REHABILITATION VOR ORT
REHA KOMPAKT – Entwicklung eines Rehabilitations-Kurzprogramms für regionale Sanitätseinrichtungen
Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation (MDOR) von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten
Viveka Thun-Blascheb, Saskia Vetterb, Felix Pausb, André Zeglinc, Gerd D. Willmunda, Peter L. Zimmermanna, Franziska Langnera
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
b Sanitätsunterstützungszentrum Kiel, Facharztzentrum Kronshagen
c Sanitätsunterstützungszentrum Erfurt, Facharztzentrum Leipzig
Zusammenfassung
Belastungen und psychische Konflikte können die dienstliche Wiedereingliederung sowohl bei körperlichen als auch bei psychischen Grunderkrankungen maßgeblich erschweren. Die frühzeitige Einbindung von psychosozialen Aspekten und Interventionen in Rehabilitationsangebote unter Berücksichtigung dienstlicher Gesichtspunkte kann den Gesundungsprozess positiv beeinflussen. Um diese Angebote auch in der Regionalität nach Etablierung der Rehabilitationsschwerpunkte der Sanitätsunterstützungszentren zu verorten, wurde im Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin ein Basis-Modul für die weitere Implementierung in regionalen Sanitätseinrichtungen entwickelt. Die durchführenden Facharztzentren in Kronshagen und Leipzig berichten hier über die Erfahrungen der ersten Pilotdurchgänge dieses Basis-Moduls „Reha Kompakt“.
Schlüsselworte: psychosoziale Aspekte, Rehabilitation, MDOR, Reha Kompakt, Facharztzentrum
Keywords: psychosocial aspects, rehabilitation training, service oriented rehabiltation, compact rehabilitation, medical specialist center
Einführung
Die frühzeitige und strukturierte Einbindung rehabilitativer Angebote in Heilungsprozesse bei organischen und psychischen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren immer mehr als entscheidend für die langfristige Prognose herausgestellt [3][5]. Um Patienten1 mit Rehabilitationsbedarf ein gezieltes, auf die Spezifika des Dienstes in der Bundeswehr zugeschnittenes therapeutisches Angebot zu unterbreiten, wurde 2018 durch das Psychotraumazentrum der Bundeswehr (PTZBw) auf Veranlassung des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) ein 4-wöchiges Reha-Coaching zur strukturierten dienstlichen Wiedereingliederung konzipiert und seitdem sechsmal erfolgreich durchgeführt und evaluiert. Dieses basiert inhaltlich auf dem Programm „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster“ (AVEM), das berufsbezogene Stärken und gesundheitliche Risikofaktoren wie berufliches Engagement, Widerstandsfähigkeit, Stressresistenz, emotionale Befindlichkeit und Zufriedenheit betrachtet und anhand eines diagnostischen Verfahrens darstellt, um sich im Anschluss mittels eines strukturierten Schulungsprogramms individuell mit diesen Schwerpunkten auseinanderzusetzen und Bewältigungsmöglichkeiten zu erarbeiten [2].
Nach dieser fachlichen Erprobungsphase wurde das Grundkonzept an die allgemeinmedizinischen Erfordernisse in den Rehabilitationsschwerpunkten (Reha-SP) der Facharztzentren (FachArztZ) adaptiert und das verkürzte und konzentrierte Basis-Trainingsmodul „REHA KOMPAKT“ für (chronisch) psychisch erkrankte Soldaten entwickelt. Auch somatisch erkrankte Patienten mit psychosomatischer Mitbeteiligung können von dem Training profitieren (z. B. chronischer Rückenschmerz, Post-/Long-Covid-Symptomatik). Grundlage dafür ist eine bio-psycho-soziale Betrachtungsweise der individuellen „Funktionsfähigkeit“, deren Beeinträchtigungen im Sinne von Krankheitsauswirkungen und der Einbezug von „Kontextfaktoren“. Dieser Ansatz ist in der Sozialmedizin etabliert und in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health – ICF) klassifiziert. Die Begrifflichkeiten der ICF haben bereits Eingang in das Sozialgesetzbuch (SGB) V „Gesetzliche Krankenversicherung“ und das SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ gefunden. Auch die „Rehabilitations-Richtlinie“ des Gemeinsamen Bundesausschusses ist bereits auf der Grundlage der ICF konzipiert worden.
Ziel des hier vorgestellten Ansatzes ist es, betroffenen Patienten ein regionales Basisangebot durch die Rehabilitationsschwerpunkte zur Verbesserung der Teilhabe am täglichen Leben und im Dienst zu machen, das durch Fachärzte für Allgemeinmedizin in Zusammenarbeit mit psychologischen Psychotherapeutenteams umsetzbar ist.
Methode
Durchführung und Patienten
Im Basis-Modul soll den Betroffenen die Möglichkeiten der Unterstützungs- und Therapieangebote innerhalb der Bundeswehr praktisch und individuell dargelegt werden. Innerhalb einer Betroffenengruppe können auf diese Art die Rückkehr in den Dienst als essenzieller Baustein im individuellen Rehabilitationsprozess thematisiert sowie persönliche Zielsetzungen und Motivation gefördert werden. Der Erfolg einer medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitationsmaßnahme (MDOR) bei Patienten mit einer besonderen beruflichen Problemlage (BBPL) hängt u. a. von der Auswahl der richtigen Zielgruppe ab. Validierte Screeninginstrumente können daher hilfreich sein.
Tab.1: Ein- und Ausschlusskriterien für die Teilnahme am Training
Die Durchführung des Basis-Moduls sollte im Gruppensetting als 5-tägige Tagesveranstaltung ohne zwingende Bereitstellung einer Unterkunft („Heimschläfer“) absolviert werden (ähnlich tagesklinischer Behandlungen in Kliniken). Die Erfassung einer ICF-basierten Anamnese in einem Vorgespräch mit allen relevanten somatischen und psychischen Diagnosen, Aktivitätseinschränkungen, Teilhabe-Beeinträchtigungen, beeinflussenden Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren ist zur Klärung der Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit essenziell. Die ununterbrochene bzw. wiederholte Befreiung von allen oder einzelnen Dienstverrichtungen von mehr als sechs Wochen ist das wesentliche Einschlusskriterium zur Teilnahme an der Maßnahme.
Das Gruppenprogramm setzt sich aus den in Abbildung 1 dargestellten Modulen zusammen:
Abb. 1: Basis-Modul Reha Kompakt
Aus den aufgezeigten Inhalten des Programms ergeben sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten der REHA Kompakt-Woche. Im Wochenplan (Abbildung 2) sind beispielhaft die einzelnen Module und Durchführenden im FachArztZ Leipzig dargestellt.
Abb. 2: Wochenplan FachArztZ Leipzig
Ziel ist es, mit den Teilnehmenden die individuelle Motivation hinsichtlich der Wiederaufnahme der dienstlichen Tätigkeit zu erarbeiten, mögliche Befürchtungen anzusprechen und eine weitere Gesundung und Vorbeugung einer Chronifizierung der Beschwerden im Einklang mit der dienstlichen Tätigkeit zu erarbeiten.
Des Weiteren sollen konkrete individuelle Ziele und vor allem ein entsprechendes Unterstützungsnetzwerk in praktischer Anwendung zur Verfestigung der Lerninhalte und individuellen Zielsetzungen der REHA KOMPAKT-Woche absolviert werden.
Die Teilnehmenden entwickeln anhand einiger Beispiele – angelehnt an krankheitsspezifische Notfallpässe – ein persönliches Format (z. B. Visitenkarte, Buchformat, Kollage) für einen Ressourcenpass. Dabei können einerseits Leitsätze und Vorsätze hilfreich sein, um die Motivation zur Fortführung der konkreten Pläne zu unterstützen. Andererseits sollen so konkret wie möglich, die weiteren dienstlichen und medizinischen Ansprechstellen und persönlichen Unterstützer benannt werden. Hierbei soll auch auf mögliche Fallstricke in der Kommunikation mit den verschiedenen Instanzen (Vorgesetzte, Truppenarzt, etc.) eingegangen werden.
Die Ergebnisse sollen dann im Praxisteil „Ressourcenpass“ von den Teilnehmenden eingetragen werden.
Abb. 3: Vorlage Ressourcenpass
Die Teilnehmenden lernen außerdem die praktische Anwendung von Aktivierungs-, Entspannungs- und Konzentrationsübungen und deren zukünftige Integration in den individuellen Tagesablauf bzw. speziell auch in den Dienstalltag. Eine regelmäßige selbstständige Anwendung kann zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens dienen. Möglichkeiten der dienstlichen Sportangebote und das Konzept des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) werden erläutert.
Evaluation zur Qualitätssicherung
Zu mehreren Testzeitpunkten (t0 = Assessmenttag, t1 = Trainingsbeginn, t2 = Trainingsende) wurden psychometrische Testverfahren nach fachlicher Vorgabe des PTZBw Berlin eingesetzt [5]. An psychometrischen Testverfahren kam als Screeninginstrument zur Erkennung des Bedarfs an MDOR der SIMBO2 in einer an die Bundeswehr adaptierten Version zur Anwendung. Als Selbstratingbogen sowie Interviewer-Ratingbogen bzgl. unterschiedlicher psychischer Fähigkeiten wurde ebenfalls (hinsichtlich des Bw-Projekts modifiziert) der Mini – ICF – APP3, als Fragebogen zur Lebensqualität der WHOQOL – BREF4, als Gesundheitsfragebogen der PHQ – D5 sowie zur Erhebung der Selbstwirksamkeit der ASKU6 verwendet.
Die Wochenarbeitszeit der Teilnehmenden am Assessmenttag wurde dokumentiert. Weiterhin füllten die Teilnehmenden zu Beginn des Trainings einen Erwartungsbogen und zum Trainingsabschluss einen Evaluationsbogen mit Freitextanteil im Rahmen der Qualitätssicherung aus.
Im Rahmen einer Zwischenevaluation wurden nach Durchführung des Trainings zunächst Umsetzbarkeit sowie Zielgruppenerreichung untersucht. Für die Evaluation des therapeutischen Verlaufs sind weitere Testungen nach 3 (t3) und 6 (t4) Monaten geplant.
Sämtliche Aspekte und Durchführungsvorschläge sind im Manual „Konzeption zur weiteren Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten in regionalen Sanitätseinrichtungen“ [5] detailliert beschrieben. Das Manual wird in der E-Paper-Version des Beitrags zum Download zur Verfügung gestellt.
Bisher erfolgten 2 Pilotdurchgänge an den FachArztZ Kronshagen und Leipzig, aus denen erste Erfahrungen im Folgenden vorgestellt werden sollen.
Erfahrungsberichte der Pilotdurchgänge
Umsetzung des Durchführungskonzeptes am FachArztZ Kronshagen
Das Sanitätsunterstützungszentrum (SanUstgZ) Kiel mit dem FachArztZ Kronshagen setzte das Trainingsmodul REHA KOMPAKT im November 2021 im Rahmen des Pilotversuches um. Damit konnte neben der ambulanten fachärztlichen Versorgung – eigentlicher Kernauftrag eines Facharztzentrums – ein konzentriertes wohn- und dienstortnahes therapeutisches Angebot in einer regionalen Sanitätseinrichtung für Patienten mit Rehabilitationsbedarf angeboten werden. Hervorzuheben ist hierbei die Nutzung eines multiprofessionellen Teams unter Koordination des Reha-SP zur Umsetzung des regionalen therapeutischen Angebotes unter ambulanten Bedingungen.
Ziel war es, mit diesem Pilottraining die Durchführbarkeit und den therapeutischen Erfolg eines kompakten ambulanten Rehabilitationstrainings in einer regionalen Sanitätseinrichtung zu erproben.
Die Liegenschaft Kronshagen bietet mit einem großen Tagungsraum sowie dem parkartigen Außengelände optimale infrastrukturelle Voraussetzungen. Der Einsatz personeller Ressourcen ist insgesamt als hoch zu bewerten. Den 7 Teilnehmenden der Kompaktwoche am FachArztZ Kronshagen stand ein aus sechs Mitarbeitern bestehendes multiprofessionelles Team gegenüber, das die Woche über vollständig durch das Training gebunden war.
Teilnehmende waren 7 psychisch erkrankte Soldaten mit eingeschränkter oder fehlender Dienstfähigkeit und damit verbundener verminderter bzw. fehlender Teilhabe am Dienstalltag sowie Teilhabeeinschränkungen im sozialen Leben. Die durchschnittliche Dienstzeit der Teilnehmenden bei Trainingsbeginn betrug 13,7 h/Woche. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 33 und 53, im Mittel bei 45,7 Jahren. Aufgrund der Nähe zu Dienst- und Wohnort war die Mehrzahl der Teilnehmenden bereits im Vorfeld an das FachArztZ Kronshagen angebunden gewesen.
Die Auswahl der Teilnehmenden für das Gruppentraining erfolgte an einem der Trainingswoche vorgeschalteten Assessmenttag durch ein multiprofessionelles Team. Die Ein- und Ausschlusskriterien für Trainingsteilnehmende sind in Tabelle 1 aufgelistet. Vorausgesetzt wurden ebenfalls Eigenmotivation sowie die Fähigkeit zur Teilnahme an einer Gruppenveranstaltung in einem militärischen Setting.
Das Anwendungsmodul REHA KOMPAKT aus der Konzeption des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Berlin [5] wurde an die im FachArztZ Kronshagen vorhandenen personellen und infrastrukturellen Ressourcen adaptiert. Zur körperlichen Aktivierung wurde jeder Tag mit Reha-Sport im Freien begonnen. Dieser wurde von einem Sportwissenschaftler (Koordinierender für das Betriebliche Gesundheitsmanagement BGM) geleitet. Aufgrund vorhandener Qualifikationen konnten folgende Entspannungstechniken angeboten werden:
- Progressive Muskelentspannung (PMR),
- Autogenes Training,
- Achtsamkeitstraining und
- Yoga.
Die psychoedukativen Module im Sinne des Trainings von Stärken und Ressourcen (Funktionen von Arbeit, Betreuungsmöglichkeiten in der Bundeswehr, Ressourcen im Dienst und Alltag sowie Ziele und Zielformulierung, Erstellung eines Ressourcenpasses) wurden mit kurzen Informationen für die Teilnehmenden begonnen. Die Teilnehmenden erhielten Arbeitsaufträge, die in der Kleingruppe vorbereitet und deren Ergebnisse in der Großgruppe vor- oder zusammengetragen wurden.
Ergebnisse der Qualitätsevaluation am
FachArztZ Kronshagen
Bei allen 7 Teilnehmenden stieß die Trainingswoche auf hohe Akzeptanz. Alle abgefragten Bereiche wurden von den Patienten mit gut und sehr gut bewertet. Die Freitext-Rückmeldungen zeigten einen sehr hohen Zufriedenheitsgrad der Teilnehmenden.
Die am häufigsten von den Teilnehmenden genannten positiven Aspekte waren:
- „Tolle Atmosphäre“
- „Mitmachen des Personals bei den Übungen“
- „Erfahrungsaustausch mit den Kameraden“
Die am häufigsten von den Teilnehmenden genannten Veränderungsvorschläge für das Programmwaren:
- „Reduzieren des täglichen Trainings auf den Zeitraum 08:00–15:00 Uhr“
- „Ein Wochenende zwischen den Trainingstagen zum Nachspüren“
- „Ausdehnen des Trainings über eine Woche hinaus“
Weitere subjektive Rückmeldungen waren „Erfahrung von Selbstwirksamkeit“ und „Steigerung des Selbstbewusstseins“. Weiterhin betonten die Teilnehmenden, sich im militärspezifischen Setting mit ihren individuellen Problemen sowohl von den Mitteilnehmenden als auch von den Durchführenden bei insgesamt kurzer Interventionsdauer in besonderer Weise verstanden zu fühlen.
Umsetzung des Durchführungskonzeptes am FachArztZ Leipzig
In das Training wurden 2 psychisch erkrankte Soldaten ohne Einsatzschädigung integriert, die in Kongruenz mit dem Rehabilitationsangebot des PTZBw Berlin (Reha-Coaching) bereits Erfahrungen in der ambulanten bzw. stationären Psychotherapie gesammelt hatten. Die durchschnittliche Dienstzeit der Teilnehmenden bei Trainingsbeginn betrug 20 h/Woche. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 28 und 32, im Mittel bei 30 Jahren.
Beide Soldaten erfüllten auch die weiteren spezifischen Ein- und Ausschlusskriterien für das Training (Tabelle 1).
Die Durchführung des 5-tägigen Rehabilitationstraining orientierte sich an den Vorgaben des Basis-Modul Manuals [5].
Evaluation am FachArztZ Leipzig
Die Evaluation erfolgte äquivalent zu den beschriebenen Messungen im FachArztZ Kronshagen. Nach der Teilnahme an der 5-tägigen Maßnahme bleiben die Teilnehmendenauch nach den weiteren katamnestischen Messzeitpunkten (3 bzw. 6 Monate nach dem Training) im Sinne eines individuellen Anschlusskonzeptes engmaschig an den Reha-SP im FachArztZ angebunden, wobei nach den o.g. Messzeitpunkten zunächst quartalsmäßige Vorstellungen angestrebt sind. Der weitere Verlauf wird in Zusammenarbeit mit den die Patienten betreuenden Truppenärzten koordiniert. Da beide Teilnehmende außerdem wehrpsychiatrisch an die entsprechende psychiatrische Fachuntersuchungsstelle des FachArztZ Leipzig angebunden sind, erfolgen dort ebenfalls weitere Verlaufskontrollen.
Die Ergebnisse einer mündlichen Qualitätsevaluierung hinsichtlich Setting und Programm waren durchweg positiv.
Diskussion und erste Bewertung
Mit dem Training REHA KOMPAKT in den FachArztZ Kronshagen und Leipzig konnte den Teilnehmenden ein regionales ambulantes Basisangebot im dienstnahen Setting gemacht werden.
Das dem Training vorgeschaltete Assessmentund damit verbundene frühzeitige persönliche Kennenlernen des Reha-Teams führte zum Abbau von Barrieren. Beides verstärkte Motivation und Compliance der Patienten.
Gruppenkohäsion und Dienstkontext
als Wirkfaktoren
Der gewählte Ansatz in einem bundeswehrinternen Setting mit der aktiven Übernahme von Arbeitsaufträgen der Teilnehmenden im Rahmen der Gruppenarbeit scheint nach den ersten Rückmeldungen ein geeignetes Format für eine zeitlich limitierte, regional umsetzbare Rehabilitation von Soldaten darzustellen. Es erreichte bei den Teilnehmenden eine hohe Akzeptanz.
Neben dem eigenständigen Bewältigen von Aufgaben, gilt die Gruppenkohäsion als zentraler Wirkfaktor in der Gruppenpsychotherapie und stellt einen potenziell kurativen Faktor dar, der nachfolgende Symptomverbesserungen erleichtern kann. Die Assoziation von Gruppenkohäsion mit therapeutisch erfolgreichen Verläufen wurde in verschiedenen Untersuchungen gezeigt [1].
Diese Beobachtungen zeigen die Möglichkeiten und unterstreichen die besondere Bedeutung der Einbeziehung des Dienstkontextes in den ambulanten Rehabilitationsprozess.
Training als Belastungsfaktor
Mit der ambulanten Durchführung gingen erste Herausforderungen, wie z. B. die tägliche An- und Abreise zum FachArztZ und die parallele Haushaltsführung einher. Diesen am Dienstalltag orientierten Herausforderungen war durchaus ein therapeutischer Effekt beizumessen. Bei erfolgreicher Bewältigung wurde seitens der Patienten eine Steigerung des Selbstbewusstseins rückgemeldet. Ähnliche Beobachtungen wurden im Rahmen eines am FachArztZ Rostock durchgeführten ambulanten Rehabilitationstrainings gemacht und zeigen den Einfluss des ambulanten Settings als wichtigen Wirkfaktor auf [4].
Die entsprechend einer vollschichtigen Tätigkeit (mit täglicher Anreise zum Veranstaltungsort) durchgeführte Dauer des täglichen Trainings zeigte sich für die Teilnehmenden als Belastungsfaktor, daher wurde im FachArztZ Kronshagen die Trainingszeit nach entsprechender Rückmeldung der Patienten im Verlauf um 90 Minuten täglich verkürzt.
Ursachen könnten die angewendeten Einschlusskriterien (bspw. Unterschiede bei der Verweildauer im Status „Krank zu Hause“, Stand der dienstlichen Wiedereingliederung), aber auch eine wenig realistische Erwartungshaltung der Teilnehmenden in Bezug auf ein MDOR-Programm sein.
Ebenso verhielt es sich im FachArztZ Leipzig, welches im Vorfeld zur Entlastung der Teilnehmenden und wegen fehlender Unterbringungsmöglichkeiten in der Liegenschaft die Entscheidung zur Unterbringung in einem zivilen Hotel traf.
Dadurch konnte den Teilnehmenden eine vermehrte Gelegenheit zur Regeneration zwischen den einzelnen Trainingstagen ermöglicht werden. Deutlich wird hierbei, dass ein tägliches Rehabilitationstraining eine entsprechende Anstrengung darstellt und daher bei chronifizierten Verläufen diesen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Belastungs- und Regenerationsphasen während des Rehabilitationstrainings ermöglicht werden sollte.
Angesichts der daraus resultierenden Veränderung des Programmes durch die Standorte konnte eine mögliche Überanstrengung abgefangen werden. Der Schwerpunkt ist allerdings weiterhin die Vorbereitung und Gewöhnung an eine zukünftige vollschichtige dienstliche Tätigkeit der Teilnehmenden unter Nutzung individueller Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten im Dienstalltag. Dieses muss auch bei der Planung der dienstlichen Wiedereingliederung gemäß den Vorgaben der aktuellen Zentralen Dienstvorschrift „ZDv A-2640/36 - Strukturierte Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten der Bw in den Dienst“ berücksichtigt werden. Eine Modifikation im Setting von REHA KOMPAKT sollte daher lediglich in begrenztem Umfang erfolgen, um die Zielsetzung des Programmes erfüllen zu können.
Langsame Annäherung an den militärischen Dienst
In Abweichung zu dem vierwöchigen Reha-Coaching des PTZBw Berlin wurde das Training durch die Teilnehmenden in ziviler Kleidung durchgeführt. Gründe für diese Entscheidung waren einerseits, die Bedenken und Ängste der Teilnehmenden in Vorfeld zu reduzieren und den niedrigschwelligen Charakter der Maßnahme zu unterstreichen, andererseits praktische Erwägungen wie fehlende Umkleidemöglichkeiten. Eine geringere Möglichkeit der Wiederannäherung an das Leben in einer militärischen Gemeinschaft und dem Tragen der Uniform (vor allem bei längerer Führung im Status „Krank zu Hause“) ist hierbei zu diskutieren. Die Einleitung eines Gewöhnungsprozesses an die formalen Gegebenheiten des Soldatenberufs könnte demgegenüber die dienstliche Wiedereingliederung positiv beeinflussen.
Hohe Akzeptanz
Von Bedeutung scheint auch eine möglichst frühzeitige Absolvierung des Trainingsmoduls zu sein. Die Äußerungen der Teilnehmenden lassen darauf schließen, dass das Trainingsmodul REHA KOMPAKT zu einem frühen Zeitpunkt in einen Gesamtbehandlungsplan integriert werden sollte. Der anschließende Beginn oder die Fortsetzung der bereits begonnenen dienstlichen Wiedereingliederung ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Rehabilitation [2].
Mit dem ambulanten Setting und der Nähe des Trainingsortes zum Wohnort macht REHA KOMPAKT zudem ein niedrigschwelliges Angebot, das von den Teilnehmenden positiv bewertet wurde.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Trotz hoher Personalintensität hat sich REHA KOMPAKT bewährt und ist im ambulanten regionalen Setting an ausgewählten Standorten umsetzbar. Eine Verbesserung der materiellen Ausstattung (z. B. Material zur Durchführung von Aktivierungs- und Entspannungsverfahren) sowie die Ausbildung der Reha-Teams ist erforderlich. Dabei stellt die Weiterentwicklung der Facharztzentren von einem reinen ambulanten Versorgungszentrum hin zu einem integrierten Versorgungs- und Rehabilitationszentrum eine Entwicklungsperspektive dar, bei der nach den hier vorliegenden ersten Erkenntnissen der Focus auf Frührehabilitation und ggf. sogar Prävention liegen könnte.
REHA KOMPAKT ist in den Einzelmodulen ein flexibles Programm; dabei sollte das Ziel der vollständigen dienstlichen Integrierung und Wiedereingliederung besonders betont werden. Die Einbindung der BGM-Koordinatoren hat sich bewährt und sollte auch zukünftig erfolgen. Eine entsprechende Flexibilität in der Gestaltung und Umsetzung der Wochenpläne bei Beibehaltung der grundsätzlichen Module (Abbildung 1) sollte daher möglich sein.
Eine leicht verringerte tägliche Trainingszeit bei täglichem Pendeln könnte die subjektive Belastung der Teilnehmenden reduzieren. Kompensatorisch ist eine Ausweitung des Trainings auf 6–7 Tage denkbar. Ein zwischengeschaltetes Wochenende ließe dabei Raum für Erholung und Reflexion der Teilnehmenden.
Des Weiteren könnte das einwöchige Modul als Einstiegs- und Vorbereitungsprogramm für eine Teilnahme an dem vierwöchigen Reha-Coaching des PTZBw verwendet werden, bei dem dann spezielle Problematiken und Hindernisse durch eine zusätzliche psychiatrische Expertise vertieft aufgearbeitet werden könnten.
Die Teilnehmenden sollten im Anschluss an das REHA KOMPAKT-Programm engmaschig an die Rehaschwerpunkte in den Facharztzentren angebunden werden. Hierbei empfehlen sich zunächst mindestens quartalsmäßige Vorstellungen, um den weiteren Verlauf der Symptomatik bzw. des Rehabilitationsprozesses zu kontrollieren.
Für den Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme hat sich die frühzeitige und umfassende Einbindung der Disziplinarvorgesetzten als unverzichtbar herausgestellt. So kann in enger Zusammenarbeit mit den Interdisziplinären Rehabilitationsteams (IPR), den Truppenärzten, den Disziplinarvorgesetzten und den Beteiligten des psychosozialen Netzwerkes eine zeitnahe Adaptation der Rehabilitationsmaßnahmen erfolgen, um die Wiederherstellung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit zu unterstützen. Regelmäßige Assessments können hinzugezogen werden, um den Prozess valide zu verfolgen.
Das PTZBw plant, die weitere Umsetzung des Trainingsmoduls REHA KOMPAKT in weiteren regionalen Sanitätseinrichtungen im Rahmen einer multizentrischen Studie zu begleiten und katamnestische Daten zur Überprüfung der Wirksamkeit und Durchführbarkeit zu erheben.
Literatur
- Dinger U, Zilcha-Mano S, Schauenburg H: Wechselseitige Effekte von Gruppenkohäsion und Symptomen. Psychotherapeut 2020; 65: 236–243.
- Heitzmann B, Helfert S, Schaarschmidt U: Fit für den Beruf: AVEM-gestütztes Patientenschulungsprogramm zur beruflichen Orientierung in der stationären Rehabilitation. Bern: Huber 2008.
- Langner F, Finke U, Zimmermann PL, Dierich A, Herr K, Hoffmann AK, Willmund GD: Am Dienst orientierte Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen – Individuelle Begleitung von Beginn an. WMM 2021; 65(3–4): 127–134.
- Schlottman M, Hamm A, Herr K, Langner F, Dierich A: Pilottraining zur dienstlichen Reintegration psychisch erkrankter Soldatinnen und Soldaten im Facharztzentrum Rostock. WMM 2021; 65(3–4):135–141.
- Willmund GD, Langner F: Konzeption zur weiteren Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlichen orientierten Rehabilitation von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten in regionalen Sanitätseinrichtungen. Berlin: BwKrhs BerlinPTZBw 2022.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Thun-Blasche V, Vetter S, Paus F, Zeglin A, Willmund GD, Zimmermann PL, Langner F: REHA KOMPAKT – Entwicklung eines Rehabilitations-
Kurzprogramms für regionale Sanitätseinrichtungen. WMM 2022; 66(4)126-132.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Franziska Langner
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Psychotraumazentrum der Bundeswehr
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: franziskalangner@bundeswehr.org
1 In diesem Beitrag wird zur besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form „Soldat“ und „Patient“ verwendet. Damit sind alle anderen Formen gleichermaßen mitgemeint.
2 SIMBO – Screening-Instrument zur Einschätzung des Bedarfs an Medizinisch-Beruflich Orientierten Maßnahmen in der medizinischen Rehabilitation
3 Mini-ICF-APP: Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei Psychischen Erkrankungen (APP) in Anlehnung an die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der Weltgesundheitsorganisation
4 WHOQOL-BREF: Kurzform der World Health Organization Quality of Life Scale mit 26 Items in 4 Gesundheitsdomänen zur Beurteilung der Lebensqualitä
5 PHQ-D: Patient Health Questionnaire – Deutsch
6 ASKU: Allgemeine Selbstwirksamkeit Kurzskala – Messinstrument zur Erfassung subjektiver Kompetenzerwartungen