Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr:
Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz
The Post-COVID Syndrome in the Bundeswehr: One Year of Post-COVID Study at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz – an Interim Analysis and Assessment of its Relevance from a Military Medicine Perspective.
Leonard Stratmanna, Frank Müllerb, Manuela Andrea Hoffmanna
a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik IA – Innere Medizin
Zusammenfassung
Das „Post-COVID-Syndrom“, bei dem Betroffene auch Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch anhaltende Beschwerden zeigen, war im Jahr 2020 zunächst eine mediale Erscheinung, bis sich mit steigender Fallzahl Definition und Abgrenzung von Long- und Post-COVID nach den NICE-Richtlinien etabliert hatten. Die genaue Pathophysiologie ist weiterhin unklar, weshalb auch keine spezifische Diagnostik und Behandlungsoptionen vorhanden sind. Das Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz bot, wie auch andere Bundeswehrkrankenhäuser, seit dem Frühjahr 2021 eine Spezialsprechstunde Long-/Post-COVID an. Begleitend wurde seit September 2022 eine prospektive Datenerhebung durchgeführt, woraus eine Teilauswertung mit n = 50 hier vorgestellt wird.
Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Patientinnen und Patienten in der Post-COVID-Sprechstunde vor allem mit Fatigue, Leistungsminderung, Dyspnoe, Konzentrationsstörungen und Schlafproblemen vorstellig werden. Psychische Begleitsymptome sind häufig, besonders finden sich Hinweise auf Depression, Somatisierungs- und Angststörungen. Die apparative Diagnostik zeigt in den meisten Fällen unauffällige Befunde. Dies unterstreicht die bekannten Schwierigkeiten in der Diagnostik. Zur Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz erfolgte außerdem eine Datenbankabfrage von Eintragungen der Krankenkarten im Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr für die Jahre 2017–2022. Hier zeigt sich ein Aufstieg der ICD U 09.9! (Post-COVID-19-Zustand) auf Platz 3 der Erkrankungen mit langer Krankschreibungsdauer von > 28 Tagen im Jahr 2022.
Unsere Studie weist erneut auf die Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung des Post-COVID-Syndrom hin, betont die Notwendigkeit einer interdisziplinären Herangehensweise und hebt die psychosozialen Aspekte der Erkrankung hervor. Die wehrmedizinische Relevanz wird durch die steigende Prävalenz unterstrichen.
Schlüsselwörter: Post-COVID, Long-COVID, Diagnostik, Biopsychosoziale Medizin, Gesundheitsversorgung
Summary
The „Post-COVID Syndrome,” where individuals continue to experience symptoms months after a SARS-CoV-2 infection, initially gained media attention in 2020. With increasing cases, the definition and differentiation of Long- and Post-COVID according to NICE guidelines was established. The exact pathophysiology remains unclear, leading to a lack of specific diagnostics and treatment options. Like other Bundeswehr hospitals, the Bundeswehr Central Hospital in Koblenz has offered a specialized consultation for Long-/Post-COVID since spring 2021. Prospective data collection has been ongoing since September 2022, and a partial analysis with n=50 is presented now.
Preliminary results indicate that patients in the post-COVID clinic primarily present with symptoms such as fatigue, reduced physical or cognitive performance, dyspnea, concentration disturbances, and sleep disorders. Indications of psychiatric comorbidities are common, particularly for depression, somatic symptom disorder, and anxiety disorders. Apparated diagnostics mostly show normal findings, emphasizing the known difficulties in diagnosis. To assess its relevance for the Bundeswehr, a database query of entries in the medical records at the Bundeswehr Institute of Preventive Medicine for the years 2017–2022 was conducted. The results show a rise in ICD U 09.9! (Post-COVID-19 condition). It is in third place among diseases with a long sick leave duration (> 28 days) in 2022.
Our study once again highlights the challenges in diagnosing and treating the post-COVID syndrome, underscores the need for an interdisciplinary approach, and emphasizes the psychosocial aspects of the condition. The increasing prevalence underscores the relevance for the Bundeswehr.
Keywords: post-COVID; long-COVID; diagnostics; biopsychosocial medicine; health care
Einleitung und Hintergrund
Bereits im Sommer 2020 gab es mediale Berichte im deutschsprachigen Raum über ein „Post-COVID-Syndrom“, bei dem Betroffene zum Teil noch Monate nach einer SARS-CoV-2 Infektion über anhaltende Symptome berichteten. Zur Vereinheitlichung im klinischen wie auch wissenschaftlichen Sprachgebrauch setzte sich die Definition und Abgrenzung von Long- und Post-COVID nach den Richtlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) durch [15]. Diese definiert „Long COVID“ als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von 4 Wochen fortbestehen oder neu auftreten. Als Post-COVID-Syndrom werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als 12 Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können.
Ausgehend von der Präsentation sehr heterogener Symptome und der unklaren Ätiologie des Post-COVID-19 Syndroms entwickelte sich ein vitales Forschungsfeld, was sich in der nach wie vor steigenden Anzahl an Publikationen zeigt. Auch im Jahr 2023 ist die Pathophysiologie weiter unklar. Diskutiert werden unter anderem Autoimmunphänomene, endotheliale Dysfunktion, latente Viruspersistenz und Veränderungen des Mikrobioms [3]. Neben der Suche nach biologischen Veränderungen gibt es Hinweise, dass gerade anhaltende kognitive Einschränkungen und Fatigue nach einer SARS-CoV-2-Infektion mit einer hohen psychosozialen Vulnerabilität und psychiatrischen Begleiterkrankungen zusammenhängen könnten [2][7][12]. Eine Abgrenzung zum chronischen Fatigue-Syndrom fällt in vielen Fällen schwer [13].
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat die Federführung zur Ausarbeitung einer fachübergreifenden S1-Leitlinie „Post-/Long-COVID“ mit zahlreichen weiteren Fachgesellschaften übernommen. Demnach bleibt das Post-COVID-Syndrom eine Ausschlussdiagnose. Für die Behandlung von Post-/Long-COVID wird hier eine generalistisch-interdisziplinäre Herangehensweise mit Blick auf den ganzen Menschen, sowie eine Kontinuität der Versorgung gefordert [1].
Die Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) mit ihren verschiedenen Fachabteilungen reagierten auf den steigenden Bedarf und boten seit Beginn des Jahres 2021 spezielle Sprechstunden mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Die ambulante Gesundheitsversorgung der Bundeswehr sollte so zum einen entlastet werden und zum anderen sollten die diagnostischen Möglichkeiten der Krankenhäuser gezielt eingesetzt werden. Den Truppenärztinnen und -ärzten kommt hierbei eine wichtige Steuerungsfunktion zu. Diese sind erste Anlaufstelle für erkrankte Soldatinnen und Soldaten und überweisen bei gegebener Indikation in die Spezialsprechstunden. Nach umfangreicher Anamnese und internistischer Differenzialdiagnostik werden hier konsiliarisch weitere Fachabteilungen zu Rate gezogen, um gegenüber dem Truppenarzt/der Truppenärztin eine fundierte Behandlungsempfehlung abgeben zu können.
Da wie beschrieben – nach den Maßstäben einer evidenzbasierten Medizin – wenig gesicherte Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapie des Ende 2020 durch die Weltgesundheitsorganisation eingeführten „Post-COVID-19-Zustand“ (ICD U09.9!) bekannt war, wurde im Rahmen der Sprechstunde eine Ausschlussdiagnostik durchgeführt, die sich auf Anamnese, körperliche Untersuchung sowie apparative- und laborchemische Diagnostik stützte. Das Basis-Untersuchungsprogramm ist Tabelle 1 zu entnehmen.
Tab. 1: Relevante Studienparameter des Basis-Untersuchungsprogrammes der Post-COVID-Sprechstunde.
Genutzte Abkürzungen: LDH = Laktatdehydrogenase, CK = Creatinkinase, hscTnT = high sensitive cardial Troponin T, NTproBNP = N terminales pro brain natriuretic peptide, CRP = C-reaktives Protein, PCT = Procalcitonin, IL-6 = Interleukin 6
1 Sofern nicht eine aktuelle (<6 Monate) gleichwertige Untersuchung ohne Anzeichen für einen zwischenzeitlichen Befundwandel vorlag
² Aufgrund von Lieferengpässen von Ersatzteilen konnte diese Untersuchung teilweise nicht am Vorstellungstag durchgeführt werden
Zur Evaluation dieser Maßnahmen und zum allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn wurde eine prospektive Datenerhebung mittels mehrfacher Onlinebefragung (Online Erstbefragung und bis zu 3 Follow-Up Befragungen, Projekt 1) und anthropometrischen, sowie medizinischen Messwerten aus der Sprechstunde (Projekt 2) geplant und durchgeführt. Hier möchten wir Daten aus dem Projekt 2 vorstellen. Die wehrmedizinische Relevanz wird darüber hinaus mit einer Analyse der häufigsten ICD-10-Diagnosen lang andauernder Erkrankungen von Soldatinnen und Soldaten für die Jahre 2017–2022 ergänzt.
Daten und Methoden
Die Patientinnen und Patienten wurden im Rahmen des ärztlichen Erstkontaktes aufgeklärt und erteilten schriftlich ihre Einwilligung zur freiwilligen Studienteilnahme. Bei Nicht-Teilnahme entstand ihnen im Rahmen der Sprechstunde kein Nachteil in der weiteren Behandlung. Es folgte ein ausführliches Anamnesegespräch und eine Durchführung des in Tabelle 1 dargestellte Basis-Untersuchungsprogramms. Die hiervon für die Studie relevanten Parameter und Untersuchungsergebnisse wurden pseudonymisiert erfasst. Sollten in den beschriebenen Untersuchungen pathologieverdächtige Befunde erhoben worden sein, wurden indikationsabhängig weitere Untersuchungen im Sinne einer Stufendiagnostik durchgeführt.
Weiterhin wurden mittels Patient Reported Outcome Measurements (PROMS) die Fatigue-Assessment-Scale (FAS) [16], der COPD-Assessment-Test (CAT) [8], Modified Medical Research Council (mMRC) Grad [10], sowie ein Screening auf psychische Begleitsymptomatik [1] durchgeführt und die Ergebnisse ebenfalls pseudonymisiert erfasst. Abbildung 1 (Infobox) bietet Erläuterungen zu den genutzten PROMS. Das Vorhaben wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz (Antrag 2021–16244) vorab geprüft und genehmigt.
Abb. 1: Infobox zu den angewendeten PROMS
Der Ergebnisbericht erfolgt hier deskriptiv. Von Angaben aus PROMS wurden die Mittelwerte zwischen Patientengruppen mit bzw. ohne Angabe eines Leitsymptoms mittels t-tests auf signifikante Unterschiede überprüft. Hierzu wurde ein Signifikanzniveau von α = 0.05 zugrunde gelegt.
Für die Analyse der häufigsten Krankschreibungsgründe in der truppenärztlichen Sprechstunde in den Jahren 2017–2022 sowie der gemeldeten Post-COVID-Diagnosen von Soldatinnen und Soldaten wurde eine anonymisierte Datenbankabfrage im InstPrävMedBw durchgeführt, wo Informationen über alle Krankschreibungen1 digitalisiert und für den gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum gespeichert werden. Diese Auswertung wurde von Krankschreibungen aufgrund von akuten Verletzungen des Bewegungsapparates bereinigt, da die Relevanz von Post-COVID im Vergleich zu weiteren Erkrankungen untersucht werden sollte.
1 Wird ein Soldat/eine Soldatin krankgeschrieben (von allen Diensten befreit), so erstellt der zuständige Truppenarzt hierzu eine Meldung (Krankenkarte), die an das InstPrävMedBw übermittelt und dort digitalisiert erfasst wird. Die Krankenkarte enthält den ICD-Schlüssel der zur Krankschreibung führenden Erkrankung(en).
Statistik
Für die 15 häufigsten ICD-Diagnosen der Jahre 2017–2022 wurden deskriptive Statistiken mit Odds sowie Odds-Ratios (OR) erstellt. Hierzu wurde aus den gemeldeten absoluten Zahlen in Verbindung mit der gemeldeten Ist-Stärke (Anzahl der truppenärztlich zu betreuenden Soldaten einer Sanitätseinrichtung) an den Standorten die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die jeweilige Diagnose im Bezugsjahr berechnet. Diese Wahrscheinlichkeit (Odds) wurde für jede der Diagnosen über die Zeiträume 2017–2019, sowie 2020–2022 gemittelt. Aus den Mittelwerten wurde die OR der einzelnen Diagnosen im Vergleichszeitraum errechnet.
Ergebnisse
Teilauswertung Post-COVID-Studie des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz
Betrachtet wird eine Zwischenauswertung von 18 Patientinnen und 32 Patienten (N = 50) im Vorstellungszeitraum 09/2022 bis 05/2023. Die Altersspanne reichte von 19 bis maximal 60 Jahren. Der durchschnittliche BMI lag bei 25,4 (SD 3,4) für Frauen und bei 28,2 (SD 3,9) für Männer (Tabelle 2). Nach BMI-Kriterien galten 7/18 Patientinnen (39 %) und 24/32 Patienten (75 %) als übergewichtig.
Tab. 2: Fallübersicht der Zwischenauswertung mit 50 Teilnehmenden, Vorstellung im Zeitraum 09/2022 bis 05/2023
Abbildung 1 zeigt, dass 46/50 (92 %) der Patientinnen und Patienten sich in einem Abstand > 90 Tage post infectionem mit dem SARS-CoV-2 erstmalig in der Post-COVID-Sprechstunde des BwZKrhs Koblenz vorstellten und somit formal das Grundkriterium des Post-COVID Zeitraumes nach den NICE-Richtlinien [15] erfüllten.
4/50 (8 %) der Patientinnen und Patienten stellten sich in einem Abstand < 90 Tage nach Infektion erstmalig vor und befanden sich somit im Long-COVID-Zeitraum nach den NICE-Richtlinien. Die früheste Vorstellung erfolgte bereits 34 Tage, die späteste Vorstellung 390 Tage post infectionem. Der Median lag bei 182 Tagen, der Mittelwert bei 195 Tagen (SD 89 Tage) nach dem Infektionsereignis.
3/50 (6 %) der Patientinnen und Patienten mussten im Rahmen der Akutinfektion stationär behandelt werden. Die restlichen 47/50 (94 %) benötigten maximal eine ambulante truppenärztliche Behandlung mit einer symptomorientierten medikamentösen Therapie. Einige Patientinnen und Patienten des Kollektivs hatten eine oder mehrere Vorerkrankungen. Die anamnestisch häufigsten waren hier bei 9/50 (18 %) eine arterielle Hypertonie, 3/50 (6 %) ein Asthma bronchiale und 1/50 (2 %) eine koronare Herzerkrankung. Insgesamt gaben 12/50 (24 %) der Patientinnen und Patienten Vorerkrankungen an.
Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in der Post-COVID-Sprechstunde waren die fünf häufigsten anamnestischen Symptome eine allgemeine Leistungsminderung bei 40/50 (80 %), Fatigue bei 35/50 (70 %), Dyspnoe bei 20/50 (40 %), Konzentrationsstörungen bei 17/50 (34 %) und Schlafstörungen bei 10/50 (20 %).
Der durchschnittliche FAS-Score bei Anamnese ohne subjektive Fatigue (n = 11) lag bei 22 (SD 6,2), bei Anamnese mit Fatigue (n = 29) bei 33 (SD 6,7). Der Unterschied im Mittelwert ist statistisch signifikant (p < 0,05). Bei 10/50 (20 %) fehlte eine Angabe.
Einen mMRC-Grad ≥ 2 (modified Medical Research Council, Skala zum Assessment des Schweregrades einer Dyspnoe bei COPD-Patienten) gaben 7/23 (30 %) der Patientinnen oder Patienten an, die anamnestisch keine Dyspnoe angaben, sowie 6/18 (33 %), die anamnestisch über Dyspnoe klagten. Der Unterschied der Mittelwerte war statistisch nicht signifikant. Von 9/50 (18 %) fehlte eine Angabe.
Abb. 2: Abstand vom Zeitpunkt der nachgewiesenen SARS-CoV-2 Infektion bis zur Erstvorstellung in der Post-COVID-Sprechstunde des BwZKrhs Koblenz
Einen CAT-Score ≥ 20 gaben 9/24 (38 %) der Patientinnen oder Patienten ohne anamnestische Dyspnoe, sowie 10/19 (53 %) mit anamnestischer Dyspnoe an. Der Unterschied der Mittelwerte war statistisch nicht signifikant. Von 7/50 (14 %) fehlte eine Angabe.
Der Anteil an pathologischen Befunden der apparativen Diagnostik oder der eingeholten Fachkonsile lag für Echokardiographien bei 3/42 (7 %), kardiale Magnetresonanztomographien (MRT) bei 0/6 (0 %), computertomographische (CT) Untersuchungen des Thorax bei 2/4 (50 %) und für Fachkonsile Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde bei 1/4 (25 %) sowie Neurologie bei 0/1 (0 %).
Bei Lungenfunktionsuntersuchungen mittels Bodyplethysmographie und Messung des Kohlenmonoxid(CO)-Transferfaktors fanden sich bei 5/45 (11 %) Untersuchungen auffällige Befunde. Die Auffälligkeiten waren hier alle auf einen reduzierten CO-Transferfaktor (≤ 70 % DLCO, Diffusing capacity of the lung for carbon monoxide) zurückzuführen. Vier der fünf auffälligen Untersuchungen fanden sich bei Patientinnen und Patienten, die anamnestisch über Dyspnoe berichteten.
Laborchemisch zeigten sich überwiegend Befunde innerhalb der laborspezifischen Normwerte bzw. mit minimalen und unspezifischen Abweichungen von diesen. Am häufigsten fand sich bei 6/50 (12 %) eine isolierte leichte HyperCKämie (persistierende Kreatinkinase-Erhöhung im Blut), die in allen Fällen auf vorangegangene körperliche Belastung zurückzuführen war.
Hinweise auf eine psychische Begleitsymptomatik im eingesetzten Screening fanden sich bei 35/50 (70 %) der Patientinnen und Patienten. Am häufigsten war ein positives Screening auf Depression bei 32/50 (64 %), Somatisierungsstörung bei 21/50 (42 %) und Angststörung bei 16/50 (32 %). Weitere Fragen des Screenings bezogen sich auf Zwangsstörungen 7/50 (14 %), Posttraumatische Belastungsstörungen 4/50 (8 %) und Anpassungsstörungen 2/50 (4 %). In 13/50 (26 %) der Fälle wurde eine Trias aus positivem Screening für Depression, Somatisierungs- und Angststörung gefunden.
Die häufigsten, bereits durch die Truppenärztin/den Truppenarzt eingeleiteten Therapien waren bei 10/50 (20 %) eine inhalative Therapie mittels ß-Sympathomimetika und/oder Corticosteroiden sowie bei 7/50 (14 %) physiotherapeutische Verordnungen zur Atemtherapie und/oder Krankengymnastik am Gerät.
Auswertung Datenbankabfrage des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr, Abteilung B
Die ICD U09.9! (Post-COVID-19-Zustand) wurde im November 2019 eingeführt. In Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von mindestens einem Tag wurden eine (2020), 192 (2021) und 1 134 (2022) entsprechende Diagnosen gemeldet. In 102 (2021) und 582 (2022) Fällen trat die Diagnose in Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen auf. Zusätzlich wurde ICD G93.3 (Chronisches Fatigue-Syndrom) mit ≥ 1 Tag Krankschreibung erfasst.
Zur Einordnung der Zahlen wurde eine Auflistung der 15 häufigsten gemeldeten ICD-Diagnosen, bereinigt um akute Verletzungen des Bewegungsapparates, in Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen erstellt (Tabelle 3). Die entschlüsselten Diagnosen können der Tabelle entnommen werden.
Tab. 3: Klarnamen der untersuchten ICD-Codes
Aus den absoluten Zahlen wurde in Verbindung mit der gemeldeten Ist-Stärke die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die jeweilige Diagnose im Bezugsjahr berechnet. Diese Wahrscheinlichkeit (Odds) wurde für die jeweilige Diagnose über die Zeiträume 2017–2019, sowie 2020–2022 gemittelt. Aus den Mittelwerten wurde die OR (Odds-Ratio) der einzelnen Diagnosen im Vergleichszeitraum errechnet (Tabelle 4 und Abbildung 3). Eine höhere OR im Zeitraum 2020–2022 zeigte sich (Sortierung nach Effektstärke von groß nach klein) für die Diagnosen F33, F41, F32, F43, F10. Eine niedrigere OR für die Diagnosen A09, L05, F48, Z73, J06, O26, M54, M23, M51, M25).
Tab. 4.: Untersuchte ICD bezogen auf die Int-Stärke (g)
Abb. 3: Odds-Ratio 2020–2022/2017–2019: Bei den TOP-15 ICD-Diagnosen der Jahre 2017–2022, bereinigt um akute Verletzungen, ist im Zeitraum 2020–2022 gegenüber 2017–2019 eine höhere Odds-Ratio für einige F-Diagnosen erkennbar.
Um die Wahrscheinlichkeit eine der genannten ICD-Diagnosen im Vergleichszeitraum 2017–2019 und 2020–2022 zu erhalten, wurde aus den gemeldeten Zahlen (A) des InstPrävMedBw in Bezug auf die Ist-Stärke (g) des Meldejahres berechnet. Hieraus konnte die Odds-Ratio 2020–2022/2017–2019 (Abbildung 4) gebildet werden.
Auffällig ist der Anstieg der Diagnosehäufigkeit G93.3 (chronisches Fatigue-Syndrom) im Jahre 2022.
Schlussfolgerungen
Nach einem Jahr der Datenerhebung in der Post-COVID-Sprechstunde am BwZKrhs Koblenz betrachten wir eine Kohorte, die aufgrund der Zugangsbeschränkungen zur Sprechstunde (nur für Soldatinnen und Soldaten) die zu erwartende Geschlechts- und Altersstruktur mit mehr Männern als Frauen und einem Alter zwischen 17 und 65 Jahren aufweist. Diese weicht von zivilen Patientenkollektiven ab [14]. Ebenso zeigt sich in unserer Auswertung eine niedrige Hospitalisierungsrate während der Akutinfektion mit SARS-CoV-2 für ein Post-COVID-Kollektiv von 6 % und ein ebenfalls niedriger Prozentsatz an bekannten Vorerkrankungen (24 %). Generell ist ein Vergleich der Studienergebnisse mit anderen Kollektiven schwierig, da sich die untersuchten Kohorten hinsichtlich Größe, Selektionsprozess und Symptomerfassung unterscheiden.
Zur publizierten Literatur passend lassen sich die häufigsten genannten Symptome bei der Erstvorstellung mit Verdacht auf ein Post-COVID-Syndrom, in eines der Cluster Belastungseinschränkung, Fatigue und/oder kognitive Dysfunktionen einordnen, wobei Überschneidungen häufig vorkommen [6].
Der Versuch, die Symptomlast mittels PROMS, die jeweils lediglich für andere Grunderkrankungen wie Sarkoidose (FAS) oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (CAT-Score, mMRC) validiert wurden, zu quantifizieren, offenbart eine Überschätzung der Symptomschwere durch die Patientinnen und Patienten. So gaben ähnlich viele Patientinnen und Patienten (19/50 oder 38 %) einen mMRC ≥ 2 oder CAT-Score ≥ 20 an, unabhängig davon, ob sie subjektiv über Dyspnoe berichteten oder nicht. Ein CAT-Score ≥ 20 entspricht einer schweren Beeinträchtigung im Alltag durch die Luftnot, ab 30 Punkten wäre man überwiegend bettlägerig. In der durchgeführten Lungenfunktionsdiagnostik in Ruhe fanden sich jedoch nur in 11 % der Fälle Auffälligkeiten. Die meisten Betroffenen haben also lediglich Einschränkungen bei solchen Belastungen, die über das Führen der Alltagsgeschäfte hinausgehen. Diese könnten im Rahmen einer Spiroergometrie gegebenenfalls erfasst und quantifiziert werden. Die Methode ist jedoch apparativ- und personell aufwendig und erfordert ein hohes Maß an Mitarbeit von den Betroffenen.
Gerade die Kommunikation von unauffälligen Befunden im Rahmen einer Befundbesprechung ist für die Betroffenen wichtig, da sie vielfach dazu beitragen, Ängste zu reduzieren und Hemmnisse gegenüber einer aktiven Rehabilitation abzubauen.
Die S1-Leitlinie zum Post-COVID-Syndrom empfiehlt im Rahmen der Diagnostik bei Verdachtsfällen ein Screening auf psychiatrische Begleiterkrankungen. Dieses wurde ebenfalls in der Sprechstunde durchgeführt. Hierbei ist ein hoher Anteil an positiven Screening-Ergebnissen in der Kohorte auffällig. In 70 % der Fälle liegen Hinweise auf eine psychiatrische Begleiterkrankung vor. Eine häufige Trias besteht aus Hinweisen auf eine Depression, Somatisierungs- und Angststörung. Es ist unklar, inwiefern Hinweise darauf auch schon vor der Infektion mit SARS-CoV-2 vorlagen. Zur Abschätzung der wehrmedizinischen Relevanz von Post-COVID in der Bundeswehr wurde die beschriebene Datenbankabfrage der häufigsten ICD-Diagnosen im InstPrävMedBw durchgeführt (Abbildung 4). Hier zeigt sich für den Vergleichszeitraum 2020–2022 gegenüber 2017–2019 (vor COVID-19) ein Anstieg der Erkrankungswahrscheinlichkeit der Diagnosen F33 (Rezidivierende depressive Störung, OR 2,31), F41 (Andere Angststörungen, OR 1,45), F32 (Depressive Episode, OR 1,11), F43 (Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, OR 1,09) und F10 (Psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol, OR 1,05). Neben direkten biologischen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion sind sicherlich psychosoziale Faktoren zu diskutieren, die zur Entwicklung eigenständiger psychischer Erkrankungen geführt haben könnten und ebenso Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sein könnten [4][5][9].
Nach Platz 6 der Diagnosen im Jahr 2021, die zu einer langen Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr führten, erreichte das Post-COVID-Syndrom hier im Jahr 2022 bereits Platz drei. Inwiefern sich dieser Trend fortsetzen wird, bleibt abzuwarten. Weiter zeigt sich in den Jahren 2021 und 2022 ein deutlicher Anstieg der Diagnose G93.3 (Chronisches Fatigue-Syndrom), (Tabelle 4), welche erfahrungsgemäß bei Erfüllen der hier umfangreichen diagnostischen kanadischen Konsensus-Kriterien auch für Post-COVID-Fälle vergeben wurde und vorwiegend Fälle mit hoher Symptomlast und funktioneller Einschränkung im Alltag betrifft. Wir müssen aktuell also von einer hohen wehrmedizinischen Relevanz ausgehen, zumal unklar ist, wie die Beschwerden schnellstmöglich gelindert werden können und wie die Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb bestmöglich gelingt.
Insbesondere die letztgenannten Punkte sollten Fokus zukünftiger Untersuchungen sein und erfordern einen strukturierten, sektorübergreifenden Ansatz unter Einbezug des ambulanten Gesundheitssektors der Bundeswehr, der Heilfürsorge, der Bundeswehrkrankenhäuser und Forschungseinrichtungen mit thematischer Schnittmenge.
Limitationen
Der Versuch, aus den Daten der Krankenkarten, die dem InstPrävMedBw gemeldet wurden, eine administrative Jahresprävalenz abzuleiten, birgt die Gefahr einer massiven Unterschätzung. In die genutzte Statistik können aufgrund der Erfassungssystematik nur Post-COVID-Fälle eingehen, die zu einer Krankschreibung von mindestens einem Tag geführt haben. Dies würde voraussetzen, dass sich alle Soldatinnen und Soldaten mit einer gesundheitlichen Einschränkung nach einer SARS-CoV-2 Infektion ärztlich vorstellten und in der Folge nicht verwendungsfähig mit Status „krank zu Hause“ oder „krank auf Stube“ geführt wurden. Die mutmaßlich zahlreichen Fälle, in denen vorhandene Beschwerden nicht zu einer ärztlichen Vorstellung geführt haben oder lediglich in einer eingeschränkten Verwendungsfähigkeit (z. B. Marsch-Sport-Geländedienst-Befreiung) resultierten, konnten nicht erfasst werden. So ist zu erklären, dass die rechnerische Prävalenz von Post-COVID (U09.9) für das Jahr 2022 bei nur 0,6 % aller Soldatinnen und Soldaten liegt. Im Vergleich hierzu wird in einer Studie aus Deutschland die Häufigkeit von Post-COVID-19 im Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion auf mindestens 6,5 % bei überwiegend nicht hospitalisierten Patientinnen und Patienten geschätzt, wenn neben den berichteten Symptomen auch Einschränkungen der alltäglichen Leistungs- und Funktionsfähigkeit berücksichtigt werden [11]. Analysen aus routinemäßig erhobenen Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen gelangen in den vier Abrechnungsquartalen im Jahr 2022 mit 7 % bis 13 % zu etwa größenordnungsmäßig ähnlichen Einschätzungen der Häufigkeit eines Post-COVID-19-Zustands [17]. Allerdings sind bei der Betrachtung von Soldatinnen und Soldaten die Altersbänder 0–16 sowie ab 66 Jahren ausgeklammert, was einen Teil der abweichenden Prävalenz zu erklären vermag.
Zudem erfolgte zwar die vollständige Erfassung der Krankenkarten im InstPrävMedBw für das Jahr 2022, die Validierung ist jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen, weshalb noch geringfügige Korrekturen der gemeldeten Zahlen möglich sind.
Kernaussagen
- Das Post-COVID-Syndrom (U09.9) war im Jahr 2022 TOP 3 ICD-Diagnose bei Langzeiterkrankungen von Soldatinnen und Soldaten.
- Die Anteile an F-Diagnosen (insbesondere Depression und Angststörungen) haben in den Jahren seit COVID-19 zugenommen.
- Auch wenn apparative Diagnostik unauffällige Befunde liefert, müssen diese den Betroffenen eröffnet werden, um Hemmnissen einer aktiven Rehabilitation entgegenzuwirken.
- Die aktuellen Therapieprinzipien beruhen auf einer möglichst effektiven Reduktion der Symptomlast und einer schrittweisen Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb.
- Um zukünftig für die Bundeswehr die besten therapeutischen Maßnahmen zu identifizieren ist ein sektorübergreifender Ansatz notwendig.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stratmann L, Müller F, Hoffmann MA: Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr: Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz. WMM 2024; 68(10): 440-447.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-357
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Leonard Stratmann
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Fachbereich A2 – Körperliche Leistungsfähigkeit
Aktienstraße 87, 56626 Andernach
E-Mail: leonardstratmann@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Stratmann L, Müller F, Hoffmann MA: [The Post-COVID Syndrome in the Bundeswehr: One Year of Post-COVID Study at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz –an interim Analysis and Assessment of its Relevance from a Military Medicine Perspective.] WMM 2024; 68(10): 440-447.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-357
For the Authors
Major (MC) Leonard Stratmann, MD
Bundeswehr Institute of Preventive Medicine
Aktienstraße 87, D-56626 Andernach
E-Mail: leonardstratmann@bundeswehr.org
Zurück ins Leben – Sport ist Therapie!
Die INVICTUS Games als Teil von Rehabilitation
Back to Life – Sport is Therapy! The INVICTUS Games as Part of Rehabilitation
aRainer Schubmann
a Mitglied im 16. Beirat zu Fragen der Inneren Führung am Bundesministerium für Verteidigung
Zusammenfassung
Körperliche Aktivitäten und Sport sind bei Prävention und Rehabilitation von Zivilisationskrankheiten nachweislich wirksam. Weniger bekannt ist der erhebliche Einfluss von beidem auf emotionale Prozesse und kognitive Funktionen. In einer bereichsübergreifenden Kooperation zwischen zwei Dienststellen der Bundeswehr, dem Zentrum für Sportmedizin und der Sportschule (beide in Warendorf in der gleichen Liegenschaft) wird der integrative Ansatz von „Gesundheit durch Bewegung“ und „Heilung durch Bewegung“ in die tägliche Arbeit umgesetzt. Besondere Bedeutung hat diese rehabilitative Therapie durch das Training von Verwundeten, Verletzten und erkrankten Soldaten, die in der „Gruppe Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ der Sportschule in engem Schulterschluss mit den Sport- und Rehabilitationsmedizinern in Warendorf durchgeführt wird.
In diesem Beitrag wird die Betreuungskonzeption dieser Teams insbesondere im Rückblick auf die „INVICTUS Games for Wounded Warriors“ im September 2023 in Düsseldorf vorgestellt. Auf die möglichen Wirkfaktoren von Sport und körperlicher Aktivität als Therapieform wird unter kurzer Darstellung der aktuellen medizinischen Fachliteratur eingegangen. Dieses Kooperationsmodell könnte für umfassendere Therapieansätze (comprehensive care) auch in zivilen Gesundheitseinrichtungen beispielgebend sein.
Schlüsselworte: Sport, Verwundetenversorgung, Rehabilitation, INVICTUS, PTBS, Bundeswehr
Summary
Physical activities and sports have been proven effective in preventing and rehabilitating lifestyle diseases. Less known is their significant influence on emotional processes and cognitive functions. In cross-departmental cooperation between two Bundeswehr departments, the Center for Sports Medicine and the Sports School (both in Warendorf on the same property), the integrative approach of “health through exercise” and “healing through exercise” is incorporated into daily work. This rehabilitative therapy is vital due to training wounded, injured, and sick soldiers, which is carried out in the “Sports Therapy After Combat Injury Group” at the sports school in close collaboration with the sports and rehabilitation medical doctors in Warendorf.
This article presents the support concept for these teams, particularly with a look back at the “INVICTUS Games for Wounded Warriors” in September 2023 in Düsseldorf. The possible impact factors of sport and physical activity as a form of therapy are discussed with a brief presentation of the current medical literature. This cooperation model could also serve as an example for more comprehensive therapeutic approaches in civilian health facilities. This publication aims to show that the INVICTUS Games are more than just a sporting competition.
Keywords: sport; wounded warrior; rehabilitation; INVICTUS; PTSD; Bundeswehr
Einleitung und Hintergrund
Das Weltgeschehen zeigt es uns aktuell: Überall in der Welt wurden und werden Konflikte zwischen Staaten und unterschiedlichen Interessengruppen wiederkehrend militärisch brutal ausgetragen. Die Ereignisse und Erlebnisse während der Erfüllung ihrer soldatischen Aufträge – oft auch im weltweiten Einsatz – bedeuten für die Beteiligten fast immer eine außergewöhnliche Dimension der menschlichen Erfahrung. In oft noch höherem Maße ist die jeweilige Zivilbevölkerung betroffen. Diese Erlebnisse können zu sichtbaren und unsichtbaren Verwundungen führen, die nach den modernsten medizinischen und psychotherapeutischen Therapieleitlinien behandelt werden müssen.
116 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr haben in Auslandseinsätzen oder Missionen ihr Leben verloren, eine sehr viel höhere Anzahl kämpft mit den Folgen einer körperlichen oder seelischen Verletzung, die sie im Einsatz erlitten haben.
Zurzeit werden u. a. über 1 000 ukrainische Soldaten in deutschen Krankenhäusern und Bundeswehrkrankenhäusern behandelt. Auch auf die Zivilgesellschaften weltweit werden erhebliche medizinische und psychotherapeutische Herausforderungen zukommen.
Bei der Behandlung einsatzbedingter Schädigungen spielt – neben der körperlichen oft lebenslangen Rehabilitation – die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) eine erhebliche Rolle [4][9]. Es wird von einer PTBS-Inzidenz von etwa 1–3 % inklusive Dunkelziffer bei der Bundeswehr ausgegangen [11].
Gemäß ICD-10 (F43.1) wird die posttraumatischen Belastungsstörung wie folgt definiert [2]:
„Die PTBS ist eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses.“
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es aufzuzeigen, dass gerade die INVICTUS Games im Rahmen der Behandlung und vor allem der Rehabilitation bei Einsatzschädigungen eben deutlich mehr sind als sportliches Wettkampfereignis.
INVICTUS Games – die Idee
Im September letzten Jahres fand in der Merkur-Spielarena in Düsseldorf ein einzigartiges Sportereignis für verwundete, verletzte und erkrankte Soldaten über acht Tage hinweg statt, die Invictus Games Düsseldorf 2023. In paralympischen Wettkämpfen (10 Sportarten wie z. B. Indoor-Rudern, Leichtathletik, Bogenschießen, Tischtennis, Rollstuhl-Rugby und -Basketball) traten etwa 500 Soldatinnen und Soldaten aus 21 Nationen gegeneinander an. Unter anderem waren Teams aus Israel und der Ukraine dabei. Je nach Verletzung und Einschränkung starteten die Teilnehmenden in verschiedenen Kategorien, die Festlegungen erfolgten bereits mit der Anmeldung zu den Wettkämpfen. Begleitet wurden die Wettkampfteilnehmer von etwa 1 500 Familienangehörigen und Freunden im Sinne einer psychosozialen Unterstützung [7].
Die Invictus Games fanden 2023 zum ersten Mal in Deutschland statt. Die „IG“ begannen 2014 in London, dann folgten weitere Ereignisse 2016 in Orlando, 2017 in Toronto, 2018 in Sidney und 2022 in Den Haag. Vorgesehen war ein 2-Jahres Rhythmus, der durch die Corona Pandemie gestört wurde. Die nächsten „Spiele“ werden 2025 wieder in Kanada (Vancouver und Whistler) stattfinden – erstmalig mit Wintersport-Anteilen.
Die Idee für die paralympischen Wettkämpfe stammt von Prinz Harry, dem Duke of Sussex, entwickelt nach seinen Erfahrungen und Erlebnissen als Soldat und Hubschrauberpilot im Afghanistaneinsatz. Er nahm im Jahre 2013 als Mitglied eines Teams von britischen Soldaten an den sog. US-Warrior Games in den USA teil, was ihn auf die Idee brachte, eine ähnliche Veranstaltung in Großbritannien zu initiieren. Getragen werden die Sportereignisse im Wesentlichen von der INVICTUS Games Foundation [3].
Das Wort INVICTUS stammt aus dem Lateinischen und bedeutet unbesiegt/unbezwungen. Insgesamt gehörten 37 Personen zum deutschen Athleten-Team für Düsseldorf, darunter auch erstmals einige versehrte und erkrankte Polizisten und Feuerwehrleute als sogenannte „Blaulicht-Fraktion“ im Sinne eines Pilotprojektes.
Abb. 1: Logo der INVICTUS Games 2023
Sporttherapie nach Einsatzschädigung
Zur Erweiterung der integrierten bio-psycho-sozialen Rehabilitation und Reintegration von verwundeten, verletzten und erkrankten Soldaten wurde im Jahre 2012 in enger Kooperation zwischen dem Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr und der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf die Gruppe „Sporttherapie nach Einsatzschädigung“ ins Leben gerufen. Dies ermöglichte die Entwicklung eines interdisziplinären Rehabilitationsprogramms im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention [4][7]. Regelmäßige ambulante Untersuchungen und Beratungen, Intensiv-Rehabilitationsmaßnahmen und zwei- bis dreiwöchige sporttherapeutische Trainingsphasen für Soldatinnen und Soldaten mit sichtbaren und unsichtbaren Verwundungen, Verletzungen und Erkrankungen sind die wesentlichen Inhalte dieses Programms. Zusätzlich hat sich im Laufe der Jahre ein sogenanntes „Netzwerk der Hilfe“ im dienstlichen und auch außerdienstlichen Kontext entwickelt. Unter anderem wurde der „Förderverein zur Unterstützung der Arbeit mit Versehrten am Standort Warendorf“ (www.fuav.de) gegründet, der vielerlei Unterstützungen finanziert, die im offiziellen Budget nicht abgebildet werden.
Ziel: Vollständige dienstliche Rehabilitation
Patienten mit seelischen Traumafolgestörungen und gleichzeitig bestehenden somatischen Risikofaktoren (z. B. Adipositas, Hypertonie, eingeschränkter kardiopulmonaler Leistungsfähigkeit, chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates) können nach einer ambulanten Erstbegutachtung am Zentrum für Sportmedizin in Warendorf und vorheriger Empfehlung durch einen Facharzt für Psychiatrie der Bundeswehr im Rahmen der bereitstehenden Kapazitäten in das Rehabilitationsprogramm aufgenommen werden. Ziel ist die vollständige soziale und dienstliche Rehabilitation im Sinne einer Wiedereingliederung auf einen militärischen Arbeitsplatz.
Wesentlicher Bestandteil: Gruppenerlebnis
Die sporttherapeutischen Trainingseinheiten stellen für diese heterogenen Patientengruppen einen Kernbestandteil des Rehabilitationsprogramms dar. Die Sporttherapie kann das Wiedergewinnen von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Teilhabe ermöglichen und trägt damit zur Unterstützung des Krankheitsbewältigungsprozesses bei. Das Gruppenerlebnis als wesentlicher Bestandteil sporttherapeutischer Interventionen steigert das Gefühl sozialer Eingebundenheit und ist geeignet, Gefühle von Einsamkeit und Hilflosigkeit abzubauen. Das Motto der letztjährigen Invictus Games lautete darum auch „A Home for Respect“ – die gesamte Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit als Dokumentation von Respekt und sozialer Anerkennung.
Sondervorhaben als Motivationsfaktor
Von den Teilnehmenden des komplexen Reha-Programmes wird erwartet, dass sie im Alltag (in Freizeit und Beruf) körperlich aktiv bleiben, an ihren persönlichen Zielen arbeiten, Trainingsnachweise dokumentieren und zur Auswertung in Warendorf vorlegen. Die Soldaten, die ihre individuellen Trainingsziele erreichen (z. B. Aufhören zu rauchen, Gewicht verlieren, Muskeln aufbauen, Leistungstestergebnisse verbessern usw.) und auch im Verlauf zu Hause ihre persönlichen Zielvereinbarungen erfüllen, können sich bei entsprechender Eignung für die Teilnahme an sportlichen Sondervorhaben bewerben. Diese Möglichkeit stellt einen besonderen Motivationsfaktor für die Bewältigung des eigenen Schicksals dar und belegt den Willen zum Fortschreiten im Reha-Prozess. Für die Teilnahme an derartigen Sondervorhaben stehen jeweils nur eine begrenzte Zahl von Plätzen zur Verfügung. Ein herausragendes Sondervorhaben stellen die „Invictus Games“ dar.
Der Bedeutungsgehalt der Wettkämpfe zeigt sich schon in dem Titel INVICTUS: Die Teilnehmer sind trotz ihres Schicksals unbesiegt und unbezwungen! Am Leben weiter teilhaben, sich Ziele stecken und erreichen, einen schwierigen Weg weitergehen ist Programm. Entscheidend ist nicht, Medaillen von den Wettkämpfen mit nach Hause zu bringen (auch wenn das natürlich ein Ziel sein kann...), sondern die Teilnahme als solche ist schon Motivation und Belohnung. Sich unbezwungen zu erleben – „auf dem Wege sein“ – ist schon Teil der komplexen psychosozialen Rehabilitation.
Fallbeispiel
Äußerlich ist der Soldat D.S. unversehrt – ihm ist selten anzumerken, was er hinter sich hat. Nach mehreren Einsätzen in Afghanistan ist für ihn nichts mehr, wie es war. In den Supermarkt kann er oft nur in Begleitung und mit Kopfhörern gehen. Das Schlagen einer Autotür ist nur schwer zu ertragen. Durchschlafen gelingt selten. Er leidet an einer PTBS. Wochen verbrachte er im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz, lange Zeit in einer Trauma-Spezialklinik. Aufenthalte in der Psychosomatischen Abteilung der Klinik Möhnesee folgten.
Dann erfolgte seine Teilnahme an den Invictus Games in Orlando 2016. Die Therapien und der Sport haben den Soldaten wieder in ein lebenswertes Alltagsleben zurückgebracht. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist die Teilnahme am Bogenschießen bei den INVICTUS Games in Düsseldorf. Er sagt, wenn er am Wettkampftag an der Schießlinie steht, dann hat er für sich den Kampf schon gewonnen.
Mögliche Wirkfaktoren der Sporttherapie
Gut beschrieben wird das dramatische Auf und Ab von Emotionen bei Lebenskrisen in einem Gedicht von William Ernest Henley (1849–1903). Die letzten beiden Zeilen des Gedichtes sind bei allen Invictus Games allgegenwärtig:
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.
Ob und wie ein traumatisierendes Ereignis bewältigt werden kann, hängt oft von den persönlichen und psychosozialen Ressourcen und Unterstützungssystemen ab. Wenig ist bisher über die neurobiologischen modifizierenden Effekte von Sport als integrativem Therapiebestandteil bei Schmerzsyndromen nach Verwundung oder Verletzung oder bei der Behandlung von Traumafolgestörungen bekannt. Gut erforscht und beschrieben hingegen wurde die Negativspirale von Emotion und Kognition bei der Chronifizierung einer Traumafolgestörung.
Wichtige Hinweise auf die möglichen Wirkfaktoren und Zusammenhänge von körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit geben zwei publizierte Übersichtsarbeiten [5][10]. In der im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichten Arbeit [10] wird dargestellt, dass körperliches Training bei Depressionen ähnlich wirksam ist wie eine medikamentöse Therapie. Aerobes Ausdauertraining wirkt deutlich reduzierend auf das Ausmaß von Ängstlichkeit, sogar stärker als andere Formen der anxiolytischen Behandlung wie Entspannungsverfahren, Stressmanagement, Gruppentherapie oder Yoga.
Auch zu der Fragestellung, wie denn neurobiologische Mechanismen bei körperlichen Aktivitäten modifiziert werden, gibt diese Arbeit einen Hinweis. Heute wird angenommen, dass bei Depressionen eine verminderte Veränderungsfähigkeit von Synapsen, Nervenzellen oder gar ganzen Hirnarealen vorliegt (verminderte Neuroplastizität). Für die neuronalen Neubildungs- und Veränderungsprozesse benötigen wir sogenannte Neurotrophine, z. B. den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF). Dieser Faktor ist im Körper ubiquitär vorhanden. Bei Depressiven liegen wohl verminderte BDNF-Konzentrationen vor, antidepressive Medikamente gleichen den Mangel aus. Und körperliches Training führt zum Ansteigen dieses Neurotrophin-Spiegels im peripheren Blut!
Möglicherweise weist auch eine Pilotstudie aus dem Department of Veterans Affairs der USA [8] einen weiteren Weg zum besseren Verständnis der neurobiologischen Prozesse bei sportlichen Aktivitäten: Ein höheres Maß an Fitness bei weiblichen Veteranen zeigte auch höhere Konzentrationen von Neuropeptid Y sowie von Pregnanolon und Allopregnanolon. Dies wiederum war korreliert mit einer niedrigeren Schmerzsensitivität. Allerdings sind viele Wirkfaktoren noch nicht genau identifiziert, weitere Forschungsprojekte sollen folgen.
Sportpsychologische Aspekte
Die Übersichtsarbeit von Schulz et al. [10] zeigt zusätzlich noch den aktuellen sportpsychologischen Forschungsstand auf:
- Sport führt bei Erwachsenen zu einer leichten, aber signifikanten Verbesserung des globalen Selbstwertgefühles.
- Körperliche Aktivität (KA) führt zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung.
- Sport führt zu einer Verbesserung des physischen Selbstkonzeptes.
Auf die Bedeutung von körperlicher Aktivität im Rahmen der Therapie von PTBS weist die Metaanalyse von Rosenbaum et al. [5] ausführlich hin. In vier randomisierten und kontrollierten Studien (seit dem Jahre 2014 veröffentlicht), die den Einschlusskriterien entsprachen, konnten folgendes gezeigt werden:
- Körperliche Aktivität reduziert PTBS-Symptome in höherem Maße als in Kontrollgruppen ohne Aktivitäten.
- Durch körperliche Aktivität werden Symptome von Depression stärker reduziert als in Kontrollgruppen ohne diese Aktivitäten.
- Es zeigten sich keine negativen Auswirkungen von vermehrter körperlicher Aktivität.
- Die Daten waren nicht aussagefähig in Hinblick auf Messdaten wie z. B. Körpergewicht.
Die Auswirkungen von aerobem Ausdauertraining auf die Symptome von PTBS untersuchte eine Studie von Fetzner und Asmundson [1] aus Kanada: Nach einem nur zweiwöchigem Interventionsprogramm berichteten die 33 Studienteilnehmer über eine klinisch signifikante Verringerung der Symptomatik.
Abb. 2: Impressionen von den INVICTUS Games 2023 (Bildquelle: R. Schubmann)
Wettkämpfe als Meilenstein der Rehabilitation
Erfahrungsgemäß und auch durch Wissenschaft und Forschung belegt können sportliche Herausforderungen therapeutisch auf vielen Ebenen wirksame Prozesse veranlassen und fördern. Sporttherapie gezielt eingesetzt ist Ressourcenaktivierung! Und dabei stellen natürlich besondere sportliche Ereignisse wie die Invictus Games einen wichtigen Meilenstein im persönlichen Erleben der Betroffenen dar. Das Erringen von Medaillen war definitiv nicht das Hauptziel bei der Teilnahme, dennoch war das Erringen von 5 x Gold, 9 x Silber und 7 x Bronze eine begleitende Erfolgsgeschichte für das deutsche Team.
Abb. 3: Prinz Harry inmitten der Sports Community (Bildquelle: R. Schubmann)
Die Warrior Care Conference
Als wissenschaftliches Begleitprogramm fand vom 6. bis zum 7. September 2023 in den Tagen vor den eigentlichen Wettkämpfen die Warrior Care Conference statt. 250 direkt vom damaligen Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, eingeladene internationale Gäste verschafften sich einen Überblick über den aktuellen wehrmedizinischen Wissensstand und tauschten sich in fünf Workshops aus. Für den Bereich Rehabilitation war der Workshop mit dem Titel „Reintegration, Rehabilitation and Recovery“ der relevanteste. In der international besetzten Diskussionsrunde und unter der Moderation von Oberstarzt Dr. Andreas Lison, dem Leiter vom Zentrum Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf, wurde nach zwei Impulsvorträgen die besondere Bedeutung von Partnerschaften und Kindern für den Weg zurück ins Leben nach Einsatzschädigung herausgearbeitet. Das Ergebnis war die „Düsseldorf Declaration“, die im Anhang zu finden ist. Sie wurde erarbeitet und veröffentlicht unter der Idee eines weiter in die Zukunft wirkenden Invictus Spirit.
Fazit und Ausblick
Jeder Teilnehmende der INVICTUS Games – sei es nationaler oder internationaler Besucher, Athlet, Angehöriger oder Betreuer, brachte etwas von dem „Invictus Spirit“ mit nach Hause zurück – es bleibt ein besonderes emotionales Erlebnis („We are Invictus“). Es gab ein hohes Maß an Gastfreundschaft, die allen 21 Teams, deren Angehörigen und allen Besuchern zuteilwurde und die alle Teilnehmer zutiefst bewegte! Die professionelle Organisation der Stadt Düsseldorf und der Bundeswehr, aber auch das unerwartet hohe Medieninteresse – was nicht zuletzt durch den ausgesprochen freundlichen und authentischen Umgang des Schirmherrn der Veranstaltung, Prinz Harry, mit allen Teams entstand – trugen entscheidend dazu bei, auf das Schicksal der Betroffenen und deren außergewöhnlichen Weg zurück ins Leben aufmerksam zu machen.
Über den Verfasser
Dr. med. Rainer Schubmann, Internist mit Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Psychotherapie und Rehabilitationswesen, war über zwei Jahrzehnte ärztlicher Leiter an der Klinik Möhnesee, einer Rehabilitationsklinik für Kardiologie, Psychokardiologie und Psychosomatik. Bis zum Erreichen der Altersgrenze war er als Reserveoffizier im Zentrum Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf eingeplant und in dieser Funktion als Oberstarzt d. R. auch Teamarzt des deutschen Bundeswehrteams bei den Invictus Games 2016 in Orlando. In Düsseldorf im September 2023 bei den Invictus Games eingesetzt als Medical Volunteer in der Funktion als stv. Leiter der Medical Clinic in der Invictus Area. Er ist Mitglied im 16. Beirat zu Fragen der Inneren Führung am Bundesministerium der Verteidigung.
Literatur
- Fetzner MG, Asmundson GJ: Aerobic exercise reduces symptoms of posttraumatic stress disorder: A randomized controlled trial. Cogn Behav Ther 2015; 44(4): 301-313. mehr lesen
- Flatten G, Gast U, Hofmann A, et al: S3–Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Trauma Gewalt 2011; 3: 202-205. mehr lesen
- Invictus Games Foundation: , letzter Aufruf 23. September 2024. mehr lesen
- Lison D, Schaffranek-Mondroch A, Lison A: Back to Life – Die Abteilung Interdisziplinäre Rehabilitation. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2023; 2: 14-15. mehr lesen
- Rosenbaum S, Vancampfort D, Steel Z, et al: Physical activity in the treatment of post-traumatic stress disorder: A systematic review and meta-analysis. Psych Research 2015; 230: 130-136. mehr lesen
- Sack M, Gromes B: Ressourcenorientierte Behandlungsstrategien in der Traumatherapie. Autonomie und Handlungskompetenz zurückgewinnen. FortschrNeurolog Psych 2013; 81(5): A7-A8. mehr lesen
- Schnadthorst PG, Holtherm C, Lison A: Als Teamarzt bei den Invictus Games 2022 – ein Erfahrungsbericht. WMM 2022; 66(11): 379-386. mehr lesen
- Scioli-Salter E, Forman D, et al: Potential neurobiological benefits of exercise in chronic pain and posttraumatic stress disorder: Pilot study. J Rehab Res Develop 2016; 53: 95-106. mehr lesen
- Schubmann R: Konfrontation mit Gewalt und fremder Kultur – Psychosomatische Rehabilitation von Soldaten nach Auslandseinsätzen. In: Muthny FA, Bermejo I (Hrsg): Interkulturelle Medizin. Köln 2009; Dtsch Ärzte-Verlag: 121-137. mehr lesen
- Schulz K-H, Meyer A, Langguth N: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit. Bundesgesundheitsbl 2012; 55: 55-65. mehr lesen
- Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C. et al: Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? Dtsch Arztebl Int 2012; 109(35–36): 559–568. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Schubmann R: Zurück ins Leben – Sport ist Therapie! Die INVICTUS Games als Teil von Rehabilitation. WMM 2024; 68(10): 448-454.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-352
Verfasser
Oberstarzt d. R. Dr. med. Rainer Schubmann
Schnappweg 2, 59519 Möhnesee
E-Mail: cr.schubmann@t-online.de
Manuscript Data
Citation
Schubmann R: [Back to life – sport is therapy! The INVICTUS Games as part of rehabilitation.] WMM 2024; 68(10): 448-454.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-352
Author
Colonel (MC Reserve) Dr. med. Rainer Schubmann
Schnappweg 2, D-59519 Möhnesee
E-Mail: cr.schubmann@t-online.de
Düsseldorf-Declaration of the Warrior Care Conference 2023 on the role of partnership and childhood in Rehabilitation
Determination
Recognizing that
- rehabilitation must recognize and alleviate the biological, psychological and social consequences of permanent impairments,
- psychosocial stress can be a disease-causing factor, and
- chronic stress can endanger rehabilitation and recovery
this declaration represents the spirit of the Invictus idea showing a commitment to the necessary involvement and support of family members for the rehabilitation and recovery of wounded, injured and sick servicemen and women.
It is based on the modern concept of disability and contributes to raising awareness according to the Legacy of the Invictus Games for Rehabilitation and Recovery.
Situation
During the rehabilitation of those wounded, injured or sick, family members can be an essential supporting factor on the way “to a new life” with the best possible participation. Family members can provide strength and orientation during stressful life situations that affects the personality of the individual going through rehabilitation. Family members can address their loved one with empathy and closeness, put things into an appropriate form of words thereby giving support, and they can also stop them from dysfunctional behaviour when necessary.
When a single or an accumulation of events changes everything, partners and children are inevitably exposed to increased risks to their physical and mental health and their wellbeing. This can include the occurrence of chronic diseases later in life and shortened life expectancy.
Positive impacts on the rehabilitation process can be expected from those with resilient attachment figures who have good mental and physical health. However, resilience and mental health can only succeed if family members themselves receive evidencebased support in order to take care of their own health and resources to maintain (or regain) them in the best possible way.
The States Parties to the Convention on the Rights of Persons with Disabilities therefore conclude in the preamble that „... persons with disabilities and members of their families should receive the necessary protection and support to enable families to contribute to the full and equal enjoyment of the rights of persons with disabilities...“.
Mission
According to the UN-Convention on the Rights of Persons with Disabilities, we are obliged to raise awareness and point out the understanding of risks and chances for partnership and childhood for the rehabilitation process of wounded, injured and sick servicemen and woman.
This includes
- sharing knowledge about the facilitators and barriers to growth in partnership and childhood,
- giving partners and children a voice in order to learn from their stresses, needs and experiences,
- exchanging experiences with support measures for partners and children and to critically evaluate them in an interdisciplinary approach,
- further developing appropriate services with the involvement of those affected, and
- promoting the provision of support measures in existing rehabilitation services and care systems.
Vision
This declaration will contribute to the development of structures and processes in rehabilitation with regard to the active involvement and support of partnership and childhood. Beyond the power of sport for rehabilitation, family members are perceived as a central part of the rehabilitation process. They are sustainably strengthened to support the recovery of their loved ones while preserving their own health so that partnership and childhood grow and flourish. It expresses the Invictus Games‘ legacy of showing respect and appreciation for Families and Friends beyond the Games.