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COVID-19-Impfstoffdistribution
Anja Stichelb, Johannes Rätzerb, Anja Raupachb, Martin Papea,
a Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial, Quakenbrück
b Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung, Weißenfels
Zweifelsfrei sehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Entwicklung und Anwendung wirksamer und sicherer Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 ein Licht am Ende des Tunnels, um die nunmehr seit März 2020 andauernde Pandemie zu beenden. Entsprechende positive Studienergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffkandidaten einzelner Hersteller, wie etwa BioNTech oder AstraZeneca, im Spätsommer 2020 stärkten die Hoffnung auf ein „normales“ Leben. Mit der Zulassung des ersten COVID-19-Impfstoffes Ende 2020 durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA und das Paul-Ehrlich-Institut war deren nationale Verteilung sicherzustellen. Nach einem Amtshilfeersuchen des Bundesministeriums für Gesundheit zur Unterstützung bei der Verteilung wurde das Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial (VersInstZ SanMat) Quakenbrück zum Dreh- und Angelpunkt zur Impfstoffdistribution für die gesamte Bundesrepublik.
Einleitung
Mit der Bereitstellung der ersten COVID-19-Impfstoffe Ende 2020 stellte sich die Frage, wie deren Verteilung an die Impfeinrichtungen der Bundesländer schnell und sicher erfolgen könne. Mit einem Amtshilfeersuchen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) startete die Beteiligung des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg) an der nationalen Impfstoffdistribution. Im Rahmen dieser Amtshilfe wurden seitens des BMVg im dritten Quartal des Jahres 2020 die Planungen zur Impfstoffdistribution, Aufnahme, Bewirtschaftung und versandfertigen Bereitstellung für zivile Frachtführer zwecks Auslieferung an die Verteilzentren der Bundesländer finalisiert. Der Standort Quakenbrück wurde gegenüber der EU als zentrales deutsches Verteilzentrum für die deutschen COVID-19-Impfstoffanteile angezeigt.
Aus diesem Verteilzentrum werden für das BMG im Sinne der Amtshilfe die Impfstoffverteilzentren der Bundesländer, der zivile pharmazeutische Großhandel sowie zahlreiche Dienststellen anderer Bundesministerien und Bundesbehörden beliefert. Im Rahmen der Impfkampagne Bundeswehr sind neben der Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin alle drei Versorgungs- und Instandsetzungszentren Sanitätsmaterial (VersInstZ SanMat) Blankenburg, Pfungstadt und Quakenbrück in die Distribution der COVID-19-Impfstoffe involviert und beliefern – neben den regionalen Sanitätseinrichtungen – die Einsatzgebiete der Bundeswehr und die militärischen Auslandsdienststellen.
Vorbereitung
Um die deutschlandweit und außerhalb des Geschäftsbereiches des BMVg zu realisierende Verteilung der verfügbaren Covid-19-Impfstoffe sicherstellen zu können, war die Erteilung einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52a Arzneimittelgesetz erforderlich. Diese Genehmigung wurde durch den Arzneimittelüberwachungsbeauftragten der Bundeswehr als „zuständige Behörde“ für die aufsichtsbehördliche Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln in der Bundeswehr erteilt und erforderte die ablauforganisatorische Aufstellung einer Teileinheit „Pharmazeutischer Großhandel“ des VersInstZ SanMat Quakenbrück. Zusätzlich wurden mit dem Ziel, ad hoc Impfstoffdosen in Millionenmenge aufnehmen zu können, umfangreiche materielle und infrastrukturelle Vorbereitungen getroffen. Diese gingen von Absicherungsmaßnahmen der Bundeswehrliegenschaft über Schaffung von zusätzlichen Lagerungskapazitäten bis hin zur Beschaffung entsprechender Schutzausrüstung für das Arbeiten bei Temperaturen im Tiefkühlbereich. Hinzu kamen Maßnahmen zur revisionssicheren Bewirtschaftung des Impfstoffes sowie die Etablierung administrativer und koordinativer Abläufe, um im Rahmen des Qualitätsmanagements Fehlerquellen auszuschließen sowie um flexibel und zielgerichtet auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren zu können.
Durch die im zeitlichen Verlauf der Impfstoffdistribution vorgenommenen infrastrukturellen Anpassungen können derzeit – mit Schwerpunkt in Quakenbrück (einschließlich Bundeswehrapotheke Wilhelmshaven) – in allen drei VersInstZ SanMat insgesamt etwa 50 Millionen COVID-19-Impfstoffdosen gelagert und bewirtschaftet werden.
Abb. 1: Lagerbestände und -kapazitäten für COVID-19-Impfstoffe am LogHub Quakenbrück (Stand KW 47/2021)
PhaGro – der Pharmazeutische Großhandel Quakenbrück
Im Dezember 2020 wurde erstmalig COVID-19-Impfstoff am Standort Quakenbrück aufgenommen und ab Januar 2021 im Zuführprinzip an die Verteilzentren der Bundesländer geliefert.
Die Teileinheit Pharmazeutischer Großhandel des VersInstZ SanMat Quakenbrück ist dabei das nationale zentrale Impfstoffverteilzentrum des Bundes im Sinne eines pharmazeutischen Großhändlers und der logistische Hauptumschlagpunkt (LogHub) zwischen der pharmazeutischen Industrie und den Verteilzentren der Bundesländer. Ausgehend vom Standort Quakenbrück erfolgt die gesamte COVID-19-Impfstoffdistribution für Deutschland und aktuell die alleinige Versorgung der pharmazeutischen Großhändler.
Bis Redaktionsschluss (10. Februar 2022) wurden und werden kontinuierlich auf Weisung des BMG die Impfstoffkontingente der Pharmazeutischen Unternehmen Astra Zeneca AB (Vaxzevria/Covid-19 Vaccine AstraZeneca®), Janssen-Cilag International NV (Covid-19 Vaccine Janssen®), Moderna Biotech Spain (Spikevax®) und BioNTech Manufacturing GmbH (Comirnaty®) auf die Verteilzentren der Bundesländer und derzeit auch an die zahlreichen zivilen pharmazeutischen Großhändler verteilt. Durch Letztere erfolgt anschließend die Belieferung ziviler Impfzentren und Apotheken. Diese Apotheken wiederum beliefern Arztpraxen, welche die COVID-19-Impfungen durchführen dürfen, mit dem entsprechend zuvor angeforderten Impfstoff. Insgesamt wurden so bis einschließlich Dezember 2021 ca. 90 Millionen Impfstoffdosen umgeschlagen.
Impfstoffdistribution – national und in der Bundeswehr
Nach Zuweisung eines Impfstoffkontingentes für die Bundeswehr startete Anfang Februar 2021 die „Impfkampagne Bundeswehr“. Das Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung (Kdo SanEinsUstg) übernahm hierbei die Federführung für die Umsetzung der Lagerung und Distribution der COVID-19-Impfstoffe. Ausgehend vom Pharmazeutischen Großhandel Quakenbrück, erfolgte auf Weisung Kdo SanEinsUstg die Verteilung des verfügbaren Impfstoffkontingentes auf die VersInstZ SanMat Pfungstadt, Blankenburg und Quakenbrück. Gemäß Absprache mit Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung (Kdo RegSanUstg) wurde von diesen für die Grundversorgung mit Sanitätsmaterial zuständigen VersInstZ SanMat wiederum die wöchentliche Impfstoffdistribution durchgeführt.
In erster Priorität wurden die Impfzentren an den Standorten mit isolierter Unterbringung von kurz vor der Verlegung in den Einsatz stehenden Soldatinnen und Soldaten mit Impfstoff versorgt, um so deren Erstimpfung zu gewährleisten. Zur zeitgleichen Sicherstellung der Erstimpfungen von bereits im Einsatz befindlichen Soldatinnen und Soldaten wurden in enger Abstimmung mit dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr entsprechende Impfstoffmengen in die Einsatzgebiete geliefert. Dies erfolgte unter Beachtung der besonderen und dadurch logistisch herausfordernden Lagerungs- und Transportbedingungen der Impfstoffe. Die aufgrund der Anwendungsbeschränkung für die Vektorimpfstoffe1 notwendige Anpassung des „Versorgungskonzeptes Einsatz“ auf das Vakzin Spikevax® des Herstellers Moderna Biotech Spain bedingte die Umstellung auf bisher in der Regelversorgung (einschließlich der Einsatzgebiete) nicht angewendete Transportverfahren (begleiteter Transport) und -systeme. Hierbei handelte es sich um spezielle Primärtransportverpackungen. Deren Verwendung ermöglichte es, die Einhaltung der spezifischen Transportbedingungen hinsichtlich der Sicherstellung der Temperaturstabilität während eines festgelegten Zeitfensters zu gewährleisten.
Abb. 2: Impfstoffdistribution in der Bundeswehr: Zwischen Wareneingang von der Industrie (Ende KW X) bis zur Durchführung der Impfung im Sanitätsversorgungszentrum (KW X+2) liegen weniger als 2 Wochen.
In einem weiteren Schritt erfolgte die Versorgung der Sanitätsunterstützungszentren und deren nachgeordneten Bereiche. Unter Berücksichtigung der Richtlinien zur Impfpriorisierung gemäß den Vorgaben des Bundes konnte so mit der flächendeckenden Impfung aller Angehörigen des Geschäftsbereiches des BMVg begonnen werden. Zum gesamten Spektrum der zu Versorgenden gehören selbstverständlich auch die Angehörigen der zahlreichen militärischen Auslandsdienststellen und der im Ausland befindlichen Bundeswehrverwaltungsstellen. Hinzu kommen die regulär durch die Bundeswehr mitversorgten Dienststellen der Bundespolizei, deren Versorgung mit Covid-19-Impfstoff somit ebenfalls übernommen wurde.
Im Rahmen der Amtshilfe zur Impfstoffdistribution hat die Bundeswehr mit den drei VersInstZ SanMat, sowie der Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin zusätzlich die Belieferung zahlreicher Dienststellen des Bundes und anderer Ministerien übernommen. Aus dem Impfstoffkontingent des Bundes heraus wurden die verschiedenen Bundesdienststellen, u. a. des Auswärtigen Amtes, des Bundesfinanzministeriums, des Bundesjustizministeriums und des Bundestages individuell mit Covid-19-Impfstoff beliefert.
Seit April 2021 sind, unter ständiger Anpassung, aktuell bis zu 62 Standorte des zivilen pharmazeutischen Großhandels in die nationale Impfstoffdistribution eingebunden.
Abb. 3: Nationale Distribution der Impfstoffe aus dem VersInstZ SanMat Quakenbrück (VIZ QUA)
Logistik
Maßgeblich in der Verteilung befinden sich aktuell die mRNA-basierten Impfstoffe der Pharmazeutischen Unternehmen Moderna Biotech Spain und BioNTech Manufacturing GmbH. Für die vektorbasierten Impfstoffe gelten auch in der Bundeswehr, entsprechend den Richtlinien des Robert Koch-Institutes, Anwendungsbeschränkungen, sodass diese nur noch im Einzelfall ausgeliefert und verimpft werden.
Abb. 4: Der Umgang mit Produkten, die im Ultra-Tiefkühlbereich gelagert werden müssen, erfordert große Sorgfalt, Fingerspitzengefühl und Risikobewusstsein.
In Anbetracht besonderer Aufbewahrungs- und Transportbedingungen der einzelnen Impfstoffe und der daraus resultierenden unterschiedlichen Haltbarkeiten mussten zur Gewährleistung einer maximalen Verwendbarkeitsdauer mannigfaltige Maßnahmen ergriffen werden. Ausgehend vom Lieferanten über den Transport bis hin zum Empfänger wurden entsprechende und teilweise gänzlich neue Verpackungs- und Transportsysteme sowie zusätzliche Lagerkapazitäten geschaffen, um die Anwendbarkeit des Impfstoffes über einen größtmöglichen Zeitraum zu garantieren. So sind in den VersInstZ SanMat eigens Ultratiefkühlschränke zur Impfstofflagerung und entsprechende Schutzbekleidung zur Impfstoffbewirtschaftung beschafft worden. Durch das VersInstZ SanMat Quakenbrück wurden zusätzliche Lagerflächen außerhalb der militärischen Liegenschaft angemietet und integriert, um weitere Ultratiefkühlcontainer aufstellen zu können. Die Lagerkapazitäten konnten somit auf nahezu 50 Millionen Impfdosen erhöht werden, wodurch, bei entsprechender Zuweisung, auch die Möglichkeiten zur Bildung von Redundanzen hinsichtlich der verfügbaren Impfstoffkapazitäten vorhanden sind.
Abb. 5: Die Prozesse Wareneingang (A), Einlagerung (B), Chargenkontrolle (C), Verpackung, ggf. mit Trockeneiszugabe (D und E) und Absteuern in den Versand (F) gingen nahtlos ineinander über.
Die gesamte Impfstoffdistribution sowohl im Rahmen der Amtshilfe für das BMG als auch innerhalb der Bundeswehr ist eine komplexe logistische Leistung. Diese war und ist nur im Verbund unter Einbindung aller logistischen Player und gezielter Koordination und Steuerung von zivilen Transportdienstleistungen durch das Logistikzentrum der Bundeswehr umsetzbar.
Abb. 6: Die Sicherung von Impfstofftransporten, die von der Firma Hellmann durchgeführt wurden, durch die Bundespolizei war anfangs ein ungewohnter Anblick für die Angehörigen des VersInstZ SanMat Quakenbrück.
Für die VersInstZ SanMat ist die Distribution der Impfstoffe hinsichtlich der personellen, infrastrukturellen und materiellen Kapazitäten ein Zusatzauftrag zur eigentlichen Versorgung der regionalen Sanitätseinrichtungen und Einsatzkontingente der Bundeswehr mit Sanitätsmaterial wie Arzneimitteln und Medizinprodukten. Eine strukturierte (Um-)Organisation, Priorisierung der Aufträge und optimierte Personalstruktur einschließlich externer Personalunterstützung gewährleistet auch unter COVID-19-Arbeitsbedingungen eine qualitativ hochwertige Versorgung aller Bedarfsträger.
Versorgungsumkehr
Als nationales zentrales Impfstoffverteilzentrum ist das VersInstZ SanMat Quakenbrück in dieser Funktion ebenfalls mit der Wälzung der vorhandenen und bewirtschafteten Impfstoffkontingente beauftragt. In diesem Zusammenhang kam dann auch der Zeitpunkt, ab dem die Rücknahme nicht verbrauchter Impfstoffdosen aus den Impfstoffverteilzentren der Bundesländer und (in deutlich geringerem Umfang) deren Umverteilung in Zusammenarbeit mit den drei VersInstZ SanMat einen deutlichen Schwerpunkt bei der Impfstoffdistribution bildete. So entwickelte sich die durch das BMVg in Zusammenarbeit mit dem BMG und dem Auswärtigen Amt verfügte Abgabe von Impfstoffkontingenten im Rahmen der europäischen und internationalen Länderhilfe.
Abb. 7: Oftmals sehr kurzfristig mussten Lieferungen im Rahmen der internationalen Hilfe – wie hier für Ägypten – vorbereitet werden.
Ausgehend vom LogHub in Quakenbrück wurden hinsichtlich des Transportvolumens nicht unerhebliche Impfstoffkontingente unter anderem in die Ukraine sowie nach Ghana, Vietnam, Namibia und Ägypten disponiert. Die Koordination und Steuerung der Transporte erfolgten durch das Auswärtige Amt in Verbindung mit dem BMVg. Die zeitlich häufig als ad hoc-Auftrag herzustellende Verlegebereitschaft einschließlich aller Maßnahmen zur Einhaltung der Transportbedingungen über den gesamten Transportzeitraum oblag dem LogHub und damit dem VersInstZ SanMat Quakenbrück.
Fazit
Der Auftrag des VersInstZ SanMat Quakenbrück als nationales zentrales Impfstoffverteilzentrum wird zusätzlich zum Grundbetrieb, zum originären Versorgungsauftrag sowie zur Impfstoffdistribution im Rahmen der Impfkampagne Bundeswehr wahrgenommen. Dies wurde mit der „In-Dienst-Stellung“ einer Teileinheit Pharmazeutischer Großhandel und der damit einhergehenden Einnahme einer Arbeitsgliederung realisiert. Eine Umverteilung der Versorgungsaufträge im Grundbetrieb zwischen den drei VersInstZ SanMat und die im Rahmen der Impfstoffdistribution unerlässliche externe personelle und materielle Unterstützung aus dem Organisationsbereich Streitkräftebasis und dem Bereich des Kdo SanEinsUstg erlaubten es, den Auftrag Impfstoffdistribution mit qualitativ und quantitativ hochwertigen Arbeitsergebnissen und ohne Einschränkungen in der sanitätsdienstlichen Grundbetriebsversorgung zu bewältigen.
Auch wenn aus dem VersInstZ SanMat Quakenbrück die Masse der Leistungen zur Erfüllung dieser nationalen Aufgabe erfolgte, muss betont werden, dass dieses eine Gemeinschaftsleistung des Sanitätsdienstes und speziell dessen Bereich Wehrpharmazie war. Die Entwicklung und Implementierung gesetzeskonformer Verfahren durch den Arzneimittelüberwachungsbeauftragten der Bundeswehr – also der für die gesamte Bundeswehr zuständigen Aufsichtsbehörde für die Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften – schuf dabei eine ganz wesentliche Grundlage, den Auftrag zur Impfstoffdistribution erfolgreich zu erfüllen. Das System „Wehrpharmazie“ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr konnte in einer bisher nie dagewesenen Krisensituation seine Leistungsfähigkeit und Flexibilität unter Beweis stellen.
Für die Verfasser
Oberfeldapotheker Anja Raupach
Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung
Abteilung G4 – Dezernat G4.1
E-Mail: anjaraupach@bundeswehr.org
1 Aufgrund des Auftretens einzelner Thrombosefälle vornehmlich bei jüngeren Menschen wurde die Anwendung von Vektorimpfstoffen bei Impflingen jünger als 60 Jahre ab März 2021 nicht mehr empfohlen.
Sicher üben unter Pandemie-Bedingungen (COVID-19):
„Alligator Sword 2021“
Gemeinsames Handeln, Entschlossenheit und Disziplin als Schlüssel zum Erfolg
Niels Alexander von Rosenstiela
a I. Deutsch-Niederländisches Korps – Korpsarzt, Münster
Zusammenfassung
Die Übung „Alligator Sword 2021“ mit mehr als 1 200 Übungsteilnehmenden aus insgesamt 14 Nationen hat gezeigt, dass ein Übungsvorhaben mit internationaler Beteiligung unter strikter Einhaltung der 2G-Plus- und AHA+L Regeln im Rahmen eines spezifischen Infektionsschutz- und Hygienekonzepts auch unter COVID-19-Pandemiebedingungen sicher durchgeführt werden kann. Damit ist ein zukunftsfähiges Modell im Sinne einer „Best Practice“ zur risiko-adaptierten Durchführung von militärischen Übungen in der Corona-Krise vorhanden.
Schlüsselwörter: COVID-19, Pandemie, militärische Übungen, Infektionsschutz, Hygienekonzept, internationale Zusammenarbeit
Keywords: COVID-19, military exercises, infection prevention, hygienic concept, international cooperation
Einleitung
Um einer Verbreitung von SARS-CoV-2 (severe acute respiratory coronavirus type 2) innerhalb der Streitkräfte und von dort ggf. in die Bevölkerung hinein entgegenzuwirken, wurden seit Anfang 2020 zahlreiche fest eingeplante Ausbildungs- und Übungsvorhaben sowie Übungsbeteiligungen auf ein Mindestmaß reduziert.
Für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, insbesondere die angemessene Vorbereitung von Soldatinnen und Soldaten auf Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen, sind Ausbildungen und Übungen jedoch unerlässlich. Denn Handlungssicherheit dient letztlich dem Schutz des militärischen Personals im Einsatz.
Durch gezielte Infektionsschutzmaßnahmen (wie insbesondere Impfungen gegen COVID-19) sowie Infektionsschutz- und Hygienekonzepte der Truppe ist es der Bundeswehr mittlerweile möglich, eine risikominimierte Durchführung auch größerer Übungsvorhaben zu gewährleisten. Dies soll im Folgenden am Beispiel der Übung dargestellt werden, die unter der expliziten Maßgabe der „2G-Plus-Regel“ sowie einem spezifischen Infektionsschutz- und Hygienekonzepts durchgeführt wurde.
„Alligator Sword 2021“ fand im November 2021 mit mehr als 1 200 Teilnehmenden aus 14 Nationen am Gefechtssimulationszentrum des Heeres in Wildflecken sowie mit kleineren Kontingenten an den Standorten Bardufoss (Norwegen), Székesfehérvár (Ungarn) und Veitshöchheim statt. Dabei beübte das I. Deutsch-Niederländische Korps in seiner Rolle als „Professional Training Platform“ die 10. Panzerdivision in einem Artikel 5-Szenario. Zusätzliche Teilnehmende waren die „Brigade Nord“ aus Norwegen und die „Multinational Division Centre“ aus Ungarn.
Maßnahmen der Infektionsprävention
2G-Plus-Regel
Im Hinblick auf die aktuelle pandemische bzw. epidemiologische Situation sowie der Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten aus anderen Nationen – und damit gegebenenfalls aus COVID-19-Hochrisikogebieten – wurde die Übung „Alligator Sword 2021“ unter strikter und konsequenter Einhaltung der 2G-Plus-Regel durchgeführt. Das bedeutete, dass nur gesunde und vollständig geimpfte oder genesene Personen an der Übung teilnehmen konnten. Eine weitere Voraussetzung zur Übungsteilnahme war ein tagesaktuell negatives Testergebnis eines Antigen-Schnelltests, der als fachdienstlich beaufsichtigter Selbsttest durchgeführt wurde. Bei einem positiven Testergebnis erfolgte die weitere Abklärung (wie beispielsweise ein entsprechender PCR-Test) über die zuständige Sanitätseinrichtung vor Ort.
Abb. 1: Kontrolle des Immunisierungsstatus („2G“) vor Übungsbeginn
Abb. 2: Instruktion zur Selbstdurchführung von Corona-Antigen-Selbsttests
Infektionsschutz- und Hygienekonzept
Sowohl die 2G-Plus-Regel als auch das spezifische Infektionsschutz- und Hygienekonzept für „Alligator Sword 2021“ waren die Grundlage, die das gemeinsame Üben der oben genannten Verbände unter Pandemiebedingungen (COVID-19) ermöglichte. Die detaillierten Handlungsempfehlungen bezogen sich dabei insbesondere auf
- Übungsteilnehmende (und deren Gesundheits- und Impfstatus),
- Besucherregelung,
- Kontaktdatenerfassung,
- Testung,
- Maßnahmen und Vorgehen bei positivem Antigen-Schnelltest,
- Maßnahmen und Vorgehen beim Auftreten von Krankheitssymptomen/-zeichen,
- die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln,
- Tragen von partikelfiltrierenden Halbmasken (FFP2, KN95 oder N95),
- Trennwände,
- Lüften und
- Verhalten in Innenräumen und im Freien.
Abb. 3: Tägliche Corona-Antigen-Selbsttests während der Übung
Abb. 4: Während der Übung galt, wie hier beim Lagevortrag, außer für den jeweiligen Vortragenden Maskenpflicht (Lagekarte wurde verpixelt).
Die einzelnen Handlungsempfehlungen basierten dabei auf aktuellen wissenschaftlichen Grundlagen sowie den relevanten gesetzlichen bzw. rechtlichen und fachlichen Vorgaben in der jeweils zum Übungszeitpunkt gültigen Fassung. So waren im Hinblick auf das Infektionsgeschehen aus Gründen der Fürsorge (Soldatengesetz § 10 Abs. 3, § 31) sowie im Rahmen der Erfüllung der gesetzlich vorgegebenen Infektions- und Arbeitsschutzaufgaben Maßnahmen zum Schutz der Übungsteilnehmenden an den Standorten Wildflecken und Veitshöchheim zu treffen. Darüber hinaus galt es, der Fachlichen Leitlinie zum Gesundheits- und Infektionsschutz im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie in der Bundeswehr Rechnung zu tragen. Schließlich mussten aufgrund der internationalen Beteiligung an der Übung die Regelungen der Corona-Einreiseverordnung des Bundes sowie der Corona-Schutzverordnung des Freistaates Bayern berücksichtigt werden.
Die oben genannten, während der Übung geltenden Regeln, wurden rechtzeitig im Vorfeld der Übung durch den Verfasser mit der zuständigen Überwachungsstelle für Öffentlich-Rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ÜbwStÖffRechtlAufgSanDstBw – Kurzform: ÜbwSt) Süd abgestimmt. Diese wurden durch den Kommandierenden General des I. Deutsch-Niederländischen Korps erlassen und anschließend mit den an der Übung teilnehmenden Verbänden transparent und überzeugend kommuniziert.
Erfahrungen und Bewertung
Aus den bei „Alligator Sword 2021“ gewonnenen Erkenntnissen lässt sich die Effizienz der oben genannten Maßnahmen zum Infektionsschutz primär numerisch daran festmachen, dass kein COVID-19-Fall unter den Übungsteilnehmenden zu verzeichnen war. Zudem wurde seitens der Truppe attestiert, dass sämtliche Maßnahmen sehr gut praktisch umzusetzen waren und dies auch mit hoher Professionalität und (Selbst-)Disziplin – nicht zuletzt bei der fachlichen Dienstaufsicht durch den Generalarzt des Heeres als auch der ÜbwSt Süd – in beeindruckender Weise unter Beweis gestellt wurde.
Disziplin – Selbstdisziplin
Die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse unterstreichen, dass Disziplin zur „Seele“ der Streitkräfte gehört und ein herausragend wichtiger Erfolgsfaktor ist. Disziplin bedeutet Organisation, Konsequenz und eine klare Aufteilung von Pflichten. Disziplin, also das Anpassen des eigenen Verhaltens an Regeln, gelingt dabei nur durch Anstrengung, was Anstrengungsbereitschaft, also Selbstdisziplin, voraussetzt. Diese setzt zwingend voraus, dass die Soldatinnen und Soldaten einen Sinn in ihren Aktivitäten erkennen und sehen, dass ihre Anstrengungen Früchte tragen und sich auf die Zukunft auswirken. Denn so entsteht ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, und die innere Gewissheit, dass Ereignisse selbst beeinflusst werden können.
Vertrauen
Die Übung machte auch die fundamentale Bedeutung einer soliden Vertrauensbasis zwischen Vorgesetzten und Soldatinnen und Soldaten deutlich. So hat das Vorleben von Selbstdisziplin durch Vorgesetze ihre Soldatinnen und Soldaten motiviert, dieses Verhalten zu übernehmen und – auch unter genannten Bedingungen und Corona-Regeln – ihr Bestes zu geben. Die Selbstdisziplin wurde zudem dadurch gefördert, dass Vorgesetzte ihren Soldatinnen und Soldaten etwas zutrauten und sie so ihre Fähigkeiten und Kompetenzen ausbilden und wahrnehmen konnten. Schließlich war Selbstdisziplin in den „Flow“-Momenten zu erkennen, in denen Soldatinnen und Soldaten sich voll und ganz einer Aufgabe widmen und sehr engagiert sowie autonom arbeiten. Die Glücksgefühle und die Motivation, die durch den „Flow“ ausgelöst werden, erhöhten damit das Durchhaltevermögen für die Aufgabe, den Übungserfolg insgesamt und schließlich auch das Selbstwertgefühl der an der Übung Teilnehmenden.
Differente nationale Regelungen
Im Rahmen der Planung und Vorbereitung der Übung „Alligator Sword 2021“ wurde auch deutlich, dass die Impfempfehlungen, die in nationaler Verantwortung liegen, teilweise erheblich voneinander differieren. Die Unterschiede beziehen sich dabei nicht nur auf die Duldungspflicht einer Corona-Schutzimpfung für Soldatinnen und Soldaten, sondern betreffen auch die verwendeten Corona-Impfstoffe, die Empfehlungen zur Grundimmunisierung sowie zu Optimierungs- und Auffrischungs-/Booster-Impfungen. So mussten beispielsweise aus Ungarn vorgesehene Übungsteilnehmende der „Multinational Division Centre“, die in ihrem Heimatland mit dem dort üblicherweise verwendeten Impfstoff „Sputnik V“ geimpft worden waren, eine neuerliche Grundimmunisierung mit einem der in der EU zugelassenen Impfstoff absolvieren, damit sie entsprechend ohne weitere Auflagen nach Deutschland einreisen und an der Übung teilnehmen konnten.
Bewährung von Regelungen
Der bei Übungsbeginn durchführte Antigen-Schnelltest zeigte bei zwei ungarischen Soldaten im Rahmen des „In-Processings“ ein positives Testergebnis, sodass die in diesem Falle vorgesehenen zu ergreifenden Maßnahmen sofort bei Übungsbeginn einem Praxistest unterworfen wurden. Diese sahen die unmittelbare weitere Diagnostik und Behandlung im Sanitätsversorgungszentrum Wildflecken sowie eine daran anschließende Isolierung in einem extra dafür vorgesehenen und ausgestatteten Quarantäne-Gebäude in der Rhön-Kaserne vor. Glücklicherweise nahm der Krankheitsverlauf der beiden Kameraden, bei denen die Diagnose COVID-19 durch einen entsprechenden PCR-Test bestätigt wurde, einen milden Verlauf. Sie konnten nach einigen Tagen der Isolierung in gutem Allgemeinzustand vom Militärflughafen Wunstorf nach Ungarn repatriiert werden.
In der Gesamtschau der gewonnenen Erkenntnisse zeigte sich daher, dass im Hinblick auf das Ziel einer größtmöglichen Risikominimierung die Implementierung und konsequente Einhaltung der 2G-Plus-Regel sowie das strikte Befolgen der bekannten Infektionsschutz- und Hygieneregeln, wie insbesondere der „AHA+L“- Regeln:
- Abstand halten,
- Hygiene bzgl. Niesen, Husten und Hände beachten,
- Alltag mit FFP2/KN 95/N95-Maske und
- Lüften
sowie der weiteren im Infektionsschutz- und Hygienekonzept beschriebenen Maßnahmen den höchstmöglichen Zielerreichungsgrad erreichen konnte.
Fazit
Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie gelten in der Bundeswehr krisenbezogene Modelle zur Durchführung von Ausbildung und Übungen. Dabei steht die 2G-Plus-Regel im Mittelpunkt. Sie wird ergänzt durch spezifische Infektionsschutz- und Hygienekonzepte, die die bekannten „AHA+L“-Regeln umfassen. Die bei der internationalen Übung „Alligator Sword 2021“ gewonnenen Erkenntnisse zeigen eindrucksvoll, dass mit dem oben genannten Modell ein effektives und effizientes sowie zukunftsfähiges Regelwerk im Sinne einer „Best Practice“ zur risiko-adaptierten Durchführung von Übungen unter Pandemiebedingungen (COVID-19) vorhanden ist.
Nicht zuletzt muss in der Bewertung auch herausgestellt werden, dass die ausgezeichnete Unterstützung durch den Generalarzt des Heeres und die ÜbwSt Süd maßgeblich zum Gelingen dieser internationalen Großübung beitrug.
Das Gesamtergebnis von „Alligator Sword 2021“ ist vor dem Hintergrund der lang anhaltenden Pandemie und der damit einhergehenden Unsicherheit eine gute Nachricht, denn gerade jetzt brauchen wir Zuversicht, Verbundenheit und den Fokus auf Erfolge. Halten wir es deswegen mit Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der einmal sagte:
„Denke immer daran: Deine eigene Entschlossenheit, erfolgreich zu sein, ist wichtiger als alles andere.“
Manuskriptdaten
Zitierweise
von Rosenstiel N: Sicher üben unter Pandemie-Bedingungen (COVID-19): „Alligator Sword 2021“. WMM 2022; 66(4): 148-151.
Verfasser
Oberstarzt Dr. Niels von Rosenstiel
I. Deutsch-Niederländisches Corps
ACOS GMed
Schlossplatz 15, 48143 Münster