Integrierte Therapieansätze bei chronisch venöser Insuffizienz: Fallbericht eines komplexen Wundmanagements bei chronischem Ulcus cruris postthromboticum
Integrated Therapeutic Approaches to Chronic Venous Insufficiency:
Case Report of Complex Wound Management of a Chronic Postthrombotic Leg Ulcer
Kim Sophie Ennkerb, Tina Uhlmanna,b, Staffan Vanderseeb
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Interdisziplinäres Wundzentrum
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik III – Dermatologie, Venerologie, Allergologie
Zusammenfassung
Präsentiert wird eine multimorbide vorerkrankte Patientin aus dem Wundzentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin mit einer chronisch venösen Insuffizienz und komplexem sowie langwierigem Heilungsprozess eines chronischen Ulcus cruris postthromboticum des linken Unterschenkels. Seit 2021 erfolgten insgesamt fünf stationäre Aufenthalte in unserer Klinik für Dermatologie. Neben dem klassischen Wundmanagement, bestehend aus antiseptischen und antibiotischen Therapien nach mikrobiologischen Resistogramm sowie einer gefäßstatusadaptierten Kompressionsbehandlung, erweiterten wir das Behandlungsspektrum nicht nur um Spalthaut-, sondern auch um Fischhauttransplantationen. Zudem wurde mit dem Ziel einer schnelleren Wundheilung eine lokale Kaltplasmatherapie im Bundeswehrkrankenhaus Berlin erstmalig angewendet.
Wegen vorliegender HIV-Infektion mit assoziierter Panzytopenie war eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kollegen der Infektiologie und Hämato-Onkologie in domo erforderlich. Darüber hinaus wurde die Patientin während einer der stationären Aufenthalte aufgrund einer neutropenie-assoziierten Sepsis mit Fieber und unklaren Fokus isolationspflichtig. Desweiteren präsentierte sich eine Exazerbation der Wundverhältnisse aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion.
Rückblickend verdeutlichte dieser Fall die Notwendigkeit einer konsequenten Kompressionstherapie sowie der Adhärenz und Patienten-Compliance zur langfristigen Aufrechterhaltung von Therapieerfolgen bei Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz assoziierten Ulzerationen.
Schlüsselwörter: chronisch venöse Insuffizienz, Wundmanagement, Hautersatzmaterialien, Kaltplasmatherapie, Kompressionstherapie, Patienten-Compliance
Summary
We present the case of a multimorbid patient from the wound center of the Bundeswehr Hospital Berlin with a chronic venous insufficiency and a complex and protracted healing process of a chronic ulcus cruris postthrombotic of the left lower leg. Since 2021, five inpatient treatments in our Department of Dermatology have proved necessary. In addition to classical wound management based on antiseptic and antibiotic therapies according to the antibiotic sensitivity pattern and compression therapy according to the vascular status, we extended the treatment spectrum by skin grafts and fish skin grafts as well. Additionally, atmospheric plasma therapy was performed. In this case, close interdisciplinary collaboration with colleagues from the Department of Infectious Diseases and Haemato-oncology in our hospital has been necessary due to therapy for HIV with associated pancytopenia. Further on in one of the inpatient stays, it was required to isolate the patient due to neutropenia-associated sepsis with a fever of unclear focus. In another inpatient stay, worsening of the wound conditions associated due to a Covid-19 infection was observed. Retrospectively, this case highlights the urgency of consistent compression therapy, adherence, and patient compliance for long-term maintenance of therapeutic success within patients with leg ulcerations triggered by chronic venous insufficiency.
Keywords: chronic venous insufficiency; wound management; skin substitute; cold plasma therapy; compression therapy; patient compliance
Fallbeschreibung
Vorgeschichte
Im November 2021 erfolgte die erste von insgesamt fünf stationären Aufnahmen einer 57-jährigen Patientin mit einem seit 2013 bestehenden Ulcus cruris am linken Unterschenkel. Dieses habe sich nach einer Sepsis bei bekannten Unterschenkelvarizen des linken Unterschenkels manifestiert. Nach Versorgung mittels Spalthaut ex domo und initial gutem Heilungsprozess erlitt die Patientin nach Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms an besagter Stelle ein Rezidiv. Seither entstanden in unregelmäßigen Zeitabständen rezidivierende Ulzerationen, wobei anamnestisch der zeitliche Verlauf nicht klar eruiert werden kann. Die Patientin berichtete, auch Phasen ohne Ulzerationen gehabt zu haben.
Seit April 2021 habe sich eine persistierende Ulzeration mit zunehmender Progredienz entwickelt. Bereits verordnete maßgefertigte Kompressionsstrümpfe (Klasse II, AD, Rundstrick, geschlossene Spitze, mit Haftrand) tolerierte die Patientin am betroffenen Bein allgemein nur für maximal 2 h pro Tag. Nach eigenen Angaben habe die Patientin sie von 1984–1998 Heroin intravenös konsumiert. Aktuell befinde sie sich in einem Polamidon Substitutionsprogramm. Zusätzlich habe sie 7 pack years Zigaretten. Ein Alkoholkonsum wurde verneint. Sozialanamnestisch lebt die Patientin in einer festen Beziehung in einer gemeinsamen Häuslichkeit und sei selbstversorgend (Tabelle 1).
Tab. 1: Allergien und Vorerkrankungen
Erster stationärer Aufenthalt: Klinisches Bild, Diagnostik und Therapie
Klinisch bestanden am Tag der ersten Aufnahme weder Fieber, Schüttelfrost noch anamnestisch Gewichtsveränderungen. Bei Stuhlgang und Wasserlassen gab es keine Auffälligkeiten (Gewicht: 62 kg, Größe: 173 cm, Ernährungszustand: normosom, Allgemeinzustand: gut).
Der linke Unterschenkel im Bereich des Malleolus lateralis präsentierte ein circa 8,0 x 5,0 x 5,0 cm durchmessendes Ulcus. Bis auf einen rostralen Anteil (18 bis 21 Uhr), befand sich der Wundgrund in der Granulationsphase mit überwiegend festhaftenden Fibrinbelägen und geringer seröser Exsudation. Die Wundränder zeigten sich scharf begrenzt, es bestanden keine Taschen, Fistelbildungen oder Foetor (Abbildung 1). Darüber hinaus bestand eine postinflammatorische Hyperpigmentation mit dezenter Dermatoliposklerose des Unterschenkels. Ödeme waren nicht vorhanden. Bis auf eine Tinea pedis beidseits waren die Hautanhangssgebilde und die einsehbaren Schleimhäute ohne pathologischen Befund.
Im Aufnahmelabor zeigten sich das CRP leicht erhöht und die Leukozyten bei bekannter Panzytopenie erniedrigt. Die mikrobiologischen Befunde ergaben eine Besiedelung mit reichlich Enterobacter clocacae complex, Staphylococcus aureus und mäßig Moraxella catarrhalis. Wir werteten dies als kritische Kolonisation.
Abb. 1: Wunddokumentation im ersten stationären Aufenthalt (11/2021)
Ausschnitt eines linken Unterschenkels mit einer Ulceration (8,0 x 5,0 x 5,0 cm) im Bereich des Malleolus lateralis: Wundgrund mit rosa Granulation, überwiegend festhaftende Fibrinbeläge, kaum seröse Exsudation, Wundrand scharf begrenzt, keine Taschen, keine Fistel, kein Foetor, postinflammatorische Hyperpigmentation mit dezenter Dermatoliposklerose, keine Ödeme
In der angiologischen Basisdiagnostik erbrachte der Ankle Brachial Pressure Index (ABPI) der A. dorsalis pedis (ADP) und tibialias posterior (ATP) links Hinweise auf eine Mediasklerose (>1,4). In einer orientierenden Pulsed-Wave-Doppler-Untersuchung zeigten sich triphasische Flüsse der ADP und ATP rechts sowie biphasische Flüsse der ADP und ATP links. In einer komplettierenden arteriellen farbkodierten Duplexsonographie (FKDS) konnten von der Leiste bis zum Fuß keine Plaques nachgewiesen werden. Links zeigten sich in einem venösen FKDS in der Leistenregion distal der Vv. iliaca externa, femoralis communis und proximal der femoralis superficialis sowie profunda femoris echoreiches thrombotisches Material sowie multiple Kollateralen. Es erfolgte eine orale Antikoagulation mit Rivaroxaban 15 mg (1-0-0 p.o.).
Bei Schmerzen brennender und einstechender Modalität erfolgte der Ausschluss einer Polyneuropathie durch unsere Kollegen der Neurologie. Zur Analgesie im Einklang mit den Schmerztherapeuten leiteten wir Gabapentin bis auf eine Erhaltungsdosis von 400 mg (1-1-1 p.o.) sowie Duloxetin 30 mg (1-0-0 p.o.) ein.
Wegen der Angabe einer Silikonallergie führten wir zum Ausschluss einer kontaktallergischen Komponente einen repetitiven offenen Applikationstest (ROAT) mit silikonhaltigen Externa sowie eine Epikutantestung mit silikonhaltigen Verbandsmaterialien durch. Hier zeigten sich nach 48 h und 72 h keine Reaktionen. Es erfolgte daraufhin zum Wundrandschutz die Anwendung von Hautschutzgel, und als Wundauflage wurde ein ein PU-Schaum verwendet. Im Verlauf wechselten wir bei verstärkter Exsudation auf einen Superabsorber. Die Wundumgebung behandelten wir topisch mit Mometasonfuroat Creme (2 x täglich). Es erfolgte in Vereinbarkeit mit dem Gefäßstatus die Anpassung von individuellen Kompressionsstrümpfen (MKS, Kompressionsklasse 2, Länge AD, geschlossene Spitze, mit Haftrand). Zur weiteren ambulanten Wundversorgung organisierten wir einen Pflegedienst für die Häuslichkeit.
Zweiter stationärer Aufenthalt: Klinisches Bild, Diagnostik und Therapie
Bei ausbleibender Heilungstendenz der Ulzeration (Abbildung 2A) wurde im März 2022 während eines zweiten stationären Aufenthalts eine Spalthauttransplantation vorgenommen. Zur Unterstützung des Anwachsens der Spalthaut erfolgte eine Vakuumtherapie (kontinuierlicher Sog von 75 mmHg). Bei mikrobiologischem Nachweis einer kritischer Kolonisierung mit Staphylococcus aureus, Pasteurella stomatis sowie Enterobacter cloacae therapierten zuvor neben lokal antiseptischen Maßnahmen systemisch antimikrobiell nach Resistogramm mit Clindamycin 600 mg (1-1-1-1) und Ciprofloxacin 250 mg (1-0-1) für insgesamt 9 Tage. Nach Entfernen des Vakuumverbandes am 5. postoperativen Tag zeigten sich keine Infektzeichen und ein zu 100 % vitales Hauttransplant (Abbildung 2B). Einer antiseptischen Behandlung mit Povidon-Jod und assoziierter Auslüftungsphase folgten täglich regelmäßige Verbandswechsel mit Distanzgitter und Kompressionsverband.
A
B
Abb. 2: Wunddokumentation im zweiten stationären Aufenthalt (03/2022)
A: Im Vergleich zum Dezember in der Größe stagnierend: 8,0 x 5,0 x 0,5 cm durchmessendes Ulcus mit überwiegend roter Granulation und nur wenigen fibrinösen Belägen: Der laterale Wundrand ist dezent mazeriert, relativ starke Exsudation, kein Foetor, flächige postinflammatorische Hyperpigmentierung und mäßige Dermatoliposklerose.
B: Verlaufskontrolle nach Spalthauttransplantation vom rechten Oberschenkel: Zu sehen ist ein 100 % vitales Hauttransplantat am 6. postoperativen Tag am linken Unterschenkel. Nach Entfernen eines Vakuumverbandes erfolgte eine antiseptische Behandlung mit Povidon Jod und Auslüftungsphasen sowie anschließender Versorgung mittels Distanzgitter und Kompressionsverband.
Dritter stationärer Aufenthalt: Klinisches Bild, Diagnostik und Therapie
Im Juni 2022 stellte die Patientin sich nach Untergang des Transplantats in der Häuslichkeit (Abbildung 3A) in unserem Wundzentrum erneut ambulant vor. Nach ihrer Aussage wurde die von uns empfohlene Wundversorgung für die Häuslichkeit nicht adäquat verfolgt sowie auch geändert. Einen Tag nach stationärer Aufnahme präsentierte sich das Ulcus nekrotisch (Abbildung 3B). Es erfolgte die Wiederholung der angiologischen Basisdiagnostik, eine chirurgische Wundrevision sowie die Entnahme einer intraoperativen Gewebeprobe zur mikrobiologischen mit einer Biopsie vom Wundrand zur histopathologischen Aufarbeitung. Mikrobiologisch konnten Klebsiella oxytoca und Staphylococcus simulans, Pasteurella carnis und eine Capnozytophage nachgewiesen werden. Bei den beiden letzteren Keimen handelt es sich um gram-negative Mundflora eines Hundes, welche nicht humanpathogen sind. Nach Resistogramm erfolgte daraufhin eine systemische Therapie bestehend aus Sultamicillin 3 g (1-1-1) und lokal eine antiseptische Behandlung. Histologisch ergab sich eine narbige Fibrose passend zu einer chronischen Stauungsdermatitis ohne Anhalt für Malignität. Für eine beschleunigte Wundheilung leiteten wir eine lokale Kaltplasmatherapie ein. Hierbei handelt es sich um ein innovatives Therapieprocedere, das durch die Ionisierung der Umgebungsluft physikalisches Plasma (4. Aggregatzustand) erzeugt und somit keimreduzierend und durchblutungsfördernd wirkt [10].
A
Abb. 3: Wunddokumentation im dritten stationären Aufenthalt (06/2022)
A: Aufnahmebefund: Zustand nach Spalthauttransplantation am 24.März 2022. Größe unverändert zum Ausgangsbefund: 8,0x ٥, x ٠,5cm durchmessendes Ulcus mit überwiegend gräulich-livider blassen Granulation, wenig feste fibrinöse Beläge, scharf begrenzter roter Wundrand, starke Exsudation, starker Foetor, flächige postinflammatorische Hyperpigmentierung und mäßige Dermatoliposklerose.
B: Ein Tag nach stationärer Aufnahme präsentierte sich ein pathologischer Untergang der Zelloberfläche des Ulcus mit einer festhaftenden trockenen bräunlich, gräulich bis schwarzen zum Wundrand abgrenzenden Nekrose, keine Exsudation, kein Foetor
C: 12 Tage nach Wundrevision, antiseptischer Behandlung und Kaltplasmatherapie bestanden optimierte Wundverhältnisse der Ulceration mit einem rosigen Granulationsgrund, wenig lockeren fibrinösen Belägen, scharf begrenztem, reizlosem Wundrand, geringer Exsudation, kein Foetor. Dieses war der Ausgangsbefund für die weitere Wundversorgung (Abbildung 4A.)
B
C
Nach Optimierung der Wundverhältnisse (Abbildung 3C) erfolgte eine alloplastische Weichteildeckung des Ulcus mittels Fischhauttransplantation (Abbildung 4A).Während des stationären Aufenthalts entwickelte die Patientin eine Sepsis mit Neutropenie bei unklarem Fokus und wurde isolationspflichtig. Nach Ausschluss einer Re-Aktivierung der einst durchgemachten Viruserkrankungen (Zustand nach HBV-, HDV-, und HCV-Infektion) sowie unter laufender hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) nach erneuter Kontrolle der HIV-Viruslast und Ermittlung des T-Helferstatus mittels Lymphozytendifferenzierung erfolgte die Vorstellung in der Hämato-Onkologie in domo. Eine Indikation zur Knochenmarkspunktion wurde bei bekannter Trizytopenie nicht gesehen. Der initiale Neutrophilenabfall wurde nicht als Verdrängung gewertet, sondern als sepsis-assoziierte Neutropenie. Der Verdacht lag mehr auf einer Bildungsstörung im Rahmen einer toxischen Markschädigung. Es wurde die kritische Überprüfung der Dauermedikation bzw. deren Wechselwirkungen hinsichtlich der Einnahme myelosuppressiver Substanzen durch den ambulant betreuenden Infektiologen im Verlauf empfohlen.
A
Abb. 4: Verlaufsdokumentation nach Fischhauttransplantation (06/2022)
A: Gemäß der Verfahrensanweisung [9] durchgeführte alloplastische Weichteildeckung des Ulcus mittels Fischhauttransplantation am 28.Juni 2022: Nach Aufweichung in Kochsalzlösung erfolgt die Größenanpassung mit anschließendem Auflegen mit direkten Wundkontakt. Für den Sekundärverband wurde ein Polyurethan (PU)-Schaum als Wundauflage und Kompression nach Pütter Klasse II verwendet.
B: Verbandswechsel nach 7 Tagen: Größe unverändert, gute Adaptation des alloplastischen Transplantats, dunkelrot hochwachsende Granulation. Muster des verwendeten Distanzgitter deutlich erkennbar, mittleres Exsudat, kein Foetor.
C: Verbandswechsel nach 20 Tagen: In Größe abnehmender Defekt, insbesondere im Bereich von 4-9 Uhr; vom Wundrand ausgehende Epitheliasierung, sauberer Wundgrund mit hellroter Granulation, mäßig lockere Fibrinbeläge, Muster des verwendeten Distanzgitter erkennbar.
B
C
Vierter stationärer Aufenthalt: Klinisches Bild, Diagnostik und Therapie
Im August 2022 stellte sich die Patientin bei Zustand nach Spalthauttransplantation 03/2022 und anschließendem Debridement nach nekrotischem Untergang des Transplantates sowie Zustand nach Fischhauttransplantation 06/2022 mit erneut stagnierender Wundheilung mit der Sorge vor einer erneuten Exazerbation vor (Abbildung 5). Sie trage täglich suffizient die medizinschen Kompressionsstrümpfe (MKS) (Klasse II, AD, geschlossene Spitze, mit Haftrand). Mikrobiologisch konnten abermals mäßig Klebsiella oxytoca, mäßig E.coli und vereinzelt Finegoldia magna nachgewiesen werden. Eine systemische Antibiose wurde diesmal bei fehlenden Infektzeichen nicht eingeleitet.
Abb. 5: Wunddokumentation im vierten stationären Aufenthalt (08/2022):
41 Tage nach Fischhauttransplantation, Defekt im Vergleich zum Vorbefund in Größe reduziert (6,5x4,5x0,5cm), stagnierend in der Granulationsphase mit dünnen Fibrinbelägen, vom Randbereich ausgehend ca. 1 mm Epithel; im Randbereich ebenfalls Serokrusten, kein Foetor, keine Mazeration, dezenter Druckschmerz im distalen Bereich, flächige postinflammatorische Hyperpigmentierung und mäßige Dermatoliposklerose
Eine vorbekannte Hepatosplenomegalie habe an Größe zugenommen, was wir mittels einer Abdomen-Sonographie bestätigen konnten. Zusammen mit den Infektiologen und Hämatoonkologen unseres Hauses erstellten wir ein neuerliches interdisziplinäres Therapieregime bei ausgeprägter Abgeschlagenheit. Die mikrobielle Fokussuche nach mit gezielter Fragestellung nach Mykosen und atypischen Keimen sowie die Erythrozytensedimentationsrate (BSG) und eine Röntgenuntersuchung des Thorax ergaben keinen pathologischen Befund. Darüber hinaus wurde eine EBV- und CMV-Reaktivierung ausgeschlossen. Die wiederholte angiologische Basisdiagnostik zeigte sich im Vergleich zu den Vorbefunden ebenfalls unverändert. Neben der lokalen Kaltplasmatherapie und Wundversorgung wurden unter Fortführung der bereits eingeleiteten Kompressionstherapie keine weiteren Maßnahmen ergriffen.
Fünfter stationärer Aufenthalt: Klinisches Bild, Diagnostik und Therapie
Im Januar 2023erfolgte die fünfte stationäre Aufnahme der Patientin mit akuter Verschlechterung der Wundverhältnisse, neuen lividen Verfärbungen und mazerierten Wundrändern. Anamnestisch konnte eine akute AZ-Minderung nach Kontakt mit einer Covid-19 positiven Familienangehörigen erhoben werden. Ein Covid-19-PCR Test zeigte sich positiv, weshalb wir die Patientin mit Nirmatrelvir/Ritonavir (1-0-1 p.o.) behandelten. Nach Einleitung der Therapie präsentierte sich das Ulcus komplett nekrotisch belegt (Abbildung 6A), deshalb wurde eine erneute Wundrevision (Abbildung 6B) mit anschließender Fischhauttransplantation (Abbildung 6C) erfolgte. Mikrobiologisch ließ sich erneut das Erregerspektrum bestehend aus Klebsiella oxytoca, E.coli undStaphylococcus aureus nachweisen, woraufhin für 10 Tage mit Sultamicillin 3 g (1-1-1 systemisch i.v.) therapiert. In einer abermals durchgeführten angiologischen Basisdiagnostik konnte keine Verschlechterung zu den Vorbefunden erhoben werden. Daraufhin versorgten wir die Patientin erneut mit MKS (Klasse 2, AD, Rundstrick, geschlossene Spitze) und konnten Sie mit verbesserten Wundverhältnissen in die Häuslichkeit entlassen (Abbildung 6D).
Rückblickend konnte eruiert werden, dass die Patientin nicht verstanden hatte, dass bei ihrem Grundleiden (post-thrombotischen Syndrom) das Tragen der MKS langfristig indiziert ist, so dass in der Häuslichkeit nach Wundoptimierung die Kompression nicht fortgeführt wurde. Nach dieser Erkenntnis konnte die Patientin in einer ambulanten Verlaufskontrolle uns erfreulicherweise eine nahezu abgeschlossene Wundheilungsphase präsentieren (Abbildung 6E).
A
Abb. 6: Wunddokumentation im vierten stationären Aufenthalt (03/2023)
A: 190 Tage nach Fischhauttransplantation: 5,5x2,5x0,5cm durchmessendes Ulcus, zentral aufliegende trockene feste schwarze Nekroseplatte, scharf begrenzt, reizloser Wundrand, keine Taschen, keine Fistel, kein Foetor; in der Wundumgebung, zur postinflammatorischen Hyperpigmentierung abgegrenzt, frisches Narbengewebe
B: Intraoperative Aufnahme nach Wundrevision: Angefrischter sowie gesäuberter Wundgrund und Wundränder
C: Wie unter Abbildung 4A nach alloplastischer Weichteildeckung des Ulcus mittels azellulärer Fischhaut am 05. Januar 2023.
D: 20 Tage nach Fischhauttransplantation: Bei geringem Exsudat Fischhauttransplantation im Gewebe noch erkennbar, von den Wundrändern ausgehend in Größe abnehmend.
E: Ambulante Verlaufskontrolle 63 Tage nach Fischhauttransplantation: Nahezu vollständig epthelisierte Wunde.
D
E
B
C
Diskussion
Diese Fallvorstellung demonstriert die Komplexität und Vielseitigkeit einer erfolgreichen Therapie bei einer multimorbiden Patientin mit zunächst frustran verlaufendem Wundheilungsprozess eines Ulcus postthromboticum des linken Unterschenkels.
Schätzungen zufolge leiden in Deutschland derzeit 440 000 bis 1,8 Millionen Menschen an chronischen Wunden [6]. Derartige Wunden sind nicht zuletzt aufgrund der beeinträchtigten Lebensqualität der Patienten und der assoziierten Kosten von erheblicher soziodemografischer Relevanz. Eine weitere nicht zu unterschätzende Problematik sind langwierige Heilungsprozesse bzw. ausbleibende Heilungen trotz suffizienten Lokaltherapien und Behandlungen der Grunderkrankung [6].
Azelluläre Matrixpräparate (Fischhaut)
Mit diesem aktuellen Fallbeispiel möchten wir, insbesondere bei komplizierteren Heilungsprozessen, eine Alternative zur chirurgischen, bio-chirurgischen und enzymatischen Wundversorgung als Möglichkeit zur Anwendung in komplizierten Wundversorgungen vorstellen. Azelluläre dermale Matrixpräparate sind wie die mehrheitlich verfügbaren Matrizen porcinen und bovinen Ursprungs (Darmsubmukosa oder Amniongewebe), reich an Zytokinen und Wachstumsfaktoren, die die Zellproliferation und Angiogenese fördern [2][3][5][10].
Bei dem von uns verwendeten Hautersatzmaterial handelt es sich ebenfalls um eine azelluläre Matrix, jedoch ist sie marinen Ursprungs und wird aus der Haut des atlantischen Kabeljaus (Gadus morhua) gewonnen [8]. Die zur Menschenhaut sehr ähnliche Mikrostruktur ist durch einen schonenden Gewinnungsprozess der Dezellularisierung reich an Proteinen und die porenhaltige Oberfläche lässt ein Einwachsen von Fibroblasten und Keratinozyten zu. Durch ein spezielles Konservierungsverfahren, das im Vergleich zu porcinen und bovinen Matrizen eine geringe Denaturierung erfordert, weist die Fischhaut einen sehr hohen Gehalt an langkettigen Omega-3-Fettsäuren auf. Diese dienen als Vorläufer für Synthesen immunmodulatorischer Stoffwechselprodukte, die sich positiv auf das Wundmilieu auswirken [1][2][7]. Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung sind ein sorgfältiges Debridement, eine ausreichende Gewebedurchblutung und eine suffiziente Keimkontrolle. Darüber hinaus sind Nachapplikationen der marinen Wundauflage bei Verbandswechsel möglich und leicht im ambulanten Setting durchführbar [2].
Kaltes atmosphärisches Plasma
Weitere Aspekte, die einen Heilungsprozess chronischer Wunden beeinträchtigen können, sind bakterielle Besiedelung sowie steigende Antibiotikaresistenzen. Mit diesem Fallbeispiel möchten wir eine antimikrobielle Technologie mit breiten Wirkspektrum vorstellen: kaltes atmosphärisches Plasma. Durch Ionisierung der Atmosphärenluft entsteht physikalisches Plasma. Neben fest, flüssig und gasförmig handelt es sich hierbei um den vierten Aggregatzustand der Materie [9]. Im vierten Aggregatzustand entstehen besonders reaktive Radikale wie Superoxidradikale, Hydroxylradikale, Stickstoffmonoxid, Stickstoffdioxid und atomarer Sauerstoff, welche nicht nur bis zu 99,9 % keimreduzierend wirken, sondern auch die Mikrozirkulation der Haut und die Zunahme der Stoffwechselaktivität, insbesondere von Fibroblasten, sowie die Proliferation von Keratinozyten anregen und so die Heilung der Wunden beschleunigen [4][9].
Konsequente Kompressionsbehandlung
In einer systematischen Übersichtsarbeit von Shi et al. über die Vor- und Nachteile einer Kompressionstherapie versus keine Kompression zur Behandlung von venösen Ulzerationen konnte nachgewiesen werden, dass Patienten mit täglicher Kompression einen kompletten Wundverschluss innerhalb von 12 Monaten erreichen können [11]. Darüber hinaus verringert eine konsequent durchgeführte Kompression die Schmerzen und verbessert die Lebensqualität in einem hohen Maß. Rückblickend konnte von Seiten der Patientin bestätigt werden, dass eine insuffizient durchgeführte Kompression, zum einen durch den häuslichen Pflegedienst und zum anderen in Eigenverantwortung, die wahrscheinlichste Ursache der regelmäßigen Exazerbationen der Ulzeration war. Basierend auf dieser Einsicht wurden in den letzten drei Jahren, vermutlich aufgrund der zahlreichen Vorerkrankungen (Tabelle 1), mehrere zeit- und kostenintensive internistische Untersuchungen durchgeführt, die eigentlich nicht unbedingt erforderlich waren und somit hätten vermieden werden können.
In der Nachsorge ist es besonders wichtig, betroffene Patienten nicht nur stringent zur Patienten-Compliance, Adhärenz und Resilienz zu ermutigen, sondern auch die Unterstützung der sozialen Umgebungsstrukturen zu fördern.
Glossar
Abkürzungen |
|
a.e |
am ehesten |
HAART |
highly active anti-retroviral therapy (deut. hochaktive retrovirale Therapie) |
HIV |
Humanes Immundefizienz-Virus |
MDS |
Myelodysplastisches Syndrom |
HBV |
Hepatitis-B-Virus |
HCV |
Hepatitis-C-Virus |
HDV |
Hepatitis-D-Virus |
EBV |
Epstein-Barr-Virus |
CMV |
Cytomegalie Virus |
p.o |
per os (lat. abgekürzt „durch den Mund“) |
Z.n |
Zustand nach |
MKS |
Medizinische Kompressionsstrümpfe |
Danksagung
Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Abteilung für Hämato-Onkologie des Bundeswehrkrankenhauses Berlin insbesondere Dr. med. Albrecht Meyer, für die gute Korrespondenz. Darüber gilt unser Dank Oberfeldarzt Miriam Vosloo, leitende Oberärztin für Gefäßchirurgie des Bundeswehrkrankenhauses, für die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des Wundzentrums.
Bilder: Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Literatur
- Baldursson BT, Kjartansson H, Konrádsdóttir F, et al: Healing rate and autoimmune safety of full-thickness wounds treated with fish skin acellular dermal matrix versus porcine small-intestine submucosa: a noninferiority study. Int J Low Extrem Wounds 2015;14(1): 37-43. mehr lesen
- Baldursson BT, Kjartansson H, Konrádsdóttir F, et al: Healing rate and autoimmune safety of full-thickness wounds treated with fish skin acellular dermal matrix versus porcine small-intestine submucosa: a noninferiority study. Int J Low Extrem Wounds 2015;14(1): 37-43. mehr lesen
- Dorweiler B, Trinh TT, Dünschede F, et al: The marine Omega3 wound matrix for treatment of complicated wounds: A multicenter experience report. Gefasschirurgie 2018; 23(Suppl 2): 46-55. mehr lesen
- Greaves NS, Ashcroft KJ, Baguneid M, Bayat A: Current understanding of molecular and cellular mechanisms in fibroplasia and angiogenesis during acute wound healing. J Dermatol Sci 2013;72(3): 206-217. mehr lesen
- Izadjoo M, Zack S, Kim H, Skiba J: Medical applications of cold atmospheric plasma: state of the science. J Wound Care 2018 1; 27(Sup9): S4-S10. mehr lesen
- Kendall AC, Nicolaou A: Bioactive lipid mediators in skin inflammation and immunity. Prog Lipid Res 2013; 52(1): 141-164. mehr lesen
- Kristina H: Versorgungsepidemiologie des Ulcus cruris in Deutschland. Erkrankungshäufigkeit, Versorgungsqualität und Prädiktoren der Wundheilung. Wiesbaden: Springer 2016.Magnússon S, Baldursson BT, Kjartansson H et al: [Decellularized fish skin: characteristics that support tissue repair]. Laeknabladid. 2015; 101(12): 567-573. mehr lesen
- Manual Kerecis Omega3 OR: Instructions for use. , letzter Aufruf 19. Mai 2023. mehr lesen
- Martusevich AK, Surovegina AV, Bocharin IV et al: Cold Argon Athmospheric Plasma for Biomedicine: Biological Effects, Applications and Possibilities. Antioxidants (Basel) 2022; 11(7): 1262. mehr lesen
- Schultz GS, Wysocki A: Interactions between extracellular matrix and growth factors in wound healing. Wound Repair Regen 2009; 17(2): 153-162. mehr lesen
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Ennker KS, Uhlmann T, Vandersee S: Integrierte Therapieansätze bei chronisch venöser Insuffizienz: Fallstudie eines komplexen Wundmanagements bei chronischem Ulcus cruris postthromboticum. WMM 2023; 67(7-8): 304-311.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-166
Für die Verfasser
Stabsarzt Dr. Kim Sopie Ennker
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik III – Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: kimennker@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Ennker KS, Uhlmann T, Vandersee S: [Integrated Therapeutic Approaches to Chronic Venous Insufficiency: Case Study of Complex Wound Management of a Chronic Postthrombotic Leg Ulcer.] WMM 2023; 67(7-8): 304-311.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-166
For the Authors
Captain (MC) Dr. Kim Sopie Ennker
Bundeswehr Hospital Berlin
Department III – Dermatology, Venerology und Allergology
Scharnhorststr. 13, D-10115 Berlin
E-Mail: kimennker@bundeswehr.org