ZAHNÄRZTLICHE HYGIENE
Kann die ungeschützte Stirnhaut nach zahnärztlicher aerosol- und tröpfchenproduzierender Behandlung eine potenzielle Infektionsquelle sein?
Bacterial contamination of forehead skin and surgical mask in aerosol-producing dental treatment as a potential source of infection
Madline Gund a,b,1, Gabor Boros a,1, Matthias Hannig b, Sigrid Thieme-Ruffing c, Barbara Gärtner c, Stefan Rupf b,d
1 BOROS und GUND haben in gemeinsamer Erstautorenschaft zu gleichen Teilen bei der Erstellung dieses Beitrags mitgewirkt.
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXIII – Zahnmedizin
b Universitätsklinikum des Saarlandes, Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde, Homburg/Saar
c Universitätsklinikum des Saarlandes, Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Homburg/Saar
d Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Synoptische Zahnmedizin, Homburg/Saar
Zusammenfassung
Hintergrund: Die horizontale und vertikale Übertragung von Mikroorganismen birgt in der Zahnmedizin sowohl für Patienten als auch für medizinisches Personalein Risiko. In diesem Zusammenhang wurde die bakterielle Kontamination der Gesichtshaut und der Schutzausrüstung von Zahnärzten durch behandlungsbedingte Aerosole und Tröpfchen bisher nur wenig untersucht.
Methoden: Die mikrobielle Kontamination der ungeschützten Stirnfläche wurde bestimmt und mit der Keimbelastung von während aerosolerzeugender zahnmedizinischer Maßnahmen getragenen Mund-Nasen-Schutzmasken verglichen. Der Nachweis erfolgte durch aerobe und anaerobe Kultivierung der gewonnenen Proben und MALDI-TOF-Massenspektrometrie.
Ergebnisse: Obligat und fakultativ orale Bakterien wurden sowohl auf den Stirnflächen der behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzte als auch auf den Mund-Nasen-Schutzmasken gefunden. Orale Spezies wurden auf 75 % der chirurgischen Masken und auf 34 % der Stirnflächen nachgewiesen, womit die Wahrscheinlichkeit einer Kontamination der Mund-Nasen-Schutzmaske im Vergleich zur Stirnfläche der Probanden um das 2,5-fache höher lag. An beiden untersuchten Lokalisationen wurden folgende Mikroorganismen aufgefunden: Staphylococcus epidermidis, Staphylococcus capitis, Streptococcus oralis, alpha – hämolysierende Streptokokken, Acinetobacter lwoffii und Staphylococcus hominis.
Diskussion und Schlussfolgerung: Aerosolerzeugende zahnmedizinische Maßnahmen sind ein Kontaminationsrisiko für die ungeschützte Gesichtshaut und die Mund-Nasen-Schutzmasken des Behandlungsteams und können damit durch Kreuzkontamination selbst Kontaminationsquellen für Patienten, Umgebung und Behandelnde sein. Natürliche Abwehrmechanismen der Haut scheinen eine Neubesiedlung zu erschweren oder einzelne Mikroorganismen nach erfolgter Kontamination zu eliminieren.
Im Rahmen der Arbeitsplatzhygiene sollten gut hautverträgliche Desinfektionsmittel zum Einsatz kommen, die Schutzmaske nach jeder Behandlung gewechselt werden, ggf. ein Visier getragen werden und ein Berühren der Maske unterbleiben.
Schlüsselwörter: Aerosol, zahnärztliche Praxis, Infektionskontrolle, MALDI-TOF-Massenspektrometrie, chirurgische Maske, Stirnhaut
Summary
Background: Horizontal and vertical transmission of microorganisms poses a risk in dentistry for both patients and medical staff. In this context, bacterial contamination of the facial skin and protective equipment of dentists by treatment-related aerosols and droplets has been little studied by now.
Methods: Microbial contamination of the unprotected forehead surface was determined and compared with microbial loads from oral-nasal protective masks worn during aerosol-generating dental procedures. Detection was performed by aerobic and anaerobic cultivation of the collected samples and MALDI-TOF mass spectrometry.
Results: Obligate and facultative oral bacteria were found on both the forehead skin of the treating dentists and on the oral-nasal protective masks. Oral species were detected on 75 % of the surgical masks and on 34 % of the forehead skin, making the oral-nasal surguicak mask 2.5 times more likely to be contaminated compared to the forehead skin of the subjects. The following microorganisms were found at both locations examined: Staphylococcus epidermidis, Staphylococcus capitis, Streptococcus oralis, alpha – hemolytic streptococci, Acinetobacter lwoffii, and Staphylococcus hominis.
Discussion and conclusion: Aerosol-generating dental procedures are a contamination risk for the unprotected facial skin and the mouth-nose-protective masks of the treatment team and can thus themselves be sources of contamination for patients, the environment and the treating staff through cross-contamination. Natural defense mechanisms of the skin seem to impede recolonization or eliminate individual microorganisms after contamination has occurred.
In the context of workplace hygiene, disinfectants that are well tolerated by the skin should be used, the protective mask should be changed after each treatment, and the mask should not be touched.
Keywords: aerosol, dental practice, infection control, maldi tof mass spectrometry, surgical mask, forehead skin
Einleitung
Zahnärzte1 sind zahlreichen potenziell infektiösen Einwirkungen ausgesetzt [22]. Die persönliche Schutzausrüstung (PSA) wird bei aerosolerzeugenden zahnärztlichen Behandlungen regelmäßig kontaminiert [8]. In diesem Zusammenhang ist die Vermeidung einer Exposition der Atemwege, Augen und Haut gegenüber potenziell infektiösen Erregern, insbesondere Bakterien und Atemwegsviren, von größter Bedeutung [10]. Mikroorganismen aus den Mundhöhlen der Patienten stellen jedoch nicht immer ein Risiko für das zahnärztliche Personal dar. Das Risiko einer Infektion hängt von der mikrobiellen Pathogenität, der Anzahl der übertragenen Erreger und dem Immunstatus der betroffenen Person ab [17][22]. Darüber hinaus können Infektionserreger direkt vom Patienten auf den Zahnarzt, von Patient zu Patient oder über Infektionsketten, die das Personal, (Hohl-)Instrumente, Kleidung oder zahnärztliche Einheiten einschließen, übertragen werden [14][22][23][24].
Insbesondere bei Behandlungen mit Ultraschallgeräten wurde nachgewiesen, dass die Umgebungsluft erheblich mit Bakterien kontaminiert wird [8]. Solche Aerosole können Mikroorganismen aus oralen oder zahnärztlichen Biofilmen, Blutstropfen und durch Blut übertragbare Viren enthalten [3][5][13][10][14][22] und sich auf Geräten, Teammitgliedern und deren Schutzkleidung absetzen [7][20].
Die PSA für nicht-chirurgische zahnärztliche Eingriffe besteht aus Handschuhen [2], Schutzbrillen und OP-Masken. Im Gegensatz zu Handschuhen war die korrekte Verwendung von chirurgischen Masken bisher kein großes Thema. Es gibt nur wenige Empfehlungen zur Verwendung von OP-Masken in der Medizin und in der Zahnmedizin [6][8][25] und nur sehr wenige systematische Studien zu ihrer korrekten Verwendung. In einer Studie wurde nachgewiesen, dass sich bei längerem Gebrauch von OP-Masken über mehr als 2 Stunden – einer für viele chirurgische Disziplinen typischen Dauer – Bakterien auf der Außenfläche der Maske ansammeln [25]. In der Zahnmedizin wird die OP-Maske jedoch (1.) in der Regel für kürzere Zeiträume getragen, (2.) häufig bei praktisch jedem Patienten verwendet und (3.) während der Behandlung regelmäßig mit mikrobiellen Aerosolen und Speichel oder Blut des Patienten kontaminiert. Durch Aerosole übertragene Mikroorganismen aus der Mundhöhle, die während der zahnärztlichen Behandlung freigesetzt werden, überleben auf der Außenfläche von OP-Masken [8].
Darüber hinaus gibt es noch keine Studie, in der die bakterielle Belastung der Stirn von Zahnärzten nach der Durchführung von aerosolerzeugenden Zahnbehandlungen untersucht wurde. In Anbetracht der Tatsache, dass der Arbeitsabstand zwischen dem Gesicht des Behandlers und dem Behandlungsbereich etwa 25–33 cm beträgt [4], kommt es unweigerlich zu einer mikrobiellen Kontamination des Gesichts und der Schutzkleidung durch Aerosole und Flüssigkeitsspritzer [4], da sich der Zahnarzt bei aerosolerzeugenden Verfahren innerhalb der Zone der bakteriellen Kontamination befindet [11].
Die Stirn ist eine Körperregion, der im klinischen Alltag meist wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und die daher häufig nicht durch die PSA geschützt ist. Dennoch wird sie bei der Arbeit von den Behandlern oft wiederholt berührt, sei es, um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen oder um Wasser- oder Aerosolspritzer zu entfernen. Dies geschieht oft unbewusst und ohne anschließende Wiederholung der Händehygiene. Es ist also denkbar, dass Keime von der Stirn auf die Umgebung und damit auf nachfolgende Patienten oder ins Auge des Behandlers selbst übertragen werden. Um diese Hypothese zu prüfen, muss zunächst geklärt werden, inwieweit die Stirn kontaminiert ist, insbesondere im Vergleich zu den vor Mund und Nase getragenen OP-Masken.
Vor diesem Hintergrund untersuchte die vorliegende Studie die potenzielle bakterielle Kontamination der typischerweise ungeschützten Stirn des zahnmedizinischen Personals und verglich diese mit der Kontamination der Außenfläche von bei zahnärztlichen Behandlungen getragenen chirurgischen Masken.
Abb. 1: Sprühnebel mit Bildung von Wassertröpfchen und feinsten Aerosolen sind bei vielen zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen unvermeidbar.
Material und Methode
Behandlungen
Eingeschlossen wurden typische zahnärztliche Behandlungen, bei denen mit der Freisetzung von kleinen Tröpfchen und Aerosolen zu rechnen ist:
- Präparation von Zahnhartsubstanz mit hoher/mittlerer Drehzahl (n = 26) und
- Parodontalbehandlungen mit Ultraschallgeräten (n = 41).
Die Dauer der jeweiligen Behandlung betrug 45–60 min. Die Tröpfchen-/Aerosolabsaugung erfolgte mit einem großvolumigen Absaugschlauch (8,0 mm Durchmesser; Saugstrom 6,0 l/s), der von einer zahnärztlichen Assistentin gehalten wurde, die sich auf der kontralateralen Seite der jeweils behandelten Region befand. Die Absaugung erfolgte in Kombination mit einer herkömmlichen zahnärztlichen Saugkanüle (3,3 mm Durchmesser; Saugstrom 1,1 l/s), die lingual an den unteren zentralen Schneidezähnen positioniert wurde.
Probanden
Drei voll ausgebildete zahnmedizinische Fachkräfte (zwei Zahnärzte und eine Dentalhygienikerin) und 22 speziell unterrichtete und beaufsichtigte Studierende im 2. bis 5. klinischen Semester partizipierten als Probanden. Während der aerosolerzeugenden parodontalen und restaurativen Zahnbehandlungen trugen sie unsterile, saubere Untersuchungshandschuhe (puderfreie Nitrilhandschuhe: Abena, Zörbig, Deutschland), OP-Masken (medizinische OP-Maske Typ II mit Bindeband, Mölnlycke Health Care, Düsseldorf, Deutschland) und Schutzbrillen (Safeview®-Brille, Halyard, Neunkirchen, Deutschland). Vor dem Anlegen der PSA wurde eine Händedesinfektion durchgeführt. Alle Studienteilnehmenden wurden angewiesen, während der Behandlung nicht die Außenfläche ihrer OP-Maske zu berühren.
Patienten
Es wurden nur gesunde Patienten ohne bekannte Infektionskrankheiten in die Studie aufgenommen. Es wurden keine individuellen Daten von Patienten oder Fachleuten erfasst. Alle Proben wurden anonymisiert. Von allen Teilnehmenden wurde eine mündliche Einverständniserklärung eingeholt.
Probenahme und Mikrobiologie
Die mikrobiologische Probenahme erfolgte vor und 60 min nach Beginn der zahnärztlichen Behandlungen. Von jeder Behandlung wurden 3 Proben entnommen. Die Probenahme umfasste bakterielle Abstriche (1.) von der Stirnhaut vor der Behandlung, (2.) von der Stirnhaut 60 Minuten nach Behandlungsbeginn (Abbildung 1). Ferner erfolgte (3.) ein Abklatsch von der verwendeten chirurgischen Maske (Abbildung 2).
Die Stirn wurde vor der Entnahme der Abstriche nicht gereinigt oder desinfiziert. Alle Teilnehmenden wurden jedoch angewiesen, ihr Gesicht morgens zu Hause im Rahmen ihrer persönlichen Hygiene mit Seife oder Duschgel zu waschen. Alle Proben wurden während der ersten Behandlung des Tages zwischen 9:30 h und 11:00 h entnommen.
Der Stirnabstrich wurde mit dem eSwab™ Universal-Sammel- und Transportsystem für aerobe und anaerobe Bakterien (Hain Lifescience, Nehren, Deutschland) durchgeführt, das aus einem Röhrchen mit 1 ml Amies-Medium und einem mit Nylonfasern beflockten Tupfer besteht, der vor dem Abstrich mit steriler 0,9 %iger NaCl-Lösung (BD PosiFlush™, Becton Dickinson GmbH, Heidelberg, Deutschland) befeuchtet wurde.
Die entnommenen Proben von der Stirn und die Masken wurden auf zwei verschiedene Agarplatten aufgebracht: BD Trypticase™-Soja-Agar (TSA)-Platten (90 mm Durchmesser; Becton Dickinson) für die aerobe Kultivierung und BD Columbia™-Agar-Platten (90 mm Durchmesser) mit 5 % Schafsblut (Becton Dickinson) für die anaerobe Kultivierung über 48 h bei 35 °C.
Kontrollen
Fünf unbenutzte chirurgische Masken dienten als Kontrollen und wurden wie oben beschrieben behandelt.
Abb. 2: Probenahme von Stirn und Maske: (A) Der gesamte nicht von Haaren bedeckte Bereich der Stirn wurde 5–8 s lang mittels eSwab™ abgestrichen. (B) Der Abklatsch der Maske erfolgte direkt auf einer Agarplatte. (C) Die blaue Ellipse zeigt den Bereich der Maske, der regelmäßig abgeklatscht wurde.
Qualitative bakterielle Analyse
Die Klassifizierung der aufgefundenen Mikroorganismen wurde mittels MALDI-TOF-Massenspektrometrie durchgeführt. Alle phänotypisch unterschiedlichen Kolonien auf den Kulturplatten wurden einbezogen.
Quantitative bakterielle Analyse
Für jede Probe wurde die Anzahl der Bakterienkolonien auf den Agarplatten anhand einer 4-stufigen Skala bewertet:
- 0 = kein bakterielles Wachstum,
- 1 = ≤102 verstreute Kolonien,
- 2 = > 102 zählbare Kolonien und
- 3 = dichtes bakterielles Wachstum mit nicht zählbaren Kolonien.
Statistik
Die Nachweishäufigkeit und die Menge der Bakterienkolonien der gepaarten Proben von der Stirnhaut vor und nach der Behandlung und der chirurgischen Maske wurden mit dem Wilcoxon-Signed-Rank-Test statistisch ausgewertet, wobei p < .05 eine statistische Signifikanz anzeigt.
Ergebnisse
Mund-Nase-Schutzmasken
Die Mund-Nasen-Schutzmasken wiesen zu 75 % eine Kontamination mit oralen und in 4 % der Fälle mit extraoralen Spezies auf; 21 % waren nicht kontaminiert (Abbildung 3). Auf den kontaminierten Masken fanden sich in 12 % der Fälle obligat und in 66 % fakultativ aus der Mundhöhle stammende Keime, bei 22 % waren sowohl fakultativ wie obligat orale Keime nachweisbar. 5 % der Proben waren positiv auf Staphylococcus aureus.
Stirnfläche
Auf 34 % der Stirnflächen wurde nach der Behandlung eine Kontamination, überwiegend mit oralen Spezies, gefunden, die sich zu 20 % aus obligaten und 80 % fakultativ oralen Spezies zusammensetzten (Abbildung 4). Bei 5 % der Stirnproben wurde Staphylococcus aureus aufgefunden.
Vergleich Maske-Stirn
Die Kontamination auf den Mund-Nasen-Schutzmasken war um das 2,5-fache höher als auf den Stirnflächen der Probanden. Ein MRSA-Nachweis konnte für keine der Proben mit Staphylococcus aureus erbracht werden. Auf den Stirnflächen konnten maximal zwei orale Spezies gleichzeitig aufgefunden werden. Auf den Mund-Nasen-Schutzmasken wurden bei 6 % der Proben 3 und bei 2 % 4 unterschiedliche orale Spezies aufgefunden.
Auf den Proben der unbenutzten chirurgischen Masken, die als Kontrollen dienten (n = 5), konnte kein bakterielles Wachstum festgestellt werden.
Abb. 5: Vergleich der auf Maske und Stirn parallel nachgewiesenen Keimspezies
Diskussion
In dieser Studie werden erstmals statistisch signifikante Veränderungen der Mikrobiota auf der Stirn von Zahnärzten nach der Durchführung von aerosol- und tröpfchenerzeugenden zahnmedizinischen Behandlungen beschrieben. Darüber hinaus zeigen die Studiendaten, dass die Stirn des Zahnarztes während der zahnärztlichen Behandlung mit geringerer Wahrscheinlichkeit kontaminiert wird als die Außenfläche der chirurgischen Maske, obwohl der Abstand zum Patienten nahezu identisch ist. Unsere Beobachtungen stützen frühere Annahmen, dass die Haut über einen natürlichen Schutzmechanismus verfügt, der entweder die Besiedlung mit Bakterien verhindert oder mit dem Aerosol auftreffende Bakterien eliminiert [9].
Stirnhaut als Wirtsfläche
Die kontaminierte Stirnhaut muss auch als Wirtsfläche betrachtet werden, die die Übertragung von Mikroorganismen aus der Mundhöhle des Patienten erleichtert, wenn auch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als die Außenfläche der chirurgischen Maske [8]. Eine weitere Übertragung von Krankheitserregern könnte hier manuell erfolgen, wenn exponierte Personen nach der Behandlung ihre Stirn berühren, danach in ihr Auge fassen oder Oberflächen berühren. Somit ist eine Gefährdung des Behandlers selbst wie auch nachfolgender Patienten nicht ausgeschlossen.
Nachweismethodik
Die in dieser Studie verwendete mikrobiologische Methodik hatte den Vorteil, dass durch die Kultivierung auf Agar nur lebensfähige Bakterien nachgewiesen werden. Die Verwendung nukleinsäurebasierter Methoden hätte wahrscheinlich zu einer größeren Anzahl nachgewiesener Spezies geführt. Diese hätten das Potenzial von Aerosolen zum Transport von Bakterien unabhängig von ihrer Lebensfähigkeit gezeigt. Aus Sicht der Infektionskrankheiten stellen jedoch nur lebensfähige Bakterien eine potenzielle Gefahr für das zahnärztliche Personal dar.
Der verwendete Agar dient in der Regel dazu, die Mehrzahl der schnell wachsenden Bakterien nachzuweisen. Langsam wachsende Arten könnten in dieser Studie unterschätzt worden sein. Es war jedoch zu erwarten, dass vor allem leicht kultivierbare und robuste Bakterien eine Rolle spielen würden, da die ansässige Mikrobiota einen gewissen Schutz gegen eindringende Bakterien bietet. Außerdem sind Bakterien, die sich leicht ausbreiten, im Vorteil, wenn es zu einer weiteren Kontamination von der Stirn oder der Maske auf Oberflächen, andere Körperregionen oder andere Personen kommen sollte. Die verwendete MALDI-TOF-Massenspektrometrie beschränkte sich auf Kolonien, die als unterschiedliche Phänotypen identifiziert wurden. Dies kann möglicherweise zu einer Unterschätzung des bakteriellen Spektrums auf Stirn und Mundschutz geführt haben.
Keimspektrum
Stirn und Maske wiesen ein ähnliches Spektrum bakterieller Kontamination auf. Die meisten der in unserer Studie nachgewiesenen Bakterienarten waren typische Vertreter des dermalen oder oralen Mikrobioms. Die in dieser Studie am Häufigsten vorkommende Spezies war Staphylococcus epidermidis, die auf mindestens zwei Dritteln der untersuchten chirurgischen Masken und Stirnabstriche gefunden wurde. Eine Kontamination mit anderen Keimen wie Staphylococcus spp., Micrococcus luteus, Rothia dentocariosa, Streptococcus oralis und verschiedenen Bacillus spp. konnte ebenfalls nachgewiesen werden.
Die Prävalenz von Staphylococcus aureus war in dieser Studie insgesamt geringer als von anderen Autoren berichtet [15]. Die hohe Nachweisrate von Staphylococcus epdiermidis steht im Einklang mit den Ergebnissen anderer Studien [1][8]. Staphylococcus epidermidis ist der häufigste Vertreter der koagulasenegativen Staphylokokken, die auf menschlichen Epitheloberflächen vorkommen. Beide Keime – Staphylococcus epidermidis wie auch Staphylococcus aureus – sind wichtige nosokomiale Erreger und potenziell multiresistente Keime.
Die anderen nachgewiesenen oralen und dermalen Bakterien, wie Staphylococcus capitis, Streptococcus oralis, Micrococcus luteus oder Rothis dentocariosa sind Teil der kommensalen Mikrobiota. Diese Bakterien sind bei gesunden Menschen nicht pathogen, können aber bei immunsupprimierten oder immungeschwächten Patienten Krankheiten verursachen [12][18][19][21].
Infektionsprävention
Der Gesundheitszustand eines Patienten und die Risikofaktoren, die dazu führen, dass ein fakultatives Pathogen zu einer Erkrankung führt, sind jedoch nicht immer klar. Daher ist eine konsequente Einhaltung der Vorschriften und Empfehlungen zur Prävention von nosokomialen Infektionen sinnvoll und notwendig [16]. Wichtige Faktoren, die die Infektion und die klinische Manifestation der Krankheit bei Zahnärzten bestimmen, sind die Häufigkeit der Exposition gegenüber einem Erreger und seine Virulenz [22]. Folglich ist ein konsequentes präventives Verhalten von großer Bedeutung, da es in der zahnärztlichen Praxis unmöglich ist, zu beurteilen, ob ein Patient einen obligat oder fakultativ pathogenen Erreger in sich trägt, der in einer Dosis übertragen werden kann, die hoch genug ist, um eine anfällige zahnmedizinische Fachkraft zu schädigen.
Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass nur allgemein gesunde Patienten ohne bekannte Infektionserkrankungen in die Studie aufgenommen wurden. Möglicherweise findet sich bei kranken Patienten ein völlig anderes Bakterienspektrum, welches auf Stirn und Maske durch zahnärztliche Behandlungen transportiert wird.
Derzeit gibt es keine Empfehlungen für Zahnärzte, wie sie ihre Gesichtshaut reinigen oder desinfizieren können, um die während der Behandlung erworbene bakterielle Kontamination zu entfernen. Während der COVID-19-Pandemie hat sich das Hygieneverhalten bei der zahnärztlichen Behandlung nach unserer Beobachtung jedoch erheblich verändert. Bei aerosolerzeugenden Verfahren wird eine vollständige Schutzausrüstung getragen. Der Schutz der Gesichtshaut des Zahnarztes ist also zumindest vorläufig gewährleistet. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sollten jedoch bei der Entwicklung von Post-Corona-Empfehlungen nicht nur in Bezug auf künftige Pandemien berücksichtigt werden. Der Schutz der Stirn durch einen Gesichtsschutz (Visier) erscheint vorteilhaft und sollte als allgemeine Empfehlung gelten.
Schlussfolgerungen
Nach aerosolerzeugenden zahnärztlichen Behandlungen wird die Stirn des Behandlers signifikant geringer kontaminiert als die Außenfläche der chirurgischen Maske. Die physiologische Mikrobiota der Stirnhaut weist offensichtlich einen gewissen Schutz gegen die Kontamination mit fremden Mikroorganismen auf. Dennoch sollten exponierte Bereiche der Gesichtshaut des Zahnarztes als potenzielle Gefahr und als Quelle für die nosokomiale Übertragung von Mikroben auf Behandler und nachfolgende Patienten betrachtet werden. Zahnärzte müssen daher nicht nur während der Corona-Pandemie die Exposition der Gesichtshaut reduzieren und die Berührung der chirurgischen Masken während und nach der Behandlung vermeiden. Die allgemeine Verwendung eines Gesichtsschutzes ist sinnvoll.
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Die im Rahmen dieser Untersuchung erzielten Ergebnisse wurden mit Fokus auf die detaillierte Darstellung der typisierten Erreger in englischer Sprache unter dem Titel „Bacterial contamination of forehead skin and surgical mask in aerosol-producing dental treatment“ im September 2021 veröffentlicht <https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8462870/>, Journal of Oral Microbilogy 2021; 13(1): 1978731)
Manuskriptdaten
Zitierweise
Gund M, Boros G, Hannig M, Thieme-Ruffing S, Gärtner B, Rupf S: Kann die ungeschützte Stirnhaut nach zahnärztlicher aerosol- und tröpfchenproduzierender Behandlung eine potenzielle Infektionsquelle sein? WMM 2022; 66(4): 119-125.
Für die Verfasser
Oberstabsarzt d. R. Dr. Madline Gund, MBA
Universitätsklinikum des Saarlandes
Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde
66424 Homburg/Saar
E-Mail: madline.gund@uks.eu
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-6
Manuscript data
Citation
Gund M, Boros G, Hannig M, Thieme-Ruffing S, Gärtner B, Rupf S; Bacterial contamination of forehead skin and surgical mask in aerosol-producing dental treatment as a potential source of infection. WMM 2022; 66(4): 119-125.
Für die authors
Major (MC Reserve) Dr. Madline Gund, MBA
Clinic Department of Operative Dentistry, Periodontology and Preventive Dentistry Saarland University, Homburg, Germany
D-66424 Homburg/Saar
E-Mail: madline.gund@uks.eu
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-6
1 In diesem Beitrag wird zur besseren Lesbarkeit für Personen überwiegend die maskuline Form verwendet (Zahnarzt, Patient usw.); gemeint sind immer alle Geschlechter.
REHABILITATION VOR ORT
REHA KOMPAKT – Entwicklung eines Rehabilitations-Kurzprogramms für regionale Sanitätseinrichtungen
Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation (MDOR) von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten
Viveka Thun-Blascheb, Saskia Vetterb, Felix Pausb, André Zeglinc, Gerd D. Willmunda, Peter L. Zimmermanna, Franziska Langnera
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
b Sanitätsunterstützungszentrum Kiel, Facharztzentrum Kronshagen
c Sanitätsunterstützungszentrum Erfurt, Facharztzentrum Leipzig
Zusammenfassung
Belastungen und psychische Konflikte können die dienstliche Wiedereingliederung sowohl bei körperlichen als auch bei psychischen Grunderkrankungen maßgeblich erschweren. Die frühzeitige Einbindung von psychosozialen Aspekten und Interventionen in Rehabilitationsangebote unter Berücksichtigung dienstlicher Gesichtspunkte kann den Gesundungsprozess positiv beeinflussen. Um diese Angebote auch in der Regionalität nach Etablierung der Rehabilitationsschwerpunkte der Sanitätsunterstützungszentren zu verorten, wurde im Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin ein Basis-Modul für die weitere Implementierung in regionalen Sanitätseinrichtungen entwickelt. Die durchführenden Facharztzentren in Kronshagen und Leipzig berichten hier über die Erfahrungen der ersten Pilotdurchgänge dieses Basis-Moduls „Reha Kompakt“.
Schlüsselworte: psychosoziale Aspekte, Rehabilitation, MDOR, Reha Kompakt, Facharztzentrum
Keywords: psychosocial aspects, rehabilitation training, service oriented rehabiltation, compact rehabilitation, medical specialist center
Einführung
Die frühzeitige und strukturierte Einbindung rehabilitativer Angebote in Heilungsprozesse bei organischen und psychischen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren immer mehr als entscheidend für die langfristige Prognose herausgestellt [3][5]. Um Patienten1 mit Rehabilitationsbedarf ein gezieltes, auf die Spezifika des Dienstes in der Bundeswehr zugeschnittenes therapeutisches Angebot zu unterbreiten, wurde 2018 durch das Psychotraumazentrum der Bundeswehr (PTZBw) auf Veranlassung des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) ein 4-wöchiges Reha-Coaching zur strukturierten dienstlichen Wiedereingliederung konzipiert und seitdem sechsmal erfolgreich durchgeführt und evaluiert. Dieses basiert inhaltlich auf dem Programm „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster“ (AVEM), das berufsbezogene Stärken und gesundheitliche Risikofaktoren wie berufliches Engagement, Widerstandsfähigkeit, Stressresistenz, emotionale Befindlichkeit und Zufriedenheit betrachtet und anhand eines diagnostischen Verfahrens darstellt, um sich im Anschluss mittels eines strukturierten Schulungsprogramms individuell mit diesen Schwerpunkten auseinanderzusetzen und Bewältigungsmöglichkeiten zu erarbeiten [2].
Nach dieser fachlichen Erprobungsphase wurde das Grundkonzept an die allgemeinmedizinischen Erfordernisse in den Rehabilitationsschwerpunkten (Reha-SP) der Facharztzentren (FachArztZ) adaptiert und das verkürzte und konzentrierte Basis-Trainingsmodul „REHA KOMPAKT“ für (chronisch) psychisch erkrankte Soldaten entwickelt. Auch somatisch erkrankte Patienten mit psychosomatischer Mitbeteiligung können von dem Training profitieren (z. B. chronischer Rückenschmerz, Post-/Long-Covid-Symptomatik). Grundlage dafür ist eine bio-psycho-soziale Betrachtungsweise der individuellen „Funktionsfähigkeit“, deren Beeinträchtigungen im Sinne von Krankheitsauswirkungen und der Einbezug von „Kontextfaktoren“. Dieser Ansatz ist in der Sozialmedizin etabliert und in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health – ICF) klassifiziert. Die Begrifflichkeiten der ICF haben bereits Eingang in das Sozialgesetzbuch (SGB) V „Gesetzliche Krankenversicherung“ und das SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ gefunden. Auch die „Rehabilitations-Richtlinie“ des Gemeinsamen Bundesausschusses ist bereits auf der Grundlage der ICF konzipiert worden.
Ziel des hier vorgestellten Ansatzes ist es, betroffenen Patienten ein regionales Basisangebot durch die Rehabilitationsschwerpunkte zur Verbesserung der Teilhabe am täglichen Leben und im Dienst zu machen, das durch Fachärzte für Allgemeinmedizin in Zusammenarbeit mit psychologischen Psychotherapeutenteams umsetzbar ist.
Methode
Durchführung und Patienten
Im Basis-Modul soll den Betroffenen die Möglichkeiten der Unterstützungs- und Therapieangebote innerhalb der Bundeswehr praktisch und individuell dargelegt werden. Innerhalb einer Betroffenengruppe können auf diese Art die Rückkehr in den Dienst als essenzieller Baustein im individuellen Rehabilitationsprozess thematisiert sowie persönliche Zielsetzungen und Motivation gefördert werden. Der Erfolg einer medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitationsmaßnahme (MDOR) bei Patienten mit einer besonderen beruflichen Problemlage (BBPL) hängt u. a. von der Auswahl der richtigen Zielgruppe ab. Validierte Screeninginstrumente können daher hilfreich sein.
Tab.1: Ein- und Ausschlusskriterien für die Teilnahme am Training
Die Durchführung des Basis-Moduls sollte im Gruppensetting als 5-tägige Tagesveranstaltung ohne zwingende Bereitstellung einer Unterkunft („Heimschläfer“) absolviert werden (ähnlich tagesklinischer Behandlungen in Kliniken). Die Erfassung einer ICF-basierten Anamnese in einem Vorgespräch mit allen relevanten somatischen und psychischen Diagnosen, Aktivitätseinschränkungen, Teilhabe-Beeinträchtigungen, beeinflussenden Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren ist zur Klärung der Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit essenziell. Die ununterbrochene bzw. wiederholte Befreiung von allen oder einzelnen Dienstverrichtungen von mehr als sechs Wochen ist das wesentliche Einschlusskriterium zur Teilnahme an der Maßnahme.
Das Gruppenprogramm setzt sich aus den in Abbildung 1 dargestellten Modulen zusammen:
Abb. 1: Basis-Modul Reha Kompakt
Aus den aufgezeigten Inhalten des Programms ergeben sich verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten der REHA Kompakt-Woche. Im Wochenplan (Abbildung 2) sind beispielhaft die einzelnen Module und Durchführenden im FachArztZ Leipzig dargestellt.
Abb. 2: Wochenplan FachArztZ Leipzig
Ziel ist es, mit den Teilnehmenden die individuelle Motivation hinsichtlich der Wiederaufnahme der dienstlichen Tätigkeit zu erarbeiten, mögliche Befürchtungen anzusprechen und eine weitere Gesundung und Vorbeugung einer Chronifizierung der Beschwerden im Einklang mit der dienstlichen Tätigkeit zu erarbeiten.
Des Weiteren sollen konkrete individuelle Ziele und vor allem ein entsprechendes Unterstützungsnetzwerk in praktischer Anwendung zur Verfestigung der Lerninhalte und individuellen Zielsetzungen der REHA KOMPAKT-Woche absolviert werden.
Die Teilnehmenden entwickeln anhand einiger Beispiele – angelehnt an krankheitsspezifische Notfallpässe – ein persönliches Format (z. B. Visitenkarte, Buchformat, Kollage) für einen Ressourcenpass. Dabei können einerseits Leitsätze und Vorsätze hilfreich sein, um die Motivation zur Fortführung der konkreten Pläne zu unterstützen. Andererseits sollen so konkret wie möglich, die weiteren dienstlichen und medizinischen Ansprechstellen und persönlichen Unterstützer benannt werden. Hierbei soll auch auf mögliche Fallstricke in der Kommunikation mit den verschiedenen Instanzen (Vorgesetzte, Truppenarzt, etc.) eingegangen werden.
Die Ergebnisse sollen dann im Praxisteil „Ressourcenpass“ von den Teilnehmenden eingetragen werden.
Abb. 3: Vorlage Ressourcenpass
Die Teilnehmenden lernen außerdem die praktische Anwendung von Aktivierungs-, Entspannungs- und Konzentrationsübungen und deren zukünftige Integration in den individuellen Tagesablauf bzw. speziell auch in den Dienstalltag. Eine regelmäßige selbstständige Anwendung kann zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens dienen. Möglichkeiten der dienstlichen Sportangebote und das Konzept des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) werden erläutert.
Evaluation zur Qualitätssicherung
Zu mehreren Testzeitpunkten (t0 = Assessmenttag, t1 = Trainingsbeginn, t2 = Trainingsende) wurden psychometrische Testverfahren nach fachlicher Vorgabe des PTZBw Berlin eingesetzt [5]. An psychometrischen Testverfahren kam als Screeninginstrument zur Erkennung des Bedarfs an MDOR der SIMBO2 in einer an die Bundeswehr adaptierten Version zur Anwendung. Als Selbstratingbogen sowie Interviewer-Ratingbogen bzgl. unterschiedlicher psychischer Fähigkeiten wurde ebenfalls (hinsichtlich des Bw-Projekts modifiziert) der Mini – ICF – APP3, als Fragebogen zur Lebensqualität der WHOQOL – BREF4, als Gesundheitsfragebogen der PHQ – D5 sowie zur Erhebung der Selbstwirksamkeit der ASKU6 verwendet.
Die Wochenarbeitszeit der Teilnehmenden am Assessmenttag wurde dokumentiert. Weiterhin füllten die Teilnehmenden zu Beginn des Trainings einen Erwartungsbogen und zum Trainingsabschluss einen Evaluationsbogen mit Freitextanteil im Rahmen der Qualitätssicherung aus.
Im Rahmen einer Zwischenevaluation wurden nach Durchführung des Trainings zunächst Umsetzbarkeit sowie Zielgruppenerreichung untersucht. Für die Evaluation des therapeutischen Verlaufs sind weitere Testungen nach 3 (t3) und 6 (t4) Monaten geplant.
Sämtliche Aspekte und Durchführungsvorschläge sind im Manual „Konzeption zur weiteren Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten in regionalen Sanitätseinrichtungen“ [5] detailliert beschrieben. Das Manual wird in der E-Paper-Version des Beitrags zum Download zur Verfügung gestellt.
Bisher erfolgten 2 Pilotdurchgänge an den FachArztZ Kronshagen und Leipzig, aus denen erste Erfahrungen im Folgenden vorgestellt werden sollen.
Erfahrungsberichte der Pilotdurchgänge
Umsetzung des Durchführungskonzeptes am FachArztZ Kronshagen
Das Sanitätsunterstützungszentrum (SanUstgZ) Kiel mit dem FachArztZ Kronshagen setzte das Trainingsmodul REHA KOMPAKT im November 2021 im Rahmen des Pilotversuches um. Damit konnte neben der ambulanten fachärztlichen Versorgung – eigentlicher Kernauftrag eines Facharztzentrums – ein konzentriertes wohn- und dienstortnahes therapeutisches Angebot in einer regionalen Sanitätseinrichtung für Patienten mit Rehabilitationsbedarf angeboten werden. Hervorzuheben ist hierbei die Nutzung eines multiprofessionellen Teams unter Koordination des Reha-SP zur Umsetzung des regionalen therapeutischen Angebotes unter ambulanten Bedingungen.
Ziel war es, mit diesem Pilottraining die Durchführbarkeit und den therapeutischen Erfolg eines kompakten ambulanten Rehabilitationstrainings in einer regionalen Sanitätseinrichtung zu erproben.
Die Liegenschaft Kronshagen bietet mit einem großen Tagungsraum sowie dem parkartigen Außengelände optimale infrastrukturelle Voraussetzungen. Der Einsatz personeller Ressourcen ist insgesamt als hoch zu bewerten. Den 7 Teilnehmenden der Kompaktwoche am FachArztZ Kronshagen stand ein aus sechs Mitarbeitern bestehendes multiprofessionelles Team gegenüber, das die Woche über vollständig durch das Training gebunden war.
Teilnehmende waren 7 psychisch erkrankte Soldaten mit eingeschränkter oder fehlender Dienstfähigkeit und damit verbundener verminderter bzw. fehlender Teilhabe am Dienstalltag sowie Teilhabeeinschränkungen im sozialen Leben. Die durchschnittliche Dienstzeit der Teilnehmenden bei Trainingsbeginn betrug 13,7 h/Woche. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 33 und 53, im Mittel bei 45,7 Jahren. Aufgrund der Nähe zu Dienst- und Wohnort war die Mehrzahl der Teilnehmenden bereits im Vorfeld an das FachArztZ Kronshagen angebunden gewesen.
Die Auswahl der Teilnehmenden für das Gruppentraining erfolgte an einem der Trainingswoche vorgeschalteten Assessmenttag durch ein multiprofessionelles Team. Die Ein- und Ausschlusskriterien für Trainingsteilnehmende sind in Tabelle 1 aufgelistet. Vorausgesetzt wurden ebenfalls Eigenmotivation sowie die Fähigkeit zur Teilnahme an einer Gruppenveranstaltung in einem militärischen Setting.
Das Anwendungsmodul REHA KOMPAKT aus der Konzeption des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Berlin [5] wurde an die im FachArztZ Kronshagen vorhandenen personellen und infrastrukturellen Ressourcen adaptiert. Zur körperlichen Aktivierung wurde jeder Tag mit Reha-Sport im Freien begonnen. Dieser wurde von einem Sportwissenschaftler (Koordinierender für das Betriebliche Gesundheitsmanagement BGM) geleitet. Aufgrund vorhandener Qualifikationen konnten folgende Entspannungstechniken angeboten werden:
- Progressive Muskelentspannung (PMR),
- Autogenes Training,
- Achtsamkeitstraining und
- Yoga.
Die psychoedukativen Module im Sinne des Trainings von Stärken und Ressourcen (Funktionen von Arbeit, Betreuungsmöglichkeiten in der Bundeswehr, Ressourcen im Dienst und Alltag sowie Ziele und Zielformulierung, Erstellung eines Ressourcenpasses) wurden mit kurzen Informationen für die Teilnehmenden begonnen. Die Teilnehmenden erhielten Arbeitsaufträge, die in der Kleingruppe vorbereitet und deren Ergebnisse in der Großgruppe vor- oder zusammengetragen wurden.
Ergebnisse der Qualitätsevaluation am
FachArztZ Kronshagen
Bei allen 7 Teilnehmenden stieß die Trainingswoche auf hohe Akzeptanz. Alle abgefragten Bereiche wurden von den Patienten mit gut und sehr gut bewertet. Die Freitext-Rückmeldungen zeigten einen sehr hohen Zufriedenheitsgrad der Teilnehmenden.
Die am häufigsten von den Teilnehmenden genannten positiven Aspekte waren:
- „Tolle Atmosphäre“
- „Mitmachen des Personals bei den Übungen“
- „Erfahrungsaustausch mit den Kameraden“
Die am häufigsten von den Teilnehmenden genannten Veränderungsvorschläge für das Programmwaren:
- „Reduzieren des täglichen Trainings auf den Zeitraum 08:00–15:00 Uhr“
- „Ein Wochenende zwischen den Trainingstagen zum Nachspüren“
- „Ausdehnen des Trainings über eine Woche hinaus“
Weitere subjektive Rückmeldungen waren „Erfahrung von Selbstwirksamkeit“ und „Steigerung des Selbstbewusstseins“. Weiterhin betonten die Teilnehmenden, sich im militärspezifischen Setting mit ihren individuellen Problemen sowohl von den Mitteilnehmenden als auch von den Durchführenden bei insgesamt kurzer Interventionsdauer in besonderer Weise verstanden zu fühlen.
Umsetzung des Durchführungskonzeptes am FachArztZ Leipzig
In das Training wurden 2 psychisch erkrankte Soldaten ohne Einsatzschädigung integriert, die in Kongruenz mit dem Rehabilitationsangebot des PTZBw Berlin (Reha-Coaching) bereits Erfahrungen in der ambulanten bzw. stationären Psychotherapie gesammelt hatten. Die durchschnittliche Dienstzeit der Teilnehmenden bei Trainingsbeginn betrug 20 h/Woche. Der Altersdurchschnitt lag zwischen 28 und 32, im Mittel bei 30 Jahren.
Beide Soldaten erfüllten auch die weiteren spezifischen Ein- und Ausschlusskriterien für das Training (Tabelle 1).
Die Durchführung des 5-tägigen Rehabilitationstraining orientierte sich an den Vorgaben des Basis-Modul Manuals [5].
Evaluation am FachArztZ Leipzig
Die Evaluation erfolgte äquivalent zu den beschriebenen Messungen im FachArztZ Kronshagen. Nach der Teilnahme an der 5-tägigen Maßnahme bleiben die Teilnehmendenauch nach den weiteren katamnestischen Messzeitpunkten (3 bzw. 6 Monate nach dem Training) im Sinne eines individuellen Anschlusskonzeptes engmaschig an den Reha-SP im FachArztZ angebunden, wobei nach den o.g. Messzeitpunkten zunächst quartalsmäßige Vorstellungen angestrebt sind. Der weitere Verlauf wird in Zusammenarbeit mit den die Patienten betreuenden Truppenärzten koordiniert. Da beide Teilnehmende außerdem wehrpsychiatrisch an die entsprechende psychiatrische Fachuntersuchungsstelle des FachArztZ Leipzig angebunden sind, erfolgen dort ebenfalls weitere Verlaufskontrollen.
Die Ergebnisse einer mündlichen Qualitätsevaluierung hinsichtlich Setting und Programm waren durchweg positiv.
Diskussion und erste Bewertung
Mit dem Training REHA KOMPAKT in den FachArztZ Kronshagen und Leipzig konnte den Teilnehmenden ein regionales ambulantes Basisangebot im dienstnahen Setting gemacht werden.
Das dem Training vorgeschaltete Assessmentund damit verbundene frühzeitige persönliche Kennenlernen des Reha-Teams führte zum Abbau von Barrieren. Beides verstärkte Motivation und Compliance der Patienten.
Gruppenkohäsion und Dienstkontext
als Wirkfaktoren
Der gewählte Ansatz in einem bundeswehrinternen Setting mit der aktiven Übernahme von Arbeitsaufträgen der Teilnehmenden im Rahmen der Gruppenarbeit scheint nach den ersten Rückmeldungen ein geeignetes Format für eine zeitlich limitierte, regional umsetzbare Rehabilitation von Soldaten darzustellen. Es erreichte bei den Teilnehmenden eine hohe Akzeptanz.
Neben dem eigenständigen Bewältigen von Aufgaben, gilt die Gruppenkohäsion als zentraler Wirkfaktor in der Gruppenpsychotherapie und stellt einen potenziell kurativen Faktor dar, der nachfolgende Symptomverbesserungen erleichtern kann. Die Assoziation von Gruppenkohäsion mit therapeutisch erfolgreichen Verläufen wurde in verschiedenen Untersuchungen gezeigt [1].
Diese Beobachtungen zeigen die Möglichkeiten und unterstreichen die besondere Bedeutung der Einbeziehung des Dienstkontextes in den ambulanten Rehabilitationsprozess.
Training als Belastungsfaktor
Mit der ambulanten Durchführung gingen erste Herausforderungen, wie z. B. die tägliche An- und Abreise zum FachArztZ und die parallele Haushaltsführung einher. Diesen am Dienstalltag orientierten Herausforderungen war durchaus ein therapeutischer Effekt beizumessen. Bei erfolgreicher Bewältigung wurde seitens der Patienten eine Steigerung des Selbstbewusstseins rückgemeldet. Ähnliche Beobachtungen wurden im Rahmen eines am FachArztZ Rostock durchgeführten ambulanten Rehabilitationstrainings gemacht und zeigen den Einfluss des ambulanten Settings als wichtigen Wirkfaktor auf [4].
Die entsprechend einer vollschichtigen Tätigkeit (mit täglicher Anreise zum Veranstaltungsort) durchgeführte Dauer des täglichen Trainings zeigte sich für die Teilnehmenden als Belastungsfaktor, daher wurde im FachArztZ Kronshagen die Trainingszeit nach entsprechender Rückmeldung der Patienten im Verlauf um 90 Minuten täglich verkürzt.
Ursachen könnten die angewendeten Einschlusskriterien (bspw. Unterschiede bei der Verweildauer im Status „Krank zu Hause“, Stand der dienstlichen Wiedereingliederung), aber auch eine wenig realistische Erwartungshaltung der Teilnehmenden in Bezug auf ein MDOR-Programm sein.
Ebenso verhielt es sich im FachArztZ Leipzig, welches im Vorfeld zur Entlastung der Teilnehmenden und wegen fehlender Unterbringungsmöglichkeiten in der Liegenschaft die Entscheidung zur Unterbringung in einem zivilen Hotel traf.
Dadurch konnte den Teilnehmenden eine vermehrte Gelegenheit zur Regeneration zwischen den einzelnen Trainingstagen ermöglicht werden. Deutlich wird hierbei, dass ein tägliches Rehabilitationstraining eine entsprechende Anstrengung darstellt und daher bei chronifizierten Verläufen diesen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Belastungs- und Regenerationsphasen während des Rehabilitationstrainings ermöglicht werden sollte.
Angesichts der daraus resultierenden Veränderung des Programmes durch die Standorte konnte eine mögliche Überanstrengung abgefangen werden. Der Schwerpunkt ist allerdings weiterhin die Vorbereitung und Gewöhnung an eine zukünftige vollschichtige dienstliche Tätigkeit der Teilnehmenden unter Nutzung individueller Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten im Dienstalltag. Dieses muss auch bei der Planung der dienstlichen Wiedereingliederung gemäß den Vorgaben der aktuellen Zentralen Dienstvorschrift „ZDv A-2640/36 - Strukturierte Wiedereingliederung von Soldatinnen und Soldaten der Bw in den Dienst“ berücksichtigt werden. Eine Modifikation im Setting von REHA KOMPAKT sollte daher lediglich in begrenztem Umfang erfolgen, um die Zielsetzung des Programmes erfüllen zu können.
Langsame Annäherung an den militärischen Dienst
In Abweichung zu dem vierwöchigen Reha-Coaching des PTZBw Berlin wurde das Training durch die Teilnehmenden in ziviler Kleidung durchgeführt. Gründe für diese Entscheidung waren einerseits, die Bedenken und Ängste der Teilnehmenden in Vorfeld zu reduzieren und den niedrigschwelligen Charakter der Maßnahme zu unterstreichen, andererseits praktische Erwägungen wie fehlende Umkleidemöglichkeiten. Eine geringere Möglichkeit der Wiederannäherung an das Leben in einer militärischen Gemeinschaft und dem Tragen der Uniform (vor allem bei längerer Führung im Status „Krank zu Hause“) ist hierbei zu diskutieren. Die Einleitung eines Gewöhnungsprozesses an die formalen Gegebenheiten des Soldatenberufs könnte demgegenüber die dienstliche Wiedereingliederung positiv beeinflussen.
Hohe Akzeptanz
Von Bedeutung scheint auch eine möglichst frühzeitige Absolvierung des Trainingsmoduls zu sein. Die Äußerungen der Teilnehmenden lassen darauf schließen, dass das Trainingsmodul REHA KOMPAKT zu einem frühen Zeitpunkt in einen Gesamtbehandlungsplan integriert werden sollte. Der anschließende Beginn oder die Fortsetzung der bereits begonnenen dienstlichen Wiedereingliederung ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Rehabilitation [2].
Mit dem ambulanten Setting und der Nähe des Trainingsortes zum Wohnort macht REHA KOMPAKT zudem ein niedrigschwelliges Angebot, das von den Teilnehmenden positiv bewertet wurde.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Trotz hoher Personalintensität hat sich REHA KOMPAKT bewährt und ist im ambulanten regionalen Setting an ausgewählten Standorten umsetzbar. Eine Verbesserung der materiellen Ausstattung (z. B. Material zur Durchführung von Aktivierungs- und Entspannungsverfahren) sowie die Ausbildung der Reha-Teams ist erforderlich. Dabei stellt die Weiterentwicklung der Facharztzentren von einem reinen ambulanten Versorgungszentrum hin zu einem integrierten Versorgungs- und Rehabilitationszentrum eine Entwicklungsperspektive dar, bei der nach den hier vorliegenden ersten Erkenntnissen der Focus auf Frührehabilitation und ggf. sogar Prävention liegen könnte.
REHA KOMPAKT ist in den Einzelmodulen ein flexibles Programm; dabei sollte das Ziel der vollständigen dienstlichen Integrierung und Wiedereingliederung besonders betont werden. Die Einbindung der BGM-Koordinatoren hat sich bewährt und sollte auch zukünftig erfolgen. Eine entsprechende Flexibilität in der Gestaltung und Umsetzung der Wochenpläne bei Beibehaltung der grundsätzlichen Module (Abbildung 1) sollte daher möglich sein.
Eine leicht verringerte tägliche Trainingszeit bei täglichem Pendeln könnte die subjektive Belastung der Teilnehmenden reduzieren. Kompensatorisch ist eine Ausweitung des Trainings auf 6–7 Tage denkbar. Ein zwischengeschaltetes Wochenende ließe dabei Raum für Erholung und Reflexion der Teilnehmenden.
Des Weiteren könnte das einwöchige Modul als Einstiegs- und Vorbereitungsprogramm für eine Teilnahme an dem vierwöchigen Reha-Coaching des PTZBw verwendet werden, bei dem dann spezielle Problematiken und Hindernisse durch eine zusätzliche psychiatrische Expertise vertieft aufgearbeitet werden könnten.
Die Teilnehmenden sollten im Anschluss an das REHA KOMPAKT-Programm engmaschig an die Rehaschwerpunkte in den Facharztzentren angebunden werden. Hierbei empfehlen sich zunächst mindestens quartalsmäßige Vorstellungen, um den weiteren Verlauf der Symptomatik bzw. des Rehabilitationsprozesses zu kontrollieren.
Für den Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme hat sich die frühzeitige und umfassende Einbindung der Disziplinarvorgesetzten als unverzichtbar herausgestellt. So kann in enger Zusammenarbeit mit den Interdisziplinären Rehabilitationsteams (IPR), den Truppenärzten, den Disziplinarvorgesetzten und den Beteiligten des psychosozialen Netzwerkes eine zeitnahe Adaptation der Rehabilitationsmaßnahmen erfolgen, um die Wiederherstellung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit zu unterstützen. Regelmäßige Assessments können hinzugezogen werden, um den Prozess valide zu verfolgen.
Das PTZBw plant, die weitere Umsetzung des Trainingsmoduls REHA KOMPAKT in weiteren regionalen Sanitätseinrichtungen im Rahmen einer multizentrischen Studie zu begleiten und katamnestische Daten zur Überprüfung der Wirksamkeit und Durchführbarkeit zu erheben.
Literatur
- Dinger U, Zilcha-Mano S, Schauenburg H: Wechselseitige Effekte von Gruppenkohäsion und Symptomen. Psychotherapeut 2020; 65: 236–243.
- Heitzmann B, Helfert S, Schaarschmidt U: Fit für den Beruf: AVEM-gestütztes Patientenschulungsprogramm zur beruflichen Orientierung in der stationären Rehabilitation. Bern: Huber 2008.
- Langner F, Finke U, Zimmermann PL, Dierich A, Herr K, Hoffmann AK, Willmund GD: Am Dienst orientierte Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen – Individuelle Begleitung von Beginn an. WMM 2021; 65(3–4): 127–134.
- Schlottman M, Hamm A, Herr K, Langner F, Dierich A: Pilottraining zur dienstlichen Reintegration psychisch erkrankter Soldatinnen und Soldaten im Facharztzentrum Rostock. WMM 2021; 65(3–4):135–141.
- Willmund GD, Langner F: Konzeption zur weiteren Implementierung psychosozialer Aspekte bei der medizinisch-dienstlichen orientierten Rehabilitation von psychisch erkrankten Soldatinnen und Soldaten in regionalen Sanitätseinrichtungen. Berlin: BwKrhs BerlinPTZBw 2022.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Thun-Blasche V, Vetter S, Paus F, Zeglin A, Willmund GD, Zimmermann PL, Langner F: REHA KOMPAKT – Entwicklung eines Rehabilitations-
Kurzprogramms für regionale Sanitätseinrichtungen. WMM 2022; 66(4)126-132.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Franziska Langner
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Psychotraumazentrum der Bundeswehr
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: franziskalangner@bundeswehr.org
1 In diesem Beitrag wird zur besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form „Soldat“ und „Patient“ verwendet. Damit sind alle anderen Formen gleichermaßen mitgemeint.
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