Gruppenerkrankung an Raupendermatitis durch den Kiefernprozessionsspinner
Caterpillar Dermatitis as a Group Disease Caused by the Pine Processionary Moth
Ingo Teufelharta
a Sanitätsunterstützungszentrum Berlin
Zusammenfassung
Die Hauptverursacher der Raupendermatitis in Deutschland, der Eichenprozessionsspinner (EPS) und der Kiefernprozessionsspinner (KPS) weisen artspezifische Unterschiede auf. Das Verbreitungsgebiet betrifft Mittel- und Nordeuropa. Es besteht eine Relevanz in Deutschland und NATO-Einsatzgebieten (Litauen). Für Einsätze in bewaldeten Räumen können diese Unterschiede erhebliche Auswirkungen auf die Truppe und die sanitätsdienstliche Versorgung haben. Gruppenerkrankungen können auftreten. Zu deren Bewältigung sind der Kontakt und die Zusammenarbeit mit der Truppe der Schlüssel. Bei der truppenärztlichen Versorgung sind die taktischen Einsatzgrundsätze, das Verhalten der Truppe, das Krankheitsbild, logistische Aspekte, die Exposition, die Beratung und die Organisation der Behandlung zu berücksichtigen.
Schlüsselworte: Raupendermatitis, Kiefernprozessionsspinner, Thaumetopoein
Summary
The main species causing caterpillar dermatitis in Germany, the oak processionary moth (EPS) and the pine processionary moth (KPS), have species-specific differences. Their habitats are Central and Northern Europe, including Germany and NATO operational areas such as Lithuania. If troops are deployed to forested areas, these differences can have a significant impact on their health. Potentially group illnesses can occur. Thus, contact and cooperation with the troops are key to coping with them. Tactical deployment principles, the behaviour of the troops, the clinical picture, logistical aspects, exposure, advice, and the organization of treatment must be considered when providing medical care.
Keywords: caterpillar dermatitis; pine processionary moth; thaumetopoein
Einleitung und Hintergrund
Das artspezifische Verhalten des Kiefernprozessionsspinners führt bei dem Einsatz von abgesessenen infanteristischen Kräften in befallenen Arealen zu starkem Auftreten der Raupendermatitis und in der Folge zu Herausforderungen bei der truppenärztlichen Versorgung und der Beratung der Truppe. Der vorliegende Beitrag zielt nicht auf das Krankheitsbild der Raupendermatitis ab, sondern auf die, aus Sicht des Autors, daraus resultierenden besonderen Herausforderungen einer truppenärztlichen Tätigkeit.
Der Kiefernprozessionsspinner als Verursacher der Raupendermatitis hat aufgrund des artspezifischen Verhaltens eine höhere Relevanz für die Truppe als der Eichenprozessionsspinner. Die Jahreszeit, die Vegetation des Einsatzraums, das taktische Verhalten und die spezifischen Einsatzgrundsätze haben Einfluss auf das Expositionsrisiko und -ausmaß (Häufigkeit und Zeitdauer). Das Wissen um das Vorkommen der Raupen, das Krankheitsbild und die präventiven Maßnahmen sind für die militärische und sanitätsdienstliche Lagebewertung zwingend erforderlich.
Der überregional bekannteste Verursacher einer Raupendermatitis (lat.: Erucismus, engl.: caterpillar dermatitis) ist in Deutschland der Eichenprozessionsspinner (EPS, Thaumetopoea processionea). Dieser ist hierzulande vordringlich verbreitet. Weiteres Vorkommen findet sich im mitteleuropäischen Raum. Die ebenfalls in Deutschland geführte Art des Kiefernprozessionsspinner (KPS, Thaumetopoea pinivora) ist lediglich regional zu finden, überwiegend entlang der Ostseeküste und zunehmend in Bereichen einer intensiven Forstwirtschaft mit Kiefern im Bereich der Bundesländer Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Das Auftreten in weiteren Ostsee-Anrainer-Staaten, unter anderem auch in Litauen, zeugt von einer nordeuropäischen Verbreitung [1][5].
Die genannten Arten unterscheiden sich wesentlich in folgenden Punkten:
- Der EPS legt seine Nester nahe am Stamm und an starken Ästen von Eichen an, der KPS positioniert sie an peripheren sonnenexponierten kronennahen Ästen von Kiefern [1][2][5].
Abb. 1: Nest von Kiefernprozessionsspinnern an peripheren Ästen in Brück/Brandenburg (Bildquelle: Teufelhart)
- Der EPS verpuppt sich im angelegten Nest am Stamm, der KPS im Boden in einer Tiefe von 8 bis 20 cm [1][2][5].
Abb. 2: Nest von Eichenprozessionsspinnern am Stamm in Brandenburg (Bildquelle: [2])
Bei abgesessenen Einsätzen im bewaldeten Gelände mit Tarn- und Schanzarbeiten ist lokal und jahreszeitlich eine starke Exposition mit dem KPS als Verursacher der Raupendermatitis zu beachten. Zum Tarnen von Kraftfahrzeugen und Stellungen werden periphere Äste verwendet. Beim Ausheben von Stellungen muss die Bodenoberfläche bearbeitet werden. Dicke Stämme und starke Äste werden bei Sperren und dem längerfristigen Stellungsausbau verwendet.
Krankheitsmechanismus
Die Raupendermatitis (lat. Erucismus, engl. Caterpillar dermatitis) wird durch Kontakt mit den Insektenbrennhaaren (lat. Toxophor) der Raupen oder Larven, die ein Protein (Thaumetopoein) enthalten, verursacht [4]. Die Raupen besitzen die Brennhaare über mehrere Larven-Stadien. Die Larven treten von April bis Juli auf. Die Nestanlage erfolgt ab Juni [2].
Klinisches Bild
Es kommt zu einer mechanisch irritativen und pseudoallergischen Hautreizung. Es bilden sich lokale (an unbedeckten Hautarealen), flächige (Kontaktflächen mit Kleidung) und generalisierte Papeln und Erytheme. Leitsymptom ist ein generalisierter Juckreiz mit Zunahme bei mechanischer oder thermischer Hautreizung, z. B. beim Duschen (Abbildungen 3 A-D). Selten sind anaphylaktische Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock [3].
Abb. 3: Klinische Manifestationen der Raupendermatitis: (A) mittelstarkes papulöses und stark erythematöses Exanthem im Bereich der LWS; (B) flächiges Brust-Erythem; (C) starkes papulo-erythematöses Exanthem von Brust und Bauch vor Therapie und (D) nach zweitägiger Gabe von Fexofenadin; (E) starkes papulo-erythematöses Exanthem an der Lateralseite des Oberschenkels; (F) mittelstarkes papulöses Exanthem im Bereich des Nackens (Bilder: Teufelhart)
Therapie
Die Therapie besteht in der Verabreichung von oralen Antihistaminika und topischen Kortikoiden, bedarfsabhängig erweitert um Dosieraerosole und systemische Glukokortikoiden. Als Maßnahmen nach Exposition sind erforderlich:
- Kleiderwechsel,
- befallene Kleidung separieren (z. B. in eine Plastiktüte) und bei 60 Grad getrennt waschen;
- duschen und Haare waschen sowie
- Vermeidung weiterer Exposition.
Differentialdiagnosen
In Frage kommen Exantheme durch andere allergische, toxische, virale, insektenübertragene Ursachen. Es sollte auch an das Frühstadium eines Pemphigoids gedacht werden [3][6].
Falldarstellung
Bei einem Übungsdurchgang des Übungszentrums Infanterie auf dem Truppenübungsplatz Lehnin in Brandenburg für zwei verstärkte Kampfkompanien eines Gebirgsjägerbataillons aus Süddeutschland wurde eine für 7 Tage geplante Biwak-Phase am 4. Tag unterbrochen und vorzeitig beendet. Von den bei der Übung eingesetzten ca. 250 Soldatinnen und Soldaten wurde bei ca. 90 eine Raupendermatitis diagnostiziert. In 4 Fällen erfolgte eine Alarmierung des ziv. Rettungsdienstes durch die Truppe, davon bei 2 Soldaten eine stationäre Aufnahme zur Beobachtung in einem lokalen zivilen Krankenhaus. Drei weitere Fälle wurden aufgrund der Ausprägung durch den Truppenarzt ambulant fachärztlich im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Berlin vorgestellt und im Folgenden ambulant weiterbetreut. Der Truppe war der EPS bekannt, der KPS nicht.
Die Anwesenheit eines Truppenarztes am Wochenende auf dem Truppenübungsplatz war ursprünglich nicht vorgesehen. Aufgrund der Platzbelegung (ca. 650 Soldaten) und den ansteigenden Corona-Infektionsfällen bei der Übungs-Truppe wurde kurzfristig eine truppenärztliche Sprechstunde vor Ort angesetzt. Der für den Großraum Berlin zuständige Arzt vom Dienst (AvD) wurde dadurch vor dem Hintergrund des langen Anfahrtswegs entlastet. Die Sprechstunde am Samstag wurde mit dem bereits eingeplanten Rettungstrupp unterstützt. Für die Sprechstunde am Sonntag wurde am Vortag ein Rettungssanitäter aus der Brandbereitschaft aktiviert.
Am Samstagnachmittag wurden kurzfristig 4 Soldaten dem Truppenarzt vorgestellt, von denen 3 einen ausgeprägten Hautbefund wie bei starker Exposition mit dem KPS aufwiesen (Anamnese: Anlage einer Stellung bei Nacht unmittelbar an einem Nest). Die Bataillonsführung wurde über das weitere Vorgehen betreffend die erkrankten Soldaten (Facharztvorstellung im BwKrhs Berlin am gleichen Tag) und das Krankheitsbild der Raupendermatitis im Allgemeinen informiert.
Aufgrund der bisherigen Fälle mit dem wiederholten Einsatz des zivilen Rettungsdienstes nach Alarmierung durch die Truppe, der stationären Aufnahme und des starken Ausprägungsgrades bei weiteren Soldaten in einem Zeitraum von 3 Tagen entschloss sich die Bataillonsführung zur Vorstellung aller betroffenen Soldaten beim Truppenarzt zur Gewinnung eines Lagebildes über das zahlenmäßige Ausmaß der Erkrankung.
Die Behandlung der überwiegenden Zahl der Fälle mit Raupendermatitis fand am Sonntag statt. Aufgrund der Anzahl erfolgte die Durchführung der Behandlung nach Zuordnung in Fall-Gruppen. Zuerst wurden die Infekt-Patienten aus Gründen der Kontaktvermeidung behandelt. Es folgten die sonstigen Fälle (Wiedervorstellungen, Trauma und Bewegungsapparat), dann die zahlenstärkste Gruppe mit Raupendermatitis-Symptomen. Es wurden auch an 2 Tagen 4 präkollaptische Patienten (Flüssigkeits- und Schlafmangel) ohne Raupendermatitis ambulant versorgt.
Vor und während der Behandlung, im laufenden Geschäft, wurden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen mit der Truppe abgestimmt und veranlasst (Patienten- und Medikamententransport, fachliche Beratung eingeholt und gegeben).
Die truppenärztliche Beratung umfasste die Ermittlung der Ursache (Kontakt mit den Brennhaaren des KPS), die Vermeidung einer (weiteren) Exposition, die zusätzlichen hygienischen Maßnahmen (Kleidung separat waschen) und die erneute Expositionsvermeidung Betroffener mit starker Ausprägung der Hautsymptome. Auf das unspezifische Risiko einer Superinfektion stark befallener Hautstellen aufgrund der Kratzdefekte bei Dienst im Gelände (bei schwül-warmer Witterung in staubig trockener Umgebung) wurde hingewiesen.
Nach Identifizierung der vermuteten Ursache (KPS) der Häufung von Beschwerden bei den eingesetzten Soldaten erfolgte eine Platzbegehung mit dem Bundesforstamt. Hierbei wurde ein starker Befall aller Übungsräume des gesamten Platzes festgestellt.
Die bis dahin, Sonntag, den 26. Juni 2022, lediglich unterbrochene Übung wurde in Ermangelung fehlender Ausweichmöglichkeiten in nicht befallene Räume vorzeitig beendet. Während der Rückbauphase, durchgeführt durch das Versorgungselement, kam es zu keinem Ansteigen der Erkrankungsfälle an Raupendermatitis.
Tab. 1: Zeitlicher Verlauf und Maßnahmen Truppenarzt/Truppe
In Tabelle 1 sind die durch den Truppenarzt und die Truppe durchgeführten Maßnahmen im zeitlichen Verlauf dargestellt. Die Entwicklung der Krankmeldungen aufgeschlüsselt nach den Gruppen CORONA, Raupendermatitis und Sonstige (Erkrankung, Trauma und Kreislaufdysregulationen) sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tab. 2: Patientenkontakte nach Art und Behandlungsdauer
Diskussion
Das plötzliche Auftreten einer Gruppenerkrankung erfordert über die rein medizinische Tätigkeit des Truppenarztes hinaus weitere organisatorische, beratende und systembedingte Maßnahmen.
Medizinisch-ärztliche Betrachtung
Das Krankheitsbild einer Raupendermatitis ist, rein medizinisch betrachtet, keine große Herausforderung. Es ist nicht regelhaft mit schweren lebensbedrohlichen Zuständen zu rechnen. Nach einer orientierenden Untersuchung und der Expositions- bzw. Patientenanamnese (gezielt nach allergische Disposition) kann eine Einordnung der Schwere durch den behandelnden Arzt erfolgen. Die Therapie mit topisch-lokalen und oralen Medikamenten ist problemlos, bedarf keiner aufwendigen Geräte und keiner intensiven, zeitkritischen ärztlichen und assistierten Tätigkeit am Patienten.
Die fachliche truppenärztliche Ausbildung und materielle ärztliche Grund-Ausstattung genügten den dazu benötigten Anforderungen. Die Untersuchung, Diagnosestellung und Therapie können (bis auf seltene Ausnahmen) im ambulanten Setting erfolgen.
Die Herausforderung bei der ärztlichen Behandlung bestand im vorgestellten Fall in der Anzahl der zu behandelnden Patienten und der für die Sichtung benötigten Zeit.
Die Effloreszenzen-Ausbildung in Bereichen, die von Kleidung bedeckt sind und einer mechanischen Einwirkung der Bekleidung (Gürtel) und Ausrüstung (Schulter-Rücken) unterliegen, lassen als Ursache eine generalisierte pseudoallergische Hautreaktion aufgrund der Ausschüttung von Histamin und Kininen vermuten. Eine Beschränkung der Symptome auf die unbedeckten Hautstellen lag nicht vor.
Vorgehensweise aus Sicht des Truppenarztes
Der Truppenarzt kann sich in seiner Bewertung nicht nur auf den Einzelfall des vor ihm sitzenden Patienten beschränken. Vielmehr muss eine Gesamtübersicht der Behandelten erstellt werden. Für seine abgeleitete Einschätzung sind alle, in seinem Zuständigkeitsbereich eingesetzten Soldaten (auch die potenziellen Auswirkungen auf Gesunde) zu betrachten. Die frühzeitige Kontaktaufnahme zur Truppenführung ist immer hilfreich und absolut zu empfehlen.
Bereits am Samstag erfolgte die Kontaktaufnahme mit der Truppenführung. In der Zeit bis zur Vorstellung der angekündigten Soldaten direkt vom Platz kam es zu einem ersten Austausch und zur Absprache für eine Sprechstunde am Folgetag (zum damaligen Zeitpunkt noch mit dem angenommenen Schwerpunkt betreffend Corona).
In der Situation wurde die andauernde, als sicher anzunehmende Expositionswahrscheinlichkeit als starke, unvermeidbare Exposition (Tag und Nacht) bei abgesessenem Einsatz im bewaldeten Gebiet mit Schanzen und Tarnen zugrunde gelegt. Ein weiteres Ansteigen der Zahl an Betroffenen bei fortgesetzter gleicher Exposition der eingesetzten Truppe wurde angenommen.
Ein „Zurückziehen“ auf eine rein medizinische, nur am Patienten orientierte Sichtweise ohne Wahrnehmung des militärischen Auftrags der Truppe kann zu Unverständnis und Konfrontationen führen. Eine faktenbasierte Darstellung des Gesamtbildes, Darstellung der Gründe und Zusammenhänge sind bei Beratung der Truppenführung zielführender.
In der Anfangsphase ist auch der „weiche“ psychologische Aspekt bei Gruppen-Erkrankungen zu berücksichtigen. Hautreaktionen führen beim Betroffenen und der Umgebung schnell zur Stigmatisierung. Eine dem Verständnishorizont angepasste Kommunikation bei der Patientenbehandlung ist erforderlich.
Die Sichtbarkeit der Hautveränderungen und das permanente Kratzen führen zur Verunsicherung bei den Betroffenen, den Kameraden und den Vorgesetzten (Stigmatisierung). Eine Ansteckungsgefahr wird von der Umgebung unterschwellig angenommen. Eine Häufung von Krankheitsfällen spricht sich immer schnell herum und hat Auswirkungen auf das Verhalten von Soldaten und Vorgesetzten.
Den gleichen Mechanismus konnte der Autor ein Jahr später, im Juli 2023, bei einem Ausbilder-Kontingent aus Norwegen beobachten. Auch hier war der KPS als Risiko nicht bekannt, und die Vorgesetzten waren bei Auftreten von zahlreichen Fällen einer Raupendermatitis alarmiert.
Die Empfehlungen an den Vorgesetzten nach einer Behandlung sollten die individuelle Verwendungsfähigkeit, die Umsetzbarkeit der Maßnahmen und den Auftrag der Einheit im Zusammenhang mit dem des Verbandes berücksichtigen. Bei bereits betroffenen Soldaten mit ausgeprägtem oder starkem Ausschlag wurde die Möglichkeit der regelmäßigen großflächigen Anwendung von Topika medizinisch als erforderlich bewertet. Eine „Krank auf Stube“-Empfehlung wurde bis zur Wiedervorstellung ausgesprochen. Bei deutlichen Hautveränderungen wurde im Sinne einer Expositionsprophylaxe die Befreiung vom Geländedienst verordnet. Schießausbildung auf angelegten Schießbahnen wurde als möglich bewertet. Für die überwiegende Zahl der Fälle mit lediglich geringen Effloreszenzen wurde nur eine Expositionsvermeidung gemäß Aufklärung empfohlen.
In einem Landes- und Bündnisverteidigung Szenario müsste der militärischen Auftragserfüllung Vorrang eingeräumt werden. Dies ist bei dem relativ unkritischen Verlauf, der lediglich begrenzten Anzahl an schweren Fällen und der unkomplizierten Therapie der Raupendermatitis medizinisch zu vertreten. Eine allgemeine Information an die Truppe mit Darstellung der Erkrankung, dem Verlauf, der Therapie und präventiven Maßnahmen kann dann erwogen werden. Nur schwere Fälle werden truppenärztlich vorgestellt. Es könnte eine großzügige Medikamentenausgabe, nach Ermächtigung des Truppenarztes auch durch anderes Sanitätspersonal, erfolgen.
Medizinische Infrastruktur
Die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten im Sanitätsbereich Übungstruppe auf dem Truppenübungsplatz Lehnin waren für das sanitätsdienstlich eingesetzte Personal (1 Truppenarzt, 1 Rettungssanitäter) ausreichend. Die Behandlung erfolgte in einem Arzt-Behandlungsraum. Die Soldaten warteten im Gang. Die Beaufsichtigung wurde durch die Truppe sichergestellt. Die Zugriffsmöglichkeit auf weitere medizinische Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser, Apotheken, etc.) war eingeschränkt. Höherwertige Einrichtungen waren alle etwa eine Stunde Fahrtzeit entfernt (Bad Belzig, Potsdam, Berlin). Es war Wochenende.
Einholen von fachlicher Beratung
Durch ein Telefonat mit dem diensthabenden Facharzt Dermatologie am BwKrhs Berlin wurde eine Therapieempfehlung für das Krankheitsbild der Raupendermatitis eingeholt. Diese bildete die Grundlage für die Arzneimittelbeschaffung.
Die einfache Therapie mit oralen Antihistaminika und topischen Kortikoiden wurde aufgrund fachärztlicher Erfahrungen bestätigt. Die Therapie des Juckreizes mit dem empfohlenen nebenwirkungsarmen Antihistaminikum (Desloratadin, Aerius® 5 mg) wurde bei schweren und ausgeprägten Bildern mit einem alternativen Präparat (Fexofenadin, Telfast® 180 mg) aufgrund eigener Erfahrungen, angepasst.
Organisation der Arzneimittelversorgung
Die Organisation von benötigten Sanitätsmaterial in Form von Arzneimitteln konnte nicht auf dem üblichen Beschaffungsweg erfolgen. Ein Ausweichen auf zivile Apotheken war nicht zielführend (Wochenende, Entfernung zur nächsten Apotheke, Menge, administrative Vorgaben Einzelrezept). Ein Ausweichen auf die nächstgelegene Bw-Apotheke am BwKrhs Berlin konnte, nach Abstimmung mit dem diensthabenden Apotheker, unkompliziert erfolgen.
In Lehnin befanden sich nur geringe Mengen an Arzneimitteln, da der Bedarf in der Regel überschaubar ist und wochentags durch das nächste Sanitätsversorgungszentrum nachversorgt werden kann. Durch ein Telefonat mit Schilderung der Situation vor Ort konnte eine Abgabe der benötigten Präparate mit dem diensthabenden Apotheker im BwKrhs Berlin unbürokratisch und schnell abgestimmt werden. Der Transport wurde auf Anfrage von der Truppe übernommen. Bis zum Eintreffen der Arzneimittel wurde aus dem Handvorrat versorgt. Nach Eingang erfolgte eine ergänzende Ausgabe an bereits untersuchte Soldaten.
Organisation der Behandlung
Die Patientenzahl erforderte einen zügigen Ablauf. Zur Einschätzung der Schwere des Krankheitsbildes ist stets eine orientierende Untersuchung der Vitalfunktionen und eine In-Augenscheinnahme nötig. Eine sorgfältige Dokumentation ist immer Bestandtei jeder ärztlichen Untersuchung. Die Truppe benötigt für die weitere Administration eine truppenärztliche Grundlage (Krankenmeldeschein).
Die Behandlungsreihenfolge und Gruppenbildung erfolgte unter den Aspekten der Infektiosität, der medizinischen Dringlichkeit, der Logistik für einen Transport und der dazu erforderlichen Organisation durch die Truppe.
Die zahlenmäßig stärkste Gruppe mit Ausschlag wurde im Rückgriff auf alte in der Vergangenheit durchgeführte Verfahren bei der Durchführung von Sichtungen größerer Soldatengruppen (Einstellungsuntersuchungen bei Wehrpflichtigen) truppenärztlich behandelt. Das System „Arztschreiber und Arzt“ wurde angewandt. Das Verfahren wurde durch den Verfasser in der Vergangenheit über Jahre angewendet und durchgeführt.
Der Arztschreiber bereitete die erforderlichen Dokumente (Standortfremdenbogen, Krankenmeldeschein, Überweisungen Bw und zivil, Listenführung) vor und assistierte bei der Untersuchung (Pulsoxymetrie, Temperatur, Dokumenten-Vorbereitung). Durch die Aufgabenteilung wurde sowohl eine schnelle und gründliche Untersuchung als auch die notwendige Dokumentation sichergestellt. Die Aufsicht im Wartebereich erfolgte durch die Truppe.
Der Faktor Zeit
Die Herausforderung besteht in dem für eine sorgfältige Behandlung erforderlichen Zeitaufwand. In der Abwägung zwischen schnell oder gründlich wurde letzteres priorisiert. Das wurde bereits im ersten Kontakt mit der Truppenführung deutlich gemacht und akzeptiert. Im Verlauf wurden regelmäßig kurze Pausen eingelegt (Lüften, Trinken, Bewegung), um die Durchhaltefähigkeit des Personals zu erhalten.
Die Akzeptanz bei den Betroffenen war hoch. Der Aufwand anhand der Zahl der Wartenden für jeden ersichtlich. Bei der Behandlung wurde auf die Information zu Ursachen, Therapie und den weiteren Verlauf Wert gelegt. Da der Juckreiz und die Hautveränderungen 3 bis zu 10 Tage andauern können, wurde dadurch medizinisch nicht erforderlichen Wiedervorstellungen vorgegriffen.
Fazit
Die Kenntnis über die vor Ort möglichen Umwelt- und Expositionsrisiken, den Auftrag und das Verhalten der Truppe sind bereits bei Vorhaben in Deutschland relevant. Der Kontakt zur Truppe ist entscheidend.
Ein aktueller Bezug der vorgestellten Thematik kann für die Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen gesehen werden, da gemäß einer orientierenden Internetrecherche (Suchbegriff: Kiefernprozessionsspinner Litauen) eine Verbreitung des Kiefernprozessionsspinners in Litauen beschrieben wird [1][5].
Kernaussagen
- Kontakt zur Truppe herstellen.
- Offene Kommunikation mit Betroffenen und Führung pflegen.
- Übersicht verschaffen.
- Maßnahmen nach Wirksamwerden auf der Zeitschiene veranlassen/ergreifen.
- Logistik organisieren.
- Unterstützung/Beratung einholen.
- Zuständige Stellen informieren.
- Aufgaben abgeben.
Literatur
- Landkreis Potsdam-Mittelmark, Fachbereich Landwirtschaft, Veterinärwesen, Gesundheit und Schülerbeförderung, Team Hygiene und Umweltmedizin; Merkblatt zum Kiefernprozessionsspinner 16. Juli 2020; , letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
- Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg: Broschüre „Eichenprozessionsspinner“, 4. Aktualisierte Auflage, 2017. mehr lesen
- Rahlenbeck S, Utikal J: Raupen mit reizenden Brennhaaren. Dt Ärztebl 2017; 114(18): A 896-898. mehr lesen
- Spectrum Akademischer Verlag, Heidelberg: Prozessionspinner.< https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/ prozessionsspinner/54406<, letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
- Waldschutz-Information 7/2020 / Landesforst Mecklenburg-Vorpommern, August 2020.
- Wikipedia: , letzter Aufruf 23. Januar 2024. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Teufelhart, I:Gruppenerkrankung an Raupendermatitis durch den Kiefernprozessionsspinner. WMM 2024; 68(3): 88-94.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-259
Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Ingo Teufelhart
Sanitätsunterstützungszentrum Berlin
Kurt-Schumacher-Damm 41, 13405 Berlin
E-mail: ingoteufelhart@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Teufelhart I: [Caterpillar Dermatitis as a Group Disease Caused by the Pine Processionary Moth]. WMM 2024; 68(3): 88-94.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-259
Author
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Ingo Teufelhart, MD
Major Medical Clinic Berlin
Kurt-Schumacher-Damm 41, D-13405 Berlin
E-mail: ingoteufelhart@bundeswehr.org