Schlaf ist so wichtig wie tägliches Essen und Trinken: Aspekte von Erschöpfung und Schlafstörungen während Einsätzen
Sleep is as Important as Eating and Drinking: Considerations regarding Fatigue and Sleep Disorders during Missions
Reinhard Starka, Ulrich Vortkampa
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik IX – Neurologie
Zusammenfassung
Schlaf als lebenswichtige Ressource für das Militär bekommt häufig bei Einsatzplanung und Durchführung noch nicht den Stellenwert, der ihm zustehen sollte. Übermüdete und somit in der Einsatzbereitschaft nachhaltig eingeschränkte Soldatinnen und Soldaten sind einerseits die Folge, andererseits ist chronisch reduzierter Schlaf ein Risikofaktor für eine Reihe von ernsthaften psychiatrischen Erkrankungen (Suchterkrankungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, etc.), die in Einsätzen bereits isoliert gesehen und in deutlich gehäufter Form auftreten. In der Längsschnittbeobachtung der letzten 20 Jahre zeigte sich parallel zur Zunahme der individuellen Häufigkeit und Intensität der Auslandseinsätze eine erschreckende Häufung an Schlafstörungen mit begleitender Fatigue bei den betroffenen Soldaten. Der hohen Anzahl Betroffener muss eine rasche und breitgefächerte (psycho-)therapeutische Hilfe gegenübergestellt werden. Es wird sich zeigen, ob internetbasierte Psychotherapieprogramme zur Schlafverbesserung im Einsatz einen ähnlich guten Erfolg zeigen, wie zivile Studien dies hoffen lassen.
Schlüsselworte: Fatigue, Insomnie, Auslandseinsatz, Bundeswehr, Einsatzbereitschaft
Summary
Sleep is a critical resource for the military, yet it is often undervalued in mission planning and execution. Insufficient sleep can lead to overtired soldiers with reduced readiness for action and increased risk of serious psychiatric illnesses such as addiction, depression, and post-traumatic stress disorder, which are already prevalent during missions. Over the past 20 years, there has been a concerning rise in sleep disorders and fatigue among soldiers, coinciding with an increase in the frequency and intensity of foreign missions. The high prevalence of these issues necessitates rapid and wide-ranging therapeutic interventions. It remains to be seen whether internet-based psychotherapy programs, which have shown promise in civilian studies, could effectively improve sleep during missions.
Keywords: fatigue; insomnia; deployment; Bundeswehr; operational readiness
Einleitung und Hintergrund
Schlaf ist für die militärische Einsatzbereitschaft von entscheidender Bedeutung, wird jedoch bei der Einsatzplanung häufig außer Acht gelassen. Mit Beginn der Kampfhandlungen im Rahmen der Operation Iraqi Freedom kam es zu einem massiven Anstieg der Diagnoseraten klinisch signifikanter Schlafstörungen bei Offizieren und Mannschaften. Dies ging mit einer parallelen Zunahme an psychischen Gesundheitsstörungen einher [15].
Als lebenswichtige Ressource für das Militär sollte Schlaf entsprechend eine hohe Priorität haben. Bekanntermaßen sind militärische Operationen aber in der Regel nicht so ausplanbar, dass Soldatinnen und Soldaten ausreichend Schlaf bekommen, worunter die geistige und körperliche Fitness leidet. Die Folgen unzureichender Schlafplanung und insuffizientem Schlafmanagement wurden im RAND-Report „Sleep in the Military“ hervorgehoben, in dem bei fast 50 % des Militärpersonals Schlafstörungen festgestellt wurden [26].
In einer eigenen Fragenbogenstudie von 2020, bei der wir 1712 Soldaten der Marine, Luftwaffe und einer Kontrollgruppe hinsichtlich Tagesschläfrigkeit befragt haben (ermittelt mittels Epworth-Sleepiness-Scale) zeigten 46,1 % der Teilnehmenden der Marine und 31,3 % der Luftwaffe auffällige Werte, somit mehr als doppelt so häufig Tagesschläfrigkeit im Vergleich zur altersbezogenen Normierungsstudie von Sauter et al. [21] mit 15 %.
Die Problemstellung ist zusammenfassend griffig, gefragt sind nun Lösungsmöglichkeiten. Mit geänderter politischer Sicherheitslage in Europa durch russische Aggressionen und damit neu definiertem militärischem Auftrag werden sich Schlafstörungen und Erschöpfungszustände bei Soldaten häufen.
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die gesamte Leserschaft sowie besonders alle Truppenärztinnen und Truppenärzte für diese (lebens-)wichtige Thematik zu sensibilisieren: Bei der Einsatzplanung, wie auch bei der Durchführung bedarf es ihrer stetigen Einwirkung auf den militärischen Führer bezüglich einer Optimierung des Schlafes.
Begriffsdefinition
Was ist der medizinische Begriff von Erschöpfung? Am treffendsten findet er sich in dem aus dem Lateinischen Fatigatio abgeleiteten Wort Fatigue wieder. Bei der Suche nach einer prägnanten und kurzen medizinischen oder psychologischen Definition von Fatigue im World Wide Web wird deutlich, dass der Begriff viele Facetten beinhaltet und mehr mit wortreichen Umschreibungen als mit einer einheitlichen Definition hinterlegt ist. Auch sind Diagnoseinstrumente zur Erfassung von Fatigue nicht definiert [13].
Hier zwei Definitionsansätze:
„Fatigue ist charakterisiert durch einen Energiemangel von extremem Ausmaß“ [13].
„Fatigue ist das Bewusstwerden einer verminderten Leistungsfähigkeit körperlicher und/oder geistiger Aktivität aufgrund eines Ungleichgewichts in der Verfügbarkeit, Nutzung und/oder Wiederherstellung der zur Ausübung dieser Aktivität erforderlichen Ressourcen. Fatigue tritt auf, wenn dieses System aus dem Gleichgewicht geraten ist – das heißt, wenn nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, entweder weil die Nachfrage oder der Bedarf zu groß ist oder weil die Mechanismen der Nutzung und Wiederherstellung gestört sind.” [1].
Fatigue beschreibt einen Zustand der Müdigkeit (tiredness) oder Erschöpfung (exhaustion), der sich nicht in einer Schläfrigkeit darstellt. Fatigue ist häufig das Resultat einer längeren körperlichen oder geistigen Aktivität. Wenn Fatigue unabhängig von körperlicher oder geistiger Anstrengung auftritt bzw. nach Ruhe oder Schlaf nicht verschwindet, kann dies andere Ursachen haben, beispielsweise eine Krankheit [8].
Es gilt entsprechend zu betonen, dass Fatigue und Schläfrigkeit (ausgelöst z. B. durch Schlafentzug, siehe auch unten) zwei unterschiedliche Zustände beschreiben und verschiedenartig aufgelöst werden müssen. Der schläfrige Soldat nutzt jede sich ergebende Ruhephase, um sich dem Schlafdrang hinzugeben. Der an Fatigue leidende (übermüdete) Patient kann häufig aufgrund einer ausgeprägten inneren Unruhe, trotz der sich ergebenden Möglichkeit, nicht einschlafen.
Klassische militärische Szenarien, die Fatigue zur Folge haben können, sind psychische Traumata wie lebensbedrohliche Feindkontakte oder Geiselnahme. Ein weiteres Phänomen ist die sogenannte „compassion fatigue“, das Erkennen der eigenen Ohnmacht, welche Sanitäter empfinden können, wenn sie der Versorgung verwundeter Soldaten ausgesetzt sind und sich mit der Situation überfordert fühlen [16].
Relevanz von Fatigue, Schläfrigkeit und Schlafstörungen im militärischen Kontext
Militärische Einsätze bedingen eine reduzierte Schlafdauer: Luxton et al. befragten 3152 amerikanische Soldaten im Einsatz Operation Iraqi Freedom hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Schlafdauer. Diese betrug 5,8 Stunden. 43 % der Armeeangehörigen schliefen weniger als 5 Stunden, 11 % weniger als 4 Stunden [11]. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Schlafdauer der Deutschen ab 18 Jahren lag 2022 bei 8 Stunden und 37 Minuten [24].
Eine verkürzte Schlafdauer kann zwei unterschiedliche Gründe haben, teilweise treten diese auch in Kombination auf:
- Die täglichen Aufgaben sind so vielfältig, dass zu deren Erfüllung am Nachtschlaf „geknapst“ werden muss bzw. dass der Nachtschlaf durch militärische Aufträge selbst gestört wird. Dies kann bei ausgeprägtem Schlafdefizit zu Tagesschläfrigkeit führen.
- Belastende Eindrücke und Ängste aus Einsatz-/Kriegsszenarien führen zu ausgeprägten Ein- und Durchschlafstörungen. Die daraus resultierende Übermüdung kann zu einer Fatigue führen bzw. diese auch unterhalten.
Im Folgenden werden diese beiden Kausalitäten differenziert betrachtet.
Schläfrigkeit durch kurzen Nachtschlaf
Bei dieser Gruppe liegen in der Regel keine Schlafstörungen vor. Häufig ist das Gegenteil der Fall: Die Betroffenen sind häufig so erschöpft, dass sie jede Freiminute zum Schlafen nutzen. Von diesem Schlafmangel sind häufig Matrosen, bedingt durch Dienstplansonderheiten, betroffen: Ihr schlafeinschränkendes Schichtsystem mit Wechselschichten – teilweise alle vier Stunden – führt zu einem chronischen Schlafentzug mit daraus resultierender Tagesschläfrigkeit.
Eine maritime Militärstudie beschreibt, dass 31,8 % der Besatzungsmitglieder eines Flugzeugträgers der US Navy (N = 767) über erhöhte Tagesschläfrigkeit berichten, die hauptsächlich auf die kurzen Schlafzeiten zurückzuführen ist [10].
Eine Studie von Russell et al. über selbstberichtete Schlafvariablen bei Matrosen der US-Marine (N = 11 738) zeigt, dass Matrosen an Bord nicht die Schlafmenge bekommen, die sie nach eigenen Angaben benötigen, um sich ausgeruht zu fühlen [20].
Weitere schlafeinschränkende Besonderheiten auf Schiffen sind bordspezifische Gegebenheiten: Lärm, unangenehme Temperaturen und Licht in den Kojen, sowie ungünstige weitere Schlafbedingungen (unbequeme Matratze, Bettgröße, Kissen) sind die am häufigsten genannten unterkunftsbezogenen Faktoren für schlechten Schlaf in einer Analyse von Studien, die von der US Navy durchgeführt wurden [12]. Schiffsbewegungen bei unruhiger See führen zudem zu einer Häufung dieser Schlafunterbrechungen.
Ein- und durchschlafassoziierte Schlafstörungen
Eine Stichprobe von 4 667 amerikanischen, in Afghanistan eingesetzten Soldaten ergab, dass lediglich 31 % nicht von Schlafstörungen betroffen waren. 40 % entwickelten eine Insomnie im Einsatz, von der sie sich im Anschluss erholten, 11 % wiesen eine Schlaflosigkeit sowohl vor als auch nach dem Einsatz auf und 14 % beklagten eine Insomnie während oder kurz nach dem Einsatz, die nicht nachließ [14].
Die Prävalenz diagnostizierter Schlafstörungen unter Veteranen, die in medizinischen Einrichtungen des Veterans Affairs (VA) behandelt wurden, nahm in den Jahren 2012 bis 2018 deutlich zu. So stieg die Häufigkeit der Diagnose Insomnie von 2012 (7,4 %) bis 2018 (11,8 %) um über 40 % an. Folglich wuchs auch die Nachfrage der Veteranen nach schlafmedizinischen Leistungen in dem Zeitraum deutlich, beispielsweise verdreifachte sich fast die Anzahl jährlicher stationärer Termine in Schlaflaboren (< 250 000 im Geschäftsjahr 2012; > 720 000 im Geschäftsjahr 2018) [6].
Weit alarmierender ist folgende Entwicklung: Während der Operation Iraqi Freedom/Operation Enduring Freedom/Operation New Dawn-Phase nahm die Erkrankungsrate einer diagnostizierten Insomnie in allen eingesetzten Teilstreitkräften dramatisch zu. Amerikanische Heeressoldaten wiesen innerhalb dieser 14 Jahre gar eine um den Faktor 120 erhöhte Zahl an Insomnie-Diagnosen auf [4]. Die absoluten Zahlen stiegen von weniger als 3,6 pro 10 000 Personenjahre im Jahr 1998 auf fast 432 pro 10 000 Personenjahre im Jahr 2012.
Interessanterweise manifestiert sich die Schlafstörung bereits Wochen vor Einsatzbeginn: Danker-Hopfe et al. [5] untersuchten die Schlafqualität von 146 deutschen Soldaten 6 Wochen vor dem Auslandseinsatz, ca. drei Monate nach Einsatzbeginn und direkt nach dem Ende des Auslandseinsatzes. Als Kontrollgruppe dienten 118 Soldaten, die nicht für einen Einsatz geplant waren. In der Einsatzgruppe fanden sich bereits vor Einsatzbeginn ca. ein Drittel schlechtere Schläfer (Pittsburgh Schlafqualitäts-Index > 5). Dieses „auffällige Drittel“ zog sich auch über die zwei weiteren Messpunkte (drei Monate nach Einsatzbeginn und direkt nach Ende des Auslandseinsatzes) hinweg.
Angesichts des hohen Einsatztempos seit Beginn des globalen Krieges gegen den Terror im Jahr 2001 sind viele Soldaten mehrfach an aktiven Einsatzorten stationiert. Entsprechend ist mit einer weiteren Häufung von Schlafstörungen in den Operationsgebieten zu rechnen, die auch zwischen den Einsätzen bestehen bleiben werden. Vielerlei Untersuchungen belegen, dass eine Insomnie im Einsatz zudem psychiatrische Erkrankungen triggert: Eine Schlafdauer unter 6 Stunden ist ein unabhängiger Risikofaktor für Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Paniksyndrome, Missbrauch von Alkohol und Suizidgedanken [11]. Dabei bergen bereits Insomniebeschwerden vor dem Einsatz ein signifikant erhöhtes Risiko für oben aufgeführte psychiatrische Diagnosen im Einsatz [7]. Luxton et al. weisen auf die daraus möglicherweise resultierenden zusätzlichen körperlichen und beruflichen Beeinträchtigungen, einschließlich chronischer Schmerzen, Müdigkeit, Unwohlsein, Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen sowie Unfällen am Arbeitsplatz oder beim Autofahren hin [11].
Gefahren von Fatigue und Schlafstörungen während der Einsätze
Fatigue bzw. Schlafstörungen führen zu verminderter physischer und psychischer Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen, Wahrnehmungsbeeinträchtigungen und somit zu einer erhöhten Empfänglichkeit für Fehlerhäufung, die im militärischen Kontext potenziell eine tödliche Gefahr birgt.
Militärische Untersuchungen bezüglich der Gefahren von Fatigue in den Streitkräften gibt es wenig. Hier zwei Publikationen, die sich mit der Thematik beschäftigen:
Fatigue wird als einer der Risikofaktoren für „friendly fire“ benannt. Konkret findet sich in einer Stellungnahme im Zusammenhang mit einem „friendly fire“-Zwischenfall während des Golf-Kriegs, bei dem sechs US-Soldaten getötet und weitere 25 verwundet worden sind, folgendes Zitat [3]: „Fatigue könnte zu dem Problem an diesem Tag beigetragen haben. Die 3. Brigade war bereits mehr als 60 Meilen in den Irak vorgerückt, als die große Schlacht begann“. Den Untersuchungsberichten zufolge waren die Soldaten bis zu 36 Stunden ohne Schlaf“.
Auch bei dramatischen Zwischenfällen der US Navy wird Fatigue im umfassenden Untersuchungsbericht zu diesen Seeunglücken zumindest als Mitursache benannt: Im Jahr 2017 kam es in der US Navy zu drei Kollisionen und einer Grundberührung mit 17 Toten und zahlreichen Schwerverletzten [25].
Wir wissen von zivilen Untersuchungen, dass Schläfrigkeit am Steuer die häufigste feststellbare und vermeidbare Ursache von Verkehrsunfällen ist [27]. Diese Fehlhandlungen auf den Straßen sowie schläfrigkeitsbedingte Fehler in der zivilen Fliegerei und Schifffahrt (siehe nachfolgende Untersuchungen) sind sicherlich auch auf militärische Einsätze zu übertragen.
2017 wurden 328 Piloten von Passagierflugzeugen der Vereinigten Arabischen Emirate hinsichtlich ausgeprägter Fatigue während der Dienstausübung befragt [2]: Diese wurde von 68,3 % bestätigt, 67,4 % berichteten zudem von fatiguebedingten Fehlern im Cockpit, 34,1 % zeigten eine erhöhte Tagesschläfrigkeit (Epworth Sleepiness Scale-Gesamtsummenscore ≥ 10) und 45,1 % waren ohne Absprache mit dem Copiloten eingeschlafen.
Eine Nachuntersuchung von 279 zivilen Schiffsunfällen ergab, dass Fatigue der Seeleute zu 16 % der Schiffsunfälle mit Sachschaden und zu 33 % der Schiffsunfälle mit Personenschaden beitrug [19]. Unzureichende (Schlaf-)Pausen und verlängerte Arbeitszeiten sowie Nachtarbeit führen zu verstärkter Symptomatik.
Therapie der Fatigue
Aus den oben diskutierten Publikationen wird deutlich, welche große Relevanz Fatigue und Schlafstörungen im militärischen Umfeld haben. Je nach Literaturquelle ist bei bis zur Hälfte der Soldaten im Einsatz mit einer relevanten Insomnie zu rechnen. Mit zunehmender Häufigkeit der Einsätze steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Insomnie zu entwickeln, die auch nach dem Einsatz fortbesteht. Die Tatsache, dass Ein- und Durchschlafstörungen bereits in der Normalbevölkerung häufig sind, eine hohe Chronizität zeigen und zudem Therapieresistenz aufweisen, lässt ableiten, dass kurzfristige therapeutische Möglichkeiten bei schwerer betroffenen Soldaten begrenzt sind: In Europa leiden etwa 10 % der Erwachsenen unter einer chronischen Insomnie, ein Großteil der davon in Deutschland Lebenden ist derzeit unterversorgt [9].
Die häufig im Zivilleben verordnete schlafanstoßende Medikation ist für den Soldaten nur im Ausnahmefall eine Option: Mit abendlicher Einnahme eines Hypnotikums muss der Soldat für die nächsten Stunden aus einer Alarmbereitschaft herausgenommen werden, da er im Falle einer notfallmäßigen Aktivierung ggf. nicht adäquat handlungsfähig ist. Zudem ist diese Medikation häufig mit einem Abhängigkeitspotenzial behaftet (Benzodiazepine oder Benzodiazepin-Rezeptoragonisten) und daher nur für die Kurzzeitbehandlung zugelassen. Die frei verkäuflichen Phytotherapeutika haben in der Behandlung von Schlafstörungen eine lange Tradition, evidenzbasiert ergibt sich aber weiterhin eine unzureichende Datenlage. Dies ist auch die Erklärung dafür, dass keine leitlinienbasierte Empfehlung zum Einsatz in der Insomniebehandlung gegeben werden kann [17].
Nach nationalen und internationalen Leitlinien sollte kognitive Verhaltenstherapie (KVT) für Insomnie als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Umfangreiche metaanalytische Literatur belegt, dass KVT bei Patienten mit chronischer Insomnie auch über den eigentlichen Behandlungszeitraum hinaus sehr wirksam ist [18]. Hierfür bedarf es aber einer großen Anzahl von Psychotherapeuten, die Erfahrung mit kriegsgeschädigten Soldaten haben. Alternativ oder ergänzend steht mittlerweile mit guten Studienergebnissen internetbasierte KVT zur Verfügung (beispielsweise digitales Schlafcoaching-Programm der Bundeswehr trainSLEEP [22][23]. Im Falle einer relevanten zusätzlichen schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung (beispielsweise PTBS, Depression, Missbrauch von Alkohol und Suizidgedanken), die bei an Insomnie erkrankten Soldaten häufiger als Komorbidität gesehen wird (s.o.) [11], bedarf es primär eines individuellen Psychotherapeutenkontaktes.
Notfallmaßnahmen für den militärischen Führer vor Ort
Erkennt der militärische Führer vor Ort einen aufgrund Fatigue oder Schläfrigkeit akut gefährdeten Soldaten, muss er diesen umgehend aus seiner Funktion herauslösen. Sollte ein Truppenarzt vor Ort kurzfristig nicht zur Verfügung stehen, sollte der betroffene Soldat zumindest in Kontakt mit Notfallsanitätern gebracht werden. Nach deren Maßgabe erfolgt dann eine Akutbehandlung mit Hypnotika (Schlafmitteln) und eine zumindest passagere Repatriierung.
Was sind Zeichen einer relevanten Übermüdung, die von Dritten erkannt werden können?
- Der Geist des Soldaten schweift in Gesprächen ab, einer Unterhaltung kann nicht gefolgt werden.
- Gelesenes kann nur schwer wiedergegeben werden.
- Eine Ansprache von Mitmenschen wird überhört.
- Der Betroffene weist Zeichen der Überforderung auf, alltägliche Dinge gelingen nicht.
- Es finden sich Lustlosigkeit und fehlende Entscheidungsfreude.
- Das Denken fällt schwer, die Konzentration nimmt ab.
- Es kommt zu verstärkter Gleichgültigkeit.
- Innere Unruhe und Anspannung kommen auf.
- Augenlider werden schwer.
Achtung – Übermüdung als Kraftfahrer!
Beim Vorliegen folgender Warnsignale ist die Fahrtauglichkeit unmittelbar in Frage zu stellen und muss akut geprüft werden:
- Es gibt Probleme beim Halten der Spur, Überfahren des Seitenstreifens.
- Der Blick haftet starr auf der Fahrbahn.
- Es besteht eine eingeschränkte Erinnerung an die letzten gefahrenen Kilometer.
- Straßenschilder werden übersehen, Abzweigungen oder Ausfahrten verpasst.
- Unabsichtliche Geschwindigkeitswechsel werden durchführt.
- Es kommt zu häufigem Gähnen und Frösteln.
- Vermehrter Lidschlag bzw. unwillkürlicher Augenschluss treten auf.
Die oben beschriebenen Zeichen einer relevanten Übermüdung sollten breit gefächert geschult werden und unter den Soldaten allgemein bekannt sein.
Prävention der Fatigue
Ein Review von Mysliwiec et al. beschreibt sehr detailliert die Möglichkeiten einer Fatigueprävention [15]: Ein „Military Sleep Management“ soll in Phasen unzureichenden Schlafs, die während anhaltender Operationen unvermeidbar sind, für ausreichenden Erholungsschlaf und minimierte Schlafverluste sorgen. Die Voraussetzung für diese Lösungsstrategie ist aber, dass der Soldat so zur Ruhe kommen kann, dass er während Operationspausen auch wirklich Schlaf findet. Dies ist bei Insomnikern keineswegs selbstverständlich. Sehr wichtig sind die weiteren von Mysliwiec et al. angeführten Punkte [15]: So propagiert die Arbeitsgruppe die Einbettung von Schlaferziehung und -management in die militärische Ausbildung, die Soldaten einerseits helfen soll, angemessene Schlafpraktiken zu entwickeln, den Schlaf während des Einsatzes zu verbessern und so direkt die Einsatzbereitschaft zu steigern. Andererseits soll mit diesen Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit verringert werden, dass Soldaten während des Einsatzes Schlaf- und Verhaltensstörungen entwickeln, wodurch die Gesundheit der Truppe verbessert und die allgemeinen Gesundheitskosten für das Militär gesenkt werden können. Dafür soll das Schlafmanagement in der Verantwortung des Kommandanten angesiedelt werden und es soll bei Einsätzen die gleiche Wertigkeit bekommen wie die ausreichende Nahrung- und Wasserversorgung. Zusätzlich sollen in der Schlaferziehung, Schlafplanung und im Schlafmanagement ausgebildete Soldaten dem Kommandeur direkt beratend zur Seite gestellt werden. Abbildung 1 vermittelt Eindrücke vom Projekt „Lichtmanagement“ der US-Marine: Blaulicht-emittierende Brillen sollen die Wachsamkeit von Matrosen an Bord verbessern.
Abb. 1: Projekt Lichtmanagement der US-Marine, Crew Endurance Team, Naval Postgraduate School, Monterey, CA, USA: Um die Wachsamkeit zu verbessern, trugen Matrosen auf einem Zerstörer der US-Marine nach dem Aufwachen Brillen mit hochenergetischem (High Energy Visible) Licht (Bild 1a). Um ihnen beim Einschlafen zu helfen, erhielten die Matrosen blaulichtblockierende Brillen, die sie nach Schichtende und vor dem Zubettgehen tragen mussten (Bild 1b).
Bildquellen: Bild 1a: National Geographic (https://www.nationalgeographic.com/magazine/article/science-of-sleep), Bild 1b: Crew Endurance Team, Naval Postgraduate School, Monterey, CA, USA
Fazit
Erholsamer Schlaf ist neben Essen und Trinken ein Grundbedürfnis des Menschen. Leider ist dieser bei Soldaten im Einsatz häufig nicht gegeben. Das Resultat ist eine in der Einsatzbereitschaft geschwächte Armee. Bereits bei der Einsatzplanung muss an stetiger Optimierung gearbeitet werden. Schlafspezialisten können hierbei beratend tätig werden. Zudem bedarf es psychotherapeutisch geschultes Personal, dass die Einsätze begleitet und Lösungen vor Ort findet. Es wird sich zeigen, ob internetbasierte Psychotherapieprogramme zur Schlafverbesserung im Einsatz einen ähnlich guten Erfolg zeigen, wie zivile Studien dies hoffen lassen.
Kernaussagen
- Mit Häufung der Auslandseinsätze steigt die Anzahl von Schlafstörungen überproportional.
- Chronische Insomnien sind der Nährboden für müdigkeitsbedingte Fehlhandlungen, Fatigue und daraus resultierende ernsthafte psychiatrische Erkrankungen.
- Schlaf muss bereits bei der Einsatzplanung im Fokus stehen.
- Soldatinnen und Soldaten mit relevanter Insomnie bzw. Fatigue müssen identifiziert werden und zeitnahe professionelle Hilfe durch Psychotherapeuten erhalten.
- Begleitende internetbasierte Psychotherapieprogramme sind als Option für die Zukunft denkbar.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stark R, Vortkamp U: Schlaf ist so wichtig wie tägliches Essen und Trinken: Aspekte von Erschöpfung und Schlafstörungen während Einsätzen. WMM 2024; 68(10): 427-432.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-355
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik IX – Neurologie
Lesserstr. 180, 22049 Hamburg
E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Stark R, Vortkamp U: [Sleep is as Important as Eating and Drinking:
Considerations regarding Fatigue and Sleep Disorders during Missions.] WMM 2024; 68(10): 427-432.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-355
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Reinhard Stark, MD
Bundeswehr Hospital Hamburg, Department IX –Neurology
Lesserstr. 180, D-22049 Hamburg
E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org
Könnte es Malaria sein?
Fallbericht und Übersichtsartikel zur komplizierten Malaria tropica-Infektion mit hoher Parasitämie
Could it be Malaria?
Case Report and Review Article on Complicated Malaria Tropica Infection with High Parasitemia
Lorenz Wolfa, Laura Strekb, Nino Neumannc, Annette Müllera, Stefan Markhoffd, Rico Müllera
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abt. XVI – Laboratoriumsmedizin,
b Sanitätsversorgungszentrum Berlin-Mitte
c Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik I – Innere Medizin
d Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik X – Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin
Zusammenfassung
An einem Fallbeispiel werden der Ablauf einer Malaria-Erkrankung sowie die zugehörigen Hintergründe erläutert. Die Malaria-Infektion ist in Deutschland durch Reisende und Familienheimkehrer eine relevante Differenzialdiagnose bei unklarem Fieber. Soldaten sind besonders durch Einsatzszenarien betroffen. Mit dem Beitrag soll die (truppen-)ärztliche Sensitivität für diese tropenmedizinische Erkrankung erhöht werden.
Schlüsselwörter: Malaria tropica, Kasuistik, Militärmedizin, Labormedizin, Tropenmedizin, Infektiologie
Summary
By a case report we illustrate the course of malaria disease and the associated background. In Germany, malaria infection is a relevant differential diagnosis in travelers and family members with unexplained fever. Soldiers are particularly affected by deployment scenarios. We are aiming to foster medical sensivity of the Bundeswehr unit physicians to this tropical disease.
Keywords: malaria tropica; case report; military medicine; laboratory medicine; tropical medicine; infectiology
Fallbeschreibung
Wir berichten von einer 50-jährigen deutschen Patientin, welche sich nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in Nigeria primär in der ihr bekannten reise-/tropenmedizinischen ambulanten Sprechstunde Anfang Dezember 2023 mit länger bestehendem Fieber und gastrointestinalen Beschwerden vorstellte. Mit einem positivem Malaria-Schnelltest wurde die Patientin in die Notfallaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses Berlin überwiesen.
Anamnese
Die Rückkehr aus Nigeria erfolgte drei Tage zuvor. Die Hintergründe der privaten Reise waren der Besuch von Freunden bzw. Verwandten (visiting friends and relatives, VFR), sowie touristischer Natur. Die Patientin besuchte mehrere abgelegene Gebiete, hielt sich jedoch auch in einer größeren Hotelanlage auf; im Anschluss verbrachte sie noch eine Woche in Lagos. Eine Malaria-Prophylaxe wurde aufgrund der individuellen Fehleinschätzung des Infektionsrisikos sowie aus Angst vor Nebenwirkungen nicht eingenommen. Eine immer wieder anekdotisch berichtete, laienhafte und gleichermaßen unzutreffende Risikonegation durch VFR scheint auch diesem Fall zugrunde zu liegen. Vektorenschutz sei durch handelsübliches Mückenspray erfolgt. Netze als Expositionsprophylaxe seien nicht genutzt worden.
Der Symptombeginn wurde durch die Patientin auf 11 Tage vor Aufnahme terminiert. Zu Beginn kennzeichnend wären abendliche Fieberschübe, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Schüttelfrost, Durchfall (ca. dreimal pro Tag, wässrig, keine Blutbeimengungen, kein Teerstuhl) sowie Magenkrämpfe gewesen. Hautausschlag sei nicht erinnerlich. Die gastrointestinale Symptomatik habe für die Patientin im Vordergrund gestanden. Die Miktion gestalte sich unauffällig. Ungeschützter Geschlechtsverkehr wurde verneint, ebenso habe kein Süßwasser- oder Tierkontakt stattgefunden. Vorerkrankungen, Allergien oder eine Dauermedikation bestünden nicht.
Die Patientin habe die beschriebenen Symptome auf die Hitze und die ungewohnte Ernährung im Reiseland zurückgeführt. Nachdem ihr die ländlichen Gebiete Nigerias aufgrund der hygienischen Umstände nicht zugesagt hätten und sie eine Einlieferung in ein dortiges Krankenhaus vermeiden wollte, wäre Sie – auch um den Symptomen Rechnung zu tragen – in ihre Hotelanlage zurückgekehrt. Sie habe zwischen den Fieberepisoden massiv Appetit auf Früchte gehabt und es habe ein deutlich gesteigertes Durst- und orales Trockenheitsgefühl bestanden.
Klinisches Bild
Die Patientin zeigte sich bei Aufnahme wach, kooperativ und adäquat reagierend. Auffällig war der deutlich reduzierte Allgemeinzustand. Der initial beim niedergelassenen Arzt gemessene Blutdruck erwies sich als deutlich hypoton mit einer begleitenden Tachykardie und subfebrilen Temperaturen. Die Patientin erhielt aufgrund der Dehydration und Hypotonie bereits in der niedergelassenen Praxis eine Volumensubstitution mit 1000 ml einer 0,9 %-Natriumchlorid-Infusionslösung. Bei Vorstellung in unserer Notaufnahme zeigte sich eine minimal gebesserte Hypotonie und Tachykardie.
Die neurologisch-orientierende Untersuchung war unauffällig. Die Pupillenreaktion prompt und seitengleich. Auffallend waren weiterhin trockene Schleimhäute und stehende Hautfalten. Das Hautcolorit war leicht ikterisch. Das Herz auskultierte sich rhythmisch, tachykard und ohne pathologische Herzgeräusche. Über der gesamten Lunge konnte ein vesikuläres Atemgeräusch gehört werden. Das Abdomen tastete sich weich und ohne palpable Resistenzen. Es bestand kein Flankenklopfschmerz, jedoch ein Druckschmerz über allen vier Quadranten ohne pathologische Darmgeräusche. Die Milz war nicht tastbar. Die Leber war ohne Vergrößerung tastbar. Knöchelödeme bestanden nicht.
Diagnostik
Auf Basis des extern erhobenen positiven Malaria-Schnelltests erfolgte die initiale Diagnostik zunächst Erreger-fokussiert. In der Notaufnahme wurden die tropenmedizinische Notfall-Labordiagnostik (hier: Parasiten-Mikroskopie und immunchromatographischer Schnelltest), Blutkulturen sowie eine Röntgenuntersuchung des Thorax für den weiteren Verlauf veranlasst. Die weitere Labordiagnostik umfasste ein zunächst automatisiertes, großes Blutbild sowie Urinstatus, Elektrolyte und Serumchemie, erweiterte Infektions- und Entzündungsparameter, erweiterter Gerinnungsstatus und komplettierend, die molekularbiologische Diagnostik, wie MRSA-Screening und Influenza-/SARS-CoV-2-Diagnostik aus einem Rachenabstrich. Eine Auswahl initial erhobener Parameter und deren Verlauf ist in Tabelle 1 dargestellt. Gleichzeitig wurden manuelle Blutausstriche zur weiterführenden Stufendiagnostik angefertigt. Die spezielle Malaria-Diagnostik umfasste die Wiederholung des bereits ambulant erfolgten Schnelltests sowie die Anfertigung eines Giemsa-gefärbten Dicken Tropfens und eines Giemsa-gefärbten Blut-Ausstrichs. Für den Dicken Tropfen wie auch den Ausstrich wurde EDTA-Blut verwendet.
Tab. 1: Ausgewählte Laborparameter im zeitlichen Verlauf.
Während der Dicke Tropfen trocknete, konnte bereits nach 15 min das Ergebnis des Schnelltests (BinaxNOW®- Fa. Abbott Rapid Dx, Köln) als positiv ausgewertet werden (Abbildung 1).
Abb. 1: Durchgeführter Malaria-Schnelltest mit positivem Bandenmuster als Hinweis auf eine Infektion mit P. falciparum oder eine Mischinfektion: Die rosafarbene Bande auf Höhe des linksseitig dargestellten Buchstabens „C“ stellt die Kontroll-Bande dar. Diese ist ein Bestandteil der integrierten Qualitätssicherung des Schnelltests. Die neben T1 und T2 erscheinenden Banden geben einen ersten Hinweis auf das Ergebnis sowie einen groben Spezies-Hinweis bei positivem Ergebnis. Die Auswertung ist direkt unterhalb des Teststreifens in Form eines Piktogramms dargestellt und erleichtert die Interpretation.
Das hier dargestellte Banden-Bild kann somit als POSITIV gewertet werden und deutet auf eine Infektion mit Plasmodium falciparum oder eine Mischinfektion hin.
Der mikroskopische Blick in den Dicken Tropfen – hier dargestellt in Abbildung 2 – erhärtete die Verdachtsdiagnose und bestätigte das Ergebnis des Schnelltests. Das massive Vorhandensein von Parasiten, mit teils überlagerten Strukturen, ließ eine valide Zählung nur im peripheren Ausstrich zu.
Abb. 2: Dicker Tropfen aus EDTA-Blut. Deutlich erkennbar sind die Massen an Parasiten, welche sich als violetter Punkt mit teils graublauem Anhang darstellen.
Zu jedem Dicken Tropfen wird, wie bereits erwähnt, ein Giemsa-gefärbter Ausstrich angefertigt. Dieser bot in der manuellen Mikroskopie ebenfalls ein eindrucksvolles Bild (siehe Abbildung 3). Die hier ausgezählte Parasitämie belief sich auf 15 %. Wichtig hierbei ist, dass mehrfach befallene Erythrozyten nur einfach gezählt werden. Da im Schnelltest die Speziesbestimmung nicht eindeutig möglich ist, wurde hier final die Speziesdiagnose Plasmodium falciparum gestellt. Eine Mischinfektion mit einer zweiten Malaria-Spezies konnte mikroskopisch nicht dargestellt werden.
Abb. 3: Giemsa-gefärbter peripherer Blutausstrich. Deutlich erkennbar zeigen sich hier die ringförmigen P. falciparum-Parasiten in den Erythrozyten. Teilweise ist auch ein Doppelbefall erkennbar.
Unter der gezielten antiparasitären Therapie (siehe unten) zeigte die am Tag 2 durchgeführte Verlaufskontrolle nur noch eine im Dicken Tropfen zählbare Parasitämie von 0,028 %. Die Aufnahmen sind zum direkten Vergleich in Abb. 4 und Abb. 5 dargestellt. Die logarithmische Abnahme der Parasitämie ist eine verlässliche Erfolgskontrolle für die hochwirkungsvolle antiparasitäre Chemotherapie.
Abb 4: Verlaufskontrolle ca. 24 h nach oraler und intravenöser Gabe der beschriebenen Malariamedikation:
(A) Dicker Tropfen: Im gesamten Präparat ergab sich eine Parasitenanzahl von 12 Parasiten auf 111 Leukozyten, was einer Parasitämie von 0,028 % entspricht.
(B) Giemsa-gefärbter Blutausstrich: Die Berechnung der Parasitämie wurde aus Gründen der Anreicherung im Dicken Tropfen durchgeführt und belief sich auf 0,028 %.
Verlauf
Es erfolgte bereits initial bei Kenntnis der groben Patientenanamnese sowie des externen positiven Malaria-Schnelltests in unserer Notaufnahme der unverzügliche Beginn einer oralen Chemotherapie mit zunächst Riamet© 80/480 mg (Artemether/Lumefantrin 20/120 mg; 4 Tabletten). Durch die erhobenen Labor- und Vitalparameter sowie hoher initialer Parasitenlast von 15 % wurde die Diagnose einer komplizierten, potenziell lebensbedrohlichen Malaria tropica konkretisiert und die Therapie auf Artesunate Amivas© i.v. (Artesunat 10mg/ml) umgestellt (EMA-Zulassung erst seit November 2021, bis dato off-label use/compassionate use) [1]. Die erste i.v.-Gabe erfolgte unverzüglich noch in unserer ZINA durch den IvD (Internisten vom Dienst) mit telefonischer Unterstützung durch den tropenmedizinischen Hintergrunddienst. Die Patientin wurde anschließend zur weiteren Überwachung und Therapie auf die Intensivstation aufgenommen. Zwölf Stunden nach Übernahme erfolgte eine weitere i.v.-Dosis Artesunate©, gefolgt von einer weiteren Gabe der antiparasitären Medikation nach nunmehr insgesamt 24 h (0h–12h–24h).
Unbedingt erwähnenswert ist hier die deutliche Diskrepanz einer überaus hohen Parasitenlast bei dem subjektiv gering ausgeprägten Krankheitsgefühl der Patientin. Dieser Umstand darf keineswegs über die Gefährlichkeit einer Parasitämie in dieser Höhe hinwegtäuschen, sondern ist zu jedem Zeitpunkt als lebensbedrohlich einzustufen. Die Verschlechterung des klinischen Zustands der Patientin mit der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Maximaltherapie ist jederzeit möglich und anzunehmen.
Aufgrund der immunkompromitierenden Gesamtsituation bei deutlich erhöhten Entzündungsparametern wurde initial neben der antiparasitären Therapie – nach Asservierung von Blutkulturen und Umgebungsdiagnostik – eine antiinfektive Therapie mit Piperacillin/Tazobactam begonnen, um einer möglicherweise zusätzlich bestehenden bakteriellen Infektion kalkuliert Rechnung zu tragen. Gleichsam sind die erhöhten Entzündungsproteine auch alleinig durch die komplizierte Malaria sowie die
Reaktivierung des retikuloendothelialen Systems erklärlich. Letztlich fand sich im weiteren Verlauf kein Anhalt für eine Superinfektion, sodass die kalkulierte antiinfektive Therapie rasch beendet werden konnte. Die entnommenen Blutkulturen blieben ohne Wachstum.
Die Patientin präsentierte in den folgenden Stunden zunehmend Zeichen von Kreislaufinstabilität mit erhöhtem Volumen- sowie Katecholaminbedarf. Das Monitoring wurde um eine invasive Blutdruckmessung erweitert und es erfolgte die ZVK-Anlage. Im Röntgenbild der Lunge konnten keine Ergüsse sowie keine Infiltrate festgestellt werden. Der pulmonale Gasaustausch zeigte sich zu keinem Zeitpunkt bedeutsam eingeschränkt. Es erfolgte eine engmaschige Reevaluation einer assistierten Beatmungstherapie in Abhängigkeit des klinischen Bildes. Im weiteren Verlauf wurde keine Beatmungstherapie notwendig. Eine ausgeprägte Thrombozytopenie besserte sich mit einem Anstieg der Thrombozytenzahl von initial 39 000 auf > 60 000 am zweiten Behandlungstag.
Auf der Intensivstation erfolgte eine bedarfsadaptierte Korrektur des Flüssigkeitsdefizits unter regelmäßiger Evaluation des Flüssigkeitshaushalts durch bettseitige Sonographie der V. cava. Dabei wurde möglichst viel Flüssigkeit durch die Patientin selbst oral zugeführt. Nach Ausgleich des Flüssigkeitsdefizites wurde sich vorrangig für eine Katecholamintherapie zur Stabilisierung des Kreislaufs entschieden.
Der Katecholaminbedarf konnte im weiteren Behandlungsverlauf gesenkt werden. Am zweiten Behandlungstag und somit nach anfänglich einmalig oraler, dann dreimalig intravenöser antiparasitärer Medikation reduzierte sich die Parasitämie zügig auf 0,028 %, sodass eine Therapie-Deeskalation mit Umstellung (erneut) auf Riamet© p.o. erfolgte. Die orale Anschlusstherapie erfolgte für weitere drei Tage.
Bei symptomatischer Anämie mit anhaltendendem Katecholaminbedarf wurden bei einem Hb-Wert von 7,3 g/dl zwei Erythrozytenkonzentrate komplikationslos transfundiert (im Verlauf Anstieg des Hb auf 9,6 g/dl). Daraufhin konnte die kreislaufunterstützende Medikation rasch beendet werden, sodass die Patientin auf die internistische Normalstation verlegt werden konnte. Der weitere stationäre Verlauf gestaltete sich unkompliziert, die unter der Malariainfektion und -therapie initial erhöhten Transaminasen und Bilirubinwerte zeigten sich rückläufig. Die ergänzenden Serologien erbrachten keinen Nachweis von Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV. Der Allgemeinzustand der Patientin besserte sich zunehmend, sodass die Patientin am Tag 6 in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden konnte.
In der poststationären Verlaufskontrolle zeigten sich die Hämolyse-Parameter nur noch geringfügig erhöht und der Hb-Wert blieb stabil. Die Patientin berichtete, dass sie im Alltag wieder gut zurechtkomme, jedoch in Träumen das Erlebte, insbesondere den ITS-Aufenthalt, noch verarbeite.
Aktueller Hintergrund zur Malaria
Vorkommen und Verbreitung
Malaria ist mit ca. 250 Mio. registrierten Fällen pro Jahr die global gesehen wichtigste Protozoeninfektion und weltweit eine der häufigsten Todesursachen [10]. Die Verbreitung findet insbesondere in den subtropischen und tropischen Regionen statt, ist jedoch mit über 85 Ländern weltweit ein globales Problem [13][14]. Hauptsächlich betroffen sind die in den Endemiegebieten lebende Bevölkerung sowie Reisende [10]. Auch Angehörige der Bundeswehr haben auf Basis verschiedenster Einsatzszenarien ein erhöhtes Expositionsrisiko für diese gefährliche tropenmedizinische Infektionserkrankung [9]. Besondere Risikogebiete stellen die sogenannten holoendemischen Regionen dar, in denen ohne relevante saisonale Unterschiede über die gesamte Jahresperiode ein gleichmäßig hoher Transmissionsdruck besteht.
Mit 27 % aller weltweit verzeichneten Malariafälle in 2021 ist Nigeria Spitzenreiter innerhalb der Malaria-Endemiegebiete [13][14]. Fast die Hälfte aller Malariafälle ging 2021 auf die Länder Nigeria, Demokratische Republik Kongo, Uganda und Mosambik zurück [13][14]. In Deutschland sind pro Jahr ca. 800 Fälle zu verzeichnen, wobei hiervon ca. 98 % auf Reisen nach Afrika zurückzuführen sind [6][13]. Zu den häufigsten Reiseanlässen zählte der Besuch von Freunden und Verwandten (visiting friends and relatives, VFR) mit 65 % aller gemeldeten Fälle, gefolgt von Tourismus sowie Reisen aus beruflichen Gründen [11].
Infektion und Krankheitsverlauf
Alle Formen der Malariainfektion werden durch die parasitären Erreger der Spezies Plasmodium ausgelöst. Vektor der Parasiten ist hierbei die Mücke der Gattung Anopheles. Die Anopheles-Mücke ist dämmerungs- und nachtaktiv und sticht i.d. R. zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Neun von zehn Malariainfektionen werden erfahrungsgemäß zwischen 18:00 Uhr und 2:00 Uhr erworben [2].
Die ersten Anzeichen einer Malaria sind eher unspezifisch. Prodromi können die klassischen Symptome eines grippalen Infekts bzw. einer Erkältung sein wie allgemeines Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen. Auch gastrointestinale Symptome wie Erbrechen, Durchfall und Appetitlosigkeit sowie ikterische Zustände sind sehr häufig beschrieben [3][9].
Bis zum definitiven Ausschluss ist dahingehend jede fieberhafte Erkrankung nach Aufenthalt in einem Endemiegebiet differenzialdiagnostisch als Malaria zu bewerten. Dies gilt auch dann, wenn die Chemoprophylaxe korrekt durchgeführt wurde oder eine andere Krankheit primär wahrscheinlicher erscheint [4][6][13]. Die Diagnostik zum Ausschluss einer Malaria darf auch hier nie ausbleiben [6]. Die meisten Vorstellungen erfolgen zwar innerhalb des ersten Monats nach der Rückkehr aus Endemiegebieten und somit im direkten zeitlichen Zusammenhang, jedoch sind auch spätere Erstvorstellungen möglich [6][10]. Auf Basis der eher unspezifischen Symptome ist jedes unklare Fieber in einem Zeithorizont von sieben Tagen nach Einreise bis zu 4 Monate nach Rückkehr aus einem Endemiegebiet potenziell als Malaria zu werten und kann nur durch den definitiven Ausschluss von Plasmodien im peripheren Blut negiert werden [6][10][13].
Die plötzlich einsetzenden Fieberattacken, teils mit Schüttelfrost, abgewechselt von Hitzeattacken sind zwar typisch für eine Malaria-Infektion, jedoch nicht spezifisch. Nach 6–12 Stunden folgt zumeist eine Entfieberung mit Schweißausbrüchen. Dieser periodische Wechsel zwischen fieberhaftem Stadium und Entfieberung wird in Lehrbüchern gern als „Wechselfieber“ bezeichnet, ist bei zeitiger Diagnosestellung in der Realität jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt [6][10][13]. Am Anfang der Erkrankung ist die Periodik häufig gering oder kann komplett fehlen. Der pathophysiologische Hintergrund der Fieberattacke ist die Liberation der Merozoiten aus den befallenen Erythrozyten [10].
Auf Basis der Charakteristika der Fieberperiodik erfolgte die medizinische Bezeichnung der beobachteten Erkrankung. Die 48 Stunden-Periodik der P. vivax- und P. ovale-Infektion führte zur Nomenklatur der Malaria tertiana, die 72-stündigen Fieberanfälle der P. malariae-Infektion zur Malaria quartana. Diese beiden Formen sind aufgrund überdauernder Parasitenstadien (Hypnozoiten, Leberstadien) deutlich länger in der Lage, eine symptomatische Malaria zu induzieren, was sie auch Monate bis Jahre nach dem Aufenthalt in Endemiegebieten zu einer differenzialdiagnostischen Überlegung für unklares Fieber machen sollte [6][10][13].
Die häufig erwartete normozytäre, normochrome Anämie als symptomatisches Kriterium der Malaria ist ebenso nicht in jedem Fall obligat. In Abhängigkeit der Parasitämie sind insbesondere zu Beginn der Erkrankung die pathophysiologischen Hintergründe, welche zur anämischen Gesamtsituation beitragen, meist noch nicht voll ausgeprägt. Hier ist zu erwähnen, dass, anders als oftmals angenommen, nicht ausschließlich die parasitäre Lyse der befallenen Erythrozyten ursächlich für die Anämie ist, sondern additiv ein teilweise autoimmunologischer, Antikörper-vermittelter Prozess. Es werden zur Parasitenabwehr Antikörper gebildet, welche eigentlich gegen Plasmodien gerichtet sind, aber teils auch mit Oberflächenbestandteilen unbefallener Erythrozyten interagieren und so zur Hämolyse beitragen. Weiterhin sind u. a. proinflammatorische Zytokine, die dadurch bedingte Dyserythropoese sowie eine Sequestrierung von Eisen hintergründig [10] für die potenzielle anämische Gesamtsituation. Labordiagnostisch können Malaria-Patienten mitunter durch eine Thrombozytopenie bei fehlender Leukozytose, eine Hämolyse sowie erhöhten Entzündungsparametern auffallen [6].
Der Krankheitsverlauf einer Malaria gestaltet sich abhängig von der Plasmodien-Spezies unterschiedlich. Sowohl die Malaria tertiana, als auch die Malaria quartana verlaufen zumeist unkompliziert [6]. Die Malaria tropica hingegen kann nicht selten komplizierte und auch tödliche Verläufe nehmen. Hierbei sind die komplikativen Verläufe der zerebralen Malaria, die Pathophysiologie in allen gut vaskularisierten, parenchymatösen Organen sowie das komplexe, jedoch seltenere Schwarzwasserfieber hervorzuheben [9][10]. Als kompliziert stuft man eine Malaria tropica ein, sobald klinische oder labordiagnostische Hinweise für das Versagen eines Organs bestehen oder die Parasitämie mit Plasmodium falciparum die Fünf-Prozent-Schwelle erreicht bzw. übersteigt [6].
Die in Südostasien verbreitete Art Plasmodium knowlesi, welche natürlicherweise bei Makaken vorkommt, kann auf den Menschen übertragen werden und zu fulminanten Verläufen führen, die dem klinischen Bild einer Malaria tropica ähnlich sind. Sehr selten führen weitere zoonotische Plasmodienspezies (P. simium, P. cynomolgi) zu Malaria-Erkrankungen beim Menschen. Zuletzt konnte ein Plasmodien-Vorkommen in Brasilien 2017 per Genotypisierung Plasmodium simium zugeordnet werden. Hier erfolgte ebenfalls eine Übertragung von Affen über Mücken auf den Menschen [3][6].
Prophylaxe
Das Wissen über eine potenzielle Malaria-Infektion, Übertragungswege, Symptome und Verhaltensweisen ist wichtigste Grundlage für Exponierte in Endemiegebieten. Ein vollständiger Schutz vor einer Malaria-Infektion existiert nicht. Es lassen sich jedoch eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, welche das Risiko einer Infektion minimieren. Zusammenfassend ist hier die Expositionsprophylaxe, die Chemoprophylaxe und die notfallmäßige Selbstbehandlung anzusprechen.
Die Expositionsprophylaxe kann und sollte bei Reisen in Endemiegebiete stets durchgeführt werden. Der Vermeidung von Insektenstichen durch gezielte Verhaltensweisen, Bekleidung und/ oder Schutzausstattung ist hierbei ein einfaches und wirksames Mittel, sich vor einer Plasmodien-Infektion zu schützen [13].
Die notfallmäßige Selbstbehandlung wie auch eine Chemoprophylaxe sind stets in Abhängigkeit des Reise-/Einsatzziels, der Aufenthaltsdauer sowie weiterer vielfältiger Einflussfaktoren zu verordnen [13].
Therapie
Die aktuellen Empfehlungen für Reisende und Soldaten in Endemiegebiete sind stets der gültigen Version der DTG-Leitlinien [6][13] zu entnehmen oder in einer truppenärztlichen/tropenmedizinischen Sprechstunde zu erfragen.
Bei unklarem Fieber im Reise-/Einsatzland ist unverzüglich ein Arzt aufzusuchen. Hier gilt es hervorzuheben, dass zur persönlichen Sanitätsausstattung eines Reisenden unbedingt ein Fieberthermometer zählen sollte [6][13]. Die Erhebung der Körpertemperatur bei einer truppenärztlichen Vorstellung im Einsatzland wird als Standard des Untersuchungsprocederes vorausgesetzt.
Sollte bei abgesetzten Truppenteilen bzw. Reisenden ohne direkte Möglichkeit eines Arztkontakts (innerhalb von 48 h) Fieber auftreten, ist eine notfallmäßige Selbstbehandlung durchzuführen [5][13]. Diese wird nach den aktuell geltenden Leitlinien von Tropenmedizinern/Truppenärzten vorab verordnet, die Einnahmemodalitäten werden erläutert.
Die Therapieregime für die komplizierte bzw. unkomplizierte Malaria sowie zwischen den einzelnen Plasmodienspezies unterscheiden sich und sind stets in enger Absprache mit tropenmedizinisch erfahrenem Personal durchzuführen [2][5][7][9][13][14].
Mit der Abnahme der Parasitämie ist eine klinische Besserung [6] zu erwarten, wohingegen die initiale Parasitenlast keineswegs kongruent zum Zustand des Patienten sein muss. Diese erfolgt jedoch zumeist zeitversetzt zur Elimination der Parasiten. Gründe hierfür sind zum einen die Hämolyse, zum anderen bei komplizierten Malaria-Verläufen mögliche immunologisch und/oder hämostaseologisch induzierte Komplikationen, insbesondere im Bereich der Mikrovaskularisation.
Weiterhin wird beobachtet, dass viele Patienten eine längere Erholungsphase von einigen Wochen benötigen, um das vorherige Leistungsniveau zu erreichen. Von einer Restitutio ad integrum kann nicht in jedem Fall ausgegangen werden, da zum einen Patienten, welche keine oder eine verzögerte Therapie erhielten, versterben oder Folgeschäden durch mögliche Organkomplikationen (z. B. durch ARDS oder Blutungskomplikationen) davontragen.
Artemisinin-Präparate sind wegen ihres schnellen Wirkeintritts insbesondere bei einer komplizierten Malaria bevorzugt einzusetzen. Im Anschluss an eine intravenöse Therapie muss eine dreitägige orale Therapie z. B. mit Riamet angeschlossen werden. Das enthaltene Lumefantrin beispielsweise hat eine verlängerte Halbwertszeit von zwei bis sechs Tagen und ist somit bedeutsam für eine sichere Elimination aller Parasiten [9][12].
Dem Flüssigkeitsmanagement kommt im Rahmen der intensivmedizinischen Therapie einer komplizierten Malaria eine besondere Bedeutung zu. Die üblichen Schemata der Sepsis-Leitlinien können nicht auf die komplizierte Malaria übertragen werden. Das intravaskuläre Volumen sollte hoch genug sein, um eine ausreichende Gewebeperfusion zu gewährleisten, andererseits muss jedoch eine Überwässerung streng vermieden werden. Die Entwicklung eines Lungenödems ist mit einer erhöhten Letalität assoziiert. Als mögliche Ursachen kommen sowohl Interaktionen zwischen den Plasmodien, Erythrozyten und der Kapillarmembran in Betracht, als auch eine erhöhte Membranpermeabilität im Rahmen einer komplizierten Malaria. Die Substitution von Flüssigkeit sollte dementsprechend niedriger sein als die Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign [7][9].
Immunität und protektive Faktoren
Ein vollständiger und bleibender Immunitätsstatus ist bei der Malaria tropica bis dato nicht beschrieben. In Endemiegebieten sind jedoch gehäuft Teilimmunitäten vorhanden. Diese Teilimmunität beruht auf wiederholten Infektionen mit P. falciparum und/ oder variablen Parasitenstämmen mit geringer Parasitämie ohne relevante Krankheitszeichen [10]. Wichtig hierbei ist eine wiederholte Re-Exposition gegenüber den Erregern, sodass bei Personen, welche die Endemiegebiete verlassen, die Teilimmunität zeitnah erlischt [6][10][13]. Dieser Umstand ist deutlich risikobehaftet, da Personengruppen mit familiären Wurzeln in Endemiegebieten o. ä. die nicht mehr vorhandene Immunkompetenz somit massiv unterschätzen bzw. überschätzen und die Infektionsgefahr hier durch fehlende Präventionsmaßnahmen bei Familienbesuchen o. ä. im Herkunftsland deutlich erhöht ist.
Protektiv sind neben der beschriebenen Teilimmunität ebenfalls Erythrozytenanomalien und Hämoglobinopathien wie manche Thalassämieformen, die (homozygote) Sichelzellanämie und der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogase-Mangel [4]. Für die Malaria vivax ist zusätzlich das Fehlen der Duffy-Blutgruppenantigene als protektiv beschrieben [10]. Ein wirklicher physiologischer Benefit ergibt sich für die betroffenen Personen jedoch meist nicht.
Fazit
Die Malaria-Infektion ist für Soldaten und zivile Reisende eine ernstzunehmende Erkrankung, die zu fulminanten bis letalen Verläufen bei Patienten führen kann [9][13]. Das Risiko einer Ansteckung ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Die konsequente Expositionsprophylaxe auf Basis evidenzgesicherter Informationen ist für Einzelpersonen weiterhin die Grundlage einer soliden Prävention.
Das Wissen um die Malaria-Infektion, Symptome und Infektionszeiträume ist auch für Nicht-Tropenmediziner grundlegend zur Abklärung fieberhafter Erkrankungen [3]. Das Vorhandensein teils lebensbedrohlicher Parasitämien auch innerhalb Deutschlands bei Rückkehrern nach Auslandsaufenthalten wird durch die Präsentation des beschriebenen Patientenfalls deutlich.
Kernaussagen
- Bei unklarem Fieber und rezidivierenden Fieberschüben, v. a. bei/nach Aufenthalt in Endemiegebieten muss eine Malaria-(Ausschluss-)Diagnostik erfolgen.
- Nicht nur aktive bzw. unmittelbar zurückliegende Aufenthalte (z. T. Jahre!) in die Reiseanamnese mit einbeziehen, sondern auch an persistierende Parasitenformen denken.
- Die klassische Fieber-Symptomatik muss (noch) nicht bestehen. Auch gastrointestinale Beschwerden oder lediglich eine AZ-Minderung können auf eine Malariainfektion hindeuten.
- Die Malaria tropica ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung und sollte stets mit tropenmedizinischer/infektiologischer Mitbeurteilung behandelt werden.
- Ein negativer Malaria-Schnelltest ist kein sicherer Malaria-Ausschluss – eine mikroskopische Re-Evaluation bei klinischer Indikationskonstellation ist unabdingbar.
Literatur
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Bilder: BwKrhsBerlin, Abt. XVI
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Wolf L, Strek L, Neumann N, Müller A, Markhoff S, Müller R: Könnte es Malaria sein? Fallbericht und Übersichtsartikel zur komplizierten Malaria tropica-Infektion mit hoher Parasitämie. WMM 2024; 68(10): 433-439.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-358
Für die Verfasser
Stabsarzt Dr. rer. biol. hum. Lorenz Wolf
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Abteilung XVI– Laboratoriumsmedizin
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: lorenzwolf@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Wolf L, Strek L, Neumann N, Müller A, Markhoff S, Müller R: [Could it be malaria? Case Report and Review Article on Complicated Malaria Tropica Infection with High Parasitemia.] WMM 2024; 68(10): 433-439.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-358
For the Authors
Captain (MC) Dr. rer. biol. hum. Lorenz Wolf
Bundeswehr Hospital Berlin
Department for Laboratory Medicine
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E-Mail: lorenzwolf@bundeswehr.org