Auch international bestens vernetzt: Das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr beim 6th ICSPP in London
Alexander Sievert, Manuela Andrea Hoffmann
Ursprünglich konzipiert als internationaler Fachkongress mit dem Schwerpunkt auf militärspezifischer körperlicher Leistungsfähigkeit hat sich der im 3-Jahres-Rhythmus stattfindende International Congress of Soldiers‘ Physical Performance (ICSPP) zu der weltweit führenden Veranstaltung im Bereich „Military Human Performance“ entwickelt. Das Themenfeld der Konferenz wurde über die Jahre anhand der Bedarfe der Teilnehmenden kontinuierlich erweitert und deckt mittlerweile die verschiedensten Facetten wehrmedizinischer und wehrpsychologischer Fragestellungen von militärspezifischer Prävention über präventivmedizinische Gesundheits- und Leistungsaspekte bis hin zu Umweltfaktoren ab.
Abb. 1: Die Delegation des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr beim 6th ICSPP in London:
v.l.n.r: Regierungsdirektor Sievert, Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Hoffmann, Oberstarzt Dr. Rohde, Regierungsdirektor Dr. Witzki, Oberregierungsrätin Dr. Richter. Nicht im Bild: Regierungsdirektor Dr. Glitz
(Bild: InstPrävMedBw/A. Sievert)
Die Themen des 6th ICSPP, der vom 12. - 14. September 2023 in London stattfand, erstreckten sich über Verletzungsprävention, Genderaspekte von Gesundheit und Leistung, Umwelteinflüsse (Hitzeprävention, Kälteprävention, Höhe etc.), Bekleidung bis hin zu Resilienz, Ernährung, Gesundheitsverhalten und militärische Gesundheitsversorgung. Insgesamt wurden über drei Veranstaltungstage hinweg 600 Beiträge präsentiert.
Für die Ressortforschung des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) ist der ICSPP eine wichtige internationale wissenschaftliche Plattform zur Präsentation eigener Arbeiten und für den Austausch mit führenden zivilen und militärischen Experten.
Mit insgesamt fünf wissenschaftlichen Beiträgen, die alle auf reges Interesse stießen, war das InstPrävMedBw auch dieses Mal wieder vor Ort:
Oberstarzt Dr. Ulrich Rohde präsentierte unter dem Titel „A new categorization tool for physical fitness (CT-PF): Efficient and valid assessment of physical performance in personnel recruitment and military medical assessments“ ein auf langjährigen Vorarbeiten im InstPrävMedBw basierendes Konzept zur Kategorisierung körperlicher Leistung anhand weniger und bereits routinemäßig erfasster Parameter.
Regierungsdirektor Alexander Sievert stellte die präventiven und epidemiologischen Vorteile und Möglichkeiten der AVU-IGF als Regeluntersuchung in seinem Beitrag “The AVU-IGF: Ensuring medical and operational readiness by means of a regular and comprehensive health assessment” dar.
Mit dem Vortrag „Heat stress in armored vehicles: challenges and solutions” von Oberregierungsrätin Dr. Maria Richter und dem Beitrag „Managing heat stress: from science to practical implementation” von Regierungsdirektor Dr. Karl Jochen Glitz präsentierte das InstPrävMedBw seine Ergebnisse aus der Hitzepräventionsforschung und zeigte Wege auf, wie Informationen an die entscheidenden Stellen weitergegeben werden können und dort auch nachhaltig zur Verfügung gestellt werden.
Abgerundet wurde das Portfolio des InstPrävMedBw durch die Präsentation leistungspsychologischer Forschungsergebnisse im Beitrag „Effects of heat stress in armored vehicles on cognitive performance and their mitigation due to individual cooling: Preliminary results of a pilot study“ von Regierungsdirektor Dr. Alexander Witzki.
Neben dem InstPrävMedBw war die Universität der Bundeswehr mit einem Vortrag zu: „Functional fitness training for the German mountain infantry“ vertreten. Ein Vertreter des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe trug zum Thema „A classification model for musculoskeletal injuries risk factors in the military“ vor.
Die Institutsleiterin des InstPrävMedBw, Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Dr. Manuela Andrea Hoffmann nahm als Chefwissenschaftlerin des Instituts, Seniorautorin aller Beiträge und als Delegationsleiterin ebenfalls an der Veranstaltung teil und nutzte den Besuch des 6th ICSPP, um vor Ort den wissenschaftlichen Austausch national und international zu fördern und um Kooperationen mit NATO-Partnern zu schließen.
Abb. 2: COMEDS Chair Brigadier General Hodgetts bei der Closing Speech des 6th ICSPP.
(Bild: InstPrävMedBw/A. Witzki)
Im Rahmen der Veranstaltung konnten so bestehende Kontakte vertieft und neue Kontakte zu Vertreterinnen und Vertretern aus Israel, Österreich, den Niederlanden, Kanada, den USA, Norwegen, Großbritannien, Finnland, Singapur, Neuseeland und Frankreich geknüpft werden.
Hier besonders hervorzuheben ist die angestrebte Zusammenarbeit des InstPrävMedBw mit Dr. Amy Adler vom Walter Reed Army Institute of Research. Sie berichtete im Rahmen der Veranstaltung von einem zusammen mit den norwegischen Streitkräften durchgeführten Projekt, in dem ein Operational Readiness Training entwickelt und in die Ausbildung von ukrainischen Sanitätskräften integriert wurde. Das Projekt wird nun auch im InstPrävMedBw wissenschaftlich begleitet, da es ganz besonders in den Scope des Instituts passt, dessen Leitspruch seit Oktober 2022 „Resilient im Einsatz. Gesund im Leben.“ lautet. Priv.-Doz. Dr. Hoffmann konnte Frau Dr. Adler als Kooperationspartnerin gewinnen und erste Abstimmungsgespräche mit Oberstarzt Busch, Direktor Ausbildung und Lehre Gesundheitsversorgung an der Sanitätsakademie der Bundeswehr, führen. Ziel ist es, mit der deutschen Beteiligung eine noch fehlende Kontrollgruppe für die Studie aufzubauen und das Training auch in der Bundeswehr einzuführen. Darüber hinaus ergibt sich so die Möglichkeit, die Ausbildung der ukrainischen Sanitätssoldaten in Deutschland zu verbessern und dies wissenschaftlich zu belegen. Mit den entscheidenden Playern in Norwegen, USA und Deutschland erfolgte hier bereits eine Kontaktaufnahme.
Auch im Bereich Kälteprävention war das InstPrävMedBw weiter erfolgreich tätig: Im Rahmen der Konferenz wurden auch Ergebnisse des NATO HFM Symposium 349 „Human Performance and Medical Treatment and Support During Cold Weather Operations“ zusammen mit neuen und ergänzenden Erkenntnissen präsentiert. Die breit aufgestellten internationalen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten unterstreichen die weiterhin hohe Relevanz des Themenkomplexes „Kälte“ für die Streitkräfte. Die inhaltliche Neuausrichtung des InstPrävMedBw mit einer ganzheitlichen präventivmedizinischen Betrachtung unserer Soldaten und Soldatinnen, um ihre Gesundheit und ihre Resilienz und Einsatzfähigkeit zu erhalten bzw. zu stärken, liegt hier am Puls der Zeit. Basierend auf den Gesprächen vor Ort mit den kanadischen Kollegen Prof. Dr. Guido Simonelli der Universität Montreal und Prof. Dr. Francois Haman der Universität Ottawa, beides ausgewiesene Kälteexperten, wurden gemeinsame wissenschaftliche Studien und eine zukünftige Zusammenarbeit skizziert. Prof. Dr. Haman besuchte das InstPrävMedBw im Oktober 2023. Es ist geplant, den ganzheitlichen Ansatz im Rahmen der (Kälte-)Resilienz im Verbund mit dem InstPrävMedBw weiter zu erforschen und weiterzuentwickeln.
In langen und intensiven Austauschen der Teilnehmenden aus dem InstPrävMedBw mit Vertretern und Vertreterinnen aus den USA, ISR, NLD und GBR, die über jahrzehntelange Erfahrungen als Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen und teilweise auch als Soldat bzw. Soldatin verfügen (bis zu > 40 Jahren), kristallisierte sich bezüglich der wissenschaftlichen Forschung für Soldatinnen und Soldaten eine gemeinsame Einschätzung der Lage heraus: Wichtige Kernprobleme präventivmedizinischer Aspekte des Soldatenberufs sind weiterhin ungelöst.
An den zahlreichen Beispielen im Spannungsfeld Belastung und Beanspruchung des Soldaten/der Soldatin wurde zudem die Nichtübertragung von Wissen in die Anwendung („Schließen der Wirkungskette“) als ein wesentliches Handlungsfeld identifiziert. Die Gründe für den ausbleibenden Transfer waren vielgestaltig:
- Die Komplexität militärtypischer Verwendungen mit immer mehr Anforderungen, aber auch möglichen technischen Lösungen (der Industrie),
- Nutzung von Lösungen ohne vorhandene Problemstellung,
- Ignorieren der humanen medizinischen und psychophysischen Grenzen der Belastbarkeit sowie
- Unwissenheit der Entscheidungsträger über das vorhandene Wissen durch unvollständige oder gerichtete bzw. unrealistische Beratung – auch von außerhalb des Ressorts
waren immer wieder genannte Faktoren.
Einigkeit bestand darin, dass die Natur des Soldatenberufs besondere und vor allem hohe Risiken für die Gesundheit als prägendes Merkmal in sich trägt und dass die Forschung auf den Themenfeldern der Konferenz die Eigenschaften ressortspezifisch, problemorientiert und anwendungsorientiert sein muss. Sie muss die „Saat des Umsetzbaren“ in sich tragen, um eine Chance zu haben, Verbesserungen zu bewirken.
Unter anderem diskutierte Ansatzpunkte für eine verbesserte Resilienz und Einsatzbereitschaft des Personals waren neben Material die Optimierung der Personalauswahl hinsichtlich physischer (wie vom InstPrävMedBw vorgestellt) und psychologischer Merkmale, verbesserte Ausbildung durch qualifiziertere Ausbilder, eine Stärkung des Prinzips „Führen nach Auftrag“, die Beseitigung des Ressourcenfressers Bürokratie mit Stärkung der Ressource Zeit für zielorientierte Ausbildung sowie die Stärkung der Anerkennung durch „Fördern und Fordern“. Als ebenso wichtige Bedingung wurde nicht nur die Stärkung der Identifikation mit dem Arbeitgeber „Streitkräfte“ genannt, sondern auch die Verbesserung des Ansehens des Soldatenberufs im Allgemeinen sowie dessen positiver Verankerung in Staat und Gesellschaft.
Das InstPrävMedBw kann in der Rückschau ein rundheraus positives Fazit aus der Teilnahme ziehen: Mit insgesamt fünf Beiträgen konnte sich das Institut und damit auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr als der primäre deutsche Vertreter bei der bedeutenden internationalen wissenschaftlichen Konferenz im Kontext soldatischer Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Prävention und Resilienz präsentieren. Das InstPrävMedBw führt mit dem diesjährigen Besuch die bruchfreie und vor allem aktive Teilnahme an allen Iterationen dieser Konferenz fort. Trotz des auf den ersten Blick großen Personalaufwands kann der Besuch des 6th ICSPP in London damit erneut als Erfolg gewertet werden. Neben der Präsentation der eigenen Forschungsergebnisse wurden nicht nur die zum Teil seit Jahrzehnten bestehenden internationalen Kontakte des InstPrävMedBw erhalten, intensiviert und gefestigt, sondern auch ein Abgleich mit den derzeit wichtigen Forschungsthemen auf internationaler Ebene vollzogen. Die Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen des InstPrävMedBw konnten darüber hinaus in den neuen präventivmedizinischen Forschungsschwerpunkten zur Resilienz, Kälteprävention und Versorgungsforschung wichtige neue Kontakte knüpfen, die für die zukünftigen wissenschaftlichen Aufgaben des Instituts unter Berücksichtigung des neuen Leitspruches
„Resilient im Einsatz. Gesund im Leben.“
von ganz besonderer Bedeutung sind.
Für die Verfasser
Regierungsdirektor Alexander Sievert
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Aktienstraße 87, 56626 Andernach
E-Mail: alexandersievert@bundeswehr.org