Wehrmedizinische Monatsschrift

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Rehabilitation in der Bundeswehr – Erfordernis und Verpflichtung



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Low-grade muzinöse Neoplasie der Appendix – Flankenschmerz in der truppenärztlichen Sprechstunde




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Schlafapnoe und Fahrtauglichkeit – Interdisziplinäre Therapie eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms





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Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin,​ akademische Lehrpraxis,​ Digital Health – zivil-militärische Zukunftsoptionen für Regionale ­Sanitätseinrichtungen




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Leben retten unter besonderer Gefahr


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Auch international bestens vernetzt:​ Das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr beim 6th ICSPP in London

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Medical Biodefense Conference 2023 des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr
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Oberfeldarzt Priv.​-Doz.​ Dr.​ Guido Mühlmeier schließt Habilitation im Fachgebiet Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde ab
Mitteilungen der DGWMP e.​V.​
Geburtstage März/​April 2024
Truppenärztliche Praxis PDF

Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin, akademische Lehrpraxis, Digital Health – zivil-militärische Zukunftsoptionen für Regionale Sanitätseinrichtungen

Networks in Medical Education, Academic Primary Care Practice, and Digital Health –
Options for Civil-Military Cooperation in Regional Medical Facilities of the Bundeswehr

Georg Ecksteina; Shirin Bergera; Roland Vogla; Thomas Kühleinb; Harald Fischera

a Sanitätsunterstützungszentrum Kümmersbruck

b Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut

Zusammenfassung

In vielen Bereichen der Medizin zeichnen sich Versorgungslücken ab. Engpässe in der hausärztlichen Versorgung, insbesondere in ländlichen Regionen, werden gesamtgesellschaftlich thematisiert. Als eine der Ursachen sehen Vertreter der Ärzteschaft häufig nicht optimale Weiterbildungsstrukturen. In Reaktion darauf soll das Fach Allgemeinmedizin im neuen Curriculum einen herausgehobenen Stellenwert erhalten.

Am Beispiel zweier Sanitätsversorgungszentren des Sanitätsunterstützungszentrums Kümmersbruck wird gezeigt, wie entsprechende zivile Studieninhalte unter “dem Dach des Sanitätsdienstes” vermittelt werden können. Dies intensiviert die zivil-militärische Vernetzung im Bereich der primärärztlichen Versorgung. Berufsfelderkundung, Lehr- und PJ-Praxis und Public Health sind wichtige Bausteine, mit denen sich Regionale Sanitätseinrichtungen gewinnbringend in den universitären Lehrbetrieb einbringen könnten. Damit diese Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit nachhaltig Verwirklichung findet, müssen zunächst die Inhalte der Überschneidungen definiert werden und dann qualitätsfördernde Maßnahmen greifen. Hierzu gehört auch die Vernetzung mit entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften (z. B. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Deutscher Hausärztinnen- und Hausärzteverband). Um an der modernen Ausbildungslandschaft und -kommunikation teilhaben zu können, bietet die Pilotumgebung und Brückenlösung „Link and Learn“ ein qualitätsgesichertes adäquates Tool für die Ausbildung von Studierenden.

Schlüsselwörter: Weiterbildung Allgemeinmedizin, Akademische Lehrpraxis, digital health, Link and Learn, Zivil-Militärische Zusammenarbeit

Summary

In various areas of medicine, gaps in healthcare provision are becoming apparent. Shortages in primary care, especially in rural regions, are in dicussion on a societal level. Medical professionals often attribute this to suboptimal training structures. In response, the field of general medicine is intended to have a highlighted role in the new curriculum for medical education.

Using two primary care facilities (Sanitätsversorgungs­zentren) of the Kümmersbruck Medical Support Center (Sanitätsunterstützungszentrum) as examples, it demonstrates how general medical study content can be provided to civilian students in the structure of the Bundeswehr Medical Service. This intensifies the civilian-military network in primary care. Occupational field exploration, teaching and practical training, and public health are crucial components through which regional medical facilities of the Bundeswehr Medical Service could contribute effectively to university education. For the sustainable implementation of this form of civil-military cooperation, the overlapping content must be defined, followed by quality-enhancing measures, including collaboration with relevant medical societies (e.g., Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Deutscher Hausärztinnen- und Hausärzteverband). To participate in modern education and communication, the digital pilot environment and bridge solution “Link and Learn” offers a quality-assured, suitable tool for student education.

Keywords: medical education; general medicine; academic primary care practice; digital health; Link and Learn; civil-military cooperation

Die akademische Lehrpraxis als Basis für einen zivil-militärischen Ausbildungsverbund

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist als qualitätsgesicherter Akteur in der Weiterbildungslandschaft der jeweiligen Landesärztekammern sehr gut akzeptiert. Gerade das Konzept des internen Verbundes von primärärzt­licher Versorgung in den Regionalen Sanitätseinrichtungen (truppenärztlicher Bereich) mit den fachärztlichen Strukturen in den Bundeswehrkrankenhäusern und Facharztzentren wird durch „Weiterbildungsverbünde ­Allgemeinmedizin“ im zivilen Gesundheitswesen auf­genommen und auch zentral koordiniert (z. B. „Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin“ der Bayerischen Landesärztekammer). Darüber hinaus sind Sanitätsoffiziere in entsprechende Fachverbände (z. B. DEGAM, Hausärztinnen- und Hausärzteverband) integriert. Dies führt zu einer interaktiven Schnittstellenbildung und damit einhergehend die Schaffung von Verständnis und Akzeptanz durch die Bundeswehr in der Zivilbevölkerung.

Nur ein gemeinschaftliches Denken und Handeln sichert eine tiefe Verwurzelung der Bundeswehr in unserer Demokratie. Es soll idealerweise keine Trennung des „Staatsbürgers in Uniform“ von den Bürgern mit „ihrer Bundeswehr“ in ihrem Demokratieverständnis mehr spürbar sein. Jeder Teilbereich der Bundeswehr muss und darf – als Chance verstanden – dabei individuelle Lösungen zur Erreichung dieser Ziele entwickeln. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat diesbezüglich, bedingt durch seine Profession selbst, seit jeher eine Sonder- und Vorreiterstellung. Mit der Ausbildung von Sanitätsoffizieren an zivilen Universitäten, den Schnittstellen mit dem zivilen Gesundheitssystem sowie durch die Versorgung der Soldaten im Inland und der Zivilbevölkerung in den Bundeswehrkrankenhäusern wird bereits jetzt eine enge gesellschaftliche Interaktion praktiziert.

Weiterentwicklung der Sanitätseinrichtungen im Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin

Trotzdem bedarf es auch hier neuer Wege und Anstrengungen, besonders in der Verbindung zu zivilen medizinischen Ausbildungsstätten und dem Gesundheitssystem als Ganzem. Darüber hinaus sollte eine Steigerung von Verständnis und Akzeptanz in Bezug auf die Aufgabe und Notwendigkeit des Sanitätsdienstes sowie der Bundeswehr im Allgemeinen angestrebt werden.

In diesem Prozess werden zeitgleich Wissen und wissenschaftliches Arbeiten mit den zivilen Partnern ausgetauscht und vertieft, neue Kompetenzen und idealerweise auch Personal, Interesse und Verständnis für die Bundeswehr gewonnen werden.

Die bereits jetzt vorhandenen Fähigkeiten des Sanitätsdienstes hinsichtlich der im medizinischen Ausbildungssystem verankerten, studienbegleitenden und postuniversitären, strukturierten Aus-, Fort- und Weiterbildung, insbesondere in der Allgemeinmedizin, sind in dieser Form beispielgebend [8][10][11]. Auch die strukturierte und breitgefächerte Ausbildung sowie der Kompetenzerhalt in spezialisierten medizinischen Feldern, wie z. B. der Notfallmedizin, dürfen im Zuge zukünftiger zivil-militärischer Zusammenarbeit hervorgehoben und der zivilen Fachwelt zugänglich gemacht werden [9].

Einer herausfordernden Aufgabe stehen die Lehrstühle für Allgemeinmedizin der Universitäten in Deutschland angesichts der anstehenden Novellierung der kommenden Approbationsordnung für Medizinstudierende gegenüber [3]. Der Entwurf sieht einen deutlich höheren Anteil an notwendigem „Kompetenzerwerb“ der Studierenden über die gesamte Zeitspanne des Studiums hinweg vor. Dies soll vor allem durch direkte, praxisnahe Ausbildung in Lehrpraxen vermittelt werden. Ziel stellt dabei die „Ausstattung“ der künftigen Medizinergeneration mit einem (Medizin-)Selbstverständnis und gelebter Medizinkompetenz, weg von reinem „Faktenwissen“ hin zu mehr Kompetenzerwerb, dar. Diese Medizinkompetenz wandelt sich zurück zu einem deutlich ganzheitlicheren inter- und intraprofessionellen Denken des Medizinsystems. Wobei Letzteres sich dann auch gerade im bewussten Verzicht auf medizinische Maßnahmen angesichts der Gefahr von Überdiagnose und Übertherapie übt [4][12]. Hiermit sollen künftige Mediziner noch zeitgemäßer ihren „Vertrag mit der Gesellschaft“ erfüllen können [1].

Diese Synthese aus evidenzbasierter Medizin und „high value care“ ist vor dem Hintergrund der WHO-Forderung nach „health in all policies“ eine der herausragendsten Aufgaben für die Ausbildung der nächsten Generation an Medizinern [13][15]. Dies verdeutlicht mit Nachdruck die Forderung nach der Evolution des Medizinsystems in der Transformation hin zur Erreichung einer möglichst alle Systeme der bio-psycho-sozialen, ökonomischen, ökologischen und ethischen umfassenden planetaren Gesundheit der Weltgemeinschaft [5].

Obgleich es noch wenig belastbare Evidenz für eine dahingehend bessere Zielerreichung durch kompetenzbasiertes Lernen gibt, wird dies auf Expertenebene als einer der bestmöglichen und am leichtesten verfügbaren Versuchsansätze zur besseren Vermittlung von Lehrinhalten bewertet [1][5][14]. Der hierbei zusätzlich entstehende Bedarf an praktischen Ausbildungsplätzen – vor allem in der primärärztlichen Versorgung – für Studierende der Medizin in Deutschland kann mit der bisherigen Zahl an akkreditierten Ausbildungsstätten zum heutigen Stand gerade gedeckt werden. Es müssen daher durch die Lehrstühle für Allgemeinmedizin deutlich mehr akkreditierte akademische Lehrpraxen akquiriert werden, die den qualitativen und quantitativen Strukturvoraussetzungen einer modernen allgemeinmedizinischen Lehre entsprechen.

Potenzial für Regionale Sanitätseinrichtungen als akademische Lehrpraxis

Aus unserer Sicht bieten sich regionale Sanitätseinrichtungen zur Einbringung als akademische Lehrpraxen an. Über den bekannten Auftrag der Weiterbildungstätigkeit nach den jeweils gültigen Weiterbildungsordnungen für angehende Allgemeinmediziner in der Bundeswehr hinaus könnte hier im Lehrverbund jungen Studierenden die Möglichkeit zur Absolvierung ihres Blockpraktikums Allgemeinmedizin und auch des Praktischen Jahres in der Allgemeinmedizin in einer regionalen Sanitätseinrichtung angeboten werden.

Der Sanitätsdienst und die Bundeswehr könnten sich hierbei wiederum „kaltstartfähig“ als vorhandener und verlässlicher Ausbildungspartner für die Universitätslandschaft in Deutschland präsentieren. Die Kompetenz und Expertise hierzu hält der Sanitätsdienst durch die seit Jahren immer wieder den Bedürfnissen angepasste Struktur der studienbegleitenden universitären und postuniversitären, modularen Ausbildung (PumA) bereits vor. Sowohl die regionalen Sanitätseinrichtungen als auch die Bundeswehrkrankenhäuser sind etablierte Institutionen der Aus-/Fort- und Weiterbildung (Abbildung 1). Fast jeder Sanitätsoffizier bildet im Laufe seiner Karriere junge Kolleginnen und Kollegen aus. Die Integration kontinuierlicher Lehre und Ausbildung und die Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitswesen zur bestmöglichen Erfüllung dieser Aufgabe sind Teil des sanitätsdienstlichen Selbstverständnisses (Abbildung 2).

Abb. 1: Lehr- und Lernsituation in der täglichen Praxis

Abb. 2: „Alt“ leitet „jung“ – Es war schon immer so.

Der Weg eines Sanitätsversorgungszentrums zur akademischen Lehrpraxis

Am Beispiel der Sanitätsversorgungszentren Kümmersbruck und Ingolstadt im Bereich des Sanitätsunterstützungszentrums Kümmersbruck wird exemplarisch der Weg zur akkreditierten akademischen Lehrpraxis der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU) skizziert [6].

Nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Lehrstuhl für Allgemeinmedizin mit Bezug auf dessen ausgeschriebene Suche nach Lehrpraxen für Blockpraktikumsstudierende (10 Tage eines allgemeinmedizinischen Praktikums ab dem 6. Semester des Medizinstudiums) als auch für das Praktische Jahr erfolgte als erster Schritt der Akkreditierung die Beantwortung eines standardisierten Fragebogens zum Leistungsspektrum der jeweiligen Sanitätseinrichtung.

Analog dem Antragsverfahren zur Erlangung der vollen Weiterbildungsbefugnis für Allgemeinmedizin bedarf es als Sanitätseinrichtung der Bundeswehr für eine Akkreditierung zusätzlich einer zivilen Kooperationspraxis, welche die im Portfolio der Bundeswehr kaum vorhandenen Krankheitsbilder und Tätigkeiten (z. B. Betreuung geriatrischer und pädiatrischer Patienten, Haus- und Heimbesuche) ergänzend abbilden kann. Die zivile Partnerpraxis muss ebenfalls den Akkreditierungsprozess durchlaufen und der Kooperation zustimmen.

Im Anschluss findet modulartig in regelhaften Fortbildungsveranstaltungen für die Lehrpraxen die aufbauende Wissens- und Fertigkeitsvermittlung im Hinblick auf die angestrebten, zu vermittelnden Kompetenzen an die Studierenden im Blockpraktikum und Praktischen Jahr statt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Veranschaulichung verschiedener, moderner didaktischer Tools sowie einer QM-gesteuerten Eigenevaluation der Qualität der Ausbildung (z. B. mittels Logbüchern, schriftlich fixierten Feedbackgesprächen, etc.). Nach Abschluss der jeweiligen Ausbildungsmodule der Lehrpraxen steht es den Studierenden frei, sich für die Absolvierung der Praktika und des Praktischen Jahres um einen Platz in der akkreditierten Praxis zu bewerben.

Auch in den universitären Modulveranstaltungen eröffnet sich für den Sanitätsdienst die Möglichkeit, in Interaktion mit Akteuren des zivilen Gesundheitswesens – zumeist niedergelassene allgemeinmedizinische Kollegen – zu treten. Synergien liegen dabei auf der Hand. Die Bundeswehr mit ihren regionalen Sanitätseinrichtungen kann sich diesen als versierter, strukturiert agierender und verlässlicher Lehrbetrieb präsentieren und einbringen.

Perzeption und Interaktion, beginnend bei den Studierenden, über Ärzte in Weiterbildung bis hin in die angeschlossenen Fakultäten, können hierdurch gesteigert und manifestiert werden. Eine enge Vernetzung bietet dann auch mögliche, schnellere Reaktions- und Umsetzungszeiten auf veränderte Ansprüche an die medizinische Lehre für die Aufgaben der planetaren (Gesundheits-)Fragen und Herausforderungen einer Gesellschaft von morgen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit seinem erworbenen Wissen und Fähigkeiten in Einsatz- und Krisengebieten – mit zum Teil limitiertem Zugang zu Diagnostik und Therapeutika – könnte hier die Notwendigkeit schneller und auf das Notwendige reduzierter „Primärversorgung“ aus eigener Erfahrung kommunizieren und in die Diskussion einbringen.

Die akademische Lehrpraxis als Gewinn für beide Seiten

In der Gesamtschau bietet die Funktion als akademische Lehrpraxis den regionalen Sanitätseinrichtungen die Möglichkeit zur Teilhabe an einer kompetenzvermittelnden Ausbildung in der medizinischen Lehre Deutschlands. Letztere kann hierdurch für die aktuell notwendige Veränderung in der Lehrkultur die Aufgabe zur Bewältigung der notwendigen Transformation des Medizinsystems besser umsetzen und künftig notwendige, den Anforderungen der Zeit geschuldete Anpassungen in dieser Kooperation noch effizienter und schneller ausbringen. Das Ziel einer geforderten intensiveren gesellschaftlichen Integration und Identifikation könnte damit in gewinnbringender Art für beide Seiten mittel- und langfristig besser erreicht werden.

Link and Learn: Die digitale Schnittstelle zwischen Sanitätsdienst und Studierenden

Die akademische Lehrpraxis erweist sich als herausragendes Mittel, um Studierenden die Bundeswehr als attraktiven zukünftigen Arbeitgeber vorzustellen. Durch die akademische Lehrpraxis erhalten sie die Möglichkeit, den Beruf des Soldaten oder der Soldatin im Sanitätsdienst kennenzulernen und erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Um die zivilen und militärischen Studierenden optimal beim Einstieg in das Praktikum zu unterstützen und die anschließende Vernetzung mit den Mitarbeitenden vor Ort zu erleichtern, bietet die Ausbildungs- und Kommunikationsplattform „Link and Learn“ der Bundeswehr im Internet eine ideale Lösung (Abbildung 3).

Abb. 3: „Link and Learn“ im Sanitätsdienst

Die Entwicklung vom „San-Netz“ zu „Link and Learn“

Dieser E-Campus auf „Link and Learn“ ist vielen Mitgliedern des Sanitätsdienstes bekannt, da er bisher ein fester Bestandteil des früheren „San-Netzes“ war und als Ausbildungsplattform für den Sanitätsdienst der Bun­deswehr fungiert. Ursprünglich entwickelt wurde das ­„San-Netz“ für die Sanitätsoffizieranwärterinnen und Sanitätsoffizieranwärter (SanOA), die zum Studium deutschlandweit an zivile Universitäten beurlaubt waren. Da diese während des Studiums in der Regel nicht über einen Zugang zu dienstlichen Arbeitsplatzrechnern verfügen und somit nicht auf das bundeswehrinterne Intranet zugreifen können, wurde dies durch das „San-Netz“ gelöst. Es ermöglichte zudem der Stammeinheit, auf dienstlichem Wege den Kontakt und Informationsfluss zu den SanOA sicherzustellen.

Sukzessive wurde das „San-Netz“ erweitert und allen Angehörigen des Sanitätsdienstes zugänglich gemacht. Als größte Online-Community der Bundeswehr ermöglichte es den 9 000 zugelassenen Anwendenden eine geräteunabhängige Nutzung über das Internet, was zu digitalen Lehrangeboten, virtuellen Teambildungen und sogar zu Beförderungen per Video(-schaltung) führte. Das dabei entstandene Expertennetzwerk diente als Kompetenzpool, der alle Bereiche der Zusammenarbeit und Lehre abdeckte. Somit förderte es schnelle Kommunikationswege innerhalb des Sanitätsdienstes. Damit wurde der Grundstein für ein modernes Arbeitsumfeld im Informationszeitalter gelegt.

Um die Vorteile der Digitalisierung für alle Angehörigen der Bundeswehr zugänglich zu machen, entwickelten ­Angehörige der Sanitätsakademie der Bundeswehr ­(SanAkBw), der Schule für Informationstechnik der Bundeswehr und des Streitkräfteamts (SKA) als Innovationsträger das „San-Netz“ und die „Bundeswehr Community“ zum Projekt „Link and Learn“ weiter [7]. Als Projekt der Arbeitsgruppe „Technologiegestützte Ausbildung“ wurde mit der Pilotumgebung „Link and Learn“ ein virtueller Ort für Ausbildung und Vernetzung geschaffen, wo effektive Funktionalitäten für die Ausbildung und den Fachaustausch (nicht jedoch zum Austausch von Patientendaten) in einem System zusammengefasst sind. „Link and Learn“ ist modular aufgebaut, basiert hauptsächlich auf Open Source-Anwendungen und ist daher langfristig flexibel und anpassbar an die Bedürfnisse der Bundeswehr.

Der Sanitätsdienst als „digitaler Pionier“ auf „Link and Learn“

Im ersten Quartal 2022 stellte der Sanitätsdienst als Vorreiter der Teilstreitkräfte und militärischen Organisationsbereiche der Bundeswehr auf „Link and Learn“ als internetbasierte Plattform um. Das „San-Netz“ diente als wegweisende Ausbildungs- und Netzwerkplattform. Die Abteilung C der SanAkBw betreute und initiierte alle Services im San-Netz. Das gewonnene Know-how soll auf „Link and Learn“ als Modell für die gesamte Bundeswehr dienen, um einen Kulturwandel in der Ausbildung zu unterstützen.

„Link and Learn“ ist unabhängig vom Endgerät zugänglich für alle Angehörigen der Bundeswehr und der Reserve, die Angebote zur Aus-, Weiter- und Fortbildung nutzen möchten. Die Pilotumgebung und Brückenlösung bietet unter anderem Möglichkeiten zum kollaborativen Arbeiten, zum Wissensaustausch und -transfer sowie zur Nutzung von Lerninhalten und Lernsystemen.

Im November 2023 betonte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Eva Högl, in einem Interview: „Wer mit der Bundeswehr liebäugelt, ist Goldstaub – niemand davon darf uns verloren gehen.“ [16]. Sie unterstrich die Notwendigkeit, gerade zu Beginn mehr Energie zu investieren, um Missverständnisse und Verluste potenzieller Interessenten zu vermeiden. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, die aktuell am Arbeitsmarkt bestehen, befindet sich die Bundeswehr in einem Wettbewerb um die besten Talente.

„Link and Learn“ als digitale, zivil-militärische Schnittstelle

Bereits vor dem Praktikum in einem als akademische Lehrpraxis akkreditierten Sanitätsversorgungszentrum können sich Medizinstudierende auf „Link and Learn“ in eigenen Gruppen anmelden. Momentan besteht für das Sanitätsversorgungszentrum Kümmersbruck und das Sanitätsversorgungszentrum Ingolstadt eine „Link and Learn“-Gruppe. Dies ermöglicht einen frühzeitigen Kontakt zu den betreuenden Sanitätsoffizierinnen und Sanitätsoffizieren und die Möglichkeit, vorab Informationen über den Standort einzuholen. In der Gruppe finden sich zudem Informationen zum Onboarding-Prozess, dem Kasernenplan und wichtige Formulare, die vorab zur Verfügung gestellt werden können. Darüber hinaus werden den Studierenden die Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten, die die Bundeswehr ihren Soldatinnen und Soldaten bietet, sichtbar gemacht. Aus-/Weiter- und Fortbildung spielt eine zentrale Rolle bei der Mitarbeiterbindung, da die Entwicklung von Kompetenzen für 9 von 10 Berufstätigen bei der Wahl ihres (potenziellen) Arbeitgebers wichtig ist [2].

„Link and Learn“ erleichtert die Zusammenarbeit durch Dateimanagement und bietet im „Link“-Teil Funktionen wie „Newsfeed“, „Kalender“ und ein „Wiki“. Der „Learn“-Teil ermöglicht Zugang zu Lernmanagementsystemen, virtuellem Unterricht und Kollaborationstools für das Projektmanagement. Mitglieder des Sanitätsdienstes haben Zugang zu zahlreichen qualitativ hochwertigen Kursen und speziellen sanitätsdienstlichen Kursen im E-Campus.

Dort befindet sich z. B. die virtuelle Bibliothek zur Literaturrecherche mit kostenlosem Zugriff auf zahlreiche Fachzeitschriften und Fachbücher oder auch „eRef“ mit Zugang zu verschiedenen E-Journals und E-Books des Thieme-Verlages. In Zusammenhang mit der Ausbildung in der akademischen Lernpraxis ist vor allem die „Virtuelle Klinik“ hervorzuheben. Sie ist ein internetbasiertes Lern- und Informationssystem. So kann zum Beispiel die ärztliche Leichenschau digital in der virtuellen Klinik ausgebildet werden. Die Möglichkeit, derartige Aspekte digital zu behandeln, eröffnet den Studierenden eine realitätsnahe Erfahrung und vertieft ihre Kenntnisse auf eine Weise, die im herkömmlichen Lehrumfeld nur schwer umsetzbar wäre. Damit trägt die „Virtuelle Klinik“ dazu bei, den Medizinstudierenden eine umfassende Ausbildung zu bieten.

Die qualitativ hochwertigen Fort- und Weiterbildungen, die über „Link and Learn“ zugänglich sind, stellen einen bedeutenden Zusatz-Benefit dar. Durch diese gezielte Förderung wird nicht nur der individuelle Kompetenzaufbau unterstützt, sondern es kann auch eine „Perspektive Personalbindung im Sanitätsdienst der Bundeswehr“ abgeleitet werden.

Durch „Link and Learn“ entsteht eine effiziente Schnittstelle zu angehenden Medizinern und medizinischem Personal. Dank dieser digitalen Infrastruktur wird eine reibungslose Integration auch ziviler Studierender der Medizin in den Sanitätsdienst der Bundeswehr ermöglicht, der sich somit als moderner Arbeitgeber positioniert, welcher die Bedürfnisse der Studierenden ernst nimmt und innovative Wege geht.

Literatur

  1. ABIM Foundation; ACP-ASIM Foundation; European Federation of Internal Medicine: Medical professionalism in the new millennium: a physician charter. Ann Intern Med 2002; 136(3): 243–246.
  2. Bitkom Akademie; HRpepper Management Consultant (2023): Mit Bildung binden: Die Rolle von Weiterbildungen im Wettbewerb um die besten Fachkräfte. <https://bitkom-akademie.de/weiterbildungsstudie-2023>, letzter Aufruf 22. Januar 2024).
  3. Bundesministerium für Gesundheit: Verordnung zur Neuregelung der ärztlichen Ausbildung. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/verordnung-zur-neuregelung-der-aerztlichen-ausbildung.html, letzter Aufruf 18. Dezember 2023.
  4. Detsky AS, Verma AA: A new model for medical education: celebrating restraint. JAMA 2012; 308(13): 1329–1330.
  5. Frenk J, Chen L, Bhutta ZA, et al: Health professionals for a new century: transforming education to strengthen health systems in an interdependent world. Lancet 2010; 376: 1923–1958.
  6. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut: Akkreditierung zur Akademischen Lehrpraxis. https://www.allgemeinmedizin.uk-erlangen.de/lehre/werden-sie-lehrpraxis/, letzter Aufruf 18. Dezember 2023.
  7. https://linkandlearn.auf.bundeswehr.de/ueber-uns, letzter Aufruf 4. Januar 2023.
  8. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Allgemeine Regelung A1–873/0–4005 „Fachliche Qualifikation und Kompetenzerhalt SanDstBw“. Veröffentlicht: 27. Februar 2023.
  9. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Allgemeine Regelung A1–873/0–4022 „Fachliche Qualifikation und Kompetenzerhalt des notfallmedizinischen Sanitätspersonals“. Veröffentlicht: 1. April 2021.
  10. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Allgemeine Regelung C1–873/0–4018 „Kompetenzerwerb Allgemeinmedizin“. Veröffentlicht: 18. Dezember 2017.
  11. Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr: Bereichsvorschrift C1–872/0–4005 “Ausbildung und Verwendungsaufbau der Offiziere des Sanitätsdienstes”. Veröffentlicht: 09. Mai 2017.
  12. Kühlein T, Macdonald H, Kramer B, et al: Scientific Committee of the Preventing Overdiagnosis Conference. Overdiagnosis and too much medicine in a world of crises. BMJ 2023; 382: 1865.
  13. Moriates C, Silverstein WK, Bandeira de Mello R, et al: High-value care education can learn from the evidence-based medicine movement: moving beyond competencies and curricula to culture. BMJ Evid Based Med 2023; Jul 21: bmjebm-2023–112270.
  14. Lassnig, L: Competence-based education and educational effectiveness. A critical review of the research literature on outcome-oriented policy making in education. Reihe Soziologie 111. Wien. Institut für Höhere Studien (IHS) 2015; 1605–8011.
  15. World Health Organization: Health in all policies: Helsinki statement. Framework for country action. The 8th Global Conference on Health Promotion. Helsinki. 2013. ISBN: 978 92 4 150690 8.
  16. Ziedler, C: Interview mit der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Eva Högl, „Tagesspiegel“ vom 10. November 2023, Presse und Informationsamt der Bundesregierung.< https://www.bundestag.de/parlament/wehrbeauftragter/reden/20231110-ts-976914>, letzter Aufruf 24. Januar 2024.

Manuskriptdaten

Ziterweise

Eckstein G, Berger S, Vogl R; Kühlein T, Fischer H: Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin, akademische Lehrpraxis, Digital Health – zivil-militärische Zukunftsoptionen für Regionale Sanitätseinrichtungen. WMM 2024; 68(3): 107-112.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-261

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Georg Eckstein

Sanitätsunterstützungszentrum Kümmersbruck

Sanitätsversorgungszentrum Ingolstadt

Manchinger Str. 1, 85053 Ingolstadt

E-Mail: georgeckstein@bundeswehr.org

Manuscript Data

Citation

Eckstein G, Berger S, Vogl R; Kühlein T, Fischer H: [Networks in medical education, academic primary care practice and digital health – options for civil-military cooperation in regional medical facilities of the Bundeswehr.] WMM 2024; 68(3): 107-112.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-261

For the Authors

Lieutenant Colonel (MC) Dr. Georg Eckstein, MD

Major Medical Clinic Kümmersbruck

Medical Clinic Ingolstadt

Manchinger Str. 1, D-85053 Ingolstadt

E-Mail: georgeckstein@bundeswehr.org

Tagungen und Kongresse PDF

Leben retten unter besonderer Gefahr

Zivil-Militärische Zusammenarbeit: Symposium im Schloss Oranienstein

Die Flutkatastrophe an Ahr und Erft im Sommer 2021 wie auch der seit eineinhalb Jahren andauernde Angriffskrieg gegen die Ukraine haben einerseits die Verwundbarkeit Deutschlands offenbart, und zugleich auch die Bedeutung von Sicherheit deutlich gemacht. Im historischen Ambiente von Schloss Oranienstein fand am 15. September 2023 dazu ein Symposium statt: Experten der Bundeswehr, aus Feuerwehren, Katastrophenschutz und Medizin berichteten von verschiedenen Gefahren- und Bedrohungsszenarien – sehr eindrücklich und unmittelbar aus erlebten Einsätzen und Fällen, aber auch analysierend und flankiert von den medizinischen, organisatorischen und toxikologischen Methoden, um diesen Szenarien zu begegnen.

Abb. 1: Das malerische Schloss Oranienstein in Diez war ein besonders ehrwürdiger und geschichtsträchtiger Ort für das Symposium. Nicht umsonst sprachen die Bundeswehrangehörigen immer wieder von „der schönsten Kaserne Deutschlands“. (Foto: Lukas Reus)

Geschichtsträchtiges Schloss

Mit seiner weiß-gelben Fassade und seinen filigranen Außenarbeiten zieht es sofort den Blick auf sich: Schloss Oranienstein bei Diez an der Lahn entstand zwischen 1672 und 1684 auf den Ruinen des ehemaligen Benediktinerinnenklosters Dirstein als eines der Stammschlösser des niederländischen Königshauses durch die Fürstin Albertine Agnes von Nassau-Diez-Oranien. Es war über die Jahrhunderte Teil einer wechselhaften Geschichte und auch aktuell ist wieder eine „Zeitenwende“ spürbar. Beim Symposium zur gelebten Zivil-Militärischen Zusammenarbeit beherbergte das Schloss, das zum Teil heute als Kaserne genutzt wird, einen Tag lang Expertinnen und Experten, die im restlos gefüllten Saal über verschiedene Themenschwerpunkte referierten. Organisiert wurde das Symposium von der Landesärztekammer Hessen, der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, dem Landeskommando Hessen und dem Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung der Bundeswehr.

Nach der Begrüßung durch Generalstabsarzt Dr. Armin Kalinowski, der kurz in die Aufgaben der Bundeswehr und des Sanitätsdienstes im Speziellen einführte, folgten zunächst Begrüßungsreden durch die Präsidenten der beiden Landesärztekammern. Moderiert wurde der Tag von Oberstarzt d. R. Dr. Ulrich Jürgens.

Abb. 2: Zur Eröffnung sprachen LÄKH-Präsident Dr. Edgar Pinkowski, der Präsident der Ärztekammer Rheinland-Pfalz Dr. Günther Matheis und Generalstabsarzt Dr. Armin Kalinowski (alle von links) (Fotos: Lukas Reus (2), Bundeswehr (1))

Bundeswehr ist unverzichtbar

Dr. Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen, sagte, dass der gegenseitige Austausch dazu diene „von dem Know-how der Bundeswehr zu lernen und natürlich auch umgekehrt.“ Vielen Bürgerinnen und Bürgern sei die Zivil-Militärische Zusammenarbeit unbekannt, obwohl die Bundeswehr im Katastrophenfall für das Land unverzichtbar sei. Er erinnerte beispielsweise an die Hilfe während der Coronapandemie oder der Flutkatastrophe im Ahrtal.

In seiner Rede nahm der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Dr. Günther Matheis, auf die fehlende Anerkennung Bezug, die der Bundeswehr jedoch zustehe. Er hoffe, dass der Truppe auch zukünftig die Mittel zur Verfügung stünden, die häufig von der Politik versprochen würden.

Abb. 3: Abwechslungsreiche Vorträge boten: Oberfeldarzt PD Dr. Dan Bieler, US-Army Major Phil Thomas und Prof. Dr. Dr. Kai Zacharowski vom Universitätsklinikum Frankfurt. Moderation: Oberstarzt d. R. Dr. Ulrich Jürgens (alle von links). (Fotos: Lukas Reus)

Rettung unter Feindbeschuss

Anschließend folgten die Vorträge der Referenten. Den Einstieg machte Oberstabsfeldwebel Monika vom Stein, die über einen ihrer Einsätze in der afghanischen Provinz Baghlan südlich von Kundus und die Rettung beziehungsweise Bergung von Soldaten nach einem Anschlag berichtete. Vom Stein war in Bosnien, Mazedonien, Kosovo und sieben Mal in Afghanistan im Einsatz. In den Wochen und Monaten vor dem Anschlag gab es immer wieder Angriffe durch die Taliban auf Soldatinnen und Soldaten. Am 2. Juni 2011 kam es dann zu einem Sprengstoffanschlag auf einen patrouillierenden Schützenpanzer vom Typ Marder der Bundeswehr. Der Schützenpanzer war dabei an der Spitze einer Einheit unterwegs. Die Explosion des Sprengsatzes sei so gewaltig gewesen, dass es die Triebwerkraumabdeckplatte mit gut 1,5 Tonnen rund 50 Meter von dem Panzer wegschleuderte. Der Marder mit gut 33 Tonnen lag auf dem Kopf in einem mehrere Meter breitem und metertiefem Krater. Bei weiter laufendem Feuergefecht des Rests der Einheit gegen Kämpfer der Taliban führte vom Stein die Triage durch. Sie hatte mit drei Verletzten zu tun. Wenig später wurden die Verletzten per Helikopter ausgeflogen, ein Soldat war allerdings so im Marder eingeklemmt, dass er herausgeschweißt werden musste. „Fünf Stunden dauerte es, bis wir ihn befreien konnten, weil man ihn durch den Panzerstahl nicht rausflexen konnte“, erzählte vom Stein. Der Soldat verstarb jedoch noch am Anschlagsort. In einem Video von der Helmkamera eines amerikanischen Soldaten, der mit dem Evakuierungshelikopter eingeflogen kam, wurden den Teilnehmern des Symposiums anschließend die Behandlung und Bergung aus nächster Nähe gezeigt.

US-Army Major Phil Thomas referierte im Anschluss über die militärischen Ausrüstungsdetails seiner für Medevac (deutsch: Medizinische Evakuierung) spezialisierten Truppe.

S3-Leitlinie Polytrauma

Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Dan Bieler, stellv. Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz, stellte danach Entwicklung und Inhalt der S3-Leitlinie „Polytrauma und prähospitale Traumaversorgung“ unter dem Aspekt des zivil-militärischen Wissenstransfers vor. Bieler war unter anderem Koordinator der S3-Leitlinie Polytrauma. Insgesamt seien 26 Fachgesellschaften und rund 90 Autoren an der Leitlinie beteiligt. 332 Empfehlungen seien aus fünf Konsenskonferenzen entstanden, davon 70 neue Empfehlungen. Bieler ging anschließend auf das Verfahren der Leitlinie ein: „Am Anfang steht die Fragestellung, man sieht sich die Evidenz an, dann gibt es eine Risiko-Nutzen-Abwägung, einen Expertenkonsens und dann kommt die Empfehlung.“ Das Verfahren zeigte Bieler anschließend exemplarisch den Zuhörern und vermittelte ihnen Inhalt, Details und Abwägungen der Empfehlungen.

Hochinfektiöse Erkrankungen: Ebola

Im folgenden Vortrag berichtete Prof. Dr. med. Dr. phil. Kai Zacharowski, stellv. Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, über die zivile Versorgung des Frankfurter Ebola-Patienten aus dem Jahr 2014. Der Patient, der als Kinderarzt für eine Hilfsorganisation in Uganda arbeitete, hatte sich in Sierra Leone infiziert. Am fünften Tag seiner Krankheit wurde er zur Weiterbehandlung nach Frankfurt geflogen und auf eine Isolationseinheit des Universitätsklinikums verlegt. Zacharowski berichtete von der intensiven Vorbereitung, die die freiwilligen Ärzte und Pflegende absolvierten und der negativen Einstellung der Öffentlichkeit, die einen Ebola-Ausbruch in Frankfurt befürchtet habe.

Für den Patienten sei auch eine entsprechende Intensivstation in der Isolationsstation aufgebaut worden. „Das entscheidende beim Arbeiten mit Ebola ist das Ausziehen der Schutzanzüge – wenn man das nicht richtig macht, hat man sich schnell infiziert“, erzählte Zacharowski, „In dem Schutzanzug stehen Sie wortwörtlich innerhalb kurzer Zeit in Ihrem eigenen Schweiß.“ Der Patient sei „voll mit Wasser gewesen“, sowohl an den Extremitäten als auch allen Organen, „so was habe ich noch nie gesehen“, sagte Zacharowski.

Der Patient sei zunehmend respiratorisch insuffizient geworden und musste intubiert und invasiv beatmet werden. Das bei Ebola auftretende Vascular-Leak-Syndrom (VLS) konnte man mit dem Medikament FX-06 behandeln, das ein Fibrin-Fragment enthält, ein Abbauprodukt bei der Blutgerinnung. Das Medikament schließt die durch Ebola entstandenen Öffnungen in den Blutgefäßen, bekämpft aber nicht das Virus selbst. Der Patient habe unter anderem dadurch überlebt und könne heute wieder seinem Beruf nachgehen.

Ehrung für Einsatz

Für ihren Einsatz unter widrigsten Bedingungen wurde Monika vom Stein durch LÄKH-Präsident Pinkowski mit der Silbernen Ehrennadel der Landesärztekammer Hessen geehrt. „Sie haben nicht nur bei dem heute vorgestellten Einsatz das Engagement eines hoch qualifizierten Paramedic bewiesen, sondern auch den Mut, dies unter Gefahr für das eigene Leben zu tun“, sagte Pinkowski.

Abb. 4: Für ihren mutigen Einsatz ehrte Pinkowski Oberstabsfeldwebel Monika vom Stein. (Foto: Lukas Reus)

In der Mittagspause konnten die Zuhörer sich an der Feldküche mit einem Erbseneintopf stärken und auch einen Blick auf und in verschiedene Exponate werfen. So hatte die Bundeswehr unter anderem ein Feldlazarett mit OP-Saal, den Mowag Eagle (gepanzertes Fahrzeug) eines beweglichen Arzttrupps sowie einen geländegängigen Krankentransportwagen Lkw 2t gl Unimog (Abb. 6) des Sanitätsdienstes ausgestellt. Auch verschiedene Exponate der Feuerwehr waren zu sehen, wie etwa der Gerätewagen Erkundung.

Abb. 5: Weitere Referenten waren Ltd. städt. Brandinspektor Oliver Nestler, Oberstabsfeldwebel Monika vom Stein, Dr. Bernhard Kuczewski vom Hessischen Ministerium des Innern und Oberfeldarzt Prof. Dr. Timo Wille (alle von links). (Fotos: Lukas Reus)
Abb. 6: Der Unimog des Sanitätsdienstes kann vier liegende oder sechs sitzende Patienten transportieren und hat eine Besatzung von bis zu drei Soldaten. (Foto: Lukas Reus)

Chemische Kampfstoffe

Der Beitrag von Oberfeldarzt Prof. Dr. Timo Wille widmete sich verschiedenen Vorfällen mit chemischen Kampfstoffen. Im Mittelpunkt standen dabei die Anschläge mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny im August 2020 sowie auf Sergei Wiktorowitsch Skripal und seine Tochter Julija, die beide Anfang März 2018 in einem Park in Salisbury bewusstlos gefunden wurden. Durch die extrem hohe Toxizität des Stoffes mussten im Fall der Familie Skripal 24 Einsatzfahrzeuge vernichtet sowie alle Bereiche, in denen sich die Skripals zuvor aufgehalten hatten, umfangreich saniert werden, berichtete Wille.

Wichtig seien bei Nowitschok zunächst die Diagnostik und Dekontamination. Bei anderen Kampfstoffen sei der Nachweis leichter, da diese häufig verdunsten und so detektiert werden können. Nowitschok habe allerdings die Eigenschaften von Öl und sei deswegen sehr schwer nachzuweisen, da die tödlichen Mengen im niedrigen Milligrammbereich liegen und Spuren mit einem Tupfer gesammelt werden müssen. Der Wirkmechanismus von Nowitschok liege in der Hemmung von Acetylcholinesterase, das den Botenstoff Acetylcholin abbaut. Die Vergiftung verursache Muskelkrämpfe, starke Schmerzen und neurologische Störungen, die epileptischen Anfällen ähneln können; die Opfer drohen schließlich an Atemlähmung zu sterben. Daher sei eine kontinuierliche Beatmung entscheidend. Nachweismethoden von Nowitschok basieren auf dem Wirkmechanismus der Acetylcholinesterase-Hemmung.

Zusammenwirken von medizinischer und analytischer Diagnostik

In eine „alltäglichere“ Situation führte dann Ltd. städt. Branddirektor Dipl.-Chem. Oliver Nestler von der Feuerwehr Dortmund und der Analytischen Task Force Deutschland (ATF). Um die Feuerwehren optimal unterstützen zu können, wurde in Deutschland die sogenannte Analytische Task Force CBRN (chemisch, biologisch, radiologisch und nuklear) eingerichtet. Die ATF besteht aus Einsatzkräften, die besonders für die Bewältigung von CBRN-Fällen ausgebildet werden, und spezialisierter Messtechnik. Insgesamt ist die ATF in acht Städten in Deutschland vertreten. Aufgabe der ATF im Ernstfall ist, die Einsatzleiter vor Ort mit Gefährdungsbetrachtung, einer taktischen Empfehlung und Lösungsvorschlägen zu versorgen. Die ATF habe zudem ein großes Netzwerk an Experten, die in seltenen Fällen mit Know-how unterstützen, so Nestler. Bekannte Einsatzfelder der ATF seien häufig Funde von unbekanntem weißen Pulver, das beispielsweise per Brief versandt wird. Im Ahrtal habe die ATF auch geholfen, weil Apotheken oder Schullabore von der Flut erfasst wurden. 300 bis 400 Einsätze habe die Task Force pro Jahr.

Krisenmanagement

Im letzten Referat stellte Dr. rer. nat. Bernhard Kuczewski vom Hessischen Ministerium des Inneren und Sport das Krisenmanagement staatlicher Stellen in Großschadenslagen am Beispiel Hessens vor. Kuczewski zeigte, wie wichtig Strukturen, Vorbereitung und überlegtes Handeln für eine gute Krisenbewältigung sind.

Lukas Reus

Kommando Regionale Sanitätsdienstliche

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