Zentrale molekulare Gewebediagnostik im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser – erste Auswertung und Erfahrungsbericht
Centralized Molecular Tissue Diagnostics in the Joint Network of the Bundeswehr Hospitals – First Evaluation and Results
Konrad Steinestela, Hanno Witteb, Daniel Gagiannisc, Nicole Müllerd, Thomas Cramere Atakan Jordanf, Staffan Vanderseef, Christian Buschg, Thomas Heinigg, Tanja Vetterh, Annette Arndta
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung XIII – Pathologie und Molekularpathologie
b Klinik I – Innere Medizin – Hämatologie/Onkologie
c Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik I – Innere Medizin, Pneumologie,
d Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik I – Innere Medizin
e Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik V – Hals-, Nasen- und OhrenHeilkunde
f Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik III – Dermatologie
g Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik I – Innere Medizin
h Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Zentrales Klinisches Management Z5 – Forschung und Wissenschaft,
Zusammenfassung
Die Bedeutung molekular zielgerichteter Therapien in der Versorgung von Krebserkrankungen nimmt stetig zu. Da die fächerübergreifende Behandlung dieser Erkrankungen wesentlich für den Erhalt konservativer und chirurgischer Expertise im Sanitätsdienst der Bundeswehr ist, muss eine qualitätsgesicherte molekulare Gewebediagnostik für die Patientinnen und Patienten der Bundeswehrkrankenhäuser sichergestellt sein.
Nach einem im vergangenen Jahr in dieser Zeitschrift publizierten Aufruf zur zentralen Erbringung dieser Leistungen wurden durch die akkreditierte Molekularpathologie des Bundeswehrkrankenhauses Ulm im Laufe des Jahres 2023 molekularpathologische Untersuchungen an 123 extern eingesandten Gewebeproben durchgeführt. Die häufigsten zugrundeliegenden malignen Diagnosen waren kolorektale Karzinome bzw. sonstige Adenokarzinome des Gastrointestinaltrakts (40 % bzw. 12 %), gefolgt von nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen (10 %), Tumoren der Kopf-/Hals-Region (6 %) und malignen Melanomen (4 %). In 28 % der Fälle wurden Gewebeproben des GI-Trakts mit entzündlichen Veränderungen auf mögliche Infektionserreger hin untersucht. In allen Fällen mit einer Ausnahme (99 %) war die Analyse technisch möglich bzw. auswertbar, in 75 % der Fälle konnten ein oder mehrere diagnostische bzw. prädiktive Biomarker nachgewiesen werden. Die Bearbeitungsdauer (Probeneingang zu Befund) betrug im Median 10 Werktage (Spanne: 3–32). Für die durchgeführten Untersuchungen, die nur einen Teil der im Systemverbund tatsächlich anfallenden Diagnostikleistungen repräsentieren, ergab sich eine Einsparung von ca. EUR 250 000/Jahr gegenüber der externen Vergabe. Als Nachteil sind Verzögerungen beim Probenversand zu nennen, die durch die Erarbeitung einer Standard Operating Procedure (SOP), den Versand der Proben direkt durch die klinischen Abteilungen und die Beauftragung eines professionellen Kurierdienstleisters minimiert werden konnten. Zusammenfassend ist die zentrale Erbringung molekularpathologischer Untersuchungsleistungen ein Beispiel für eine effektive, qualitätsgesicherte und ressourcenschonende Nutzung von Synergien innerhalb des Systemverbundes der Bundeswehrkrankenhäuser, die bei konsequenter Bündelung Einsparungen in Millionenhöhe realisieren könnte.
Schlüsselwörter: Pathologie, Molekularpathologie, Probenversand, zentrale Untersuchung, SOP, Kostenreduzierung
Summary
The significance of molecular-targeted therapies in the treatment of cancer is steadily increasing. Since the interdisciplinary care of these diseases is essential for maintaining internal oncology and surgical expertise within the medical services of the Bundeswehr, quality-assured molecular tissue diagnostics must be ensured for the patients of the Bundeswehr hospitals. Following a call for centralized provision of these services published at this site last year, molecular pathological examinations were performed on 123 externally submitted tissue samples by the accredited Molecular Pathology Department of the Bundeswehr Hospital Ulm throughout 2023. The most common underlying malignant diagnoses were colorectal carcinomas or other adenocarcinomas of the gastrointestinal tract (40 % and 12 %, respectively), followed by non-small cell lung carcinomas (10 %), tumors of the head/neck region (6.5 %), and malignant melanomas (4 %). In 23 % of the cases, tissue samples from the GI tract with inflammatory changes were examined for possible infectious agents. The analysis was technically feasible and evaluable in all but one case (99 %); in 75 % of the cases, one or more diagnostic or predictive biomarkers could be detected. The median processing time (from sample receipt to report) was ten working days (range: 3–32). For the conducted examinations, which represent only a part of the diagnostic services occurring within the system network, there was a cost saving of approximately EUR 250,000 per year compared to external commissioning. A significant disadvantage, however, was delays in sample shipping, which were minimized by developing a standard operating procedure (SOP), direct shipping of samples by the clinical departments, and commissioning a professional courier service provider. In summary, the centralized provision of molecular pathological examination services is an example of effective, quality-assured, and resource-efficient use of synergies within the system network of Bundeswehr hospitals, which could achieve savings in the millions if consistently consolidated.
Keywords: pathology; molecular pathology; sample transport; centralized examination; SOP; cost reduction
Einleitung
Die interdisziplinäre Behandlung von Tumorerkrankungen ist eine der Grundlagen für die Erlangung und Aufrechterhaltung von Fachexpertise in den Gebieten Viszeral- und Thoraxchirurgie, Neurochirurgie, MKG- bzw. Kopf-Hals-Chirurgie, der urologischen und dermatologischen Chirurgie, der Inneren Medizin und in den diagnostischen Fachgebieten (Radiologie, Nuklearmedizin, Pathologie) im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Der hohe fachliche Nutzen onkologisch-chirurgischer Operationsverfahren für die Ausbildung und In-Übung-Haltung von (Einsatz-)Chirurgen wurde zuletzt in einer Auswertung französischer Militärkrankenhäuser im Raum Paris bestätigt [3]. Die leitliniengerechte Diagnostik maligner Tumoren beinhaltet neben der klassischen histopathologischen Gewebediagnostik zunehmend molekulare Analyseverfahren, die Aussagen über Entität, Prognose oder das Ansprechen auf molekular zielgerichtete Therapien geben können (prädiktive Molekularpathologie) [1][5][6][14]. Diese molekulare Gewebediagnostik sollte hierbei schnell, umfassend und qualitätsgesichert erfolgen.
Während die kostenintensiven molekularpathologischen Untersuchungsleistungen in den vergangenen Jahren häufig durch zivile, kommerzielle Labordienstleister erbracht wurden, etablierten wir am Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm ein leistungsfähiges Zentrum für molekulare Gewebediagnostik, welches mit dem Gesamtinstitut im Jahr 2021 nach der DIN EN ISO 17020 akkreditiert wurde. Darauf aufbauend publizierten wir an dieser Stelle vor einem Jahr einen Aufruf zur vertieften Zusammenarbeit und boten an, diese Leistungen künftig qualitativ hochwertig und ressourcenschonend innerhalb des Systemverbundes der Bundeswehrkrankenhäuser zu erbringen [13]. Diesem Aufruf wurde von einzelnen Kliniken innerhalb des Systemverbundes (zunächst probeweise) gefolgt.
Ziel der hier vorliegenden Analyse ist nun, die innerhalb eines Jahres erbrachten Leistungen hinsichtlich ihres Umfangs, ihres klinischen Nutzens und ihrer Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Hieraus soll abgeleitet werden, ob eine Verstetigung und/oder Vertiefung der Zusammenarbeit sinnvoll ist und an welchen Stellen ggf. Verbesserungen notwendig sind.
Ergebnisse
Untersuchungsumfang
Insgesamt erreichten die Abt. XIII Pathologie und Molekularpathologie des BwKrhs Ulm im Jahr 2023 123 Untersuchungsaufträge für molekularpathologische Analysen aus externen Krankenhäusern und Behandlungseinrichtungen. Innerhalb des Systemverbundes waren zunächst die Kliniken für Innere Medizin, Dermatologie und Hals- Nasen-Ohren-Heilkunde des BwKrhs Berlin und die Klinik für Innere Medizin des BwKrhs Hamburg unserem Aufruf gefolgt. Weitere Untersuchungsleistungen wurden für regionale Sanitätseinrichtungen sowie (im Rahmen freier Kapazitäten) für zivile Einrichtungen erbracht. Abbildung 1zeigt den schematischen Ablauf von Probentransport, Untersuchung und Befundübermittlung.
Abb. 1: Schematischer Ablauf von Probentransport, Untersuchung und Befundübermittlung
Befunde
Die häufigste Tumorentität (40 %) stellten kolorektale Adenokarzinome dar, an denen eine leitliniengerechte Bestimmung des RAS/BRAF-Mutationsstatus sowie (in einem Teil der Fälle) eine Analyse der Mikrosatellitenstabilität vorgenommen wurde (Abbildung 2 A). Andere Adenokarzinome des Gastrointestinaltraktes (Magen bzw. gastroösophagealer Übergang, Dünndarm, Appendix) wurden in weiteren 12 % der Fälle analysiert. Nicht kleinzellige Lungenkarzinome (10 %) wurden leitliniengerecht auf onkogene Treibermutationen hin untersucht, bei Speicheldrüsenkarzinomen und Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs (6,5 %) standen neben der Identifikation potenzieller therapeutischer Zielstrukturen auch eine definitive Entitätszuordnung bei ungewöhnlich differenzierten Malignomen im Fokus. In knapp 28 % der Fälle wurden Gewebeproben des GI-Trakts mit entzündlichen Veränderungen auf mögliche Infektionserreger hin untersucht, die häufigste Untersuchung hiervon war der Nachweis von H. pylori-DNA einschließlich des Nachweises spezifischer Resistenz-vermittelnder Mutationen gegen antimikrobielle Wirkstoffe (Abbildung 2 A).
Abb. 2: (A) Häufigkeitsverteilung der untersuchten Entitäten bzw. Fragestellungen, (B) Ergebnisse der molekularpathologischen Untersuchungen im Hinblick auf gewebebasierte prädiktive und/oder diagnostische Biomarker
In 92 von 123 Fällen (75 %) konnten prädiktive und/oder diagnostische Biomarker nachgewiesen werden. Während von diesen in 76 % die entsprechenden molekularen Alterationen in der unmittelbar durchgeführten Primärdiagnostik (gezielte Sequenzierung, RT-PCR-basierte Verfahren oder Hybridisierungstechnik) identifiziert werden konnten, wurde in 24 % eine erweiterte NGS-Diagnostik angeschlossen (Abbildung 2 B). Diese konnte in weiteren 73 % der verbleibenden Fälle zusätzliche Biomarker identifizieren, lediglich in 27 % war keine abschließende diagnostische oder prädiktive Aussage möglich. In drei Fällen konnte über einen Nachweis molekularer Tumoreigenschaften eine ursprüngliche Diagnose korrigiert bzw. eine Metastasenzuordnung getroffen werden (Tabelle 1 und Abbildung 3). In allen Fällen mit einer Ausnahme (99 %) war die Analyse technisch durchführbar, in besagtem Fall lag eine nicht ausreichende Qualität der isolierten DNA vor.
Untersuchungsdauer
Die mediane Bearbeitungsdauer (Probeneingang zu Befund) betrug 10 Werktage (Spanne: 3–32 Werktage), wobei eine Überschreitung von 10 Werktagen zumeist auf die Notwendigkeit einer erneuten Analyse oder weiterer Untersuchungen zurückzuführen war.
Kosten
Durch die zentrale Leistungserbringung im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser unter Nutzung der vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen konnte (gemäß den Abrechnungsempfehlungen des Bundesverbandes Deutscher Pathologen) innerhalb eines Jahres ein Betrag von 250 000 € eingespart werden. In diesem Zusammenhang wird erneut darauf hingewiesen, dass im besagten Zeitraum aus dem Systemverbund zunächst nur die Kliniken für Innere Medizin, Dermatologie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des BwKrhs Berlin und die Klinik für Innere Medizin des BwKrhs Hamburg Proben für die Diagnostik übersandten. Die Beteiligung weiterer Kliniken des Systemverbundes der BwKrhs würde in erheblichem Maße zusätzliche finanzielle Ressourcen einsparen.
Diskussion
Molekularpathologische Analysen von Gewebeproben nehmen einen immer größeren Stellenwert bei der Diagnostik und Therapie maligner Erkrankungen, aber auch beim Nachweis von Infektionserregern ein. Für die Aufrechterhaltung interdisziplinärer Expertise im Sanitätsdienst der Bundeswehr ist eine leitliniengerechte Behandlung von Tumorpatienten unabdingbar [3], idealerweise in Form von fächerübergreifenden, durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) zertifizierten Organkrebszentren.
Das Institut für Pathologie und Molekularpathologie am BwKrhs Ulm hat im Jahr 2023 insgesamt 123 molekularpathologische Untersuchungsaufträge von externen Kliniken und Behandlungseinrichtungen entgegengenommen. Insgesamt wurden einschließlich der Anforderungen aus dem BwKrhs Ulm 899 molekularpathologische Untersuchungsaufträge bearbeitet, wobei ein Großteil der Untersuchungen mehrere Methoden (PCR, Sequenzierung, Hybridisierung) beinhaltete. Bei Tumorerkrankungen wurden nicht nur die in den jeweiligen S3-Leitlinien bzw. ESMO-Guidelines enthaltenen molekularen Zielstrukturen, sondern zahlreiche weitere Gene sowie die pangenomischen Marker Tumormutationslast (tumor mutational burden, TMB) und Mikrosatelliteninstabilität (MSI) untersucht [5][6][9][12][14].
Die Möglichkeit, bei gleichzeitiger signifikanter Ressourceneinsparung eine solche umfassende Charakterisierung prädiktiver tumorgenetischer Eigenschaften (comprehensive genomic profiling) zu erhalten, ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal für die klinische Versorgung im Sanitätsdienst der Bundeswehr. In einem Großteil der Fälle konnten diagnostische bzw. prädiktive Biomarker identifiziert werden, in drei Fällen wurde eine externe Diagnose korrigiert bzw. präzisiert. Die genetischen Daten der Patientinnen und Patienten verblieben – im Gegensatz zur Leistungserbringung im zivilen Bereich – innerhalb der geschützten IT-Infrastruktur der Bundeswehr.
Probenlaufzeit
Die mediane Laufzeit von Probeneingang zu Befund betrug 10 Tage und lag damit innerhalb des von den entsprechenden Fachgesellschaften vorgegebenen Rahmens [10]. Verzögerungen beruhten in den meisten Fällen auf dem Intervall zwischen der klinischen Anforderung und dem Versand durch zivile Leistungserbringer oder dem Postversand, zudem mussten Befundergebnisse zumeist per Fax oder Brief übermittelt werden. Die Erstellung einer Standard Operating Procedure(SOP) zum Probenversand und die Beauftragung eines zivilen Transportdienstleisters ermöglichen mittlerweile eine Bearbeitung der Proben 1–2 Tage nach der klinischen Anforderung, während die geplante Anbindung der Bundeswehrkrankenhäuser des Systemverbundes in Zukunft die Voraussetzungen für ein digitales Anforderungsmanagement und den digitalen Befundexport in die jeweiligen Krankenhausinformationssysteme schafft. Eine optimierte IT-Infrastruktur ist auch Voraussetzung für eine Entscheidungsfindung in Molekularen Tumorboards unter Einbeziehung von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI), die beispielsweise bei der Analyse großer Mengen von Sequenzierdaten zum Einsatz kommen kann [4].
Finanzielle Ressourcen
Die bisher belegte Einsparung finanzieller Ressourcen ist auch vor dem Hintergrund der zunehmenden klinischen Bedeutung der molekularen Diagnostik zu bewerten. Anzahl und Umfang molekularer Untersuchungen werden künftig noch deutlich zunehmen. Als Beispiele sind hier die molekulare Diagnostik aus Körperflüssigkeiten (liquid biopsy), methylombasierte Klassifikation von Tumorentitäten oder das Sequenzieren von Exomen (whole exome sequencing, WES) bzw. Genomen (whole genome sequencing, WGS) zu nennen [7][8][11]. Es ist davon auszugehen, dass vor diesem Hintergrund durch eine noch stärkere Fokussierung der molekularen Diagnostik innerhalb des Systemverbundes und durch die Implementierung der entsprechenden Technologien innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr noch weitere Einsparpotentiale realisiert werden können.
Translationale Forschungsaspekte
Neben dem klinischen Nutzen eröffnet die Etablierung der Tiefensequenzierung in der Routinediagnostik zahlreiche Möglichkeiten für translationale Forschung. So wird am BwKrhs Ulm derzeit im Rahmen eines Sonderforschungsprojektes (45K3-S-54–2224) der Einsatz großer NGS-Panels für den Nachweis von Genaberrationen untersucht, welche auf eine vorangehende Strahlenexposition zurückzuführen sind und/oder ein Ansprechen auf molekular zielgerichtete Therapien vorhersagen. Hierbei konnte bei einem ehemaligen Soldaten mit anaplastic lymphoma kinase (ALK)-transloziertem Lungenkarzinom, welcher während seiner Dienstzeit radar-exponiert gewesen war, eine neue Resistenzmutation gegen Crizotinib erstmalig beschrieben und im Zellkulturmodell unabhängig verifiziert werden [1][2].
Limitation
Als Limitation des hier vorgestellten Ansatzes ist zu nennen, dass für die zentrale Erbringung molekularpathologischer Diagnostik auch innerhalb des Systemverbundes finanzielle und personelle Ressourcen erforderlich sind. Allerdings fallen diese auch unter Einbeziehung der Kosten für Transport und vermehrtes Verbrauchsmaterial gegenüber der Leistungserbringung im zivilen Bereich deutlich geringer aus. Ein weiterer kritischer Punkt ist die auch im Rahmen der Zertifizierung von Organkrebszentren geforderte Teilnahme von (Molekular)pathologinnen und -pathologen an interdisziplinären Tumorboards. Diese wird durch die räumliche Distanz erschwert, allerdings nimmt die Pathologie des Bundeswehrkrankenhauses Ulm schon heute im Rahmen von Videokonferenzen an mehreren virtuellen Tumorboards externer Krankenhäuser teil. Solche virtuellen Tumorboards wären auch im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser technisch problemlos zu realisieren, ein molekulares Tumorboard für den Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser befindet sich als Leuchtturmprojekt derzeit im Aufbau.
Fazit
Die qualitätsgesicherte zentrale Durchführung der molekularpathologischen Analysen stellt zusammenfassend eine Verbesserung der Versorgungsqualität von Patientinnen und Patienten der Bundeswehrkrankenhäuser dar und trägt den Charakter eines Alleinstellungsmerkmals unseres Systemverbundes, ohne fachliche oder qualitative Abstriche in Kauf zu nehmen. Ganz im Gegenteil konnte an bereits drei Beispielen innerhalb eines Jahres ein Gewinn an Diagnosesicherheit gezeigt werden. Das Potenzial fachlicher Schwerpunktsetzungen sollte künftig in noch stärkerem Maße genutzt werden, um eigene klinisch-fachliche und wissenschaftliche Exzellenz zu fördern und gerade in Zeiten angespannter Haushaltslage eine optimale Ressourcenauslastung sicherzustellen.
Literatur
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- Giudicelli X, Aoun O, Perchoc A, et al.: Learning trauma surgery through cytoreductive surgery. Injury 2023; 54: 1330-1333. mehr lesen
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- Lone SN, Nisar S, Masoodi T, et al.: Liquid biopsy: A step closer to transform diagnosis, prognosis and future of cancer treatments. Molecular Cancer 2022; 79: 1-22. mehr lesen
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- Steinestel K, Witte H, Riecke A, et al.: Molekulare Diagnostik im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser - Aufruf zur Zusammenarbeit in einem Netzwerk für personalisierte Medizin. WMM 2023; 67(1-2): 15-21. mehr lesen
- Thomas C, Schrader A: Neue S3-Leitlinie Prostatakarzinom 2021 (Version 6.2)–Was hat sich beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom geändert? Urologie 2022; online 1-5. mehr lesen
Anmerkung
Teile dieser Arbeit wurden durch das Sonderforschungsprojekt 45K3-S-54–2224 unterstützt
Manuskriptdaten
Zitierweise
Steinestel K, Witte H, Gagiannis D, Müller N, Cramer T, Jordan A, Vandersee S, Busch C, Heinig T, Vetter T, Arndt A: Zentrale molekulare Gewebediagnostik im Systemverbund der Bundeswehrkrankenhäuser – erste Auswertung und Erfahrungsbericht. WMM 2024; 69(10): 406-411.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-356
Für die Verfaser
Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Konrad Steinestel
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Abteilung XIII – Pathologie und Molekularpathologie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: konradsteinestel@bundeswehr.org">konradsteinestel@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Steinestel K, Witte H, Gagiannis D, Müller N, Cramer T, Jordan A, Vandersee S, Busch C, Heinig T, Vetter T, Arndt A: [Central molecular tissue diagnostics in the joint network of the Bundeswehr Hospitals – first evaluation and results.]WMM 2024; 69(10): 406-411.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-356
For the Authors
Colonel (MC) Prof. Dr. Dr. Konrad Steinestel
Bundeswehr Hospital Ulm
Department XIV – Pathology, Molecular Pathology
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: konradsteinestel@bundeswehr.org
Sozialmedizin und Wehrmedizin: Medizinische Begutachtung von Leistungsvermögen
Social Medicine and Military Medicine: Medical Assessment of Performance Capability
Joerg Sandera , Helge Radtkea
a Sanitätsunterstützungszentrum Köln Wahn
Zusammenfassung
Die inhaltlichen und formalen Anforderungen an den medizinischen Sachverständigen in den relevanten gutachterlichen Tätigkeitsfeldern und die gutachterliche Qualität in den und für die Streitkräfte gewinnen zunehmend an Bedeutung. Neben der kurativen Funktion kommt auch der medizinischen Begutachtung innerhalb der Streitkräfte eine besondere Rolle zu. Sie umfasst nicht nur das begrenzte Feld klassischer Dienst- und Verwendungsfähigkeitsbegutachtungen, z. B. im Rahmen der Personalführung, sondern auch die weite Landschaft gutachterlicher Leistungen für die Bundeswehr als Sozialleistungsträger bzw. im Rahmen des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes. Behandlung, Begutachtung und Systemkenntnis durch Sanitätsoffiziere bilden somit wesentliche Achsen im Koordinatensystem des Sanitätsdienstes in der Bundeswehr.
Schlüsslwörter: Begutachtung, Verwendungsfähigkeit, Einsatzfähigkeit, Sozialleistungsträger
Summary
Content and formal requirements for medical experts as assessors in the relevant expert areas of activity and the importance of assessment quality in armed forces. In addition to the curative function, medical assessment within the Bundeswehr is also particularly important. It encompasses not only the limited field of classic service and usability assessments, e.g. in the context of personnel management, but also the broad landscape of expert service for the Bundeswehr as a social care provider or within the special features and tasks related to veteran care. Medical Treatment, medical assessment, and knowledge about the medical administration system form essential axes in the coordinate system of medical service in the Bundeswehr.
Keywords: medical assessment; employability; deployability; social security institution
Einleitung und Hintergrund
Neben der reinen Versorgungsfunktion wehrmedizinisch tätiger Ärztinnen und Ärzte im Zuge der Ausgestaltung der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (utV) bildet der Themenkreis der medizinischen Begutachtung einen sicher gleichrangig bedeutsamen Teil ärztlicher Tätigkeit innerhalb der Bundeswehr und in deren Umfeld [8][9]. Die auftragsimmanente Verknüpfung wehrmedizinischer Besonderheiten mit dem ohnehin schon komplexen Aufgabenbereich von Sachverständigenfunktion und Begutachtung steigert die Notwendigkeit hoher Ergebnisqualität dabei zusätzlich.
Hierbei hat das überaus wirkmächtige Narrativ vom „Hausarzt“ des Soldaten, vom „Servicedienstleister“ Sanitätsdienst und vom Patienten als „Kunden“ über Jahrzehnte das „Mindset“ innerhalb der ambulanten und stationären Regelversorgung des Sanitätsdienstes in eine Richtung geprägt, die im Ergebnis der Bedarfslage des Sozialleistungsträgers Bundeswehr nach Sachverständigenbewertungen und Gutachten als Grundlage verwaltungsrechtlichen Handelns (Systemkenntnis) vielfach nicht ausreichend Rechnung trägt. Die vorrangig aus dem kurativen Selbstverständnis abgeleiteten Denk- und Verhaltensmuster von wehrmedizinisch tätigen Ärzten wirken der dienstlich geforderten Rolle als unabhängiger medizinischer Sachverständiger und Gutachter geradezu entgegen.
Hier finden sich die Gründe für die häufig anzutreffende starke Entfremdung von der so wichtigen Aufgabe einer sach- und fachgerechten medizinischen Begutachtung – gerade im Rahmen der sozialen Sicherung von Soldaten in den Streitkräften [9]. Die sich hieraus ergebenden qualitativen Mängel im Bereich der wehrmedizinischen Begutachtung sind letztlich als gravierendes Ausbildungs- und Befähigungsdefizit aufzufassen, welches die Ausbildung einer ängstlich-vermeidenden Haltung gerade dann fördert, wenn die neutrale Gutachterrolle vermeintlich gegen die (von diesem teilweise mit Vehemenz eingeforderten) Interessen des zu begutachtenden Soldaten (Probanden) ausgefüllt werden muss. Die Einhaltung der Trennlinien zwischen Kuration und Sachverständigenfunktion gilt fachgebietsübergreifend. Dies betrifft besonders die immer bedeutsameren gutachterlichen Feststellungen hinsichtlich in Rede stehender Leistungsgewährung, z. B. in Anwendung des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes (EinsWV). Gerade auch hier steht die Bewertung des menschlichen Leistungsvermögens immer häufiger im Mittelpunkt juristischer Auseinandersetzungen.
Die nachfolgenden Erläuterungen sollen den wehrmedizinisch-gutachterlich tätigen Arzt in die Lage versetzen, sich aus der gewohnten Arzt-Patienten-Beziehung herauszulösen und so fachlich wie auch rechtlich im Sinne der Systemkenntnis endlich dem arbeitstäglich zugewiesenen Auftrag als neutraler medizinischer Gutachter bzw. Sachverständiger gerecht zu werden [9]. Denn im Unterschied zum behandelnden Arzt, der den Angaben des Patienten einfach glauben darf (und bis zu einem bestimmten Punkt auch muss), hat der Gutachter und Sachverständige die behaupteten Sachverhalte, Funktionseinschränkungen oder Beschwerden nicht einfach zu glauben. Vielmehr muss es das Ziel sein, behauptete Sachverhalte mindestens zu plausibilisieren oder gar zu objektivieren. Gerade mit Blick auf den steigenden Anteil psychischer Erkrankungen besteht die Herausforderung, aus der kurativ-ärztlichen Tätigkeit gewohnte Denk- und Sichtweisen mit ihren Formulierungen nicht unkritisch und vollumfänglich in das gutachterliche Verfahren zu übertragen. Nur so kann verhindert werden, dass die unterschiedlichen Ansätze zwischen ärztlichem und gutachterlichem Handeln schädliche verfahrenstechnische und/oder verwaltungsrechtliche Auswirkungen nach sich ziehen.
Der medizinische Sachverständige und Gutachter
Der medizinische Gutachter ist ein Sachverständiger, der Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt, über die der Auftraggeber selbst nicht verfügt. Er ist dem Auftraggeber (Gericht, Versicherung, Dienstherr u. a.) ausdrücklich zur unabhängigen, unparteiischen/neutralen und objektiven Beantwortung der gestellten Prüffragen verbunden. In den Streitkräften steht überwiegend die Bewertung menschlichen Leistungsvermögens (Finalgutachten) im Mittelpunkt. Hier unterscheidet sich die Bundeswehr in keiner Weise von zivilen Leistungsträgern des Sozialsystems, wie z. B. der gesetzlichen oder privaten Renten-, Kranken-, Unfall oder Arbeitslosenversicherung. Der Gutachter entscheidet hierbei stets eigenverantwortlich über das Maß der qualitativen und quantitativen Sachverhaltsermittlung [2][4][6].
Als neutraler Sachverständiger hat er sich ausdrücklich von der „klassischen Arztrolle als Therapeut“ zu distanzieren [2]. Ist der Gutachter hierzu fachlich nicht in der Lage (Können) oder nicht bereit (Wollen), besteht die Gefahr, dass das Gutachten bei fachlicher oder gar gerichtlicher Prüfung wegen Befangenheit (fehlende Neutralität und Objektivität) abzulehnen ist [1][7].
Das sich so ergebende Prinzip der Trennung von Behandlung und Begutachtung ist auch Gegenstand des grundsätzlichen Verständnisses von wehrmedizinischer Begutachtung: „Der behandelnde Truppenarzt soll nicht truppenärztlicher Gutachter sein, …“ [6]. So hat der wehrmedizinische Gutachter im Zuge der Begutachtung von Dienstunfähigkeit zwar eine zusätzliche militärfachärztliche Stellungnahme einzuholen. „Ein abweichendes Urteil ist zu begründen“ [6].
Dies steht hierzu aber nicht im Widerspruch. Vielmehr entspricht dieses Vorgehen dem Wesen nach der auch im nicht-militärischem Gutachtenwesen üblichen Einholung eines Zusatzgutachtens. Eine unkritische, gar wörtliche Übernahme dieser zusätzlichen fachgebietsbezogenen Stellungnahme verbietet sich jedoch gerade dann, wenn – wie nicht selten – die gebietsärztliche Zuarbeit nicht die Qualitätsansprüche einer gutachterlichen Äußerung erfüllt.
Jedes gutachterliche Urteil ist zu begründen und hat mit dem Ziel der Gleichbehandlung die herrschende wissenschaftliche Meinung zu vertreten. Ein Abweichen von dieser Meinung ist nicht verboten, aber immer besonders zu begründen. Auch vom Gutachter zusätzlich geforderte medizinische Stellungnahmen, z. B. im Rahmen der Gewährung von medizinischen Rehabilitationsleistungen, haben sich diesem Qualitätsanspruch zu beugen. Der Begriff „Stellungnahme“ ist nach hiesiger Auffassung oftmals unscharf bis sogar irreführend, weil er hinsichtlich der zu fordernden Qualität der Beantwortung der jeweilen Prüffrage(n) die Möglichkeit minderer Ergebnisqualität suggeriert. Jede medizinische Stellungnahme, die als Entscheidungsgrundlage für verwaltungsseitige Entscheidungen (Indikation/Anspruch für eine Heilmaßnahme, Behandlung, Verordnung oder gar Personalentscheidung etc.) genutzt wird, entspricht einer gutachterlichen Äußerung und hat immer entsprechende Qualitätsansprüche zu erfüllen. Dies gilt selbstverständlich auch für die gutachterlich häufig genug unterschätzten Aussage zur Verwendungsfähigkeit (entsprechend der Bewertung von Arbeitsfähigkeit/Dienstfähigkeit nach AU-Richtlinien im nichtmilitärischen ärztlichen Tätigkeitsfeld/Krankschreibung).
Der Gutachter hat in jedem Fall unparteiisch zu sein [2][5]. Gerade bei Fragen von gesundheitlicher Eignung darf sich der Gutachter dem Druck eines Auftraggebers nicht beugen. Auch in Zeiten des Personalmangels darf z. B. die Antizipation politisch formulierter Ziele keinen Einfluss auf die gutachterliche Entscheidungsfindung nehmen. Wenn also demografische und gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen, dass bisherige Vorgaben in Bezug auf Leistungsvermögen querschnittlich nicht im gewünschten zahlenmäßigen Umfang erfüllt werden können, muss der Auftraggeber prüfen, ob seine Eignungs-/Tauglichkeitskriterien angepasst werden müssen. Der Gutachter darf seine Entscheidung nicht dem formulierten oder wahrgenommenen Bedarf anpassen. Gleiches gilt für empathische oder konfliktvermeidende Tendenzen gegenüber den Interessen des Probanden.
Im Ergebnis ist und bleibt ein Gutachter weder Anwalt des Auftraggebers bzw. der Solidargemeinschaft noch des zu Begutachtenden. In relevanter Häufigkeit und Bedeutung übernehmen Ärzte in truppenärztlicher Funktionsebene im Rahmen der wehrmedizinischen Begutachtung/Sachverhaltsklärung auch Verwaltungsaufgaben bis hin zu rechtsmittelfähigen Bescheidungen. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum zivilen sozialmedizinisch-gutachterlichen Handlungsbereich, wo eine gutachterliche Beantwortung von Prüffragen (Gutachtenergebnisse) strikt als Zuarbeit für die verwaltungsseitige Bescheidung aufgefasst wird. Detaillierte Kenntnisse um diese sozialmedizinischen Zusammenhänge, Schnittstellen, aber auch Unterschiede zum zivilen Versorgungssystem sind für Ärzte in den Streitkräften daher unerlässlich. Hier äußert sich die wehrmedizinische Relevanz der Systemkenntnis [8][9][10][11][12].
Begutachtung im Beamtenrecht und wehrmedizinische Begutachtung von Eignung, Tauglichkeit, Dienst- und Verwendungsfähigkeit
Die grundlegenden Prinzipien der wehrmedizinischen Begutachtung zur Klärung von Eignung/Tauglichkeit, Dienst- und Verwendungsfähigkeit entsprechen im Wesentlichen den Verfahren, die im zivilen Erwerbsleben regelmäßig zur Beurteilung von Leistungsvermögen für die Bundesagentur für Arbeit, die Rentenversicherung/Grundsicherung oder die privaten und gesetzlichen Kranken-/Unfallversicherung angewendet werden [2][3][4]. Wie in deren Zuständigkeitsbereich sind gutachterliche Zuarbeiten für die Personalführung bei Beamtinnen und Beamten (damit auch für Soldatinnen und Soldaten) auch Ausdruck von sozialer Sicherung und sozialem Handeln des Dienstherrn: Die Beurteilung, ob eine Person als dienstfähig (ggf. mit Einschränkungen) oder dienstunfähig einzustufen ist, klärt zum einen die Frage, ob und wieweit die in Rede stehende Dienstleistung/Verwendung für die Beamtin und den Beamten (und damit auch für Soldatinnen und Soldaten) zumutbar ist (besondere Dienst- und Treuepflicht) [10]. Mit anderen Worten: Es ist zu beurteilen, ob das Leistungsvermögen des zu Begutachtenden hinsichtlich der erwarteten Dienstpflichterbringung ausreichend ist. Zum anderen erfüllt der Dienstherr durch die beauftragte Beurteilung des Leistungsvermögens des Leistungserbringers damit auch seine Fürsorgepflicht. Denn der sachverständige Arzt versichert dem ihn beauftragenden Dienstherrn ein vorhandenes bzw. prospektives Leistungsvermögen des Probanden, welches neben der Aussage über die aktuelle gesundheitliche Eignung eine überfordernde Schädigung des Leistungserbringers verhindern soll. In dieser Weise wird dem Gedanken der Fürsorgewaltung des Dienstherrn Rechnung getragen [9][10][11][12].
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den Aspekt der Prognoseabschätzung bei Begutachtungen im Beamtenrecht vor Verbeamtung (wehrmedizinisch: Grunduntersuchungen bei Statuswechsel) oder gar bei Dienstzeitverlängerungen. Relevant ist die Frage, ob Hinweise für eine ernsthafte Erkrankung oder eine Besonderheit im medizinisch-gesundheitlichen Bereich vorliegen, die die Möglichkeit einer dauerhaften Dienstunfähigkeit vor Erreichen der beantragten Dienstzeit bzw. der allgemeinen oder besonderen Altersgrenze wahrscheinlich machen. Es muss dem gutachterlich tätigen Arzt also in Fragen der Eignung bzw. Dienst- und Verwendungsfähigkeit stets bewusst sein, dass er grundsätzlich nicht in einer genehmigenden oder nicht genehmigenden Funktion tätig ist. Vielmehr arbeitet er sachverständig dem Dienstherrn zu, der dann entscheiden muss, ob er einer Person eine Dienstleistung zumuten (auferlegen) kann bzw. darf. Der Dienstunfähigkeitserlass ist in diesem Verständnis folglich auch als ein wesentliches Instrument im Rahmen der sozialen Sicherung von Beamtinnen und Beamten (Soldatinnen und Soldaten) zu sehen. Denn er sichert Soldatinnen und Soldaten in dem Fall sozial ab, wenn gutachterlich eine dauerhaft nicht zumutbare Überforderung festgestellt wird. Die Aspekte einer „zumutbaren Willensanspannung/Willensanstrengung“ [1][12] sind hierbei ausdrücklich zu berücksichtigen.
Die Tätigkeit als Beratender Arzt/Beratende Ärztin von personalführenden Stellen hat also im Bereich Personalgewinnung und Personalführung überwiegend sozialmedizinische Schwerpunkte mit der Besonderheit des wehrmedizinischen Umfeldes. Gleiches gilt in Personalangelegenheiten für die beratenden Sanitätsoffiziere in den Organisationsbereichen.
Medizinische Begutachtungen im Zuge von Anspruchsklärungen hinsichtlich Leistungen aus dem sozialen Entschädigungsrecht
Der Vollständigkeit halber seien noch die gutachterlichen Tätigkeiten im Zuge der Kausalitätsbeurteilung und versorgungsmedizinischen Bewertungen wehrdiensteigentümlichen Schädigungen erwähnt [9][11][12]. Fachdiziplinäre Zuarbeit wird auf Anfrage in Facharztzentren und Bundeswehrkrankenhäusern als fachdisziplinäres Zusatzgutachten geleistet. Die letztendliche Anspruchsklärung einschließlich der verwaltungsrechtlich bindenden Bescheidung geschieht im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr. Die fachgutachterliche Bewertung mit ggf. erforderlicher zusätzlicher Festlegung des Gesamt-Grads der Behinderung (GdB) bzw. -Grads der Schädigungs-Folgen (GdS) als Größe für eine Gesamtschädigung erfolgt hierbei durch Sanitätsoffiziere bzw. zivile Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Sozialmedizin.1
1So wird also (mittlerweile) für die Bewertung von Kausalität und ggf. Festlegung von Einzel- und Gesamt-GdS eine besondere gutachterliche Befähigung (Ausbildung) gefordert. Dieser scheint geboten und ist nachvollziehbar. Im Bereich der nicht minderwichtigen Anspruchsklärungen im Rahmen der Heilfürsorge bzw. gutachterlichen Sachverhaltsbewertungen im Rahmen von laufbahnrechtlich relevanten Einschätzungen von Leistungsvermögen (Klärung der Dienst- undVerwendungsfähigkeit) ist bemerkenswerterweise bisher jedoch noch keine entsprechende gutachterliche Befähigung und damit besondere zusätzliche Ausbildung gefordert oder hinterlegt.
Schwerbehindertenangelegenheiten bei Soldatinnen und Soldaten
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt sozialmedizinischen Wirkens in der Wehrmedizin besteht in der truppenärztlichen Beratung von Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von Schwerbehindertenangelegenheiten [9]. Aus Sicht der Autoren ist die bisher vorherrschende überwiegende Lokalisation in den genuin truppenärztlichen Bereich nicht sachgerecht und auch nicht zielführend. Gerade auch in Bundeswehrkrankenhäusern oder Facharztzentren, aber auch bei den sanitätsdienstlichen Funktionseinheiten der Organisationsbereiche ist eine frühzeitige und umfassende Information und Beratung betroffener Soldatinnen und Soldaten angezeigt. Es gilt, die nun auch für Soldaten institutionalisierten rechtlichen Besonderheiten bei bestehender Schwerbehinderung bzw. bei Gleichstellung auf allen Ebenen zielführend zur Wirkung zu bringen. Die besondere Auftragserfüllung von Streitkräften erfordert regelhaft die Eignung zur vollschichtigen Leistungserbringung für Soldatinnen und Soldaten. Eine sachgerecht festgestellte Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung für Soldatinnen und Soldaten stellt diesbezüglich die wesentliche Ausnahme dar. Denn nur in diesem Fall kann auch ein längerfristig bzw. bis zum Dienstzeitende reichendes, quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen bestehen, ohne dass dieser Umstand obligat zur Feststellung von Dienstunfähigkeit führen muss.
Immer noch besteht bei vielen betroffenen Soldatinnen und Soldaten die Sorge, Schwerbehinderung wäre der erste Schritt zur Dienstunfähigkeit. De facto schützt eine sachgerecht festgestellte Schwerbehinderung z. B. auch vor unsachgemäßer Anwendung des Dienstunfähigkeitserlasses. Hier ist eine korrigierend wirkende (truppen-)ärztliche Expertise, Beratung und Betreuung erforderlich.
Das qualitative und quantitative Leistungsvermögen [2][4][7][11][12]
Gegenstand vieler Begutachtungen in den Streitkräften ist die Frage nach dem körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsvermögen von Soldaten. Im dienstlichen Umfeld der Streitkräfte (wie auch im allgemeinen Erwerbsleben) kann bzw. muss dieses in einen qualitativen und quantitativen Anteil aufgeteilt werden.
Das qualitative Leistungsvermögen ist die Zusammenfassung der festgestellten positiven und negativen Fähigkeiten, d. h. der festgestellten Ressourcen im Hinblick auf die (noch) zumutbare körperliche Arbeitsschwere, Arbeitshaltung und Arbeitsorganisation (positives qualitatives Leistungsvermögen) bzw. der auch nur vorübergehend noch verbliebenen Fähigkeiten, die krankheitsbedingt oder behinderungsbedingt nicht mehr bestehen bzw. wegen der Gefahr einer gesundheitlichen Verschlimmerung nicht mehr zu verwerten sind (negatives qualitatives Leistungsvermögen) [2][3][4][9][12].
Das quantitative Leistungsvermögen gibt den zeitlichen Umfang an, in dem eine dienstliche Tätigkeit (wie auch Erwerbstätigkeit) unter den festgestellten/beurteilten Bedingungen des qualitativen Leistungsvermögens arbeitstäglich ausgeübt werden kann, d. h. (dienst-bzw. arbeitsrechtlich) zumutbar ist.
Besonderheiten der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (utV) und Besonderheiten der Wehrmedizin
Der Anspruch auf Heilfürsorge bei aktiven (besoldeten) Soldatinnen und Soldaten wird in Form der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (utV) gewährt. Die utV ist damit auch ein wesentliches Instrument der sozialen Sicherung für Soldatinnen und Soldaten in Verwirklichung des Versorgungsprinzips. Die truppenärztliche Funktionsebene ist hierbei für wesentliche Teile der Heilfürsorgegewährung zuständig. Dies beinhaltet (wie schon ausgeführt) im Gegensatz zum zivilen Versorgungsbereich (z. B. GKV) auch die verwaltungsrechtlichen Aspekte [1][9][12].
Die Bedeutung der Beurteilung menschlichen Leistungsvermögens im Rahmen wehrmedizinischer Begutachtungen für Personalentscheidungen bzw. Verwendungsentscheidungen ist selbsterklärend und offensichtlich. Die Rolle des medizinischen Sachverständigen bzw. medizinischen Gutachters bei der Herbeiführung einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung, z. B. zur Gewährung von Leistungen im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme für die Bürger unseres Landes, darf aber nicht unterschätzt werden.
Die Fähigkeit zur sachgerechten Beurteilung von Leistungsvermögen auf einen rein gutachterlichen Aspekt zu reduzieren ist aus Sicht der Autoren daher nicht angezeigt. Im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit mit kurativem oder rehabilitativem Ansatz ist die Bewertung von Leistungsvermögen unverzichtbare Voraussetzung zur angemessenen Indikationsstellung von Maßnahmen aus dem Bereich der Heilfürsorge. Denn jede ärztliche Verordnung erfordert letztendlich auch die Feststellung der Voraussetzungen zur sachgerechten (anspruchsgerechten) Leistungsverordnung bzw. ärztlich indizierten Mittelentnahme zu Lasten der Solidargemeinschaft (Bundeshaushaltsplan, Einzelplan 14).
Besonderheiten gutachterlichen Handelns im Rahmen von Krankschreibungen
Die Beurteilung von Arbeits- bzw. Dienst- und Verwendungsfähigkeit stellt eine häufig zu erbringende gutachterliche Leistung dar, die gerade vor dem Hintergrund der besonderen Dienst- und Treuepflicht fachlichen Standards zu folgen hat [10][12]. Gleichwohl ist der Themenkomplex hochemotional belegt und konfliktträchtig. Die Ergebnisse dieser Beurteilung stellen die Grundlage zur Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherung, z. B. in Form von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bzw. Fortgewährung der Dienstbezüge oder sonstiger Leistungen seitens der Krankenkassen bzw. Heilfürsorge in Form der utV dar.
Als Ergebnis der bisherigen Ausführungen sollte unstreitig sein, dass, wann immer vom Truppenarzt eine gutachterliche Leistung als Sachverständiger bzw. Gutachter durch den Dienstherrn eingefordert wird, diese – wie auch in der zivilen Begutachtung – einem fachlich-normativen Qualitätsanspruch und einem Mindestmaß an Systemkenntnis zu folgen hat. Das Ergebnis gutachterlichen Handelns kann nur so einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung nach den Maßstäben des jeweiligen Rechtskreises standhalten.
Überwiegend intuitives Handeln – auch wenn es häufig zum richtigen Ergebnis führt – darf hier also keinesfalls die Tätigkeit des Sachverständigen prägen. Auch sollte Einigkeit darüber bestehen, dass medizinische Gutachter grundsätzlich über ein einheitliches Vokabular und Verständnis darüber verfügen, wie menschliches Leistungsvermögen zu erfassen, zu benennen und zu bewerten ist. Diese Befähigung zum sicheren Umgang der Leitlinien und Vorgaben sozialmedizinisch-, wehrmedizinischer Inhalte sichert auch mit Blick auf die wichtigen Schnittstellen zum zivilen Versorgungs- und Rehabilitationssystem truppenärztliche Handlungsfähigkeit, auch jenseits der rein sanitätsdienstlichen bzw. streitkräfteinternen Ebene.
Die unbedingte Notwendigkeit sicherer Anwendung gutachterlicher Befähigung wird gerade mit Blick auf die Bündnis- und Landesverteidigung zukünftig eine für die Ergebnisqualität der Wehrmedizin noch entscheidendere Rolle spielen. Das „Brückenfach Sozialmedizin“ [2] mit den seit Jahrzehnten etablierten sozialmedizinischen Leistungsbegriffen und Verfahren zur Feststellung und Bewertung menschlichen Leistungsvermögens ist die entscheidende Voraussetzung für eine funktionierende gutachterliche Interoperabilität zwischen der Bundeswehr und dem Zivilsystem, welche die unstreitig noch an Bedeutung gewinnende Verschränkung beider Systeme bzw. Geltungsbereiche fordert.
Die medizinische Versorgung von Soldatinnen und Soldaten ist unstreitig gut, was sicher nicht zuletzt an ambitionierter und engagierter Leistungserbringung des Sanitätspersonals liegt.
Gleichwohl dürfen bei ehrlicher Betrachtung erhebliche Ausbildungs- und Verständnisdefizite weiter Teile des Sanitätsdienstes im Bereich gutachterlicher Verfahren und Tätigkeit bzw. deren Bedeutung für die Auftragserfüllung nicht verschwiegen werden. Diese Defizite im Bereich Systemkenntnis zeigen sich z. B. in der häufig weiterhin unzureichenden Kenntnis und Anwendung bestehender klarer Regelungen zu den Thematiken Befreiung von allen Diensten und Verwendungsunfähigkeit. Es muss nach Ansicht der Autoren das Ziel sein, nicht gerechtfertigte Ausfallzeiten auf dem Boden prolongierter oder nicht gerechtfertigter Krankschreibungen (häufig auf dem Boden angestrebter Konfliktvermeidung) zu vermeiden. Gleiches gilt aber auch für verwehrte Dienstbefreiung trotz der Gefahr von manifester Unfähigkeit zur Dienstleistungserbringung durch Krankheit oder drohender Verschlimmerung dieser bei Verbleiben im Dienst.
Eigene Bewertung und Erfahrungen mit Lösungsansätzen im dienstlichen Umfeld der Autoren
Eingedenk der eigenen Erfahrungen im dienstlichen Umfeld in unterschiedlichen militärischen und zivilen Tätigkeits- und Verantwortungsebenen wurden Aus- und Weiterbildungsinhalte seit 2017 systematisch ausgewertet und sozialmedizinische Inhalte und Sachverhalte auf ihre Bedeutung für die Wehrmedizin hinterfragt. Die erkannten und relevanten Themenbereiche wurden, sofern notwendig, auf die Besonderheiten der Streitkräfte angepasst: Der besondere Auftrag der Streitkräfte und die im Soldatengesetz ausdrücklich festgelegten Besonderheiten der Angehörigen der Streitkräfte (Patientinnen und Patienten bzw. Probanden im Sinne des vorliegenden Aufsatzes) waren ausdrücklicher Boden für die Überlegungen, ob- und wenn ja – inwieweit bestehende Regelungen im Bereich Sozialmedizin für die Besonderheiten der Wehrmedizin anzupassen waren. Die Ergebnisse dieser Analyse wurden in hieraus resultierenden Schriften zur Sozialmedizin systematisiert und dokumentiert. Nach Abstimmung mit – und Genehmigung durch die zuständigen Dienststellen und Kommandoebenen bilden sie die Grundlage für seit 2018 ebenengerecht befohlene regelmäßige, tageweise durchgeführte Fortbildungsveranstaltungen für Sanitätsoffiziere und Sanitätspersonal der unterstellten regionalen Sanitätseinrichtungen (SanUstgZ Berlin und SanUstgZ Köln-Wahn). Zu diesen Fortbildungen wurden auf Anfrage benachbarte Funktionsbereiche aus dem Sanitätsdienst eingeladen.
Gutachterliche Verfahren und Verfahren im Bereich der Genehmigung von Heilfürsorgemaßnahmen (Prozeduren im Rahmen von Reha/Kuranträge) wurden dann standardisiert an die als geeignet identifizierten zivilen Verfahren/Regelungen angepasst, angewendet und die Ergebnisse ausgewertet [9].
Im Ergebnis war (nach anfänglichen Zweifeln bis hin zur Ablehnung) ein bemerkenswertes Engagement und Interesse des weitergebildeten bzw. anwendenden Personals an den vermittelten Inhalten zu verzeichnen. Sofern dies mit eigenen Mitteln möglich war, wurde eine deutlich verbesserte Ergebnisqualität in den betroffenen Verfahren festgestellt. Die aus Sicht der Autoren erfreulichste (wenn auch nicht überraschende) Erkenntnis bestand in der seitens der Betroffenen geäußerten deutlich verbesserten Handlungssicherheit in den Verfahren (Bewertung von Dienst- und Verwendungsfähigkeit) oder gar Indikationsstellung in Reha-Angelegenheiten. Ebenfalls genannt wurden in diesem Zusammenhang Argumentationssicherheit im Gespräch mit Patienten, Probanden, Vorgesetzten bzw. beteiligten Dienststellen/Kommandobehörden/personalführenden Stellen und dem zivilen Schnittstellenbereichen (z. B. Krankenhäuser/Rehabilitationskliniken).
Schlussfolgerungen
Die Rolle der Bundeswehr als Sozialleistungsträger für aktive und ehemalige Angehörige der Streitkräfte hat in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund der Auslandseinsätze erheblich zugenommen. Das Brückenfach Sozialmedizin gewinnt insbesondere aufgrund der zunehmenden Schnittstellen wehrmedizinischer Aspekte in der Erbringung von Sozialleistungen für aktive und ehemalige Soldatinnen und Soldaten zunehmend an Bedeutung. Von jeher war die wehrmedizinische Begutachtung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit in unterschiedlichen Bereichen der Bundeswehr wesentliches Aufgabenfeld von wehrmedizinisch tätigen Ärzten in allen Tätigkeitsebenen des Sanitätsdienstes, der Organisationsbereiche, der Personalgewinnung, des Personalmanagements bzw. ihrer Vorgängerdienststellen oder (Kommando)Behörden. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Begutachtungstätigkeiten war und bleibt die Beurteilung menschlichen Leistungsvermögens aus (wehr-)medizinischer Sicht (Binnenarbeitsmarkt Bundeswehr).
Entgegen der zentralen Bedeutung von wehrmedizinischer Begutachtung besteht ein erhebliches, nicht bedarfsgerechtes Aus- und Weiterbildungsdefizit innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Aus- und Weiterbildungsbedarf besteht in allen wehrmedizinisch relevanten Bereichen von Gutachten- und Sachverständigenwesen beginnend schon im arbeitstäglichen Bereich der regionalen Sanitätseinrichtungen/entsprechenden sanitätsdienstlichen wehrmedizinischen Funktionsbereichen. Hiermit verbunden ist auch die Vernachlässigung der Kompetenzvermittlung zur Verortung der Streitkräfte bzw. des Sanitätsdienstes in den Systemen der sozialen Sicherung des Sozialstaats Bundesrepublik Deutschland (Systemkenntnis).
Diese Erkenntnisse führten ab 2018 im Bereich des SanUstgZentrum Berlin und des SanUstgZentrum Köln-Wahn nach entsprechender Sachstandsermittlung und Erstellung wehrmedizinisch-sozialmedizinischen Aus- und Weiterbildungsmaterials zu befohlenen Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen ärztlichen und nichtärztlichen Sanitätspersonals mit dem Schwerpunkt der Vermittlung von Systemkenntnis und Begutachtungskompetenz. Die auch seitens der zuständigen Ärztekammern anerkannten Weiterbildungen wurden im Verlauf von fachlich zuständigen vorgesetzten Dienststellen und Kommandobehörden begleitet, erfahrungsabhängig angepasst und zunehmend auch dienststellenübergreifend angeboten und durchgeführt (SanUstgZ Berlin, SchiffMedInst, Fliegerarzt Flugbereitschaft Köln-Wahn).
Vor dem Hintergrund der eingehenden Ergebnisanalysen einschließlich standardisierter Befragungen der Veranstaltungsteilnehmer hat nun Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung Diez die Erstellung eines modularen Ausbildungskonzeptes in Anlehnung an das bewährte bisherige Konzept in Auftrag gegeben.
Aus Sicht der Autoren ist somit ein wesentlicher und lange überfälliger Schritt zur Beseitigung der erkannten Aus- und Weiterbildungsdefizite eingeleitet, der die Ergebnisqualität der Auftragserfüllung der Streitkräfte insbesondere mit Blick auf die Bündnis- und Landesverteidigung weiter steigern wird.
Mit Blick auf die Refokussierung der Streitkräfte auf die LV/BV ist es dabei absolut nachvollziehbar, dass sanitätsdienstliche Auftragskomponenten und Prioritäten überdacht und angepasst werden müssen bzw. mussten. Hierbei darf es jedoch nicht zu einem „Entweder-oder-Prinzip“ zu Lasten der ambulanten Versorgung (Allgemeinmedizin) kommen. Es ist die Allgemeinmedizin (bzw. der allgemeinmedizinisch tätige Arzt) in der Bundeswehr, die sich auch künftig ihrer Führungsrolle als in der primärärztlichen Grundversorgung und wehrmedizinisch-sozialmedizinischen Begutachtung von Soldatinnen und Soldaten auch mit Blick auf die Schnittstellen zum zivilen Versorgungssystem bewusst sein muss. Aktuelle und zukünftige konzeptionelle und planerische Überlegungen und Maßnahmen sollten dieser aus Sicht der Autoren unumstößlichen Erkenntnis auftragsangemessen Rechnung tragen.
Literatur
- Brettel H, Vogt H: Ärztliche Begutachtung im Sozialrecht. München 2018: Ecomed-Verlag. 3.Auflage.
- Diehl C, Kreiner C, Diehl R: Kurs- und Lehrbuch Sozialmedizin. Köln: Dt. Ärzteverlag 2021, 2. Auflage 2021.
- Deutsche Rentenversicherung: Leitlinien Sozialmedizinische Begutachtung , 7. Auflage 2021.. , letzter Aufruf 23. Septmeber 2024. mehr lesen
- Deutsche Rentenversicherung: Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, Hinweise zur Begutachtung. , letzter Aufruf 31. Juli 2024. mehr lesen
- Franke J, Gagel A, Bieresborn D (Hrsg): Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht. Baden-Baden 2017: Nomos-Verlag 2. Auflage.
- Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Zentralvorschrift Bundeswehr, A1-1420-4000. 2018: 201. mehr lesen
- Linden M, Baron S, Muschalla B, Ostholt-Costen M: Fähigkeitsbeeinträchtigung bei psychischen Erkrankungen. Bern 2022: Hogrefe, 2. Auflage.
- Radtke H: Was soll - was kann Allgemeinmedizin innerhalb der Bundeswehr leisten? Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016 (3): 20-25. mehr lesen
- Radtke H: Sozialmedizinische Tätigkeitsfelder im dienstlichen Umfeld von Sanitätsoffizieren. Schriften zur Sozialmedizin in der Wehrmedizin I: Köln-Wahn, Dezember 2021.
- Radtke H: Die Begutachtung von Verwendungsfähigkeit/Arbeitsfähigkeit aus wehrmedizinischer-sozialmedizinischer Sicht. Schriften zur Sozialmedizin in der Wehrmedizin II: Köln-Wahn, Dezember 2021.
- Radtke H: Medizinische Begutachtung unter wehrmedizinischen Aspekten. Schriften zur Sozialmedizin in der Wehrmedizin III, Köln-Wahn, Dezember 2021
- Radtke H: Sozialmedizinisches-Wehrmedizinisches Glossar. Schriften zur Sozialmedizin in der Wehrmedizin V, Unterlagen zur strukturierten Aus- und Weiterbildung von Sanitätsoffizieren Arzt/Zahnarzt, Köln-Wahn, Dezember 2021.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Sander J, Radtke H: Sozialmedizin und Wehrmedizin: Medizinische Begutachtung von Leistungsvermögen. WMM 2024; 68(10): 412-417.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-354
Für die Verfasser
Flottenarzt Joerg Sander
Sanitätsunterstützungszentrum Köln-Wahn
Flughafenstr. 1, 51147 Köln-Wahn
E-Mail: franksander@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Sander J, Radtke H: [Social Medicine and Military Medicine: Medical Assessment of Performance Capability]. WMM 2024; 68(10): 412-417.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-354
For the Authors
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