Rehabilitation in der Bundeswehr – Erfordernis und Verpflichtung
Rehabilitation in the Bundeswehr – Requirement and Obligation
Andreas Lisona, Ricardo Fialab, Rolf von Uslarc
a Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf
b Sanitätsunterstützungszentrum Kiel, Kronshagen
c Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung, Diez
Zusammenfassung
Rehabilitation ist ein wesentlicher Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sowohl im Frieden als auch im Krieg. Verwundungszahlen und -muster des Ukraine-Krieges zeigen in dramatischer Weise die erhebliche Ressourcenbindung des Gesundheitssystems im Falle kriegerischer Konflikte und die zwingende Notwendigkeit des Aufbaus gesonderter rehabilitativer Kapazitäten zur medizinischen Rehabilitation von Kriegsopfern. Gleichzeitig wird evident, dass fehlende rehabilitative Kompetenzen im Bereich der Bundeswehr bereits im Frieden nicht durch zivile Institutionen kompensiert werden können. Auch kann der medizinische Anteil von Rehabilitation nicht allein durch den Sanitätsdienst der Bundeswehr geleistet werden. Das verbriefte Menschenrecht auf Rehabilitation bildet die Grundlage für eine am militärischen Bedarf ausgerichtete Rehabilitation in der Bundeswehr. Systemorientierte militärische Fähigkeiten zu einer Rehabilitation aus einer Hand sind gleichsam Notwendigkeit und Verpflichtung, diese zu bündeln und zielgerichtet umzusetzen.
Schlüsselworte: Rehabilitation, Inklusion, Verwundung, UN-Behindertenrechts-Konvention, ICF, WHO, Ukraine-Krieg
Summary
Rehabilitation is an essential contribution to operational readiness of armed forces both in peace and in war. War-affected injury figures and patterns in the Ukraine war dramatically highlight the considerable resources tied up in the health system in the event of armed conflicts and the urgent need to build up special rehabilitative capacities for the medical rehabilitation of war victims. It turns out that a lack of rehabilitative skills in the field of the Bundeswehr cannot be compensated for by civilian institutions, even in peacetime. Furthermore, the medical part of rehabilitation cannot be provided by the Bundeswehr medical service alone. The enshrined human right to rehabilitation is the basis for rehabilitation in the Bundeswehr that is adapted to military needs. System-orientated skills for rehabilitation from a single source are both a necessity and an obligation to bundle and implement them in a targeted manner.
Keywords: rehabilitation; inclusion; wounding in action (WIA); UN-CRPD; ICF; WHO; Ukraine war
Einleitung
Die Zeitenwende der Bundeswehr hin zu Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) stellt die sanitätsdienstliche Unterstützung von Soldatinnen und Soldaten bereits im Frieden in den Bereichen Prävention, Kuration und Rehabilitation vor neue Herausforderungen. Diese sind nur in einem gesamtgesellschaftlichen und bundeswehrgemeinsamen Ansatz zu bewältigen. Für die Entwicklung einer rehabilitativen Fähigkeit im Zusammenwirken mit dem zivilen Gesundheitssektor und all jenen Bereichen, die darüber hinaus für eine am militärischen Bedarf ausgerichtete dienstliche Wiedereingliederung verantwortlich sind, ist das Verständnis von Rehabilitation als unverzichtbarer Beitrag zur Einsatzfähigkeit von Streitkräften in Frieden und Krieg unerlässlich.
Hierzu lohnt es aus den Erfahrungen in der Ukraine zu lernen [11]. Mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) begannen dort bereits 2020 der Aufbau von Rehabilitationszentren, die Professionalisierung der Hilfsmittelversorgung und die Schulung von Personal; im Zuge des russischen Überfalls wurden diese Bemühungen intensiviert. Grundlage hierfür war das Wissen um die Folgen einer missachteten Verpflichtung des Staates gegenüber Kriegsversehrten für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt [15][16][17]. Darüber hinaus decken die ukrainischen Streitkräfte notwendigerweise einen Teil ihres Wehrersatzes aus versehrten Frontrückkehrern, deren Kompetenz – auch bei dauerhaft ausbleibender Fronttauglichkeit – in der Ausbildung sehr hilfreich ist. Mit Andauern des Krieges und steigenden Zahlen von Kriegsversehrten mit lebensverändernden Verwundungen kommt der bestmöglichen Rehabilitation in der Ukraine zudem eine zentrale sozioökonomische Bedeutung für die Phase des Wiederaufbaus zu. Art der Kriegsführung, Zahlen und Muster der Verwundungen im Ukraine-Krieg zeigen in drastischer Weise, dass in Deutschland die zu erwartenden Szenarien auf eine bestehende Fähigkeitslücke in der rehabilitativen Versorgung Verwundeter stoßen, die aus strukturellen und fachlichen Gründen nicht allein durch zivile Rehabilitationseinrichtungen geschlossen werden kann [4].
Rehabilitation als Rechtsanspruch
Das Recht auf Rehabilitation wird international als Menschenrecht eingestuft. Die Vereinten Nationen kodifizieren in der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, englische Abkürzung UN-CRPD), Artikel 26 die vertragsstaatlichen Pflichten der Habilitation und Rehabilitation. Deutschland hat die Konvention 2009 ratifiziert und verpflichtet sich hierdurch gemäß Artikel 26, wirksame Maßnahmen zu treffen, „[…]um Menschen mit Beeinträchtigungen in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren“ [14].
In Deutschland sind die staatsbürgerlichen Teilhabe- und Rehabilitationsrechte im Sozialgesetzbuch V und IX (SGB V, IX) niedergeschrieben. Sie umfassen in fünf Leistungsgruppen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung, soziale Teilhabe sowie die unterhaltssichernden und sonstigen ergänzenden Leistungen [12][13].
Medizinische Rehabilitation in der Bundeswehr
Grundlagen der konzeptionellen Überlegungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (SanDstBw) zum Aufbau einer rehabilitativen Eigenkompetenz sind die UN-BRK, das biopsychosoziale Krankheitsmodell der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF, Abbildung 1) und das darauf fußende Verständnis von Rehabilitation, definiert durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) [6][14][16].
Abb. 1: Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ermöglicht die Beschreibung der Auswirkungen von Gesundheitsproblemen auf den gesamten Lebenshintergrund eines Menschen. Damit ist sie wesentliche Grundlage der individuellen Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs und der Rehabilitationsplanung.
Hiernach verursacht ein Gesundheitsproblem komplexe Wechselwirkungen in allen relevanten Aspekten des Lebens eines Menschen. Im Unterschied zur ursachenbezogenen Therapie zielt Rehabilitation darauf ab, nicht nur die Funktionsfähigkeit eines Menschen zu verbessern. In einem systematischen interprofessionellen Ansatz werden neben Strukturen und Funktionen auch die Aktivitäten der zu Rehabilitierenden, deren Partizipation und Umwelt- sowie personale Faktoren systematisch erfasst (Assessment), Rehabilitationsziele formuliert, durch gezielte Interventionen angestrebt und auf deren Erreichung evaluiert. Dabei werden stets Rehabilitationsbedarf, -fähigkeit und -prognose in die Evaluation mit einbezogen. Oberstes Ziel jeglicher Rehabilitationsmaßnahmen ist das Erkennen und, sofern möglich, Überwinden von Barrieren, die ursächlich dafür sind, dass aus bestehenden Beeinträchtigungen eine Behinderung der jeweils bestmöglichen Teilhabe wird (Abbildung 2).
Abb. 2: Grundlage für den Rehabilitationserfolg Wirbelsäulenverletzter sind gut ausgebildete und erfahrenen Physiotherapeutinnen und -therapeuten, die befähigt sind, als Teil eines interprofessionellen Reha-Teams zu wirken. (Bildquelle: Bundeswehr/Schindler)
Medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation
Medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation der Bundeswehr (MDORBw) ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die physische oder psychische Einschränkungen reduzieren sollen mit dem Ziel ihrer wesentlichen Verbesserung oder der Wiederherstellung der gefährdeten oder bereits geminderten Dienstfähigkeit. MDORBw ist somit die verstärkte Ausrichtung des Rehabilitationsprozesses auf gesundheitsrelevante Faktoren des militärischen Dienstbetriebes und deren frühzeitige Identifikation. Ziel ist es, durch das Angebot von geeigneten medizinischen Reha-Maßnahmen den Verbleib der Rehabilitandin bzw. des Rehabilitanden im Dienst zu fördern und die dienstliche Teilhabe i. S. der Wiedereingliederung zu erleichtern [9][10].
Ausgehend von konzeptionellen Überlegungen und Erfahrungen im Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) in Warendorf entschied der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im September 2019 den Aufbau einer flächendeckenden MDORBw. Das ZSportMedBw fungiert damit als Exzellenzzentrum (CoE) für Rehabilitation somatischer Beeinträchtigungen und das Psychotraumazentrum der Bundeswehr (PTZBw) am Bundeswehrkrankenhaus Berlin als CoE für psychische Erkrankungsbilder mit komplexem Rehabilitationsbedarf [9].
Zeitlich gestaffelt erfolgte ab 1. Juni 2020 die Implementierung von fünf Rehabilitationsstützpunkten (Reha-Stp) – angelehnt an die Facharztzentren – an den Standorten Kiel-Kronshagen, Rostock, Leipzig, Augustdorf und Köln/Bonn als Pilotprojekt. Mit Billigung vom 24. Mai 2022 wurde das Pilotprojekt bis zum 31. Dezember 2024 verlängert; aktuell wird es evaluiert [8]. Erste Erkenntnisse zeigen, dass der Ansatz, MDORBw in eigenen Einrichtungen durchzuführen, hochgradig zweckmäßig ist. Die Wiedererlangung der Teilhabe am militärischen Dienst kann im multiprofessionellen Zusammenwirken von SanDstBw, Sozialdienst, Psychologischer Dienst der Bw, Personalführung sowie truppendienstlichen Vorgesetzten erheblich besser erreicht werden, als wenn die Rehabilitationsmaßnahmen im zivilen Umfeld stattfinden.
Aktuell verfügt der SanDstBw jedoch (noch) nicht über die Ressourcen, MDORBw zu verstetigen oder gar in die Fläche auszurollen.
Medizinische Rehabilitation außerhalb der Bundeswehr
Aus fachlichen und kapazitativen Gründen ist die enge Zusammenarbeit mit Akteuren der medizinischen Rehabilitation im zivilen Gesundheitswesen sinnvoll und unverzichtbar. So wurde zum Zweck der KSR (komplexe stationäre Rehabilitation) ein Vertrag mit den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG-Kliniken) geschlossen, die auf die Akutversorgung und Rehabilitation schwerverletzter und berufserkrankter Menschen spezialisiert sind. Die rehabilitativen Maßnahmen der KSR gründen auf der besonderen Expertise beruflich orientierter medizinischer Rehabilitation mit funktionsbezogenem Assessment, interdisziplinären Interventionen und einer hohen Struktur- und Prozessqualität. Sie bilden damit die entscheidende Grundlage für die Fortführung einer am militärischen Bedarf ausgerichteten interprofessionellen Rehabilitation, die unter Nutzung der Systemkenntnis die bestmögliche Wiedereingliederung in die Bundeswehr oder den Übergang in das zivile Arbeitsleben ermöglicht. Durch Aufbau und Pflege eines intensiven kollegialen Miteinanders wurden dem ZSportMedBw im Rahmen seines Auftrages bei komplexem Rehabilitationsbedarf in jeder stationären Rehabilitationseinrichtung der BG nunmehr ärztliche Ansprechpartner benannt. Hierdurch ist es erstmals möglich, den Reha-Prozess frühzeitig zusammen mit den zuständigen Truppenärztinnen und Truppenärzten zu planen, die Angehörigen zu integrieren und zuverlässig Reha-Brüche zu vermeiden.
Rehabilitation und Invictus Games
Die seit 2014 etablierten Invictus Games fanden 2023 erstmalig in Deutschland statt. Unter dem Motto „A Home for Respect“ war es das Ziel der Veranstaltung in Düsseldorf, an Seele und Körper verwundeten, verletzten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten sowie Einsatzkräften von Blaulichtorganisationen eine größere Wahrnehmung und Anerkennung in der Gesellschaft zuteilwerden zu lassen und ihren Weg in der Rehabilitation zu unterstützen (Abbildung 3).
Abb. 3: Kameradschaft, gemeinsame Sprache und Symbole unterstützen den Krankheitsbewältigungsprozess und die Selbstwirksamkeit nach lebensverändernden Verwundungen: „I am the master of my fate: I am the captain of my soul.” (Aus dem Gedicht „Invictus” von William Ernest Henley (1849–1903)) (Bildquelle: Bundeswehr/Lison)
Der SanDstBw stellte in Düsseldorf das „Team Respect“ in einer eigenen „Area“ vor – und damit eine Plattform für Information und Kommunikation rund um das Thema Beeinträchtigung, Rehabilitation und Inklusion in der Bundeswehr. Zielsetzung der Team-Respect Area war es, einen zukunftsorientierten Beitrag zum Vermächtnis (legacy) der Spiele im Bereich Rehabilitation und Inklusion zu leisten (Abbildung 4).
Abb. 4: Prinz Harry beim Besuch der Team Respect Area des Sanitätsdienstes bei den Invictus Games 2023 in Düsseldorf (Bildquelle: Bundeswehr/Laymann)
Durch das Verstehen und Erfahrbarmachen von eingeschränkter Teilhabe, Experten-Panels zu Rehabilitation, Vorträge, Diskussionen und Schülerprojekte konnte bei den Besuchern spürbar Betroffenheit erzeugt, Wissen vermittelt und Einstellungen verändert werden. Der SanDstBw hat hierdurch das Versprechen sichtbar gemacht, dass er sich als Motor der Rehabilitation in der Bundeswehr versteht, mit dem festen Willen, Strukturen und Prozesse in einem bundeswehrübergreifenden Ansatz zu verändern. Er nimmt damit nicht nur seinen militärischen Auftrag, sondern seine Verantwortung wahr, die Staat und Zivilgesellschaft gegenüber Soldatinnen und Soldaten haben, wenn es darum geht, nach Verwundung, Verletzung oder Erkrankung im Einsatz, innerhalb, aber auch außer Dienst deren Recht auf bestmögliche Rehabilitation zu gewährleisten.
Rehabilitation und Kriegstüchtigkeit
Die Bundeswehr und damit auch der gesamte SanDstBw wird aktuell auf den Kernauftrag Landes- und Bündnisverteidigung neu ausgerichtet. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht: Auch ein solch dramatischer Konflikt kann sehr lange andauern und über Monate, über Jahre sehr hohe Verwundetenzahlen verursachen. Der Einsatz von Artilleriemunition, panzerbrechenden Waffen und Minen verursacht im Wesentlichen Amputationsverletzungen, Schädel-Hirn-Traumata, Verbrennungen und Wirbelsäulenverletzungen. Durch den Einsatz von Körperschutz wird die Zahl von tödlichen Thorax- und Abdominaltraumata hingegen reduziert. Im Ergebnis kommt es zu einer Vielzahl verwundeter Soldaten und Zivilisten mit hohem und langem Rehabilitationsbedarf und der Notwendigkeit komplexer Hilfsmittelversorgungen, insbesondere im Bereich der Prothetik [3][5][7] (Abbildung 5). Es wird davon ausgegangen, dass bereits fehlende medizinische Frührehabilitation in mehr als der Hälfte überlebter Kriegsverletzungen Komplikationen und vermeidbare andauernden Beeinträchtigungen zur Folge hat [18].
Abb. 5: Mehrfachamputationen stellen höchste Anforderungen an die physio- und psychotherapeutischen, orthopädietechnischen und sozialdienstlichen Aspekte einer am militärischen Bedarf ausgerichteten Wiedereingliederung. (Bildquelle: Bundeswehr/Schindler)
In der Ukraine zeigt sich, dass die aufgebaute Fähigkeit der rehabilitativen Versorgung über viele Jahre ausgebildeter professioneller Soldatinnen und Soldaten hin zu einem „return to duty“ (RTD) einen massiven Unterschied in der militärischen Performanz ausmacht. Somit hat Rehabilitation nicht nur eine überragende Bedeutung unter dem Aspekt Fürsorge und Verantwortung, sondern auch für die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte. Analog dazu bewertet die WHO Rehabilitation als wesentlichen Bestandteil einer allgemeinen Gesundheitsversorgung, aber auch von Notfallmaßnahmen. Die Unterstützungsleistungen der WHO zielen darauf ab, in Kooperation mit verschiedenen Institutionen und europäischen Staaten, einschließlich Deutschland, die dortigen Rehabilitationseinrichtungen zu modernisieren und deren Resilienz zu stärken („[…] restoration and development of human capital“) [16].
Ausblick
Entwicklung, Aufrechterhaltung und Steigerung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erfordern bereits im Frieden den Aufbau rehabilitativer Kompetenzen in der gesamten Bundeswehr. Der Erfolg einer am militärischen Bedarf ausgerichteten Rehabilitation kann dem Wesen nach keinesfalls allein durch medizinische Reha-Maßnahmen sichergestellt werden. Der Erhalt verbliebener und wiederhergestellter Fähigkeiten verwundeter, in und außer Dienst verletzter und erkrankter Soldatinnen und Soldaten – und damit deren Erfahrung und Ausbildung – kann nur gelingen, wenn Rehabilitation in der gesamten Bundeswehr verstanden, gelebt und operationalisiert wird. Dies schließt ausdrücklich die Verpflichtung des Dienstherrn zur Gewährleistung des unabhängig von der auslösenden Ursache verbrieften Rechts auf Rehabilitation und die Integration der Angehörigen mit ein [2][14].
Es gilt nun, im SanDstBw, dem Sozialdienst der Bundeswehr und der Personalführung die Erfahrungen mit der Rehabilitation nach Einsatzschädigung zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Ziel muss sein, im Gegensatz zu Entschädigungsleistungen allen Soldatinnen und Soldaten mit Rehabilitationsbedarf unabhängig von der auslösenden Ursache professionelle Rehabilitation unter den Kriterien der Einsatzbereitschaft zukommen zu lassen. Dies gewinnt umso mehr an Bedeutung, als dass die Bundeswehr wie kein anderer Bereich bereits jetzt über eine Vielzahl von Möglichkeiten und Regelungen verfügt, Rehabilitation aus einer Hand effektiv und effizient zu gewährleisten. Jedoch müssen hierfür Mittel und Abläufe, fachliche Standards und rehabilitative Grundsätze, vor allem aber das Zusammenwirken aller am Reha-Prozess Beteiligten verstanden, gebündelt und eingeübt werden. Ein Beispiel hierfür ist die noch allzu selten gelebte Strukturierte Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Dienst gemäß A-2640/36 [1]. Für die weitere, nachhaltige Etablierung der Rehabilitation in der Bundeswehr bedarf es Entscheidungen auf Leitungsebene – nicht zuletzt zur Klärung der Ressourcenfrage. Der SanDstBw wird als Motor der Rehabilitation hierzu seine Anstrengungen verstärken.
Literatur
- BMVg FüSK San 3, A-2640/36 Strukturierte Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Dienst, 2020.
- BMVg P III 1, A-1473/3 Inklusion schwerbehinderter Menschen, 2020.
- Edwards DS, Rhodri DP, Bosanquet N, et al.: What is the magnitude and long-term economic cost of care of the British military afghanistan amputee cohort? Clin Orthop Relat Res 2015; 473(9): 2848–2855. mehr lesen
- Egen C, Schiller J, Gutenbrunner C, et al.: Machbarkeitsstudie zur Schließung der rehabilitativen Versorgungslücke bei Patient*innen nach erfolgter Majoramputation im Rahmen eines Innovationsfondsprojekts. Umsetzung, Erfahrungen und erste Ergebnisse. Med Rehab Kuror 2022; 32: 218–228. mehr lesen
- Gawande A: Casualties of war—military care for the wounded from Iraq and Afghanistan. New Engl J Med 2004; 351: 2471–5. mehr lesen
- ICF, Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (Hrsg.): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). WHO, Genf 2005. mehr lesen
- Jain RP, Meteke S, Gaffey MF, et al.: Delivering trauma and rehabilitation interventions to women and children in conflict settings: a systematic review. BMJ Global Health 2020; 5: e001980. mehr lesen
- Kdo RegSanUstg: Fachliche Leitlinie zur Standardisierung des Pilotprojektes Rehabilitationsstützpunkte (Reha-Stp), 2023.
- Kdo SanDstBw: C1-860/0-4003 Durchführung der Medizinischen Rehabilitation, 2020.
- Kdo SanDstBw: K1-9000/4021 Konzept Medizinische Rehabilitation, 2020.
- Schmidt, KF: Erkenntnisse aus dem Krieg in der Ukraine für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. WMM 2024, 68 (1-2): 2-6. mehr lesen
- Sozialgesetzbuch V: SGB V - nichtamtliches Inhaltsverzeichnis, , letzter Aufruf 4. Januar 2024. mehr lesen
- Sozialgesetzbuch IX: SGB IX - nichtamtliches Inhaltsverzeichnis, , letzter Aufruf 4. Januar 2024). mehr lesen
- UN-Behindertenrechtskonvention:, letzter Aufruf 4. Januar 2024. mehr lesen
- WHO Rehabilitation: , letzter Aufruf 4. Januar 2024. mehr lesen
- WHO: , letzter Aufruf 4.1 Januar 2024. mehr lesen
- WHO: UNDP launches innovative rehabilitation initiatives for war-affected in Ukraine. , letzter Aufruf 4. Januar 2024). mehr lesen
- WHO: Situation assessment of rehabilitation in Ukraine. WHO Regional Office for Europe 2021; < https://www.who.int/europe/publications/i/item/9789289056304>, letzter Aufruf 4. Januar 2024. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Lison A, Fiala R, von Uslar R: Rehabilitation in der Bundeswehr – Erfordernis und Verpflichtung. WMM 2024; 68(3): 69-73.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-262
Für die Verfasser
Oberstarzt Dr. Andreas Lison
Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr
Dr. Rau-Allee 32, 48231 Warendorf
E-Mail: andreaslison@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Lison A, Fiala R, von Uslar R: [Rehabilitation in the Bundeswehr – requirement and obligation]. WMM 2024; 68(3): 69-73.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-262
For the Authors
Colonel (MC) Dr. Andreas Lison, MD
Center of Military Sports Medicine
Dr. Rau-Allee 32, D-48231 Warendorf
E-Mail: andreaslison@bundeswehr.org
Kronshagener Reha-Training – ein essenzieller Beitrag zur Verbesserung der personellen Einsatzbereitschaft
Kronshagen Rehabilitation Training – an Essential Contribution to Enhancing Personnel Readiness
Viveka Thun-Blaschea, Saskia Vettera, Annika Krickb
a Sanitätsunterstützungszentrum Kiel, Facharztzentrum Kronshagen
b Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie
Zusammenfassung
Kampfmoral und persönliche Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten1 auf Basis der „Inneren Führung“ sind zentrale Voraussetzungen für die Erhöhung der Kriegstauglichkeit der Bundeswehr. Hier leistet auch eine frühzeitige medizinisch-dienstliche Rehabilitation einen entscheidenden Beitrag. Sowohl die Beurteilung der persönlichen Einsatzbereitschaft eines Soldaten als auch die Beurteilung der Funktionsfähigkeit von Patienten in der medizinisch-dienstlichen Rehabilitation basieren auf einer biopsychosozialen Betrachtungsweise des Gesundheitszustandes. Der Aufbau einer intrinsischen Motivation zur Lebensstiländerung ist wichtiger Bestandteil der Interventionen am Rehabilitationsstützpunkt Kronshagen. Der Rehabilitationsstützpunkt Kronshagen berichtet hier über die Umsetzung psychosozialer Aspekte in der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation (MDOR) aus dem Blickwinkel der Grundsätze der Inneren Führung.
Schlüsselworte: MDOR, Rehabilitation, biopsychosoziale Betrachtungsweise, intrinsische Motivation, Innere Führung, persönliche Einsatzbereitschaft, Kriegstauglichkeit
Summary
Enhancing combat readiness of the Bundeswehr requires focus on “Inner Leadership” and early service-oriented rehabilitation to improve combat morale and personal readiness. Early rehabilitation services that are oriented towards the individual’s needs have a significant impact on the recovery process. Personal readiness and the assessment of functional ability in service-oriented rehabilitation are both based on a biopsychosocial point of view. Rehabilitation mainly requires a lifestyle change. Therefore, paying particular attention to building intrinsic motivation is central to rehabilitation training. The following is a report on initial experiences with the implementation of psychosocial aspects from the perspective of inner leadership.
Keywords: service-oriented rehabilitation; rehabilitation; biopsychosocial aspects; intrinisic motivation; Inner Leadership; combat readiness; personal readiness
Einführung
Rehabilitation ist eine ethische Grundverpflichtung gegenüber erkrankten Soldaten. Die auf die spezifischen Anforderungen im Militär ausgerichtete medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation (MDOR) leistet einen entscheidenden Beitrag zur Wiedereingliederung. Damit trägt sie zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Erlangung einer Kriegstüchtigkeit der Streitkräfte bei. Die Kampfmoral der Truppe, d. h. die Motivation zum Kampf, stellt der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, als entscheidenden Faktor zur Erlangung der Kriegstüchtigkeit heraus [1]. Die Führungsphilosophie der Bundeswehr, die „Innere Führung“, bildet hierfür die Grundlage [6]. Sie hat u. a. zum Ziel, die Sinnfrage des Dienens zu beantworten und die Motivation zum Kampf zu begründen. Die in der „Inneren Führung“ verankerten Werte und die daraus abgeleitete aktive Rolle der Soldaten mit Übernahme von Verantwortung sind relevante Faktoren [6].
Wesentlichen Einfluss auf die Motivation zum Kampf und die persönliche Einsatzbereitschaft eines Soldaten haben psychosoziale Faktoren. Die U.S. Army benennt in diesem Zusammenhang Emotionen, soziale Bindungen, Spiritualität und Familie als wesentliche Einflussbereiche [4]. Wichtiger Faktor zur Erhöhung der persönlichen Kampfkraft ist dabei die Entwicklung einer psychischen Widerstandskraft (Resilienz). Die USA haben bereits Ausbildungsprogramme zur Stärkung der persönlichen Resilienz und mentalen Leistungsfähigkeit etabliert [2]. Der Psychologische Dienst der Bundeswehr entwickelte das Programm „Charly“ und in jüngster Zeit wurde am Zentrum für Innere Führung das Ausbildungsformat „Mentale Stärke“ pilotiert [33][36]. Die Einflussbereiche auf die persönliche Einsatzbereitschaft zeigen Parallelen zur Rehabilitations- und Sozialmedizin, die auf einer biopsychosozialen Betrachtungsweise der Patienten beruht. Eine Klassifizierung der biopsychosozialen Betrachtungsweise erfolgte in der Internationalen Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health – ICF). In der Rehabilitation ist die ICF Basis für die Beurteilung der individuellen Funktionsfähigkeit von Patienten [13].
ICF-basiert erfolgte auch die Konzeption der „Fachlichen Leitlinie zur Standardisierung des Pilotprojektes Rehabilitationsstützpunkte (Reha-Stp) für den Kommandobereich Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung“ (Fachliche Leitlinie Rehabilitation) [23]. Mit Inkraftsetzung dieser Fachlichen Leitlinie liegen nunmehr Rahmenbedingungen für die Durchführung von Interventionsmaßnahmen in regionalen Sanitätseinrichtungen vor. Hier kann insbesondere langzeiterkrankten Soldaten ein speziell auf den medizinisch-dienstlichen Rehabilitationsbedarf ausgerichtetes Angebot gemacht werden. Die Rehabilitationsziele werden partizipativ mit den Soldaten festgelegt. Das Erreichen dieser Ziele setzt in der Regel eine Verhaltensveränderung der Patienten voraus, für die ein hohes Maß an Veränderungsmotivation erforderlich ist.
Durch äußere Anreize entstehende extrinsische Motivation zeigt meist keine nachhaltige Wirkung. Demgegenüber fördert intrinsische Motivation die nachhaltige Erreichung selbst gesteckter Ziele. Der Wunsch, das eigene Schicksal selbst aktiv zu lenken und die Übernahme von Eigenverantwortung sind hier wesentliche Antreiber für eine Verhaltensveränderung [30]. Intrinsische Motivation ist daher in der Rehabilitation von zentraler Bedeutung. Im Rahmen der Ausplanung der Interventionen am Reha-Stützpunkt Kronshagen wurden aus diesem Grund motivationspsychologische Aspekte zielrealisierenden Handelns berücksichtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Vorstellung v. a. der psychosozialen Module des Kronshagener Reha-Trainings sowie deren Betrachtung aus dem Blickwinkel der Inneren Führung.
Implementierung der Fachlichen Leitlinie Rehabilitation am Facharztzentrum Kronshagen
Leitgedanken zur Entwicklung des Trainings
Die Rehabilitation verfolgt grundsätzlich das Ziel, die Teilhabe des Patienten in allen Lebensbereichen so groß wie möglich zu gestalten. Hierzu ist es notwendig, die für den jeweiligen Patienten relevanten Lebensbereiche und Werte zu identifizieren, um dann zu wertorientiertem Handeln anleiten zu können.
Die ersten Erfahrungen am Reha-Stp Kronshagen zeigten, dass ein Großteil der ins Reha-Projekt überwiesenen Patienten eine psychische Erkrankung aufwies. Daraus resultierte eine erste Schwerpunktsetzung auf Interventionen aus dem psychosozialen Bereich [31]. Ferner zeigte sich, dass eine Veränderung von Lebensgewohnheiten von hoher Relevanz für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes in der Rehabilitation ist. Dafür ist aus Autorensicht der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Veränderungsmotivation zentrale Voraussetzung. Hiermit einher geht die Erhöhung der Eigenverantwortung. Erfahrungsgemäß zeigt sich bei erkrankten Soldaten oftmals eine hohe gefühlte Abhängigkeit vom System, z. B. das Gefühl, abhängig von den Entscheidungen des Vorgesetzten oder Truppenarztes zu sein. Dies fördert eine passive Haltung der Patienten, wodurch aktive Veränderungsschritte verhindert werden können. Demnach erschien wichtig, die Veränderungsmotivation, die Eigenverantwortung sowie die Selbstwirksamkeit zu adressieren. Ebenso war ein entscheidender Gedanke, den Transfer in den Alltag und damit auch die Aufrechterhaltung erlernter Strategien zu unterstützen.
Viele Patienten finden eigeninitiativ keinen Zugang zu den zahlreichen guten, bereits vorhandenen Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Daher war es ebenfalls ein Anliegen, über die Hilfsmöglichkeiten zu informieren und niedrigschwellig den Kontakt zu den Leistungserbringern aufzubauen. Zur Unterstützung der aktiven Mitgestaltung des Weges zurück in den Dienst war es ein Anliegen, den Patienten die Möglichkeit zur Aneignung von Wissen rund um das Thema „Wiedereingliederung“ zu ermöglichen.
Psychoedukative Inhalte, v. a. zu den Themen Schlaf, Ernährung und Kommunikation, erschienen vor dem Hintergrund der Symptome vieler Patienten ebenso von hoher Relevanz. Dabei war jedoch ein wichtiger Leitgedanke, diese Inhalte nicht konfrontativ, sondern mittels aktivierender Methoden und ebenso mit Spaß am Wissenszuwachs zu vermitteln.
Module des Reha-Trainings
Die Konzeption des Kronshagener Reha-Trainings erfolgte entsprechend der Leitlinie Rehabilitation. Aufgrund der in der Liegenschaft Kronshagen guten infrastrukturellen Voraussetzungen mit einem großzügigen Gruppenraum (siehe Abbildung 1) und einem parkartigen Außengelände ist die Durchführung der Interventionen im Gruppen-Setting möglich.
Abb. 1: Gruppenraum (Bild: FacharztZ Kronshagen)
Das Reha-Training setzt sich aus den in Abbildung 2 dargestellten Modulen zusammen. Die psychosozialen Aspekte wurden mittels der Module „Stärken- und Ressourcentraining“ (S&R) sowie „Denk Dich fit“ (DDF), flankiert von psychoedukativen Modulen, Progressiver Muskelentspannung (PMR) und weiteren Entspannungstechniken, umgesetzt.
Abb. 2: Module des Kronshagener Reha-Trainings
Theoretischer Hintergrund
Die psychosozialen Module des Reha-Trainings basieren auf den Erkenntnissen der Positiven Psychologie, Ressourcenaktivierung, Achtsamkeitsbasierter Stressreduktion, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie sowie der Metakognitiven Therapie.
Positive Psychologie
Der Forschungszweig der Positiven Psychologie wurde seit dem Jahr 2000 von Martin Seligmann etabliert. Als Interventionen der Positiven Psychologie gelten alle Strategien, deren Ziel es ist, das Positive herauszustellen und zu vermehren. Positive Gefühle, Entwicklung der eigenen Stärken und Ressourcen und Verbesserung allgemeiner Lebensbedingungen stehen dabei im Fokus [5][8].
Ressourcenaktivierung
In Abgrenzung zum Konzept der Positiven Psychologie steht hier nicht die Entwicklung neuer Fähigkeiten, sondern die Aktivierung bereits vorhandener Stärken und Ressourcen im Mittelpunkt [37]. In der Ressourcenaktivierung geht der Blick weg von der Problem- und Defizitorientierung zu bereits vorhandenen Kraftquellen. Dieses Bewusstmachen eigener Kraftquellen wirkt sich motivations- und selbstwirksamkeitsfördernd auf die Patienten aus [37].
Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie
Die mehrfach evaluierten Gruppenprogramme Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) und Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) vermitteln Achtsamkeit als zentrale Ressource zur Stressbewältigung und im Umgang mit Depression [10][29]. Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst und mit einer nicht wertenden Haltung wahrzunehmen. Unterschiedliche Achtsamkeits- und Meditationsübungen werden durchgeführt. Es wird trainiert, automatisierte negative Denkmuster frühzeitig zu erkennen und auf diese Weise beeinflussen zu können.
Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)
Die Entwicklung psychischer Flexibilität mit Erleichterung der Anpassung an sich schnell wechselnde innere und äußere Lebensbedingungen ist hier übergeordnetes Ziel. Eine Teilhabe am Leben, orientiert an den eigenen Werten, soll ermöglicht werden [14]. Neben dem Aspekt der Achtsamkeit werden auch Strategien zur Akzeptanz, d. h. zum Annehmen eigener Gefühle, Gedanken und Körperreaktionen, eingesetzt. Ferner werden Methoden eingesetzt, die den Abstand zu den eigenen Gedanken und das Einnehmen einer Beobachterperspektive gegenüber sich selbst fördern [35]. Die Selbstverpflichtung zu werteorientierten Handlungen ist weiterer Bestandteil der ACT.
Metakognitive Therapie (MCT)
Die MCT unterscheidet zwischen automatischen, der bewussten Kontrolle wenig zugänglichen Gedanken und den übergeordneten Metakognitionen („Gedanken über Gedanken“) [15]. Ausgeprägtes Sorgen, Grübeln, Gedankenunterdrückung, kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Vermeidungsstrategien sowie Fokussierung auf mögliche Gefahrenquellen werden als dysfunktionale metakognitive Strategien verstanden und als aufrechterhaltend für psychische Erkrankungen angesehen [34]. Neben einem Aufmerksamkeitstraining werden Übungen durchgeführt, die den Patienten anleiten, eine Beobachterrolle zu seinen Gedanken und Emotionen einzunehmen, aktiv zu werden, Probleme zu lösen und aus Grübel- und Sorgenschleifen auszusteigen. Ebenso ist Akzeptanz eine der wesentlichen Strategien.
Durchführung des Reha-Trainings
Teilnehmende
Im Zeitraum September 2022 bis November 2023 nahmen insgesamt 46 Patienten an 8 Trainingsdurchgängen teil, davon waren 8 weiblich und 38 männlich. Drei der Teilnehmenden (6,5 %) beendeten das Training vorzeitig innerhalb der ersten Tage. Der Altersdurchschnitt lag bei 40,6 Jahren (Range = 25–56 Jahre).
In der Mehrzahl der behandelten Fälle lag eine psychische Störung als Hauptdiagnose oder komorbid vor. Zudem wiesen die Patienten weitere Diagnosen aus verschiedenen medizinischen Bereichen auf, darunter orthopädische Erkrankungen, Krankheiten des Herz- Kreislaufsystems, der Atmungsorgane, des Verdauungs- sowie des Urogenitalsystems.
Wesentliches Einschlusskriterium zur Teilnahme am Training für die Patienten war eine Langzeiterkrankung (Krank-zu-Hause (KzH)-Führung über mindestens 6 Wochen im Jahr) und eine prognostisch mögliche Gefährdung der weiteren Verwendung auf dem Dienstposten. Darüber hinaus wurden auch Patienten in das Training aufgenommen, die noch vollzeitig im Dienst waren. In diesen Fällen war das Vorliegen einer allgemeinen Leistungsverminderung oder Einschränkung hinsichtlich spezifischer Tätigkeiten ausschlaggebend. Eine grundsätzliche Rehabilitationsmotivation und Bereitschaft zur Teilnahme an einem Gruppentraining waren grundlegende Voraussetzungen für die Einschleusung in das Training. Dabei wurden die Teilnehmer über das Training sowie eine notwendige intensive aktive Mitarbeit aufgeklärt.
Personelle Umsetzung
Die günstige personelle Situation mit einer klinischen Psychologin sowie einem in psychosozialen Trainings und Coaching ausgebildeten Sanitätsoffizier am Facharztzentrum (FachArztZ) Kronshagen boten eine gute Grundlage für die Entwicklung eines psychosomatischen Schwerpunktes.
Rahmendaten
Die Rahmendaten des Reha-Trainings sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Konzeption des Moduls Stärken- und Ressourcentraining
Das Stärken- und Ressourcentraining ist ein an der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) entwickeltes Gruppenprogramm zur Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz. Es existiert ein detailliert ausgearbeitetes Trainingsmanual [22]. Das Training erstreckt sich in seiner Ursprungsform über 6 Termine à 1,5 bis 2 Stunden. Es setzt auf drei Ebenen an:
- Ressourcenaktivierung auf der Körperebene,
- Ressourcenaktivierung auf der Ebene der Gedanken und Gefühle sowie
- Achtsamkeit als besondere Ressource.
Das unmittelbare Erleben in Form von unterschiedlichen praktischen Übungen steht hier im Vordergrund [22]. Auf der Ebene der achtsamen Körperaktivierung und -entspannung stehen die Schulung des Körperbewusstseins sowie die Wahrnehmung des Körpers als Ressource im Mittelpunkt. Auf der Ebene der Gedanken und Emotionen geht es im Kern um die bewusste Wahrnehmung, den Ausbau und die Nutzbarmachung kognitiv-emotionaler Techniken sowie die Förderung einer positiven Grundhaltung.
Achtsamkeit als wichtige Ressource bildet eine eigene Ebene. Theoretische Grundlagen der Achtsamkeit werden erarbeitet und im Anschluss auf unterschiedliche Weise trainiert. Ressourcenaktivierung und Achtsamkeit sind zentrale Elemente auf allen drei Ebenen, die eng ineinandergreifen [22].
Die Trainer-Anforderungen und erforderlichen Kompetenzen sind Ausbildung und Erfahrung als Trainer sowie Vorliegen fachlicher, methodischer und psychologischer Kenntnisse. Erfahrung in eigener Achtsamkeitspraxis ist empfehlenswert [22]. Für die Einbettung des Trainingsformates in das Reha-Training wurden geringfügige Anpassungen vorgenommen. Die 6 Trainingstage wurden verteilt über je 2 Einheiten pro Woche. Abhängig vom weiteren Tagesprogramm, wie z. B. Physiotherapie oder Yoga, wurde auf die zusätzliche Durchführung der Bewegungselemente auf der Körperebene des S&R verzichtet. Die vorgesehenen Hausaufgaben wurden thematisch in die Trainingseinheiten integriert. Mit Rücksicht auf traumatisierte Patienten wurde auf die Imaginationsübung „Zeitreise in die Vergangenheit“ verzichtet. Studien belegen die Wirksamkeit des Trainings, auch im Bundeswehr-Kontext [18][19][21].
Konzeption des Moduls „Denk Dich fit“
Das Modul „Denk Dich fit“ wird während der Reha-Wochen und den Refresher-Tagen insgesamt in acht 60- bis 90-minütigen Sitzungen durchgeführt. Das Modul basiert auf der ACT sowie auf der Metakognitiven Therapie [7][ 34].
In den ersten Sitzungen werden die Zusammenhänge zwischen Gedanken, Emotionen, Körperempfindungen und Verhalten mit den Patienten erarbeitet. Ziel ist die Entwicklung eines biopsychosozialen Krankheitsverständnisses. Hierzu werden auch Übungen wie die Zitronenübung genutzt, um die entsprechenden Zusammenhänge zu verdeutlichen [15]. Auf dieser Basis werden bisherige dysfunktionale Bewältigungsstrategien (z. B. Sorgen, Grübeln, Bedrohungsmonitoring, Vermeidung, Emotionsunterdrückung) identifiziert, deren bisheriger potenzieller Nutzen als Überlebensstrategien validiert, Vor- und Nachteile, positive und negative Metakognitionen erarbeitet und die Möglichkeit der Veränderung dieser bisherigen Bewältigungsstrategien eröffnet. Im Anschluss an diese psychoedukativen Inhalte werden sechs funktionale Bewältigungsstrategien (6 ALPHA, Abbildung 3) vermittelt.
Abb. 3: Die 6 ALPHA der funktionellen Bewältigungsstrategien
Jede einzelne dieser funktionalen Bewältigungsstrategien wird anhand von Übungen, Metaphern und Beispielen erarbeitet, diskutiert und ausprobiert. Wiederholungen, Besprechen von Problemen im Zusammenhang mit den neuen Strategien und Erarbeiten von Lösungsmöglichkeiten bei Problemen sind zentrale Bestandteile jeder weiteren Sitzung. Übungen und Metaphern, welche hier genutzt werden, sind z. B.:
- 5 - 4 - 3 - 2 - 1-Übung [17],
- Experiment zur Gedankenunterdrückung [34],
- Metapher vom fratzenschneidenden Kind [34],
- Tauziehen mit einem Monster [7],
- Gedanken singen [11] und
- “The unwelcome party guest” [31].
Die Patienten werden geschult, eine metakognitive Perspektive einzunehmen. Ziel ist eine Flexibilisierung in den genutzten Strategien. Zur Aufrechterhaltung der erlernten Strategien werden psychoedukativ die Stufen der Selbstregulation nach Kanfer vermittelt, welche die Aufrechterhaltung neuer Verhaltensweisen unterstützen [16]. Es werden verschiedene Möglichkeiten besprochen, die Stufen „Selbstbeobachtung“, „Selbstbewertung“ und „Selbstverstärkung“ im Alltag umzusetzen.
Weitere Module
Das Modul „Schlaf Dich fit“ vermittelt auf spielerische Weise Regeln zur Schlafhygiene. Die Patienten werden in zwei Teams eingeteilt. Sie müssen durch einen von drei Wegen („Erklären“, „Zeichnen“ oder „Pantomime“) verschiedene Begriffe, welche in Zusammenhang mit dem Thema Schlaf stehen, darstellen und durch ihre Teammitglieder erraten lassen. Nach jedem erratenen Begriff wird in der Gruppe darüber gesprochen, in welchem Zusammenhang dieser Begriff zu gutem und erholsamem Schlaf steht.
Im Modul „Iss Dich fit“ werden psychoedukativ zusammen mit den Patienten Lebensmittel identifiziert, die eine gesunde Psyche unterstützen bzw. solche Lebensmittel, die einen negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben [27]. Ziel ist vor allem das Bewusstmachen der Vielzahl an Lebensmitteln, die sich positiv auf das emotionale Wohlbefinden auswirken.
Allgemeine Arbeitsweise im Gruppentraining
Die Umsetzung der Module S&R und DDF erfolgte in teilnehmeraktivierenden Formaten unter Verzicht auf digitale Unterstützung wie Power Point. Zentrales Element war eine motivierende semidirektive patientenzentrierte Gesprächsführung, bei der der Mensch und nicht sein Problem im Mittelpunkt steht. Aktives Zuhören, offene Fragen und Reflexionen kommen hier u. a. zur Anwendung. Dieses Vorgehen ermöglicht Patienten eine aktive Rolle mit Selbsterkenntnis ihrer Probleme und möglicher Lösungsansätze [25].
In allen Modulen wurde wiederholt auf das Prinzip der kleinen Schritte und das erforderliche kontinuierliche Training fokussiert. Die Patienten wurden geschult, erste Veränderungsschritte zu planen, umzusetzen und selbstverstärkend Erfolge annehmen zu können.
Im Rehabilitationsverlauf werden in regelmäßigen Abständen Rehabilitationsziele mit den Patienten vereinbart und schriftliche Zielvereinbarungen getroffen. Dieses erfolgt im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung. Die vereinbarten Ziele erfüllen die Anforderungen SMARTer Ziele (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert).
SMARTe Ziele ermöglichen eine objektive Überprüfung der Rehabilitationsadhärenz der Patienten. Adhärenz beschreibt die Fähigkeit, gemeinsam formulierte Ziele einzuhalten [23]. Während SMARTe Ziele sich zur Überprüfung der Zielerreichung eignen, sind sie zur Entwicklung einer Zielbindung und Handlungswirksamkeit im Reha-Training nicht dienlich. Werte werden stärker als Ziele zum eigenen Selbst gehörig empfunden und geben Orientierung. Werte hingegen fördern die Entwicklung einer intrinsischen Motivation, sich engagiert in Richtung der Realisierung der eigenen Werte zu verhalten [12]. Vor diesem Hintergrund ist die Exploration persönlicher Werte und damit das mögliche Setzen wertebasierter Ziele wichtiges Element im Reha-Training.
Zur Qualitätsentwicklung erfolgte am ersten Trainingstag eine schriftliche Erwartungsabfrage mit Freitextanteil sowie eine sich anschließende Abfrage und Diskussion der Erwartungshaltung der Teilnehmer. Die Evaluation der Akzeptanz und Patientenzufriedenheit wurde mittels schriftlichem Feedback-Bogen mit Freitextanteil sowie kontinuierlicher Dokumentation durchgeführt. Die Dokumentation erfolgte anhand von Beobachtungen der Durchführenden, der Blitzlichtrunden (kurze Abfrage des Stimmungsbildes der Teilnehmenden), spontaner Rückmeldungen der Patienten, Teambesprechungen sowie Befragungen der Teilnehmenden vor und nach dem Training.
Erfahrungen
Erwartungsabfrage
In der Erwartungsabfrage wurde deutlich, dass das Bedürfnis nach Strategien zum Umgang mit Gedanken und Grübeln sowie nach Bewusstmachen der persönlichen Werte und Lebensziele von hoher Wichtigkeit waren.
Die drei häufigsten Angaben waren folgende:
- „Aus dem Gedankenkarussel rauszukommen“.
- „Was will ich eigentlich mit meinem Leben machen?“ und
- „Was ist mir wirklich wichtig?“
Eine Vielzahl der Patienten berichtete, bereits einige Strategien in vorausgegangenen Therapien kennengelernt, jedoch immer wieder Probleme mit der praktischen Umsetzung gehabt zu haben. Sie erwarteten sich vom Training endlich „ins Handeln kommen zu können“.
Im Trainingsverlauf berichteten viele Patienten über ihre persönlichen Schwierigkeiten im Dienstalltag. Auffällig war insbesondere die häufige Thematisierung von mangelndem eignen Handlungsspielraum, fehlender Sinnhaftigkeit bei vielen Aufgaben, Absicherungsdenken bei Vorgesetzten und Überbürokratisierung. Eine Vielzahl der Teilnehmenden sprach im Trainingsverlauf familiäre Problemsituationen an.
Rückmeldungen der Patienten
Bei allen Teilnehmenden, die das Training vollständig absolvierten, stieß dieses insgesamt auf eine hohe Akzeptanz. Alle Teilnehmenden bewerteten die Maßnahme insgesamt mit sehr gut oder gut. Die Module S&R, DDF und Entspannungstechniken wurden ebenfalls von allen Teilnehmenden mit sehr gut oder gut bewertet. Die Relevanz für die weitere dienstliche oder berufliche Tätigkeit beurteilten die Teilnehmenden – mit einer Ausnahme – als sehr wichtig oder wichtig.
Die am häufigsten von den Patienten genannten Rückmeldungen waren
- „körperlich und geistig fordernd“,
- „ich habe gelernt, mich selbst zu verstehen“ und
- „mich mit mir selbst zu beschäftigen“.
Die am häufigsten von den Teilnehmenden geäußerten Wünsche zu Veränderungen und Weiterentwicklung des Trainings waren
- „Hätte ich das früher gelernt, wäre mir das nicht passiert.“,
- „Das gehört zur Grundausbildung der Soldaten.“ und
- „Das muss meine Familie auch lernen, um mich unterstützen zu können.“
Das aktivierende Gruppenformat wurde von den Teilnehmenden sehr gut angenommen. Besonders betonten die Patienten, sich im militärspezifischen Kontext von den Mitteilnehmenden und auch den Durchführenden in besonderer Weise verstanden zu fühlen.
Das S&R sowie DDF haben zum Teil inhaltliche Überschneidungen, unterscheiden sich jedoch in der Didaktik und ergänzen sich daher gut. Dabei war zu beobachten, dass die Patienten selbständig die Transferleistung zwischen den beiden Modulen erbringen konnten. In den ärztlichen Abschlussgesprächen konnte in der Mehrzahl gemeinsam mit den Patienten eine stufenweise Erhöhung der Wochenarbeitszeit vereinbart werden. Die vorzeitige Beendigung des Trainings von drei Patienten erfolgte auf eigenen Wunsch. Ursächlich war eine nicht erfüllte Erwartungshaltung.
Diskussion und Ausblick
Erwartungsabfrage
Die in der Erwartungsabfrage geäußerten Schwierigkeiten mit der Umsetzung bereits gelernter Strategien bestätigten die Wichtigkeit der Berücksichtigung motivationspsychologischer Aspekte wertebasierten zielgerichteten Handelns und des Erlernens neuer Strategien im Umgang mit Gedanken in der Trainingskonzeption.
Rückmeldungen
Die von den Teilnehmern geäußerte hohe Relevanz des Trainings für die weitere dienstliche Tätigkeit sowie die guten und sehr guten Bewertungen der psychosozialen Module zeigen insgesamt eine hohe Akzeptanz des Reha-Trainings. Gruppenkohäsion und militärischer Kontext sind dabei wichtige Wirkfaktoren, die sich bereits in der Vergangenheit positiv erwiesen haben [31]. Zukünftig sollte die Rehabilitationsmotivation und Gruppeneignung noch intensiver überprüft werden. Dabei ist bereits im Vorfeld eine noch ausführlichere Aufklärung über die konkreten Inhalte des Trainings erforderlich, um eine realistische Erwartungshaltung zu fördern.
Zur Überprüfung des langfristigen therapeutischen Erfolges wäre eine formale Evaluation anzustreben.
Allgemeine Arbeitsweise
Das aktivierende Gruppenformat und die personenzentrierte semidirektive motivierende Gesprächsführung konnten den Aufbau einer intrinsischen Motivation zur Verhaltensänderung unterstützen. Die Integration der Erkenntnisse aus Positiver Psychologie, Ressourcenaktivierung, ACT, MBSR und MBCT sowie MCT in die Konzeption des Trainings hat sich dabei bewährt. Das persönliche Erleben in praktischen Übungen konnte den Prozess der eigenverantwortlichen Problemlösung unterstützen. Die reine Psychoedukation ohne Selbsterfahrung der Patienten würde hier zu kurz greifen.
Inhalte und militärischer Kontext kommen zusammen
Der auch philosophische Elemente beinhaltende Ansatz der ACT zeigt Parallelen zu grundlegenden Überlegungen der „Inneren Führung“ und eignet sich daher in besonderer Weise für die Anwendung in der MDOR. Unsicherheitskompetenz und mentale Stärke sind integrale Anforderungen an Soldaten im Kampf. Die Entwicklung und Förderung einer psychischen Flexibilität, die eine Anpassung an sich – auch im Gefecht – ständig ändernde Bedingungen erleichtert, ist aus Sicht der Autoren zentrale Voraussetzung für Soldaten. In den USA wurde in jüngster Zeit ein ACT-basiertes Resilienz-Training entwickelt und erste positive Erfahrungen gemacht [9]. Eine randomisierte kontrollierte Studie dazu mit Soldaten (N = 600) ist in Planung [28].
Achtsamkeit als wichtige Ressource zur Stressbewältigung findet nicht nur im therapeutischen Kontext Anwendung. Das Training von Achtsamkeit führt laut einer Studie bei Soldaten aus US-Eliteeinheiten zur deutlichen Leistungssteigerung [36]. Zudem zeigen Studien, dass Achtsamkeit als Fähigkeit hilft, die potenziell negativen Auswirkungen von Stressoren und hohen Arbeitsanforderungen abzumildern; dies wurde auch explizit für den militärischen Kontext gezeigt [18].
Werteorientiertes Handeln ist Grundlage der Inneren Führung und wichtiger Bestandteil der ACT. Eine Identifikation mit den auf organisationaler Ebene in der „Inneren Führung“ verankerten Werten ist Grundvoraussetzung für eine Kampfmoral. Die Bewusstmachung persönlicher Werte sowie Kongruenz dieser mit der Inneren Führung wirkt sich positiv auf die Kampfmoral aus [24]. Die in der ACT adressierte Selbstverpflichtung zu werteorientierten Handlungen eignet sich daher im Kontext der MDOR in besonderer Weise.
Die in den Gruppengesprächen geäußerten Schwierigkeiten wie fehlende Sinnhaftigkeit und mangelnder Handlungsspielraum der Soldaten im täglichen Dienstbetrieb weisen Parallelen zu Ausführungen im aktuellen Handbuch Innere Führung sowie im Policy Brief 32 der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) auf [1][26]. Es ist anzunehmen, dass bei einer größeren Anzahl der Soldaten ähnliche Wahrnehmungen vorliegen und im Dienstalltag die Prinzipien der Inneren Führung und Führen mit Auftrag nicht hinreichend handlungsleitend sind.
Eigenverantwortung und eine aktive Rolle sowie Erfahrung von Selbstwirksamkeit sind wichtige Wirkfaktoren in der Rehabilitation, die auch allgemein gesundheitsförderliche Wirkung zeigen.
„Führen mit Auftrag, wo immer es möglich ist“ sowie „Verantwortungsübernahme“ sind zentrale Inhalte der „Inneren Führung“. Diese Grundprinzipien finden sich auch in der Rehabilitation wieder. Das Einnehmen einer aktiven Rolle und Übernahme von Verantwortung für sich selbst in der Rehabilitation ist aus Sicht der Autoren maßgeblich für langfristigen Erfolg. Ein auf allen Ebenen stärker an den Grundsätzen der Inneren Führung ausgerichtetes Handeln könnte dabei nicht nur den dienstlichen Rehabilitationsprozess unterstützen, sondern sich bereits präventiv auf die Gesundheit unserer Soldatinnen und Soldaten und damit die Kriegstauglichkeit der Bundeswehr positiv auswirken.
Ausblick auf Prävention
Die in das Reha-Training integrierten psychologischen Erkenntnisse und vermittelten Strategien finden nicht nur in der Rehabilitation, sondern gleichermaßen auch in der Prävention und der Resilienzförderung Anwendung.
„The skills that help soldiers prepare for military service are the same skills that can help them recover“ [3].
Die Autoren gehen davon aus, dass das Kronshagener Reha-Training nicht nur zur Verbesserung der Gesundheit der Rehabilitanden beiträgt, sondern auch die Entwicklung einer Resilienz für die Zukunft bewirkt.
“Warrior care starts at day one” [3].
Nach diesem Grundsatz sollte aus Sicht der Autoren bereits frühzeitig und präventiv eine verpflichtende systematische Ausbildung aller Soldaten zur Verbesserung von Unsicherheitskompetenz, psychischer Widerstandskraft und mentaler Stärke eingeführt werden. Daraus könnte sich auch der strategische Vorteil eines effizienteren möglichen späteren Rehabilitationsprozesses ergeben. Patienten hätten die Möglichkeit auf vorhandenem Wissen aufbauen zu können. Das bereits manualisierte S&R sowie DDF könnten als Grundlage für die Entwicklung einer entsprechenden Ausbildung dienen. Zudem liegt für das S&R bereits ein Trainerschulungskonzept vor.
Systemischer Kontext
Für zukünftige Trainingsdurchgänge ist die Einbindung enger Familienmitglieder der Rehabilitanden an einem nachgelagerten separaten Termin in Planung. Zur Förderung des langfristigen Transfers des Gelernten in den Alltag könnte dieses neben den durchgeführten Nachsorgetagen ein weiterer wichtiger Faktor sein. Ein Kennenlernen und Erleben der im Training vermittelten Inhalte erleichtert das Verständnis der Familienmitglieder für die inneren Veränderungsprozesse der Patienten. So können diese den Heilungsprozess des Patienten effektiver unterstützen.
Entscheidend aus Sicht der Autoren ist die Rolle des militärischen Führers. Er kann in seiner Vorgesetztenrolle direkt und indirekt auf die psychosoziale Gesundheit seiner Soldaten Einfluss nehmen. Daher ist aus Sicht der Autoren auch eine Ausbildung der Führungskräfte in den o.g. psychologischen Erkenntnissen und Strategien erforderlich. Ein erster Schritt wurde mit dem an der HSU entwickelten Training „Gesundheitsorientierte Führungskompetenz“ (GoFüKo) getan [20].
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Thun-Blasche V, Vetter S., Krick A: Kronshagener Reha-Training – ein essenzieller Beitrag zur Verbesserung der personellen Einsatzbereitschaft. WMM 2024; 68(3): 74-82.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-265
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Viveka Thun-Blasche
Sanitätsunterstützungszentrum Kiel
Facharztzentrum Kronshagen
Kopperpahler Allee 120, 24119 Kronshagen
E-Mail: vivekathunblasche@bundeswehr.org
Citation
Thun-Blasche V, Vetter S., Krick A: [Kronshagen rehabilitation training – essential contribution to enhancing personnel readiness]. WMM 2024; 69(3): 74-82.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-265
For the Authors
Major (MC) Dr. Viveka Thun-Blasche, MD
Major Medical Clinic Kiel
Medical Clinic with Specialty Services Kronshagen
Sanitätsunterstützungszentrum Kiel
Facharztzentrum Kronshagen
Kopperpahler Allee 120, D-24119 Kronshagen
E-Mail: vivekathunblasche@bundeswehr.org
1 Nachfolgend werden in diesem Beitrag zur besseren Lesbarkeit nur die männliche Form Soldat, Patient usw.) genutzt; eingeschlossen sind dabei immer alle Geschlechter.