Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr:
Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz
The Post-COVID Syndrome in the Bundeswehr: One Year of Post-COVID Study at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz – an Interim Analysis and Assessment of its Relevance from a Military Medicine Perspective.
Leonard Stratmanna, Frank Müllerb, Manuela Andrea Hoffmanna
a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik IA – Innere Medizin
Zusammenfassung
Das „Post-COVID-Syndrom“, bei dem Betroffene auch Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion noch anhaltende Beschwerden zeigen, war im Jahr 2020 zunächst eine mediale Erscheinung, bis sich mit steigender Fallzahl Definition und Abgrenzung von Long- und Post-COVID nach den NICE-Richtlinien etabliert hatten. Die genaue Pathophysiologie ist weiterhin unklar, weshalb auch keine spezifische Diagnostik und Behandlungsoptionen vorhanden sind. Das Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz bot, wie auch andere Bundeswehrkrankenhäuser, seit dem Frühjahr 2021 eine Spezialsprechstunde Long-/Post-COVID an. Begleitend wurde seit September 2022 eine prospektive Datenerhebung durchgeführt, woraus eine Teilauswertung mit n = 50 hier vorgestellt wird.
Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Patientinnen und Patienten in der Post-COVID-Sprechstunde vor allem mit Fatigue, Leistungsminderung, Dyspnoe, Konzentrationsstörungen und Schlafproblemen vorstellig werden. Psychische Begleitsymptome sind häufig, besonders finden sich Hinweise auf Depression, Somatisierungs- und Angststörungen. Die apparative Diagnostik zeigt in den meisten Fällen unauffällige Befunde. Dies unterstreicht die bekannten Schwierigkeiten in der Diagnostik. Zur Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz erfolgte außerdem eine Datenbankabfrage von Eintragungen der Krankenkarten im Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr für die Jahre 2017–2022. Hier zeigt sich ein Aufstieg der ICD U 09.9! (Post-COVID-19-Zustand) auf Platz 3 der Erkrankungen mit langer Krankschreibungsdauer von > 28 Tagen im Jahr 2022.
Unsere Studie weist erneut auf die Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung des Post-COVID-Syndrom hin, betont die Notwendigkeit einer interdisziplinären Herangehensweise und hebt die psychosozialen Aspekte der Erkrankung hervor. Die wehrmedizinische Relevanz wird durch die steigende Prävalenz unterstrichen.
Schlüsselwörter: Post-COVID, Long-COVID, Diagnostik, Biopsychosoziale Medizin, Gesundheitsversorgung
Summary
The „Post-COVID Syndrome,” where individuals continue to experience symptoms months after a SARS-CoV-2 infection, initially gained media attention in 2020. With increasing cases, the definition and differentiation of Long- and Post-COVID according to NICE guidelines was established. The exact pathophysiology remains unclear, leading to a lack of specific diagnostics and treatment options. Like other Bundeswehr hospitals, the Bundeswehr Central Hospital in Koblenz has offered a specialized consultation for Long-/Post-COVID since spring 2021. Prospective data collection has been ongoing since September 2022, and a partial analysis with n=50 is presented now.
Preliminary results indicate that patients in the post-COVID clinic primarily present with symptoms such as fatigue, reduced physical or cognitive performance, dyspnea, concentration disturbances, and sleep disorders. Indications of psychiatric comorbidities are common, particularly for depression, somatic symptom disorder, and anxiety disorders. Apparated diagnostics mostly show normal findings, emphasizing the known difficulties in diagnosis. To assess its relevance for the Bundeswehr, a database query of entries in the medical records at the Bundeswehr Institute of Preventive Medicine for the years 2017–2022 was conducted. The results show a rise in ICD U 09.9! (Post-COVID-19 condition). It is in third place among diseases with a long sick leave duration (> 28 days) in 2022.
Our study once again highlights the challenges in diagnosing and treating the post-COVID syndrome, underscores the need for an interdisciplinary approach, and emphasizes the psychosocial aspects of the condition. The increasing prevalence underscores the relevance for the Bundeswehr.
Keywords: post-COVID; long-COVID; diagnostics; biopsychosocial medicine; health care
Einleitung und Hintergrund
Bereits im Sommer 2020 gab es mediale Berichte im deutschsprachigen Raum über ein „Post-COVID-Syndrom“, bei dem Betroffene zum Teil noch Monate nach einer SARS-CoV-2 Infektion über anhaltende Symptome berichteten. Zur Vereinheitlichung im klinischen wie auch wissenschaftlichen Sprachgebrauch setzte sich die Definition und Abgrenzung von Long- und Post-COVID nach den Richtlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) durch [15]. Diese definiert „Long COVID“ als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von 4 Wochen fortbestehen oder neu auftreten. Als Post-COVID-Syndrom werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als 12 Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können.
Ausgehend von der Präsentation sehr heterogener Symptome und der unklaren Ätiologie des Post-COVID-19 Syndroms entwickelte sich ein vitales Forschungsfeld, was sich in der nach wie vor steigenden Anzahl an Publikationen zeigt. Auch im Jahr 2023 ist die Pathophysiologie weiter unklar. Diskutiert werden unter anderem Autoimmunphänomene, endotheliale Dysfunktion, latente Viruspersistenz und Veränderungen des Mikrobioms [3]. Neben der Suche nach biologischen Veränderungen gibt es Hinweise, dass gerade anhaltende kognitive Einschränkungen und Fatigue nach einer SARS-CoV-2-Infektion mit einer hohen psychosozialen Vulnerabilität und psychiatrischen Begleiterkrankungen zusammenhängen könnten [2][7][12]. Eine Abgrenzung zum chronischen Fatigue-Syndrom fällt in vielen Fällen schwer [13].
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie hat die Federführung zur Ausarbeitung einer fachübergreifenden S1-Leitlinie „Post-/Long-COVID“ mit zahlreichen weiteren Fachgesellschaften übernommen. Demnach bleibt das Post-COVID-Syndrom eine Ausschlussdiagnose. Für die Behandlung von Post-/Long-COVID wird hier eine generalistisch-interdisziplinäre Herangehensweise mit Blick auf den ganzen Menschen, sowie eine Kontinuität der Versorgung gefordert [1].
Die Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) mit ihren verschiedenen Fachabteilungen reagierten auf den steigenden Bedarf und boten seit Beginn des Jahres 2021 spezielle Sprechstunden mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Die ambulante Gesundheitsversorgung der Bundeswehr sollte so zum einen entlastet werden und zum anderen sollten die diagnostischen Möglichkeiten der Krankenhäuser gezielt eingesetzt werden. Den Truppenärztinnen und -ärzten kommt hierbei eine wichtige Steuerungsfunktion zu. Diese sind erste Anlaufstelle für erkrankte Soldatinnen und Soldaten und überweisen bei gegebener Indikation in die Spezialsprechstunden. Nach umfangreicher Anamnese und internistischer Differenzialdiagnostik werden hier konsiliarisch weitere Fachabteilungen zu Rate gezogen, um gegenüber dem Truppenarzt/der Truppenärztin eine fundierte Behandlungsempfehlung abgeben zu können.
Da wie beschrieben – nach den Maßstäben einer evidenzbasierten Medizin – wenig gesicherte Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapie des Ende 2020 durch die Weltgesundheitsorganisation eingeführten „Post-COVID-19-Zustand“ (ICD U09.9!) bekannt war, wurde im Rahmen der Sprechstunde eine Ausschlussdiagnostik durchgeführt, die sich auf Anamnese, körperliche Untersuchung sowie apparative- und laborchemische Diagnostik stützte. Das Basis-Untersuchungsprogramm ist Tabelle 1 zu entnehmen.
Tab. 1: Relevante Studienparameter des Basis-Untersuchungsprogrammes der Post-COVID-Sprechstunde.
Genutzte Abkürzungen: LDH = Laktatdehydrogenase, CK = Creatinkinase, hscTnT = high sensitive cardial Troponin T, NTproBNP = N terminales pro brain natriuretic peptide, CRP = C-reaktives Protein, PCT = Procalcitonin, IL-6 = Interleukin 6
1 Sofern nicht eine aktuelle (<6 Monate) gleichwertige Untersuchung ohne Anzeichen für einen zwischenzeitlichen Befundwandel vorlag
² Aufgrund von Lieferengpässen von Ersatzteilen konnte diese Untersuchung teilweise nicht am Vorstellungstag durchgeführt werden
Zur Evaluation dieser Maßnahmen und zum allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn wurde eine prospektive Datenerhebung mittels mehrfacher Onlinebefragung (Online Erstbefragung und bis zu 3 Follow-Up Befragungen, Projekt 1) und anthropometrischen, sowie medizinischen Messwerten aus der Sprechstunde (Projekt 2) geplant und durchgeführt. Hier möchten wir Daten aus dem Projekt 2 vorstellen. Die wehrmedizinische Relevanz wird darüber hinaus mit einer Analyse der häufigsten ICD-10-Diagnosen lang andauernder Erkrankungen von Soldatinnen und Soldaten für die Jahre 2017–2022 ergänzt.
Daten und Methoden
Die Patientinnen und Patienten wurden im Rahmen des ärztlichen Erstkontaktes aufgeklärt und erteilten schriftlich ihre Einwilligung zur freiwilligen Studienteilnahme. Bei Nicht-Teilnahme entstand ihnen im Rahmen der Sprechstunde kein Nachteil in der weiteren Behandlung. Es folgte ein ausführliches Anamnesegespräch und eine Durchführung des in Tabelle 1 dargestellte Basis-Untersuchungsprogramms. Die hiervon für die Studie relevanten Parameter und Untersuchungsergebnisse wurden pseudonymisiert erfasst. Sollten in den beschriebenen Untersuchungen pathologieverdächtige Befunde erhoben worden sein, wurden indikationsabhängig weitere Untersuchungen im Sinne einer Stufendiagnostik durchgeführt.
Weiterhin wurden mittels Patient Reported Outcome Measurements (PROMS) die Fatigue-Assessment-Scale (FAS) [16], der COPD-Assessment-Test (CAT) [8], Modified Medical Research Council (mMRC) Grad [10], sowie ein Screening auf psychische Begleitsymptomatik [1] durchgeführt und die Ergebnisse ebenfalls pseudonymisiert erfasst. Abbildung 1 (Infobox) bietet Erläuterungen zu den genutzten PROMS. Das Vorhaben wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz (Antrag 2021–16244) vorab geprüft und genehmigt.
Abb. 1: Infobox zu den angewendeten PROMS
Der Ergebnisbericht erfolgt hier deskriptiv. Von Angaben aus PROMS wurden die Mittelwerte zwischen Patientengruppen mit bzw. ohne Angabe eines Leitsymptoms mittels t-tests auf signifikante Unterschiede überprüft. Hierzu wurde ein Signifikanzniveau von α = 0.05 zugrunde gelegt.
Für die Analyse der häufigsten Krankschreibungsgründe in der truppenärztlichen Sprechstunde in den Jahren 2017–2022 sowie der gemeldeten Post-COVID-Diagnosen von Soldatinnen und Soldaten wurde eine anonymisierte Datenbankabfrage im InstPrävMedBw durchgeführt, wo Informationen über alle Krankschreibungen1 digitalisiert und für den gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum gespeichert werden. Diese Auswertung wurde von Krankschreibungen aufgrund von akuten Verletzungen des Bewegungsapparates bereinigt, da die Relevanz von Post-COVID im Vergleich zu weiteren Erkrankungen untersucht werden sollte.
1 Wird ein Soldat/eine Soldatin krankgeschrieben (von allen Diensten befreit), so erstellt der zuständige Truppenarzt hierzu eine Meldung (Krankenkarte), die an das InstPrävMedBw übermittelt und dort digitalisiert erfasst wird. Die Krankenkarte enthält den ICD-Schlüssel der zur Krankschreibung führenden Erkrankung(en).
Statistik
Für die 15 häufigsten ICD-Diagnosen der Jahre 2017–2022 wurden deskriptive Statistiken mit Odds sowie Odds-Ratios (OR) erstellt. Hierzu wurde aus den gemeldeten absoluten Zahlen in Verbindung mit der gemeldeten Ist-Stärke (Anzahl der truppenärztlich zu betreuenden Soldaten einer Sanitätseinrichtung) an den Standorten die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die jeweilige Diagnose im Bezugsjahr berechnet. Diese Wahrscheinlichkeit (Odds) wurde für jede der Diagnosen über die Zeiträume 2017–2019, sowie 2020–2022 gemittelt. Aus den Mittelwerten wurde die OR der einzelnen Diagnosen im Vergleichszeitraum errechnet.
Ergebnisse
Teilauswertung Post-COVID-Studie des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz
Betrachtet wird eine Zwischenauswertung von 18 Patientinnen und 32 Patienten (N = 50) im Vorstellungszeitraum 09/2022 bis 05/2023. Die Altersspanne reichte von 19 bis maximal 60 Jahren. Der durchschnittliche BMI lag bei 25,4 (SD 3,4) für Frauen und bei 28,2 (SD 3,9) für Männer (Tabelle 2). Nach BMI-Kriterien galten 7/18 Patientinnen (39 %) und 24/32 Patienten (75 %) als übergewichtig.
Tab. 2: Fallübersicht der Zwischenauswertung mit 50 Teilnehmenden, Vorstellung im Zeitraum 09/2022 bis 05/2023
Abbildung 1 zeigt, dass 46/50 (92 %) der Patientinnen und Patienten sich in einem Abstand > 90 Tage post infectionem mit dem SARS-CoV-2 erstmalig in der Post-COVID-Sprechstunde des BwZKrhs Koblenz vorstellten und somit formal das Grundkriterium des Post-COVID Zeitraumes nach den NICE-Richtlinien [15] erfüllten.
4/50 (8 %) der Patientinnen und Patienten stellten sich in einem Abstand < 90 Tage nach Infektion erstmalig vor und befanden sich somit im Long-COVID-Zeitraum nach den NICE-Richtlinien. Die früheste Vorstellung erfolgte bereits 34 Tage, die späteste Vorstellung 390 Tage post infectionem. Der Median lag bei 182 Tagen, der Mittelwert bei 195 Tagen (SD 89 Tage) nach dem Infektionsereignis.
3/50 (6 %) der Patientinnen und Patienten mussten im Rahmen der Akutinfektion stationär behandelt werden. Die restlichen 47/50 (94 %) benötigten maximal eine ambulante truppenärztliche Behandlung mit einer symptomorientierten medikamentösen Therapie. Einige Patientinnen und Patienten des Kollektivs hatten eine oder mehrere Vorerkrankungen. Die anamnestisch häufigsten waren hier bei 9/50 (18 %) eine arterielle Hypertonie, 3/50 (6 %) ein Asthma bronchiale und 1/50 (2 %) eine koronare Herzerkrankung. Insgesamt gaben 12/50 (24 %) der Patientinnen und Patienten Vorerkrankungen an.
Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in der Post-COVID-Sprechstunde waren die fünf häufigsten anamnestischen Symptome eine allgemeine Leistungsminderung bei 40/50 (80 %), Fatigue bei 35/50 (70 %), Dyspnoe bei 20/50 (40 %), Konzentrationsstörungen bei 17/50 (34 %) und Schlafstörungen bei 10/50 (20 %).
Der durchschnittliche FAS-Score bei Anamnese ohne subjektive Fatigue (n = 11) lag bei 22 (SD 6,2), bei Anamnese mit Fatigue (n = 29) bei 33 (SD 6,7). Der Unterschied im Mittelwert ist statistisch signifikant (p < 0,05). Bei 10/50 (20 %) fehlte eine Angabe.
Einen mMRC-Grad ≥ 2 (modified Medical Research Council, Skala zum Assessment des Schweregrades einer Dyspnoe bei COPD-Patienten) gaben 7/23 (30 %) der Patientinnen oder Patienten an, die anamnestisch keine Dyspnoe angaben, sowie 6/18 (33 %), die anamnestisch über Dyspnoe klagten. Der Unterschied der Mittelwerte war statistisch nicht signifikant. Von 9/50 (18 %) fehlte eine Angabe.
Abb. 2: Abstand vom Zeitpunkt der nachgewiesenen SARS-CoV-2 Infektion bis zur Erstvorstellung in der Post-COVID-Sprechstunde des BwZKrhs Koblenz
Einen CAT-Score ≥ 20 gaben 9/24 (38 %) der Patientinnen oder Patienten ohne anamnestische Dyspnoe, sowie 10/19 (53 %) mit anamnestischer Dyspnoe an. Der Unterschied der Mittelwerte war statistisch nicht signifikant. Von 7/50 (14 %) fehlte eine Angabe.
Der Anteil an pathologischen Befunden der apparativen Diagnostik oder der eingeholten Fachkonsile lag für Echokardiographien bei 3/42 (7 %), kardiale Magnetresonanztomographien (MRT) bei 0/6 (0 %), computertomographische (CT) Untersuchungen des Thorax bei 2/4 (50 %) und für Fachkonsile Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde bei 1/4 (25 %) sowie Neurologie bei 0/1 (0 %).
Bei Lungenfunktionsuntersuchungen mittels Bodyplethysmographie und Messung des Kohlenmonoxid(CO)-Transferfaktors fanden sich bei 5/45 (11 %) Untersuchungen auffällige Befunde. Die Auffälligkeiten waren hier alle auf einen reduzierten CO-Transferfaktor (≤ 70 % DLCO, Diffusing capacity of the lung for carbon monoxide) zurückzuführen. Vier der fünf auffälligen Untersuchungen fanden sich bei Patientinnen und Patienten, die anamnestisch über Dyspnoe berichteten.
Laborchemisch zeigten sich überwiegend Befunde innerhalb der laborspezifischen Normwerte bzw. mit minimalen und unspezifischen Abweichungen von diesen. Am häufigsten fand sich bei 6/50 (12 %) eine isolierte leichte HyperCKämie (persistierende Kreatinkinase-Erhöhung im Blut), die in allen Fällen auf vorangegangene körperliche Belastung zurückzuführen war.
Hinweise auf eine psychische Begleitsymptomatik im eingesetzten Screening fanden sich bei 35/50 (70 %) der Patientinnen und Patienten. Am häufigsten war ein positives Screening auf Depression bei 32/50 (64 %), Somatisierungsstörung bei 21/50 (42 %) und Angststörung bei 16/50 (32 %). Weitere Fragen des Screenings bezogen sich auf Zwangsstörungen 7/50 (14 %), Posttraumatische Belastungsstörungen 4/50 (8 %) und Anpassungsstörungen 2/50 (4 %). In 13/50 (26 %) der Fälle wurde eine Trias aus positivem Screening für Depression, Somatisierungs- und Angststörung gefunden.
Die häufigsten, bereits durch die Truppenärztin/den Truppenarzt eingeleiteten Therapien waren bei 10/50 (20 %) eine inhalative Therapie mittels ß-Sympathomimetika und/oder Corticosteroiden sowie bei 7/50 (14 %) physiotherapeutische Verordnungen zur Atemtherapie und/oder Krankengymnastik am Gerät.
Auswertung Datenbankabfrage des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr, Abteilung B
Die ICD U09.9! (Post-COVID-19-Zustand) wurde im November 2019 eingeführt. In Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von mindestens einem Tag wurden eine (2020), 192 (2021) und 1 134 (2022) entsprechende Diagnosen gemeldet. In 102 (2021) und 582 (2022) Fällen trat die Diagnose in Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen auf. Zusätzlich wurde ICD G93.3 (Chronisches Fatigue-Syndrom) mit ≥ 1 Tag Krankschreibung erfasst.
Zur Einordnung der Zahlen wurde eine Auflistung der 15 häufigsten gemeldeten ICD-Diagnosen, bereinigt um akute Verletzungen des Bewegungsapparates, in Verbindung mit einer Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen erstellt (Tabelle 3). Die entschlüsselten Diagnosen können der Tabelle entnommen werden.
Tab. 3: Klarnamen der untersuchten ICD-Codes
Aus den absoluten Zahlen wurde in Verbindung mit der gemeldeten Ist-Stärke die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die jeweilige Diagnose im Bezugsjahr berechnet. Diese Wahrscheinlichkeit (Odds) wurde für die jeweilige Diagnose über die Zeiträume 2017–2019, sowie 2020–2022 gemittelt. Aus den Mittelwerten wurde die OR (Odds-Ratio) der einzelnen Diagnosen im Vergleichszeitraum errechnet (Tabelle 4 und Abbildung 3). Eine höhere OR im Zeitraum 2020–2022 zeigte sich (Sortierung nach Effektstärke von groß nach klein) für die Diagnosen F33, F41, F32, F43, F10. Eine niedrigere OR für die Diagnosen A09, L05, F48, Z73, J06, O26, M54, M23, M51, M25).
Tab. 4.: Untersuchte ICD bezogen auf die Int-Stärke (g)
Abb. 3: Odds-Ratio 2020–2022/2017–2019: Bei den TOP-15 ICD-Diagnosen der Jahre 2017–2022, bereinigt um akute Verletzungen, ist im Zeitraum 2020–2022 gegenüber 2017–2019 eine höhere Odds-Ratio für einige F-Diagnosen erkennbar.
Um die Wahrscheinlichkeit eine der genannten ICD-Diagnosen im Vergleichszeitraum 2017–2019 und 2020–2022 zu erhalten, wurde aus den gemeldeten Zahlen (A) des InstPrävMedBw in Bezug auf die Ist-Stärke (g) des Meldejahres berechnet. Hieraus konnte die Odds-Ratio 2020–2022/2017–2019 (Abbildung 4) gebildet werden.
Auffällig ist der Anstieg der Diagnosehäufigkeit G93.3 (chronisches Fatigue-Syndrom) im Jahre 2022.
Schlussfolgerungen
Nach einem Jahr der Datenerhebung in der Post-COVID-Sprechstunde am BwZKrhs Koblenz betrachten wir eine Kohorte, die aufgrund der Zugangsbeschränkungen zur Sprechstunde (nur für Soldatinnen und Soldaten) die zu erwartende Geschlechts- und Altersstruktur mit mehr Männern als Frauen und einem Alter zwischen 17 und 65 Jahren aufweist. Diese weicht von zivilen Patientenkollektiven ab [14]. Ebenso zeigt sich in unserer Auswertung eine niedrige Hospitalisierungsrate während der Akutinfektion mit SARS-CoV-2 für ein Post-COVID-Kollektiv von 6 % und ein ebenfalls niedriger Prozentsatz an bekannten Vorerkrankungen (24 %). Generell ist ein Vergleich der Studienergebnisse mit anderen Kollektiven schwierig, da sich die untersuchten Kohorten hinsichtlich Größe, Selektionsprozess und Symptomerfassung unterscheiden.
Zur publizierten Literatur passend lassen sich die häufigsten genannten Symptome bei der Erstvorstellung mit Verdacht auf ein Post-COVID-Syndrom, in eines der Cluster Belastungseinschränkung, Fatigue und/oder kognitive Dysfunktionen einordnen, wobei Überschneidungen häufig vorkommen [6].
Der Versuch, die Symptomlast mittels PROMS, die jeweils lediglich für andere Grunderkrankungen wie Sarkoidose (FAS) oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (CAT-Score, mMRC) validiert wurden, zu quantifizieren, offenbart eine Überschätzung der Symptomschwere durch die Patientinnen und Patienten. So gaben ähnlich viele Patientinnen und Patienten (19/50 oder 38 %) einen mMRC ≥ 2 oder CAT-Score ≥ 20 an, unabhängig davon, ob sie subjektiv über Dyspnoe berichteten oder nicht. Ein CAT-Score ≥ 20 entspricht einer schweren Beeinträchtigung im Alltag durch die Luftnot, ab 30 Punkten wäre man überwiegend bettlägerig. In der durchgeführten Lungenfunktionsdiagnostik in Ruhe fanden sich jedoch nur in 11 % der Fälle Auffälligkeiten. Die meisten Betroffenen haben also lediglich Einschränkungen bei solchen Belastungen, die über das Führen der Alltagsgeschäfte hinausgehen. Diese könnten im Rahmen einer Spiroergometrie gegebenenfalls erfasst und quantifiziert werden. Die Methode ist jedoch apparativ- und personell aufwendig und erfordert ein hohes Maß an Mitarbeit von den Betroffenen.
Gerade die Kommunikation von unauffälligen Befunden im Rahmen einer Befundbesprechung ist für die Betroffenen wichtig, da sie vielfach dazu beitragen, Ängste zu reduzieren und Hemmnisse gegenüber einer aktiven Rehabilitation abzubauen.
Die S1-Leitlinie zum Post-COVID-Syndrom empfiehlt im Rahmen der Diagnostik bei Verdachtsfällen ein Screening auf psychiatrische Begleiterkrankungen. Dieses wurde ebenfalls in der Sprechstunde durchgeführt. Hierbei ist ein hoher Anteil an positiven Screening-Ergebnissen in der Kohorte auffällig. In 70 % der Fälle liegen Hinweise auf eine psychiatrische Begleiterkrankung vor. Eine häufige Trias besteht aus Hinweisen auf eine Depression, Somatisierungs- und Angststörung. Es ist unklar, inwiefern Hinweise darauf auch schon vor der Infektion mit SARS-CoV-2 vorlagen. Zur Abschätzung der wehrmedizinischen Relevanz von Post-COVID in der Bundeswehr wurde die beschriebene Datenbankabfrage der häufigsten ICD-Diagnosen im InstPrävMedBw durchgeführt (Abbildung 4). Hier zeigt sich für den Vergleichszeitraum 2020–2022 gegenüber 2017–2019 (vor COVID-19) ein Anstieg der Erkrankungswahrscheinlichkeit der Diagnosen F33 (Rezidivierende depressive Störung, OR 2,31), F41 (Andere Angststörungen, OR 1,45), F32 (Depressive Episode, OR 1,11), F43 (Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, OR 1,09) und F10 (Psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol, OR 1,05). Neben direkten biologischen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion sind sicherlich psychosoziale Faktoren zu diskutieren, die zur Entwicklung eigenständiger psychischer Erkrankungen geführt haben könnten und ebenso Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sein könnten [4][5][9].
Nach Platz 6 der Diagnosen im Jahr 2021, die zu einer langen Krankschreibungsdauer von ≥ 28 Tagen von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr führten, erreichte das Post-COVID-Syndrom hier im Jahr 2022 bereits Platz drei. Inwiefern sich dieser Trend fortsetzen wird, bleibt abzuwarten. Weiter zeigt sich in den Jahren 2021 und 2022 ein deutlicher Anstieg der Diagnose G93.3 (Chronisches Fatigue-Syndrom), (Tabelle 4), welche erfahrungsgemäß bei Erfüllen der hier umfangreichen diagnostischen kanadischen Konsensus-Kriterien auch für Post-COVID-Fälle vergeben wurde und vorwiegend Fälle mit hoher Symptomlast und funktioneller Einschränkung im Alltag betrifft. Wir müssen aktuell also von einer hohen wehrmedizinischen Relevanz ausgehen, zumal unklar ist, wie die Beschwerden schnellstmöglich gelindert werden können und wie die Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb bestmöglich gelingt.
Insbesondere die letztgenannten Punkte sollten Fokus zukünftiger Untersuchungen sein und erfordern einen strukturierten, sektorübergreifenden Ansatz unter Einbezug des ambulanten Gesundheitssektors der Bundeswehr, der Heilfürsorge, der Bundeswehrkrankenhäuser und Forschungseinrichtungen mit thematischer Schnittmenge.
Limitationen
Der Versuch, aus den Daten der Krankenkarten, die dem InstPrävMedBw gemeldet wurden, eine administrative Jahresprävalenz abzuleiten, birgt die Gefahr einer massiven Unterschätzung. In die genutzte Statistik können aufgrund der Erfassungssystematik nur Post-COVID-Fälle eingehen, die zu einer Krankschreibung von mindestens einem Tag geführt haben. Dies würde voraussetzen, dass sich alle Soldatinnen und Soldaten mit einer gesundheitlichen Einschränkung nach einer SARS-CoV-2 Infektion ärztlich vorstellten und in der Folge nicht verwendungsfähig mit Status „krank zu Hause“ oder „krank auf Stube“ geführt wurden. Die mutmaßlich zahlreichen Fälle, in denen vorhandene Beschwerden nicht zu einer ärztlichen Vorstellung geführt haben oder lediglich in einer eingeschränkten Verwendungsfähigkeit (z. B. Marsch-Sport-Geländedienst-Befreiung) resultierten, konnten nicht erfasst werden. So ist zu erklären, dass die rechnerische Prävalenz von Post-COVID (U09.9) für das Jahr 2022 bei nur 0,6 % aller Soldatinnen und Soldaten liegt. Im Vergleich hierzu wird in einer Studie aus Deutschland die Häufigkeit von Post-COVID-19 im Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion auf mindestens 6,5 % bei überwiegend nicht hospitalisierten Patientinnen und Patienten geschätzt, wenn neben den berichteten Symptomen auch Einschränkungen der alltäglichen Leistungs- und Funktionsfähigkeit berücksichtigt werden [11]. Analysen aus routinemäßig erhobenen Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen gelangen in den vier Abrechnungsquartalen im Jahr 2022 mit 7 % bis 13 % zu etwa größenordnungsmäßig ähnlichen Einschätzungen der Häufigkeit eines Post-COVID-19-Zustands [17]. Allerdings sind bei der Betrachtung von Soldatinnen und Soldaten die Altersbänder 0–16 sowie ab 66 Jahren ausgeklammert, was einen Teil der abweichenden Prävalenz zu erklären vermag.
Zudem erfolgte zwar die vollständige Erfassung der Krankenkarten im InstPrävMedBw für das Jahr 2022, die Validierung ist jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen, weshalb noch geringfügige Korrekturen der gemeldeten Zahlen möglich sind.
Kernaussagen
- Das Post-COVID-Syndrom (U09.9) war im Jahr 2022 TOP 3 ICD-Diagnose bei Langzeiterkrankungen von Soldatinnen und Soldaten.
- Die Anteile an F-Diagnosen (insbesondere Depression und Angststörungen) haben in den Jahren seit COVID-19 zugenommen.
- Auch wenn apparative Diagnostik unauffällige Befunde liefert, müssen diese den Betroffenen eröffnet werden, um Hemmnissen einer aktiven Rehabilitation entgegenzuwirken.
- Die aktuellen Therapieprinzipien beruhen auf einer möglichst effektiven Reduktion der Symptomlast und einer schrittweisen Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb.
- Um zukünftig für die Bundeswehr die besten therapeutischen Maßnahmen zu identifizieren ist ein sektorübergreifender Ansatz notwendig.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stratmann L, Müller F, Hoffmann MA: Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr: Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der wehrmedizinischen Relevanz. WMM 2024; 68(10): 440-447.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-357
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Leonard Stratmann
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Fachbereich A2 – Körperliche Leistungsfähigkeit
Aktienstraße 87, 56626 Andernach
E-Mail: leonardstratmann@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Stratmann L, Müller F, Hoffmann MA: [The Post-COVID Syndrome in the Bundeswehr: One Year of Post-COVID Study at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz –an interim Analysis and Assessment of its Relevance from a Military Medicine Perspective.] WMM 2024; 68(10): 440-447.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-357
For the Authors
Major (MC) Leonard Stratmann, MD
Bundeswehr Institute of Preventive Medicine
Aktienstraße 87, D-56626 Andernach
E-Mail: leonardstratmann@bundeswehr.org