Validierung eines 4-Gensets zur Vorhersage der lebensgefährlichen akuten Strahlenkrankheit in einem Primatenmodell
Daniel Schwankea
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München, in Verbindung mit der Universität Ulm
Einleitung
Radionukleare Ereignisse sind Großschadensereignisse, im Rahmen derer innerhalb kurzer Zeit mit tausenden strahlenexponierten zivilen und militärischen Verletzten gerechnet werden muss. Für eine gute Prognose sind eine frühe Triage und das rechtzeitige Einsetzen therapeutischer Maßnahmen essenziell [5]. Grund hierfür ist die zeitverzögerte Manifestation der akuten Strahlenkrankheit (ASK). Um baldigst mit der Behandlung der ASK zu beginnen, sind diagnostische Marker erforderlich, die bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben werden können. Klinische Symptome (Prodromalsymptome) sind aufgrund der Unsicherheit des Auftretens und ihrer geringen Spezifität nur bedingt für die Abschätzung des weiteren Verlaufs der ASK geeignet. Zudem muss der Marker aus zuvor genannten Gründen hochdurchsatzfähig sein, also eine große Zahl von Untersuchungen in kurzer Zeit ermöglichen.
In Kooperation mit dem französischen militärischen Schwesterinstitut (Institut de Recherche Biomédicale des Armées, IRBA) des Instituts für Radiobiologie der Bundeswehr (InstRadBioBw) konnte in Genexpressionsanalysen an bestrahlten Pavianen ein vielversprechendes Genset bestehend aus DDB2, FDXR, POU2AF1 und WNT3 identifiziert werden [7–9]. Weitere Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe an ganzkörperbestrahlten Leukämiepatienten in Zusammenarbeit mit unseren tschechischen militärischen Kooperationspartnern erlaubten eine Validierung. Dies war jedoch zum einen nur an einer kleinen Anzahl an Patienten möglich, zum anderen führte die Grunderkrankung zu einer supprimierten Reaktion des Transkriptoms [12][14]. Zur Validierung sind im Besonderen gesunde, ganzkörperbestrahlte Kohorten erforderlich, wie dies beim Einsatz einer nuklearen Bombe (Hiroshima und Nagasaki) bzw. des Kernkraftwerkunfalls von Tschernobyl erlebt wurde. In Zusammenarbeit mit unserem amerikanischen militärischen Kooperationspartner vom Armed Forces Radiobiology Research Institute (AFRRI) ergab sich die Möglichkeit, Blutproben von Rhesusaffen aus einer bereits laufenden tierexperimentellen Studie zu erhalten. Im Rahmen dieser Studie wurde die Wirksamkeit eines Medikaments zur Behandlung der akuten Strahlenkrankheit (γ-Tocotrienol-(GT3)) zu verschiedenen Zeitpunkten vor und nach Bestrahlung untersucht. So war es möglich, eine entscheidende Validierung des o.g. Gensets an gesunden, ganzkörperbestrahlten Individuen durchzuführen.
Material und Methoden
Am AFRRI wurden 41 (27 männliche, 14 weibliche, Tabelle 1) Rhesusaffen der Spezies Macaca mulatta entweder mit 5,8 Gy; 6,5 Gy oder 7,2 Gy (Ganzkörperbestrahlung, Einzeldosis) bestrahlt. Dabei wurde den Tieren vor Bestrahlung und an den Tagen 1, 2, 3, 35 und 60 nach Bestrahlung 1 ml peripheres Blut in PAXgene® Blood RNA Tubes (PreAnalytiX®; Quiagen®; Becton, Dickinson, and Company; Franklin Lakes, NJ) abgenommen. Zudem wurde einem Teil der non-human primates (NHP) γ-Tocotrienol (GT3) s.c. (37,5 und 75 mg/kg) vor der Bestrahlung verabreicht. Der nicht behandelte Teil der Kohorte erhielt eine Placebolösung s.c. injiziert.
Tab. 1: Verteilung der Tiere über die untersuchten Untergruppen sortiert nach Strahlendosis, Geschlecht, Behandlungsgruppe und Überlebensstatus
Bei den applizierten hohen Dosen ionisierender Strahlung war ein schwerer Verlauf der akuten Strahlenkrankheit in diesem Tiermodell zu erwarten. Erreichten die Tiere ein vordefiniertes moribundes Stadium, wurden sie unter Beachtung des örtlich geltenden Tierschutzes eingeschläfert und als „letal erkrankt“ eingestuft. Tiere, die 60 Tage ohne Erreichen dieses Stadiums überlebten, wurden als „überlebend“ eingestuft und abschließend ebenfalls eingeschläfert.
Die gewonnenen Blutprobenröhrchen wurden über Nacht bei Raumtemperatur inkubiert, am nächsten Tag bei -80 °C tiefgefroren, gesammelt und nach Beendigung des Experimentes an das InstRadBioBw versandt. Hier erfolgte die semi-automatische RNA-Isolation der Blutproben von 41 zufällig ausgewählten NHP. Die extrahierten RNA-Proben wurden bezüglich ihrer Qualität und Quantität untersucht. Es wurden 500 ng Gesamt-RNA mittels High-Capacity cDNA Reverse Transcription Kit (Applied Biosystems™, Life Technologies, Darmstadt, Germany) in cDNA konvertiert. Zur Quantifizierung der RNA Kopienanzahl von FDXR (Hs01031617_m1), DDB2 (Hs00172068_m1), POU2AF1 (Hs01573371_m1) und WNT3 (Hs00902257_m1) wurden pro Reaktion 10 ng cDNA, PCR-Master-Mix und genspezifische TaqMan-Assays verwendet. Die quantitative Echtzeitpolymerasekettenreaktion (qRT-PCR) in Duplikat-Messung erfolgte im 96-Wellformat mittels QuantStudio™ 12K OA Real-Time PCR System (Thermo Fisher SCINTIFIC Inc., Waltham, Massachusetts, USA). Im Rahmen der qRT-PCR korreliert die RNA-Kopienanzahl eines Gens mit dem sogenannten Ct-Wert (Cycle threshold). Die Raw-Ct-Werte der Gene wurden gegen den 18S rRNA Ct-Wert normalisiert. Unterschiede in der Genexpression wurden mittels des -ΔΔCt-Verfahrens () quantifiziert (Fold-Change = FC). Dabei wurde der normalisierte Ct-Wert jedes Gens vor Bestrahlung als Referenz verwendet. Unter Berücksichtigung der methodischen Varianz des Verfahrens wurden um den Faktor 2 veränderte Genexpressionsmessungen als unterschiedlich zu Kontrollwerten betrachtet (unbestrahlte Genexpressionsmessungen wurden auf eins gesetzt). Die statistische Analyse erfolgte mittels Varianzanalyse (Analysis of variance, ANOVA) und Zwei-Wege ANOVAs, sowie Analysen zur „Receiver-Operator-Characteristics“.
Ergebnisse
Änderungen der Genexpression
Die Expression von FDXR und DDB2 nach Bestrahlung war bereits am zweiten (FDXR) bzw. am ersten Tag nach Bestrahlung (DDB2) im Median signifikant erhöht (2,3-fach bzw. 3,4-fach; p < 0.,001, Abbildung 1). Die Expression stieg kontinuierlich bis zum dritten Tag nach Bestrahlung (3,5-fach bzw. 13,5-fach), um dann am 35. Tag nach Bestrahlung herunterreguliert zu sein. Am Tag 60 nach Bestrahlung wurden differenzielle Genexpressionsänderungen wie in unbestrahlten NHP gemessen.
Für POU2AF1 konnte bereits am ersten Tag nach Bestrahlung eine etwa 8-fach erniedrigte Expression relativ zur unbestrahlten Referenz gezeigt werden, die auch am 35. Tag nach Bestrahlung gemessen wurde (Abbildung 1). Am Tag 60 nach Bestrahlung wurden differenzielle Genexpressionsänderungen wie in unbestrahlten NHP festgestellt.
Abb. 1: Graphen der differenziellen Expression der 4 Gene vor und an den Tagen nach Bestrahlung (oberer Teil FDXR und DDB2, unterer Teil WNT3 und POU2AF1). Die Symbole zeigen den Median aller Tiere zum jeweiligen Tag an. Signifikante Unterschiede in der Genexpression zur unbestrahlten Referenz vor Bestrahlung sind mit Sternchen gekennzeichnet (*p-value < 0.05, **p < 0.01, ***p < 0.001). Die graue Fläche im Hintergrund stellt einen angenommenen Sicherheitsbereich dar. Werte in diesem Bereich (FC zwischen 0,5 und 2,0) lassen keine sichere Unterscheidung zwischen methodischer Varianz und tatsächlicher Änderung der Genexpression zu. Die unterbrochene horizontale weiße Linie bezieht sich auf einen FC von 1, als Referenz für die Genexpression vor Bestrahlung.
WNT3 zeigte in dieser Studie eine hohe Varianz; es konnte lediglich am Tag 35 nach Bestrahlung eine supprimierte Expression gezeigt werden, während an den anderen Tagen keine eindeutigen Unterschiede zur unbestrahlten Referenz nachweisbar waren (Abbildung 1).
Kombination der Genexpressionsmessungen
Die Kombination der Genexpressionsmessungen von DDB2 und POU2AF1 an jedem der ersten 3 Tage nach Bestrahlung erlaubten eine vollständige Diskriminierung der unbestrahlten von den bestrahlten Tieren (AUC = 1). AUCs ≥ 0,88 wurden für die einzelnen Gene ermittelt (Abbildung 2). Analysen zu Unterschieden in Geschlechtern und Behandlungsgruppen (GT3 versus Placebo) hatten keinen Einfluss auf die hier gezeigten Ergebnisse.
Abb. 2:Sensitivität gegenüber der 1-Spezifität in einer Receiver-Operator-Characteristics (ROC)-Kurve für die Tage 1–3 nach Bestrahlung für DDB2 und POU2AF1, sowie in einem bivariaten Modell dieser beiden Gene: Die AUC gibt die Fläche unter der Kurve für jedes der beiden Gene einzeln und kombiniert wieder (bivariates Modell).
Diskussion
Die gestiegene Wahrscheinlichkeit eines radionuklearen Ereignisses durch die sich weltweit verschärfende Sicherheitslage erfordert Maßnahmen im Sinne einer „preparedness“. Eine hochdurchsatzfähige Frühdiagnostik ermöglicht eine frühe und suffiziente Triage, die wiederum für eine effektive Zuteilung der begrenzten medizinischen Ressourcen, wie z. B. Intensivbetten, relevant ist [3]. Besonders für die akute Strahlenkrankheit gilt, dass eine möglichst frühe Therapie, noch vor Auftreten erster Symptome, die Prognose des Patienten und somit seine Überlebenswahrscheinlichkeit entscheidend verbessert [4][5].
Hohe diagnostische Sicherheit
Diese Studie hatte zum Ziel, ein bereits in Pavianen und humanen in vivo- bzw. ex vivo-Proben identifiziertes molekularbiologisches Diagnosewerkzeug entscheidend zu validieren [1][2][6][7][9–12]. Für 3 der 4 Gene konnte diese Validierung mit einer gezeigten hohen diagnostischen Sicherheit erfolgreich geführt werden. Dabei war die Expression dieser Gene und insbesondere ihre diagnostische Aussage zum Verlauf der akuten Strahlenkrankheit nahezu unabhängig von der hier verabreichten Bestrahlungsdosis, dem Geschlecht, dem Überlebensstatus und der Behandlung mit GT3. Im Unterschied zu Pavianen war FDXR, wie auch im humanen Modell, im Rhesus-Modell nach Bestrahlung hochreguliert [1][7][8]. Jedoch im Unterschied zum humanen Modell war hier DDB2 im Vergleich zu FDXR stärker hochreguliert.
Vorhersage des Verlaufs einer ASK
Weiterhin konnte durch die im Unterschied zu vielen anderen Studien prolongierte Beobachtungsphase nach Bestrahlung das vorgestellte Modell zur Vorhersage des Verlaufs der ASK weiter studiert werden. So zeigte sich am Tag 35 eine generelle Supprimierung aller 4 Gene und am Tag 60 nach Bestrahlung ein Trend hin zu Kontrollwerten der unbestrahlten Referenz. Weitere Studien, die eine feinere Auflösung des Zeitraums zwischen 4 und 60 Tagen nach Bestrahlung erlaubten, würden dazu beitragen, die Verwendung des Verfahrens auf spätere Zeitpunkte nach Bestrahlung auszuweiten. Bezüglich des Einflusses der Behandlungs- und Placebogruppe sowie des Geschlechts sei auf die Originalpublikation verwiesen [13].
Macaca mulatta ist ungeeignet für die Validierung von WNT3
Das Gen WNT3 zeigte in diesem Tiermodell keine eindeutigen strahleninduzierten Genexpressionsänderungen. Somit ist dieses Tiermodell (Macaca mulatta) als nicht geeignet für die Validierung bereits gezeigter strahleninduzierter WNT3-Genexpressionsänderungen in bestrahlten humanen Blutproben einzustufen.
Fazit und Ausblick
Insgesamt konnte für 3 der 4 Gene (FDXR, DDB2 und POU2AF1) die hohe diagnostische Signifikanz der Prädiktion des Schweregrades der ASK gezeigt und erfolgreich validiert werden. Dies gibt Ausblick darauf, für ein künftiges radionukleares Ereignis den hier beschriebenen Arbeitsablauf durch z. B. das Multiplexen und die Verwendung einer One-Step-qRT-PCR zu beschleunigen. Auch die Entwicklung einer Point of Care-Diagnostik in Form einer Microfluidik-Karte als sogenanntes „Lab on a Chip“ könnte die frühe Differenzierung klinisch relevanter Gruppen wie unbestrahlte und tödlich exponierte Menschen weiter vereinfachen. Auch eine Point of Care-Sequenzierung mittels Nanopore-Sequencing kann hier weitere Vorteile bringen.
Zusammengefasst konnte an dieser Kohorte gesunder letal bestrahlter NHP das bereits identifizierte molekularbiologische Genset zur Früh- und Hochdurchsatzdiagnostik der ASK erfolgreich validiert werden. Mit diesem entscheidenden Experiment kann das Verfahren nunmehr zur Triage bei zukünftigen radionuklearen Ereignissen eingesetzt werden.
Literatur
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- Schwanke D, Schüle S, Stewart S, et al.: Validating a four-gene set for H-ARS severity prediction in peripheral blood samples of irradiated Rhesus macaques. Rad Res (im Druck).
- Schwanke D, Valente M, Ostheim P, et al.: Validation of genes for H-ARS severity prediction in leukemia patients - interspecies comparison, challenges, and promises. Int. J Radiat Biol (im Druck).
Verfasser
Oberstabsarzt Daniel Schwanke
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstraße 11, 80937 München
E-Mail: danielschwanke@bundeswehr.org