Schwerer Wundinfekt mit drohendem Beinverlust – Fallbericht
Severe Wound Infection with Risk of Limb Loss – Case Report
Dorin Sach-Schranka,b, Miriam Voslooa,b, Christian Willyb
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Interdisziplinäres Wundzentrum
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik XIV – Unfallchirurgie, Orthopädie und septisch-rekonstruktive Chirurgie
Zusammenfassung
Wir berichten über einen 55-jährigen Patienten, der im interdisziplinären Wundzentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin mit einem phlegmonösen Weichgewebsinfekt, ausgehend vom rechten Unterschenkel, stationär behandelt wurde. Die schwere Weichgewebsinfektion bestand vorwiegend auf dem Boden einer Infektion durch Streptococcus pyogenes (Streptokokken der Gruppe A) und erforderte mehrere ausgiebige und großflächige Debridements, um den Beinerhalt zu gewährleisten. Die Deckung des Defektareals erfolgte mittels Spalthauttransplantation.
Schlüsselwörter: schwerer Wundinfekt, Phlegmone, Beinverlust, chronische Wunde, Streptococcus pyogenes
Summary
We report the case of a 55-year-old male patient treated at the interdisciplinary wound center of the Bundeswehr Hospital Berlin who presented a severe phlegmon in his right lower leg. The severe wound infection was caused by Streptococcus pyogenes (alpha streptococcus) and required numerous extensive debridements to save the lower leg. The skin defect was covered using a split-skin graft.
Key words: severe wound infection; phlegmon; limb loss; chronic wound; streptococcus pyogenes
Fallbericht
Wir berichten von einem 55-jährigen Mann, welcher im Januar 2023 über unsere Rettungsstelle aufgenommen wurde. Der Patient war zu diesem Zeitpunkt wohnungslos und auf die Hilfe karitativer Hilfsorganisationen angewiesen.
Anamnese und Befund
Bei Aufnahme berichtet der Patient von einer seit mehreren Wochen bestehenden Problematik im Bereich des rechten Unterschenkels, welche in den letzten drei Wochen von einer progredienten Schwellung und Rötung gezeichnet gewesen sei. Zwei kleinere Abszesse waren von ihm selbst bereits eröffnet worden. In einem anderen Krankenhaus waren wenige Tage vor unserer Konsultation bereits eine einfache Abszessinzision mit Spülung der Wundhöhle und Primärverschluss erfolgt. Das Nahtmaterial war noch in situ.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme zeigten sich Ober- und auch Unterschenkel deutlich gerötet und geschwollen. Zwei von außen sichtbare Abszessformationen am Unterschenkel entleerten sich bereits auf manuellen Druck. Es fanden sich deutlich sichtbar insgesamt drei münzgroße Abszesse (Abbildung 1). Sonografisch fanden sich diffuse Flüssigkeitsstraßen im Subkutangewebe. Interessanterweise fanden sich im Aufnahmelabor die Leukozyten lediglich dezent erhöht mit 9,2 x 109/l (Referenz: 4,23–9,07 x 109/l) bei einem CRP von 204,3 mg/l (Referenz: 0–5 mg/l). Im Zuge der gefäßchirurgischen Umfelddiagnostik ergaben sich keine Anhalte für einen Diabetes mellitus oder eine relevante arterielle Durchblutungsstörung. Nach Asservierung von Blutkulturen und tiefen Wundabstrichen wurde nach Hausstandard eine kalkulierte intravenöse antimikrobielle Therapie mit Piperacillin/Tazobactam und Clindamycin begonnen.
Abb. 1: Aufnahmebefund mit diffuser Rötung und Schwellung und teilweise bereits eröffneten Abszessen
Stationärer Verlauf
Intraoperativ präsentierte sich beim Debridement das gesamte Infektionsausmaß. Das subkutane Fettgewebe war nekrotisch und es fanden sich multiple Einschmelzungen. Es war eine großzügige Gewebeinzision vom dorsolateralen Oberschenkel beginnend über die Kniekehle bis zur Malleolengabel erforderlich. Schließlich wurden aufgrund der Tiefe des Infektes eine partielle Fasziektomie am Unterschenkel und ein großflächiges Wunddebridement an Ober- und Unterschenkel notwendig mit großflächiger Resektion von Haut und Unterhautgewebe (Abbildung 2). Es kam noch während der Operation zur Kreislaufdepression infolge septischer Einschwemmung, sodass der Patient intubiert und mit medikamentöser Kreislaufunterstützung direkt auf unsere Intensivstation übernommen werden musste.
Abb. 2: Intraoperativer Befund nach erstem Debridement mit Resektion aller massiv entzündlich veränderten und untergegangenen Gewebsareale
In der mikrobiologischen Untersuchung fanden sich im Wundabstrich und in den intraoperativ entnommenen Gewebeproben führend Streptococcus pyogenes also Streptokokken der Gruppe A sowie ein Enterobacter cloacae. Die Antibiotikatherapie wurde resistogrammgerecht auf Ampicillin/Sulbactam und Ciprofloxacin umgestellt. Bei mehrfachem Nachweis von Corynebacterium striatum sowohl in den Blutkulturen als auch nach Anreicherung in den Wundabstrichen wurde Linezolid ergänzt. So gelang die zügige Stabilisierung des Patienten, sodass eine Extubation und am vierten Tag die Verlegung auf unsere gefäßchirurgische Normalstation möglich wurden.
Im weiteren Verlauf erfolgten programmierte Re-Look-Operationen mit wiederholten Debridements der Wunden. Zur temporären Wundabdeckung wurde eine Vakuumversiegelungstherapie begonnen, welche im Zuge der Operationen entsprechend gewechselt wurde. Insgesamt waren elf Wechsel des Vakuumverbandes notwendig. Aufgrund einer Arrosionsblutung bei derangierter Gerinnungssituation im Zuge des septischen Krankheitsbildes war weiterhin eine Hämatomausräumung erforderlich. Im Verlauf zeigten sich die Wundverhältnisse daraufhin zunehmend gebessert, die antimikrobielle Therapie konnte schließlich nach 14 Tagen beendet werden. Aufgrund eines Re-Infektes mit Corynebacterium striatum kam es zu einer erneuten Abszedierung in der Muskelloge des dorsalen Oberschenkels, welche chirurgisch saniert werden musste. Schließlich gelang uns 4 Wochen nach der primären Operation die großflächige Spalthauttransplantation zur Defektdeckung der Wundflächen, wobei der kontralaterale Ober- und auch Unterschenkel als Spenderareal genutzt werden mussten. Die Meshdeckung erfolgte in einer Vergrößerung von 1:6, wie es sonst bei Verbrennungspatienten üblich ist (Abbildung 3).
Abb. 3: Klinischer Befund nach Abnahme der Vakuumtherapie, 5. Postoperativer Tag nach Meshgraft-Deckung
Wegen der umfangreichen Gewebedefekte am gesamten rechten Bein wurde der Patient zur Kontrakturprophylaxe physiotherapeutisch beübt. Er konnte uns nach 11 Wochen dauerndem stationärem Aufenthalt schließlich verlassen (Abbildung 4). Dank der Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst gelang die Unterbringung des Patienten in einem Wohnheim einer gemeinnützigen Hilfsorganisation mit integriertem Pflegestützpunkt zur Gewährleistung der weiteren fachgerechten Wundversorgung. Auch konnten wir die Wiederaufnahme in eine gesetzliche Krankenkasse sowie die Meldung beim Jobcenter durchsetzen.
Abb. 4: Aufnahmen mit zunehmend einheilender Meshgraft zum Entlassungszeitpunkt
Diskussion
Auch wenn eine kutane Entzündung prima vista klein erscheint, können diese schweren Phlegmonen der Weichteile eine zunächst von außen nicht sichtbare Ausdehnung annehmen. Die wahre Größe wird häufig erst während der Exploration im Operationssaal erkennbar [4]. Teils imponiert das Infektgeschehen zu Beginn wie ein Erysipel, sodass es zu einer verzögerten operativen Sanierung kommen kann [3]. Insbesondere eine Infektion mit Streptococcus pyogenes verursacht schwerwiegende Weichgewebsinfekte der Extremitäten, nicht selten bis an das Faszienniveau reichend.
Therapeutisch ist eine radikale chirurgische Sanierung mit Entfernung aller infizierten Areale essenziell [5]. Als Ultima ratio muss ggf. auch eine (partielle) Fasziektomie oder sogar die Amputation der Extremität durchgeführt werden, um das Leben der Patienten zu retten. Dieses Erkrankungsbild hat auch in Zeiten der modernen Medizin weiterhin eine nicht geringe Letalität [1].
Auch klein erscheinende Abszesse der Extremitäten sollten korrekt chirurgisch saniert werden. Eine primäre Naht eines unzureichend sanierten Abszesses darf nicht erfolgen. Neben der primär chirurgischen Therapie muss die resistenzgerechte, hochdosierte antimikrobielle Therapie zwingend beachtet werden. Hier ist eine gute Kooperation mit einer leistungsstarken Mikrobiologie wichtig. Goldstandard bei Streptococcus pyogenes-Infektionen ist weiterhin die parenterale Gabe von Penicillin oder Ampicillin bzw. die zusätzliche Gabe von Clindamycin zur Toxinbildungshemmung bei schweren septischen Verläufen [2]. Die alleinige antimikrobielle Therapie ersetzt jedoch niemals die Operation.
Insbesondere Personen aus dem Milieu der Obdachlosigkeit oder Drogenabhängigkeit fallen wiederholt durch das Raster des Gesundheitssystems. Wir sehen sie häufig erst zu einem sehr späten Zeitpunkt der Erkrankung. Unzureichende Sprachkenntnisse, die überdurchschnittlich häufig begleitende Polytoxikomanie oder der begleitende Alkoholmissbrauch erleichtern den Umgang mit ihnen nicht. Die unzureichende bzw. häufige nicht vorhandene Kostenübernahme erschweren vielen Krankenhäusern die Versorgung von obdachlosen Menschen, sodass aufgrund des Kostendruckes trotz bestehender medizinischer Indikation meist keine ausreichend lange Behandlung möglich ist.
In unserem Fall gelang die Reintegration des Patienten in das GKV-System. Diese sollte – wenn immer möglich – in Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst angestrebt werden. Eine gültige Krankenversicherung erleichtert die Behandlung dieses speziellen Klientels erheblich.
Fazit
Tiefreichende und schwere Wundinfektionen sind weiterhin eine große Herausforderung im chirurgischen Alltag. Lokalisierte Abszesse lassen sich oft durch kleine Inzisionen adäquat behandeln. Anders stellt es sich bei den Phlegmonen der Weichteile der Extremitäten dar. Hier findet sich nicht selten ein von außen unterschätztes Infektgebiet, welches ein radikales Debridement erfordert. Die Ausdehnung der Infektion zeigt sich teilweise erst intraoperativ in vollem Ausmaß, sodass plötzlich ungeplante, großflächige Schnitterweiterungen, insbesondere in die Tiefe der Gewebe, auch unterhalb des Faszienniveaus, erforderlich werden können. Ein radikales, schichtenübergreifendes Debridement in Kombination mit einer resistogramm-gerechten antimikrobiellen Therapie sind Kernelemente der Behandlung dieses unterschätzten Erkrankungsbildes. Ursächlich findet sich meist eine Infektion mit Streptococcus pyogenes.
Es ist wahrscheinlich, dass sich unter den Bedingungen eines militärischen Konflikts vergleichbare Wundinfektionen wie im vorgestellten Fall gehäuft finden werden.
Bildquellen
Abbildungen 1-4: BwKrhs Berlin
Literatur
- Lamagni TL, Darenberg J, Luca-Harari B et al: Strep-EURO Study Group; Jasir A. Epidemiology of severe Streptococcus pyogenes disease in Europe. J Clin Microbiol.; 46(7): 2359-2367. mehr lesen
- Robert Koch-Institut: RKI-Ratgeber Streptococcus pyogenes-Infektionen. , letzter Aufruf 6. Juni 2023. mehr lesen
- Rodrigues MA, Caetano M, Amorim I et al: Dermo-Hipodermites Bacterianas Agudas Não Necrotizantes: Erisipela e Celulite Infeciosa [Non-Necrotizing Acute Dermo-Hypodermal Infections: Erysipela and Infectious Cellulitis]. Acta Med Port 2021; 34(3): 217-228. mehr lesen
- Rongisch R, Fabri M. Weichgewebeinfektionen [Soft tissue infections]. Hautarzt. 2022; 73(3): 223-233. Erratum in: Hautarzt. 2022 May; 73(5):398. mehr lesen
- Veyssier-Belot C, Lejoyeux-Chartier F, Bouvet et al: Cellulites et autres infections cutanées sévères à Streptococcus pyogenes [Erysipelas, cellulitis and other severe Streptococcus pyogenes skin infections]. Presse Med. 1999; 28(35): 1959-1965. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Sach-Schrank D, Vosloo M, Willy C: Schwerer Wundinfekt mit drohendem Beinverlust – Fallbericht. WMM 2023; 67(7-8): 289-291.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-171
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dorin Sach-Schrank,
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik XIV – Unfallchirurgie, Orthopädie und septisch-rekonstruktive Chirurgie, Fachbereich Gefäßchirurgie
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: dorinsach@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Sach-Schrank D, Vosloo M, Willy C: [Severe Wound Infection with Risk of Limb Loss – Case Report]. WMM 2023; 67(7-8): 289-291.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-171
For the Authors
Major (MC) Dorin Sach-Schrank
Bundeswehr Hospital Berlin
Department XIV –Trauma Surgery, Orthopedics, Reconstructive Surgery – Section Vascular Surgery
Scharnhorststraße 13, D-10115 Berlin
E-Mail: dorinsach@bundeswehr.org