Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den
schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen1
Christian Matthias Zobela, Werner Wenzelb, Jan Philipp Krügerb, Ulrich Baumgartena, Tobias Wagelöhnera, Nino Neumanna, Behruz Foroutana, Rico Müllerc, Annette Müllerc, Dominic Rauschningd, Meike Schüßlerd, Lorenz Scheite, Felix Weinreiche, Klaas Oltmannsf, Franziska Keidelf, Maria Kochf, Sebastian Spethmanng,h, Maximilian Schreinera
1 Die Orginalarbeit ist bei Frontiers Microbiology in englischer Sprache unter dem Titel „Serum interleukin-6, procalcitonin, and C-reactive protein at hospital admission can identify patients at low risk for severe COVID-19 progression“ erschienen; PMID 37937220; doi: 10.3389/fmicb.2023.1256210
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik I – Innere Medizin,
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XXI – Mikrobiologie und Krankenhaushygiene,
c Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XVI – Laboratoriumsmedizin,
d Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I – Innere Medizin
e Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik I – Innere Medizin
f Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, Klinik I – Innere Medizin,
g Deutsches Herzzentrum der Charité und Charité Universitätsmedizin Berlin – Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin,
h Charité – Universitätsmedizin Berlin, Corporate Member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin
Zusammenfassung
COVID-19 kann einen sehr variablen Verlauf zeigen, von asymptomatischen Infektionen bis hin zu akutem Lungenversagen und Tod. Zur effizienten Allokation von Ressourcen ist es hilfreich, möglichst frühzeitig Patienten zu identifizieren, die ein Risiko für einen schweren Verlauf haben. 135 Patienten an 4 Bundeswehrkrankenhäusern mit stationärer Aufnahmeindikation bei COVID-19-Pneumonie wurden prospektiv in diese Beobachtungsstudie eingeschlossen. Bei stationärer Aufnahme wurden ein standardisiertes klinisches Laborprofil entnommen und zusätzlich eine Reihe von Serummarkern mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm bestimmt. 112 Patienten konnten ausgewertet werden. Der primäre Endpunkt Beatmungspflichtigkeit oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn wurde von 13 Patienten erreicht. Interleukin-6 (IL-6), Procalcitonin (PCT) und C-reaktives Protein (CRP) im Serum bei stationärer Aufnahme waren jeweils höchstsignifikant (p < 0.001) mit Beatmungspflichtigkeit bzw. Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert. Mit einer Sensitivität von 92 % und einer Spezifität von 65–67 % konnten IL-6 ≥ 52,8 pg/ml, PCT ≥ 0,11 ng/ml und CRP ≥ 71,1 mg/l einen schweren Verlauf von COVID-19 vorhersagen. IL-6, PCT und CRP eignen sich gleichermaßen, um bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Pneumonie einen schweren Verlauf mit Beatmungspflichtigkeit oder Tod vorherzusagen.
Schlüsselworte: SARS-CoV-2, Neopterin, ARDS, Cytokine release syndrome, Beatmung
Summary
COVID-19 can show a variable course, from asymptomatic infections to acute respiratory failure and death. For efficient allocation of resources, it is helpful to identify patients at risk for a severe course as early as possible, ideally by serum laboratory parameters. 135 hospitalized patients with COVID-19 pneumonia at four German hospitals were prospectively included in this observational study. A standardized clinical laboratory profile was taken at hospital admission and a panel of serum markers with possible roles in the COVID-associated cytokine storm were also determined. 112 patients could be evaluated. The primary endpoint of ventilator requirement or death within 30 days of symptom onset was met by 13 patients. Serum elevations of Interleukin-6 (IL-6), procalcitonin (PCT), and C-reactive protein (CRP) at hospital admission were each highly significantly (p < 0.001) associated with ventilator requirement/death within 30 days of symptom onset. With a sensitivity of 92 % and a specificity of 65-67 %, IL-6 ≥ 52.8 pg/ml, PCT ≥ 0.11 ng/ml, and CRP ≥ 71.1 mg/l were predictive of a severe course of COVID-19. IL-6, PCT, and CRP are equally useful in predicting a severe course with ventilator requirement or death in hospitalized patients with COVID-19 pneumonia.
Keywords: SARS-CoV-2, Neopterin, ARDS, Cytokine release syndrome, ventilation.
Einleitung und Hintergrund
Wie hinreichend bekannt, ist COVID-19 eine durch SARS-CoV-2 ausgelöste Virusinfektion, die erstmalig 2019 in Wuhan (China) nachgewiesen wurde und sich innerhalb kürzester Zeit pandemisch ausbreitete. Sie ging damals mit einer relevanten Morbidität und Mortalität einher [12]. Weltweit standen Gesundheitssysteme medizinisch, personell und wirtschaftlich vor kaum zu bewältigenden Herausforderungen. Sogar in Industrienationen mit hochentwickeltem Gesundheitssystem kommt es bis heute zu einer unvollständig erfassten Übersterblichkeit [6].
Die klinische Manifestation von COVID-19 ist heterogen und reicht von asymptomatischen Verläufen bis hin zu einem akuten Lungenversagen (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS). Schwere intensivpflichtige Verläufe traten in bis zu 11 % der Fälle auf und gingen dann mit einer Mortalität von bis zu 50 % einher, die auf ARDS und Multiorganversagen zurückzuführen war [16]. An COVID-19 erkrankte Patienten sind in der Frühphase ihrer Infektion oft nur geringgradig kompromittiert, ihr Zustand kann sich jedoch innerhalb kürzester Zeit rapide verschlechtern. Den Schweregrad der Erkrankung möglichst früh im klinischen Verlauf einschätzen zu können, ist somit von höchster Bedeutung, um begrenzte Ressourcen wie stationäre Betten oder Beatmungsplätze effizient nutzen zu können.
Bereits im Blutbild sind COVID-19-typische Veränderungen sichtbar: So geht eine SARS-CoV-2-Infektion bei der überwiegenden Anzahl von Patienten mit einer verminderten Anzahl von Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten einher. Leukozytose, neutrophile Granulozytose und Thrombozytopenie sind mit einem schlechten Outcome assoziiert. In der klinischen Chemie sind das C-reaktive Protein (CRP), das Procalcitonin (PCT), Interleukin-6 (IL-6) und Ferritin bekannte Biomarker, die im Rahmen akuter Entzündungsreaktionen erhöht sind und zur Vorhersage eines ungünstigen Verlaufs von COVID-19 beitragen können. Weitere Laborparameter, die bei schwerem COVID-19-Verlauf erhöht sein können, umfassen die D-Dimere als Marker der Gerinnungsaktivierung oder Herzenzyme wie die Creatin-Kinase (CK) und Troponin I (eine Übersicht über die Laborveränderungen findet sich unter [24]).
Der Biomarker Neopterin erfuhr zuletzt eine gewisse Renaissance im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Er wird von Makrophagen nach Interferon-gamma-Stimulation gebildet und stellt ein Korrelat für die Aktivierung von T-Helfer-Zellen Typ 1 dar. Neopterin kann die Aktivität verschiedener Viruserkrankungen wie HIV oder SARS-CoV-1 anzeigen [21][29]. Die Neopterin-Konzentrationen im Serum waren bei mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten höher als bei einer gesunden Vergleichsgruppe. Des Weiteren wurden bei schwer erkrankten Patienten mit COVID-19 höhere Neopterin-Konzentrationen als bei leicht erkrankten gefunden [1][3][13][22][26].
Schon früh in der Pandemie wurde in der Gruppe der Patienten mit einem schweren Verlauf von COVID-19 eine Dysregulation von Entzündungszellen mit einer Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen diskutiert und bald darauf als „Zytokinsturm“ beschrieben. Dieser ist verwandt mit dem Cytokine release syndrome und anderen hyperinflammatorischen Syndromen wie der hämophagozytischen Lymphohistiozytose [8][17][19][20]. Diese Syndrome gehen mit einer erheblichen Dysregulation von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen einher und zeichnen sich durch eine sehr schlechte Prognose aus [25].
Diese Studie hatte zum Ziel, Biomarker zu identifizieren, die bei hospitalisierten COVID-19-Patienten eine frühe Aussage über die Wahrscheinlichkeit von Beatmungspflichtigkeit oder Tod erlauben. Hierfür bestimmten wir zum einen eine Reihe von Parametern des klinischen Routinelabors, die für Diagnostik, Verlauf und Komplikationen von COVID-19 Erkrankung Relevanz haben. Zum anderen screenten wir eine Auswahl von Zytokinen, Chemokinen, Wachstumsfaktoren und anderen Markern, die eine Rolle im mit COVID-19 assoziierten Zytokinsturm spielen könnten, auf ihr diagnostisches Potenzial.
Methoden
Studiendesign
Für diese prospektive Beobachtungsstudie wurden Patienten an den Bundeswehrkrankenhäusern Berlin, Hamburg und Westerstede sowie dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz rekrutiert. Sie hatte zum Ziel, prädiktive Faktoren für einen schweren Krankheitsverlauf frühzeitig im Blut von hospitalisierten COVID-19-Patienten zu entdecken. Die Studie wurde im Einklang mit den Prinzipien der Deklaration von Helsinki durchgeführt [27] und von der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin genehmigt (Aktenzeichen Eth-10/20). Alle Patienten gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Studienteilnahme.
Das Studienprotokoll wurde vor Einschluss des ersten Patienten im Deutschen Register Klinischer Studien veröffentlicht (DRKS-ID: DRKS00021591). Eingeschlossen wurden erwachsene, immunkompetente Patienten mit klinischem Verdacht auf eine COVID-19-Pneumonie und der Indikation zur stationären Aufnahme. Aufgrund des klinischen Einschlusskriteriums konnten Patienten gemäß dem Protokoll nachträglich ausgeschlossen werden, falls sie im stationären Verlauf mittels PCR zweimal negativ auf SARS-CoV-2 getestet wurden und zusätzlich fehlende Zeichen für COVID-19 in einer Computertomographie des Thorax hatten.
Den Patienten wurde an folgenden Zeitpunkten Blut abgenommen: innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme sowie 7, 10, 14 und 21 Tage gerechnet ab Beginn der Symptome. Das Blut wurde nur während des stationären Aufenthalts abgenommen, d. h. falls ein Patient erst nach einem der genannten Zeitpunkte ab Symptombeginn aufgenommen wurde bzw. vor einem dieser Zeitpunkte entlassen wurde, fehlen diese Daten. Das Blut wurde zentrifugiert, das Serum abpipettiert und für die spätere Analyse bei -20 °C aufbewahrt (Details zu den analysierten Parametern finden Sie in der Originalpublikation). Ebenfalls wurden zu den o.g. Zeitpunkten die Vitalparameter mittels standardisierter Studienbögen protokolliert, und es wurden folgende Parameter des lokalen Krankenhauslabors dokumentiert: Hämoglobin, Thrombozyten, Leukozyten, maschinelle Eosinophilen- und Lymphozytenzahlen, PCT, CRP, Ferritin, Kreatinin, Harnstoff, Natrium, Kalium, Alanin-Aminotransferase (ALAT), Aspartat-Aminotransferase (ASAT), Gamma-Glutamyltransferase (Gamma-GT), Alkalische Phosphatase (AP), Bilirubin, Laktatdehydrogenase (LDH), Quick-Wert, partielle Thromboplastinzeit (PTT), D-Dimere, CK, CK-MB, NT-proBNP, Troponin T.
Der primäre Endpunkt war der Eintritt einer nicht-invasiven oder invasiven Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn, was anhand der Krankenakten geprüft wurde. Abweichend vom Studienprotokoll wurde zusätzlich auch der Tod innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn als Erreichen des primären Endpunkts gewertet. Diese konkrete Änderung betraf nur einen Patienten, der zwar die Indikation zur Beatmung hatte, diese jedoch ablehnte und in der Folge ohne vorherige Beatmung an COVID-19 verstarb. Eine High-Flow-Sauerstofftherapie wurde in dieser Studie als nicht invasive Beatmung gewertet. Das Erreichen des primären Endpunkts wird als „schwerer Verlauf“ von COVID-19 gewertet.
Der sekundäre Endpunkt war der Tod jeglicher Ursache innerhalb von 1 Jahr nach Symptombeginn. Hier wurde anhand der im Krankenhausinformationssystem hinterlegten Telefonnummern versucht, die Patienten bzw. ihre Angehörigen zu erreichen.
Statistische Analysen
Aufgrund eines praktischen Ansatzes für die klinische Versorgung wurden allein die gemessenen Parameter in der frühesten Blutentnahme, d. h. innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme, für die Berechnung einer Korrelation mit dem primären Endpunkt benutzt. Die Korrelationen wurden mittels Mann-Whitney-U-Test berechnet. Die p-Werte wurden mittels Benjamini-Hochberg-Prozedur (false discovery rate) für multiples Testen korrigiert [2]. Zweiseitige p-Werte < 0.05 wurden als statistisch signifikant angesehen.
Des Weiteren wurden die Parameter mittels Pearson Produkt-Moment-Korrelation auf Multikollinearität geprüft, wobei Korrelationswerte über 0,8 als Indiz für Multikollinearität angesehen wurden.
Da ein Jahr nach Einschluss des letzten Patienten weniger als die Hälfte der Patienten für ein telefonisches follow-up erreicht werden konnten, wurde der sekundäre Endpunkt nicht ausgewertet.
Die statistischen Analysen wurden nach Beratung durch einen Biostatistiker mit SPSS 28.0.1 (IBM Corp.) und dem Erweiterungspaket STATS PADJUST 1.04 durchgeführt. Grafische Analysen der Daten wurden mit GraphPad Prism 9.3.1 (GraphPad Software, Inc.) erstellt.
Ergebnisse
Studienteilnehmer
Zwischen dem 29. April 2020 und dem 15. Dezember 2020 wurden insgesamt 135 Patienten mit klinischem Verdacht auf COVID-19-Pneumonie und Indikation zur stationären Aufnahme in die Studie eingeschlossen. Davon wurden 23 Patienten nachträglich ausgeschlossen: 14 hatten andere Diagnosen als COVID-19 und wurden gemäß dem vorher festgelegten Studienprotokoll (zweimal negative SARS-CoV-2-PCR und fehlende Zeichen einer viralen Pneumonie in einer Computertomographie des Thorax) ausgeschlossen, 7 Patienten zogen ihre Einwilligung zur Studienteilnahme wieder zurück und 2 Patienten mit dem Ausschlusskriterium „laufende Immunsuppression“ wurden versehentlich eingeschlossen. Somit verblieben 112 Patienten in der Studie, von denen 13 den primären Endpunkt „Tod oder Beatmung innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn“ erreichten (Abbildung 1).
Abb. 1: Flussdiagramm der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer:
a bakterielle Pneumonie (5 Patienten), Asthma bronchiale, Pneumocystis-Pneumonie (je 2 Patienten), Bronchialkarzinom, dekompensierte Herzinsuffizienz, akute Lungenarterienembolie, Strahlenpneumonitis, psychosomatische Beschwerden (je 1 Patient)
b beide Patienten standen unter einer Dauertherapie mit immunsuppressiven Medikamenten, die bei der stationären Aufnahme über die Notaufnahme zunächst nicht bekannt war
Die beiden Gruppen zeigten Unterschiede in ihren demographischen und klinischen Daten bei Einschluss (Tabelle 1). Patienten mit dem Outcome Tod/Beatmung waren älter (72 vs. 59 Jahre), überwiegend männlich (92 % vs. 63 %) und hatten häufiger Vorerkrankungen. Die Therapie der Patienten mit schlechtem Outcome umfasste häufiger Kortikosteroide (77 % vs. 35 %) und Antibiotika (70 % vs. 56 %), ferner war ihre initiale Sauerstoffsättigung geringer (sO2 89 % vs. 95 %). Keine Unterschiede gab es in der Dauer zwischen Symptombeginn und stationärer Aufnahme (beides 7 Tage). Der Body-Mass-Index der Patienten mit schlechtem Outcome war tendenziell geringer (25,22 vs. 29,2). Da zum Zeitpunkt der Studie noch keine SARS-CoV-2-Impfung in Deutschland zugelassen war, waren alle Patienten ungeimpft.
Tab. 1: Klinische Basisdaten
Abkürzungen: IQA = Interquartilsabstand; BMI = Body-Mass-Index.
a BMI und Antibiotika-Therapie gehörten nicht zu den ursprünglich erhobenen Daten und wurden erst im Verlauf der Studie hinzugefügt, daher liegen hier nur für einen Teil der Studienteilnehmer Informationen vor.
Vorhersage des schweren Verlaufs von COVID-19 durch IL-6, PCT und CRP
Die folgenden neun Biomarker wurden in den Seren aller 112 Patienten bei stationärer Aufnahme bestimmt: CTGF, bFGF, IL-12, TIMP-1, CCL-2, CCL-5, IL-10, IL-6 und Neopterin. Zusätzlich wurden 25 Laborparameter der lokalen Krankenhauslabore (siehe oben) ausgewertet. Diese insgesamt 34 Parameter wurden auf ihr Potenzial zur Vorhersage eines schweren COVID-19-Verlaufs geprüft. Insgesamt elf Parameter waren signifikant mit dem Outcome Tod/Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert. Die jeweiligen Mediane für die beiden Gruppen sind mit ihren Signifikanzwerten in Tabelle 2 zusammengefasst.
Eine Erhöhung der 3 Entzündungsparameter IL-6, PCT und CRP war jeweils höchstsignifikant (p < 0.001) mit Tod/Beatmungspflichtigkeit innerhalb von 30 Tagen nach Symptombeginn assoziiert (Abbildung 2). Die diagnostische Genauigkeit war am höchsten bei IL-6 mit einer area under the curve (AUC) von 0,871 bei einem 95 % Konfidenzintervall (KI) von 0,774–0,967, gefolgt von PCT mit 0,842 (95 % KI 0,754–0,931) und CRP mit 0,841 (95 % KI 0,731–0,950). Unter der Voraussetzung einer Sensitivität von mindestens 90 % zeigten alle drei Parameter eine ähnlich hohe Spezifität: IL-6 hatte eine Spezifität von 65 % bei einem cut-off-Wert ≥ 52,8 pg/ml, PCT hatte eine Spezifität von 67 % bei einem cut-off-Wert ≥ 0,11 ng/ml und CRP hatte eine Spezifität von 65 % bei einem cut-off-Wert ≥ 71,1 mg/l.
Abb. 2: IL-6, PCT und CRP bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie:
Konzentrationen und Grenzwertoptimierungskurven für IL-6 (A), PCT (B) und CRP (C) bei stationärer Aufnahme in Abhängigkeit des Outcomes (keine Beatmung vs. Beatmung/Tod) 30 Tage nach Symptombeginn einer SARS-CoV-2-Infektion. Die horizontalen Balken in der oberen Hälfte der Abbildung markieren den Median. Alle drei Parameter zeigen eine ähnlich gute Sensitivität und Spezifität für die Vorhersage eines schweren COVID-19-Verlaufs.
Erniedrigte Lymphozytenzahlen im maschinellen Differenzialblutbild bei Aufnahme waren ebenfalls signifikant mit einem schlechten Outcome von COVID-19 assoziiert, ebenso eine Erhöhung von Kreatinin, Harnstoff, Troponin T, NT-proBNP, LDH, ASAT und Neopterin (Tabelle 2).
Korrelation von Neopterin zur Nierenfunktion
Da die Größe der kleineren Gruppe je nach Parameter nur zwischen 9 und 13 Patienten lag (Tabelle 1), war die Etablierung eines logistischen Regressionsmodells mit mehreren Variablen zur Vorhersage eines schweren Krankheitsverlaufes nicht sinnvoll [23]. Dennoch wurden als Vorarbeit zu einem logistischen Regressionsmodell alle Parameter mittels bivariater Korrelation auf Multikollinearität geprüft.
Es fanden sich 5 Paare mit einem r > 0,8. Die starke Korrelation zwischen Kreatinin und Harnstoff (r = 0,848) war zu erwarten. Die starken Korrelationen zwischen IL-6 und PCT (r = 0,964) sowie AP und gamma-GT (r = 0,850) wurden jeweils nur durch einen einzigen Extremwert verursacht. Nach Elimination dieses Wertes lagen die Korrelationen nur noch bei r = 0,235 für IL-6/PCT und r = 0,358 für AP/gamma-GT. Des Weiteren waren Neopterin und NT-proBNP stark miteinander korreliert (r = 0,833). Da beide Parameter bei Niereninsuffizienz erhöht sind [10][11], wurde die partielle Korrelation mit Kreatinin als Kontrollvariable berechnet, wodurch das r auf 0,590 sank. Schlussendlich fand sich auch eine starke Korrelation (r = 0,836) zwischen Neopterin und Kreatinin (Abbildung 3).
Abb. 3: Korrelation von Kreatinin und Neopterin bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie: Das Streudiagramm mit linearer Regressionsgrade und 95 % Konfidenzintervall zeigt eine starke Korrelation (r = 0,836) der Serumkonzentrationen von Kreatinin und Neopterin bei stationärer Aufnahme von Patienten mit COVID-19-Pneumonie.
Nach Ausschluss aller Patienten mit einem Kreatinin-Wert > 1,5 mg/dl konnte für die Neopterin-Konzentration im Serum bei stationärer Aufnahme keine signifikante Assoziation zu einem schweren Verlauf von COVID-19 mehr nachgewiesen werden (p = 0.403).
Diskussion
Vorhersage eines schweren Verlaufs von COVID-19 bei hospitalisierten Patienten durch IL-6, PCT und CRP
Ziel dieser Studie war es, Laborparameter zu identifizieren, die es möglichst frühzeitig erlauben, einen schweren Verlauf von COVID-19 (definiert als Beatmungspflichtigkeit oder Tod) bei Patienten mit stationärer Aufnahmeindikation vorherzusagen. Nach statistischer Korrelation der getesteten Routineparameter und experimentellen Marker stellten sich drei Laborparameter als etwa gleichwertig heraus: IL-6, PCT und CRP.
Eine Serum-Konzentration von IL-6 ≥ 52,8 pg/ml, PCT ≥ 0,11 ng/ml oder CRP ≥ 71,1 mg/l innerhalb von 24 h nach stationärer Aufnahme konnte mit einer Sensitivität von 92 % und einer Spezifität von 65–67 % einen schweren Verlauf einer COVID-19-Pneumonie vorhersagen.
IL-6 wurde schon früh in der Pandemie als prognostischer Marker vorgeschlagen [7]. Eine spätere Metaanalyse bestätigte den Wert von IL-6 für die Vorhersage eines schweren Verlaufs, nicht jedoch für die Mortalität [18]. Auch PCT und CRP waren bereits in einer der ersten COVID-19-Studien signifikant mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert [28]. In späteren Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass beide Marker sowohl die Mortalität als auch einen schweren Verlauf der Erkrankung vorhersagen konnten [5][15]. Die Ergebnisse dieser überwiegend retrospektiven Studien konnten in dieser prospektiven Studie bestätigt werden.
Neopterin ist kein unabhängiger Prädiktor eines schweren COVID-19-Verlaufs
Mehrere Studien haben postuliert, dass eine erhöhte Neopterin-Konzentration im Serum ein unabhängiger Prädiktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist, doch nur eine einzige hat eine Korrektur nach der glomerulären Filtrationsrate der Patienten vorgenommen [1]. Da Neopterin renal ausgeschieden wird [9] und eine schlechte Nierenfunktion ein unabhängiger Prädiktor für einen schweren COVID-19-Verlauf ist [4], ist bei diesem Marker die Berücksichtigung der Nierenfunktion essenziell. Auch in unserer Studie waren erhöhte Werte von Kreatinin oder Harnstoff bei stationärer Aufnahme mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert. Nach Ausschluss aller Patienten mit erhöhten Kreatinin-Werten konnten wir in dieser Studie keinen signifikanten Zusammenhang von erhöhten Neopterin-Konzentrationen im Serum zu Beatmungspflichtigkeit oder Tod mehr nachweisen. Wir sehen daher die Assoziation von Neopterin zu einem schweren COVID-19-Verlauf als Scheinkausalität an.
Fazit und Limitationen der Studie
Wir konnten in dieser prospektiven Beobachtungsstudie zeigen, dass IL-6, PCT und CRP sich gleichermaßen eignen, einen schweren Verlauf von COVID-19 bereits bei stationärer Aufnahme vorherzusagen. Alle experimentellen Parameter mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm eigneten sich in dieser an der klinischen Routineversorgung orientierten Studie nicht für die Vorhersage von Beatmungspflichtigkeit oder Tod. Wir konnten die Erhöhung von Neopterin als Marker einer zellulären Immunantwort bei schweren COVID-19-Verläufen bestätigen, sehen diese jedoch im Gegensatz zu früheren Studien aufgrund der Erhöhung dieses Parameters bei eingeschränkter Nierenfunktion als Scheinkausalität an.
Limitationen liegen in der geringen Anzahl der Patienten, die den primären Endpunkt erreichten. Da die Studie zu Beginn der Pandemie im März 2020 geplant wurde, gingen wir aufgrund der ersten Daten aus China und Italien von einem deutlich höheren Anteil an schweren COVID-19-Verläufen aus. Des Weiteren wurde die erste S2k-Leitlinie mit Empfehlungen zur Therapie aller stationären COVID-Patienten in Deutschland erst im November 2020, gegen Ende der Rekrutierungsphase, publiziert [14]. Vorher gab es naturgemäß Unsicherheiten über die optimale Therapie, sodass starke Divergenzen in den einzelnen Studienzentren möglich sind, die einen unbekannten Störfaktor ausmachen können. Weitere Einschränkungen in der Übertragbarkeit der Ergebnisse ergeben sich aus der Tatsache, dass alle Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ungeimpft waren sowie aus den veränderten SARS-CoV-2-Varianten, die aktuell im Unterschied zum Studienzeitraum April-Dezember 2020 zirkulieren.
Kernaussagen
- IL-6, PCT und CRP eignen sich gleichermaßen, um bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19-Pneumonie einen schweren Verlauf mit Beatmungspflichtigkeit oder Tod vorherzusagen.
- Neopterin ist kein unabhängiger Prädiktor eines schweren COVID-19-Verlaufs.
- Andere Serumparameter mit einer möglichen Rolle im COVID-assoziierten Zytokinsturm waren in der klinischen Routine nicht geeignet, einen schweren COVID-19-Verlauf vorherzusagen.
Danksagung
Unser Dank gilt allen teilnehmenden Bundeswehrkrankenhäusern und der Abteilung E der Sanitätsakademie für die so unkomplizierte, effiziente und freundlich-angenehme Zusammenarbeit. Ganz besonderer Dank gilt allerdings Frau Stabsfeldwebel Virginia Weber (Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung XXI) für ihr Engagement und ihre technische Hilfe im Labor, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre.
Diese Studie wurde gefördert durch die Sanitätsakademie der Bundeswehr (30K4-S-20 2021).
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Zobel CM, Wenzel W, Krüger JP et al.: Interleukin-6, Procalcitonin und C-reaktives Protein im Serum können bei stationärer Aufnahme den schweren Verlauf einer COVID-19 Pneumonie vorhersagen. WMM 2024; 68(1–2): 33-40.
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Christian M. Zobel
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik I – Innere Medizin
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: christianzobel@bundeswehr.org
Als Vortrag mit dem (geteilten) 2. Preis des Heinz-Gerngroß-Förderpreises 2022 ausgezeichnet
Affinitätsaufreinigung von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren aus nativen mikrosomalen Zellmembranfragmenten von Tetronarce californica mittels immobilisiertem α-Bungarotoxin
Affinity Purification of Nicotinic Acetylcholine Receptors from native microsomal cell membrane Fragments of Tetronarce californica Using immobilized α-bungarotoxin
Fabian Springera,b, Antonia Brüsera, Thomas Seegera, Franz Woreka, Lorenz Meinelb, Karin Veronika Niessena
a Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr, München
b Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Zusammenfassung
Trotz ihrer weltweiten Ächtung sind chemische Waffen auch heute noch eine aktuelle Bedrohung. Die direkte Folge einer Nervenkampfstoffintoxikation ist eine cholinerge Krise, die unbehandelt zum Tod führt. Bei der Anwendung der Standardtherapeutika (Obidoxim, Atropin) gibt es immer noch therapeutische Lücken. Eine neue mögliche Therapieoption sind Wirkstoffe, welche direkt am nikotinischen Acetylcholinrezeptor (nAChR) interagieren. Hierdurch kann dessen Dysfunktion beseitigt und die Funktion der Atemmuskulatur wiederhergestellt werden.
Für ein effektives Screening von Wirkstoffkandidaten werden in vitro-Experimente, wie beispielsweise Bilayer-basierte Elektrophysiologie mit hochreinen nAChR in biomimetischen Membranen, benötigt. In diesem Projekt wurde eine Methode entwickelt, hochreine nAChR mittels Affinitätsaufreinigung aus nativen Membranfragmenten zu gewinnen.
Nach einer vorangeschalteten Aufarbeitung des nativen Gewebes wurde für die weitere Anreicherung nAChR-haltiger Membranfragmente eine Affinitätschromatographie entwickelt. Als stationäre Phase diente der nAChR-Antagonist α-Bungarotoxin (α-Bgtx), der auf SilicaBond® Carboxylic Acid-Beads immobilisiert wurde. Die Charakterisierung der aufgereinigten, nAChR-haltigen Membranfragmente erfolgte mittels Gelelektrophorese (SDS-Page).
Es konnte gezeigt werden, dass die Solubilisierung der Membranproteine der entscheidende Schritt zur Aufreinigung des Rezeptors ist. Die Methodik ermöglicht die Gewinnung von nAChR für Einzelkanalmessungen, die besonders reines Material erfordern. Diese können parallel zu den bisher etablierten Affinitäts- und Funktionalitätsassays eingesetzt werden. Somit kann das Screening hinsichtlich der nAChR-Aktivität weiter ausgebaut werden und entscheidend zur Suche neuartiger Wirkstoffe für die Behandlung von Nervenkampfstoffen beitragen.
Schlüsselwörter: Rezeptor, Affinitätschromatografie, Solubilisierung, Detergenz, in vitro
Summary
Despite their worldwide ban, chemical warfare agents still pose a threat today. The direct consequence of nerve agent intoxication is a cholinergic crisis, leading to death if left untreated. There are still therapeutic gaps with the standard therapeutic regime (obidoxime, atropine). A possible therapeutic option are agents which directly interact with the nicotinic acetylcholine receptor (nAChR). This could eliminate its dysfunction and restore the activity of the respiratory muscles. Effective screening of drug candidates requires in vitroexperiments, such as bilayer-based electrophysiology with highly purified nAChR in biomimetic membranes. In this project, a method was developed to obtain high purity nAChR from native membrane fragments by affinity purification.
After upstream processing of the native tissue, affinity chromatography was developed to enrich nAChR-containing membrane fragments further. The nAChR antagonist α-bungarotoxin (α-Bgtx) immobilized on SilicaBond® Carboxylic Acid beads served as the stationary phase. Characterization of purified nAChR-containing membrane fragments was performed by gel electrophoresis (SDS-Page).
Solubilization of the membrane proteins is the crucial step for purifying the receptor. The methodology allows the recovery of nAChR for previously inaccessible single-channel measurements. These can be used in parallel with various affinity and functionality assays. Thus, screening for nAChR activity can be further extended and contribute crucially to the search for drugs to treat nerve agent poisoning.
Keywords: receptor; affinity chromatography; solubilization; detergent; in vitro
Einleitung
Am 29. April 1997 trat das „Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (CWÜ)“ in Kraft [2]. In der Folge wurden ca. 99 % der globalen Bestände an chemischen Waffen vernichtet [3]. Dennoch konnte deren Einsatz im Rahmen von Anschlägen, beispielsweise bei Sergei W. und Julia Skripal im März 2018 oder Aleksej Nawalny im August 2020, nachgewiesen werden [12][13]. Zahlreiche phosphororganische Verbindungen, wie etwa die hierbei eingesetzten Nervenkampfstoffe aus der Novichok-Gruppe, werden den chemischen Waffen zugeordnet. Nervenkampfstoffe hemmen die Acetylcholinesterase (AChE) im synaptischen Spalt [20]. Die Akkumulation des endogenen Agonisten Acetylcholin im synaptischen Spalt führt zur Desensitisierung und damit zur Dysfunktion von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChR). Die durch Nervenkampfstoffe vermittelte cholinerge Krise kann unbehandelt zum Tod durch Atemversagen führen (Abbildung 1) [9][20].
Abb. 1: Konformation des nAChR in Abhängigkeit von Acetylcholin:
Die Bindung von zwei Einheiten Acetylcholin an den orthosterischen Bindungsstellen katalysiert die Öffnung des nAChR. Die Desensitisierung kann nach einem Übergangszustand (schnell reaktivierbar) in einen nicht reaktivierbaren Zustand überführt werden. (Eigene Darstellung, abgeleitet aus [1])
Die etablierte Antidottherapie (z. B. Obidoxim, Pralidoxim) soll die Reaktivierung der AChE bewirken. Limitierend sind jedoch postinhibitorische Veränderungen am AChE-Nervenkampfstoff-Komplex, sodass die Wirkung der Oxime beeinträchtigt wird. Zudem sind einige Enzym-Kampfstoff-Komplexe einer Reaktivierung durch Oxime aufgrund chemischer Gegebenheiten nicht zugänglich [19]. Aufgrund dieser Limitierung der etablierten Therapeutika, insbesondere bei Vergiftungen mit Soman, Tabun oder auch Novichok-Derivaten, bedarf es neuer Ansatzpunkte [10][20]. Eine hochinteressante Therapieoption sind pharmakologisch aktive Substanzen, die direkt am nAChR interagieren und dessen Dysfunktion beseitigen [10].
Nikotinische Acetylcholinrezeptoren sind ligandengesteuerte, hochkomplexe Ionenkanäle aus fünf Untereinheiten (UE). Die UE werden mit den griechischen Buchstaben α, β, γ, δ und ε benannt (Abbildung 2) [10]. Beruhend auf dem Expressionsort erfolgt die Einteilung in den Muskel- bzw. den Neuronalen-Subtyp [5]. Mangels Verfügbarkeit des humanen nAChR-Subtyps (2α1β1δε) wurde für die vorliegende Arbeit der nAChR-Muskelsubtyp 2αβδγ aus dem elektrischen Organ (Elektroplax) des kalifornischen Zitterrochens (Tetronarce californica) gewonnen. Dieser ist aufgrund genetisch hochkonservierter Areale dem humanen Rezeptor sehr ähnlich.
Abb. 2: Struktur des Muskeltyp-nAChR in Tetronarce californica, Seitansicht und Draufsicht auf die 3D-Struktur des pentameren nAChR (Auflösung 2,7 Å):
Die extrazellulare (ED) und die intrazellulare Domäne (ID) wurden in der Seitansicht hervorgehoben. Die Transmembrandomäne (TD) vermittelt über hydrophobe Wechselwirkungen die Bindung in der Zellmembran. (Eigene Darstellung, abgeleitet aus RCSB PDB ID: 7SMR, 102210/pdb7smr/pdb [14]).
Neben der Affinität potenziell pharmakologisch aktiver Substanzen ist auch deren Funktion an der Zielstruktur von entscheidender Bedeutung. Zum Screening dieser potenziellen Wirkstoffkandidaten werden elektrophysiologischeVersuchemit hochreinen nAChR in künstlich erzeugten Lipidmembranen dringend benötigt. Vorversuche haben gezeigt, dass sich zu wenig aufgereinigte Membranpräparationen nur unzureichend in biomimetischen Membranen stabilisieren lassen. Hieraus leitet sich die Notwendigkeit der Gewinnung von hochreinen nAChR ab. In dem vorliegenden Projekt wurde eine Methode zur Aufreinigung von nAChR aus mikrosomalen Membranfragmenten mittels Affinitätsaufreinigung an immobilisiertem α-Bungarotoxin erarbeitet. Als Grundlage wurde hierbei die Methode von Gotti et al. verwendet [4].
Methode
Gewinnung und Anreicherung von Zellmembranfragmenten
Mikrosomale Zellmembranfragmente, welche reich an nativem nAChR-Muskelsubtyp 2α1β1δγ sind, werden gemäß Springer et al. hergestellt [18]. Der Proteingehalt der Suspension wird mit dem Bicinchoninsäure (BCA)-Assay bestimmt [17]. Zunächst werden die Zellmembranfragmente mittels Sucrose-Dichtegradientenzentrifugation weiter angereichert. Hierzu werden 2 ml homogenisierte Plasmamembransuspension zu einer 70 %-igen (w/w) Saccharoselösung (70 % Saccharose in 10mM Phosphatgepufferter Salzlösung (PBS = 10 mM NaH2PO4/Na2HPO4, 120 mM NaCl, 5 mM KCl, pH 7,4)) hinzugefügt. Die endgültige Saccharosekonzentration beträgt 51 % (w/w). Diese 51 %-ige Phase wird unter einen diskontinuierlichen Saccharosegradienten (7,0 ml 45 % (w/w), 7,0 ml 9 % (w/w)) in einem 39,4 ml-Polycarbonatröhrchen geschichtet. Die Zentrifugation erfolgt mit einem Beckman SE 41 Ti-Ausschwingrotor (3 h, 100 000 g, 4 °C). Vorversuche hatten gezeigt, dass eine optimale Belegung des Dichtegradienten mit 2 ml der Proteinsuspension erreicht wird. Die entsprechenden Fraktionen werden gesammelt, resuspendiert und zentrifugiert (30 min, 100 000 g, 4 °C). Der Überstand wird verworfen und das Pellet in einem Verhältnis von 1:2 Volumenteilen in 10 mM PBS resuspendiert. Mittels BCA-Assay wird der Proteingehalt der angereicherten Suspension erneut bestimmt.
Solubilisierung
Unter Solubilisierung wird die Erhöhung der Löslichkeit eines Stoffes in der umgebenden Phase durch einen Lösungsvermittler beschrieben. In diesem Fall wird Natriumcholat, ein anionisches Detergenz, zum Herauslösen der in der Biomembran verankerten Transmembranproteine, z. B. nAChR, genutzt. Hierzu werden 1,5 ml resuspendiertes Membranpellet in 18,5 ml Solubilisierungspuffer (2 % Natriumcholat, 5 mg/ml L-α-Phosphatidylcholin (L-α-PC), 10 mM PBS, pH 7,4) aufgenommen. Das Röhrchen wird zum Schutz vor Oxidation des nativen Lipidgemisches mit Stickstoff begast und am Thermoschüttler (Eppendorf, Hamburg) inkubiert (30 min, 300 U/min, 4 °C). Das solubilisierte Material wird zur Abtrennung von unlöslichen Bestandteilen erneut zentrifugiert (30 min, 100 000 g, 4 °C). Der Überstand wird abgenommen und bis zur Auftragung auf die Affinitätschromatografiesäule bei 4 °C gelagert.
Affinitätsaufreinigung
Als stationäre Phase werden 2 mg des nAChR-Antagonisten α-Bungarotoxin (α-Bgtx, KD ~ 10–9 - 10–11 M [11]) mittels N-Hydroxysuccinimid-Esterkopplung auf 4,00 g SilicaBond® Carboxylic Acid-Beads immobilisiert. Nach der Kopplung werden die Beads mit dem Überstand aus der Solubilisierung inkubiert (1 h, 300 U/min, 20 °C). Die vorinkubierte stationäre Phase wird mit 10 mM PBS in die Säule (HiScaleTM 16/20, Cytiva, Freiburg) eingeschlämmt. Zelluläre Verunreinigungen und weitere solubilisierte Transmembranproteine werden mittels Solubilisierungspuffer über 260 min unter sukzessiver Steigerung der Flussrate (0,1 – 2,5 ml/min) von der Säule gespült. Zur Detektion proteinhaltiger Banden wird die Absorption kontinuierlich bei 280 nm gemessen. Nach Absenkung des Hintergrundrauschens auf Ausgangsniveau erfolgt die Eluation. Diese erfolgt mittels Eluationspuffer (100 mM Carbamoylcholinchlorid, 10 mM PBS,pH 7,4) und Inkubation auf der Säule (30 min). Der Agonist Carbamoylcholinchlorid wird aufgrund der vergleichsweisen niedrigeren Affinität in hoher Konzentration zugesetzt, um eine ausreichende Dissoziation des nAChR vom α-Bgtx zu ermöglichen. Das Eluat wird in einen Spectra-Por® Float-A-Lyzer® G2 MWCO 20 kDa (Merck, Darmstadt) weiter verarbeitet. Das Carbamoylcholinchlorid wird durch anschließende Übernacht-Dialyse bei 4 °C gegen 10 mM PBS entfernt.
Charakterisierung
Die Charakterisierung der gewonnenen Proteinsuspension erfolgt mittels Gelelektrophorese (SDS-Page). Die nach der Dialyse gewonnene Suspension wird über eine Säulenzentrifugation angereichert. Hierzu werden sukzessive 2,0 ml in einen mit 10 mM PBS vorgewaschenen Amicon® Ultra Zentrifugeneinsatzfilter 0,5 ml/MWCO 10 kDa (Merck, Darmstadt) überführt und zentrifugiert (5 min, 10 000 g, 20 °C). Der Überstand wird abgenommen und nach Inkubation (5 min, 95 °C) mit 1 M Dithiothreitol zur Trennung der Disulfidbrücken auf ein Bis-Tris 4–12 % Gel aufgetragen (50 min, 200 V). Dieses wird mit Coomassie-Farbstoff (0,1 %) gefärbt. Ein weiteres Gel mit Eluat wird auf eine Polyvinylidenfluorid (PVDF)-Membran geblottet. Die Membran wird anschließend mit einem gegen die δ-UE gerichteten Antikörper (AK) (mMouse ab233758, Abcam, Cambridge, United Kingdom) inkubiert (1 h, 20 °C). Als Sekundär-AK wird ein AntiMouse Goat AK mit rotem Fluorophor über Nacht inkubiert. Die Messung erfolgt in beiden Fällen am Auswertesystem Odyssey® DLx (Licor, Lincoln, USA) bei 700 und 800 nm.
Ergebnisse und Diskussion
Ausgehend von den in Abbildung 3 ermittelten theoretischen physikochemischen Parametern konnte gezeigt werden, dass nur durch Einsatz entsprechender Detergenzien (hier: Natriumcholat) eine Aufreinigung des Rezeptors möglich war [16]. Die Stärke der hydrophoben Wechselwirkungen zwischen den Seitenketten der Aminosäuren in den 4 Domänen der Transmembrandomäne muss mittels Detergenz überwunden werden. Zusätzlich wurde mittels L-α-PC in der Solubilisierungslösung eine stabilisierende Lipidumgebung für die extrahierten Proteine geschaffen. Die Solubilisierung und weitgehende Abtrennung der Lipidumgebung, in welcher weitere Transmembranproteine verankert sind, ist ein essenzieller Schritt [7][16].
Abb. 3: Kyte-Doolittle-Hydrophobizitätsplot der α-UE (T. californica):
Die Transmembrandomäne besteht aus 4 Domänen (M1–4). Der Hydrophobizitäts-Plot erlaubt die Vorhersage und grafische Darstellung von lipophilen Wechselwirkungen (z. B. M1 Position 242–264). Diese resultieren aus den hohen Anteilen lipophiler Aminosäurereste. Je größer der Wert auf der y-Achse desto größer die Hydropathie im Bereich um die Aminosäureposition. Die Sekundärstruktur entspricht dabei immer einer α-Helix. Hierzu werden den 20 proteinogenen Aminosäuren anhand von experimentellen Daten Werte zugeordnet [6]. (Eigene Darstellung, UniProt Acession ID P02711, geplottet mit Expasy, ProtScale)
Die Eluation folgt der Beschreibung in der Literatur [8][15]. Zunächst werden proteinogene Verunreinigungen ausgespült. Der erneute Anstieg der UV-Absorption nach etwa 30 min deutet auf das spätere Auftreten einer im Absorptionsbereich von 280 nm detektierbaren Substanz hin, was auf die verwendeten Siliciumoxid-Beads zurückgeführt werden könnte. Diese besitzen im Gegensatz zu den normalerweise verwendeten quervernetzen Agarose- bzw. Sepharose-Beads einen niedrigen Kompressibilitätsfaktor. Durch die hohe Bettdichte könnte es zu einem der Größenausschlusschromatografie vergleichbaren Effekt gekommen sein. Hierdurch könnten kleinere solubilisierte Proteine später als solche mit hohen kDa-Größen eluiert werden, da sich deren Wegstrecke verlängert. Eine alternative Erklärung könnten ionische Wechselwirkungen zwischen den Kopfgruppen der verwendeten Lipide und der stationären Phase sein. Vergleichbare Wechselwirkungen können ebenfalls mit den gelösten Proteinbestandteilen auftreten. Es ist zu vermuten, dass beide Effekte additiv sind.
Die Abbildung 4 belegt die Anreicherung der AChR-reichen Membranfragmente durch die Sucrose-Dichtegradientenzentrifugation (Suc_1). Neben dem Targetprotein nAChR werden allerdings auch weitere Membran- und Transmembranproteine angereichert. Der Versuch einer Affinitätsaufreinigung ohne Solubilisierung (Aff_1) hat keinen Erfolg gezeigt. Dies stimmt mit den zuvor aufgezeigten physikochemischen Parametern überein (Abbildung 3). Ohne Detergenz ist der nAChR fest über die hydrophoben Wechselwirkungen der Aminosäuren der Transmembrandomäne in den kruden Zellmembranfragmenten verankert. Durch die Bindung des nAChR-Antagonisten α-Bgtx an die α-UE wird beim Waschen auch die gesamte Umgebung des Rezeptors auf der Säule zurückgehalten [7][16]. Es zeigt sich eine Reduzierung der Banden > 100 kDa, allerdings keine Verstärkung der dem Rezeptor zugeordneten Banden. Erst mittels Zugabe von Detergenz kann der nAChR aus der nativen Lipidumgebung herausgelöst werden (Aff_2). Die α-UE (52,7 kDa), β-UE (56,1 kDa), γ-UE (58,1 kDa) und δ-UE (60 kDa) können anhand ihrer Molekularmassen und des externen Referenzmaterials als Positivkontrolle identifiziert werden. Aufgrund des zweifachen Vorkommens der α-UE in einem Rezeptor zeigt die zugehörige Bande ein sehr deutliches Profil [5]. Trotz geringerem Proteineinsatz (1 µg) sind die Banden der PK deutlicher zu erkennen als die des aufgereinigten Materials (Aff_2). Dies deutet auf eine deutlich höhere Verdünnung stärkeren Unreinheiten im eigenen Material hin. Laut Hersteller wurde das Referenzmaterial über eine Entsalzungssäule dialysiert, wobei es zu einer Anreicherung der Proteinkonzentration kommt.
Abb. 4: Verlaufsdiagramm Affinitätsaufreinigung nAChR:
Die solubilisierten Membranfragmente wurden nach Inkubation auf der stationären Phase für 260 min mit sukzessiver Steigerung der Flussrate (0,1–2,5 ml/min) gespült. Der Proteinpeak bei 290 min bildet die Eluation des an die stationäre Phase gebundenen nAChR nach 30 min Inkubation mit 100 mM Carbamoylcholin ab. Der kleinere Peak davor wurde als Zeichen der erfolgreichen Umpufferung des Säulenvolumens gewertet.
Als zusätzlicher Nachweis wurde ein immunhistochemischer Nachweis (Western Blot) der δ-UE in den eigenen Membranfraktionen sowie im Referenzmaterial durchgeführt. Vorversuche hatten gezeigt, dass die Affinität des gegen die δ-UE gerichteten Antikörpers die höchste und spezifischste aller zu diesem Zeitpunkt verfügbaren AK ist. Die δ-UE konnte in beiden Materialien bei gleicher Bandenhöhe vergleichend und in Übereinstimmung mit dem Molekulargewicht des Markers nachgewiesen werden. Der immunhistochemische Nachweis wurde ebenfalls mit dem Ausgangsmaterial, nämlich dem mikrosomalen Zellfragmenten durchgeführt (nicht gezeigt). Auch in diesem Material ist die UE des Rezeptors bereits gut zu identifizieren.
Die affinitätsaufgereinigte Probe wurde gegen eine Positivkontrolle (PK) charakterisiert. Das rote Signal liegt auf der zu erwartenden Höhe der δ-UE. Es wurden 5 µg Protein aus der Affinitätschromatografie bzw. 1 µg Protein Referenzmaterial eingesetzt.
Abb. 5: Gelelektrophorese der nAChR-Fraktionen:
Das aus T. californica gewonnene mikrosomale Ausgangsmaterial (TOR) wurden vor und nach Aufreinigung mit Dichtegradientenzentrifugation (Suc_1) mittels SDS-Page aufgetrennt. Die aus der Affinitätschromatografie gewonnenen Proben (Aff_1 ohne Solubilisierung, Aff_2 mit Solubilisierung) wurden gegen Positivkontrolle (PK) (1 µg, Acetylcholin receptor protein, Artikelnummer: 28601, Cube Biotech GmbH) charakterisiert. Es wurden jeweils 5 µg Protein eingesetzt. Als Proteingrößenmarker wurde Chameleon® Duo Pre-stained 260–268 kDa verwendet.
Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass die hier entwickelte, speziell für die Anreicherung nAChR-haltiger Membranfragmente konzipierte Affinitätschromatografie reproduzierbar ist. Fehlerquellen wie etwa abweichende Solubilisierungsbedingungen konnten durch Vorversuche minimiert werden. Weitere Optimierungen könnten darin bestehen, dass quervernetze Agarose als stationäre Phase eingesetzt wird. Zusätzlich kann das Carbamoylcholinchlorid anstatt der Dialyse mittels Entsalzungssäule aus dem Eluat entfernt werden. Dennoch ermöglicht die dargestellte Methodik bereits die Gewinnung von ausreichend reinen nAChR-haltigen Membranen, die für elektrophysiologische Screening-Methoden in biomimetischen Membranen oder Vesikeln geeignet sind. Bisher unzugängliche Einzelkanalmessungen wären damit durchführbar, die parallel zu verschiedenen Affinitäts- und Funktionalitätsassays eingesetzt werden können. In der Folge kann das Screening hinsichtlich von nAChR-aktiven Substanzen ausgeweitet werden.
Die hier entwickelte Aufreinigungsmethode ist ein wichtiger Schritt, hochreines Material für sehr empfindliche elektrophysiologische Methoden zu generieren, die entscheidend zur Suche von Wirkstoffen für die Behandlung von Nervenkampfstoffen beitragen können.
Kernaussagen
- nAChR sind ligandengesteuerte, hochkomplexe Ionenkanäle aus fünf Untereinheiten.
- Die Akkumulation von Acetylcholin im synaptischen Spalt führt zur Desensitisierung und damit zur Dysfunktion von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChR).
- Der Kyte-Doolittle-Hydrophobizitätsplot erlaubt die Bewertung der möglichen Interaktionen von Proteinen mit ihrer Umgebung.
- Der Einsatz geeigneter Detergenzien ist zwingend notwendig für eine erfolgreiche Affinitätsaufreinigung von Transmembranproteinen.
- Mittels Insertion in biomimetische Membranen und geeigneter Aktivierung kann die Funktionalität von Rezeptoren bewertet werden.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Springer F, Brüser A, Seeger T, Worek F, Meinel L, Niessen KV: Affinitätsaufreinigung von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren aus nativen mikrosomalen Zellmembranfragmenten von Tetronarce californica mittels immobilisiertem α-Bungarotoxin. WMM 2024; 68(1-2): 41-46.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-238
Für die Verfasser
Leutnant (SanOA) Dipl.-Pharm. Fabian Springer
Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr
Neuherbergstraße 11, 80937 München
E-Mail: fabian1springer@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Springer F, Brüser A, Seeger T, Worek F, Meinel L, Niessen KV: [Affinity purification of nicotinic Acetylcholine receptors from native microsomal cell membrane fragments of Tetronarce californica using immobilized α-bungarotoxin]. WMM 2024; 68(1-2): 41-46.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-238
For the Authors
Lieutenant (MC) Dipl.-Pharm. Fabian Springer
Bundeswehr Institute for Pharmacology and Toxicology
Neuherbergstraße 11, D-80937 München
E-Mail: fabian1springer@bundeswehr.org