Gruppenerkrankung an Raupendermatitis durch den Kiefernprozessionsspinner
Caterpillar Dermatitis as a Group Disease Caused by the Pine Processionary Moth
Ingo Teufelharta
a Sanitätsunterstützungszentrum Berlin
Zusammenfassung
Die Hauptverursacher der Raupendermatitis in Deutschland, der Eichenprozessionsspinner (EPS) und der Kiefernprozessionsspinner (KPS) weisen artspezifische Unterschiede auf. Das Verbreitungsgebiet betrifft Mittel- und Nordeuropa. Es besteht eine Relevanz in Deutschland und NATO-Einsatzgebieten (Litauen). Für Einsätze in bewaldeten Räumen können diese Unterschiede erhebliche Auswirkungen auf die Truppe und die sanitätsdienstliche Versorgung haben. Gruppenerkrankungen können auftreten. Zu deren Bewältigung sind der Kontakt und die Zusammenarbeit mit der Truppe der Schlüssel. Bei der truppenärztlichen Versorgung sind die taktischen Einsatzgrundsätze, das Verhalten der Truppe, das Krankheitsbild, logistische Aspekte, die Exposition, die Beratung und die Organisation der Behandlung zu berücksichtigen.
Schlüsselworte: Raupendermatitis, Kiefernprozessionsspinner, Thaumetopoein
Summary
The main species causing caterpillar dermatitis in Germany, the oak processionary moth (EPS) and the pine processionary moth (KPS), have species-specific differences. Their habitats are Central and Northern Europe, including Germany and NATO operational areas such as Lithuania. If troops are deployed to forested areas, these differences can have a significant impact on their health. Potentially group illnesses can occur. Thus, contact and cooperation with the troops are key to coping with them. Tactical deployment principles, the behaviour of the troops, the clinical picture, logistical aspects, exposure, advice, and the organization of treatment must be considered when providing medical care.
Keywords: caterpillar dermatitis; pine processionary moth; thaumetopoein
Einleitung und Hintergrund
Das artspezifische Verhalten des Kiefernprozessionsspinners führt bei dem Einsatz von abgesessenen infanteristischen Kräften in befallenen Arealen zu starkem Auftreten der Raupendermatitis und in der Folge zu Herausforderungen bei der truppenärztlichen Versorgung und der Beratung der Truppe. Der vorliegende Beitrag zielt nicht auf das Krankheitsbild der Raupendermatitis ab, sondern auf die, aus Sicht des Autors, daraus resultierenden besonderen Herausforderungen einer truppenärztlichen Tätigkeit.
Der Kiefernprozessionsspinner als Verursacher der Raupendermatitis hat aufgrund des artspezifischen Verhaltens eine höhere Relevanz für die Truppe als der Eichenprozessionsspinner. Die Jahreszeit, die Vegetation des Einsatzraums, das taktische Verhalten und die spezifischen Einsatzgrundsätze haben Einfluss auf das Expositionsrisiko und -ausmaß (Häufigkeit und Zeitdauer). Das Wissen um das Vorkommen der Raupen, das Krankheitsbild und die präventiven Maßnahmen sind für die militärische und sanitätsdienstliche Lagebewertung zwingend erforderlich.
Der überregional bekannteste Verursacher einer Raupendermatitis (lat.: Erucismus, engl.: caterpillar dermatitis) ist in Deutschland der Eichenprozessionsspinner (EPS, Thaumetopoea processionea). Dieser ist hierzulande vordringlich verbreitet. Weiteres Vorkommen findet sich im mitteleuropäischen Raum. Die ebenfalls in Deutschland geführte Art des Kiefernprozessionsspinner (KPS, Thaumetopoea pinivora) ist lediglich regional zu finden, überwiegend entlang der Ostseeküste und zunehmend in Bereichen einer intensiven Forstwirtschaft mit Kiefern im Bereich der Bundesländer Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Das Auftreten in weiteren Ostsee-Anrainer-Staaten, unter anderem auch in Litauen, zeugt von einer nordeuropäischen Verbreitung [1][5].
Die genannten Arten unterscheiden sich wesentlich in folgenden Punkten:
- Der EPS legt seine Nester nahe am Stamm und an starken Ästen von Eichen an, der KPS positioniert sie an peripheren sonnenexponierten kronennahen Ästen von Kiefern [1][2][5].
Abb. 1: Nest von Kiefernprozessionsspinnern an peripheren Ästen in Brück/Brandenburg (Bildquelle: Teufelhart)
- Der EPS verpuppt sich im angelegten Nest am Stamm, der KPS im Boden in einer Tiefe von 8 bis 20 cm [1][2][5].
Abb. 2: Nest von Eichenprozessionsspinnern am Stamm in Brandenburg (Bildquelle: [2])
Bei abgesessenen Einsätzen im bewaldeten Gelände mit Tarn- und Schanzarbeiten ist lokal und jahreszeitlich eine starke Exposition mit dem KPS als Verursacher der Raupendermatitis zu beachten. Zum Tarnen von Kraftfahrzeugen und Stellungen werden periphere Äste verwendet. Beim Ausheben von Stellungen muss die Bodenoberfläche bearbeitet werden. Dicke Stämme und starke Äste werden bei Sperren und dem längerfristigen Stellungsausbau verwendet.
Krankheitsmechanismus
Die Raupendermatitis (lat. Erucismus, engl. Caterpillar dermatitis) wird durch Kontakt mit den Insektenbrennhaaren (lat. Toxophor) der Raupen oder Larven, die ein Protein (Thaumetopoein) enthalten, verursacht [4]. Die Raupen besitzen die Brennhaare über mehrere Larven-Stadien. Die Larven treten von April bis Juli auf. Die Nestanlage erfolgt ab Juni [2].
Klinisches Bild
Es kommt zu einer mechanisch irritativen und pseudoallergischen Hautreizung. Es bilden sich lokale (an unbedeckten Hautarealen), flächige (Kontaktflächen mit Kleidung) und generalisierte Papeln und Erytheme. Leitsymptom ist ein generalisierter Juckreiz mit Zunahme bei mechanischer oder thermischer Hautreizung, z. B. beim Duschen (Abbildungen 3 A-D). Selten sind anaphylaktische Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock [3].
Abb. 3: Klinische Manifestationen der Raupendermatitis: (A) mittelstarkes papulöses und stark erythematöses Exanthem im Bereich der LWS; (B) flächiges Brust-Erythem; (C) starkes papulo-erythematöses Exanthem von Brust und Bauch vor Therapie und (D) nach zweitägiger Gabe von Fexofenadin; (E) starkes papulo-erythematöses Exanthem an der Lateralseite des Oberschenkels; (F) mittelstarkes papulöses Exanthem im Bereich des Nackens (Bilder: Teufelhart)
Therapie
Die Therapie besteht in der Verabreichung von oralen Antihistaminika und topischen Kortikoiden, bedarfsabhängig erweitert um Dosieraerosole und systemische Glukokortikoiden. Als Maßnahmen nach Exposition sind erforderlich:
- Kleiderwechsel,
- befallene Kleidung separieren (z. B. in eine Plastiktüte) und bei 60 Grad getrennt waschen;
- duschen und Haare waschen sowie
- Vermeidung weiterer Exposition.
Differentialdiagnosen
In Frage kommen Exantheme durch andere allergische, toxische, virale, insektenübertragene Ursachen. Es sollte auch an das Frühstadium eines Pemphigoids gedacht werden [3][6].
Falldarstellung
Bei einem Übungsdurchgang des Übungszentrums Infanterie auf dem Truppenübungsplatz Lehnin in Brandenburg für zwei verstärkte Kampfkompanien eines Gebirgsjägerbataillons aus Süddeutschland wurde eine für 7 Tage geplante Biwak-Phase am 4. Tag unterbrochen und vorzeitig beendet. Von den bei der Übung eingesetzten ca. 250 Soldatinnen und Soldaten wurde bei ca. 90 eine Raupendermatitis diagnostiziert. In 4 Fällen erfolgte eine Alarmierung des ziv. Rettungsdienstes durch die Truppe, davon bei 2 Soldaten eine stationäre Aufnahme zur Beobachtung in einem lokalen zivilen Krankenhaus. Drei weitere Fälle wurden aufgrund der Ausprägung durch den Truppenarzt ambulant fachärztlich im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Berlin vorgestellt und im Folgenden ambulant weiterbetreut. Der Truppe war der EPS bekannt, der KPS nicht.
Die Anwesenheit eines Truppenarztes am Wochenende auf dem Truppenübungsplatz war ursprünglich nicht vorgesehen. Aufgrund der Platzbelegung (ca. 650 Soldaten) und den ansteigenden Corona-Infektionsfällen bei der Übungs-Truppe wurde kurzfristig eine truppenärztliche Sprechstunde vor Ort angesetzt. Der für den Großraum Berlin zuständige Arzt vom Dienst (AvD) wurde dadurch vor dem Hintergrund des langen Anfahrtswegs entlastet. Die Sprechstunde am Samstag wurde mit dem bereits eingeplanten Rettungstrupp unterstützt. Für die Sprechstunde am Sonntag wurde am Vortag ein Rettungssanitäter aus der Brandbereitschaft aktiviert.
Am Samstagnachmittag wurden kurzfristig 4 Soldaten dem Truppenarzt vorgestellt, von denen 3 einen ausgeprägten Hautbefund wie bei starker Exposition mit dem KPS aufwiesen (Anamnese: Anlage einer Stellung bei Nacht unmittelbar an einem Nest). Die Bataillonsführung wurde über das weitere Vorgehen betreffend die erkrankten Soldaten (Facharztvorstellung im BwKrhs Berlin am gleichen Tag) und das Krankheitsbild der Raupendermatitis im Allgemeinen informiert.
Aufgrund der bisherigen Fälle mit dem wiederholten Einsatz des zivilen Rettungsdienstes nach Alarmierung durch die Truppe, der stationären Aufnahme und des starken Ausprägungsgrades bei weiteren Soldaten in einem Zeitraum von 3 Tagen entschloss sich die Bataillonsführung zur Vorstellung aller betroffenen Soldaten beim Truppenarzt zur Gewinnung eines Lagebildes über das zahlenmäßige Ausmaß der Erkrankung.
Die Behandlung der überwiegenden Zahl der Fälle mit Raupendermatitis fand am Sonntag statt. Aufgrund der Anzahl erfolgte die Durchführung der Behandlung nach Zuordnung in Fall-Gruppen. Zuerst wurden die Infekt-Patienten aus Gründen der Kontaktvermeidung behandelt. Es folgten die sonstigen Fälle (Wiedervorstellungen, Trauma und Bewegungsapparat), dann die zahlenstärkste Gruppe mit Raupendermatitis-Symptomen. Es wurden auch an 2 Tagen 4 präkollaptische Patienten (Flüssigkeits- und Schlafmangel) ohne Raupendermatitis ambulant versorgt.
Vor und während der Behandlung, im laufenden Geschäft, wurden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen mit der Truppe abgestimmt und veranlasst (Patienten- und Medikamententransport, fachliche Beratung eingeholt und gegeben).
Die truppenärztliche Beratung umfasste die Ermittlung der Ursache (Kontakt mit den Brennhaaren des KPS), die Vermeidung einer (weiteren) Exposition, die zusätzlichen hygienischen Maßnahmen (Kleidung separat waschen) und die erneute Expositionsvermeidung Betroffener mit starker Ausprägung der Hautsymptome. Auf das unspezifische Risiko einer Superinfektion stark befallener Hautstellen aufgrund der Kratzdefekte bei Dienst im Gelände (bei schwül-warmer Witterung in staubig trockener Umgebung) wurde hingewiesen.
Nach Identifizierung der vermuteten Ursache (KPS) der Häufung von Beschwerden bei den eingesetzten Soldaten erfolgte eine Platzbegehung mit dem Bundesforstamt. Hierbei wurde ein starker Befall aller Übungsräume des gesamten Platzes festgestellt.
Die bis dahin, Sonntag, den 26. Juni 2022, lediglich unterbrochene Übung wurde in Ermangelung fehlender Ausweichmöglichkeiten in nicht befallene Räume vorzeitig beendet. Während der Rückbauphase, durchgeführt durch das Versorgungselement, kam es zu keinem Ansteigen der Erkrankungsfälle an Raupendermatitis.
Tab. 1: Zeitlicher Verlauf und Maßnahmen Truppenarzt/Truppe
In Tabelle 1 sind die durch den Truppenarzt und die Truppe durchgeführten Maßnahmen im zeitlichen Verlauf dargestellt. Die Entwicklung der Krankmeldungen aufgeschlüsselt nach den Gruppen CORONA, Raupendermatitis und Sonstige (Erkrankung, Trauma und Kreislaufdysregulationen) sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tab. 2: Patientenkontakte nach Art und Behandlungsdauer
Diskussion
Das plötzliche Auftreten einer Gruppenerkrankung erfordert über die rein medizinische Tätigkeit des Truppenarztes hinaus weitere organisatorische, beratende und systembedingte Maßnahmen.
Medizinisch-ärztliche Betrachtung
Das Krankheitsbild einer Raupendermatitis ist, rein medizinisch betrachtet, keine große Herausforderung. Es ist nicht regelhaft mit schweren lebensbedrohlichen Zuständen zu rechnen. Nach einer orientierenden Untersuchung und der Expositions- bzw. Patientenanamnese (gezielt nach allergische Disposition) kann eine Einordnung der Schwere durch den behandelnden Arzt erfolgen. Die Therapie mit topisch-lokalen und oralen Medikamenten ist problemlos, bedarf keiner aufwendigen Geräte und keiner intensiven, zeitkritischen ärztlichen und assistierten Tätigkeit am Patienten.
Die fachliche truppenärztliche Ausbildung und materielle ärztliche Grund-Ausstattung genügten den dazu benötigten Anforderungen. Die Untersuchung, Diagnosestellung und Therapie können (bis auf seltene Ausnahmen) im ambulanten Setting erfolgen.
Die Herausforderung bei der ärztlichen Behandlung bestand im vorgestellten Fall in der Anzahl der zu behandelnden Patienten und der für die Sichtung benötigten Zeit.
Die Effloreszenzen-Ausbildung in Bereichen, die von Kleidung bedeckt sind und einer mechanischen Einwirkung der Bekleidung (Gürtel) und Ausrüstung (Schulter-Rücken) unterliegen, lassen als Ursache eine generalisierte pseudoallergische Hautreaktion aufgrund der Ausschüttung von Histamin und Kininen vermuten. Eine Beschränkung der Symptome auf die unbedeckten Hautstellen lag nicht vor.
Vorgehensweise aus Sicht des Truppenarztes
Der Truppenarzt kann sich in seiner Bewertung nicht nur auf den Einzelfall des vor ihm sitzenden Patienten beschränken. Vielmehr muss eine Gesamtübersicht der Behandelten erstellt werden. Für seine abgeleitete Einschätzung sind alle, in seinem Zuständigkeitsbereich eingesetzten Soldaten (auch die potenziellen Auswirkungen auf Gesunde) zu betrachten. Die frühzeitige Kontaktaufnahme zur Truppenführung ist immer hilfreich und absolut zu empfehlen.
Bereits am Samstag erfolgte die Kontaktaufnahme mit der Truppenführung. In der Zeit bis zur Vorstellung der angekündigten Soldaten direkt vom Platz kam es zu einem ersten Austausch und zur Absprache für eine Sprechstunde am Folgetag (zum damaligen Zeitpunkt noch mit dem angenommenen Schwerpunkt betreffend Corona).
In der Situation wurde die andauernde, als sicher anzunehmende Expositionswahrscheinlichkeit als starke, unvermeidbare Exposition (Tag und Nacht) bei abgesessenem Einsatz im bewaldeten Gebiet mit Schanzen und Tarnen zugrunde gelegt. Ein weiteres Ansteigen der Zahl an Betroffenen bei fortgesetzter gleicher Exposition der eingesetzten Truppe wurde angenommen.
Ein „Zurückziehen“ auf eine rein medizinische, nur am Patienten orientierte Sichtweise ohne Wahrnehmung des militärischen Auftrags der Truppe kann zu Unverständnis und Konfrontationen führen. Eine faktenbasierte Darstellung des Gesamtbildes, Darstellung der Gründe und Zusammenhänge sind bei Beratung der Truppenführung zielführender.
In der Anfangsphase ist auch der „weiche“ psychologische Aspekt bei Gruppen-Erkrankungen zu berücksichtigen. Hautreaktionen führen beim Betroffenen und der Umgebung schnell zur Stigmatisierung. Eine dem Verständnishorizont angepasste Kommunikation bei der Patientenbehandlung ist erforderlich.
Die Sichtbarkeit der Hautveränderungen und das permanente Kratzen führen zur Verunsicherung bei den Betroffenen, den Kameraden und den Vorgesetzten (Stigmatisierung). Eine Ansteckungsgefahr wird von der Umgebung unterschwellig angenommen. Eine Häufung von Krankheitsfällen spricht sich immer schnell herum und hat Auswirkungen auf das Verhalten von Soldaten und Vorgesetzten.
Den gleichen Mechanismus konnte der Autor ein Jahr später, im Juli 2023, bei einem Ausbilder-Kontingent aus Norwegen beobachten. Auch hier war der KPS als Risiko nicht bekannt, und die Vorgesetzten waren bei Auftreten von zahlreichen Fällen einer Raupendermatitis alarmiert.
Die Empfehlungen an den Vorgesetzten nach einer Behandlung sollten die individuelle Verwendungsfähigkeit, die Umsetzbarkeit der Maßnahmen und den Auftrag der Einheit im Zusammenhang mit dem des Verbandes berücksichtigen. Bei bereits betroffenen Soldaten mit ausgeprägtem oder starkem Ausschlag wurde die Möglichkeit der regelmäßigen großflächigen Anwendung von Topika medizinisch als erforderlich bewertet. Eine „Krank auf Stube“-Empfehlung wurde bis zur Wiedervorstellung ausgesprochen. Bei deutlichen Hautveränderungen wurde im Sinne einer Expositionsprophylaxe die Befreiung vom Geländedienst verordnet. Schießausbildung auf angelegten Schießbahnen wurde als möglich bewertet. Für die überwiegende Zahl der Fälle mit lediglich geringen Effloreszenzen wurde nur eine Expositionsvermeidung gemäß Aufklärung empfohlen.
In einem Landes- und Bündnisverteidigung Szenario müsste der militärischen Auftragserfüllung Vorrang eingeräumt werden. Dies ist bei dem relativ unkritischen Verlauf, der lediglich begrenzten Anzahl an schweren Fällen und der unkomplizierten Therapie der Raupendermatitis medizinisch zu vertreten. Eine allgemeine Information an die Truppe mit Darstellung der Erkrankung, dem Verlauf, der Therapie und präventiven Maßnahmen kann dann erwogen werden. Nur schwere Fälle werden truppenärztlich vorgestellt. Es könnte eine großzügige Medikamentenausgabe, nach Ermächtigung des Truppenarztes auch durch anderes Sanitätspersonal, erfolgen.
Medizinische Infrastruktur
Die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten im Sanitätsbereich Übungstruppe auf dem Truppenübungsplatz Lehnin waren für das sanitätsdienstlich eingesetzte Personal (1 Truppenarzt, 1 Rettungssanitäter) ausreichend. Die Behandlung erfolgte in einem Arzt-Behandlungsraum. Die Soldaten warteten im Gang. Die Beaufsichtigung wurde durch die Truppe sichergestellt. Die Zugriffsmöglichkeit auf weitere medizinische Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser, Apotheken, etc.) war eingeschränkt. Höherwertige Einrichtungen waren alle etwa eine Stunde Fahrtzeit entfernt (Bad Belzig, Potsdam, Berlin). Es war Wochenende.
Einholen von fachlicher Beratung
Durch ein Telefonat mit dem diensthabenden Facharzt Dermatologie am BwKrhs Berlin wurde eine Therapieempfehlung für das Krankheitsbild der Raupendermatitis eingeholt. Diese bildete die Grundlage für die Arzneimittelbeschaffung.
Die einfache Therapie mit oralen Antihistaminika und topischen Kortikoiden wurde aufgrund fachärztlicher Erfahrungen bestätigt. Die Therapie des Juckreizes mit dem empfohlenen nebenwirkungsarmen Antihistaminikum (Desloratadin, Aerius® 5 mg) wurde bei schweren und ausgeprägten Bildern mit einem alternativen Präparat (Fexofenadin, Telfast® 180 mg) aufgrund eigener Erfahrungen, angepasst.
Organisation der Arzneimittelversorgung
Die Organisation von benötigten Sanitätsmaterial in Form von Arzneimitteln konnte nicht auf dem üblichen Beschaffungsweg erfolgen. Ein Ausweichen auf zivile Apotheken war nicht zielführend (Wochenende, Entfernung zur nächsten Apotheke, Menge, administrative Vorgaben Einzelrezept). Ein Ausweichen auf die nächstgelegene Bw-Apotheke am BwKrhs Berlin konnte, nach Abstimmung mit dem diensthabenden Apotheker, unkompliziert erfolgen.
In Lehnin befanden sich nur geringe Mengen an Arzneimitteln, da der Bedarf in der Regel überschaubar ist und wochentags durch das nächste Sanitätsversorgungszentrum nachversorgt werden kann. Durch ein Telefonat mit Schilderung der Situation vor Ort konnte eine Abgabe der benötigten Präparate mit dem diensthabenden Apotheker im BwKrhs Berlin unbürokratisch und schnell abgestimmt werden. Der Transport wurde auf Anfrage von der Truppe übernommen. Bis zum Eintreffen der Arzneimittel wurde aus dem Handvorrat versorgt. Nach Eingang erfolgte eine ergänzende Ausgabe an bereits untersuchte Soldaten.
Organisation der Behandlung
Die Patientenzahl erforderte einen zügigen Ablauf. Zur Einschätzung der Schwere des Krankheitsbildes ist stets eine orientierende Untersuchung der Vitalfunktionen und eine In-Augenscheinnahme nötig. Eine sorgfältige Dokumentation ist immer Bestandtei jeder ärztlichen Untersuchung. Die Truppe benötigt für die weitere Administration eine truppenärztliche Grundlage (Krankenmeldeschein).
Die Behandlungsreihenfolge und Gruppenbildung erfolgte unter den Aspekten der Infektiosität, der medizinischen Dringlichkeit, der Logistik für einen Transport und der dazu erforderlichen Organisation durch die Truppe.
Die zahlenmäßig stärkste Gruppe mit Ausschlag wurde im Rückgriff auf alte in der Vergangenheit durchgeführte Verfahren bei der Durchführung von Sichtungen größerer Soldatengruppen (Einstellungsuntersuchungen bei Wehrpflichtigen) truppenärztlich behandelt. Das System „Arztschreiber und Arzt“ wurde angewandt. Das Verfahren wurde durch den Verfasser in der Vergangenheit über Jahre angewendet und durchgeführt.
Der Arztschreiber bereitete die erforderlichen Dokumente (Standortfremdenbogen, Krankenmeldeschein, Überweisungen Bw und zivil, Listenführung) vor und assistierte bei der Untersuchung (Pulsoxymetrie, Temperatur, Dokumenten-Vorbereitung). Durch die Aufgabenteilung wurde sowohl eine schnelle und gründliche Untersuchung als auch die notwendige Dokumentation sichergestellt. Die Aufsicht im Wartebereich erfolgte durch die Truppe.
Der Faktor Zeit
Die Herausforderung besteht in dem für eine sorgfältige Behandlung erforderlichen Zeitaufwand. In der Abwägung zwischen schnell oder gründlich wurde letzteres priorisiert. Das wurde bereits im ersten Kontakt mit der Truppenführung deutlich gemacht und akzeptiert. Im Verlauf wurden regelmäßig kurze Pausen eingelegt (Lüften, Trinken, Bewegung), um die Durchhaltefähigkeit des Personals zu erhalten.
Die Akzeptanz bei den Betroffenen war hoch. Der Aufwand anhand der Zahl der Wartenden für jeden ersichtlich. Bei der Behandlung wurde auf die Information zu Ursachen, Therapie und den weiteren Verlauf Wert gelegt. Da der Juckreiz und die Hautveränderungen 3 bis zu 10 Tage andauern können, wurde dadurch medizinisch nicht erforderlichen Wiedervorstellungen vorgegriffen.
Fazit
Die Kenntnis über die vor Ort möglichen Umwelt- und Expositionsrisiken, den Auftrag und das Verhalten der Truppe sind bereits bei Vorhaben in Deutschland relevant. Der Kontakt zur Truppe ist entscheidend.
Ein aktueller Bezug der vorgestellten Thematik kann für die Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen gesehen werden, da gemäß einer orientierenden Internetrecherche (Suchbegriff: Kiefernprozessionsspinner Litauen) eine Verbreitung des Kiefernprozessionsspinners in Litauen beschrieben wird [1][5].
Kernaussagen
- Kontakt zur Truppe herstellen.
- Offene Kommunikation mit Betroffenen und Führung pflegen.
- Übersicht verschaffen.
- Maßnahmen nach Wirksamwerden auf der Zeitschiene veranlassen/ergreifen.
- Logistik organisieren.
- Unterstützung/Beratung einholen.
- Zuständige Stellen informieren.
- Aufgaben abgeben.
Literatur
- Landkreis Potsdam-Mittelmark, Fachbereich Landwirtschaft, Veterinärwesen, Gesundheit und Schülerbeförderung, Team Hygiene und Umweltmedizin; Merkblatt zum Kiefernprozessionsspinner 16. Juli 2020; , letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
- Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg: Broschüre „Eichenprozessionsspinner“, 4. Aktualisierte Auflage, 2017. mehr lesen
- Rahlenbeck S, Utikal J: Raupen mit reizenden Brennhaaren. Dt Ärztebl 2017; 114(18): A 896-898. mehr lesen
- Spectrum Akademischer Verlag, Heidelberg: Prozessionspinner.< https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/ prozessionsspinner/54406<, letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
- Waldschutz-Information 7/2020 / Landesforst Mecklenburg-Vorpommern, August 2020.
- Wikipedia: , letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Teufelhart, I:Gruppenerkrankung an Raupendermatitis durch den Kiefernprozessionsspinner. WMM 2024; 68(3): 88-94.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-259
Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Ingo Teufelhart
Sanitätsunterstützungszentrum Berlin
Kurt-Schumacher-Damm 41, 13405 Berlin
E-mail: ingoteufelhart@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Teufelhart I: [Caterpillar Dermatitis as a Group Disease Caused by the Pine Processionary Moth]. WMM 2024; 68(3): 88-94.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-259
Author
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Ingo Teufelhart, MD
Major Medical Clinic Berlin
Kurt-Schumacher-Damm 41, D-13405 Berlin
E-mail: ingoteufelhart@bundeswehr.org
Plötzlicher Herztod beim Sport: Evidenz und Rationale im Rahmen der Begutachtung
Sudden Cardiac Death during Exercise: Evidence and Rationale within the Context of Medical Assessment
Thomas Okona, Rainer Sedlaczekb, Martina Grunwaldc, Roland Vogld
a Sanitätszentrum Oberviechtach
b Facharztzentrum Kümmersbruck
c Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Abteilung C, Warendorf
d Sanitätsversorgungszentrum Kümmersbruck
Zusammenfassung
Der sportassoziierte, plötzliche Herztod wird definiert als ein Herz-Kreislauf-Stillstand einschließlich einer notwendigen Reanimation oder Defibrillation direkt, während oder kurz nach einer sportlichen Aktivität (innerhalb 1 h nach Beendigung). Dieses Ereignis kann jedoch nicht nur Hochleistungssportler betreffen, sondern kann bei jedem Sporttreibenden, so auch bei Soldatinnen und Soldaten auftreten.
Der sportassoziierte plötzliche Herztod ist selten, mit einer Inzidenz von etwa 2 Ereignissen pro 100 000 Athletenjahre. Die Ursachen variieren: Vor dem 35. Lebensjahr sind vorwiegend Kardiomyopathien führend, nach dem 35. Lebensjahr dominiert die koronare Herzerkrankung. Die Identifikation von Personen mit unentdeckten kardiovaskulären Erkrankungen durch ein Screening zur Reduzierung solcher Ereignisse ist nicht unumstritten. Studien zeigen sowohl eine reduzierte Inzidenz von sportassoziierten plötzlichen Herztoden nach Screening-Untersuchungen, aber auch eine fehlende Detektierbarkeit von Patienten mit zugrunde liegenden Erkrankungen. Die Bundeswehr führt aktuell allerdings obligate Regelbegutachtungen durch, sodass durch diese Rahmenlage die Indikationsstellung klar geregelt ist. So besteht innerhalb der Streitkräfte aktuell die Möglichkeit, durch eine gut durchgeführte Begutachtung, einschließlich Anamnese, Sportanamnese, klinischer Untersuchung, Ruhe-EKG und ggf. Belastungs-EKG, das Risiko für das seltene, aber tragische Auftreten eines sportassoziierten, plötzlichen Herztodes zu minimieren.
Schlüsselwörter: Sportassoziierter plötzlicher Herztod, Begutachtung, Screening, Streitkräfte, EKG
Summary
Sports-associated sudden cardiac death is defined as a cardiovascular arrest requiring resuscitation or defibrillation directly during or shortly after physical activity. This event can occur not only in elite athletes but also in any individual engaged in sports, including military personnel. Sports-associated sudden cardiac death is rare, with an incidence of approximately 2 events per 100,000 athlete-years. The causes vary: prior to an age of 35, cardiomyopathies are predominantly implicated, while coronary heart disease becomes more prevalent after the age of 35. The identification of individuals with undetected cardiovascular diseases through screening to reduce such events is a topic of debate. Studies show both a reduced incidence of sports-associated sudden cardiac deaths after screening examinations and a lack of detectability of patients with these underlying conditions. However, the current practice within the Bundeswehr involves mandatory periodic medical assessments, providing clear guidelines for indication. Thus, among German military personnel , there is currently an opportunity to minimize the risk of the rare but tragic occurrence of sports-associated sudden cardiac death through well-conducted assessments, including medical history, sports history, clinical examination, resting electrocardiogram (ECG), and, if necessary, stress ECG.
Keywords: sports-related sudden cardiac arrest; assessment; screening; armed forces; ECG
Einleitung
Ein Ereignis wie der Herz-Kreislauf-Kollaps des dänischen Nationalspielers Sven Eriksen zur Fußball-Europameisterschaft 2021 führen die immanent bestehende Gefahr des sportassoziierten, plötzlichen Herztodes drastisch vor Augen. Es spiegelt die Tragik eines akut eintretenden, lebensbedrohlichen Geschehens bei vermeintlich gesunden (Spitzen-)Sportlern wider. Letztlich kann ein solches Ereignis aber auch bei jeder Sport treibenden Person auftreten [10]. Ziel dieses Artikels soll es sein, neben einem kurzen Überblick über die Erkrankung und deren Häufigkeit, eine selektive Literaturübersicht über relevante Studien zu geben und die wehrmedizinische Relevanz, insbesondere unter Anbetracht der militärischen Gegebenheiten und Besonderheiten herauszuarbeiten.
Hintergrund
Der plötzliche Herztod beim Sport (sudden cardiac death; nach neueren Veröffentlichungen „sports-related sudden cardiac arrest“, der Lesbarkeit halber wird im Artikel der deutsche Terminus des plötzlichen Herztodes beibehalten) wird definiert über einen Herz-Kreislauf-Stillstand einschließlich einer notwendigen Reanimation oder Defibrillation direkt, während oder auch kurz nach einer sportlichen Aktivität (innerhalb 1 h nach Beendigung) [1][2].
Erfreulicherweise ist der sportassoziierte plötzliche Herztod ein eher seltenes Ereignis [17]. Die Inzidenz schwankt um die 2 Ereignisse pro 100 000 Athletenjahre, wobei hier die unterschiedlichen Bezugsgrößen und Kohorten eine präzise Angabe nicht zulassen. Die in der Literatur zu findenden unterschiedlichen Häufigkeiten begründen sich in der Art der Erhebung der Daten, die nicht international einheitlich ist (verstorben, überlebt, Zeitpunkt des Ereignisses, etc.) [1][6].
Vor dem 35. Lebensjahr werden Kardiomyopathien (bspw. die hypertrophe Kardiomyopathie) einschließlich Myokarditiden, Ionenkanalerkrankungen (bspw. Long QT-Syndrom), kongenital veränderte Anlagen der Koronararterien und Klappenerkrankungen als ursächlich beschrieben [6]. Nach dem 35. Lebensjahr verschieben sich die Häufigkeiten hin zur koronaren Herzerkrankung als Ursache (Abbildung 1) [14]. Erwähnenswert ist hierbei, dass in einer Studie nachgewiesen werden konnte, dass sich bei über 90 % der an einer KHK Erkrankten unter 50 Jahren eine Erstmanifestation als plötzlicher Herztod (nicht sportassoziiert) offenbarte [20].
Abb. 1: Ursachen des sportassoziierten plötzlichen Herztodes
Aufgrund mehrerer Faktoren lässt sich so zusammenführend und plausibel darlegen, weshalb der sportassoziierte plötzliche Herztod auch wehrmedizinisch relevant ist:
- Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr werden älter, was demnach das Auftreten einer KHK rein statistisch wahrscheinlicher macht [7]. Ebenso scheinen die Risikofaktoren für das Auftreten einer KHK in den Streitkräften zuzunehmen [8][18].
- Alle Soldatinnen und Soldaten sind aufgrund der Dienstvorschrift A1–224/0–1 (Stand 11/2017; Nr. 304.: „Allgemeine Sportausbildung ist regelmäßig und planmäßig mit mindestens 4 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten pro Woche durchzuführen. Dabei ist eine Verteilung der Unterrichtseinheiten auf 3 Trainingseinheiten anzustreben.“) zur sportlichen Aktivität verpflichtet, sodass hier auch Personal in körperlich weniger fordernden Verwendungen in die potenziell risikobehaftete Situation körperlicher Anstrengung kommen kann. Diese Exposition wird bei genauer Betrachtung bei einzelnen Individuen noch einmal gesteigert: Nicht nur Spitzensportler aus der Sportfördergruppe befinden sich in der wehrmedizinischen Behandlung und Begutachtung, sondern zum Teil auch ambitionierte und hochtrainierte Freizeitsportler, welche als Patientinnen und Patienten und zu begutachtende Soldatinnen und Soldaten in den Sanitätseinrichtungen betreut werden.
- In der Literatur findet sich eine interessante Studie von Ekart et al.[4]. Dieser untersuchte alle nicht-traumatischen Tode der US-Streitkräfte zwischen 1977 und 2001 bei Rekrutinnen und Rekruten (insgesamt 6,3 Millionen Dienstleistende zwischen 17 und 35 Jahren). Insgesamt kam es zu 126 Todesfällen, was eine Inzidenz von 13 Todesfällen auf 100 000 Rekrutenjahre ergab. Davon waren 86 % während körperlicher Belastung aufgetreten. Insgesamt 64 der 126 Todesfälle waren auf kardiale Befunde zurückzuführen. Eine weitere Aufschlüsselung, inwieweit die kardialen Pathologien während Belastung auftraten, erfolgte leider nicht [4].
Stellenwert von Screening-Untersuchungen
Ziel sollte es also sein, Personen, welche an bisher unentdeckten kardiovaskulären Erkrankungen leiden, im Sinne einer Screening-Untersuchung, frühzeitig zu identifizieren.
Die Durchführung einer Screening-Untersuchung zur Vermeidung des plötzlichen Herztodes ist aber nicht unumstritten [22]. In einer Studie in Venetien, Italien, konnte gezeigt werden, dass durch die 1982 gesetzlich verpflichtende Einführung eines Screenings für Wettkampfathleten zwischen 12 und 35 Jahren (eingeschlossen Anamnese, körperliche Untersuchung sowie ein EKG) die Anzahl der plötzlichen Herztode von einer Inzidenz von > 4/100 000 Personenjahre ab 1979 auf 0,43/100 000 Personenjahre bis 2004 reduziert werden konnte [2]. Während des Studienzeitraumes wurden nahezu alle Todesfälle autopsiert; es zeigte sich hier ein relevanter Rückgang der Sterblichkeit durch weniger Todesfälle aufgrund von Kardiomyopathien. 24 der 55 verstorbenen, aber gescreenten Athleten hatten mindestens einen auffälligen Befund.
Einschränkend zu dieser beeindruckenden Reduktion sollte allerdings erwähnt werden, dass die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie in dieser Region überproportional häufig vorkommt [5]. Bei der rechtsventrikulären arrhythmogenen Kardiomyopathie sollte die betreffende Person von Leistungssport, hochintensivem Sport und systematischem Training ausgeschlossen werden, sodass es hier aufgrund der erhöhten Inzidenz einer Erkrankung, bei der Wettkampfsport ein sehr hohes Risiko darstellt, zu einem Bias gekommen sein könnte [16][21].
In einer weiteren, hochrangig publizierten Studie werteten Malhotra et al. das Screening-Programm (Anamnese, klinische Untersuchung, EKG sowie Echokardiographie) der englischen Football Association (United Kingdom) zwischen 1996 und 2016 mit über 11 000 Probanden mit einem Durchschnittsalter von ca. 16 Jahren aus [13]. Letztlich kam es im untersuchten Kollektiv zu 8 plötzlichen Herztoden, wovon aber 5 im Vorfeld ein unauffälliges Screeningergebnis aufwiesen. In dieser Studie lagen zwischen dem Zeitpunkt der Untersuchung der Probanden und eingetretenem plötzlichem Herztod allerdings Zeiträume zwischen einem Monat und 13 Jahren, sodass sich Kardiomyopathien auch erst nach dem Screening hätten manifestieren können. Limitierend muss auch erwähnt werden, dass im Rahmen dieses Studiendesigns nicht analysiert werden konnte, wie viele Ereignisse durch das Screening verhindert wurden.
Vorschriftenlage in der Bundeswehr
Erfreulicherweise ist bei der Bundeswehr eine Regelbegutachtung vorgesehen, bislang in Form der allgemeinen Verwendungsuntersuchung auf individuelle Grundfertigkeiten (AVU-IGF), die durch eine neue Überprüfung der Einsatzfähigkeit im Jahr 2025 abgelöst werden soll. Wenngleich hierbei ein EKG oder gar eine Ergometrie nicht mehr zwingend vorgeschrieben sein sollen, ist die Durchführung eines entsprechenden Screenings der Soldatinnen und Soldaten anhand eines Befragungsbogens und eventueller Vorbefunde weiterhin möglich. Somit sind also, unabhängig der wissenschaftlichen Evidenz zur Effektivität einer Screeninguntersuchung zur Verhinderung eines sportassoziierten Herztodes, die Rahmenbedingungen gegeben, ein Screening durchführen zu müssen. Dieses umfasst, neben diverser anderer, möglichen Untersuchungen, federführend die Anamnese, eine klinische Untersuchung und ein Ruhe-EKG.
Interessanterweise sind die (noch) geltenden Empfehlungen in der Weisung zu AVU-IGF zu weiterführender Diagnostik mittels Ergometrie im Ergebnis annähernd deckungsgleich mit den Empfehlungen der S1-Leitlinie zur sportmedizinischen Begutachtung. Dementsprechend heißt es in der Vorschrift A1-831/0-4007 Verwendungsfähigkeit „Individuelle Grundfertigkeiten“, Stand 15. Dezember 2021:
„Bei Vorliegen von mindestens einem bekannten kardiovaskulärem Risikofaktor ist eine Belastungsuntersuchung (Ergometrie) anzubieten. Bei Personen mit bestehenden Symptomen (Belastungsdyspnoe in der Anamnese, Veränderungen im Ruhe-EKG) oder mehr als 2 Risikofaktoren (wobei das Alter ab dem vollendeten 40. Lebensjahr als ein Risikofaktor zu werten ist) ist die Belastungsuntersuchung obligater Bestandteil einer AVU-IGF....“
So führt die S1-Leitlinie „Vorsorgeuntersuchung im Sport“ folgende, für die Bundeswehr relevanten Indikationen (bspw. entfallen Altersgruppen > 65 Jahre) zur Durchführung einer Ergometrie aus [11]:
- in allen Altersgruppen mit Symptomen,
- Männer > 40 Jahre, Frauen > 50 Jahre, wenn mind. 1 Risikofaktor vorliegt, und
- Männer > 40 Jahre, Frauen > 50 Jahre vor intensiven Belastungen.
Zusammenfassend stellt sich bei der Bundeswehr durch die aktuell (noch) geltende Regelbegutachtung die Frage nach der Indikation nicht, sodass eine angemessene Durchführung umso wichtiger erscheint. Inwieweit sich der Umfang (EKG, Belastungs-EKG, etc.) der neuen einsatzbezogenen Regelbegutachtung am Umfang oder Kostenübernahme/Bezuschussung einer sportmedizinischen Untersuchung durch die gesetzlichen Krankenkassen orientieren wird, bleibt abzuwarten.
Neben der allgemeinen Anamnese und Fragen nach Beschwerden kann die Erhebung der Sportanamnese (Umfang, Dauer, Intensität, früherer Leistungssport) sowie zudem die Erfassung der Familienanamnese (Synkopen, kardiale Familienanamnese, plötzlicher (Herz)-Tod in Familie, ungeklärte Verkehrsunfälle, unklare Ertrinkungsunfälle) entscheidende Hinweise liefern.
Bei den in Abbildung 1 dargestellten Ursachen des sportassoziierten Herztodes könnten einige dieser bereits mittels Ruhe-EKG erfasst werden. Jedoch zeigen manche, wenn überhaupt, nur subtile EKG-Veränderungen. Im Vergleich zur o.g. Studie, in der zwischen Eintreten des plötzlichen Herztodes und initialer Screeninguntersuchung bis zu 13 Jahre lagen, kann derzeit innerhalb der Bundeswehr aber auf die aktuell dreijährige Durchführung der Regelbegutachtung zurückgegriffen werden, sodass die Chance besteht, fortschreitende Verläufe, beispielsweise bei Kardiomyopathien, zu erfassen.
Sharma et al. haben federführend ein Konsensusdokument erstellt, welches auftretende EKG-Veränderungen bei Sportlern definiert und zusammenfasst [19]. Eine weiterführende Erläuterung der EKG-Befunde, einschließlich Abklärungsempfehlungen kann der frei zugänglichen Publikation entnommen werden [19]. In einer kleinen Studie von Drezner et al. konnte ergänzend gezeigt werden, dass ein standardisiertes Vorgehen bei der Auswertung, einschließlich der Auswertung, durchgeführt von Kardiologen (n = 10), die Beurteilung von Sportler-EKGs verbesserte [3].
Einschränkend sollte jedoch erwähnt werden, dass der Begriff „Sportler“ nicht einheitlich definiert ist [15]. So ist eine Ruheherzfrequenz von 40 Schlägen pro Minute bei einem Soldaten/einer Soldatin, welcher/welche lediglich 1x/Woche 5 km Laufen geht und 2x/Woche Krafttraining durchführt, anders zu bewerten als bei Trainierenden mit einem Ausdauertrainingsumfang von bspw. 7–8 h/Woche. Auch hier ist die Sportanamnese im Rahmen einer Begutachtung essenziell.
In Abbildung 2 sind die Empfehlungen des Konsensuspapieres dargestellt [19]. EKG-Veränderungen im grünen Bereich können bei asymptomatischen Sportlern als normal gewertet werden, bei zwei oder mehr Veränderungen im gelben Bereich und bei allen Veränderungen im roten Bereich ist eine weitere Abklärung, insbesondere bei symptomatischen Sportlern, dringend zu empfehlen.
Abb. 2: EKG-Kriterien nach Sharma et al.; LVH-Linksventrikuläre Hypertrophie; RVH-Rechtsventrikuläre Hypertrophie; RSB Rechtsschenkelblock, LSB-Linksschenkelblock
In der Ergometrie, sobald indiziert, sollte auf eine Ausbelastung der Athleten geachtet werden [12]. Bestehen hier Zweifel, bspw. aufgrund der Herzfrequenz oder Anmerkung der Soldatinnen und Soldaten, dass eine kardiovaskuläre Ausbelastung aufgrund muskulärer Erschöpfung der Oberschenkelmuskulatur, häufig zu vernehmen auf einem Liegerad, nicht erreicht wurde, sollte die Untersuchung wiederholt werden (z. B. längere Intervalle oder geringere Wattstufen) oder zur weiteren Abklärung an einen Kardiologen überwiesen werden. Zu betonen ist, dass es in der Ergometrie als Vorsorgeleistung nicht um eine zu erreichende Zielleistung geht, sondern um eine Ausbelastung. Auch wenn die Ergometrie zunehmend in den Hintergrund rückt [9], ist sie aufgrund der vorliegenden Weisung bei AVU-IGF zumindest aktuell (nach oben stehenden Indikationen) noch vorgeschrieben, sodass eine weiterführende individuelle Bewertung der Indikation bei einer Regelbegutachtung entfällt.
Fallbeispiel
Im Rahmen der Regelbegutachtung AVU-IGF stellte sich ein sportlich-durchtrainierter 54-jähriger Oberstabsfeldwebel in der Sprechstunde vor. Die letzte Regelbegutachtung erbrachte keine auffälligen Ergebnisse. Die Sportanamnese ergab ein 2x/Woche stattfindendes Ausdauertraining mit moderaten bis geringen Intensitäten, dazu circa 1–3x/Woche stattfindendem Krafttraining mit hochintensiven Elementen (hochintensives Intervalltraining; HIIT). An kardiovaskulären Risikofaktoren fand sich ein aktiver Nikotinabusus (5 Zigaretten/Tag, kumulativ. ca. 5 py), ein HbA1C mit 5,9 % sowie einer medikamentös behandelten Hypercholesterinämie (Atorvastatin 10 mg/d; LDL 106 mg/dl). Der Soldat gab keinerlei Beschwerden an, die Familienanamnese war leer.
Das Ruhe-EKG war unauffällig. Im Rahmen der Begutachtung zeigten sich im durchgeführten Belastungs-EKG (neben einem regelrechten Herzfrequenz-Anstieg,-Abfall und RR-Verlauf) ab 150 W vermehrt monomorphe Couplets. Zudem traten unter Maximallast eine grenzwertig pathologische horizontale ST-Streckensenkung bis 1,6 mV in III sowie minimal aszendierende, nichtsignifikante ST-Streckensenkungen in II (-1 mV) und aVF (-1,4 mV) auf. Während der gesamten Ergometrie war der Patient vollkommen beschwerdefrei. Nach weiterer nicht-invasiver Abklärung erfolgte eine Koronarangiografie, bei der sich eine geringe Arteriosklerose in allen Koronarien zeigte, führend jedoch eine hämodynamisch nicht relevante 20 % ige Hauptstammstenose. Eine Koronarintervention war nicht nötig.
In der Konsequenz ergab sich in der Behandlung die Hinzunahme von ASS 100 mg oral 1xtgl., die Intensivierung der Cholesterintherapie mit dem Ziel eines LDL-Wertes von < 55 mg/dl im Sinne einer Reduktion um 50 %, sowie die dringende Empfehlung zum Nikotinverzicht. Zudem wurden Empfehlungen zum Beginn einer mediterranen Diät bei erhöhtem HbA1C ausgesprochen. Es erfolgen nun jährliche Kontrollen. Wettkampfsport und in diesem Falle hochintensive Belastungen sollten unbedingt vermieden werden.
Fazit
Zusammenfassend ist der sportassoziierte, plötzliche Herztod ein tragisches, da meist aus vermeintlicher Gesundheit heraus eintretend, allerdings erfreulicherweise auch ein seltenes und zumindest potenziell vermeidbares Ereignis. Durch die Regelbegutachtungen in der Bundeswehr, die nun nach AVU-IGF mehr auf den Aspekt der Einsatzfähigkeit fokussiert sein werden, besteht die Möglichkeit,über ein gezieltes Screening zur Minimierung der Inzidenz des sportassoziierten plötzlichen Herztodes beizutragen.
Abb. 3: Links zu weiterführenden Informationen
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Okon T, Sedlaczek R, Grunwald M, Vogl R: Plötzlicher Herztod beim Sport: Evidenz und Rationale im Rahmen der Begutachtung. WMM 2024; 68(3): 95-99.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-264
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Thomas Okon
Sanitätszentrum Oberviechtach
Schönseer Straße 65, 92526 Oberviechtach.
E-Mail: thomasokon@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Okon T, Sedlaczek R, Grunwald M, Vogl R: [Sudden cardiac death during exercise: evidence and rationale within the context of medical assessment]. WMM 2024; 68(3): 95-99.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-264
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Thomas Okon, MD
Medical Clinic Oberviechtach
Schönseer Straße 65, D-92526 Oberviechtach.
E-Mail: thomasokon@bundeswehr.org