Erfahrungen als Teil des Vereinte Nationen Mobile Training Team Heer (VN MTT(H)) in der Mongolei und Sambia
Erik Ecklª, René Müllerb, Andreas Dierichc
ª Sanitätsversorgungszentrum Bad Sülze
b Sanitätsversorgungszentrum Hagenow
c Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg
Zusammenfassung
Im Rahmen der Vorbereitung für die Gestellung von Mobile Training Teams stellte man fest, dass die medizinische Infrastruktur der Einsatzländer Mongolei und Sambia die erforderlichen Standards nur ansatzweise bis gar nicht erfüllen. Mit Blick auf den Auftrag und auf das Selbstverständnis des Sanitätsdienstes mussten umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, um die medizinische Versorgung deutscher Soldaten während der Ausbildung mongolischer und sambischer Soldaten sicherzustellen.
Schlüsselworte: Mobile Training Teams, MTT, sanitätsdienstliche Versorgung, Mongolei, Sambia
Einleitung und Hintergrund
Das Mobile Training Team (MTT) ist ein im Rahmen des „Leader`s Summit on Peacekeeping“ im September 2015 von deutscher Seite zur Verfügung gestelltes Ausbildungsteam, welches als Zielsetzung die Vorbereitung nationaler Kontingente der Vereinten Nationen (VN) auf ihre Einsätze in VN-Friedensmissionen innehat.
Dem Regionalitätsprinzip folgend war es der Auftrag des Sanitätsunterstützungszentrums (SanUstgZ) Neubrandenburg, die sanitätsdienstliche Unterstützung des MTT der Panzergrenadierbrigade 41 für das Jahr 2023 zu stellen. Insgesamt wurde dieses MTT zweimal eingesetzt.
Absicht war es, die Realversorgung sicherzustellen sowie eine Sanitätsausbildung der regionalen Truppenkontingente durchzuführen. Auf der Basis umfangreicher Erfahrungen aus vorherigen Aufträgen mit MTT´s bildeten ein Sanitätsoffizier Arzt Rettungsmedizin (SanOffz Arzt RettMed) und ein Sanitätsfeldwebel Notfallsanitäter (SanFw NotSan) den festen sanitätsdienstlichen Bestandteil dieses Teams, um dem geforderten Auftrag gerecht zu werden.
Diese Aufträge unterliegen einigen Besonderheiten. Je nach Einsatzland finden sich sehr unterschiedliche fachliche und organisatorische Herausforderungen im Bezug auf die nicht vergleichbare medizinische sowie infrastrukturelle Versorgunglage. Dies inkludiert die potenzielle Konfrontation mit exotischen Krankheiten und Gifttieren. Eine große Hilfe in der Vorbereitung ist hier die präventivmedizinische Länderinformation des Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (KdoSanDstBw), welche diese Informationen vor Missionsbeginn sehr ausführlich aufarbeitet.
Ferner ist es zwingend, sich für diesen Auftrag materiell sehr umfangreich und für ca. vier Wochen durchhaltefähig vorzubereiten. Diese Materialplanung ist mit dem korrespondierenden Dienststellen des Heeres hinsichtlich Beschaffung und Transport eng abzustimmen.
Nach Aktivierung des MTT erfolgt vier Wochen vor Missionsbeginn eine einwöchige Erkundung im Ausbildungsland. Anschließend verbleiben in der Regel drei Wochen im Inland, um die Ausbildung vollständig vorzubereiten sowie die materielle Bereitschaft zu finalisieren. Die Mission selbst umfasst einen Zeitraum von vier bis fünf Wochen.
Bericht über den Einsatz des MTT in der Mongolei
Der erste Auftrag führte im Juni 2023 in die Mongolei nach Ulan-Bator.
Es wurden 40 mongolische Soldaten in den Themen „Patrouille aufgesessen in besonderen Lagen mit Schwerpunkt Bedrohung durch Sprengmittel“ und „Aufklärung aller Truppen“ ausgebildet. Begleitend fand die sanitätsdienstliche Ausbildung in der Selbst- und Kameradenhilfe statt (Abbildungen 1-8).
Abb. 1: Lagebesprechung am Sandkasten Mongolei
Abb. 2: Bergung von Verwundeten
Abb. 3: Mongolische Bettenstation
Abb. 4: Selbstanlage eines Tourniquets
Abb. 5: Demonstration Ausbildungserfolg i. R. des Besuchs Außenministerin Baerbock in der Mongolei
Abb. 6: U-Raum Ausbildung IED
Abb. 7: Mongolische Liegenschaft
Abb. 8: Rettungswagen Mongolei
In Vorbereitung erfolgte vier Wochen vor Beginn die Erkundung im Einsatzland unter Hinzuziehung einer Veterinärin gestellt durch die Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des SanDstBw Süd. Es bestätigte sich, dass die generellen Vorüberlegungen und Vorbereitungen, wie man ohne eine vollumfängliche medizinische Infrastruktur die truppenärztliche und notfallmedizinische Versorgung sicherstellen kann, zielführend waren. In der Hauptstadt Ulan-Bator war ein Notrufsystem sowie eine flächendeckende Krankenhauslandschaft inklusive eines umfangreich aufgestellten Militärkrankenhauses etabliert. Jedoch endete diese Versorgung abrupt an der Stadtgrenze. Ein Luftrettungssystem war weder militärisch noch zivil vorhanden.
Da der assignierte Truppenübungsplatz der mongolischen Armee etwa 60 Autominuten von Ulan-Bator entfernt lag, und in der dortigen Liegenschaft nur eine eingeschränkte truppenärztliche Versorgung durch die Mongolen etabliert war, welche den nationalen jedoch nicht den deutschen Anforderungen gerecht wurde, musste die gesamte notfallmedizinische Versorgung sowie der 60-minütige Transport durch das Sanitätsteam des MTT selbst sichergestellt werden.
Dies gelang durch Einführen umfangreichen Sanitätsmaterials sowie der Benutzung eines Krankenkraftwagens (KrKw), welcher aufgrund anderer Vormissionen bereits in der Mongolei vor Ort war. Die umfangreiche stationäre Versorgung konnte durch die Mongolei vollumfänglich abgebildet werden. Die Repatriierung schwer erkrankter oder verletzter Soldaten hätte jedoch durch eigene MedEvac Kräfte sichergestellt werden müssen.
Die truppenärztliche Versorgung fand in einem Hotelzimmer statt und konnte unter minimalen hygienischen Einbußen lege artis durchgeführt werden. Aufgrund guter Vorbereitung des Teams kam es zu keinem Kontakt mit Gifttieren oder Ausbrüchen von exotischen Erkrankungen.
Die sanitätsdienstliche Ausbildung mit Unterstützung von Sprachmittlern wurde von den mongolischen Soldaten ebenfalls sehr dankend angenommen und die Motivation und Lernbereitschaft war großartig. Es bereitete große Freude mit solch hochmotivierten Soldaten zu arbeiten. Nach Erlernen der Ersthelfergrundlagen entsprechend dem allseits bekannten Ersthelfer Alpha, wurde die Versorgung von Verwundeten in den Übungsszenarien der Panzergrenadiere eingebracht und konnte so intensiv vertieft werden.
Im interkulturellen Austausch wurden dem Team im Gegenzug viele mongolische Sitten und Bräuche, wie das Leben in einer Jurte, Reiten und Bogenschießen sowie deren Wahrzeichen, wie z. B. das imposante Dschingis Khan-Denkmal, nähergebracht.
Abgerundet wurden diese durchweg positiven Erfahrungen durch hochrangige Truppenbesuche. So überzeugten sich unter anderem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und General Birame Diop aus Senegal vor Ort von der guten Arbeit des deutschen MTT. Diop ist seit 2021 höchster militärischer Vertreter für Friedensmissionen bei den Vereinten Nationen.
Bericht über den Einsatz des MTT in Sambia
Der zweite Auftrag erfolgte vom 6.September bis 6.Oktober 2023 in Sambia in der Nähe Lusakas. Die Ausbildung fand 50 km außerhalb der Stadt im „Kenneth Kaunda Peace Training Centre“ statt (Abbildungen 9-15).
Abb. 9: Bettenstation Sambia
Abb. 10: Gruppenbild VN MTT (H) in Sambia
Abb. 11: Bergung von Verwundeten
Abb. 12: Taktische medizinische Erstversorgung
Abb. 13: Transportmittel Real Life Support
Abb. 14: Stationsausbildung IED im Feld
Abb. 15: Gemeinsames Bild der sambischen Streitkräfte und VN MTT (H)
Wie in der Mongolei zeigte sich, dass die vorgegebene medizinische Infrastruktur ungeeignet ist.
Auf dem Gelände des Trainingscenters befand sich zwar ein “Medical Center”. Bei diesem handelte es sich aber um ein behelfsmäßig umfunktioniertes Unterkunftszelt, das mit einem PKW für Patiententransporte mit eingebauter Patientenliege in der Rückbank ergänzt wurde. Einige Krankenhäuser wie z. B. das Militärkrankenhaus waren modern ausgestattet und verfügten unter anderem über Notaufnahmen mit Trauma Support Unit, Intensivstation und interventioneller Radiologie. Die etablierten Rettungsdienste waren jedoch unabhängig von den Krankenhäusern als Privatfirmen organisiert und mussten während der Alarmierung bzw. noch vor dem Patiententransport bezahlt werden. Weiterhin agierten diese auch nur ausschließlich landgebunden und innerhalb der Stadtgrenzen, sodass eine Rettungskette vom Ausbildungsort außerhalb der Stadt erst etabliert werden musste.
Es ergab sich also als weitere Herausforderung, dass man in Sambia nicht auf ein geeignet ausgestattetes Rettungsmittel vor Ort zurückgreifen konnte, sodass die Einfuhr eines „Meducore“ (Kreislaufmonitor + Beatmungsgerät), Morphin und Fentanyl als Betäubungsmittel zur Analgosedierung sowie komprimierter Sauerstoff als Gefahrgut in das Einsatzland organisiert werden musste. Mit dieser Ausstattung konnte das Krankentransportfahrzeug des Medical Centers aufgerüstet und durch uns als Notarztwagen genutzt werden, um die Lücke in der Rettungskette zu schließen.
Die Ausbildung der 40 sambischen Soldaten erfolgte analog zur Mongolei im gleichen Schwerpunkt mit begleitender sanitätsdienstlicher Ausbildung. Hierfür wurden die Soldaten in zwei Teilzüge mit jeweils 2 Gruppen zu 10 Personen eingeteilt, um die Ausbildung so in 2 oder 4 Ausbildungseinheiten pro Tag parallel durchzuführen. Durch diese Rotation gelang es, dass in der ersten Ausbildungswoche beide Halbzüge neben der grünen Ausbildung in jeweils drei Unterrichtseinheiten zu je 3 Stunden in den Grundlagen der sanitätsdienstlichen Versorgung unterrichtet werden konnten. In den Folgewochen war allerdings zur Vermittlung der praktischen Fertigkeiten eine personelle Unterstützung des Sanitätspersonals unerlässlich und konnte durch die Soldaten der Panzergrenadierbrigade 41 sichergestellt werden. Diese personelle Unterstützung erfolgte auch umgekehrt, sodass sich im Verlauf der Ausbildung der weiße und grüne Anteil immer mehr ergänzte und in der Abschlussübung kohärent zusammenfügte.
Erfreulicherweise waren aufgrund der englischen Landessprache keine Sprachmittler notwendig. Auch in Sambia hatte man Freude, mit engagierten und lernwilligen Soldatinnen und Soldaten zusammenzuarbeiten.
Überraschenderweise zeigte sich der sambische Lebensstil, vor allem in der Landeshauptstadt, dem unseren sehr ähnlich. Trotzdem konnte man vor allem kulinarisch neue Erfahrungen sammeln. So wurde uns zum Beispiel in den letzten Ausbildungstagen typisches sambisches Essen zubereitet wie z. B. Nsima, ein Brei aus Maismehl, Wasser und Salz als typische Sättigungsbeilage zu Fisch, Fleisch oder Gemüse.
Weiterhin hatten wir die Chance die ca. 500 km entfernten Victoriafälle und einen der dortigen Nationalparks in Begleitung von sambischen Soldaten zu besuchen.
Gemeinsame Bewertung und Ausblick
Für den Einsatz in der Mongolei sowie in Sambia mussten gleichermaßen umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, um die deutschen Soldatinnen und Soldaten im Sinne des Auftrags und des Selbstverständnisses des Sanitätsdienstes adäquat zu versorgen.
Die alltägliche truppenärztliche Versorgung wurde sichergestellt, indem man am Unterkunftsort ein Hotelzimmer durch mitgebrachtes Sanitätsmaterial in ein Bettenzimmer mit Behandlungsoptionen umbaute. Unterwegs und am Ausbildungsort wurde neben dem Rettungsrucksack zusätzlich ein Truppenarztpaket für akute Beschwerden mitgeführt.
Die notärztliche Versorgung im Sinne der Behandlungsebene 1 gelang durch materielles und personelles Aufrüsten der dortigen Fahrzeuge, um geeignete Rettungsmittel zu schaffen. Mit diesen war im Notfall ein Transport in eines der lokalen Krankenhäuser möglich, welche in der Mongolei wie Sambia aufgrund der Ausstattung vergleichbar zu einer Sanitätseinrichtung der Ebene 2 waren. Von dort wäre eine Repatriierung nach Deutschland möglich gewesen.
Insgesamt hat der Einsatz als Teil des VN MTT trotz der umfangreichen Vorbereitung viel Freude bereitet. Es war herausfordernd, im Rahmen der Erkundung alle potenziellen, zum Teil einsatzlandspezifischen Probleme zu identifizieren und mit den bestehenden Mitteln adäquate Lösungen zu finden. Dies hat ebenfalls nochmals den Blick geschärft, worauf es bei der alltäglichen truppenärztlichen, aber auch der gegebenenfalls notwendigen notärztlichen Versorgung wirklich ankommt. Vor allem, wenn keine gut organisierte medizinische Infrastruktur ohne weiteres als Rückfallebene zur Verfügung steht.
Weiterhin war die tägliche enge Zusammenarbeit mit den Soldaten der Panzergrenadierbrigade 41 äußerst kooperativ und vor allem sehr kameradschaftlich. Insbesondere ohne die kompetente Unterstützung der in Ersthelfer Bravo geschulten Soldaten wäre der Ausbildungserfolg mit Sicherheit geringer ausgefallen. Gerade in der letzten Ausbildungswoche konnte man feststellen, wie sehr die mongolischen wie sambischen Soldaten von der gegenseitigen Ergänzung der Ausbildungsinhalte profitierten – welches erneut die Bedeutung der Kohäsion des Sanitätsdienstes mit dem Deutschen Heer unterstreicht.
Außerdem ist es vermutlich eine der wenigen Chancen, eine andere Kultur so lange und hautnah erleben zu dürfen, um für Weltoffenheit zu sorgen, interkulturelle Kompetenzen zu schaffen sowie das internationale Netzwerk zu erweiteren.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Eckl E, Müller R, Dierich A: Erfahrungen als Teil des Vereinte Nationen Mobile Training Team Heer (VN MTT(H)) in der Mongolei und Sambia. WMM 2024; 68(5): 229-233.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Erik Eckl
Sanitätsversorgungszentrum Bad Sülze
Daimler-Benz-Allee 2, 18334 Bad Sülze
E-Mail: erikeckl@bundeswehr.org
31. Jahrestagung der ARCHIS in Papenburg
Unter dem Leitgedanken „Was können wir leisten? Was können wir verbessern?“ fand vom 13. bis 15. März 2024 die 31. Jahrestagung des Arbeitskreises Einsatzmedizin in Papenburg statt. Das Akronym ARCHIS, unter dem diese Tagung firmiert, steht für ARbeitskreis CHIrurgisch-tätiger Sanitätsoffiziere. Unter diesem Namen hatte die Gründung im Jahre 1993 in Ulm stattgefunden, die spätere Umbenennung in AK „Einsatzmedizin“ erfolgte 1998, der Name ARCHIS hat sich trotzdem etabliert.
In der langen Tradition der Tagung folgend fand zu Beginn ein praktischer Contest (DCS, Damage Control Surgery) statt, in dem Teams aus den teilnehmenden fünf Bundeswehrkrankenhäusern militärische und chirurgische Aufgaben lösen müssen. Der Contest war auch diesmal fordernd, aber durchaus kameradschaftlich und motivationsfördernd.
In der mehr als beeindruckenden Liegenschaft, dem geschichtsträchtigen Hotel „Alte Werft“ an einem Seitenkanal der Ems, fanden sich in diesem Jahr etwa 180 Teilnehmende ein, um dem „Erfolgsmodell“ beizuwohnen, wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP), Generalstabsarzt a. D. Dr. Stephan Schoeps, die Veranstaltung in seiner kurzen Ansprache beim Get-together in der Industrieausstellung am Mittwochabend ausführte.
Oberstarzt Dr. Christoph Güsgen, der Vorsitzende der ARCHIS, im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Stellvertretender Klinischer Direktor und Sektionsleiter Viszeralchirurgie, eröffnete dann am 14. März 2024 chirurgisch-pünktlich die Tagung (Abbildungen 1 und 2). In seinem Grußwort dankte Dr. Schoeps zunächst dem wissenschaftlich-verantwortlichen Bundeswehrkrankenhaus Westerstede für die Mühen der Vorbereitung der Tagung (Abbildung 3) und verwies nochmals ausführlich auf die Erfolgsgeschichte der ARCHIS. Mit dem „Sanitätsdienst in schweren Wassern“, so Dr. Schoeps, sei diese Tagung eine gute Möglichkeit, um „alte Freunde zu treffen und neue zu gewinnen“, und sich so gemeinsam den Problemen der Zukunft zu stellen.
Abb. 2: Oberstarzt Dr. Christoph Güsgen bei der Eröffnung der Tagung
Abb. 3: Generalstabsarzt a. D. Dr. Stephan Schoeps mit den Verantwortlichen aus dem BwKrhs Westerstede (von links: OSA PD Dr. Kaltenborn, FLTA Dr. Müller-Meinhard, GSA a. D. Dr. Schoeps, OTA Dr. Zechel).
Siemtje Möller, Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, gab ihr Grußwort per Video ab und betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Tagung im militärischen Raum. Getreu dem diesjährigen Motto appellierte sie im Hinblick auf Landes- und Bündnisverteidigung, kritisch zu hinterfragen, was realistisch geleistet werden könne. Es komme nun nicht mehr auf die medizinische Versorgung einzelner weniger Verletzter im Rahmen bewaffneter Konflikte an, sondern vielmehr werde man sich mit einer großen Anzahl Verwundeter über einen langen Zeitraum konfrontiert sehen. Dies werde eine komplexe Herausforderung werden.
Oberstarzt Dr. Christian Zechel, Kommandeur des BwKrhs Westerstede, rundete in Vertretung des verhinderten Tagungspräsidenten Oberstarzt Dr. André Gutcke die Reihe der Grußworte ab. Er gab danach den offiziellen Startschuss für den wissenschaftlichen Teil der Tagung.
In Vertretung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes, der in Berlin anderweitig gebunden war, hielt Generalarzt Dr. Johannes Backus den Vortrag zur Lage (Abbildung 4). Mit dem Fokus auf das fragile Sicherheitskonstrukt Europas stehe Deutschland – als Drehscheibe der NATO – sowie der Sanitätsdienst vor multiplen Herausforderungen: höhere Patientinnen- und Patientenzahlen, begrenzte Ressourcen und eine Gesellschaft, die auf Landes- und Bündnisverteidigung nicht ausreichend vorbereitet sei. „Die Zeitenwende geht uns alle an“, propagierte Generalarzt Dr. Backus, sodass die Streitkräfte jetzt mehr denn je in Kontakt mit der Gesellschaft treten müssten. Während die freie demokratische Grundordnung auf der Türschwelle Europas in der Ukraine verteidigt werde, gebe es hierzulande aber auch bestimmende Einflussfaktoren, denen man sich unbedingt widmen müsse, um für die Zukunft sicherheitspolitisch gut aufgestellt zu sein: Digitalisierung, demografischer Wandel, Künstliche Intelligenz, Gesamtstaatlichkeit.
Abb. 4: Generalarzt Dr. Johannes Backus beim Vortrag zur Lage des Sanitätsdienstes
Neben dem Aufbau der Brigade in Litauen müsse innerhalb Deutschlands die flächendeckende medizinische Versorgung durch die Bildung eines Clusterverbundes aus Bundeswehrkrankenhäusern, Berufsgenossenschafts- und Universitätskliniken sichergestellt werden, um große Mengen an Verletzten aus potenziellen zukünftigen Konflikten versorgen zu können.
Die erste Sitzung des Tages war der Departmentbildung in den Bundeswehrkrankenhäusern gewidmet. Hier gab Oberstarzt Dr. Andreas Joksch, Abteilung C KdoSanDstBw, einen exzellenten Überblick über die Bestrebungen, Patientenversorgung, Ausbildung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden in den Häusern zukünftig effizient und effektiv unter eine verbesserte Organisationsform zu bringen. Beeindruckend auch die Rolle und Vorteile von Zentrenbildungen, hier vorgetragen von Oberfeldarzt Dr. Peter Springer, Leiter des Endoprothesenzentrums BwKrhs Westerstede. Im Weiteren folgten am Vormittag sehr gute Vorträge aus den Bereichen Neurochirurgie, Thoraxchirurgie und Plastisch-rekonstruktive Chirurgie, die allesamt den herausragenden Status dieser Fächer im fachlichen Spektrum des Sanitätsdienstes deutlich machten. Den Abschluss des ersten Sitzungsabschnittes umfassten Beiträge über die Ausbildungsvorgaben der Gesundheitspolitik und mögliche Lösungswege im Sanitätsdienst.
Nach der Mittagspause folgte der Festvortrag von General a. D. Lothar Domröse. Er fesselte das Auditorium 45 Minuten lang mit seinen zuweilen sehr persönlichen Erfahrungen unter dem Titel „(Europäische) Sicherheit inmitten globaler Machtverschiebungen“. Im Lichte dieser sehr ernsten und komplexen Thematik gab der Redner, ehemaliger Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command Brunssum, einen Rundblick über die aktuelle weltpolitische Lage sowie die einzelnen Treiber in den verschiedenen Konflikten. Der Status „Frieden, Krise und Krieg“ sei nicht mehr die Realität und werde durch „Shape, Competition, Fight“ abgelöst (Abbildung 5).
Abb. 5: General a. D. Lothar Domröse beim Festvortrag
Ein echtes Highlight der Veranstaltung war die Podiumsdiskussion unter Vorsitz von Oberstarzt Prof. Dr. Benedikt Friemert mit verschiedenen prominenten Teilnehmern (Willy, BwKhrs Berlin; Brinkmann, BG-Klinik Duisburg; Stellmann, Brüssel; Pieske, Oldenburg) aus der zivilen und militärischen Welt zur Frage: „Was wäre wenn?“ Hier wurden die möglichen Herausforderungen einer Landes- oder Bündnisverteidigung aus Sicht der versorgenden Institutionen erörtert (Abbildung 6).
Abb. 6: Podiumsdiskussion unter Leitung von Oberstarzt Prof. Dr. Benedikt Friemert
Den Abschluss des Kongresstages bildete die Poster-Speedsession, in der die Teilnehmenden unter dem Zeitdruck von vier Minuten ihre Präsentationen verteidigen mussten. Gewinner dieses Wettbewerbes waren:
- Platz: „Roboter-assistierte Resektion von mediastinalem ektopen Schilddrüsengewebe – Ein Fallbericht“.
Stabsarzt Moritz Witzenhausen et al., BwKrhs Ulm - Platz: „Interdisziplinäre Versorgung von kombinierten Verletzungen des Neuro- und Viscerocraniums am BwKrhs Hamburg“.
Oberstabsarzt Dr. Jonathan Imholz et al., BwKrhs Hamburg - Platz: „Kasuistik einer Harpunenschussverletzung und State-of-the-Art-Therapie beim penetrierenden Thoraxtrauma“.
Stabsarzt Angelina Klein et al., BwZKrhs Koblenz
sowie
„Die roboterassistierte Operation des Thoraxmagens – Ergebnisse einer Fallserie aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm“.
Stabsarzt Wiebke Heitzmann et al., BwKrhs Ulm
Der Festabend war wie immer der Kristallisationspunkt für Kameradschaft, Kommunikation und Netzwerkbildung. Bei exzellentem Essen und förderlicher Atmosphäre war hierzu bis spät in den Abend reichlich Gelegenheit geboten. Hier wurde auch der Gewinner des DCS-Contestes bekanntgegeben; es waren dieses Mal die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm.
Zur Eröffnung des nächsten Kongresstages präsentierte zunächst Oberfeldarzt Dr. Hempe vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die neuesten Fakten zur Personalentwicklung. Danach folgten in drei Sitzungen die wissenschaftlichen Beiträge der jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Hierzu muss man feststellen, dass die Vorträge allesamt von der Thematik und von der persönlichen Präsentation gesehen echte Höhepunkte boten. Hier konnte man die positiven Entwicklungen der Fachgebiete über die langen Jahre der ARCHIS-Tradition förmlich erfühlen. Überragend waren die Beiträge zur interdisziplinären Zusammenarbeit immer dann, wenn die plastisch-rekonstruktive Chirurgie involviert war, und das über alle Bundeswehrkrankenhäuser hinweg. Das zeigt, dass sich die Ausbildungsinvestitionen und die organisatorischen Veränderungen in diesem Fach ein Gewinn für den Sanitätsdienst sind, der sich unter Umständen noch einmal gewaltig auszahlen wird.
So konnte Oberstarzt Dr. Güsgen zum Abschluss der Tagung ein mehr als positives Fazit ziehen. Die Militärchirurgie, aber auch die gesamte Chirurgie, stehen mehr denn je vor großen Herausforderungen. Soviel war in den beiden Kongresstagen mehr als deutlich geworden. Die Auswahl des Tagungsortes, die Organisation vor Ort und die gute Stimmung aller Teilnehmenden waren die Punkte, die am Ende gezählt haben. Herausragend auch mit Dank an die Bundesgeschäftsstelle der DGWMP, ohne deren Fürsorge und Engagement rund um die Tagung die Gestaltung des Events in dieser Form nicht möglich wäre. Die nächste, dann 32. ARCHIS-Tagung findet vom 25. bis 27. Januar 2025 in Ulm statt.
Horst Peter Becker, Generalarzt a. D.
Ann-Catrin Hollstein, Lt (SanOA)