Schlafapnoe und Fahrtauglichkeit – Interdisziplinäre Therapie eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms
Sleep Apnea and Fitness for Driving – Interdisciplinary Therapy of Obstructive Sleep Apnea
René Thierbacha, Gitta Maria Hermanna
a Sanitätsversorgungszentrum Ulm
Zusammenfassung
Die obstruktive Schlafapnoe ist eine häufige und klinisch bedeutsame Erkrankung, die aufgrund einer resultierenden Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit zu kognitiven Einschränkungen und einem erhöhten Unfallrisiko führen kann. Zur Diagnostik werden Fragebögen und Polygrafie-Untersuchungen herangezogen. In Abhängigkeit vom Ergebnis der Diagnostik kann die Therapie mittels Unterkieferprotrusionsschienen (UPS) erfolgen. Diese führen zu einer Dilatation der Atemwege, zu einer Verbesserung der Sauerstoffversorgung und zur Reduktion von Schnarchgeräuschen. Die Schlafqualität kann hierdurch verbessert werden, wodurch Tagesmüdigkeit und die Häufigkeit von Sekundenschlaf, insbesondere beim Führen von Fahrzeugen, verringert werden können. Die Vorteile der UPS gegenüber anderen Therapieoptionen liegen im Patientenkomfort und der einfachen Anwendung. Die potenziellen Nachteile wie Stellungsänderungen der Zähne, Beeinträchtigungen der Okklusion und Belastungen der Kiefergelenke müssen jedoch unbedingt Beachtung finden. Die Diagnose und Therapie der Schlafapnoe erfolgen interdisziplinär in enger Zusammenarbeit zwischen Humanmedizin und Zahnmedizin.
Schlüsselwörter: Obstruktive Schlafapnoe, Unterkieferprotrusionsschiene, Fahrtauglichkeit, Schlafmedizin
Summary
Obstructive sleep apnea is a common disorder that can lead to cognitive impairment and increased risk of accidents due to daytime sleepiness. In general questionnaires and polygraph examinations are used for diagnosis. Depending on the results of the diagnosis, therapy can be carried out using mandibular advancement devices (MAD). These devices lead to dilation of the airways, an improvement in oxygen supply and a reduction in snoring noises. This can enhance the quality of sleep, reducing daytime sleepiness and microsleep, particularly while driving. The advantages of MAD compared to other therapy options are patient comfort and ease of use. However, it’s important to consider potential drawbacks such as changes in tooth position, occlusion impairment, and strain on jaw joints. The successful diagnosis and treatment of sleep apnea requires close collaboration between medical and dental professionals.
Keywords: Obstructive sleep apnea; mandibular advancement device; fitness for driving; sleep medicine
Einleitung und Hintergrund
Prävalenz
Schlafbezogene Atmungsstörungen (SBAS) gehören zu den häufigsten Schlafstörungen. Insbesondere die obstruktive Schlafapnoe (OSA) spielt dabei mit einer Prävalenz von 40 % bei der deutschen Bevölkerung eine große Rolle [4]. Typische Symptome einer SBAS sind nächtliche, teils ausgeprägte Atempausen, Schnarchen und eine gesteigerte Tagesmüdigkeit oder -schläfrigkeit.
Diagnostik
Zur Erfassung der klinischen Symptomatik können Fragebögen eingesetzt werden. So lässt zum Beispiel die Epworth-Sleepiness-Scale [5] eine eigenanamnestische Aussage über die subjektive Tagesschläfrigkeit zu (Abbildung 1). Die anschließende körperliche Untersuchung wird durch eine apparative Diagnostik ergänzt, wobei sogenannte Polygrafien (PG) zur Anwendung kommen. Zumeist werden hierbei portable Geräte angelegt, die den nasalen Atemfluss, die Atemexkursion von Thorax und Abdomen sowie das Schnarchen, die Sauerstoffsättigung und die Körperlage bestimmen. Vorteil dieser Apparaturen ist ihre ambulante Anwendung, d. h. die Nutzung der PG kann in der gewohnten Schlafumgebung der Patienten erfolgen.
Abb. 1: Epworth-Sleepiness-Scale (ESS)
Ist trotz durchgeführter PG keine definitive Therapieentscheidung möglich, kann eine Polysomnografie (PSG) im Schlaflabor empfohlen werden. Diese umfasst zusätzlich zu den Parametern einer PG die Durchführung eines Elektroencephalogramms, ein Elektroocculogramm sowie ein Elektromyogramm und kann durch weitere diagnostische Untersuchungen wie eine Kapnometrie (transkutane pCO2-Messung), eine Lungenfuntionsprüfung und eine Blutgasanalyse ergänzt werden.
Obstruktive Schlafapnoe
Zur Beurteilung einer OSA wird der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) herangezogen. Dieser beschreibt das Auftreten von Hypopnoen und Apnoen mit einer Dauer von > 10 s und nimmt Bezug auf die jeweiligen Limitationen des Atemflusses (komplett bei einer Apnoe, inkomplett bei einer Hypopnoe). Der AHI beschreibt dabei die Summe aus beiden respiratorischen Ereignissen pro Stunde Schlafzeit. Als pathologisch gilt dabei ein Auftreten von > 5 Ereignissen pro Stunde [3].
Der Schweregrad einer OSA wird entsprechend dem AHI definiert: leichtgradig: 5–15/h, mittelgradig: 15–30/h, schwergradig: > 30/h. Neben dieser etablierten Einteilung finden zunehmend weitere Sub-Entitäten einer OSA, wie z. B. eine rückenlageabhängige OSA oder die Bestimmung des Sauerstoffentsättigungs-Index (Oxygen-Desaturation-Index, ODI) Einzug in die Definition.
Für die Schwere des Krankheitsbildes sollten auch weitere klinische Aspekte wie das Ausmaß der Tagessymptomatik und eventuelle Komorbiditäten Beachtung finden. So ist die Ausprägung der Tagesschläfrigkeit nicht direkt einem Schwergrad einer OSA zuzuordnen. Anatomische Besonderheiten wie Kieferfehlstellungen und Tonsillenhyperplasien können ebenfalls zu einer OSA führen. Am eindeutigsten ist jedoch das Auftreten einer Adipositas mit einer resultierenden Einengung der oberen Atemwege dem pathophysiologischen Mechanismus einer OSA zuzuordnen. Weitere Faktoren wie Dysmorphologien der pharynxdilatierenden Muskulatur oder bestehende Herz- und Niereninsuffizienzen können ebenfalls eine Rolle spielen.
Die klinische Bedeutung der OSA kann sich durch eine Steigerung des kardiovaskulären Risikos für die Patienten zeigen. So können insbesondere Patienten mit schwerer OSA (AHI >30/h) eine arterielle Hypertonie durch die fehlende Blutddruckabsenkung in der Nacht (sog. Non-Dipping) entwickeln [1].
Symptom: Gesteigerte Tagesmüdigkeit
Zumeist zeichnet sich eine OSA durch das Auftreten einer gesteigerten Tagesmüdigkeit oder -schläfrigkeit der Patienten aus. Hierdurch ist das Risiko eines Unfalls bei nicht therapierten Patienten deutlich erhöht. Dies erlangt insbesondere bei Berufskraftfahrern oder anderen Berufsgruppen mit Steuer- und Überwachungstätigkeiten große Bedeutung.
Eine gesetzlich festgelegte Untersuchung dieser Berufsgruppen besteht jedoch derzeit nicht. Liegt eine OSA vor, sollte bis zu einer erfolgreichen Therapie von einer Fahrtätigkeit abgeraten und der Patient ausführlich und aktenkundig über das vermehrte Unfallrisiko aufgeklärt werden. Eine Meldepflicht bei den Führerscheinbehörden oder der Polizei besteht jedoch nicht. Die Einschränkungen für das Führen von Fahrzeugen bei Vorliegen einer Schlafapnoe sind in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geregelt [2]. Hierbei stellt die messbare Tagesschläfrigkeit das entscheidende Kriterium für die Teilnahme am Straßenverkehr dar (Tabelle 1).
Tab. 1: Anlage 4 Fahrerlaubnisverordnung (Auszug, modifiziert nach [2])
Therapie der OSA
CPAP
Die Erstlinientherapie für das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom, insbesondere bei schwerer OSA, besteht in der Regel aus einer kontinuierlichen positiven Atemwegsdrucktherapie (CPAP). Dabei wird Patienten während des Schlafs über eine Maske, die über Mund und/oder Nase getragen wird, ein konstanter leichter Überdruck erzeugt, um die Atemwege offen zu halten und damit die Sauerstoffversorgung zu verbessern. Aufgrund der Nebenwirkungen, wie z. B. Druckstellen, Leckagen und trockene Schleimhäute, beträgt die Therapieadhärenz für die Anwendung von CPAP etwa 60–70 %. Ein Drittel der Patienten benötigt folglich einen alternativen Therapieansatz.
Unterkieferprotrusionsschienen
Ein wichtiger Baustein in der Therapie einer OSA ist daher die Verwendung von Unterkieferprotrusionsschienen (UPS). Dabei handelt es sich um ein zweiteiliges Schienensystem (Ober- und Unterkiefer), das durch einstellbare Konnektoren den Unterkiefer in protrudierter Stellung fixiert [6]. UPS können dabei nach der aktuellen Leitlinie als CPAP-Alternative bei Patienten mit leicht- bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe (AHI ≤ 30/h) eingesetzt werden. Bei Patienten mit schwergradiger Schlafapnoe (AHI > 30/h) kann bei einer CPAP-Intoleranz ebenfalls die Anfertigung einer UPS erwogen werden.
Die UPS werden nach ausführlicher zahnärztlicher Diagnostik individuell angefertigt. Die Empfehlung für die Therapie mittels UPS erfolgt dabei immer durch HNO-Fachärzte, Pulmonologen oder Schlafmediziner. Voraussetzungen sind dabei ein ausreichender guter Zahnstatus, eine generelle Gesundheit des Zahnhalteapparates, eine ausreichende Möglichkeit zur Protrusion des Unterkiefers und das Fehlen von Erkrankungen des Kiefergelenks.
Durch die Vorverlagerung des Unterkiefers wird eine Erweiterung des Oropharynx erreicht, wodurch die respiratorischen Ereignisse wie Apnoen und Schnarchen minimiert werden. Bei Anwendung einer UPS müssen die Patienten ausführlich über unerwünschte Nebenwirkungen, wie z. B. Beschwerden des Kiefergelenks, muskuläre Verspannungen, Okklusionsstörungen und mögliche Zahnstellungsänderungen aufgeklärt werden. Zur Minimierung dieser Nebenwirkungen sind regelmäßige Kontrollen während der UPS-Therapie notwendig.
Weitere Behandlungsoptionen
Neben der Anwendung von apparativen Therapien müssen mit den Patienten Maßnahmen z. B. zur Gewichtsreduktion oder bei lageabhängiger OSA ggf. passive Hilfsmittel besprochen werden. Als weitere therapeutische Alternativen stehen operative Verfahren zur Verfügung, die hier jedoch nur der Vollständigkeit halber Erwähnung finden sollen. Die Therapie einer OSA mit Hilfe einer UPS spiegelt dabei einen multidisziplinären Therapieansatz wider, der am folgenden Beispiel einer mittelgradigen obstruktiven Schafapnoe erläutert werden soll:
Fallbeispiel
Vorgeschichte
Der Patient (männlich, 46 Jahre) war als Berufskraftfahrer schwerer, gepanzerter Fahrzeuge eingesetzt und stellte sich zur Untersuchung auf allgemeine Verwendungsfähigkeit (AVU-IGF) vor. Im Rahmen der Mitbeurteilung der Eignung zum Führen von Fahrzeugen wurden mandatorisch folgende anamnestische Fragen gestellt:
- Schnarchen Sie oder wurde Ihnen berichtet, dass Sie schnarchen?
- Hatten Sie bereits Atemaussetzer?
- Leiden Sie unter Tagesmüdigkeit?
Es ergab sich eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit des Patienten bei sonst unauffälligen Lebensgewohnheiten (unauffälliger Alkoholkonsum und Ernährungsgewohnheiten, regelmäßiger Tagesrhythmus). Schnarchgeräusche wurden von der Lebenspartnerin des Patienten festgestellt.
Diagnostik
Zur erweiterten Diagnostik wurde dem Patienten der ESS (Epworth-Sleepines-Scale)-Bogen ausgehändigt (Abbildung 1). Die Auswertung des ESS ergab in Summe 14 und somit einen Hinweis auf eine pathologische Tagesmüdigkeit. Zum Schutz Dritter wurde dem Patienten eine vorübergehende Fahruntauglichkeit bescheinigt (diese gilt jedoch aufgrund fehlender zivilrechtlicher Grundlagen nur für das Führen von Fahrzeugen im militärischen Kontext) und er wurde zur weiteren schlafmedizinischen Diagnostik an das Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde überwiesen. Im Rahmen einer hier durchgeführten Polygrafie wurde ein mittelgradiges Schlafapnoesyndrom mit einem AHI von 16,8/h und ein ODI von 16,3/h diagnostiziert. Die durchschnittliche Sauerstoffsättigung lag bei 90 %, die minimal gemessene Sauerstoff-Sättigung bei 81 %.
Schlafzahnmedizinische Therapie
Zur Therapie wurde dem Patienten durch den HNO-Facharzt die Möglichkeit einer Unterkieferprotrusionsschiene und die entsprechende Vorstellung bei einem auf dem Gebiet der Schlafmedizin fortgebildeten Zahnarzt empfohlen. Die interne Überweisung zur schlafzahnmedizinischen Therapie erfolgte schließlich auf Veranlassung der betreuenden Truppenärztin an die Zahnarztgruppe Ulm. Hier wurde dem Patienten nach einem Informationsgespräch hinsichtlich des bereits diagnostizierten Schlafapnoe-Syndrom der DGZS-Anamnesebogen (Abbildung 2) ausgehändigt. Die Erörterung des Anamnesebogens ergab ein auch fremdanamnestisch wahrnehmbares Schnarchen, eine vorhandene Tagesmüdigkeit und einen durchschnittlich wenig erholsamen Schlaf.
Abb. 2: Auszug aus dem zahnärztlichen schlafmedizinischen Anamnesebogen der DGZS (der vollständige Anamnesebogen steht in der E-Paper-Version des Beitrags unter wmm-online.de zur Verfügung
Der Patient wies keine systemischen allgemeinmedizinischen Erkrankungen auf. Der Body-Maß-Index (BMI) betrug 26 kg/m2 (185cm und 90 kg). Dies entspricht einem leichten Übergewicht. Der Patient war Nichtraucher. Alkohol wurde unregelmäßig konsumiert.
Erhebung des Zahnstatus
Seit Eintritt des Patienten in die Bundeswehr im Jahr 2001 erfolgten in regelmäßigen Abständen Vorstellungen bei den jeweiligen Truppenzahnärzten. Es wurden bisher ausschließlich konservierende Behandlungen durchgeführt. Der Patient zeigte bisher eine sehr hohe Adhärenz. Die extraorale Befunderhebung ergab keine Auffälligkeiten. Intraoral fand sich ein suffizient versorgter Ober- und Unterkiefer (Abbildung 3). Die Mundhygiene war adäquat. Die Okklusion war beidseits gleichmäßig, es zeigten sich keine Non-Okklusionen. Der Lippenschluss war unauffällig. Pathologische Habite waren ebenfalls nicht nachweisbar. Die funktionelle Situation bzgl. der Kiefergelenke und Kaumuskulatur war palpatorisch schmerzfrei. Es lagen keine Gelenkgeräusche vor. Eine Protrusion war beschwerdefrei und in ausreichendem Maße möglich. Die Mundöffnung betrug 43 mm.
Im radiologischen Befund stellten sich beide Kiefergelenke – soweit beurteilbar – unauffällig dar (Abbildung 4). Die Sinus maxillares zeigten sich ohne pathologischen Befund. Es fanden sich zahlreiche suffiziente Füllungen.
Abb. 4: Panoramaschichtaufnahme zur Diagnostik apikaler und parodontaler Befunde (eine Kiefergelenkdiagnostik ist hierbei nur mit Einschränkungen möglich)
Nach Anamnese und eingehender zahnmedizinischer Diagnostik wurde der Patient über die Möglichkeit der Anfertigung einer Unterkieferprotrusionsschiene aufgeklärt. Die angefertigte Polygrafie wurde besprochen und die Diagnose einer rückenlagebetonten obstruktiven Schlafapnoe erläutert. Aufgrund des AHI von 16,8/h konnte dem Patienten eine Unterkieferprotrusionsschiene empfohlen werden. Diese wird nach Leitlinie bei Patienten mit leicht- bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe (AHI ≤ 30/h) eingesetzt. Die Notwendigkeit einer therapiebegleitenden Gewichtsreduktion wurde mit dem Patienten ebenfalls besprochen.
Einweisung und Anpassung der Unterkieferprotrusionsschiene
Der Patient wurde ausführlich anhand eines Schaumodells über die Anfertigung und Wirkungsweise einer Unterkieferprotrusionsschiene aufgeklärt. Insbesondere wurden mögliche Nebenwirkungen eingehend erläutert und erklärt. Hierzu gehören ggf. Zahnbewegungen, wie eine Reklination der OK-Frontzähne oder eine Proklination der Unterkiefer-Frontzähne, ein seitlich offener Biss oder im Extremfall eine Bewegung des Unterkiefers nach anterior. Des Weiteren können (zumeist temporäre) Bisslageveränderungen, muskuläre Verspannungen, Missempfindungen an den Zähnen und ein verringerter oder vermehrter Speichelfluss auftreten. Eine ausführliche schriftliche Aufklärung des Patienten ist hierbei unabdingbar, um eventuell auftretenden unerwünschten Nebenwirkungen entgegenzuwirken oder sie frühzeitig zu erkennen.
Aufgrund der klinischen zahnärztlichen Befunde und des ausführlichen Patientengesprächs wurde zur Anfertigung der Unterkieferprotrusionsschiene der Hersteller SomnoMed AG (Zug, Schweiz) und das Modell SomnoDent®Fusion gewählt. Nach Abformungen des Ober- und Unterkiefers erfolgte die Vermessung der entsprechenden Kieferrelation und Unterkieferbewegungen (Zentrik, Protrusion) und eine Festlegung der therapeutischen Protrusion mit Hilfe einer individualisierten Bissgabel (SomGauge, SomnoMed AG, Zug, Schweiz, Abbildung 5). Im Anschluss wurden die entsprechenden Messdaten und Unterlagen an ein spezialisiertes zahntechnischen Labor zur Anfertigung der UPS übermittelt.
Abb. 5: Bissregistrat in therapeutischer Protrusion
Zwischenzeitlich konsultierte der Patient erneut seine Truppenärztin zur Beratung bzgl. einer empfohlenen Gewichtsreduktion. Der Zusammenhang zwischen Übergewicht und der Entstehung einer Schlafapnoe wurde dem Patienten nochmals erläutert. Neben ernährungsspezifischen Gesichtspunkten wurde insbesondere eine Erhöhung der sportlichen Aktivität erörtert und ein entsprechender individueller Wochenplan erstellt.
Bei der Anpassung der UPS wurde dem Patienten das individuell angefertigte Modell nochmals erklärt und die verschiedenen Anbauteile (Titrationsschraube, austauschbare Flügel) ausführlich besprochen (Abbildung 6). Anschließend wurde die UPS eingesetzt und der Sitz geprüft. Der Patient wurde nochmals über ggf. auftretende Nebenwirkungen, wie z. B. Okklusionsstörungen nach dem Tragen der Schiene und eventuelle muskuläre Verspannungen aufgeklärt. Zusätzlich erfolgte eine Instruktion hinsichtlich der Pflege der UPS.
Abb. 6: Fertige Unterkieferprotrusionsschiene
Mit dem Patienten wurde ein Wiedervorstellungstermin nach 3 Wochen vereinbart, um nach dieser Gewöhnungsphase eine Kontrolle der UPS vorzunehmen. Bei Schwierigkeiten mit der Anwendung der Schiene oder beim Auftreten anderweitiger Probleme konnte eine Wiedervorstellung jederzeit erfolgen.
Kontrolle und Nachsorge
Nach drei Wochen erfolgte die Wiedervorstellung und eine Kontrolle der Schiene. Der Patient wurde hierzu gebeten die UPS einzusetzen. Die Schiene wurde anschließend auf einen korrekten Sitz und eine spannungsfreie Führung in die therapeutische Protrusion überprüft. Des Weiteren erfolgte ein ausführliches Patientengespräch zur Wirkung und weiteren Verwendung der Schiene.
Der Patient hatte sich sehr gut an die Schiene gewöhnt und nutzte diese in jeder Nacht. Fremdanamnestisch wurden seit Eingliederung keine Schnarchgeräusche mehr wahrgenommen. Er gab an, dass sich die Schlafqualität erheblich verbessert habe, die Tagesmüdigkeit vollständig verschwunden sei und er sich subjektiv leistungsfähiger fühle als vor Therapiebeginn. Morgendliche Okklusionsprobleme seien für etwa 5 min vorhanden, durch eine entsprechende Unterkiefergymnastik jedoch ausreichend behebbar.
Der Patient wurde auf die Möglichkeiten der Feinjustierung (Titration) hingewiesen und gebeten, diese entsprechend zu dokumentieren, um eine entsprechende Kontrolle der Modifikation der UPS zu ermöglichen. Im Idealfall soll die Justierung jedoch unter zahnärztlicher Kontrolle erfolgen.
Aufgrund der subjektiv guten Wirkung der UPS wurde mit dem Patienten besprochen, erneut eine Polygrafie im BwKrhs Ulm zur Kontrolle der Wirksamkeit durchzuführen, dies insbesondere zur Diagnostik der Apnoe und Sauerstoffsättigung unter Verwendung der UPS.
Zur Information wurden dem Patienten weitere schriftliche Erläuterungen mitgegeben, womit nochmals auf eventuelle Nebenwirkungen und notwendige Kontrolltermine (Abbildung 7) hingewiesen wurde. Eine Ausfertigung dieser Unterlagen wurde ebenfalls an den behandelnden Truppenarzt zur Information übersendet.
Abb. 7: Schematische Darstellung der notwendigen Kontrolltermine nach Eingliederung einer UPS
Die Kontroll-Polygrafie wurde im Rahmen einer ambulanten Vorstellung durchgeführt. Es zeigte sich eine deutliche Verbesserung der obstruktiven Schlafapnoe. Hypopnoen konnten nur vereinzelt in Rückenlage diagnostiziert werden. Der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) betrug 4,5/h (vorher 16,8/h). Der Oxygenation Desaturation Index (ODI) wurde mit 5,2/h (vorher 16,3/h) angegeben. Die selbst erhobene Auswertung des Epworth-Sleepiness-Scale betrug 3. Damit zeigt sich keine pathologische Tagesschläfrigkeit. Nach Rücksprache mit der zuständigen Truppenärztin konnte dem Patienten aufgrund der Therapieergebnisse eine vollständige Verwendungsfähigkeit und Fahrtauglichkeit bescheinigt werden. Ein weiterer UPS- Kontrolltermin wurde in ca. 6 Monaten vereinbart.
Diskussion und Fazit für die Praxis
Die obstruktive Schlafapnoe ist eine häufige und klinisch bedeutsame Erkrankung, die aufgrund einer resultierenden Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit zu kognitiven Einschränkungen und einem erhöhten Unfallrisiko führen kann. Die Lebenserwartung der Patienten kann durch einen Anstieg des kardiovaskulären Risikos verringert sein. Es kommt darauf an, die Patienten in einem frühen Krankheitsstadium zu identifizieren, um irreversible Folgeschäden zu minimieren. Neben einer verstärkten Aufklärung unserer Patienten ist ein wichtiger Weg dahin die intensive Zusammenarbeit zwischen den allgemeinmedizinisch tätigen Truppenärzten, den schlafmedizinisch fortgebildeten Zahnärzten, HNO-Fachärzten und den Schlafmedizinern. Dabei spielt eine effektive Information aller beteiligten Ärztinnen und Ärzte über die Diagnostik der Erkrankung und den Fortgang der Therapie eine wichtige Rolle, um zielgerichtet und strukturiert den Patienten durch die therapierelevanten Fachgebiete zu führen. Insbesondere therapiebegleitende Maßnahmen, wie z. B. eine ggf. notwendige Ernährungsumstellung oder eine zahnärztliche Versorgung müssen über die Behandlungsstrecke abgestimmt werden. Die im Verlauf erforderliche allgemeinmedizinische und zahnmedizinische Reevaluation der Therapie unter Einbeziehung der erforderlichen zahnmedizinischen und schlafmedizinischen Diagnostik muss von allen Beteiligten mitgetragen werden, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden.
Literatur
- Aurora RN, Crainiceanu C, Gottlieb DJ, et al.: Obstructive sleep apnea during REM sleep and cardiovascular disease. Am J Respir Crit Care Med 2018; 197(5): 653-660.
- Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesamt für Justiz: Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV), Stand: 13. Dezember 2010. Anlage 4 FeV. , letzter Aufruf 3. Januar 2024. mehr lesen
- DGSM: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen - Schlafbezogene Atmungsstörungen. , letzter Aufruf 19. Januar 2024. mehr lesen
- Fietze I, Laharnar N, Obst A, et al: Prevalence and association analysis of obstructive sleep apnea with gender and age differences - results of SHIP-Trend. J Sleep Res 2019; 28(5): e12770. mehr lesen
- Johns MW: A new method to measure daytime sleepiness. Sleep 1991: 14(6): 540-545. Zitiert nach: , letzter Aufruf 3. Januar 2024. mehr lesen
- Uniken Venema JAM, Rosenmöller BRAM, de Vries N, et al.: Mandibular advancement device design: A systematic review on outcomes in obstructive sleep apnea treatment. Sleep Med Rev 2021; 60: 101557. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Thierbach R, Hermann GM: Schlafapnoe und Fahrtauglichkeit – Interdisziplinäre Therapie eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms. WMM 2024; 68(3): 100-106.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-263
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. René Thierbach
Sanitätsversorgungszentrum Ulm
Stuttgarter Straße 199, 89081 Ulm
E-Mail: renethierbach@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Thierbach R, Hermann GM: [Sleep Apnea and Fitness for Driving – Interdisciplinary Therapy of Obstructive Sleep Apnea]. WMM 2024; 68(3): 100-106.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-263
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. René Thierbach, MD
Medical Clinic Ulm
Stuttgarter Straße 199, D-89081 Ulm
E-Mail: renethierbach@bundeswehr.org