Mobile Dentistry & Radiology: Aktueller Stand der mobilen zahnärztlichen Versorgung im militärischen und zivilen Bereich
Bis ins hohe Alter eine gute Mundhygiene und angemessene zahnärztliche Versorgung zu gewährleisten, ist Selbstverständlichkeit und Herausforderung zugleich. Die Qualitätsstandards bei der zahnärztlichen Versorgung sind im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich: Die Länder Japan, USA oder Schweden zeigen uns, dass es möglich ist, ohne fachliche Qualitätseinbußen Zahnarztbesuche auch bei Immobilität der Patienten durchzuführen und die Mundgesundheit zu verbessern.
Am 19. Oktober 2023 fand in Ulm im Rahmen des 54. Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP e. V.) die zweite internationale Hybrid-Tagung „Mobile Dentistry & Radiology“ unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Margrit Geibel, MME, statt. In dem gut frequentierten Workshop wurden praxisrelevante Inhalte aufgezeigt und mögliche Versorgungskonzepte diskutiert, wie und warum „Mobile Dentistry“ intensiviert, umgesetzt und verstärkt etabliert werden kann.
Abb. 1: Oberstarzt Dr. Sandra Chmieleck und Flottillenarzt Christiane Bornemann bei ihrem Referat
Oberstarzt Dr. Sandra Chmieleck und Flottillenarzt Christiane Bornemann vom Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr präsentierten die fachliche Leitlinie für sanitätsdienstliche Einsatzversorgung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr besonders unter den Aspekten der zahnärztlichen Versorgung. Neben der zahnärztlichen Notfallbehandlung und Unterstützung der Erstversorgung von Kiefer- und Gesichtsverletzungen, einschließlich der Durchführung von Maßnahmen zur Herstellung der Transportfähigkeit, bestehen die Schwerpunkte aus zahnärztlich-chirurgischer Grundversorgung, aus dringlich konservierenden bzw. parodontologischen Versorgungen sowie ggf. präventiver Maßnahmen zur schnellen Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit im Einsatzszenar.
Rechtliche Fallstricke bei der „Mobile Dentistry-Behandlung – Aktuelle Entwicklungen in Deutschland“ waren das Thema des Medizinjuristen Dr. Karl-Heinz Schnieder (KWM LAW, Münster, Abbildung 2). Er wies darauf hin, dass seit dem 01.01.2019 die Pflicht für Pflegeeinrichtungen besteht, im Bedarfsfall „Kooperationsverträge“ mit Vertragsärzten abzuschließen. Bis dato sei die Zahnmedizin nicht ausreichend vertreten. Die Qualität im mobilen Einsatz müsse allerdings aus medizinrechtlicher Sicht der Qualität in der ambulanten Zahnarztpraxis entsprechen.
Abb. 2: Rechtsanwalt und Medizinjurist Dr. Karl-Heinz Schnieder
Dr. Dr. Constanze Keutel (Klinik für MKG-Chirurgie, Universität Tübingen) informierte über Indikationen zur mobilen Radiologie im MKG-chirurgischen und zahnärztlichen Konsiliardienst einer Universitätsklinik (Abbildung 3). Im Konsiliardienst treten häufig Fragestellungen hinsichtlich Infektionsgeschehen, Ursachensuche bei Beschwerdeangaben der Patienten oder Traumata mit dentaler Beteiligung auf, die zahnärztliche Bildgebung verlangen. Steht eine leitliniengerechte intraorale Aufnahme mit einem dentalen Tubusgerät nicht zur Verfügung, basieren Therapieentscheidungen allein auf der klinischen Untersuchung, evtl. ergänzt durch vorangegangene Röntgendiagnostik.
Abb. 3: Dr. Dr. Constanze Keutel
Prof. Dr. Margrit-Ann Geibel, Leitung Dento-maxillofaciale Radiologie, Klinik für MKG-Chirurgie, Universität Ulm, markierte Qualitätsanforderungen an die mobile Radiologie, die den Standards der intraoralen Radiologie in der zahnärztlichen Praxisroutine entsprechen. Dies betreffe sowohl die Bildqualität als auch die Dosisaspekte. Schilddrüsenschutz und Haltersysteme seien auch im mobilen radiologischen Einsatz verwendbar, befundungsrelevante Qualitätsmängel gering und in der Häufigkeit vergleichbar mit der intraoralen Röntgentechnik in der Zahnarztpraxis. Der praxisreife Einsatz der „handhold Radiologie“ werde in internationalen Studien belegt. Ihr Nutzen für die zahnärztliche Untersuchung im mobilen Einsatz sei unbestritten, zumal auch die Anzahl der im Zahnfilm-Röntgen gefundenen Nebenbefunde für ihn sprechen. Ziel müsse es sein, Standards aus der ambulanten Zahnarztpraxis in das mobile Setting übertragen zu können und den diagnostischen Anforderungen an die Orale Medizin gerecht zu werden.
Den besonders praxisorientierten Akzent setzte der Sachverständige für Prüfungen von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern, Dr. Jürgen Westhoff, Leiter der Arbeitsgruppe Röntgen (AG X), vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie Kassel, der sich mit den verschiedenen behördlichen Zulassungsverfahren und Auflagen zum Betrieb dentaler intraoraler Röntgensysteme und ihrer Anwendungspraxis beschäftigte. Der Referent gab hilfreiche und wertvolle Tipps und Hinweise darüber, was es vor und während der Anschaffung eines mobilen intraoralen Röntgensystems für interessierte Zahnmediziner und Betreiber zu beachten gilt. Ein Problem bei der Zulassung scheint zu sein, dass es auf Länderebene vom zuständigen Bundesministerium für Umwelt (BMU) im Rahmen des Fachausschusses Strahlenschutz (32.Sitzung) und nach § 114 Abs.1 Nr. 2 StrlSchV nicht beabsichtigte Interpretationsspielräume zu geben scheint, die die Zulassung der mobilen Röntgengeräte für die zivilen Zahnarztpraxen erschweren.
Im Vortrag „InSEMaP-Studie – Erkenntnisse bei den Hausbesuchen“ referierte Dr. Lydia von Palubitzki (Universitätsklinik Eppendorf, Parodontologie) aus der Arbeitsgruppe von Prof. Petra Schmage (Abbildung 4). In einer umfangreichen Studie wird in Hamburg seit 2021 in Kooperation von DAK, Gemeinsamer Bundesausschuss, Universitätsklinik Hamburg und HAW Hamburg die ambulante Pflege untersucht. Ausgewertet werden in einer retrospektiven Kohortenstudie und in einer Analyse die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit von Patienten, die älter als 60 Jahre sind. Die Interventionsgruppe erfasst 6 000 Patienten und die Kontrollgruppe umfasst 30 000 Patienten. Die klinische Beobachtungsstudie ist eine Stichprobe von 400 Patienten.
Erste Ergebnisse konnten auf dem Workshop präsentiert werden: Die Pflege findet meist zu Hause statt, der überwiegende Teil mit 90 % hat den Pflegegrad 2. Von Palubitzki konnte anschaulich klarstellen, dass die Ansprüche hinsichtlich der Lebensqualität steigen und dass mehr eigene Zähne bei den jüngeren Senioren vorhanden sind. Statt mit herausnehmbarem Zahnersatz sehen sich die aufsuchenden Zahnmediziner mit immer mehr eigenen Zähnen und damit anderen Fragestellungen/Anforderungen konfrontiert. Nur noch ein geringer Teil der Patienten weise völlige Zahnlosigkeit vor. Damit verbunden sei eine Zunahme der oralen Erkrankungen zu beobachten mit der Gefahr von lokalen und periapikalen Entzündungen und entsprechender Verschlechterung von systemischen Erkrankungen wie z. B. Diabetes oder Asthma. Immer mehr Patienten haben festsitzenden Zahnersatz auf Implantaten und stellen damit verbunden höhere Anforderungen an die Prophylaxe und zahnärztlicher Nachsorge zur Vermeidung von Komplikationen wie Periimplantitis.
Am Ende der Pilotveranstaltung war man sich darüber einig, dass zukünftig der Austausch und die Zusammenarbeit zum Thema Mobile Dentistry & Radiology enger werden muss, um die Qualität der Angebote und die Umsetzung im Sinne einer bedarfsgerechten oralen Medizin zu erfüllen.
Hintergrund und Fakten über mobile Radiologie im Rahmen der mobilen Zahnärztlichen Versorgung
Für eine sichere Diagnosestellung ist Röntgendiagnostik auch im mobilen Einsatz notwendig. In Deutschland gehört die Röntgendiagnostik zur vertragszahnärztlichen Versorgung, wenn die klinische Untersuchung für eine Diagnose nicht ausreicht. Die weltweit vertriebenen Geräte, die für den intraoralen Einsatz entwickelt worden sind, werden „handheld“ angewendet.
Im internationalen Vergleich sind die Zulassungsbedingungen für mobile Röntgengeräte sehr unterschiedlich. Insbesondere in Ländern wie den USA, den Niederlanden oder Schweden hat sich seit Jahrzehnten das Gerät Nomad Pro 2 der Firma Envista etabliert.
Aufgrund der demografischen Entwicklung ist für die kommenden Jahre mit einem weiteren Anstieg von Menschen zu rechnen, welche zu Hause oder in Alters- und Pflegeheimen Betreuung benötigen. Bei immobilen, schwer kranken oder behinderten Patienten ist es oft schwierig bis unmöglich, eine zahnärztlich radiologische Diagnostik durchzuführen.
Mit einem mobilen dentalen Tubusgerät muss es möglich sein, ggf. auch in der Mehrbettzimmersituation einer Einrichtung vollständige dentale Diagnostik zu gewährleisten. Ein mobiles Röntgengerät könnte so dem behandelnden Zahnarzt eine schnellere Einschätzung der Notwendigkeit chirurgischer oder aufwändigerer zahnärztlicher Maßnahmen und eine präzise Therapieplanung ermöglichen. Damit sind die Bedingungen im mobilen zahnärztlichen Einsatz den Qualitätsstandards in der ambulanten zahnärztlichen Praxis gleichgestellt.
In den Studien [2][4][5][7] konnte kein Unterschied der Qualität der Röntgenbilder zwischen dem Nomad Pro 2 (Envista) im Vergleich zu der wandmontierten Einheit Heliodent Plus (Sirona) festgestellt werden. In diesen Studien wurden sowohl Bissflügelaufnahmen als auch Aufnahmen im Molaren- und Prämolarenbereich verglichen.
In der Studie von Nietschke et al. [4] wird der Nomad Pro 2 vor allem für schwer kranke, behinderte und immobile Patienten unter anderem zur dentalen Fokussuche empfohlen. Beim oralen Fokus in der Medizin handelt es sich vorwiegend um akute oder chronische Entzündungen der Schleimhäute oder des Kieferknochens sowie der angrenzenden Strukturen. Von diesen geht eine potenzielle Gefahr der Fernwirkung für den gesamten Organismus aus [3]. Problematisch ist aus zahnärztlicher Sicht in Deutschland, dass die Untersuchung der Patienten vor Ort in der Regel derzeit überwiegend ohne radiologische Basisdiagnostik erfolgen muss.
Ziel des Einsatzes des Handheld-Röntgen-Gerätes ist es, dem behandelnden Zahnarzt unter Einhaltung des Kontrollbereichs auch ggf. in einer Mehrbettensituation eines Pflegeheimes, eine genauere Zahn-, Mund-, kieferheilkundliche Diagnostik am Krankenbett zu ermöglichen. Die Dosisaspekte in der mobilen Handheld-Radiologie sind international untersucht und kommen alle zum gleichen Ergebnis: dass die effektive Dosis in der mobilen Radiologie mit der Dosis der Wandgeräte vergleichbar ist, bzw. die effektive Dosis sogar unterschreiten kann.
In den Studien von Goren et al. [4] und Rottke et al. [6] wurde ebenfalls die Strahlenexposition für den Untersucher in der mobilen Radiologie gemessen. Die Exposition blieb bei dem Handheld-Gerät bei allen Untersuchern unter der vorgegebenen Maximaldosis.
Die zahnärztliche Versorgung in Pflegeheimen oder auch der häuslichen Pflege steht im Hinblick auf eine orale präventive Medizin vor großen Herausforderungen.
Insbesondere chirurgische Eingriffe ohne zahnärztliches Röntgen sind juristisch anfechtbar und sowohl fachlich als auch ethisch abzulehnen. Um in der mobilen zahnärztlichen Versorgung den gleichen qualitativen Standard wie im ambulanten zahnärztlichen Setting zu erfüllen, ist die mobile intraorale Röntgendiagnostik unabdingbar.
LIteratur
1. Nitschke J, Schorn L, Holtmann H, et al: Image quality of a portable X-ray device (Nomad Pro 2) compared to a wall-mounted device in intraoral radiography. Oral Radiology 2021; 37: 224–230.
2. Ulusu T, Bodur H, Odabaş ME. In vitro comparison of digital and conventional bitewing radiographs for the detection of approximal caries in primary teeth exposed and viewed by a new wireless handheld unit. Dentomaxillofac Radiol 2010; 39(2): 91–94.
3. Rottke D, Gohlke L, Schrodel R, et al: Operator safety during the acquisition of intraoral images with a handheld and portable X-ray device. Dentomaxillofac Radiol 2018; 47(3): 20160410.
4. Reinier C. Hoogeveen, Bram R. Meertens and W. Erwin R. Berkhout, Precision of aiming with a portable X-ray device (Nomad Pro 2)compared to a wall-mounted device in intraoral radiography, Dentomaxillofacial Radiol 2019; 48: 20180221.
5. Goren A, Bonvento M, Biernacki J, Colosi D: Radiation exposure with the NOMADTM portable X-ray system. Dentomaxillofacial Radiol 2008; 37: 2.
6. https://www.zwp-online.info/fachgebiete/oralchirurgie/komplikationsmanagement/management-oraler-foki (letzter Aufruf 31.08.2022).
7. Hellstern F, Geibel MA: Quality assurance in digital dental radiography-justification and dose reduction in dental and daxillofacial Radiology, Int J Comput Dent 2012;15: 35–44.
Verfasserin:
Prof. Dr. Margrit-Ann Geibel
Leitung Dentomaxillofaciale Radiologie
Klinik für MKG-Chirurgie
Universitat Ulm