Plattenepithelkarzinom der unteren Extremität mit Notwendigkeit der Majoramputation – Fallbericht
Squamous Cell Carcinoma of the Lower Limb Requiring Major Amputation – Case Report
Miriam Voslooa,b, Dorin Sach-Schranka,b, Tina Uhlmanna, Christian Willyb
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin,Interdisziplinäres Wundzentrum
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik XIV – Unfallchirurgie, Orthopädie und Septisch-Rekonstruktive Chirurgie
Zusammenfassung
Wir berichten über einen 51-jährigen Patienten, der im Jahre 2022 im interdisziplinären Wundzentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin mit einer nicht heilenden Wunde am linken Fuß stationär behandelt wurde. Primär hatte er 1996 eine schwere Sprengverletzung bei kriegerischen Handlungen in Tschetschenien erlitten.
Die Ursache der chronischen Wunde bestand zum einen in einer infizierten Wundsituation, zum anderen zeigte sich ein bis in die Fußwurzelknochen infiltrierendes Plattenepithelkarzinom mit lymphogener Metastasierung. Eine solche Tumorgenese auf dem Boden persistierender inflammatorischer Prozesse wie chronischen Wunden ist insgesamt selten.
Schlüsselwörter: Plattenepithelkarzinom, Ulcus cruris, Majoramputation, Knieexartikulation
Summary
We report the case of a 51-year-old male patient treated in our interdisciplinary wound center of the Bundeswehr Hospital Berlin in 2022 who presented a non-healing wound on his left foot. Primarily, he had had severe blast injury during warlike confrontation in Chechnya in 1996. The cause of his chronic wound was on one hand an infection, on the other a squamous cell carcinoma with lymphogenic metastases which infiltrated into the tarsal bones. Such carcinogenesis on the base of persistent inflammatory processes like chronic wounds is rare.
Keywords: squamous cell carcinoma; leg ulcer; lower limb amputation; knee disarticulation
Fallbericht
Mit diesem Beitrag möchten wir über einen 51-jährigen Mann berichten, welcher sich im Oktober 2022 über unsere gefäßchirurgische Wundsprechstunde am Bundeswehrkrankenhaus Berlin vorstellte.
Anamnese
Der Patient kam in Begleitung eines Dolmetschers mit einer seit 20 Jahren bestehenden Wunde am linken Fuß. Ursprünglich hatte er im Jahr 1996 eine komplexe Sprengverletzung im Rahmen von Kriegshandlungen in Tschetschenien erlitten. Aufgrund schwerer Weichgewebsverletzungen einhergehend mit einer Osteomyelitis im Bereich des Unterschenkels waren initial wiederholte Operationen erforderlich. Die Zehen waren bereits vollständig amputiert. Die Wundsituation hatte sich in den letzten drei Monaten zunehmend verschlechtert. Auch die Option einer Amputation bei chronischer Osteomyelitis war mit dem Patienten in der Vergangenheit mehrfach thematisiert, jedoch bis dahin immer von ihm abgelehnt worden. Eine ambulante Anbindung an einen Chirurgen hatte der Patient nicht, ebenso keinen ambulanten Pflegedienst. Die Wohnung konnte er bereits seit längerer Zeit nicht mehr verlassen; als Hilfsmittel wurden ein Rollator und Unterarmgehstützen verwendet. Zum Zeitpunkt unserer Konsultation stand für den Patienten ein zermürbender, einschießender Schmerz im Vordergrund der Beschwerden.
Weiterhin waren bei dem Patienten eine Hepatitis C, eine posttraumatische Enzephalopathie, ein HOPS (Hirnorganisches Psychosyndrom), Ein- und Durchschlafstörungen sowie eine arterielle Hypertonie bekannt.
Klinisches Bild bei Erstvorstellung
Am linken Unterschenkel fanden sich massive Narbenstrikturen nach den berichteten Voroperationen. Am plantaren Vorfuß zeigte sich ein 1,5 x 1 x 3 cm messendes Ulcus mit Granulationsgewebe, lateroplantar ein 10 x 7,5 x 1,5 cm messendes Ulcus mit teils feuchten und teils trockenen Nekrosen, kontaktvulnerabel mit starker Blutungsneigung; das Gewebe war zerklüftet und mutete wild wuchernd an. Am Fußstumpf fand sich distal weiterhin eine 3 x 2 cm messende trockene Gangrän. Die Wunden verströmten einen unangenehmen Wundgeruch bei mäßiger bis starker Exsudatmenge (Abbildungen 1 und 2).
Abb. 1: Intialer Lokalbefund nach Verbandsabnahme im Operationssaal: stark überschießendes Gewebewachstum mit Vulnerabilität
Abb. 2: Lokalbefund im stationären Verlauf nach Infektreduktion
Die Leisten, Popliteal- und Fußpulse waren beidseitig tastbar. Die Messungen des Ankle Brachial Pressure Index ergaben einen Wert von 1,37 für den rechten Fuß bei bi- bis triphasischen Signalen in der Continuous-Wave-Doppler-Untersuchung (cw-Doppler), sowie 0,96 am linken Fuß bei monophasischen Signalen. Aufgrund der unklaren Wundsituation sahen wir die Notwendigkeit der stationären Aufnahme zur Ursachendetektion und Therapie der chronischen Wunde.
Stationärer Verlauf und Diagnostik
Zehn Tage nach dem Erstkontakt erfolgte die stationäre Aufnahme in unserem interdisziplinären Wundzentrum im Bereich der Gefäßchirurgie. Wir begannen umgehend mit der standardisierten Diagnostik. Radiologisch bestätigte sich der Verdacht auf eine Osteomyelitis im Bereich der Fußwurzelknochen. Bei monophasischen Flussprofilen im cw-Doppler führten wir weiterhin eine CT-Angiographie durch. Hierbei fand sich ein chronischer Verschluss der A. poplitea im P2-Segment mit guter Kollateralisation, sodass schließlich eine 2-Gefäßversorgung am Unterschenkel bestand. Weiterhin fand sich eine hochgradige Atrophie der gesamten Unterschenkelmuskulatur, passend zur berichteten eingeschränkten Mobilität seit der Sprengverletzung und der seit mindestens einigen Monaten bestehenden Immobilität des Patienten in der Häuslichkeit. Die Fibula fehlte im mittleren Schaftbereich und war im distalen Drittel mit der Tibia knöchern verwachsen. Die Kortikalis der miteinander verwachsenen Mittelfußknochen zeigte sich unscharf begrenzt als Hinweis auf eine chronische Osteomyelitis. Nebenbefundlich fanden sich mehrere Metallsplitterfragmente in beiden Beinen (Abbildung 3). Die transkutane Sauerstoffpartialdruckmessung ergab Werte über 50 mmHg und somit keinen Anhalt für eine unzureichende Gewebeoxygenierung (Grenzwert < 30 mmHg). Im Rahmen der Umfelddiagnostik fand sich in der Echokardiographie eine linksventrikuläre Hypertrophie bei einer LVEF von 55–60 %.
Abb. 3: (A) Im Topogramm des Patienten sind eine Deformität des Unterschenkels und Fußes sowie Splitterreste zu sehen. (B) Das CT zeigt eine Tumorausbreitung in die Fußwurzel.
Wir entschieden uns primär zur Infektreduktion und Materialasservation mittels chirurgischen Debridements. Es erfolgte eine Probengewinnung aus dem tiefen Weichgewebe sowie aus dem Fußwurzelbereich mit Abgabe zur mikrobiologischen und histopathologischen Aufarbeitung.
Mikrobiologie und Histopathologie
Mikrobiologisch bestätigten sich die aus dem bei Aufnahme veranlassten Wundabstrich gewonnenen Keime mit Nachweis von Proteus mirabilis, Staphylococcus aureus, Acinetobacter lactucae, Corynebacterium jeikeium und Enterococcus faecalis. Es erfolgte eine begleitende intravenöse antimikrobielle Therapie mit Ampicillin/Sulbactam für insgesamt 14 Tage.
In der histopathologischen Aufarbeitung des Präparates fanden sich Infiltrate eines niedrig differenzierten Tumors, immunhistochemisch am ehesten einem niedrig differenzierten Plattenepithelkarzinom zugehörig, welches bis in die Resektionslinien reichte (Abbildungen 4 und 5).
Abb. 4: Histopathologischer Nachweis des Plattenepithelkarzinoms am linken Fuß: massive Nekrosen, dann Übergang in strangförmige desmoplastische Bindegewebsareale, darin solide und teilweise glandulär imponierende atypische Zellverbände mit sehr starker Kernpleomorphie, deutlich verschobener Kern-Plasma-Relation, entrundeten Zellkernen, hoher mitotischer Aktivität, dazwischen immer wieder Übergang in landkartenartige Nekrosen
Abb. 5: Immunhistochemie mit Darstellung der plattenepithelialen Marker CK5/6 (Zusätzlich bestand Positivität für p40, partiell EMA, diskret CD 99).
Im Zuge des Stagings fanden sich im CT-Abdomen keine tumorsuspekten Befunde. In der Sonographie wurde ein verdächtiger Lymphknoten supraclaviculär detektiert. Den Empfehlungen der Kollegen der Onkologie unseres Hauses folgend veranlassten wir weiterhin ein PET-CT. Hierbei fanden sich mehrere Lymphknotenmetastasen im mittleren Fibuladrittel sowie proximalen Tibiadrittel. Ebenso fanden sich lymphonodale Metastasen am Aortenbogen und pulmohilär links (Abbildung 6). Weiterhin zeigte sich das Plattenepithelkarzinom am Fuß als bereits ossär infiltrierend.
Abb. 6: PET-CT mit malignomtypischem Hypermetabolismus des Fußes plantar und Infiltration mit Destruktion der Fußwurzel, mehrere Lymphknotenmetastasen des linken Beines mit hypermetabolem Stoffwechsel (ventral des mittleren Fibuladrittels, medial des proximalen Tibiadrittels, popliteal, zentral nekrotisch inguinal)
Wir stellten den Patienten in unserer interdisziplinären Tumorkonferenz vor. Hierbei wurde die Empfehlung der primären Amputation zur lokalen Tumorkontrolle sowie eine anschließende palliative Immuntherapie mit Cemiplimab ausgesprochen. Es folgten mehrere Gespräche mit dem Patienten und seinen Angehörigen über die Diagnose wie auch die Therapieoptionen.
Parallel wurde bereits mit unserem kooperierenden Orthopädietechnikermeister Kontakt aufgenommen, um eine spätere Prothesenversorgung sinnvoll und zügig zu planen. Aufgrund der schweren Vernarbungen am Unterschenkel erfolgte im Konsens mit dem Patienten der Entschluss zur primären Knieexartikulation, welche komplikationslos durchgeführt wurde. Zur Phantomschmerzprophylaxe begannen wir noch am OP-Tag die medikamentöse begleitende Therapie mit Pregabalin. Zusätzlich wurde der Patient psychoonkologisch in unserem Haus betreut. Noch während des stationären Aufenthaltes wurde mit der palliativen Immuntherapie begonnen, welche durch eine ambulante Onkologin fortgesetzt werden konnte.
Die Wunden zeigten sich regelhaft heilend, sodass vor Entlassung die Versorgung mit einem Kompressionsstumpfstrumpf der Klasse I begonnen wurde. Zum Zeitpunkt der Entlassung konnte der Patient an Unterarmgehstützen bereits kleinere Strecken zurücklegen, ein Rollstuhl für die Häuslichkeit wurde organisiert wie auch ein ambulanter Pflegedienst. 14 Tage nach der Kniegelenksexartikulation konnte der Patient uns nachhause verlassen.
Poststationärer Verlauf
21 Tage nach der Knieexartikulation sahen wir den Patienten geplant poststationär in unserer Sprechstunde wieder. Die Wundverhältnisse zeigten sich reizlos, sodass das gesamte Nahtmaterial entfernt werden konnte (Abbildung 7). Für die nachfolgende Woche wurde der nächste Zyklus der Immuntherapie, erstmals im ambulanten Setting, terminiert.
Abb. 7: Knieex-Stumpf eine Woche nach Entfernung des Hautnahtmaterials
Er berichtete bei der Vorstellung vom Beginn der Stumpfformung mit einem Silikonliner, welchen er nun täglich über einige Stunden trage. In der nachfolgenden Woche sei die Vermessung für die Interimsprothese geplant. Dieses würde durch unsere Orthopädietechnikermeister erfolgen, welchen der Patient bereits im stationären Aufenthalt kennenlernte und der die Betreuung auch in der Häuslichkeit fortführen konnte. Die Interimsprothese hat er zwischenzeitlich erhalten (Abbildung 8).
Abb. 8: Patient mit Interimsprothese in der Häuslichkeit, mit UA-Gehstützen sicher mobilisiert
Diskussion
Das Plattenepithelkarzinom der Haut ist das zweithäufigste Malignom der Haut [1]. Eine Entstehung auf dem Boden persistierender inflammatorischer Prozesse wie bei chronischen Wunden ist insgesamt selten [1][2][3]. Im Vordergrund der Behandlung steht bei rein lokaler Manifestation die kurative Exzision [2][4]. Bei weiter fortgeschrittenem Geschehen hingegen müssen Schmerzreduktion, die Vermeidung kritischer Blutungen sowie ein ausreichendes Exsudat- und Geruchsmanagement mit in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden. Die Behandlung sollte durch ein interdisziplinäres Team mit hinreichender Erfahrung erfolgen. Auf dem Boden einer chronischen Wunde finden wir Plattenepithelkarzinome meist in einem weit fortgeschrittenen Stadium, oft einhergehend mit lokaler Destruktion der zugehörigen Knochenstrukturen [5][6]. Eine Amputation, ob nun im Rahmen der kurativen Therapie oder wie in diesem Fall im Zuge der Palliation zur Tumorlast- und Symptomreduktion, ist verständlicherweise eine weitreichende und beeinträchtigende Entscheidung, die die Betroffenen wie auch das behandelnde Team gleichermaßen belastet.
Auch für uns war der Entschluss zur Majoramputation gerade im Fall des für unsere Verhältnisse jungen Patienten kein einfacher, insbesondere da eine kurative Behandlung bei fortgeschrittener, lymphogener Metastasierung nicht möglich war. Im Zuge wiederholter Patienten- und Angehörigengespräche haben wir versucht, die im Vordergrund stehenden Ziele des Patienten zu ermitteln. Für ihn stand die endgültige Versorgung der über Jahrzehnte bestehenden Wunde und die Schmerzreduktion klar an vorderster Position. Das monströse Karzinom des Fußes mit vollständiger Aufhebung der originären Fußanatomie und somit auch die Unfähigkeit, einen Schuh zu tragen, machten ihm das Verlassen der Wohnung seit mehreren Monaten unmöglich. Eine Teilnahme an einem normalen Leben war für ihn schier undenkbar, sodass die Indikation zugunsten der Amputation getroffen wurde.
Besonder in solchen komplexen Situationen ist ein interdisziplinäres Behandlungsteam bestehend aus Angehörigen der Disziplinen Gefäßchirurgie, Wundtherapie, Orthopädietechnik, Dermatologie, Sozialdienst und ambulanter Onkologie essenziell, um den Betroffenen auch nach Verlust einer Extremität eine optimale Versorgung und Unterstützung anzubieten.
Literatur
- AWMF: S3-Leitlinie Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut, Version 2 – Dezember 2022., letzter Aufruf 5. Juni 2023. mehr lesen
- Brantsch KD, Meisner C, Schonfisch B et al: Analysis of risk factors determining prognosis of cutaneous squamous-cell carcinoma: a prospective study. Lancet Oncol 2008; 9: 713-720. mehr lesen
- Bogdanov-Berezovsky A, Cohen AD et al: Risk factors for incomplete excision of squamous cell carcinomas. J Dermatolog Treat 2005; 16: 341-344. mehr lesen
- Leiter U, Gutzmer R, Alter M et al: Kutanes Plattenepithelkarzinom. Hautarzt 2016; 67: 857-866.
- Stratigos A, Garbe C, Lebbe C et al: Diagnosis and treatment of invasive squamous cell carcinoma of the skin: European consensus-based interdisciplinary guideline. Eur J Cancer. 2015; 51: 1989-2007 mehr lesen
- Stratigos A, Garbe C, Dessinioti C et al. European interdisciplinary guideline on invasive squamous cell carcinoma of the skin: Part 2 Treatment. Eur J Cancer. 2020; 128: 83-102 mehr lesen
Bildquellen:
Abbildungen 1, 3, 6–8: BwKrhs Berlin
Abbildung 2: Fr. Brigitte Matheis, Fachtherapeutin Wunde, Berlin
Abbildung 4, 5: Dr. Friederike Kauer, Pathologie Berlin
Manuskriptdaten
Zitierweise
Vosloo M, Sach-Schrank D, Uhlmann T, Willy C: Plattenepithelkarzinom der unteren Extremität mit Notwendigkeit der Majoramputation – Fallbericht. WMM 2023; 67 (7-8): 279-283.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-172
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Miriam Vosloo
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Interdiszplinäres Wundzentrum
Fachbereich Gefäßchirurgie
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: miriamvosloo@bundeswehr.org">miriamvosloo@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Vosloo M, Sach-Schrank D, Uhlmann T, Willy C: [Squamous Cell Carcinoma of the Lower Limb Requiring Major Amputation – Case-Report]. WMM 2023; 67 (7-8): 279-283.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-172
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Miriam Vosloo
Bundeswehr Hospital Berlin
Interdisciplinary Wound Center
Section Vascular Surgery
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: miriamvosloo@bundeswehr.org