Wehrmedizinische Monatsschrift

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Editorial
Editorial
Taktische Medizin
Taktische Medizin und taktische Verwundetenversorgung:​ Geschichte,​ Entwicklung,​ Grundsätze und Anwendungsbereiche









Taktische Medizin
Medicine in Irregular Warfare



Taktische Medizin
PARIS SOF CMC-Conference 2024








Taktische Medizin
Sanitätsdienstliche Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg





Taktische Medizin
Der Einsatzanästhesist in der modernen Wehrmedizin:​ Eine Schlüsselrolle im Kontext wechselnder Bedrohungen


Taktische Medizin
Maschinelle Autotransfusion in der Einsatzmedizin – Zukunftsoption oder Spielerei?




Taktische Medizin
Methoxyfluran in der taktischen Medizin:​ Eine grüne Pfeife in grüner Umgebung







Taktische Medizin
Railway Medical Evacuation:​ Historical Development,​ Current Challenges,​ and Future Perspectives



Tagungen und Kongresse
Medizinischer radionuklearer-Schutz in zivil-militärischer ­Zusammenarbeit:​ Bericht von einer Notfallübung

Tagungen und Kongresse
19.​ Internationale Medizinische C-Schutz Tagung
Aus dem Sanitätsdienst
In Memoriam Generalstabsarzt a.​ D.​ Dr.​ Hans-Dieter Schmidt
Aus dem Sanitätsdienst
Zum 20.​ Todestag von Oberstarzt Prof.​ Dr.​ Heinz Gerngroß
Mitteilungen der DGWMP e.​ V.​
Geburtstage Juli 2025
Taktische Medizin PDF

PARIS SOF CMC-Conference 2024

Der Geist der Vergangenheit, der Geist der Gegenwart, der Geist der Zukunft – Die Community der Special Operation Forces Medicine sucht nach Strategien im Umgang mit neuen Bedrohungen

Daniela Lenarda

a Bundeswehrkrankenhaus Ulm – Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie

Einleitung und Hintergrund

Die Pariser Special Operation Forces (SOF) Combat Medical Care (CMC) Conference ging am 15. und 16. Oktober 2024 in ihre zweite Runde. Im Jahr 2022 erstmalig als Satellitenkonferenz der CMC in Kooperation mit dem SOF Medical Headquarter des Französischen Service de Santé des Armées durchgeführt, richtete sich die CMC Conference Paris im besonderen Maße an die enge Gemeinschaft des medizinischen Personals, welches den Bereich der Special Forces versorgt.

Konzipiert als „kleines“ Meeting für bis zu 250 Teilnehmer brachte die CMC Paris, wie bereits 2022, erneut internationales Schlüsselpersonal aus dem Bereich der taktischen Verwundetenversorgung der Spezialkräfte zusammen, um in Form von Vorträgen, Workshops, einer ausgesuchten Industrieausstellung und direkten Gesprächen in den Korridoren der großartigen École du Val-de-Grâce (EVDG) über das „Hier und Jetzt“, aber auch die Zukunft der Special Forces Operational Medicine unter den Aspekten der aktuellen Herausforderungen zu debattieren.

SOFCOM Personal – Anästhesisten, Chirurgen, Notfallmediziner, Notfallpfleger, Intensiv- und Anästhesiepflegepersonal, Notfallsanitäter, Medics – aus über 40 Nationen strömten in die Metropole an der Seine. Die Stimmung entsprach der Gemeinschaft, an die sich die Konferenz wendete: familiär, direkt, unkonventionell, informell und dennoch hochkonzentriert, immer orientiert an dem alle vereinenden Ziel der bestmöglichen Verwundetenversorgung.

Eröffnung der CMC-Conference 2024

Im stattlichen Hörsaal Rouvillois fand die Eröffnungssitzung statt. Die beiden Köpfe und Herzen hinter der Veranstaltung, Colonel Prof Dr. Pierre Pasquier und Oberfeldarzt Dr. Florent Josse begrüßten ihr Publikum herzlich und gewohnt kameradschaftlich und überließen dann das Mikrofon Général de Brigade Dr. Pierre Mahé und Général de Division Michel Delpit, Französisches SOF Command, Generalarzt Dr. Jens Diehm, Vertreter des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr und Dr. Sean Keenan, Präsident der Special Operations Medical Association (SOMA). Allein die Wertschätzung durch die Anwesenheit dieser prägenden Namen und Funktionsträger aus dem Bereich der Militärmedizin unterstrich mit Nachdruck die Bedeutung der Konferenz – für die Teilnehmenden die Initiatoren und ebenso für die Führung, welche durch ihre Präsenz den Anwesenden verdeutlichte, welche strategische und operative Rolle eine gute taktische Verwundetenversorgung und hier speziell für die Spezialkräfte spielt.

Mit klaren und direkten Worten holten die Eröffnungsredner ihr Auditorium ab und versetzten es unmittelbar in die Herausforderungen der aktuellen politischen Lage. Hier warfen sie die wichtigen Fragen auf, die es in den kommenden Stunden und Tagen zu beantworten galt.

  • Wie kann man die gemachten Erfahrungen der Stabilisierungsmissionen, aus dem Kampf gegen terroristische Verbände, transferieren in eine Kombination aus konventioneller und irregulärer Kriegs- und Kampfführung?
  • Was, wenn aus der „golden hour“ auf einmal ein „golden day“ wird?
  • Wie viel Taktik braucht die Medizin?
  • Braucht es eine neue Sparsamkeit in Anbetracht der Realität des fehlenden Nachschubs?
  • Welche Optionen bieten technischer Fortschritt, industrielle Neuerungen und telemedizinische Entwicklung oder braucht es nichts mehr als den gesunden Menschenverstand?

In den ehrwürdigen Gemäuern der EVDG, einem der Geburtsorte der Feldmedizin, sollte die gebündelte Professionalität pragmatische Lösungen erarbeiten und dabei an dem ganzen „Bullshit“ vorbei und auf das Wesentliche schauen.

Dieser Artikel fasst einige Kernbotschaften aus den zahlreichen Vorträgen und Workshops der zwei Tage in Paris zusammen ohne Anspruch auf Vollkommenheit. Weitere Informationen zum gesamten Programm können auf www.cmc-conference.de nachgelesen werden.

Kurzfassungen ausgewählter Vorträge

Neue Bedrohungslagen: Drohnen, Schrapnell und der „Tod der Goldenen Stunde“

Mike Turconi, Kanada

Mike Turconi, Wahl-Kanadier und Veteran der italienischen Spezialkräfte, lieferte einen eindrucksvollen Lagebericht aus der Ukraine. Im Zentrum seines Vortrags stand die „Evolution der Gefährdung“: Der Übergang von unpräzisem Artilleriebeschuss hin zur hochpräzisen Bedrohung durch Drohnen. Diese veränderten das taktische Lagebild dramatisch und machten klassische Deckungsstrukturen obsolet. Turconi bezeichnete die Unmöglichkeit schneller Evakuierung als den „Tod der Goldenen Stunde“.

Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Verwundetenversorgung sind verzögerte Evakuierungen über kurze Distanzen, MASCAL-Lagen mit hohen Zahlen leichter bis mittelschwer Verwundeter, die dennoch erhebliche Ressourcen binden – und eine neue Hauptverletzungsart: Explosionsverletzungen mit Schrapnell, die weit häufiger auftreten als Schussverletzungen (Abbildung 1 u. 2).

Abb. 1: Schrapnellverletzungen dominieren das Verletzungsmuster aus dem Vortrag „Medicine in Large Scale Combat Operations – Lessons identified/learned from Ukraine” (Mike Turconi, CMC Paris, 15.Oktober 2024)

Abb. 2: Über 50 % der Verwundeten kehren nach Erstversorgung zurück ins Gefecht, aus dem Vortrag „Medicine in Large Scale Combat Operations – Lessons identified/learned from Ukraine” (Mike Turconi, CMC Paris, 15. Oktober 2024)

Turconi forderte, Ausbildung müsse über das bloße „Wie“ von Tourniquets hinausgehen und Reassessment, Reposition und Konversion stärker integrieren. Besonders drastisch sei die sogenannte „Epidemie des Extremitätenverlusts“ infolge inadäquater Nachversorgung initial lebensrettender Maßnahmen [14][23][29].

Take-Home Message

  • Präziser Artillerie- und Drohnenbeschuss richtet sich unter anderem führend gegen medizinisches Personal und Einrichtungen: Cover im Untergrund.
  • Selbst kurze Distanzen entlang der Evakuierung sind hoch zeitintensiv.
  • Medics sind kein Massenprodukt.
  • Trainingsnarben durch zu kurz gefasste Tourniquet-Ausbildung.

 

Saving Lives With Good Data und das Joint Trauma-System 

Colonel Dr. Jennifer Gurney, USA

Colonel Dr. Jennifer Gurney, Vorsitzende des Joint Trauma System, betonte in ihrem Vortrag, dass Taktik, Operation und Strategie medizinisch nur auf Basis valider Daten funktionieren könnten. Sie führte weiter aus, dass Datenqualität und deren Kommunikation über Führungs- und Behandlungsebenen hinweg essenziell seien, um Leben zu retten [22].

Ein besonderer Fokus dieses Vortrags lag auf der Rolle von Vollbluttransfusionen im militärischen Setting. Daten aus dem DoD Trauma Registry (DoDTR) zeigten, dass ein sogenannter „Futility Threshold“ für die Gabe von Blutprodukten im militärischen Umfeld möglicherweise nicht existiert – mit relevanten Implikationen für die Ressourcenplanung und Ethik im Einsatz [12][17][35].

Take-Home Message

  • Good Data ermöglichen Good Planning; Bad Data führen zu Bad Planning.
  • Medizinische Daten aus zivil-medizinischen Studien erlauben nur bedingte Rückschlüsse auf die militärische Population.
  • Wenn man lebensrettende Maßnahmen verbessern will, muss man prüfen, an was Verwundete verstorben sind.
  • Die Zielsetzung bestimmt die Mission.

 

Open-Source-Daten und strategische Ableitungen

Lieutenant Colonel Audrey Jarrassier-Feltz, Frankreich

Lieutenant Colonel Audrey Jarrassier-Feltz zeigte das große Potenzial offener medizinischer Daten zur Verbesserung der taktischen Versorgung. Jedoch, so mahnte sie, würden diese Programme zu häufig ausschließlich auf der Arbeit Freiwilliger aus Überzeugung beruhen. Es bestünde die Gefahr der fehlenden Durchhaltefähigkeit. In der Ukraine würden beispielsweise enorme Erfahrungen und Daten entstehen, welche aufgrund von übergeordnet angelegten Registern allzu oft verloren gingen.

Dass eine Förderung entsprechender Daten und Studien enorme strategische Bedeutung habe, zeige eine Metaanalyse von 21 Artikeln mit über 11 000 Patienten. Diese stellt eindrücklich dar, wie essenziell korrekt indizierte Tourniquetanwendung sei – nur 24,6 % seien adäquat eingesetzt worden (Abbildung 3) [16][23].

Abb. 3: Nur 24,6 % der Tourniquets waren korrekt indiziert; aus dem Vortrag „How to use open source medical information? E.g. Russo-Ukrainian Conflict” (Jarrassier-Feltz CMC Paris, 15. Oktober 2024)

Zusätzlich wies sie auf die kritische Bedrohung durch multiresistente Keime wie Carbapenem-resistente Acinetobacter baumannii hin – ein Problem, das sich über Evakuierungslinien hinweg verstärke [16].

Gleichzeitig warnte sie eindrücklich vor der Gefahr manipulierter Open-Source-Daten im Kontext hybrider Kriegsführung.

Take-Home Message

  • Open Source Konzepte brauchen den Rückhalt von Fachgremien und -organisationen, um Durchhaltefähigkeit zu gewährleisten und qualitative Standards zu erhalten.
  • Es müssen Grundlagen geschaffen werden, wertvolle Erfahrungen des Ukraine-Krieges in Form von Registern zur wissenschaftlichen Analyse zur Verfügung zu stellen.
  • Open Source-Quellen obliegen stets der Gefahr, für Desinformation benutzt zu werden.

 

Der tragische Erfahrungs- und Wissensvorsprung der Ukraine 

Dr. John Quinn, USA

Dr. John Quinn betonte die operative Flexibilität ukrainischer Role 1-Strukturen, in denen teils hochkomplexe Verfahren wie REBOA durchgeführt würden (Abbildung 4), während gleichzeitig an anderen Stellen kaum mehr als Basisausrüstung verfügbar sei. Die Ausbildung und Struktur sei außerordentlich heterogen, doch durch hohe Eigenverantwortung und dokumentierte Praxisleistung entstünden wertvolle Erkenntnisse [25].

Abb. 4: Medizinische Strukturen in der Ukraine sind oft improvisiert, aber hoch adaptiv; aus dem Vortrag „Damage Control Resuscitation in Large Scale Combat Operations ”(John Quinn, CMC Paris, 15. Oktober 2024)

Er rief zu einer stärkeren Integration von Special Operation Forces (SOF)-Medizin in konventionelle Planungsprozesse auf und verwies auf die „Tyrannei der Distanz“ als zentrales Problem der Verwundetenversorgung in Large Scale Combat Operations (LSCO). Standardisierte Ausbildung (z. B. via Deployed Medicine [4] – ein Open-Source-Medium der DHA) und die Förderung der Eigenverantwortung („Clinical Governance“) der Medics [21] sei essenziell (Abbildung 5).

Abb. 5: Das Ukrainische Blutprogramm ist weit entwickelt; aus dem Vortrag „Damage Control Resuscitation in Large Scale Combat Operations ” (John Quinn, CMC Paris, 15. Oktober 2024)

Take-Home Message

  • Open Source „Deployed Medicine“ bilingual stärkt Training und Trainingkonzepte.
  • Die ukrainische Frontlinie zeigt eine hoch inhomogene Versorgungsstruktur.
  • Gewonnene Erkenntnisse in LSCO der Ukraine: den COIN-Erfahrungen der NATO-Partner weit voraus.

 

„Les amateurs pensent à la tactique, les professionnels pensent à la logistique“ – Strategischer Wandel und Führungsverantwortung 

Mike Hetzler, USA

Mike Hetzler mit seiner langjährigen Erfahrung im Bereich der militärischen Spezialkräfte-Medizin stellte in seinem Vortrag eine Forderung: die Notwendigkeit eines strategischen Wandels innerhalb der militärmedizinischen Gemeinschaft.

Getragen von seinen Erfahrungen als NATO SOF Medical Program Manager und seinem tiefen Engagement für taktische Medizin betonte er, dass insbesondere Spezialeinheiten die Triebfeder für Wandel seien – nicht nur in medizinischer, sondern auch in strategischer Hinsicht. Unterstützt durch Zitate von General (ret.) Joseph Votel („SOF accelerates change“) hob Hetzler hervor, dass die Gemeinschaft der SOF-Mediziner lernen müsse, konventionelle Angriffsoperationen zu unterstützen – und nicht mehr ausschließlich umgekehrt. Besonders angesichts der massiven Verwundetenzahlen durch Drohnen und Schrapnells müsse man sich fragen, welchen Medic man in fünf bis zehn Jahren brauche. Er stellte die Strategie der „4Ds“ auf: Dispersion, Dezentralisation, Disziplin, Deception. Dabei forderte er die Stärkung des medizinischen Führungspersonals: Vom Medic zum strategischen Entscheider („Be a commander, accept risks“). Zentrale Fähigkeiten lägen in der operativen Führungsbefähigung und der Integration technischer Innovationen wie KI und Drohnentechnologie – sowohl zur Versorgung als auch für Logistik und Evakuierung. Um diesen Wandel zu unterstützen, sei ein Zusammenspiel aus militärischer, akademischer und industrieller Kooperation erforderlich. Das von der Standard Operating Medical Assessment (SOMA) initiierte „Medical Support to Irregular Warfare“-Komitee (MSIW) sei laut Hetzler ein Beispiel für notwendige Strukturen, die als Reaktion auf irreguläre Kriegsführung geschaffen werden müssten.

Take-Home Message

  • Strategische Weichen für die nächsten 5–10 Jahre müssen jetzt gestellt werden.
  • Anpassung des Trainings an LSCO-Erfahrung: agile Forward Surgical Elemente, welche aus dem Untergrund, aus Bunkern, aus Wohnzimmern heraus operieren.
  • Durch SOF erworbene Fertigkeiten müssen Einzug in die reguläre Kampfführung halten.

 

Ad-hoc und komplex – Evakuierungsmissionen ohne Vorbereitung 

Colonel Prof. Brice Malgras, Frankreich

Colonel Prof. Brice Malgras veranschaulichte mit einem eindrücklichen Erfahrungsbericht die Realität hochkomplexer Evakuierungseinsätze ohne Vorbereitungsspielraum. Im Frühjahr 2023 führte er ein Special Operation Surgical Team (hier: Surgical Life Saving Modules = SLM) in eine Ad-hoc-Mission im Sudan [18]. Mehr als 1 000 Menschen aus über 80 Nationen mussten innerhalb von 96 Stunden evakuiert werden. Neben klassischen militärischen Strukturen kamen chirurgische Module im Flugzeugeinsatz zum Tragen. Colonel Malgras plädierte dafür, dass Ausbildung und Training genau diese Szenarien simulieren und vorwegnehmen müssten, um Versorger in derartigen Hochrisiko-Situationen resilient zu machen.

Take-Home Message

  • Evakuierungsmissionen bieten kaum Planungszeit: sie müssen im Training trainiert werden und vorab im Medical Planning berücksichtigt werden.
  • Think Outside the Box: Forward Surgical Element auch im Flugzeug verbringbar und während des Fluges einsetzbar.

 

Prolonged Casualty Care – Die Kunst des langen Atems

Dr. Sean Keenan, USA

Dr. Sean Keenan, langjähriger US-Militärarzt und führender Kopf in der „Prolonged Field Care“ (PFC)- bzw. „Prolonged Casualty Care“ (PCC)-Entwicklung, griff in seinem Vortrag deren Herausforderungen auf. Sein Ziel war klar: Die mentale und fachliche Befähigung der Einsatzmediziner zur Versorgung über Stunden oder Tage, fernab etablierter Rettungsketten.

Die Grundlage sei laut Keenan ein stabiles Fundament in TCCC (Tactical Combat Casualty Care) und ein funktionierendes Blutprogramm [4]. Nur regelmäßiges, realitätsnahes Training könne operative Handlungssicherheit erzeugen.

„Einen Patienten zu behandeln, bei dem Dir vollkommen bewusst ist, dass er woanders behandelt werden sollte – und das wesentlich länger, als Du das möchtest.“ (Zitat Dr. Doug Powell).

Das Wachstum evidenzbasierter Leitlinien (CPGs) müsse aktiv gefördert werden, um PFC/PCC nicht zur Ausnahme, sondern zur strukturierten Versorgungsoption zu machen – sowohl in COIN-Einsätzen als auch in LSCO unter Bedingungen irregulärer Bedrohung [27].

Take-Home Message

  • Der Ursprung der „Tyrannei der Distanz“ bleibt in Bezug auf PCC sowohl bei COIN als auch LSCO von hoher Relevanz.
  • Die Schlüssel guter PCC-Versorgung sind und bleiben: solide TCCC-Ausbildung, Blutungskontrolle, suffizientes Blutprogramm.
  • Neue Version der PCC-CPG des JTS sind für 2025 geplant.

 

Das Operator-Syndrom – die Schattenseite der Elite

Colonel Dr. Anis Duffaud, Frankreich

Colonel Dr. Anis Duffaud, Neurophysiologin am Hôpital Bégin, stellte mit dem „Operator Syndrome“ eine komplexe Syndromkonstellation vor, die weit über klassische PTSD hinausgeht. Sie sprach durch ihren Vortrag wahrscheinlich einigen Zuhörern aus der Seele, aber allen in die Seele.

Basierend auf bis zu 30 Einzeldiagnosen – von mildem Schädel-Hirn-Trauma bis zu sozialer Dysfunktion (Abbildung 6) – beschrieb sie dieses Syndrom als Ausdruck chronischer Allostase (Befähigung des Organismus, durch Anpassung an Belastung eine Form der Stabilität zu erreichen) unter Dauereinsatzbedingungen. Die durch Dr. Christopher Frueh begründete, noch sehr junge Forschung zeige, dass SOF-Operator zwar resilienter wirkten und auch zum Teil seien, jedoch Symptome deutlich seltener meldeten – bei gleichzeitig schwereren Verlaufsformen [5][9]. Besonders im aktiven Dienst bestehe eine hohe Dunkelziffer, die langfristig zur Destabilisierung der Gesundheit und Einsatzfähigkeit führen könne. Die von Duffaud vorgestellte OPSYN-FR Studie soll künftig mehr Evidenz zur physischen, psychischen und sozialen Belastung französischer Spezialkräfte liefern.

Abb. 6: Die multiplen Pathologien, welche unter dem Begriff des „Operator Syndrome“ zusammengefasst werden; aus dem Vortrag „What is the Operator Syndrome” (Anis Duffaud, CMC Paris, 15. Oktober 2024; Grafik aus [4])

Take-Home Message

  • PTSD unterscheidet sich in der Schwere der Ausprägung zwischen SOF-Personal und regulären militärischen Kräften.
  • SOF-Personal ist körperlich gesünder und resilienter.
  • Das Operator Syndrom steht im Zusammenhang mit der Belastungshöhe und -dauer.
  • Das Operator Syndrom ist noch weitestgehend unerforscht, beinhaltet aber bis zu 30 unterschiedliche Pathologien.

 

Lighter, Faster, More Agile – Zusammenfassung und Perspektive 

Colonel Dr. Yann Le Vaillant, Frankreich

Colonel Dr. Yann Le Vaillant stellte zum Tagesabschluss nochmals die Schlüsselthemen in den Fokus:

  • verschwimmende Grenzen zwischen Kombattanten und Zivilisten,
  • Drohnen als logistische Ressource,
  • der gezielte Angriff auf medizinische Versorgungseinrichtungen und
  • die Notwendigkeit operativer Flexibilität bei DCS- und Resuscitation-Modulen.

Eine besonders betonte Herausforderung sei die Absicherung von Open Source-Strukturen durch Peer-Review und faktenbasierte Kommunikation. NGOs müssten besser integriert, strategisch eingebunden und in Bezug auf ihre Rolle im zivil-militärischen Versorgungsnetzwerk analysiert werden. Um den Herausforderungen irregulärer Kriegsführung medizinisch zu begegnen, müsse medizinisches Personal verstärkt befähigt werden, taktisch und operativ zu denken – und internationale Partnerschaft als Schlüssel zum Erfolg zu begreifen.

Take-Home Message

  • DCS/DCR-Einrichtungen müssen leichter, agiler und schneller sein.
  • Einsatz von Drohnen kann als Nachschubsysteme bei ressourcenintensiven Materialien, Medikamenten dienen.

 

„If you stare into the abyss…” – Humanitäre ­Lehren aus Extremszenarien

Dr. Samer Attar, USA

Dr. Samer Attar, Chirurg bei Médecins Sans Frontières, konfrontierte sein Auditorium mit einer Realität, die jenseits militärischer Planspiele liegt (Abbildung 7):

Abb. 7: Amputation, Debridement, offene Wundbehandlung, Fixateur Extern; aus dem Vortrag „War Surgery Journal: Syria, Ukraine, Gaza” (Samer Attar, CMC Paris, 16. Oktober 2024)

  • Massenverwundetenlagen mit minimaler Ausstattung, täglich, dauerhaft;
  • Amputationen, Debridements, Fixateur Extern – alles ohne moderne Bildgebung, ohne Schutz, unter Dauerbelastung.

Die Ukraine und Gaza hätten ihn gelehrt, dass es weniger um komplexe Prozeduren als um psychologische Resilienz und nüchterne, pragmatische Chirurgie gehe [10]. Seine Forderung: weniger Fokus auf Technik, mehr Fokus auf Entscheidungsstärke unter Druck. Akzeptanz von Grenzen, Training von „mental coping skills“ und eine klare ethische Linie seien essenziell. Das Ziel sei nicht das Unmögliche – sondern das Mögliche für den Einzelnen, den man retten könne.

Take-Home Message

  • Chirurgische Kenntnisse und Fertigkeiten werden reduziert auf: Amputation, Debridement, offene Wundbehandlung, Fixateur Extern.
  • Hauptbelastung und Herausforderung liegen im psychischen und emotionalen Umgang: kontinuierliche Bedrohung, Unmöglichkeit der Triage, ein Fehlen an allem, Wellen der Hilflosigkeit und Gefühl der Machtlosigkeit.
  • Resilienz wird gewonnen aus Abgrenzung, aus dem Anerkennen des Erreichten und aus der Kraft der Gemeinschaft.

 

Ein externes Auge sieht mehr – Telemedizinischer Support für den SOF Medic

Colonel Prof. Dr. Yvain Goudard, Frankreich

Colonel Prof. Dr. Yvain Goudard bildete in seinem folgenden Vortrag einen scharfen Kontrast zu technologie-armen Umwelt von Dr. Attar. Im Rahmen des RAPACE-Projekts testeten sein Team und er verschiedene telemedizinische Konzepte auf deren tatsächliche Anwendbarkeit im Rahmen eines SOF-Einsatzes. RAPACE steht dabei für „Réalité Augmentée Pour Assistance par Chirurgien Expert“ [11].

Fazit: noch nicht einsatzreif, aber vielversprechend. Insbesondere sogenannte Pass-Through-Systeme hätten im Praxisbezug Potenzial. Sie erlauben einen stetigen Fluss an Information des stattfindenden chirurgischen Eingriffs und erlaubten gleichzeitig eine in das Bildsystem integrierbare Unterstützung, wie beispielsweise extern eingespielte Haut- oder Gewebeschnittführung. Weiterhin wurden Offline-Modi getestet, welche gerade im Hinblick auf elektronische Aufklärbarkeit eine Rolle spielen. Bei aller Nutzerfreundlichkeit ginge die Nutzung mit einer hohen Anforderung an die Konzentration des Anwenders einher.

Take-Home Message

  • Telemedizinische „Pass-Through-Systeme“sind am vielversprechendsten.
  • Elektrische Signatur und Offline-Optionen bedürfen weiterer intensiver Forschung.
  • Systeme bringen hohe Belastung für die Konzentration in der Anwendung mit sich.

 

Mondlandung in der Blutungskontrolle – ­Innovation und Realität 

Colonel Dr. Paul Parker, UK

Colonel Dr. Paul Parker, ranghöchster Consultant für Unfallchirurgie und Orthopädie des Britischen Heeres, stellte in seinem Vortrag eine der zentralen medizinischen Herausforderungen der modernen Gefechtsfeldversorgung in den Fokus: die Kontrolle nicht-komprimierbarer Blutungen (Non-Compressible Torso Hemorrhage, NCTH) [8]. Mit Blick auf die steigende Mortalität insbesondere bei abdominalen, pelvinen und junktionalen Blutungen – verschärft durch lange Evakuierungszeiten im Rahmen der „Tyrannei der Distanz“ – formulierte Parker die richtungsweisende Frage: Kann man NCTH in komprimierbare Blutungen umwandeln?

Dabei knüpfte er an die bestehenden junktionalen Tourniquets an, betonte jedoch, dass deren Eigenschaften den Anforderungen eines idealen Geräts bislang nicht gerecht würden [33]. Ein solches Device müsse einfach anzulegen, kontrollierbar, wiederverwendbar, kompakt, gewebeschonend und transportsicher sein sowie den Zugang zum Becken und zur Schlinge nicht behindern.

Parker präsentierte drei zentrale Treiber für Innovation:

  • Shift durch erfolgreiche Extremitäten-Tourniquets, der die Verwundungsschwerpunkte auf Torso und proximal-junktionale Regionen verlagerte [8],
  • zunehmende Schwere der Verletzungsmuster durch Drohneneinsatz – insbesondere im Ukrainekrieg – verbunden mit einem Anstieg an DCS-pflichtigen Verwundungen [13] sowie
  • Zeitfaktor: Jede Minute unkontrollierter Blutung erhöhe die Mortalität um bis zu 5 % [18].

Vor diesem Hintergrund skizzierte Parker in einem eindrucksvollen Überblick aktuelle Forschungsansätze zur NCTH-Kontrolle – ein medizinisches Unterfangen, das in Analogie zur „Mondlandung“ gesehen würde [20]. Interessant seien dabei mehrphasige, hämostyptische Schäume zur internen Kompression, bislang im experimentellen Stadium [6].

Im Zentrum stand jedoch das AAJT (Abdominal Aortic and Junctional Tourniquet), dessen Erfolgsbilanz Parker sowohl aus präklinischer Forschung als auch aus über 60 dokumentierten Anwendungen in der Ukraine eindrucksvoll darstellte [3][26]. Das AAJT gilt als rasch anwendbar, effektiv und sicher – sogar über eine Anlagedauer von zwei Stunden hinweg. Es wurde bei schweren Blutungen in Becken-, inguinalen und axillären Bereichen eingesetzt – bis hin zur erfolgreichen Anwendung bei fünf Trauma-induzierten Herz-Kreislauf-Stillständen [1].

Colonel Parker schloss mit einem Appell: Zeit sei der kritische Faktor – sowohl in der Ausbildung zur Anwendung solcher Devices als auch in deren schnellem, lebensrettenden Einsatz auf dem Gefechtsfeld.

Take-Home Message

  • Zeit bis zur Blutungskontrolle ist ein entscheidender Faktor für die Mortalitätsreduktion.
  • Externe Kompression mittels AAJT ist äquivalent zur Zone 3 Okklusion REBOA.
  • Vielzahl an erfolgreichen Anwendungen des AAJT.
  • Fallbasierter Einsatz im Rahmen TCA erfolgreich.

 

Die Bedeutung von Technologietransfer und praktischer Ausbildung im SOF-Kontext

Major Dr. Jean-Charles de Schoutheete und Captain Dr. Arthur Bun, Belgien

Die Vorträge von Major Dr. Jean-Charles de Schoutheete und Captain Dr. Arthur Bun verdeutlichten, wie bedeutsam die realitätsnahe chirurgische und anästhesiologische Ausbildung für Personal von Forward Surgical Elements ist. Die vorgestellte belgisch-kongolesische Kooperation bot eine lebendige Blaupause dafür, wie SOF-Medizin auch unter schwierigsten Bedingungen aufrechtzuerhalten ist. In Kinshasa konnten sowohl chirurgische Basiseingriffe (Laparotomien, Amputationen) unter limitierten Ressourcen (Abbildung 8) als auch regionalanästhesiologische Verfahren unter widrigsten Umständen (z. B. Spinalanästhesie bei Laparotomie) erfolgreich durchgeführt werden. Dies unterstreiche den Wert echter Behandlungserfahrung in ressourcenarmen Settings als Ergänzung zu High-Fidelity-Simulationen.

Abb. 8: Ressourcenknappheit in Dritte-Welt-Behandlungseinrichtungen; aus dem Vortrag „Belgian Role 2 Forward experience” (de Schoutheete/Bun, CMC Paris, 16. Oktober 2024)

Take-Home Message

  • Ressourcenknappheit in Dritte-Welt-Behandlungseinrichtungen bieten Möglichkeiten in Simulation erlernte DCS/DCR Fähigkeiten einsatzrealitätsnah zu trainieren.
  • Rückbesinnung auf einfache Verfahren und den klinischen Blick ist notwendig.

 

Balance zwischen Mobilität, Qualität und Taktik

Lieutenant Colonel Dr. Matthieu David, Frankreich

Lieutenant Colonel Dr. Matthieu David spannte den Bogen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der französischen SOF-Medizin und formulierte die 5 medizinisch-taktischen Kernziele des französischen SOFCOM (z. B. Mobilität, Resilienz, Telemedizin) [22]. Als Schlüsselfaktor wurde erneut die Fähigkeit zur Bluttransfusion unter SOF-Bedingungen hervorgehoben. Dabei wurde betont, dass die modulare medizinische Einsatzstruktur flexibel auf PACE-Konzepte (Primary, Alternate, Contingency, Emergency) angepasst sein müsse. Klar wurde auch: Die irreguläre Bedrohungslage verlangt nach einem Paradigmenwechsel in der Ausbildung – hin zu taktisch und operativ denkendem medizinischem Personal.

Take-Home Message

  • Nicht „One Size Fits All“, sondern an jeweilige Situation angepasstes Medical Planning für modulare medizinische Einsatzstrukturen ist gefragt.

 

Strategische Bewertung und „Medical Offset Strategy“: Multinationale Interoperabilität statt singulärer Standards

Colonel Dr. Benjamin Ingram, USA

Colonel Dr. Benjamin Ingram, NATO SOFCOM MEDAD, beleuchtete die Notwendigkeit strategischer Qualifizierungsstandards in multinationalen Strukturen. Aufbauend auf dem Konzept der Medical Offset Strategy plädierte er dafür, medizinische Interventionen – v. a. Blutungskontrolle und Bluttransfusion – so nah wie möglich an die Point of Injury zu bringen [2][19]. Das größte Hindernis sei derzeit die mangelnde Interoperabilität sowohl im Bereich der Ausbildung als auch im logistischen System. Trainingsformate wie das PETT-Training (Prolonged Evacuation Transport Team) seien erste Schritte, müssten aber durch einheitliche europäische und NATO-Standards ergänzt werden. Blut, Blut immer wieder Blut, betonte Colonel Ingram und stellte die Frage, wie bei einer so Mortalitäts- und Morbiditäts-entscheidenden, medizinischen Maßnahme weder eine europäische noch NATO-weite Interoperabilität bestünde. Ingram forderte die Nutzung digitaler Technologien, z. B. durch AI-gestützte logistische Analysen oder QR-Code-basierte Patientenregistrierung, um den Anforderungen zukünftiger LSCO gerecht zu werden. Eine zentrale Erkenntnis: “Force Medical Risk and Medical Force Risk.” Die medizinische Versorgung müsse antizipativ, resilient und digital transformiert sein, um den Anforderungen moderner Kriegsführung gerecht zu werden.

Take-Home Message

  • Etablierung wahrer medizinischer Interoperabilität: grenzübergreifende, medizinische Regularien, mit vorangigem Blick auf interoperable Blutprogramme.

 

Zukunft der Blutprodukte – Innovation & Realität 

Prof. Dr. Andrew Cap, USA

Prof. Dr. Andrew Cap stellte die neuesten Entwicklungen im Bereich lyophilisiertes Plasma (FDP) und dessen ­Bedeutung für zukünftige Einsätze dar [24]. Während Glasampullen derzeitige Systeme limitieren, sind neue Entwicklungen in Plastikverpackungen und Containerlösungen zur Gefriertrocknung Hoffnungsträger [34]. Die strategische Relevanz ergibt sich nicht nur durch die Effektivität, sondern auch durch die Unabhängigkeit von konventionellen Lieferketten (Abbildung. 10) – ein entscheidender Vorteil unter LSCO-Bedingungen.

Abb. 10: Unabhängigkeit von konventionellen Lieferketten; aus dem Vortrag „The Future of SOF Medicine: Innovation NOW!” (Andrew Cap, CMC Paris, 15. Oktober 2024)

Take-Home Message

  • Gefriergetrocknetes Plasma in Plastikcontainer verpacken.
  • Ausbringen von Container-gestützten-Gefriertrocknungs-Einrichtungen.
  • Forschung an der Haltbarkeitsverlängerung von Blutprodukten ist essenziell.

 

ASEVAC durch Drohnen – Science nicht länger Fiction

Captain Dr. Camille Brenet, Frankreich

Captain Dr. Camille Brenet rückte Drohnen in ein neues Licht: nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Evakuierung [31]. Neben dem bereits umgesetzten Transport medizinischer Produkte präsentierte sie vier funktionale UAV-Systeme mit CASEVAC-Potenzial (z. B. T-650, MERT-R). Ein Konzept aus UAV- und UGV-Evakuierung in Kombination mit KI-gestützter Entscheidungsunterstützung wurde skizziert – realistisch in der Zukunft, aber mit aktuellen Herausforderungen wie Hypothermie, physiologischen Belastungen und triagebezogenen Limitationen.

Take-Home Message

  • Drohnen sind multipel einsetzbar.
  • Evakuierungs-Prototypen bedürfen weiterer Verbesserung.
  • Indikationsstellung des Einsatzes spielt eine Schlüsselrolle.

Die medizinische Antwort auf hybride Kriegsführung – Interoperabilität, Innovation und Resilienz

Die CMC Paris 2024 offenbarte eindrucksvoll:

Die militärische Verwundetenversorgung muss sich ­fundamental anpassen – technisch, taktisch und konzeptionell. Moderne Konflikte erfordern eine enge zivil-militärische Verzahnung, neue Aus- und Weiterbildungsformate, modularisierte Versorgungseinheiten und die Integration technischer Innovationen wie Künstliche Intelligenz, Telemedizin und UAV-Systeme. Die SOF-Medizin hat dabei nicht nur eine reaktive, sondern zunehmend eine gestaltende Rolle.

Oder wie Prof. Dr. Andrew Cap es ausdrückte:

„If we are complacent, we will be defeated.“

Save the Date:

Die CMC-Conference 2025 findet am 2. und 3. Juli in Blaubeuren statt. Siehe hierzu unter www.cmc-conference.de.

Literatur

  1. Androshchuk D, Andriy V: Successful Management of Battlefield Traumatic Cardiac Arrest Using the Abdominal Aortic and Junctional Tourniquet (AAJT): A Case Series. J Spec Oper Med 2025; 25(1): 65-69. mehr lesen
  2. Barbee GA: The Strategic Survivability Triad: The Future of Military Medicine in Support of Combat Power. National Defense University Press Joint Force Quarterly 2022; 107(1): 102-115. mehr lesen
  3. Brännström A, Dahlquist A, Gustavsson J, Arborelius UP, Günther M: Increased crystalloid fluid requirements during zone 3 Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta (REBOA) versus Abdominal Aortic and Junctional Tourniquet (AAJT) after class II hemorrhage in swine. Eur J Trauma Emerg Surg. 2022; 48(1): 335-344. mehr lesen
  4. Defense Health Agency in partnership with the Joint Trauma System Deployed Medicine. März 2025. , letzter Aufruf 28. April 2025. mehr lesen
  5. DeMarco K, Byrne C: Expanding the model of Operator Syndrome to integrate moral injury and present a whole person schematic. Psychology Today 2024.
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  7. Donna M: U.S.Army 'Golden hour' initiative pays off in Afghanistan. 5. May 2011. , letzter Aufruf 28. April 2025. mehr lesen
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Verfasserin

Oberfeldarzt Dr. Daniela Lenard

Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedzin und Schmerztherapie

Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm

E-Mail: danielalendard@bundeswehr.org

Abb. 9: Medizinisch-taktische Ziele des Französischen SOFCOM; aus dem Vortrag „A French Point of View”; (Mathieu David, CMC Paris, 15. Oktober 2024, Abbildung modifiziert aus [22])

277AWMM 2025–69(6)

Taktische Medizin PDF

Sanitätsdienstliche Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg

Medical Lessons Learned from the War in Ukraine

Dennis Rittera, Christoph Czwielungb, Willi Schmidbauerc

a Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, Koblenz

b Sanitätsversorgungszentrum Bonn

c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Zusammenfassung

Der Krieg in der Ukraine zeigt deutlich, wie zukünftige militärische Auseinandersetzungen sich auf die sanitätsdienstliche Versorgung auswirken können. Aus dem Erfahrungsgewinn lassen sich verschiedene Lehren ziehen, die sich auf die Patientenbehandlung vom Ort der Verwundung entlang der Rettungskette auswirken und auf zukünftige Herausforderungen verweisen.

Ersthelfer müssen die Konversion eines Tourniquets beherrschen und im Hinblick auf Resilienz und Umgang mit Verwundung und Tod besser ausgebildet werden. Ersthelfer-A und B müssen in der verlängerten Versorgung in den verschiedenen Phasen der taktischen Medizin qualifiziert werden. Eine erste sanitätsdienstliche Versorgung muss um die Fähigkeiten der Vollblutgabe erweitert werden, in Verbindung mit einer verbesserten taktischen Ausbildung. Die Role 1-Versorgung, aber auch die erste chirurgische Stabilisierung, müssen verstärkt auf den Massenanfall von Verletzten und Erkrankten vorbereitet werden. Der strategische Patiententransport muss zur Bewältigung einer großen Anzahl von Verwundeten und Erkrankten um die Fähigkeit eines bodengebundenen Transportes auf der Schiene erweitert werden. Nicht zuletzt muss das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass in bestimmten frontnahen Abschnitten die Reduktion der elektromagnetischen Strahlung ebenso überlebenswichtig ist wie die Nutzung unterirdischer Versorgungseinrichtungen.

Schlüsselwörter: Grundlagenausbildung Ersthelfer, Verletzungsmuster und -folgen, Rettungskette, strategischer Patiententransport

Summary

The war in Ukraine clearly demonstrates how future military conflicts might impact medical services. The lessons learned can be applied to patient care from the point of injury along the rescue chain, pointing to future challenges. First responders must master the conversion of a tourniquet and receive better training on resilience and dealing with injury and death. First responders A and B need to be qualified in extended care across various phases of tactical medicine. Initial medical care must be enhanced with the capability for whole blood transfusions, combined with improved tactical training. Role 1 care, as well as initial surgical stabilization, needs to be better prepared for mass casualty incidents. Strategic patient transport must be expanded to include rail-based ground transportation to handle a large number of casualties. Additionally, awareness must be raised about the critical importance of reducing electromagnetic radiation in certain frontline areas, as well as utilizing underground supply facilities.

Keywords: Basic training for first responders; injury patterns and consequences; rescue chain; strategic patient transport

Einleitung und Hintergrund

Mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat eine neue Ära der Kriegsführung begonnen. Die Kombination aus konventionellen Kampfhandlungen, hybriden Bedrohungen und der massiven Nutzung moderner Technologien hat erhebliche Auswirkungen auf die militärische Strategie und Logistik. Besonders betroffen ist die medizinische Versorgung im militärischen Kontext. Die Herausforderungen, mit denen sich Sanitätsdienste konfrontiert sehen, haben sich durch neue Bedrohungsszenarien, hohe Verwundetenzahlen und eine gestörte Infrastruktur vervielfacht.

Wegen teils fehlender oder objektivierbarer Daten wird eine strukturierte Analyse erschwert. Häufig unterliegen Patientenzahlen und Verletzungsmuster der militärischen Geheimhaltung oder sind schlichtweg nicht vorhanden. Hier ist insbesondere das Fehlen eines „Traumaregisters“ in der Ukraine zu nennen. Angaben zu russischen Daten sind nahezu nirgendwo zu finden, sodass hier die Interpretation umso schwerer fällt. Somit stammen die Informationen aus einer Vielzahl von Einzelgesprächen, aus Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken, aus Vorträgen auf Konferenzen und aus Angaben von NATO-Partnern (soweit nicht eingestuft). Daneben existiert eine große Menge von Publikationen in Journalen aller Art, die nicht immer einem Peer Review unterliegen. Unter anderem stammen eine große Zahl an Veröffentlichungen von freiwilligen Hilfsgesellschaften, sog. Non-Governmental Organizations (NGO).

Alle diese Umstände sind bei der Lektüre dieses Artikels zu berücksichtigen, wobei sich die Autoren bemüht haben, die Analyse so objektiv wie möglich zu erstellen. Wir möchten uns ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Lessons Learned Branch des Military Medicine Center of Excellence (MilMedCOE) in Budapest unter Leitung von Captain (Navy) Jeff Ricks MD bedanken, die uns eine Vielzahl der aktuellen Erkenntnisse geliefert haben.

Die medizinische Versorgung in einem Kriegsgebiet muss mehrere Aspekte berücksichtigen: Die Erstversorgung direkt auf dem Schlachtfeld, den effizienten Verwundetentransport, die medizinische Logistik sowie die langfristige Betreuung von Verwundeten und traumatisierten Soldaten. Die „Golden Hour“ – also die erste Stunde nach einer Verwundung – entscheidet oft über Leben und Tod. Die schnelle und effiziente Versorgung ist daher ein kritischer Faktor, der über den Erfolg militärischer Operationen mitbestimmen kann. In dieser Analyse werden die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg in Bezug auf den Sanitätsdienst betrachtet und zukünftige Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Rahmenbedingungen des Konflikts

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt eine neue Dimension der hybriden Kriegsführung. Neben den klassischen militärischen Auseinandersetzungen setzen beide auf (zivile) kritische Infrastruktur. Diese Faktoren beeinflussen auch die medizinische Versorgung erheblich.

Seit Beginn der groß angelegten Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 wurden zahlreiche medizinische Einrichtungen bewusst beschädigt oder zerstört. Laut dem ukrainischen Gesundheitsministerium waren bis Dezember 2024 insgesamt 2 167 medizinische Einrichtungen betroffen, darunter 1 878 beschädigt und 289 vollständig zerstört [5].

Die momentane Lage zeigt deutlich, dass sich durch die Nutzung von Drohnen eine technologische „No-Go-Area“ mit einer Tiefe von bis zu 15 km hinter der Frontlinie ausgebildet hat. Diese war zu Beginn des Krieges noch deutlich kleiner mit bis zu 5 km und bestand nicht in der Nacht. Inzwischen hat die Nachtkampffähigkeit der Drohnen erheblich zugenommen, sodass der taktische Vorteil der Nacht nahezu nicht mehr existiert [9]. Ebenso hat die Aufklärungsmöglichkeit elektromagnetischer Signaturen durch Drohnen erheblich zugenommen. Dies führt dazu, dass der Betrieb von elektrischen Geräten, insbesondere Medizinprodukten problemlos aufgeklärt wird und die betroffene Einrichtung somit Opfer von Gegenmaßnahmen werden kann. Dies gilt auch für die Nutzung von Mobilfunkgeräten. Auch wird von Drohnen das Vorhandensein von medizinischen Abfällen aufgespürt, um in der Nähe befindliche sanitätsdienstliche Behandlungseinrichtungen schneller aufklären zu können.

Der Verlust des Schutzes des Roten Kreuzes als Schutzzeichen gemäß der Genfer Konventionen durch die russische Seite erhöht deutlich den Druck auf alle an der sanitätsdienstlichen Versorgung Beteiligten.

Eine besondere Herausforderung ist die hohe Anzahl an Verwundeten in kurzer Zeit. Insbesondere durch Artilleriebeschuss und Explosionsverletzungen entstehen komplexe Verletzungsmuster, die eine hochspezialisierte Versorgung erfordern. Die logistischen Herausforderungen durch zerstörte Straßen, unterbrochene Versorgungslinien und den gezielten Angriff auf medizinische Einrichtungen erschweren die Situation zusätzlich. Ein weiteres Problem ist die Erreichbarkeit von Frontgebieten, da medizinische Teams oftmals unter hohen Sicherheitsrisiken arbeiten müssen.

Erkenntnislinien

Erkenntnislinie 1: Verletzungsmuster und Todesursachen

Verletzungsmuster werden in bewaffneten Konflikten regelmäßig ausgewertet. Im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) haben Eastridge et al. die Phase zwischen 2001 und 2011 betrachtet und daraus Ableitungen für die Verwundetenversorgung getroffen, welche größtenteils noch heute Bestand haben [4]. Im Schwerpunkt dieser Analyse lag der Fokus auf den vermeidbaren Todesursachen, welche überwiegend im Zusammenhang mit massivem Blutverlust standen. Hierbei konnte ein Verbluten bei Verletzungen der Extremitäten als vermeidbare Todesursache festgestellt werden. Weitere Faktoren waren die Verlegung der Atemwege sowie der Spannungspneumothorax [1]. Hinsichtlich der letalen Verletzungsmuster lag in einer Analyse folgende Reihung vor:

  1. Schweres Schädel-Hirntrauma in der Gruppe der definitiv letalen Verletzungen mit 83 %,
  2. Verbluten bei potenziell überlebbaren Verletzungen im Bereich des Torsos (43 %), der Extremitäten (31 %) und junktional (Nacken, Achselhöhle und Leistenregion mit 21 %) [3].

Hieraus resultierend führten alle NATO-Partner das Abbinden der Extremitäten durch ein Tourniquet in die Selbst- und Kameradenhilfe ein. Die Entlastung eines Spannungspneumothorax hingegen ist (in Deutschland nur) geschultem Personal vorbehalten und wird erst ab der Stufe Ersthelfer B gelehrt, angelehnt an den sog. Combat Life Saver (CLS).

Verletzungsmuster

Anlässlich der 59. COMEDS Plenary Meetings in Oslo (Norwegen), vom 18. bis 20. April 2023, präsentierte der ukrainische Surgeon General, Frau Major General Tetiana Ostaschenko, folgende Analysen:

  • 67 % aller Getöteten verstarben innerhalb der ersten zehn Minuten nach Verwundung; weitere 33 % im Anschluss ohne Nennung einer Zeitlinie.
  • Verbluten wird als Haupttodesursache angegeben.
  • 10–15 % der Verwundeten bedürfen einer umgehenden und frontnahen notfallchirurgischen Stabilisation, um einen anschließenden Transport überleben zu können.

Die verletzten Körperregionen verteilen sich wie in Abbildung 1 angegeben.

Abb. 1: Verletzte Körperregionen präsentiert auf der 59. COMEDS-Tagung 2023: Zum Zeitpunkt der Tagung lag der Anteil der Extremitätenverletzungen mit insgesamt etwa 70 % noch höher.

Daraus ergeben sich bei den Verletzungsmustern zwei Schwerpunkte:

  • Extremitätentraumata und
  • Verwundungen im Kopf-Halsbereich.

Nach jüngst durch MilMedCOE mitgeteilten Erkenntnissen sind momentan im Schwerpunkt Extremitätenverletzungen durch Schrapnelle auf ukrainischer Seite zu verzeichnen. Diese haben das Ziel, deutlich erkennbare Verletzungen zu erzeugen, die die Verstümmelung oder den Verlust einer oder mehrerer Extremitäten zur Folge haben. Dieses soll die Zivilgesellschaft zunehmend demoralisieren und in eine Kriegsmüdigkeit treiben.

Versorgungszeiten

Legt man die ebenfalls im Vortrag von Major General Ostaschenko erwähnten und aus unseren eigenen Erkenntnislinien des Sanitätsdienstes [8] abgeleiteten Versorgungszeiten zugrunde, so muss man im Schnitt mit folgenden Verweildauern der Verwundeten und Erkrankten rechnen:

In letzter Konsequenz zeigt sich, dass eine nicht ausreichende Zahl sanitätsdienstlicher Kräfte zu unverhältnismäßig höheren Verlusten nach, während bzw. bei Kampfhandlungen führt. Die vorliegenden Berichte zeigen deutlich prolongierte Versorgungszeiten und damit verbunden einen wesentlich schlechteren medizinischen Outcome für die schwerverletzten Patienten.

 

Tab. 1: Geschätzte aktuelle Verweildauer von Verwundeten im Ukrainekrieg

Risiko: Mikrobielle Kontamination

Betrachtet man die Verletzungsmuster der nach Deutschland ausgeflogenen UKR-Staatsbürger, so fällt überdies die massive mikrobielle Kontamination der Verwundeten und Verletzten auf. Diese stellt die aufnehmenden Krankenhäuser in Deutschland regelmäßig vor große Herausforderungen, bis hin zu fehlenden antibiotischen Therapieoptionen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass eine initiale unnötig breite antibiotische Prophylaxe eben jene Resistenzbildung fördert, sodass das Tactical Combat Casualty Care (TCCC)-Konzept, das schon initial Gabe eines Carbapenems vorsieht, hier nicht unterstützt werden sollte, sondern stattdessen evidenz-basiert die initiale Gabe von Moxifloxacin oral im Rahmen der Selbst- und Kameradenhilfe bei stark kontaminierten Wunden und von Cefuroxim (ggf. in Kombination mit Metronidazol) ab der Ausbildungsstufe Combat Medic Corpsman intravenös erfolgt. Darüber hinaus muss immer wieder betont werden, dass der bestmöglichen Einhaltung der Basishygiene ein wesentlicher Stellenwert in der Prävention dieser nosokomialen Infektionen zukommt, die nicht nur das Outcome massiv verschlechtern, sondern im Behandlungsverlauf auch massiv und vermeidbar die ohnehin begrenzten Ressourcen binden.

Unbenommen der nicht verifizierten und sehr stark differierenden Ausfallraten beider Seiten kann mit hoher Wahrscheinlichkeit gefolgert werden, dass die russischen Verluste um ein Vielfaches höher sein werden.

Erkenntnislinie 2: Selbst- und Kameradenhilfe:

Disease and Non-Battle-Injuries

Der Fokus der zukünftigen Ausbildung muss sich an die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Traumaforschung und Erfahrungen aus den bewaffneten Konflikten orientieren. Leider liegen seitens der Ukraine kaum Auswertungen zu „querschnittlichen“, nicht gefechtsbedingten Erkrankungen (sog. „Disease and Non-Battle Injuries“/DNBI) und den daraus resultierenden Ausfällen vor. Jüngste Publikationen lassen jedoch den Rückschluss zu, dass mindestens 65 % aller Ausfälle (temporär oder permanent) auf Erkrankungen zurückzuführen sind. Diese zeigen eine deutliche Witterungsabhängigkeit. Diese würden Ableitungen zu den notwendigen Ausbildungsbedarfen und Ausstattungen mit Sanitätsmaterialien erlauben. Legt man aber die vorhandenen Daten der Fachliteratur zugrunde, so muss man auch in diesem Konflikt mit relevanten Ausfällen bedingt durch Durchfallerkrankungen, saisonale Erkrankungen der Atemwege und andere Infektionskrankheiten rechnen. Diese sollten in der Individualausstattung (Individual First Aid Kit, IFAK) der Soldatinnen und Soldaten Berücksichtigung finden, wie bereits mit der geplanten Ausstattung mit Azithromycin zur Behandlung der Diarrhoe erfolgte.

Blutstillung, Analgesie, Atemwegssicherung

Betrachtet man die Verletzungsmuster, so steht die Versorgung lebensbedrohlicher Blutungen eindeutig im Vordergrund. Die Ausbildungen entlang der Phasen der taktischen Medizin müssen aber nicht nur die Fähigkeit zum Abbinden einer oder mehrerer Extremitäten umfassen, sondern angesichts der Verweildauer bis zum Eintreffen qualifizierter sanitätsdienstlicher Hilfe auch die Konversion/den Ersatz durch einen Druckverband nach spätestens 60 Minuten enthalten. Angesichts der erheblichen Schmerzbelastung durch eine erfolgte Abbindung muss eine individuelle, durch die Soldatin/den Soldaten steuerbare Analgesie verfügbar und durchführbar sein. Hierzu hat die Zentrale Arzneimittelkommission der Bundeswehr die Anwendung eines inhalativen Analgetikums (Methoxyfluran) empfohlen, welches sich aktuell in der Einführung befindet.

Auch müssen ausreichend Verbandmittel und Tourniquets im IFAK vorhanden sein, um mindestens zwei beteiligte Extremitäten versorgen zu können. Hinsichtlich der Kopf-Halsverwundungen müssen Schulungen zum Erkennen und Beurteilen schwerer Schädel-Hirnverletzungen und deren Folgen eingeführt werden. Ebenfalls sollten in diesem Zusammenhang die entsprechende Lagerung und Sicherung der Atemwege mit einfachen Hilfsmitteln Bestandteil der Ausbildung sein. Letztendlich mündet dies in das Themenfeld der verlängerten (taktischen) Verwundetenversorgung. Auch müssen in diesem Rahmen die bereits existierenden Konzepte einer frühzeitigen antimikrobiellen Behandlung betont werden, um das Infektionsrisiko konsequent zu minimieren [7].

Prolonged Casualty Care und Resilienz

Angesichts der Zeitlinien stellt die Betreuung von VuK über Stunden im Rahmen der (erweiterten) Selbst- und Kameradenhilfe den/die Helfer vor entsprechende Herausforderungen. Diese wird momentan in einem eigenen Ausbildungsabschnitt in der Ersthelfer A Ausbildung bereits als unmittelbare Konsequenz auf die veröffentlichten fachlichen Erkenntnislinien des Sanitätsdienstes [6] unterrichtet. Im Rahmen LV/BV ist im Sinne der Resilienzsteigerung die vorbereitende Ausbildung mit Blick auf eine möglicherweise hohe Mortalitätsrate anzupassen. Dies sollte in Zusammenarbeit mit den Angehörigen des sozialen Netzwerks, wie z. B. Militärseelsorge, Truppenpsychologen, Psychotraumatologen und Palliativmedizinern erfolgen. Durch die Vorbereitung auf mögliche Szenarien der Betreuung Sterbender und den Umgang mit Verwundung und Tod kann eine erhebliche Steigerung der Resilienz der Soldatinnen und Soldaten erwartet werden.

Abb. 2: Drohen, die mittlerweile nachtfähig sind, werden auch zum Aufspüren medizinischer Abfälle eingesetzt, um in der Nähe gelegene Sanitätseinrichtungen aufzuklären. (Quelle: Wjatscheslaw Ratynskyj auf https://war.ukraine.ua/de/photos)

Erkenntnislinie 3: Erste sanitätsdienstliche-Versorgung

Angesichts der postulierten Verletzungsmuster steht die Versorgung komplexer Extremitäten- und Oberflächenverletzungen im Fokus. Hier gilt es, die Versorgung (sub)totaler Amputationsverletzungen, die Behandlung des sogenannten Reperfusionssyndroms nach langandauernder Abbindung einer Extremität sowie die Behandlung großflächiger Oberflächenverletzungen eingehender zu trainieren und in die Versorgungskompetenz des nicht-ärztlichen Fachpersonals zu bringen. Darüber hinaus müssen die Behandelnden aber auch die Versorgung eines schweren Schädel-Hirn-Traumas sicherstellen können. In der Gesamtbehandlung komplexer Verletzungsmuster müssen die Sicherung der Atemwege, einschließlich infraglottisch, und die Versorgung von Thoraxverletzungen sowie die suffiziente Analgesie gewährleistet werden. Letztendlich bedarf es eines Konzeptes zur Gabe von Blut- und Blutprodukten durch das nicht-ärztliche Fachpersonal, insbesondere für den „präklinischen“ Bereich Role 1 und ggf. noch davor.

Transportpriorisierung

Im Rahmen der ersten sanitätsdienstlichen Versorgung der Verwundeten muss bereits entschieden werden, welcher Patient welche Transportstrecke potenziell überleben wird. Hierzu steht aktuell kein validierter Algorithmus zur Verfügung, sodass in diesem Bereich dringender Forschungsbedarf besteht, um ein Überfluten der nächstgelegenen Versorgungsebene zu vermeiden.

Vorhaltung von Sanitätsmaterial und -gerät

Die oben genannten Punkte münden in einer entsprechenden Vorhaltung von Einzelverbrauchsgütern (EVG) und Nichtverbrauchsgütern (NVG) San. Hier sind klar standardisierte Versorgungspakete, beginnend mit einem einheitlichen Notfallrucksack, über einheitlich ausgestattete Fahrzeuge bis hin zu Role 1-Einrichtungen zu fordern. Die volatile Marktverfügbarkeit hat zur Folge, dass diese EVG/NVGSan innerhalb der Bw bevorratet werden müssen, um im Bedarfsfall eine robuste und resiliente Versorgung mit Sanitätsmaterial sicherzustellen. Der Ausstattungsumfang muss nicht nur die klimatischen Besonderheiten berücksichtigen, sondern auch die Versorgung mit Blut- und Blutprodukten sowie Sauerstoff sicherstellen. Hier ist eine konsequente Abkehr von Druckgasflaschen (als zusätzliche explosive Last) hin zur Etablierung von Sauerstoffkonzentratoren zu fordern.

Erkenntnislinie 4: Role 1

Angesichts der oben beschriebenen zu erwartenden, komplexen Verletzungsmuster in der Behandlungsebene 1 muss der Truppenarzt/Rettungsmediziner in die Lage versetzt werden, diese adäquat zu diagnostizieren und zu versorgen. Dies beinhaltet insbesondere die Durchführung ultraschallgestützter Untersuchungen, Aus­wertung einfacher Laborparameter, Sicherung der ­Atemwege, das Einleiten und Aufrechterhalten einer Notfallnarkose sowie die Behandlung eines Thorax- und Schädel-Hirn-Traumas. Dies schließt ausdrücklich die Einleitung konservativer hirndrucksenkender Maßnahmen und der Kreislaufstabilisierung sowie die Gabe von Blut- und Blutprodukten im Sinne der Damage Control Resuscitation ein.

Infektionsprophylaxe

Zur Prävention der frühen infektiösen Komplikationen muss die Erstversorgung komplexer Extremitätenverletzungen, traumatischer Amputationen und großflächiger Wundflächen durch weiße Schwämme, Bauchtücher und Klammernahtgeräte erfolgen. Die antimikrobielle Behandlung sollte lokale Anwendung von 0,4 % Polyhexanidlösung in Kombination mit der Gabe von Cefuroxim (ggf. in Kombination mit Metronidazol) beinhalten.

Keine Amputation in Role 1

Von der Durchführung von Amputationen auf dieser Behandlungsebene wird derzeit abgeraten. Diese müssen in einer für eine erste chirurgische Versorgung geeigneten Behandlungsebene wie z. B. Role 2F/B/E durchgeführt werden. Dies liegt u. a. daran, dass nur hier eine operative Versorgung erfolgen kann, welche im Endergebnis eine Prothesenversorgung mit einem bestmöglichen funktionellen Ergebnis sicherstellen kann.

Behandlung Brandverletzter

Die Behandlung Schwerstbrandverletzter muss ebenfalls Bestandteil der Ausbildung werden, um diesem sehr anspruchsvollen Patientenkollektiv gerecht zu werden. Hier wären Kursformate wie der Burn Trauma Course 48 (BTC48), der in Zusammenarbeit zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) und den Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken entwickelt wurde, sinnvoll.

Umgang mit Massenanfall Verwundeter/Kranker

Letztendlich ist mit einem gehäuften Auftreten von Massenanfällen von Verwundeten und Kranken (VuK) zu rechnen. Hierzu müssen Strategien der Sichtung, Triage und ggf. Re-Triage überarbeitet und in die Ausbildung aufgenommen werden. Dies beinhaltet auch Versorgungskonzepte angelehnt an die S2k-Leitlinie „Katastrophenmedizinische präklinische Behandlungsleitlinien“ [2].

Erkenntnislinie 5: Forward-, Tactical-, Strategic Medical Evacuation

Der Transport des Verwundeten aus dem CCP in Richtung Role 1 in der UKR erfolgt größtenteils improvisiert und behelfsmäßig. Dies entspricht nicht dem Anspruch an einen qualifizierten Verwundetentransport. Spätestens beim Anschlusstransport von einer Role 1-Einrichtung oder einem Forward Surgical Element (FSE) in Richtung Role 2/3 muss eine qualitative Versorgung gewährleistet sein, die den bis dahin erzielten Behandlungsstandard mindestens beibehält, besser noch optimiert. Wie bereits ausführlich unter Erkenntnislinie 4 dargestellt, kommt dem taktischen Großraumtransport und dem strategischen Verwundetentransport eine große Bedeutung zu. Hier gilt es, die personellen Mangelressourcen aus den Bereichen der Fachkrankenpflege Anästhesie und Intensivmedizin sowie den SanStOffz Arzt, Facharzt Anästhesiologie, weitestgehend zu entlasten unter Beibehaltung der fachlichen Qualitätsstandards. Hier bietet es sich an, SanFw NotfallSan durch die ziv. Zusatzqualifikation „Fachkraft für außerklinische Beatmung“ so weiterzubilden, dass sie eigenständig stabile Beatmungspatienten betreuen können und letztendlich durch erfahrenes Intensivpersonal supervidiert werden. Die entsprechenden Überlegungen zu Art und Umfang der Großraumtransportmittel wurden bereits angestellt [8].

Abb. 3: Sanitäter des freiwilligen Sanitätsbataillons der Hospitaller versorgen im Oktober 2024 verwundete ukrainische Soldaten im Evakuierungsbus auf dem Weg ins Krankenhaus. (Quelle: Roman Piliej auf https://war.ukraine.ua/de/photos)

Erkenntnislinie 6: Erste notfallchirurgische Behandlung/FSE/Role 2B

Pathophysiologischer Zwang: Einhalten der Golden Hour

Die geforderten Zeitlinien der NATO und des SanDstBw zur Versorgung von Verwundeten beruhen auf medizinischen Forschungsgrundlagen. Diese belegen, dass die Überlebenschancen eines Verletzten oder Verwundeten massiv abnehmen, wenn er nicht innerhalb einer Stunde einer notfallmedizinischen Behandlung zugeführt werden kann (sog. „Golden Hour“). Somit sind die Zeitlinien nicht abhängig vom jeweiligen Szenario, sondern durch pathophysiologische Vorgänge des menschlichen Körpers bedingt.

Zeitlinie 10 + 1 + 2 (+ 2)

Die Einsatzgrundsätze des SanDstBw sind aufgestellt, um eine Versorgung von Verwundeten innerhalb der durch die NATO vorgegebenen Zeitlinien zu ermöglichen. Die dazu notwendigen Ressourcenbedarfe sind formuliert und müssen im Sinne der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten forciert umgesetzt werden. Ziel muss es weiterhin sein, nach Verwundung

  • binnen 10 Minuten eine erste qualifizierte Hilfe zu gewährleisten,
  • nach Ablauf einer Stunde die Maßnahmen der Damage Control Resuscitation (DCR) einzuleiten und
  • nach maximal zwei Stunden eine erste notfallchirurgische Versorgung im Sinne der Damage Control Surgery (DCS) zu gewährleisten.
  • Nach weiteren zwei Stunden sollte dann eine Behandlung in einer Behandlungsebene Role 2 E oder höher sichergestellt werden.

Somit ist der Ansatz 10+1+2+(+2) als Zeitlinie zu fordern. Ein Abweichen hiervon, unabhängig wodurch es begründet sein mag, ob aus planerischen Überlegungen oder durch nicht beeinflussbare Faktoren in der Durchführung, führt zwangsläufig zu einem deutlich schlechteren Ergebnis in der Versorgung und im Hinblick auf die Überlebensrate der Verwundeten.

Frontnahe chirurgische Erstbefähigung

Die Erkenntnisse einer möglichst nah am Kampfgebiet zu platzierenden chirurgischen Erstbefähigung werden nicht erst seit dem aktuellen Kriegsgeschehen seitens aller etablierten westlichen Sanitätsdienste als notwendig erachtet. Hierbei muss auch die Bereitstellung des chirurgischen Instrumentariums bzw. dessen Aufbereitung mitbedacht werden. Aktuell wird auf Grund der bereits kurz nach Kriegsbeginn tätigen US-amerikanischen nichtstaatlichen Hilfsorganisation, einer NGO mit Namen Global Surgical and Medical Support Group (GSMSG), eben diese chirurgische Unterstützungsleistung in der Ukraine bis kurz vor den Frontlinien erbracht. Diese NGO wirkt aus einem Verbund heraus, der sein Personal aus der American College of Surgeons Struktur gewinnt. Mit über 80 000 Mitgliedern, welche sich in allen renommierten Kliniken und anderen amerikanischen Gesundheitsorganisationen finden, verfügt diese NGO über ein fundiertes Fachwissen mit den dementsprechenden Erfahrungswerten. Dieses Beispiel unterstreicht und bestätigt die DEU-Position und die zielgerichteten Bestrebungen zur Erweiterung und Implementierung dieser Fähigkeit im vorderen Gefechtsraum.

Fazit zum jetzigen Zeitpunkt

Entlang der aufgezeigten Erkenntnislinien sind Explosions- sowie Schrapnellverletzungen die häufigsten Ursachen für Verwundungen. Im Schwerpunkt sind dabei die Extremitäten und der Kopf-Halsbereich betroffen. Das Verbluten und die schwere Schädel-Hirnverletzung sind die häufigsten Todesursachen.

Diese Erkenntnisse münden u. a. in der Notwendigkeit einer Anpassung der Ausbildungsinhalte Ersthelfer A mit Schwerpunkten Blutstillung (Anlage und Ersatz von Tourniquets), Analgesie und Wärmeerhalt, aber auch der psychischen Resilienzsteigerung der Soldatinnen und Soldaten. Dennoch sind mit rund 65 % die DNBI die häufigste Ursache für den (temporären) Ausfall von Soldatinnen und Soldaten. Ab der Ebene Ersthelfer B kommen als zusätzlich anzustrebende Qualifikationen die frühzeitige, evidenzbasierte Antibiotikagabe sowie grundlegende Kenntnisse über die Entlastung eines Spannungspneumothorax, aber auch der prolongierten Versorgung auf dem Gefechtsfeld hinzu.

Im Sinne der Erkenntnislinie 3 (erste sanitätsdienstliche Versorgung) stehen die Stärkung der Kompetenzen im Bereich der Traumabehandlung, die frühzeitige Gabe von Blut- und Blutprodukten durch SanPers, MASCAL-Schulungen und die Erforschung eines neuen Triage-Algorithmus sowie die Umstellung auf konzentratorbasierte Sauerstofferzeugung im Fokus.

Das Erfordernis einer Stärkung der notfallmedizinischen Kompetenzen auf der Ebene Role 1 mit Schwerpunkt Ultraschalldiagnostik, Behandlung von komplexen thermo-mechanischen Kombinationsverletzungen einschließlich (Teil-)Amputationen sowie Management von MASCAL-Situationen ist das Ergebnis der Erkenntnis­linie 4.

Eine weitere Forderung ist die Stärkung der intensivmedizinischen Kompetenzen bei Großraumtransporten durch Sanitätsfeldwebel Notfallsanitäter mit der Zusatzqualifikation „Fachkraft für außerklinische Beatmung“. Die Erkenntnislinie 6 verdeutlicht nochmals abschließend den Stellenwert der Behandlungszeitlinien 10 + 1 + 2 (+ 2) für das Überleben der Soldatinnen und Soldaten durch konsequente Anwendung von DCR und DCS. Aber auch die Behandlung von DNBI ist weiterhin der we­sentliche Bestandteil aller sanitätsdienstlichen Versorgung, da hier der Schwerpunkt der Patientenzahlen liegen wird.

Abschließende Bewertung

Der SanDstBw ist planerisch, konzeptionell und fachlich bereits auf die Unterstützung der Bundeswehr und ihrer Partner in einem LV/BV-Szenar ausgerichtet. Dies wird in Bezug auf die Ausbildung, Ausstattung und Einsatzgrundsätze von Sanitäts- und Nicht-Sanitätspersonal immer wieder bestätigt. Nun gilt es, die hier aufgezeigten Bedarfe zeitnah anzugehen und die entsprechenden fachlichen Qualifikationen zu erlangen.

Die Beobachtungen des Krieges in der Ukraine unterstreichen die Notwendigkeit, die geforderten und dringend benötigten Ressourcen inklusive des Materials für den SanDstBw im Sinne einer balancierten Streitkräfteentwicklung und in Verantwortung für Leben und Gesundheit der uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten schnellstmöglich verfügbar zu machen. Mitigationsmöglichkeiten müssen konsequent aufgezeigt und verfolgt werden, da angesichts eines zunehmenden Fachkräftemangels im Gesundheitswesen auch der Sanitätsdienst davon betroffen sein wird.

Es gilt nun, die aufgezeigten Erkenntnisse durch die jeweils zuständigen Stellen im Unterstützungskommando der Bundeswehr, dem Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, der Sanitätsakademie der Bundeswehr und den Konsiliargruppen zu operationalisieren und in die Umsetzung zu bringen, um die sanitätsdienstliche Unterstützung der Bundeswehr in einem LV/BV Szenar weiter zu verbessern.

Kernaussagen

  • Taktische Medizin ist die Grundlage für das medizinische Handeln im Gefechtsfeld.
  • Erkrankungen sind weiterhin die Hauptursache für den Verlust an Kampfkraft der Truppe.
  • Vorbereitung auf Massenanfälle von Erkrankten und/oder Verletzten ist entscheidend.
  • Blut, Blutprodukte, Standardisierung von Ausstattung und Medikamenten aber auch die Nutzung von Sauerstoffkonzentratoren sind Herausforderungen für die nahe Zukunft.
  • Regelmäßige Evaluation und Anpassung an aktuelle Erkenntnisse in allen Bereichen sind Grundlage für weitere Handlungen.

Literatur

  1. Anderson DE, Kocik VI, Rizzo JA, et al.: A Narrative Review of Traumatic Pneumothorax Diagnoses and Management. Med J (Ft Sam Houst Tex). 2023 Jan-Mar; (Per 23-1/2/3): 3-10. mehr lesen
  2. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI e. V.): Katastrophenmedizinische prähospitale Behandlungsleitlinien, Langversion (S2k, AWMF Register Nr. 001-043) 2023. , letzter Aufruf 23. April 2025. mehr lesen
  3. Eastridge BJ, Hardin M, et al.:Died of wounds on the battlefield: causation and implications for improving combat casualty care. J Trauma. 2011; 71(1) :S4-S8. mehr lesen
  4. Eastridge BJ, Mabry RL, Seguin P, et al.: Death on the battlefield (2001-2011): implications for the future of combat casualty care. J Trauma Acute Care Surg. 2012 ;73(6 Suppl 5): S431-S437. mehr lesen
  5. Gesundheitsministerium der Ukraine: Schäden an Gesundheitseinrichtungen durch russische Angriffe. Kiew, 1. Dezember 2024.
  6. KdoSanDstBw: Erkenntnislinien des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aus den Russland-Ukraine-Krieg 03-2024, Medizinische Ableitungen.
  7. KdoSanDstBw:Taschenkarte Azithromycin und Handlungsempfehlung Combat Related Trauma.
  8. KodoSanDstBw: Erkenntnislinien des SanDstBw aus dem RUS-UKR Krieg 09/2023
  9. NATO MILMEDCOE: Vortrag zum Ukraine-Krieg auf internationaler Konferenz in Modena (Italien) am 26. März 2025

Manuskriptdaten

Zitierweise

Ritter D, Czwielung C, Schmidbauer W: Sanitätsdienstliche Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg. WMM 2025; 69(6): 278-284.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-510

Für die Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Dennis Ritter

Kommando Gesundheitsversorgung der Bundeswehr

Fachabteilung II, Leitender Rettungsmediziner der Bundeswehr

Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz

E-Mail: dennismatthiasRitter@bundeswehr.org

Manuscript Data

Citation

Ritter D, Czwielung C, Schmidbauer W: Medical Lessons Learned from the War in Ukraine. WMM 2025; 69(6E): 5.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-511

For the Authors

Lieutenant Colonel (MC) Dr. Dennis Ritter, MD

Bundeswehr Healthcare Command

Branch II – Chief Emergency Physician of the Bundeswehr

Von-Kuhl-Straße 50, D-56070 Koblenz

E-Mail: dennismatthiasRitter@bundeswehr.org

 

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