, dass die Perfusionsunterbrechung der A. femoralis mit einer vollständigen Perfusionsunterbrechung des Leistenlappens einhergeht, was in dieser Arbeit sowohl durch die hyperspektrale Bildgebung als auch durch die Mikro-Doppler-Sonografie bestätigt werden konnte.
Insgesamt konnten die Ergebnisse zeigen, dass die hyperspektrale Bildgebung zum Perfusionsmonitoring geeignet sein kann und der etablierten Methode der Mikro-Doppler-Sonografie nicht unterlegen zu sein scheint. Bei suffizienter und vollständig unterbrochener Perfusion korrelierten die Ergebnisse beider Verfahren. Sowohl die Perfusionsunterbrechung (t2) als auch die Reperfusion nach Anastomosierung im Bereich der zuführenden A. femoralis wurde von der hyperspektralen Bildgebung im Bereich der Hautinsel nahezu verzögerungsfrei und ausnahmslos detektiert, was auf eine hohe Messpräzision der Methode hinweist. Die Evaluation anhand der mikro-doppler-sonografischen Messungen, der Vergleich zwischen Test- und Kontrollseite, die Verlaufsbeurteilung der Perfusionswerte zu den einzelnen Messzeitpunkten deuten auf einen möglichen Einsatz der hyperspektralen Bildgebung zur Beurteilung der Anastomosenqualität hin. Nach 40 min Nachbeobachtungszeit nahm die mit der hyperspektralen Bildgebung bestimmte durchschnittliche Transplantatperfusion, vermutlich aufgrund einer allgemeinen Reduktion der hämodynamischen Kreislaufsituation, ab. Hierbei konnte ein signifikanter Abfall der Gewebesauerstoffsättigung (StO2; p<0.005) und des NIR Perfusion Index (NPI; p<0.005) im Vergleich zum Reperfusionswert festgestellt werden. Das Mikro-Doppler-Signal blieb unverändert und zeigte keine Reduktion der Durchblutung an.
Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass die hyperspektrale Bildgebung geeignet sein könnte, Perfusionsstörungen sehr früh und möglicherweise sogar früher als etablierte Methoden zu detektieren. Andererseits unterscheiden sich die Messstellen der beiden Verfahren. Die hyperspektralen Messungen wurden an der Hautinsel des Transplantats im Bereich des kapillären Gebiets durchgeführt, wohingegen das Mikro-Doppler-Signal direkt distal der Anastomose an einer großen Arterie abgeleitet wurde. Geht man davon aus, dass eine allgemeine Kreislaufdepression der Tiere die Perfusionsreduktion ab dem Zeitpunkt t7 verursacht hat, könnte durch eine Kreislaufzentralisation bereits eine periphere Vasokonstriktion aufgetreten sein, die sich zu dem Zeitpunkt im Endstromgebiet, aber nicht an der A. femoralis manifestiert hatte.
Fazit
Mittlerweile befindet sich die hyperspektrale Bildgebung bereits im klinischen Einsatz. Eine systematische Übersichtsarbeit beurteilte die hyperspektrale Bildgebung im Vergleich zur Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) in Bezug auf die Detektion von Transplantatversagen. Hierbei konnte keine Überlegenheit einer der beiden Monitoring-Methoden festgestellt werden [12]. In zwei prospektiven klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die hyperspektrale Bildgebung Perfusionsstörungen früher identifizieren kann als eine rein klinische Beurteilung des Transplantats beziehungsweise eine klinische Beurteilung, die durch die periphere Gefäßdoppler-Sonografie ergänzt wird [11][26]. Dennoch bleibt die klinische Beurteilung der Goldstandard des Monitorings mikrovaskulärer Transplantate, denn schlussendlich entscheidet der geschulte klinische Blick des erfahrenen Behandlers über die Notwendigkeit eines Transplantat-Revisionseingriffs. Das Verfahren der hyperspektralen Bildgebung kann hier als Ergänzung dienen, die bei der Diagnose eines Perfusionsproblems und bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine chirurgische Intervention unterstützend wirkt, eine gewisse Objektivität schafft und daneben eine stichhaltige Dokumentation ermöglicht. Damit kann das Transplantatmonitoring mit der hyperspektralen Bildgebung die Erfolgswahrscheinlichkeit mikrovaskulärer Transplantate möglicherweise weiter erhöhen.
Die Teilnehmenden am Wettbewerb um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2023 (von links): Oberstabsarzt Dr. Daniel Schwanke, Leutnant (SanOA) Julian Ermtraud, Stabsarzt Dr. Philipp Becker, Leutnant (SanOA) Fabian Springer, Oberstabsarzt Dr. Marcel Ebeling, Stabsarzt Dr. Dustin Hädrich, Oberstabsarzt Oberstabsarzt Dr. Benny Kölbel, Generalarzt a. D. Prof. Dr. Horst Peter Becker. Nicht auf dem Bild ist Oberstabsarzt Dr. Justine Schoch, die vom EInsatz in Litauen per Video (Zoom) zugeschaltet wurde.
Literatur
Für die Verfasser
Stabsarzt Dr. Philipp Becker
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Klinik VII – Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie,
Rübenacher Straße 170, 56072 Koblenz
E-Mail: becker-ph@web.de
Becker P, Blatt S, Pabst A, Heimes D, Al-Nawas B, Kämmerer PW, Thiem DGE: Comparison of Hyperspectral Imaging and Microvascular Doppler for Perfusion Monitoring of Free Flaps in an In Vivo Rodent Model. (J Clin Med. 2022; 11: 4134)
Die Ergebnisse dieser Studie sind Teil der zahnmedizinischen Promotionsarbeit des Erstautors Dr. med. Philipp Becker.
2 Diese Autoren haben gleichermaßen zu dieser Arbeit beigetragen.
Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den
schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen1
Christian Matthias Zobela, Werner Wenzelb, Jan Philipp Krügerb, Ulrich Baumgartena, Tobias Wagelöhnera, Nino Neumanna, Behruz Foroutana, Rico Müllerc, Annette Müllerc, Dominic Rauschningd, Meike Schüßlerd, Lorenz Scheite, Felix Weinreiche, Klaas Oltmannsf, Franziska Keidelf, Maria Kochf, Sebastian Spethmanng,h, Maximilian Schreinera
1 Die Orginalarbeit ist bei Frontiers Microbiology in englischer Sprache unter dem Titel „Serum interleukin-6, procalcitonin, and C-reactive protein at hospital admission can identify patients at low risk for severe COVID-19 progression“ erschienen; PMID 37937220; doi: 10.3389/fmicb.2023.1256210
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik I – Innere Medizin,
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XXI – Mikrobiologie und Krankenhaushygiene,
c Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XVI – Laboratoriumsmedizin,
d Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I – Innere Medizin
e Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik I – Innere Medizin
f Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, Klinik I – Innere Medizin,
g Deutsches Herzzentrum der Charité und Charité Universitätsmedizin Berlin – Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin,
h Charité – Universitätsmedizin Berlin, Corporate Member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin
Zusammenfassung
COVID-19 kann einen sehr variablen Verlauf zeigen, von asymptomatischen Infektionen bis hin zu akutem Lungenversagen und Tod. Zur effizienten Allokation von Ressourcen ist es hilfreich, möglichst frühzeitig Patienten zu identifizieren, die ein Risiko für einen schweren Verlauf haben. 135 Patienten an 4 Bundeswehrkrankenhäusern mit stationärer Aufnahmeindikation bei COVID-19-Pneumonie wurden prospektiv in diese Beobachtungsstudie eingeschlossen. Bei stationärer Aufnahme wurden ein standardisiertes klinisches Laborprofil entnommen und zusätzlich eine Reihe von Serummarkern mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm bestimmt. 112 Patienten konnten ausgewertet werden. Der primäre Endpunkt Beatmungspflichtigkeit oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn wurde von 13 Patienten erreicht. Interleukin-6 (IL-6), Procalcitonin (PCT) und C-reaktives Protein (CRP) im Serum bei stationärer Aufnahme waren jeweils höchstsignifikant (p < 0.001) mit Beatmungspflichtigkeit bzw. Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert. Mit einer Sensitivität von 92 % und einer Spezifität von 65–67 % konnten IL-6 ≥ 52,8 pg/ml, PCT ≥ 0,11 ng/ml und CRP ≥ 71,1 mg/l einen schweren Verlauf von COVID-19 vorhersagen. IL-6, PCT und CRP eignen sich gleichermaßen, um bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Pneumonie einen schweren Verlauf mit Beatmungspflichtigkeit oder Tod vorherzusagen.
Schlüsselworte: SARS-CoV-2, Neopterin, ARDS, Cytokine release syndrome, Beatmung
Summary
COVID-19 can show a variable course, from asymptomatic infections to acute respiratory failure and death. For efficient allocation of resources, it is helpful to identify patients at risk for a severe course as early as possible, ideally by serum laboratory parameters. 135 hospitalized patients with COVID-19 pneumonia at four German hospitals were prospectively included in this observational study. A standardized clinical laboratory profile was taken at hospital admission and a panel of serum markers with possible roles in the COVID-associated cytokine storm were also determined. 112 patients could be evaluated. The primary endpoint of ventilator requirement or death within 30 days of symptom onset was met by 13 patients. Serum elevations of Interleukin-6 (IL-6), procalcitonin (PCT), and C-reactive protein (CRP) at hospital admission were each highly significantly (p < 0.001) associated with ventilator requirement/death within 30 days of symptom onset. With a sensitivity of 92 % and a specificity of 65-67 %, IL-6 ≥ 52.8 pg/ml, PCT ≥ 0.11 ng/ml, and CRP ≥ 71.1 mg/l were predictive of a severe course of COVID-19. IL-6, PCT, and CRP are equally useful in predicting a severe course with ventilator requirement or death in hospitalized patients with COVID-19 pneumonia.
Keywords: SARS-CoV-2, Neopterin, ARDS, Cytokine release syndrome, ventilation.
Einleitung und Hintergrund
Wie hinreichend bekannt, ist COVID-19 eine durch SARS-CoV-2 ausgelöste Virusinfektion, die erstmalig 2019 in Wuhan (China) nachgewiesen wurde und sich innerhalb kürzester Zeit pandemisch ausbreitete. Sie ging damals mit einer relevanten Morbidität und Mortalität einher [12]. Weltweit standen Gesundheitssysteme medizinisch, personell und wirtschaftlich vor kaum zu bewältigenden Herausforderungen. Sogar in Industrienationen mit hochentwickeltem Gesundheitssystem kommt es bis heute zu einer unvollständig erfassten Übersterblichkeit [6].
Die klinische Manifestation von COVID-19 ist heterogen und reicht von asymptomatischen Verläufen bis hin zu einem akuten Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS). Schwere intensivpflichtige Verläufe traten in bis zu 11 % der Fälle auf und gingen dann mit einer Mortalität von bis zu 50 % einher, die auf ARDS und Multiorganversagen zurückzuführen war [16]. An COVID-19 erkrankte Patienten sind in der Frühphase ihrer Infektion oft nur geringgradig kompromittiert, ihr Zustand kann sich jedoch innerhalb kürzester Zeit rapide verschlechtern. Den Schweregrad der Erkrankung möglichst früh im klinischen Verlauf einschätzen zu können, ist somit von höchster Bedeutung, um begrenzte Ressourcen wie stationäre Betten oder Beatmungsplätze effizient nutzen zu können.
Bereits im Blutbild sind COVID-19-typische Veränderungen sichtbar: So geht eine SARS-CoV-2-Infektion bei der überwiegenden Anzahl von Patienten mit einer verminderten Anzahl von Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten einher. Leukozytose, neutrophile Granulozytose und Thrombozytopenie sind mit einem schlechten Outcome assoziiert. In der klinischen Chemie sind das C-reaktive Protein (CRP), das Procalcitonin (PCT), Interleukin-6 (IL-6) und Ferritin bekannte Biomarker, die im Rahmen akuter Entzündungsreaktionen erhöht sind und zur Vorhersage eines ungünstigen Verlaufs von COVID-19 beitragen können. Weitere Laborparameter, die bei schwerem COVID-19-Verlauf erhöht sein können, umfassen die D-Dimere als Marker der Gerinnungsaktivierung oder Herzenzyme wie die Creatin-Kinase (CK) und Troponin I (eine Übersicht über die Laborveränderungen findet sich unter [24]).
Der Biomarker Neopterin erfuhr zuletzt eine gewisse Renaissance im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Er wird von Makrophagen nach Interferon-gamma-Stimulation gebildet und stellt ein Korrelat für die Aktivierung von T-Helfer-Zellen Typ 1 dar. Neopterin kann die Aktivität verschiedener Viruserkrankungen wie HIV oder SARS-CoV-1 anzeigen [21][29]. Die Neopterin-Konzentrationen im Serum waren bei mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten höher als bei einer gesunden Vergleichsgruppe. Des Weiteren wurden bei schwer erkrankten Patienten mit COVID-19 höhere Neopterin-Konzentrationen als bei leicht erkrankten gefunden [1][3][13][22][26].
Schon früh in der Pandemie wurde in der Gruppe der Patienten mit einem schweren Verlauf von COVID-19 eine Dysregulation von Entzündungszellen mit einer Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen diskutiert und bald darauf als „Zytokinsturm“ beschrieben. Dieser ist verwandt mit dem Cytokine release syndrome und anderen hyperinflammatorischen Syndromen wie der hämophagozytischen Lymphohistiozytose [8][17][19][20]. Diese Syndrome gehen mit einer erheblichen Dysregulation von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen einher und zeichnen sich durch eine sehr schlechte Prognose aus [25].
Diese Studie hatte zum Ziel, Biomarker zu identifizieren, die bei hospitalisierten COVID-19-Patienten eine frühe Aussage über die Wahrscheinlichkeit von Beatmungspflichtigkeit oder Tod erlauben. Hierfür bestimmten wir zum einen eine Reihe von Parametern des klinischen Routinelabors, die für Diagnostik, Verlauf und Komplikationen von COVID-19 Erkrankung Relevanz haben. Zum anderen screenten wir eine Auswahl von Zytokinen, Chemokinen, Wachstumsfaktoren und anderen Markern, die eine Rolle im mit COVID-19 assoziierten Zytokinsturm spielen könnten, auf ihr diagnostisches Potenzial.
Methoden
Studiendesign
Für diese prospektive Beobachtungsstudie wurden Patienten an den Bundeswehrkrankenhäusern Berlin, Hamburg und Westerstede sowie dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz rekrutiert. Sie hatte zum Ziel, prädiktive Faktoren für einen schweren Krankheitsverlauf frühzeitig im Blut von hospitalisierten COVID-19-Patienten zu entdecken. Die Studie wurde im Einklang mit den Prinzipien der Deklaration von Helsinki durchgeführt [27] und von der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin genehmigt (Aktenzeichen Eth-10/20). Alle Patienten gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Studienteilnahme.
Das Studienprotokoll wurde vor Einschluss des ersten Patienten im Deutschen Register Klinischer Studien veröffentlicht (DRKS-ID: DRKS00021591). Eingeschlossen wurden erwachsene, immunkompetente Patienten mit klinischem Verdacht auf eine COVID-19-Pneumonie und der Indikation zur stationären Aufnahme. Aufgrund des klinischen Einschlusskriteriums konnten Patienten gemäß dem Protokoll nachträglich ausgeschlossen werden, falls sie im stationären Verlauf mittels PCR zweimal negativ auf SARS-CoV-2 getestet wurden und zusätzlich fehlende Zeichen für COVID-19 in einer Computertomographie des Thorax hatten.
Den Patienten wurde an folgenden Zeitpunkten Blut abgenommen: innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme sowie 7, 10, 14 und 21 Tage gerechnet ab Beginn der Symptome. Das Blut wurde nur während des stationären Aufenthalts abgenommen, d. h. falls ein Patient erst nach einem der genannten Zeitpunkte ab Symptombeginn aufgenommen wurde bzw. vor einem dieser Zeitpunkte entlassen wurde, fehlen diese Daten. Das Blut wurde zentrifugiert, das Serum abpipettiert und für die spätere Analyse bei -20 °C aufbewahrt (Details zu den analysierten Parametern finden Sie in der Originalpublikation). Ebenfalls wurden zu den o.g. Zeitpunkten die Vitalparameter mittels standardisierter Studienbögen protokolliert, und es wurden folgende Parameter des lokalen Krankenhauslabors dokumentiert: Hämoglobin, Thrombozyten, Leukozyten, maschinelle Eosinophilen- und Lymphozytenzahlen, PCT, CRP, Ferritin, Kreatinin, Harnstoff, Natrium, Kalium, Alanin-Aminotransferase (ALAT), Aspartat-Aminotransferase (ASAT), Gamma-Glutamyltransferase (Gamma-GT), Alkalische Phosphatase (AP), Bilirubin, Laktatdehydrogenase (LDH), Quick-Wert, partielle Thromboplastinzeit (PTT), D-Dimere, CK, CK-MB, NT-proBNP, Troponin T.
Der primäre Endpunkt war der Eintritt einer nicht-invasiven oder invasiven Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn, was anhand der Krankenakten geprüft wurde. Abweichend vom Studienprotokoll wurde zusätzlich auch der Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn als Erreichen des primären Endpunkts gewertet. Diese konkrete Änderung betraf nur einen Patienten, der zwar die Indikation zur Beatmung hatte, diese jedoch ablehnte und in der Folge ohne vorherige Beatmung an COVID-19 verstarb. Eine High-Flow-Sauerstofftherapie wurde in dieser Studie als nicht invasive Beatmung gewertet. Das Erreichen des primären Endpunkts wird als „schwerer Verlauf“ von COVID-19 gewertet.
Der sekundäre Endpunkt war der Tod jeglicher Ursache innerhalb von 1 Jahr nach Symptombeginn. Hier wurde anhand der im Krankenhausinformationssystem hinterlegten Telefonnummern versucht, die Patienten bzw. ihre Angehörigen zu erreichen.
Statistische Analysen
Aufgrund eines praktischen Ansatzes für die klinische Versorgung wurden allein die gemessenen Parameter in der frühesten Blutentnahme, d. h. innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme, für die Berechnung einer Korrelation mit dem primären Endpunkt benutzt. Die Korrelationen wurden mittels Mann-Whitney-U-Test berechnet. Die p-Werte wurden mittels Benjamini-Hochberg-Prozedur (false discovery rate) für multiples Testen korrigiert [2]. Zweiseitige p-Werte < 0.05 wurden als statistisch signifikant angesehen.
Des Weiteren wurden die Parameter mittels Pearson Produkt-Moment-Korrelation auf Multikollinearität geprüft, wobei Korrelationswerte über 0,8 als Indiz für Multikollinearität angesehen wurden.
Da ein Jahr nach Einschluss des letzten Patienten weniger als die Hälfte der Patienten für ein telefonisches follow-up erreicht werden konnten, wurde der sekundäre Endpunkt nicht ausgewertet.
Die statistischen Analysen wurden nach Beratung durch einen Biostatistiker mit SPSS 28.0.1 (IBM Corp.) und dem Erweiterungspaket STATS PADJUST 1.04 durchgeführt. Grafische Analysen der Daten wurden mit GraphPad Prism 9.3.1 (GraphPad Software, Inc.) erstellt.
Ergebnisse
Studienteilnehmer
Zwischen dem 29. April 2020 und dem 15. Dezember 2020 wurden insgesamt 135 Patienten mit klinischem Verdacht auf COVID-19-Pneumonie und Indikation zur stationären Aufnahme in die Studie eingeschlossen. Davon wurden 23 Patienten nachträglich ausgeschlossen: 14 hatten andere Diagnosen als COVID-19 und wurden gemäß dem vorher festgelegten Studienprotokoll (zweimal negative SARS-CoV-2-PCR und fehlende Zeichen einer viralen Pneumonie in einer Computertomographie des Thorax) ausgeschlossen, 7 Patienten zogen ihre Einwilligung zur Studienteilnahme wieder zurück und 2 Patienten mit dem Ausschlusskriterium „laufende Immunsuppression“ wurden versehentlich eingeschlossen. Somit verblieben 112 Patienten in der Studie, von denen 13 den primären Endpunkt „Tod oder Beatmung innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn“ erreichten (Abbildung 1).
Abb. 1: Flussdiagramm der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer:
a bakterielle Pneumonie (5 Patienten), Asthma bronchiale, Pneumocystis-Pneumonie (je 2 Patienten), Bronchialkarzinom, dekompensierte Herzinsuffizienz, akute Lungenarterienembolie, Strahlenpneumonitis, psychosomatische Beschwerden (je 1 Patient)
b beide Patienten standen unter einer Dauertherapie mit immunsuppressiven Medikamenten, die bei der stationären Aufnahme über die Notaufnahme zunächst nicht bekannt war
Die beiden Gruppen zeigten Unterschiede in ihren demographischen und klinischen Daten bei Einschluss (Tabelle 1). Patienten mit dem Outcome Tod/Beatmung waren älter (72 vs. 59 Jahre), überwiegend männlich (92 % vs. 63 %) und hatten häufiger Vorerkrankungen. Die Therapie der Patienten mit schlechtem Outcome umfasste häufiger Kortikosteroide (77 % vs. 35 %) und Antibiotika (70 % vs. 56 %), ferner war ihre initiale Sauerstoffsättigung geringer (sO2 89 % vs. 95 %). Keine Unterschiede gab es in der Dauer zwischen Symptombeginn und stationärer Aufnahme (beides 7 Tage). Der Body-Mass-Index der Patienten mit schlechtem Outcome war tendenziell geringer (25,22 vs. 29,2). Da zum Zeitpunkt der Studie noch keine SARS-CoV-2-Impfung in Deutschland zugelassen war, waren alle Patienten ungeimpft.
Tab. 1: Klinische Basisdaten
Abkürzungen: IQA = Interquartilsabstand; BMI = Body-Mass-Index.
a BMI und Antibiotika-Therapie gehörten nicht zu den ursprünglich erhobenen Daten und wurden erst im Verlauf der Studie hinzugefügt, daher liegen hier nur für einen Teil der Studienteilnehmer Informationen vor.
Vorhersage des schweren Verlaufs von COVID-19 durch IL-6, PCT und CRP
Die folgenden neun Biomarker wurden in den Seren aller 112 Patienten bei stationärer Aufnahme bestimmt: CTGF, bFGF, IL-12, TIMP-1, CCL-2, CCL-5, IL-10, IL-6 und Neopterin. Zusätzlich wurden 25 Laborparameter der lokalen Krankenhauslabore (siehe oben) ausgewertet. Diese insgesamt 34 Parameter wurden auf ihr Potenzial zur Vorhersage eines schweren COVID-19-Verlaufs geprüft. Insgesamt elf Parameter waren signifikant mit dem Outcome Tod/Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert. Die jeweiligen Mediane für die beiden Gruppen sind mit ihren Signifikanzwerten in Tabelle 2 zusammengefasst.
Eine Erhöhung der 3 Entzündungsparameter IL-6, PCT und CRP war jeweils höchstsignifikant (p < 0.001) mit Tod/Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert (Abbildung 2). Die diagnostische Genauigkeit war am höchsten bei IL-6 mit einer area under the curve (AUC) von 0,871 bei einem 95 % Konfidenzintervall (KI) von 0,774–0,967, gefolgt von PCT mit 0,842 (95 % KI 0,754–0,931) und CRP mit 0,841 (95 % KI 0,731–0,950). Unter der Voraussetzung einer Sensitivität von mindestens 90 % zeigten alle drei Parameter eine ähnlich hohe Spezifität: IL-6 hatte eine Spezifität von 65 % bei einem cut-off-Wert ≥ 52,8 pg/ml, PCT hatte eine Spezifität von 67 % bei einem cut-off-Wert ≥ 0,11 ng/ml und CRP hatte eine Spezifität von 65 % bei einem cut-off-Wert ≥ 71,1 mg/l.
Abb. 2: IL-6, PCT und CRP bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie:
Konzentrationen und Grenzwertoptimierungskurven für IL-6 (A), PCT (B) und CRP (C) bei stationärer Aufnahme in Abhängigkeit des Outcomes (keine Beatmung vs. Beatmung/Tod) 30 Tage nach Symptombeginn einer SARS-CoV-2-Infektion. Die horizontalen Balken in der oberen Hälfte der Abbildung markieren den Median. Alle drei Parameter zeigen eine ähnlich gute Sensitivität und Spezifität für die Vorhersage eines schweren COVID-19-Verlaufs.
Erniedrigte Lymphozytenzahlen im maschinellen Differenzialblutbild bei Aufnahme waren ebenfalls signifikant mit einem schlechten Outcome von COVID-19 assoziiert, ebenso eine Erhöhung von Kreatinin, Harnstoff, Troponin T, NT-proBNP, LDH, ASAT und Neopterin (Tabelle 2).
Korrelation von Neopterin zur Nierenfunktion
Da die Größe der kleineren Gruppe je nach Parameter nur zwischen 9 und 13 Patienten lag (Tabelle 1), war die Etablierung eines logistischen Regressionsmodells mit mehreren Variablen zur Vorhersage eines schweren Krankheitsverlaufes nicht sinnvoll [23]. Dennoch wurden als Vorarbeit zu einem logistischen Regressionsmodell alle Parameter mittels bivariater Korrelation auf Multikollinearität geprüft.
Es fanden sich 5 Paare mit einem r > 0,8. Die starke Korrelation zwischen Kreatinin und Harnstoff (r = 0,848) war zu erwarten. Die starken Korrelationen zwischen IL-6 und PCT (r = 0,964) sowie AP und gamma-GT (r = 0,850) wurden jeweils nur durch einen einzigen Extremwert verursacht. Nach Elimination dieses Wertes lagen die Korrelationen nur noch bei r = 0,235 für IL-6/PCT und r = 0,358 für AP/gamma-GT. Des Weiteren waren Neopterin und NT-proBNP stark miteinander korreliert (r = 0,833). Da beide Parameter bei Niereninsuffizienz erhöht sind [10][11], wurde die partielle Korrelation mit Kreatinin als Kontrollvariable berechnet, wodurch das r auf 0,590 sank. Schlussendlich fand sich auch eine starke Korrelation (r = 0,836) zwischen Neopterin und Kreatinin (Abbildung 3).
Abb. 3: Korrelation von Kreatinin und Neopterin bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie: Das Streudiagramm mit linearer Regressionsgrade und 95 % Konfidenzintervall zeigt eine starke Korrelation (r = 0,836) der Serumkonzentrationen von Kreatinin und Neopterin bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie.
Nach Ausschluss aller Patienten mit einem Kreatinin-Wert > 1,5 mg/dl konnte für die Neopterin-Konzentration im Serum bei stationärer Aufnahme keine signifikante Assoziation zu einem schweren Verlauf von COVID-19 mehr nachgewiesen werden (p = 0.403).
Diskussion
Vorhersage eines schweren Verlaufs von COVID-19 bei hospitalisierten Patienten durch IL-6, PCT und CRP
Ziel dieser Studie war es, Laborparameter zu identifizieren, die es möglichst frühzeitig erlauben, einen schweren Verlauf von COVID-19 (definiert als Beatmungspflichtigkeit oder Tod) bei Patienten mit stationärer Aufnahmeindikation vorherzusagen. Nach statistischer Korrelation der getesteten Routineparameter und experimentellen Marker stellten sich drei Laborparameter als etwa gleichwertig heraus: IL-6, PCT und CRP.
Eine Serum-Konzentration von IL-6 ≥ 52,8 pg/ml, PCT ≥ 0,11 ng/ml oder CRP ≥ 71,1 mg/l innerhalb von 24 h nach stationärer Aufnahme konnte mit einer Sensitivität von 92 % und einer Spezifität von 65–67 % einen schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen.
IL-6 wurde schon früh in der Pandemie als prognostischer Marker vorgeschlagen [7]. Eine spätere Metaanalyse bestätigte den Wert von IL-6 für die Vorhersage eines schweren Verlaufs, nicht jedoch für die Mortalität [18]. Auch PCT und CRP waren bereits in einer der ersten COVID-19-Studien signifikant mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert [28]. In späteren Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass beide Marker sowohl die Mortalität als auch einen schweren Verlauf der Erkrankung vorhersagen konnten [5][15]. Die Ergebnisse dieser überwiegend retrospektiven Studien konnten in dieser prospektiven Studie bestätigt werden.
Neopterin ist kein unabhängiger Prädiktor eines schweren COVID-19-Verlaufs
Mehrere Studien haben postuliert, dass eine erhöhte Neopterin-Konzentration im Serum ein unabhängiger Prädiktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist, doch nur eine einzige hat eine Korrektur nach der glomerulären Filtrationsrate der Patienten vorgenommen [1]. Da Neopterin renal ausgeschieden wird [9] und eine schlechte Nierenfunktion ein unabhängiger Prädiktor für einen schweren COVID-19-Verlauf ist [4], ist bei diesem Marker die Berücksichtigung der Nierenfunktion essenziell. Auch in unserer Studie waren erhöhte Werte von Kreatinin oder Harnstoff bei stationärer Aufnahme mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert. Nach Ausschluss aller Patienten mit erhöhten Kreatinin-Werten konnten wir in dieser Studie keinen signifikanten Zusammenhang von erhöhten Neopterin-Konzentrationen im Serum zu Beatmungspflichtigkeit oder Tod mehr nachweisen. Wir sehen daher die Assoziation von Neopterin zu einem schweren COVID-19-Verlauf als Scheinkausalität an.
Fazit und Limitationen der Studie
Wir konnten in dieser prospektiven Beobachtungsstudie zeigen, dass IL-6, PCT und CRP sich gleichermaßen eignen, einen schweren Verlauf von COVID-19 bereits bei stationärer Aufnahme vorherzusagen. Alle experimentellen Parameter mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm eigneten sich in dieser an der klinischen Routineversorgung orientierten Studie nicht für die Vorhersage von Beatmungspflichtigkeit oder Tod. Wir konnten die Erhöhung von Neopterin als Marker einer zellulären Immunantwort bei schweren COVID-19-Verläufen bestätigen, sehen diese jedoch im Gegensatz zu früheren Studien aufgrund der Erhöhung dieses Parameters bei eingeschränkter Nierenfunktion als Scheinkausalität an.
Limitationen liegen in der geringen Anzahl der Patienten, die den primären Endpunkt erreichten. Da die Studie zu Beginn der Pandemie im März 2020 geplant wurde, gingen wir aufgrund der ersten Daten aus China und Italien von einem deutlich höheren Anteil an schweren COVID-19-Verläufen aus. Des Weiteren wurde die erste S2k-Leitlinie mit Empfehlungen zur Therapie aller stationären COVID-Patienten in Deutschland erst im November 2020, gegen Ende der Rekrutierungsphase, publiziert [14]. Vorher gab es naturgemäß Unsicherheiten über die optimale Therapie, sodass starke Divergenzen in den einzelnen Studienzentren möglich sind, die einen unbekannten Störfaktor ausmachen können. Weitere Einschränkungen in der Übertragbarkeit der Ergebnisse ergeben sich aus der Tatsache, dass alle Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ungeimpft waren sowie aus den veränderten SARS-CoV-2-Varianten, die aktuell im Unterschied zum Studienzeitraum April-Dezember 2020 zirkulieren.
Kernaussagen
- IL-6, PCT und CRP eignen sich gleichermaßen, um bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Pneumonie einen schweren Verlauf mit Beatmungspflichtigkeit oder Tod vorherzusagen.
- Neopterin ist kein unabhängiger Prädiktor eines schweren COVID-19-Verlaufs.
- Andere Serumparameter mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm waren in der klinischen Routine nicht geeignet, einen schweren COVID-19-Verlauf vorherzusagen.
Danksagung
Unser Dank gilt allen teilnehmenden Bundeswehrkrankenhäusern und der Abteilung E der Sanitätsakademie für die so unkomplizierte, effiziente und freundlich-angenehme Zusammenarbeit. Ganz besonderer Dank gilt allerdings Frau Stabsfeldwebel Virginia Weber (Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XXI) für ihr Engagement und ihre technische Hilfe im Labor, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre.
Diese Studie wurde gefördert durch die Sanitätsakademie der Bundeswehr (30K4-S-20 2021).
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Zobel CM, Wenzel W, Krüger JP et al.: Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den schweren Verlauf einer COVID-19 Pneumonie vorhersagen. WMM 2024; 68(1–2): 33-40.
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Christian M. Zobel
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik I – Innere Medizin
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: christianzobel@bundeswehr.org
Als Vortrag mit dem (geteilten) 2. Preis des Heinz-Gerngroß-Förderpreises 2022 ausgezeichnet