Schlaf ist so wichtig wie tägliches Essen und Trinken: Aspekte von Erschöpfung und Schlafstörungen während Einsätzen
Sleep is as Important as Eating and Drinking: Considerations regarding Fatigue and Sleep Disorders during Missions
Reinhard Starka, Ulrich Vortkampa
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik IX – Neurologie
Zusammenfassung
Schlaf als lebenswichtige Ressource für das Militär bekommt häufig bei Einsatzplanung und Durchführung noch nicht den Stellenwert, der ihm zustehen sollte. Übermüdete und somit in der Einsatzbereitschaft nachhaltig eingeschränkte Soldatinnen und Soldaten sind einerseits die Folge, andererseits ist chronisch reduzierter Schlaf ein Risikofaktor für eine Reihe von ernsthaften psychiatrischen Erkrankungen (Suchterkrankungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, etc.), die in Einsätzen bereits isoliert gesehen und in deutlich gehäufter Form auftreten. In der Längsschnittbeobachtung der letzten 20 Jahre zeigte sich parallel zur Zunahme der individuellen Häufigkeit und Intensität der Auslandseinsätze eine erschreckende Häufung an Schlafstörungen mit begleitender Fatigue bei den betroffenen Soldaten. Der hohen Anzahl Betroffener muss eine rasche und breitgefächerte (psycho-)therapeutische Hilfe gegenübergestellt werden. Es wird sich zeigen, ob internetbasierte Psychotherapieprogramme zur Schlafverbesserung im Einsatz einen ähnlich guten Erfolg zeigen, wie zivile Studien dies hoffen lassen.
Schlüsselworte: Fatigue, Insomnie, Auslandseinsatz, Bundeswehr, Einsatzbereitschaft
Summary
Sleep is a critical resource for the military, yet it is often undervalued in mission planning and execution. Insufficient sleep can lead to overtired soldiers with reduced readiness for action and increased risk of serious psychiatric illnesses such as addiction, depression, and post-traumatic stress disorder, which are already prevalent during missions. Over the past 20 years, there has been a concerning rise in sleep disorders and fatigue among soldiers, coinciding with an increase in the frequency and intensity of foreign missions. The high prevalence of these issues necessitates rapid and wide-ranging therapeutic interventions. It remains to be seen whether internet-based psychotherapy programs, which have shown promise in civilian studies, could effectively improve sleep during missions.
Keywords: fatigue; insomnia; deployment; Bundeswehr; operational readiness
Einleitung und Hintergrund
Schlaf ist für die militärische Einsatzbereitschaft von entscheidender Bedeutung, wird jedoch bei der Einsatzplanung häufig außer Acht gelassen. Mit Beginn der Kampfhandlungen im Rahmen der Operation Iraqi Freedom kam es zu einem massiven Anstieg der Diagnoseraten klinisch signifikanter Schlafstörungen bei Offizieren und Mannschaften. Dies ging mit einer parallelen Zunahme an psychischen Gesundheitsstörungen einher [15].
Als lebenswichtige Ressource für das Militär sollte Schlaf entsprechend eine hohe Priorität haben. Bekanntermaßen sind militärische Operationen aber in der Regel nicht so ausplanbar, dass Soldatinnen und Soldaten ausreichend Schlaf bekommen, worunter die geistige und körperliche Fitness leidet. Die Folgen unzureichender Schlafplanung und insuffizientem Schlafmanagement wurden im RAND-Report „Sleep in the Military“ hervorgehoben, in dem bei fast 50 % des Militärpersonals Schlafstörungen festgestellt wurden [26].
In einer eigenen Fragenbogenstudie von 2020, bei der wir 1712 Soldaten der Marine, Luftwaffe und einer Kontrollgruppe hinsichtlich Tagesschläfrigkeit befragt haben (ermittelt mittels Epworth-Sleepiness-Scale) zeigten 46,1 % der Teilnehmenden der Marine und 31,3 % der Luftwaffe auffällige Werte, somit mehr als doppelt so häufig Tagesschläfrigkeit im Vergleich zur altersbezogenen Normierungsstudie von Sauter et al. [21] mit 15 %.
Die Problemstellung ist zusammenfassend griffig, gefragt sind nun Lösungsmöglichkeiten. Mit geänderter politischer Sicherheitslage in Europa durch russische Aggressionen und damit neu definiertem militärischem Auftrag werden sich Schlafstörungen und Erschöpfungszustände bei Soldaten häufen.
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die gesamte Leserschaft sowie besonders alle Truppenärztinnen und Truppenärzte für diese (lebens-)wichtige Thematik zu sensibilisieren: Bei der Einsatzplanung, wie auch bei der Durchführung bedarf es ihrer stetigen Einwirkung auf den militärischen Führer bezüglich einer Optimierung des Schlafes.
Begriffsdefinition
Was ist der medizinische Begriff von Erschöpfung? Am treffendsten findet er sich in dem aus dem Lateinischen Fatigatio abgeleiteten Wort Fatigue wieder. Bei der Suche nach einer prägnanten und kurzen medizinischen oder psychologischen Definition von Fatigue im World Wide Web wird deutlich, dass der Begriff viele Facetten beinhaltet und mehr mit wortreichen Umschreibungen als mit einer einheitlichen Definition hinterlegt ist. Auch sind Diagnoseinstrumente zur Erfassung von Fatigue nicht definiert [13].
Hier zwei Definitionsansätze:
„Fatigue ist charakterisiert durch einen Energiemangel von extremem Ausmaß“ [13].
„Fatigue ist das Bewusstwerden einer verminderten Leistungsfähigkeit körperlicher und/oder geistiger Aktivität aufgrund eines Ungleichgewichts in der Verfügbarkeit, Nutzung und/oder Wiederherstellung der zur Ausübung dieser Aktivität erforderlichen Ressourcen. Fatigue tritt auf, wenn dieses System aus dem Gleichgewicht geraten ist – das heißt, wenn nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, entweder weil die Nachfrage oder der Bedarf zu groß ist oder weil die Mechanismen der Nutzung und Wiederherstellung gestört sind.” [1].
Fatigue beschreibt einen Zustand der Müdigkeit (tiredness) oder Erschöpfung (exhaustion), der sich nicht in einer Schläfrigkeit darstellt. Fatigue ist häufig das Resultat einer längeren körperlichen oder geistigen Aktivität. Wenn Fatigue unabhängig von körperlicher oder geistiger Anstrengung auftritt bzw. nach Ruhe oder Schlaf nicht verschwindet, kann dies andere Ursachen haben, beispielsweise eine Krankheit [8].
Es gilt entsprechend zu betonen, dass Fatigue und Schläfrigkeit (ausgelöst z. B. durch Schlafentzug, siehe auch unten) zwei unterschiedliche Zustände beschreiben und verschiedenartig aufgelöst werden müssen. Der schläfrige Soldat nutzt jede sich ergebende Ruhephase, um sich dem Schlafdrang hinzugeben. Der an Fatigue leidende (übermüdete) Patient kann häufig aufgrund einer ausgeprägten inneren Unruhe, trotz der sich ergebenden Möglichkeit, nicht einschlafen.
Klassische militärische Szenarien, die Fatigue zur Folge haben können, sind psychische Traumata wie lebensbedrohliche Feindkontakte oder Geiselnahme. Ein weiteres Phänomen ist die sogenannte „compassion fatigue“, das Erkennen der eigenen Ohnmacht, welche Sanitäter empfinden können, wenn sie der Versorgung verwundeter Soldaten ausgesetzt sind und sich mit der Situation überfordert fühlen [16].
Relevanz von Fatigue, Schläfrigkeit und Schlafstörungen im militärischen Kontext
Militärische Einsätze bedingen eine reduzierte Schlafdauer: Luxton et al. befragten 3152 amerikanische Soldaten im Einsatz Operation Iraqi Freedom hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Schlafdauer. Diese betrug 5,8 Stunden. 43 % der Armeeangehörigen schliefen weniger als 5 Stunden, 11 % weniger als 4 Stunden [11]. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Schlafdauer der Deutschen ab 18 Jahren lag 2022 bei 8 Stunden und 37 Minuten [24].
Eine verkürzte Schlafdauer kann zwei unterschiedliche Gründe haben, teilweise treten diese auch in Kombination auf:
- Die täglichen Aufgaben sind so vielfältig, dass zu deren Erfüllung am Nachtschlaf „geknapst“ werden muss bzw. dass der Nachtschlaf durch militärische Aufträge selbst gestört wird. Dies kann bei ausgeprägtem Schlafdefizit zu Tagesschläfrigkeit führen.
- Belastende Eindrücke und Ängste aus Einsatz-/Kriegsszenarien führen zu ausgeprägten Ein- und Durchschlafstörungen. Die daraus resultierende Übermüdung kann zu einer Fatigue führen bzw. diese auch unterhalten.
Im Folgenden werden diese beiden Kausalitäten differenziert betrachtet.
Schläfrigkeit durch kurzen Nachtschlaf
Bei dieser Gruppe liegen in der Regel keine Schlafstörungen vor. Häufig ist das Gegenteil der Fall: Die Betroffenen sind häufig so erschöpft, dass sie jede Freiminute zum Schlafen nutzen. Von diesem Schlafmangel sind häufig Matrosen, bedingt durch Dienstplansonderheiten, betroffen: Ihr schlafeinschränkendes Schichtsystem mit Wechselschichten – teilweise alle vier Stunden – führt zu einem chronischen Schlafentzug mit daraus resultierender Tagesschläfrigkeit.
Eine maritime Militärstudie beschreibt, dass 31,8 % der Besatzungsmitglieder eines Flugzeugträgers der US Navy (N = 767) über erhöhte Tagesschläfrigkeit berichten, die hauptsächlich auf die kurzen Schlafzeiten zurückzuführen ist [10].
Eine Studie von Russell et al. über selbstberichtete Schlafvariablen bei Matrosen der US-Marine (N = 11 738) zeigt, dass Matrosen an Bord nicht die Schlafmenge bekommen, die sie nach eigenen Angaben benötigen, um sich ausgeruht zu fühlen [20].
Weitere schlafeinschränkende Besonderheiten auf Schiffen sind bordspezifische Gegebenheiten: Lärm, unangenehme Temperaturen und Licht in den Kojen, sowie ungünstige weitere Schlafbedingungen (unbequeme Matratze, Bettgröße, Kissen) sind die am häufigsten genannten unterkunftsbezogenen Faktoren für schlechten Schlaf in einer Analyse von Studien, die von der US Navy durchgeführt wurden [12]. Schiffsbewegungen bei unruhiger See führen zudem zu einer Häufung dieser Schlafunterbrechungen.
Ein- und durchschlafassoziierte Schlafstörungen
Eine Stichprobe von 4 667 amerikanischen, in Afghanistan eingesetzten Soldaten ergab, dass lediglich 31 % nicht von Schlafstörungen betroffen waren. 40 % entwickelten eine Insomnie im Einsatz, von der sie sich im Anschluss erholten, 11 % wiesen eine Schlaflosigkeit sowohl vor als auch nach dem Einsatz auf und 14 % beklagten eine Insomnie während oder kurz nach dem Einsatz, die nicht nachließ [14].
Die Prävalenz diagnostizierter Schlafstörungen unter Veteranen, die in medizinischen Einrichtungen des Veterans Affairs (VA) behandelt wurden, nahm in den Jahren 2012 bis 2018 deutlich zu. So stieg die Häufigkeit der Diagnose Insomnie von 2012 (7,4 %) bis 2018 (11,8 %) um über 40 % an. Folglich wuchs auch die Nachfrage der Veteranen nach schlafmedizinischen Leistungen in dem Zeitraum deutlich, beispielsweise verdreifachte sich fast die Anzahl jährlicher stationärer Termine in Schlaflaboren (< 250 000 im Geschäftsjahr 2012; > 720 000 im Geschäftsjahr 2018) [6].
Weit alarmierender ist folgende Entwicklung: Während der Operation Iraqi Freedom/Operation Enduring Freedom/Operation New Dawn-Phase nahm die Erkrankungsrate einer diagnostizierten Insomnie in allen eingesetzten Teilstreitkräften dramatisch zu. Amerikanische Heeressoldaten wiesen innerhalb dieser 14 Jahre gar eine um den Faktor 120 erhöhte Zahl an Insomnie-Diagnosen auf [4]. Die absoluten Zahlen stiegen von weniger als 3,6 pro 10 000 Personenjahre im Jahr 1998 auf fast 432 pro 10 000 Personenjahre im Jahr 2012.
Interessanterweise manifestiert sich die Schlafstörung bereits Wochen vor Einsatzbeginn: Danker-Hopfe et al. [5] untersuchten die Schlafqualität von 146 deutschen Soldaten 6 Wochen vor dem Auslandseinsatz, ca. drei Monate nach Einsatzbeginn und direkt nach dem Ende des Auslandseinsatzes. Als Kontrollgruppe dienten 118 Soldaten, die nicht für einen Einsatz geplant waren. In der Einsatzgruppe fanden sich bereits vor Einsatzbeginn ca. ein Drittel schlechtere Schläfer (Pittsburgh Schlafqualitäts-Index > 5). Dieses „auffällige Drittel“ zog sich auch über die zwei weiteren Messpunkte (drei Monate nach Einsatzbeginn und direkt nach Ende des Auslandseinsatzes) hinweg.
Angesichts des hohen Einsatztempos seit Beginn des globalen Krieges gegen den Terror im Jahr 2001 sind viele Soldaten mehrfach an aktiven Einsatzorten stationiert. Entsprechend ist mit einer weiteren Häufung von Schlafstörungen in den Operationsgebieten zu rechnen, die auch zwischen den Einsätzen bestehen bleiben werden. Vielerlei Untersuchungen belegen, dass eine Insomnie im Einsatz zudem psychiatrische Erkrankungen triggert: Eine Schlafdauer unter 6 Stunden ist ein unabhängiger Risikofaktor für Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Paniksyndrome, Missbrauch von Alkohol und Suizidgedanken [11]. Dabei bergen bereits Insomniebeschwerden vor dem Einsatz ein signifikant erhöhtes Risiko für oben aufgeführte psychiatrische Diagnosen im Einsatz [7]. Luxton et al. weisen auf die daraus möglicherweise resultierenden zusätzlichen körperlichen und beruflichen Beeinträchtigungen, einschließlich chronischer Schmerzen, Müdigkeit, Unwohlsein, Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen sowie Unfällen am Arbeitsplatz oder beim Autofahren hin [11].
Gefahren von Fatigue und Schlafstörungen während der Einsätze
Fatigue bzw. Schlafstörungen führen zu verminderter physischer und psychischer Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen, Wahrnehmungsbeeinträchtigungen und somit zu einer erhöhten Empfänglichkeit für Fehlerhäufung, die im militärischen Kontext potenziell eine tödliche Gefahr birgt.
Militärische Untersuchungen bezüglich der Gefahren von Fatigue in den Streitkräften gibt es wenig. Hier zwei Publikationen, die sich mit der Thematik beschäftigen:
Fatigue wird als einer der Risikofaktoren für „friendly fire“ benannt. Konkret findet sich in einer Stellungnahme im Zusammenhang mit einem „friendly fire“-Zwischenfall während des Golf-Kriegs, bei dem sechs US-Soldaten getötet und weitere 25 verwundet worden sind, folgendes Zitat [3]: „Fatigue könnte zu dem Problem an diesem Tag beigetragen haben. Die 3. Brigade war bereits mehr als 60 Meilen in den Irak vorgerückt, als die große Schlacht begann“. Den Untersuchungsberichten zufolge waren die Soldaten bis zu 36 Stunden ohne Schlaf“.
Auch bei dramatischen Zwischenfällen der US Navy wird Fatigue im umfassenden Untersuchungsbericht zu diesen Seeunglücken zumindest als Mitursache benannt: Im Jahr 2017 kam es in der US Navy zu drei Kollisionen und einer Grundberührung mit 17 Toten und zahlreichen Schwerverletzten [25].
Wir wissen von zivilen Untersuchungen, dass Schläfrigkeit am Steuer die häufigste feststellbare und vermeidbare Ursache von Verkehrsunfällen ist [27]. Diese Fehlhandlungen auf den Straßen sowie schläfrigkeitsbedingte Fehler in der zivilen Fliegerei und Schifffahrt (siehe nachfolgende Untersuchungen) sind sicherlich auch auf militärische Einsätze zu übertragen.
2017 wurden 328 Piloten von Passagierflugzeugen der Vereinigten Arabischen Emirate hinsichtlich ausgeprägter Fatigue während der Dienstausübung befragt [2]: Diese wurde von 68,3 % bestätigt, 67,4 % berichteten zudem von fatiguebedingten Fehlern im Cockpit, 34,1 % zeigten eine erhöhte Tagesschläfrigkeit (Epworth Sleepiness Scale-Gesamtsummenscore ≥ 10) und 45,1 % waren ohne Absprache mit dem Copiloten eingeschlafen.
Eine Nachuntersuchung von 279 zivilen Schiffsunfällen ergab, dass Fatigue der Seeleute zu 16 % der Schiffsunfälle mit Sachschaden und zu 33 % der Schiffsunfälle mit Personenschaden beitrug [19]. Unzureichende (Schlaf-)Pausen und verlängerte Arbeitszeiten sowie Nachtarbeit führen zu verstärkter Symptomatik.
Therapie der Fatigue
Aus den oben diskutierten Publikationen wird deutlich, welche große Relevanz Fatigue und Schlafstörungen im militärischen Umfeld haben. Je nach Literaturquelle ist bei bis zur Hälfte der Soldaten im Einsatz mit einer relevanten Insomnie zu rechnen. Mit zunehmender Häufigkeit der Einsätze steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Insomnie zu entwickeln, die auch nach dem Einsatz fortbesteht. Die Tatsache, dass Ein- und Durchschlafstörungen bereits in der Normalbevölkerung häufig sind, eine hohe Chronizität zeigen und zudem Therapieresistenz aufweisen, lässt ableiten, dass kurzfristige therapeutische Möglichkeiten bei schwerer betroffenen Soldaten begrenzt sind: In Europa leiden etwa 10 % der Erwachsenen unter einer chronischen Insomnie, ein Großteil der davon in Deutschland Lebenden ist derzeit unterversorgt [9].
Die häufig im Zivilleben verordnete schlafanstoßende Medikation ist für den Soldaten nur im Ausnahmefall eine Option: Mit abendlicher Einnahme eines Hypnotikums muss der Soldat für die nächsten Stunden aus einer Alarmbereitschaft herausgenommen werden, da er im Falle einer notfallmäßigen Aktivierung ggf. nicht adäquat handlungsfähig ist. Zudem ist diese Medikation häufig mit einem Abhängigkeitspotenzial behaftet (Benzodiazepine oder Benzodiazepin-Rezeptoragonisten) und daher nur für die Kurzzeitbehandlung zugelassen. Die frei verkäuflichen Phytotherapeutika haben in der Behandlung von Schlafstörungen eine lange Tradition, evidenzbasiert ergibt sich aber weiterhin eine unzureichende Datenlage. Dies ist auch die Erklärung dafür, dass keine leitlinienbasierte Empfehlung zum Einsatz in der Insomniebehandlung gegeben werden kann [17].
Nach nationalen und internationalen Leitlinien sollte kognitive Verhaltenstherapie (KVT) für Insomnie als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Umfangreiche metaanalytische Literatur belegt, dass KVT bei Patienten mit chronischer Insomnie auch über den eigentlichen Behandlungszeitraum hinaus sehr wirksam ist [18]. Hierfür bedarf es aber einer großen Anzahl von Psychotherapeuten, die Erfahrung mit kriegsgeschädigten Soldaten haben. Alternativ oder ergänzend steht mittlerweile mit guten Studienergebnissen internetbasierte KVT zur Verfügung (beispielsweise digitales Schlafcoaching-Programm der Bundeswehr trainSLEEP [22][23]. Im Falle einer relevanten zusätzlichen schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung (beispielsweise PTBS, Depression, Missbrauch von Alkohol und Suizidgedanken), die bei an Insomnie erkrankten Soldaten häufiger als Komorbidität gesehen wird (s.o.) [11], bedarf es primär eines individuellen Psychotherapeutenkontaktes.
Notfallmaßnahmen für den militärischen Führer vor Ort
Erkennt der militärische Führer vor Ort einen aufgrund Fatigue oder Schläfrigkeit akut gefährdeten Soldaten, muss er diesen umgehend aus seiner Funktion herauslösen. Sollte ein Truppenarzt vor Ort kurzfristig nicht zur Verfügung stehen, sollte der betroffene Soldat zumindest in Kontakt mit Notfallsanitätern gebracht werden. Nach deren Maßgabe erfolgt dann eine Akutbehandlung mit Hypnotika (Schlafmitteln) und eine zumindest passagere Repatriierung.
Was sind Zeichen einer relevanten Übermüdung, die von Dritten erkannt werden können?
- Der Geist des Soldaten schweift in Gesprächen ab, einer Unterhaltung kann nicht gefolgt werden.
- Gelesenes kann nur schwer wiedergegeben werden.
- Eine Ansprache von Mitmenschen wird überhört.
- Der Betroffene weist Zeichen der Überforderung auf, alltägliche Dinge gelingen nicht.
- Es finden sich Lustlosigkeit und fehlende Entscheidungsfreude.
- Das Denken fällt schwer, die Konzentration nimmt ab.
- Es kommt zu verstärkter Gleichgültigkeit.
- Innere Unruhe und Anspannung kommen auf.
- Augenlider werden schwer.
Achtung – Übermüdung als Kraftfahrer!
Beim Vorliegen folgender Warnsignale ist die Fahrtauglichkeit unmittelbar in Frage zu stellen und muss akut geprüft werden:
- Es gibt Probleme beim Halten der Spur, Überfahren des Seitenstreifens.
- Der Blick haftet starr auf der Fahrbahn.
- Es besteht eine eingeschränkte Erinnerung an die letzten gefahrenen Kilometer.
- Straßenschilder werden übersehen, Abzweigungen oder Ausfahrten verpasst.
- Unabsichtliche Geschwindigkeitswechsel werden durchführt.
- Es kommt zu häufigem Gähnen und Frösteln.
- Vermehrter Lidschlag bzw. unwillkürlicher Augenschluss treten auf.
Die oben beschriebenen Zeichen einer relevanten Übermüdung sollten breit gefächert geschult werden und unter den Soldaten allgemein bekannt sein.
Prävention der Fatigue
Ein Review von Mysliwiec et al. beschreibt sehr detailliert die Möglichkeiten einer Fatigueprävention [15]: Ein „Military Sleep Management“ soll in Phasen unzureichenden Schlafs, die während anhaltender Operationen unvermeidbar sind, für ausreichenden Erholungsschlaf und minimierte Schlafverluste sorgen. Die Voraussetzung für diese Lösungsstrategie ist aber, dass der Soldat so zur Ruhe kommen kann, dass er während Operationspausen auch wirklich Schlaf findet. Dies ist bei Insomnikern keineswegs selbstverständlich. Sehr wichtig sind die weiteren von Mysliwiec et al. angeführten Punkte [15]: So propagiert die Arbeitsgruppe die Einbettung von Schlaferziehung und -management in die militärische Ausbildung, die Soldaten einerseits helfen soll, angemessene Schlafpraktiken zu entwickeln, den Schlaf während des Einsatzes zu verbessern und so direkt die Einsatzbereitschaft zu steigern. Andererseits soll mit diesen Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit verringert werden, dass Soldaten während des Einsatzes Schlaf- und Verhaltensstörungen entwickeln, wodurch die Gesundheit der Truppe verbessert und die allgemeinen Gesundheitskosten für das Militär gesenkt werden können. Dafür soll das Schlafmanagement in der Verantwortung des Kommandanten angesiedelt werden und es soll bei Einsätzen die gleiche Wertigkeit bekommen wie die ausreichende Nahrung- und Wasserversorgung. Zusätzlich sollen in der Schlaferziehung, Schlafplanung und im Schlafmanagement ausgebildete Soldaten dem Kommandeur direkt beratend zur Seite gestellt werden. Abbildung 1 vermittelt Eindrücke vom Projekt „Lichtmanagement“ der US-Marine: Blaulicht-emittierende Brillen sollen die Wachsamkeit von Matrosen an Bord verbessern.
Abb. 1: Projekt Lichtmanagement der US-Marine, Crew Endurance Team, Naval Postgraduate School, Monterey, CA, USA: Um die Wachsamkeit zu verbessern, trugen Matrosen auf einem Zerstörer der US-Marine nach dem Aufwachen Brillen mit hochenergetischem (High Energy Visible) Licht (Bild 1a). Um ihnen beim Einschlafen zu helfen, erhielten die Matrosen blaulichtblockierende Brillen, die sie nach Schichtende und vor dem Zubettgehen tragen mussten (Bild 1b).
Bildquellen: Bild 1a: National Geographic (https://www.nationalgeographic.com/magazine/article/science-of-sleep), Bild 1b: Crew Endurance Team, Naval Postgraduate School, Monterey, CA, USA
Fazit
Erholsamer Schlaf ist neben Essen und Trinken ein Grundbedürfnis des Menschen. Leider ist dieser bei Soldaten im Einsatz häufig nicht gegeben. Das Resultat ist eine in der Einsatzbereitschaft geschwächte Armee. Bereits bei der Einsatzplanung muss an stetiger Optimierung gearbeitet werden. Schlafspezialisten können hierbei beratend tätig werden. Zudem bedarf es psychotherapeutisch geschultes Personal, dass die Einsätze begleitet und Lösungen vor Ort findet. Es wird sich zeigen, ob internetbasierte Psychotherapieprogramme zur Schlafverbesserung im Einsatz einen ähnlich guten Erfolg zeigen, wie zivile Studien dies hoffen lassen.
Kernaussagen
- Mit Häufung der Auslandseinsätze steigt die Anzahl von Schlafstörungen überproportional.
- Chronische Insomnien sind der Nährboden für müdigkeitsbedingte Fehlhandlungen, Fatigue und daraus resultierende ernsthafte psychiatrische Erkrankungen.
- Schlaf muss bereits bei der Einsatzplanung im Fokus stehen.
- Soldatinnen und Soldaten mit relevanter Insomnie bzw. Fatigue müssen identifiziert werden und zeitnahe professionelle Hilfe durch Psychotherapeuten erhalten.
- Begleitende internetbasierte Psychotherapieprogramme sind als Option für die Zukunft denkbar.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stark R, Vortkamp U: Schlaf ist so wichtig wie tägliches Essen und Trinken: Aspekte von Erschöpfung und Schlafstörungen während Einsätzen. WMM 2024; 68(10): 427-432.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-355
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik IX – Neurologie
Lesserstr. 180, 22049 Hamburg
E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Stark R, Vortkamp U: [Sleep is as Important as Eating and Drinking:
Considerations regarding Fatigue and Sleep Disorders during Missions.] WMM 2024; 68(10): 427-432.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-355
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Reinhard Stark, MD
Bundeswehr Hospital Hamburg, Department IX –Neurology
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E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org