Vergleich der Atemwegssicherung mittels Larynxmaske zwischen Anästhesisten und Laien
Comparison of Laryngeal Mask Airway Seal between Anesthesiologists and Laypersons
Markus Tannheimera,b, Martin Reinkec,d, Raimund Lechnere,f
a Universität Ulm, Abteilung Sport- und Rehabilitationsmedizin
b ADK-Klink Blaubeuren, Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie
c Universität Ulm, Institut für Anatomie und Zellbiologie
d Kinderkrankenhaus der Ostschweiz St. Gallen, Abteilung für Kinderchirurgie
e Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik X – Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
f Polizei Baden-Württemberg,Ärztlicher Dienst
Zusammenfassung
Die endotracheale Intubation ist der Goldstandard der Atemwegssicherung in der Notfallmedizin. Sie ist für unerfahrene Personen jedoch schwieriger durchzuführen als die Applikation einer Larynxmaske (LMA). Primäres Ziel dieser Studie war es zu untersuchen, ob unerfahrene Personen nach einer kurzen Einweisung in der Lage sind, den Atemweg mithilfe einer LMA zu sichern. Ein weiteres Ziel war die Bewertung von nach Thiel fixierten Körperspendern im Vergleich zu nicht fixierten im Rahmen dieses Atemwegssicherungsmodels. An Körperspendern wurde bei Medizinstudierenden ohne vorherige Erfahrung in der Atemwegssicherung und bei Anästhesisten die Dichtigkeit der LMA mithilfe einer im Ösophagus angelegten Wassersäule evaluiert und verglichen. LMA wurden in 46 von 55 Versuchen (83,6 %) von Medizinstudierenden und in 30 von 39 (76,9 %) Versuchen von Anästhesisten erfolgreich appliziert. Bei den Medizinstudierenden waren 14,1 % aller LMA-Applikationen primär undicht, verglichen mit 18,8 % bei den Anästhesisten. Die Ösophagusabdichtung war bei nach Thiel fixierten Körperspendern (Leckage 10,9 %) im Vergleich zu nicht fixierten Körperspendern (Leckage 22,9 %) besser.
Unsere Daten zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen Anästhesisten und Medizinstudierenden hinsichtlich der LMA-Abdichtung. Daher folgern wir, dass Medizinstudierende ohne vorherige Atemwegserfahrung die Applikation einer LMA rasch erlernen können. Nach Thiel fixierte Körperspender eignen sich sowohl für Studien als auch für das Applikationstraining von LMA.
Insbesondere dass Medizinstudierende ohne vorherige Atemwegserfahrung LMA nach einer kurzen Einführung erfolgreich anwenden können, ist von großer wehrmedizinischer Bedeutung, da in den militärischen Einsätzen regelhaft medizinisches Personal mit geringer klinischer Erfahrung in der Atemwegssicherung zum Einsatz kommt. Das vorgestellte Modell erlaubt ein realistisches Training der Atemwegssicherung mit unmittelbarer Erfolgskontrolle.
Schlüsselwörter: Notfallmedizin, schwieriger Atemweg, Aspiration, Thiel-Fixierung, supraglottische Atemwegssicherung
Summary
Tracheal intubation is the gold standard for airway management in emergency medicine but is more difficult to apply for inexperienced individuals than laryngeal mask airway (LMA). Our study aimed to investigate if inexperienced individuals can secure the airway by use of LMA after a short introduction. A second aim was to evaluate Thiel-fixed specimen against unfixed cadavers. In a body donor model, LMA application was evaluated between medical students without previous airway experience and anesthesiologists by comparing the sealing of the larynx using a water column applied to the esophagus. LMAs were successfully applied in 46 out of 55 (83.6 %) attempts by medical students and in 30 out of 39 (76.9 %) attempts by anesthesiologists. Among medical students 14.1 % of all LMA applications were primarily leaky compared to 18.8 % in anesthesiologists. Esophageal sealing was better in Thiel-fixed specimen (leakage 10.9 %) compared to unfixed specimens (leakage 22.9 %).
Our data showed no significant difference between anesthesiologists and medical students regarding terms sealing of LMA. Therefore, we conclude that medical students without previous airway experience can successfully insert LMAs after a short introduction. This result is of great significance in military medicine, as medical personnel with limited experience in airway management are regularly deployed in military operations. Furthermore, we conclude that Thiel-fixed specimens are suitable for studies and training in LMA application. The presented model allows realistic training of airway management with immediate performance assessment.
Keywords: emergency; difficult airway; aspiration; Thiel embalming; upper airway supraglottic airway device
Einleitung
Die endotracheale Intubation (TI) ist der Goldstandard der Atemwegssicherung in der Notfallmedizin. Da sie zeitaufwendig und mit Risiken behaftet ist, muss sie fundiert erlernt werden [8][19]. Aktuelle Studien konnten die Sicherheit und Wirksamkeit von Larynxmasken (LMA) im Atemwegsmanagement bestätigen, insbesondere bei Anwendung durch im Atemwegsmanagement wenig erfahrenes Personal. Sie zeigen eine schnellere und einfachere Anwendbarkeit im Vergleich zur TI, geringere Raten an Halsschmerzen und ein reduziertes Risiko von Bronchospasmen [3][8][21]. Daher stellen LMA eine sinnvolle Alternative im Rettungsdienst dar, insbesondere wenn sie von Personal ohne umfassende Erfahrung in der TI angewendet werden [22][24]. Derartige Situationen sind beim militärischen Einsatz häufig. Wie eine optimale Schulung für die sichere Verwendung von LMA erfolgen soll, ist jedoch unklar. Auch stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Unterschiede im Aspirationsschutz bestehen, wenn LMA von Personen ohne vorherige Atemwegserfahrung im Vergleich zu geschultem Personal appliziert werden. Aufgrund ethischer Überlegungen ist es schwierig, derartige Vergleichsstudien an lebenden Menschen durchzuführen. Daher haben wir uns für ein Modell mit Körperspendern entschieden.
Studienziele
Das erste Ziel unserer Studie war es zu untersuchen, ob unerfahrene Personen nach einer kurzen Einführung mithilfe der LMA den Atemweg suffizient sichern können. Das zweite Ziel war die Bewertung der Eignung von nach Thiel fixierten Körperspendern1 im Vergleich zu nicht fixierten zur Evaluation einer suffizienten LMA-Applikation.
Material und Methoden
Die Studie wurde gemäß den geltenden Vorschriften und Empfehlungen des Ethikkomitees für die Verwendung von Körperspendern in Lehre und Forschung an der Universität Ulm, Deutschland, durchgeführt.
Körperspender
Es wurden 16 Körperspender verwendet. Alle hatten zu Lebzeiten schriftlich ihre Zustimmung zur Verwendung ihrer Körper für die Ausbildung und Schulung von Ärzten gegeben. Die Studie wurde an 8 nach Thiel fixierten Körperspendern (5♀, 160–170 cm, 55–65 kg; 3♂, 175–184 cm, 75–90 kg) und an 8 nicht fixierten Körperspendern (4♀, 157–168 cm, 50–75 kg; 4♂, 176–183 cm, 60–85 kg) durchgeführt. Letztere waren wenige Tage zuvor verstorben, der Rigor mortis hatte bereits nachgelassen, was eine lebensnahe Gewebeflexibilität gewährleistete. Nach Thiel fixierte Körperspender sind lebensechter und weicher als mit Formalin fixierte und weisen flexible Gelenke und gut erhaltene Gewebeschichten und Kolorit auf [1][10][25].
Präparation
Bei allen Körperspendern erfolgte eine Laparotomie, anschließend führten wir eine 34 Ch-Magensonde über eine Gastrotomie in die Speiseröhre ein. Diese Sonde wurde 5 cm unterhalb des Kehlkopfes platziert und die aborale Speiseröhre mit einem Gummiband ligiert, wodurch das System nach distal dicht verschlossen wurde (Abbildung 1). Wir verwendeten eine Messapparatur mit Zentimeterskala, um die Höhe der erzielten Wassersäule bestimmen zu können (Abbildung 2).
Abb. 1: Vorbereitung des Körperspendermodels: Die 34 Ch-Magensonde (roter Pfeil) wird über eine Gastrotomie in die Speiseröhre eingeführt und 5 cm unterhalb der Kehlkopfebene positioniert. Das blaue Gummiband (blauer Pfeil) wird verwendet, um die Magensonde am distalen Ende der Speiseröhre zu fixieren und die Speiseröhre abzudichten. (Bildquelle: Tannheimer)
Abb. 2: Messvorrichtung zur Ermittlung der Höhe der Wassersäule an der in der Speiseröhre platzierten Magensonde: Der Nullpunkt befindet sich 30 cm über dem Sektionstisch. Der Abstand zwischen der Kehlkopfspitze zur Unterkante der Querbrücke wurde addiert. (Bildquelle: Tannheimer)
Experimenteller Ablauf
Für diese Studie verwendeten wir LMA der Größen 4 und 5 ohne Drainagekanäle (LMA UniqueTM), entsprechend den Empfehlungen des Herstellers für das jeweilige Körpergewicht. Die unerfahrenen Personen waren Medizinstudierende im 5. und 6. Semester, die bereits erfolgreich ihren Anatomiekurs absolviert, aber bisher keine Erfahrung im Atemwegsmanagement hatten. Die erfahrenen Probanden waren Anästhesisten, die mindestens 5 LMA pro Monat anwendeten. Um die grundlegende Technik der LMA-Anwendung zu zeigen, erhielten alle Medizinstudierende vor Beginn des Experiments eine mündliche Einführung und Demonstration der Insertionstechnik und durften diese unter Anleitung am Körperspender einmalig applizieren.
In der nach Thiel fixierten Gruppe wurde die LMA an jedem der 8 Körperspendern abwechselnd von fünf Medizinstudierenden und drei Anästhesisten appliziert (Medizinstudierende 40, Anästhesisten 24 Applikationen). Vor jedem Versuch wurde jede LMA mit Aqua-Gel bestrichen. Dies diente als Ersatz für die sezernierende Schleimhaut beim lebenden Menschen und sollte die Anwendung erleichtern und eine realistischere Abdichtung der LMA am Gewebe ermöglichen. Bei den nicht fixierten Körperspendern wurden die LMA bei ansonsten identischem Ablauf zunächst en bloc von drei Medizinstudierenden und dann von drei Anästhesisten appliziert (Medizinstudierende 24, Anästhesisten 24 Applikationen).
Nach Applikation der LMA wurde diese entsprechend der maximalen Druckempfehlung des Herstellers geblockt. Im Anschluss an das Blocken wurde die LMA durch den Versuchsleiter auf ihre Luftdichtigkeit überprüft, indem ein Beatmungsbeutel angeschlossen wurde (Beatmungsbeuteltest). Das System galt als luftdicht, wenn bei manueller Kompression des Beutels ein fühlbarer Widerstand spürbar und wenn zudem kein Geräusch von ausströmender Luft zu vernehmen war (Dichtigkeitstest). Im Anschluss erfolgte die Testung der LMA bei zunehmendem Druck im Ösophagus. Hierzu wurde von aboral Wasser über die in den Ösophagus eingelegte Magensonde gefüllt. Dieses Wasser füllte die Speiseröhre und erreichte den Kehlkopf aboral. Dort stoppte es, weil der Kehlkopf durch die LMA abgedichtet war. Durch Anheben der Magensonde entstand ein zunehmender Wasserdruck an der dort befindlichen LMA, der so lange anstieg, bis er den Verschlussdruck der LMA überstieg. Anfangs wurde das distale Ende der Magensonde einen Zentimeter über dem Niveau des Kehlkopfes gehalten, um das Wasser langsam in die Speiseröhre fließen und Luft entweichen zu lassen. Die gefüllte Magensonde wurde dann in Ein-Zentimeter-Schritten angehoben. Wenn die Wassersäule plötzlich abfiel, wurde dies als Leck der LMA interpretiert und der höchste erreichte Füllstand wurde dokumentiert. Der maximal erreichbare Wasserdruck wurde auf 70 cmH2O festgelegt. Dies erfolgte in Anlehnung an die Publikation von Schmidbauer et al. [23], in welcher LMA bei simuliertem Erbrechen verglichen und ein maximaler Verschlussdruck von 64 cmH2O beschrieben wurde. Konnte eine Wassersäule erzeugt werden, definierten wir dies als eine erfolgreiche Applikation der LMA. Nach jeder Messung wurde Flüssigkeit im Lumen der LMA bis hinunter in die Trachea abgesaugt, um eine Aussage hinsichtlich einer Aspiration zu treffen. Nach dem Entfernen der LMA wurde zusätzlich der Oropharynx abgesaugt, um eine identische Ausgangssituation für den nächsten Probanden zu schaffen.
Um mögliche Änderungen der Gewebequalität im Verlauf zu beurteilen, wurde die letzte Anwendung in jedem Durchgang mit dem Mittelwert aller Anwendungen an diesem Körperspender sowie der ersten LMA-Platzierung verglichen.
Statistik
Für die statistische Analyse wurde zunächst mittels Kolmogorov-Smirnov-Tests auf Normalverteilung geprüft und dann ein t-Test für zwei unabhängige Stichproben (Medizinstudierende und Anästhesisten) für die Variable „Wassersäule in cm“ verwendet. Mittels Chi-Quadrat-Test wurde überprüft, ob zwei Merkmale stochastisch unabhängig sind. Die Statistik wurde für alle Präparate (nach Thiel/unfixiert) berechnet. Als Signifikanzniveau wurde p < 0.05 festgelegt. Die Vierfeld-Korrelation diente zur Beurteilung der Stärke der Korrelation zwischen Flüssigkeit in der Mundhöhle (Aspiration) und einer Undichtigkeit beim Beatmungsbeuteltest.
Ergebnisse
Medizinstudierende und Anästhesisten waren bei der Anlage der LMA ähnlich erfolgreich. Über alle Versuche war die Applikation der LMA in 47 von 64 (73,4 %) Versuchen bei Medizinstudierenden und in 30 von 48 (62,5 %) bei Anästhesisten erfolgreich, d. h. es wurde eine Wassersäule erzeugt. Dieser Unterschied war nicht signifikant (p = 0.098). Von 112 Anwendungen (64 nach Thiel fixiert, 48 unfixiert) waren 84 Anwendungen (57 nach Thiel fixiert (89,1 %), 27 unfixiert (56,3 %)) primär dicht beim Beatmungsbeuteltest. Eine Wassersäule im Ösophagus von > 20 cmH2O wurde bei 46 Körperspendern (54,8 %) erreicht (nach Thiel fixiert: 33 (57,9 %); unfixiert: 13 (48,1 %)). Der erzielte Ösophagusverschlussdruck der LMA war bei nach Thiel fixierten Körperspendern höher als bei unfixierten. Dieser Unterschied war signifikant (p = 0.01). Bei zwei unfixierten Körperspendern (Nr. 3 und 4) konnten keine Wassersäulen und bei einem weiteren Körperspender (Nr. 6) nur bei einem Applikationsversuch eine Wassersäule erreicht werden. Dies lag höchstwahrscheinlich an anatomischen Gegebenheiten, sodass die LMA nicht ausreichend abdichten konnte. Bereits während des Tests mit dem Beatmungsbeutel konnte hier eine Leckage festgestellt werden. Insgesamt galt, dass es unwahrscheinlich war, eine Wassersäule anlegen zu können, falls sich beim Beatmungsbeuteltest eine Undichtigkeit zeigte. Dieser Zusammenhang war statistisch signifikant (p < 0.05; r : +0.57) (siehe Tabelle 1).
Tab. 1: Vierfeldertafel aller 16 Körperspender und aller LMA-Applikationen der Anästhesisten (48) und der Medizinstudierenden (64): Gegenübergestellt ist das Vorhandensein einer Luftleckage im Beatmungsbeuteltest sowie der Erfolg oder Misserfolg beim Anlegen der Wassersäule. Dieser Zusammenhang war statistisch signifikant (p < 0.05; r: +0.57).
Nach Ausschluss der ungeeigneten unfixierten Körperspender Nr. 3, 4 und 6 (Unmöglichkeit einer suffizienten LMA-Anlage) wurde die statistische Auswertung bei 64 Versuchen an nach Thiel fixierten Körperspendern (Medizinstudierende: 40, Anästhesisten: 24) und bei 30 Versuchen an unfixierten Körperspendern (Medizinstudierende: 15, Anästhesisten: 15) durchgeführt. Dies führte zu einer insgesamt höheren Erfolgsrate; bei Medizinstudierenden waren 46 von 55 Applikationen (83,6 %) bei Anästhesisten 30 von 39 Applikationen (76,9 %) erfolgreich. Dieser Unterschied war nicht signifikant (p = 0.415). Von den verbleibenden 9 erfolglosen LMA-Applikationen durch die Medizinstudierenden waren 4 bei nach Thiel fixierten Körperspendern (von 40: 10,0 %) und 5 bei unfixierten Körperspendern (von 15: 33,3 %) erfolglos. Bei den Anästhesisten entfielen von den 9 erfolglosen LMA-Applikationen 3 auf nach Thiel fixierte Körperspender (von 24: 12,5 %) und 6 auf unfixierte Körperspender (von 15: 40,0 %).
Eine Aspiration definierten wir, wenn Wasser im Lumen der LMA (und damit in der Trachea) nachgewiesen wurde. Die Aspirationsrate bei Medizinstudierenden betrug insgesamt 27,3 % (15 von 55 Applikationen), 20,0 % (8 von 40) bei nach Thiel fixierten und 46,7 % (7 von 15) bei unfixierten Körperspendern. Bei den Anästhesisten kam es insgesamt bei 41,0 % (16 von 39 Applikationen), 41,7 % (10 von 24) bei nach Thiel fixierten und 40,0 % (6 von 15) bei unfixierten Körperspendern zu Aspirationen. Diese Unterschiede zwischen Medizinstudierenden und Anästhesisten waren nicht signifikant (alle Applikationen: p = 0.325; nach Thiel fixiert: p = 0.170; unfixiert: p = 0.817). Die tatsächliche Aspirationsrate war somit höher als die reine primäre Undichtigkeit während des Tests mit dem Beatmungsbeutel.
Abb. 3: Vergleich der maximal erreichten Wassersäule von Larynxmasken appliziert durch Anästhesisten versus Medizinstudierende an 8 nach Thiel-fixierten Körperspendern. (cmH2O = Wassersäule in cm)
LMA-Anwendung bei nach Thiel fixierten Präparaten
Die Erfolgsrate der LMA-Applikation bei nach Thiel fixierten Körperspendern war für Medizinstudierende (90 %) und Anästhesisten (87,5 %) sehr ähnlich. Die LMA hielt einem mittleren Ösophagusdruck von 29,0 cmH2O (SD ± 7,5 cmH2O) bei Medizinstudierenden und 19,8 cmH2O (SD ± 7,8 cmH2O) bei Anästhesisten stand (Abbildung 3). Dieser Unterschied war nicht signifikant (p = 0.11). Insgesamt konnte bei 7 von 64 Applikationen (10,9 %) keine Wassersäule erzielt werden (Medizinstudierende: 4; Anästhesisten: 3). In allen 7 Fällen war Wasser im Rachen und in 4 Fällen auch in der LMA nachweisbar. Bei 2 dieser Applikationen zeigte sich eine Undichtigkeit während des initialen Dichtheitstests mit dem Beatmungsbeutel. Der maximale Wert der Wassersäule von 70 cmH2O wurde in 6 Applikationen erreicht (9,4 %). In diesen Fällen konnte weder Wasser im Rachen noch im Lumen der LMA nachgewiesen werden noch trat eine Undichtigkeit während des Beatmungsbeuteltests auf.
LMA-Anwendung bei unfixierten Präparaten
Die Erfolgsrate der LMA-Anwendung bei unfixierten Körperspendern (ohne Nr. 3, 4, 6) war ähnlich zwischen Medizinstudierenden (66,7 %) und Anästhesisten (60,0 %). Die LMA hielt einem mittleren Ösophagusdruck von 17,3 cmH2O (SD ± 7,8 cmH2O) bei Medizinstudierenden und 18,0 cmH2O (SD ± 9,8 cmH2O) bei Anästhesisten stand (Abbildung 4). Dieser Unterschied war nicht signifikant (p = 0.90). Insgesamt konnte bei 11 von 30 (36,7 %) Applikationen keine Wassersäule erzielt werden (Medizinstudierende: 5; Anästhesisten: 6). In 4 dieser 11 Fälle war Wasser im Rachen und in 8 Fällen in der LMA nachweisbar. Bei 4 dieser Applikationen zeigte sich eine Undichtigkeit während des initialen Beatmungsbeuteltests. Der maximale Wert der Wassersäule betrug 42 cmH2O. In diesem Fall konnte weder Wasser im Rachen noch im Lumen der LMA nachgewiesen werden; auch trat keine Undichtigkeit während des Beatmungsbeuteltests auf.
Gewebeverschlechterung
Bei 12 von 13 Präparaten gab es keinen Hinweis auf eine Gewebeverschlechterung während des Versuchs. Nur in einem Fall (nach Thiel fixiertes Präparat Nr. 7) ist eine Gewebeverschlechterung möglich, da die späteren Probanden schlechter abschnitten als die ersten Probanden. Die Applikationen der ersten 5 Probanden waren besser (Medizinstudierende Nr. 1, 2, 3: 10 cm, 40 cm und 12 cmH2O; Anästhesist Nr. 1 und 2: 0 cm sowie 12 cmH2O) im Vergleich zu Anästhesist Nr. 3 und Medizinstudent Nr. 4, die keine Wassersäule erzielten, sowie Medizinstudent Nr. 5, der nur 4 cmH2O erzielte. Insgesamt fanden sich bei Körperspender Nr. 7 nur mittelmäßige Ergebnisse in Bezug auf die erreichte Wassersäule; der Maximalwert lag bei nur 40 cmH2O, der Mittelwert betrug 9,8 cmH2O, der Mittelwert der ersten 5 Anwendungen betrug 14,8 cmH2O.
Abb. 4: Vergleich der maximalen erreichten Wassersäule von Larynxmasken appliziert durch Anästhesisten versus Medizinstudierende an 5 nicht fixierten Körperspendern. (cmH2O = Wassersäule in cm)
Diskussion
Die vorliegenden Daten zeigten nicht die erwartete Überlegenheit der Anästhesisten hinsichtlich der Abdichtung der LMA. Medizinstudierende erzielten tendenziell höhere durchschnittliche Wassersäulen. Die fehlende Signifikanz dieses Unterschieds spielt für die grundsätzliche Aussage dieser Studie keine Rolle, denn allein die Tatsache, dass die Medizinstudierenden nicht schlechter als die Anästhesisten abschnitten, ist ein bemerkenswertes Ergebnis. So legen unsere Daten nahe, dass Medizinstudierende ohne vorherige Erfahrung im Atemwegsmanagement schnell erlernen können, eine LMA suffizient zu applizieren und damit einen relativ sicheren Aspirationsschutz zu erreichen.
Eine mögliche Erklärung für dieses unerwartete Ergebnis könnte sein, dass die berufliche Erfahrung und der tägliche Umgang mit LMA keinen Vorteil bei diesem Körperspendermodell boten. Die für lebende Menschen optimierte Insertionstechnik erfahrener Anästhesisten könnte daher im Vergleich zur «unvoreingenommenen» Insertionstechnik der Medizinstudierenden ein Nachteil gewesen sein. Subjektiv waren die Anästhesisten viel schneller bei der Applikation der LMA als die Medizinstudierenden. Wir haben allerdings die tatsächlich benötigte Zeit für die LMA-Applikation nicht gemessen, da dies nicht das prospektive Ziel dieser Studie war. Dies könnte jedoch einer der Gründe sein, warum Medizinstudierende eine tendenziell bessere Abdichtung erzielten.
Im Gegensatz zu den Anästhesisten erhielten die Medizinstudierenden im Voraus eine Instruktion und hatten einmalig die Möglichkeit, die Applikation der LMA am Körperspender zu üben. Möglicherweise war dies anfänglich ein Vorteil für die Medizinstudierenden. Dieser hätte sich jedoch während der Versuchsreihe rasch ausgleichen müssen, was jedoch nicht geschah.
Die Erfolgsraten der LMA-Applikation waren in unserer Studie (83,6 % bei Medizinstudierenden und 76,9 % bei Anästhesisten) niedriger als die in einer Meta-Analyse von über 20 000 Patienten (Applikation durch Anästhesisten) mit einer Erfolgsrate von insgesamt 98 % [11]. Allerdings lag in dieser Metaanalyse beim ersten Versuch in nur 87 % der Fälle eine korrekte Platzierung vor [11], was der Erfolgsrate in unserer Studie an den nach Thiel fixierten Körperspendern entspricht. Insgesamt kann angesichts der hohen Erfolgsrate der Medizinstudierenden bei unserem Körperspendermodell geschlussfolgert werden, dass eine Person mit medizinischem Hintergrund, aber ohne vorherige Erfahrung im Atemwegsmanagement, nach einer kurzen Schulung eine LMA suffizient applizieren kann.
Bei der Sicherung des Atemwegs ist ein bestmöglicher Aspirationsschutz das Ziel, weshalb die TI in Situationen mit Aspirationsrisiko der Goldstandard ist. Unsere 46 Fälle mit einer Wassersäule von > 20 cmH2O würden einem Druck im Ösophagus von 20 cmH2O widerstehen. Damit wird wirksam eine Regurgitation verhindert, da dieser Wert den physiologischen intraabdominalen Druck überschreitet, welcher bei normalgewichtigen Personen 5–7 mmHg und bei fettleibigen Personen bis zu 14 mmHg (= 20 cmH2O) betragen kann [7]. Im Falle eines Erbrechens werden jedoch deutlich höhere Magendrücke von bis zu 290 mmHg (= 394 cmH2O) gemessen [12]. Eine LMA bietet dagegen, im Gegensatz zu einem Tubus, dessen Manschette die Luftröhre selbst abdichtet, wenig Schutz. Dennoch werden inzwischen supraglottische Beatmungshilfen (SAD) für Situationen empfohlen, in denen die Intubation fehlschlägt oder eine unerfahrene Person einen Atemweg sichern muss [9][24]. Diese Empfehlung wird durch unsere Daten unterstützt. Ein entscheidender Nachteil der TI ist die erforderliche Erfahrung zur sicheren Durchführung, insbesondere unter Notfallbedingungen, die eine fundierte und im Vergleich zu SAD eine lange Ausbildung erfordert [24]. Ungeübtes Personal kann im Vergleich zur TI eine SAD schneller [17][20][22] und sicherer [18] applizieren. Auch die Anzahl der Versuche, um die Anwendungstechnik der LMA zu erlernen, ist geringer [27][28]. Ein weiterer Vorteil der LMA ist, dass diese während einer Reanimation blind eingeführt werden kann, ohne die Herzdruckmassage unterbrechen zu müssen, was bei der TI nur geübten Anwendern möglich ist [20][24].
Das vorgestellte Modell ermöglicht ein anatomisch realistisches Training von medizinischem Personal, Medizinstudierenden und jungen Ärztinnen/Ärzten, indem es nicht nur eine Trainingsumgebung bietet, sondern auch eine sofortige Bewertung der Dichtheit der applizierten LMA ermöglicht. Dies verbessert die Qualität der Schulung und kommt Notfallpatienten beispielsweise bei einer Versorgung im Rahmen der Notkompetenz zugute, falls kein Notarzt anwesend ist. In einem weiteren Schritt könnte zum Beispiel rettungsdienstliches Assistenzpersonal oder weniger erfahrenes Personal vor einem militärischen Einsatz an dem vorgestellten Modell geschult werden und dabei ebenfalls die Erfolgsrate ermittelt werden.
Luftleckage und Undichtigkeit der ösophagealen Wassersäule
Wie erwartet konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer Luftleckage während des Beatmungsbeuteltests und der Undichtigkeit der LMA nachgewiesen werden. Für praktische Zwecke bedeutet dies, dass LMA, die während des Beatmungsbeuteltests nicht abdichten, angepasst werden sollten, um einen optimalen Schutz vor Aspiration zu gewährleisten.
Je höher der Wert der erreichten Wassersäule war, desto besser wurde die Platzierung der LMA beurteilt. Es kann davon ausgegangen werden, dass LMA, die in diesem Experiment eine höhere Ösophaguswassersäule erzielten (= Ösophagusverschlussdruck), auch einen besseren Schutz vor Aspiration bieten. Dies wird durch unser Ergebnis unterstützt, da bei allen LMA-Applikationen, die den maximalen Wert von 70 cmH2O erreichten, kein Wasser im Rachen oder dem Lumen der LMA gefunden wurde. In einer ähnlichen Studie, die ebenfalls an einem Kadavermodell durchgeführt wurde, erreichte die Abdichtung des Ösophagus einen maximalen Druck von 64 cmH2O [23].
Unsere Rate an Aspiration war höher als die reine primäre Leckage während des Beatmungsbeuteltests. Sie ist viel höher als in der Literatur angegebene Aspirationsraten [11]. Obwohl ausgeführt wird, dass LMA eine Aspiration nicht verhindern [13][14], wird die Gesamtinzidenz einer Aspiration bei deren Verwendung als niedrig berichtet [4][5][29]. Selbst bei präklinischer Reanimation unter Verwendung von LMA wurden in einer retrospektiven Studie nur 6 Aspirationen beobachtet (n = 2 701) [26], und die Regurgitations- und Aspirationsraten waren bei LMA und TI ähnlich [2]. Das Risiko einer Aspiration während einer geplanten Anästhesie liegt zwischen 12 von 10 000 [5][6]. Allerdings berichten Khazin et al. [15], dass die Regurgitation nach LMA-Applikation während einer geplanten Anästhesie mit bis zu 16 % viel häufiger vorkommt. Doch auch diese Werte sind noch immer niedriger als in unserer Studie.
Wir führen dieses schlechtere Ergebnis hauptsächlich auf die unterschiedliche Situation mit dem Körperspendermodel im Vergleich zu lebenden Personen, aber auch auf unser Studienprotokoll zurück. So würden wir in Zukunft den Studienablauf dahingehend ändern, dass nach dem Einsetzen der LMA und einer detektierten anfänglichen Leckage im Beatmungsbeuteltest die LMA angepasst oder ausgetauscht und dann erneut auf Dichtheit überprüft wird. Wir gehen davon aus, dass diese Modifikation unseres Studienablaufs der täglichen gelebten Praxis deutlich näherkommen würde und sich dadurch unsere „Aspirationsrate“ reduzieren lassen würde.
Bewertung von nach Thiel fixierten gegenüber unfixierten Körperspendern
Wir hatten erwartet, dass unfixierte Körperspender realistischere Bedingungen bieten und zu höheren Abdichtungswerten führen würden als nach Thiel fixierte. Frische nicht tiefgefrorene menschliche Präparate sollten ein ideales Modell für standardisierte Forschung oder Ausbildung im Vergleich zu Trainingsmannequins darstellen, da sie theoretisch bessere physiologische Bedingungen bieten. Sie können jedoch nur für kurze Zeit verwendet werden [30]. Erfolgreiche Studien zu SAD bei unfixierten Körperspendern existieren [23]. Unsere Studie zeigte jedoch eine bessere Applizierbarkeitsrate von LMA und einen höheren Grad der Abdichtung bei nach Thiel fixierten Körperspendern, was diese zu einer realitätsnäheren Option macht. Die Thiel-Fixierung bietet eine attraktive Alternative [25], indem sie Gewebeflexibilität und -haltbarkeit mit einer festeren Gewebestruktur kombiniert [1]. Studien zur Intubation oder zum Testen neu entwickelter SAD an nach Thiel fixierten Körperspendern bestätigen ebenfalls die Überlegenheit der Thiel-Fixierung gegenüber Mannequins [16][25]. Basierend auf unseren Ergebnissen sind nach Thiel fixierte Körperspender daher besser als unfixierte geeignet, um Fragen zur Anwendung von LMA zu analysieren.
Einschränkungen dieser Studie
Die Hauptlimitation unserer Studie besteht darin, dass die Ergebnisse des Körperspendermodells nicht direkt auf lebende Menschen übertragen werden können. Neben Unterschieden im reinen Handling war die Testsituation praktisch stressfrei. Im Gegensatz zu Notfallsituationen gab es keinen Zeitdruck. So waren, wie oben beschrieben, die Medizinstudierenden langsamer als die Anästhesisten. Wir vermuten zudem, dass die fehlende Möglichkeit, die Position der LMA in Fällen einer Undichtigkeit im Beatmungsbeuteltest anzupassen, zu der etwas schlechteren Leistung der Anästhesisten beigetragen haben könnte. Wahrscheinlich hätten die erfahrenen Anästhesisten in einer realen Notfallsituation eine Leckage rasch erkannt und die LMA-Position in den meisten Fällen verbessern können. Wir hatten diese Möglichkeit in unserem Studiendesign verwehrt, da wir Bedenken hinsichtlich einer Gewebsverschlechterung durch Korrekturmaßnahmen befürchteten. Diese Befürchtung hat sich jedoch im Nachhinein nicht bestätigt.
Anatomische Besonderheiten bei den unfixierten Körperspendern könnten zu der überraschend besseren Abdichtung der LMA bei nach Thiel fixierten Körperspendern im Vergleich zu unfixierten beigetragen haben. Allgemein ist die Testsituation bei nach Thiel fixierten Körperspendern jedoch besser standardisiert, da die Zeitspanne zwischen dem Todeszeitpunkt und der Testdurchführung bei unfixierten Körperspendern naturgemäß uneinheitlich war und dies einen Einfluss auf die Gewebequalität der einzelnen Körperspender gehabt haben könnte.
Fazit
Die vorliegende Studie erlaubt die Schlussfolgerung, dass medizinisches Personal ohne vorherige Erfahrung im Atemwegsmanagement nach einer kurzen Einführung erfolgreich LMA applizieren kann und dabei einen ähnlichen Aspirationsschutz erreicht wie erfahrene Anästhesisten. Daher ermutigen unsere Ergebnisse zur Schulung von im Atemwegsmanagement unerfahrenem medizinischem Personal für die Anwendung von LMA in Notfallsituationen. Dies ist von großer wehrmedizinischer Bedeutung, da in den militärischen Einsätzen regelhaft medizinisches Personal mit geringer Erfahrung in der Atemwegssicherung zum Einsatz kommt. Das vorgestellte Modell der nach Thiel fixierten Körperspender erlaubt ein realistisches Training der Atemwegssicherung mit unmittelbarer Erfolgskontrolle.
Kernaussagen
- Larynxmasken können nach kurzer Einweisung von Personen mit medizinischen Vorkenntnissen, aber ohne Erfahrung in der Atemwegssicherung suffizient angewendet werden.
- Sie erreichen dabei einen ähnlichen Aspirationsschutz wie Anästhesisten.
- Die Schulung von medizinischem Personal ohne Erfahrung in der Atemwegssicherung in der Applikation einer Larynxmaske ist insbesondere unter wehrmedizinischen Gesichtspunkten bzw. in Hinblick auf Situationen der Notfallkompetenz zu empfehlen.
- Nach Thiel fixierte Körperspender eignen sich für Studien und Schulungen zur Anwendung von Larynxmasken.
Glossar
Ch: Charrière: Durchmessermaß, 1 Ch entspricht etwa 1/3 mm
cmH2O: Höhe der angelegten Wassersäule in cm
LMA: Larynxmaske
SAD: supraglottic airway device; supraglottische Beatmungshilfe
SD: Standard deviation; Standardabweichung
TI: tracheal Intubation; endotracheale Intubation
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Tannheimer M, Reinke M, Lechner R: Vergleich der Atemwegssicherung mittels Larynxmaske zwischen Anästhesisten und Laien. WMM 2024; 68(5): 210-217.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-286
Für die Verfasser:
Oberfeldarzt d. R. Priv.-Doz Dr. Markus Tannheimer
ADK-Klink Blaubeuren, Abteilung Allgemein- und Visceralchirurgie
Ulmer Str. 26, 89143 Blaubeuren
E-Mail: m.tannheimer@adk-gmbh.de
Manuscript Data
Citation
Tannheimer M, Reinke M, Lechner R: [Comparison of Laryngeal Mask Airway Seal between Anesthesiologists and Laypersons.] WMM 2024; 68(5): 210-217.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-286
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC Res) Assistant Professor Dr. Markus Tannheimer
ADK-Hospital Blaubeuren, Department of Surgery
Ulmer Str. 26, D-89143 Blaubeuren
E-Mail: m.tannheimer@adk-gmbh.de
1 Bei der Fixierung nach Walter Thiel wird der Körper mit einer Fixierungslösung, die Borsäure, Ethylenglykol, Ammonium- und Kaliumnitrat, Chlorkresol, Natriumsulfit und Formaldehyd enthält, perfundiert und anschließend in einer verdünnteren Lösung gelagert.
Modifizierte Ertl-Technik zur Versorgung
einer beidseitigen Unterschenkel-Amputation: Falldarstellung
Case Report: Modified Ertl-Technique for Bilateral below-Knee Amputation
Miriam Voslooa, Gernot Kretschmerb*, Dennis Vogtc, Christian Willyc
aBundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik II – Allgemein- und Viszeralchirurgie, Fachbereich Gefäßchirurgie
b pro-samed Sanitätshaus e.K., Berlin
* Der orthodädie-technische Teil der Arbeit wurde bereits von G. Kretschmer unter [10] publiziert. Die Autoren Vosloo und Kretschmer sind zu gleichen Teilen an der Erstellung der Arbeit beteiligt.
c Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik XIV – Orthopädie und Unfallchirurgie, Septisch Rekonstruktive Chirurgie
Zusammenfassung
Wir berichten über einen jetzt 35jährigen Patienten, der als Offizier einer Spezialeinheit während eines Kampfeinsatzes im Oktober 2020 eine Sprengverletzung erlitt. Dabei verlor er beide Füße, sodass primär eine beidseitige Fußamputation unmittelbar oberhalb des Sprunggelenkniveaus vorgenommen werden musste. Aufgrund eines hohen Mobilitätsanspruchs des Patienten mit der uneingeschränkten Belastbarkeit beider Beine in einer prothetischen Versorgung erfolgte die Vorstellung in unserem Krankenhaus zur Planung einer zielgerichteten Nachamputation und einer entsprechenden prothetischen Versorgung.
Die Besonderheit der beidseitigen Amputation bei einem jungen und trainierten Soldaten ergab die Notwendigkeit, die herkömmliche Unterschenkel-Amputationstechnik zu überdenken, sodass die modifizierte Ertl-Technik mit Bildung einer tibiofibularen Osteomyoplastik zur Anwendung kam.
Schüsselwörter: Ertl-Technik, tibiofibulare Osteomyoplastik, tibiofibulare Knochenbrücke, Unterschenkelamputation, transtibiale Amputation, Brückensynostose
Summary
We report on a 35-year-old patient who, as an officer in a special unit, suffered a blast injury during a combat mission in October 2020. He lost both feet, so that a bilateral foot amputation had to be performed immediately above the level of the ankle joint. Due to the patient‘s high mobility requirements and the need for unrestricted weight-bearing capacity of both legs in a prosthetic fitting, he was admitted to our hospital to plan a targeted reamputation and a corresponding prosthetic fitting.
The peculiarity of bilateral amputation in a young and trained soldier showed the need to rethink the typical and usually used amputation technique so that the modified Ertl technique with a tibiofibular osteomyoplasty was applied.
Keywords: Ertl procedure; tibiofibular osteomyoplasty; tibiofibular bone bridge; lower leg amputation; transtibial amputation; bridge synostosis
Einleitung
Angesichts der weltweiten Zunahme bewaffneter Konflikte steigt die Zahl der Menschen, die durch Waffengewalt zu Tode kommen bzw. schwerste Schäden an Körper und Seele erleiden [5][13]. In den letzten beiden Jahren trieben die kriegerische Auseinandersetzung Russlands mit der Ukraine und die Konfliktsituation im Gazastreifen die Opferzahlen massiv in die Höhe. Im Fall des Überlebens haben Waffenwirkungen komplexe Verletzungen der Körperteile, die nicht durch Schutzwesten abgedeckt sind, zur Folge. Diese führen zu erheblichen medizinisch-chirurgischem Versorgungsbedarf. Die Bundeswehrkrankenhäuser haben in den letzten 20 Jahren eine Vielzahl von Patienten aus konfliktbehafteten Ländern behandelt, in jüngster Zeit vorwiegend Extremitätenverletzungen aus der Ukraine. Dabei sind verschiedene Patienten betroffen, welche derartig schwerwiegende Verletzungen erlitten, dass sie mehrfach amputiert werden mussten. Im Falle eines nicht möglichen rekonstruktiven Extremitätenerhalts musste schließlich eine definitve Amputation vorgenommen werden.
Mit der vorliegenden Kasuistik wollen die Autoren die chirurgische Versorgungsoption der tibio-fibularen Knochenbrücke bei transtibialer Unterschenkelamputation beschreiben, wenn eine Erhöhung der Endbelastbarkeit des Unterschenkelstumpfes erzielt werden soll.
Fallbericht
Anamnese und Befund
Es erfolgte die Erstvorstellung eines damals 32jährigen Offiziers im Januar 2021 – 3 Monate nach primärer Verletzung – mit Z. n. beidseitigem Fußverlust. Der Patient war im Rollstuhl mobilisiert. Weitere Begleiterkrankungen oder Verletzungen lagen nicht vor. Die überlangen Stümpfe waren erwartungsgemäß nicht kontaktfähig; die Absetzungslinie zeigte sich bei ca. 4 cm bzw. ca. 6 cm proximal der Malleolen (Abbildung 1). Die Hautoberfläche beider Unterschenkelstümpfe zeigte typische Einschlüsse von kleinsten Schrapnellpartikeln. Es bestanden keine offenen Läsionen oder sonstigen Auffälligkeiten am Muskel- und Skelettsystem. Der Körperbau war athletisch; das Körpergewicht betrug 90 kg. Bei einer Körpergröße von vormals 186 cm war ein Kniespalt-Boden-Maß von 51–52 cm anzunehmen. Röntgenologisch zeigte sich eine intakte Knochenstruktur ohne Hinweis auf Osteolysen.
Abb. 1: Klinischer Ausgangsbefund an beiden Beinen bei Erstvorstellung im Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Therapiemaßnahmen
Die operative Stumpfrevision zur modifizierten Ertl-Amputationstechnik (Tabelle 1) wurde in einem interdisziplinären Behandlungsteam aus den Bereichen Orthopädie-Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie und Orthopädietechnik im Februar 2021 vorgenommen. Die Operationsplanung und die Indikation zur Operation wurden erheblich von der Orthopädie-Techniker Seite unterstützt, wobei der Anspruch des Patienten an eine Sport-orientierte Versorgung eine wichtige Rolle spielte. Aufgrund der aufwendigen operativen Vorgehensweise erfolgten die Unterschenkelnachamputationen zeitlich um eine Woche versetzt.
Die modifizierte Ertl-Amputationstechnik folgt den bekannten Operationsschritten wie bei einer typischen Unterschenkelamputation nach Burgess. Die präparatorische Besonderheit besteht darin, dass die Fibula ca. 5 cm distal der Absetzungslinie der Tibia unter Belassen der dorsalen und lateralen Weichgewebsaufhängung osteotomiert wird. Dies dient dem Erhalt der optimalen Blutversorgung dieser Fibulastrebe, welche in transversaler Betrachtung annähernd im rechten Winkel zur medialen Tibiafläche in die Tibia eingesetzt wird (Abbildung 2). Die exakte Länge der Fibulastrebe richtet sich nach den individuellen anatomischen Gegebenheiten, um einen leicht konischen Verlauf stumpfabwärts zu erzielen und um einen zu prominenten distalen Kontaktpunkt zu vermeiden.
Abb. 2: Angedachte Versorgung bei Therapieplanung, Projektion des Röntgenbildes links im Sinne der prothetischen Versorgung
Die Fixierung der Knochenbrücke wurde durch je zwei kreuzende passager eingebrachte Kirschnerdrähte erzielt (Abbildung 3). Alternativ hätte die Osteosynthese durch eine Kortikalisschraube, Plattenosteosynthese oder mittels Tight Ropes (reißfestes, nicht-resorbierbares Fadensystem) fixiert werden können. Nach Erstellung der Knochenbrücke wurde eine Myoplastik durchgeführt. Hierzu wurde ein langer hinterer, myokutaner Lappen zum Stumpfverschluss wie bei der modifizierten Burgess-Amputationstechnik verwendet.
Abb. 3: Fixierung der tibio-fibularen Knochenbrücke durch je zwei kreuzende passager eingebrachte Kirschnerdrähte, (A) rechts und (B) links
Klinischer Verlauf
Direkt postoperativ erfolgte eine elastokompressive Stumpfwickelung. Ab dem 5. postoperativen Tag wurden Kompressionsstumpfstrümpfe der Kompressionsklasse 2 angepasst. Diese wurden zur Vermeidung von Scherkräften an den Stumpfspitzen nur mit einem Anziehring angelegt. Ab dem 10. postoperativen Tag wurde die Kompressionstherapie mit intervallischer Silikon-Lineranwendung zur besseren Stumpfkonditionierung ergänzt. Die Entlassung aus der stationären Behandlung konnte bereits am 10. postoperativen Tag nach der zweiten Operation erfolgen. Der Patient erschien ambulant engmaschig zu Wund-, Befund- und notwendigen Röntgenkontrollen. Das Hautnahtmaterial wurde bei guter Abheilung beider Unterschenkelstümpfe am jeweils 21. postoperativen Tag entfernt.
Verlauf nach Entlassung aus der klinischen Versorgung
Die Kirschner-Drähte wurden nach drei Monaten in einer ambulanten Operation entfernt. Danach wurde die Größe des Silikon-Liners reduziert. Es wurden nicht stehfähige Therapieschäfte noch vor Entfernung der Kirschner-Drähte gefertigt, um eine Knochenbrückendislokation zu verhindern. Unter Verwendung dieser Therapieschäfte waren drei Wochen hochfrequenter Reha-Sport mit täglicher Physiotherapie zur Vermeidung bzw. Reduktion einer Kontraktur der Hüft- und Kniebeugemuskulatur gestattet.
Prothesenversorgung
Bei der Planung und Durchführung der prothetischen Versorgung waren folgende Aspekte essenziell:
- Die finalen Tibialängen von jeweils 18 cm ab Kniegelenkspalt garantierten im physiologischen Sinne und unter den Aspekten der prothesentechnischen Konfiguration eine sinnvolle Stumpflänge.
- Für eine spätere Reserveoption ist diese Länge eine gute Basis.
- Durch die Kürzung entstand eine ausreichende Bauhöhe für die angestrebte Prothesentechnik. Ein Zuviel (> 3 cm) an prothesentechnischer Verlängerung ist für den bilateralen Nutzer problematisch.
- Bei ca. 4 cm postoperativ, später 1–2 cm Weichteildeckung an der Stumpfspitze verblieb bei einer theoretischen Gesamtlänge von 51–52 cm unterhalb der Prothesenschäfte eine Bauhöhe von 28–30 cm, welche für die Erstversorgung ideal ist.
- Für die technischen Komponenten der High-End-Versorgung musste das Knie-Boden-Maß um 3 cm verlängert werden. (Der Patient wurde somit durch die Prothesenversorgung 3 cm größer.)
Interimsversorgung
Die ersten Test-Prothesenschäfte wurden im distalen Schaftareal mit einem deutlichen partiellen Druck von mediofrontal zu dorsolateral gestaltet, ähnlich wie das Design der Therapieschäfte. Nach vier Wochen und einer Vielzahl von Testschäften, ausgeführt in unterschiedlichen Schaftdesigns und Volumenabänderungen, war die Erstversorgung abgeschlossen. Die finalen Interimsschäfte konnten für drei Monate ohne Schaftänderung intensiv und vielseitig genutzt werden.
Definitivversorgung
Die Phase der Definitivversorgung galt zunächst der Volumenanpassung und Optimierung der tiefstmöglichen Alltagsprothesen sowie der Erprobung eines tiefst möglichen proximalen Schaftrandes. Dieser konnte seitlich auf Höhe des Kniegelenkspaltes und ventral auf ein Niveau unterhalb der Mid Patella Tendon (MPT)-Höhe verringert werden.
Die Röntgenkontrolle Anfang Dezember 2021 zeigte zwei stabile Brückensynostosen und bestätigte unsere geplante Vorgehensweise. Die sportlichen Aktivitäten des Patienten konnten weiter erhöht werden. Je mehr Bodenreaktionskraft auf die distalen Knochenverbindungen wirkte, desto schneller fand die Durchbauung der Synostosen statt (Abbildung 4).
Abb. 4: Röntgenkontrollbilder 10 Monate nach Stumpfkorrektur mit belastungsfähiger Durchbauung der tibio-fibularen Knochenbrücke
Daher wurde im Januar 2022 mit der Anfertigung von Prothesen für sportliche Aktivitäten begonnen (Abbildung 5). Die speziellen Ansprüche erforderten einen klassischen Schaftrandverlauf an den dafür genutzten Prothesenschäften. Nach alltagsintensiver und sportlicher Nutzung hat sich ein weiterer messbarer Teil der ehemals sprunggelenksichernden Unterschenkelmuskulatur aufgrund von extremer Aktivität „verbrannt“. Infolgedessen wurde eine Volumenreduzierung an allen Schäften erforderlich.
Abb. 5: Balance im Einbeinstand, 4 Wochen nach Beginn der ersten Steh- und Gehübungen
Nach den Erfahrungen der ersten Skiabfahrten im Februar 2022, wurden im Rahmen der zweiten Definitivversorgung Ski-Prothesen mit Oberschenkelhülsen gefertigt, die im März 2023 erfolgreich erprobt werden konnten (Abbildung 6).
Abb. 6: Definitivversorgung mit Anfertigung von Ski-Prothesen mit Oberschenkelhülsen
Diskussion
Ertl-Technik – Pro und Contra
Janos Ertl [7] benutzte zur knöchernen Vereinigung von Tibia und Fibula einen Knochenchip. Die von Guedess-Pinto weiterentwickelte Technik sieht eine Brückensynostose aus einem 4–5 cm langen Fibulastück vor, die die verbleibende Tibia mit der Fibula verbindet [14]. Letztere wird auch als „modifizierter Ertl“ bezeichnet. Diese Ausführung ist heute die am häufigsten angewandteTechnik. In den internationalen Publikationen der letzten 20 Jahre werden die alternativen Begriffe wie Brückensynostose, Knochenbrücke, tibiofibulare Synostose, Ertl Knochenbrücke, Ertl Prozedur oder auch osteomyoplastische transtibiale Amputation (OTTA) genutzt [9][18]. Die meisten Publikationen bewerten die erzielten Ergebnisse bei Anwendung der modifizierten Ertl-Technik positiv [2][10][12][16–18]. Andere Veröffentlichungen können aus der Brückensynostose keinen überzeugenden Gebrauchsvorteil für den Amputierten ableiten [20].
Im Jahre 2011 wurde im Walter Reed National Military Medical Center, Maryland, USA eine retrospektive Kohortenstudie mit 137 transtibialen Amputationen (100 Burgess- vs. 37 modifizierte Ertl-Amputationen) durchgeführt [19], um die frühen und mittelfristigen Komplikationen zu vergleichen, die zu einer Reoperation bei kampfbedingt erlittenen Unterschenkelamputationen führen. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 2 Jahre. Die Autoren weisen auf eine höhere Gesamtkomplikations- und Reoperationsrate hinsichtlich der modifizierten Ertl-Technik aufgrund implantatbedingter Komplikationen oder verzögerter bzw. ausbleibender Knochenverbindung mit 32 % hin. Bei 3 Patienten musste die Knochenbrücke entfernt werden. Die Gründe sind nach Einschätzung der Autoren vielfältig, genannt werden Zeitpunkt der Primäramputation nach der Verletzung, Stumpflänge, fehlende Standards, variierende Fixationstechniken zur Brückensynostose der verschiedenen Chirurgen und Schaftgestaltung der Prothesen. Schlussfolgernd ergibt sich die Notwendigkeit einer detaillierten Patientenberatung und sorgfältigen Patientenauswahl vor der Durchführung knochenüberbrückender Unterschenkeloperationen.
Die Transtibial Amputation Outcomes Study (TAOS) beschäftigt sich im multizentrischen Studiendesign mit 23 teilnehmenden Zentren in den USA mit der transtibialen Amputation mit und ohne Bildung einer Knochenbrücke [4]. Diese Studie wird erstmals unter Bewertung der prothetischen Versorgung die Wirksamkeit der beiden Amputationsverfahren empirisch überprüfen, um die festgelegten Hypothesen zu belegen bzw. zu widerlegen. Eine weitere Studie zeigt, dass es bei der Ertl-Technik eine höhere Verbleibrate im aktiven Dienst sowie eine Verbesserung des funktionellen Ergebnisses gibt [2].
Kriterium Mobilitätsanspruch
Unser Patient konnte das Behandlungsteam glaubhaft von seinem Mobilitätsanspruch (Mobilitätsgrad 3–4) überzeugen (Tabelle 2). Dafür benötigte er hochbelastbare Stümpfe, möglichst für die nächsten 15–20 Jahre. Trotz zahlreicher Informationen aus den gängigen Internetplattformen unterlag er keiner realitätsfernen Einschätzung. Er erkannte vor Beginn der Versorgung, welche Aktivitäten er zukünftig nur einschränkt würde ausüben können. Wir starteten mit einer konservativen, realistischen Prognose. Gewünscht war das Wiedererlangen der Fähigkeit des mehrstündigen Gehens und Stehens sowie des eigenständigen Autofahrens. Als mittelfristiges Ziel nannte der Patient den Fitnesssport, auch auf dem Laufband, und als Traumziel das Absolvieren von Trekkingtouren durch die Berge. Aus Vorversorgungen anderer Patienten war bekannt, wie geschädigt sich das proximale Areal der Unterschenkelstümpfe nach einer intensiven Nutzung mit Kurzprothesen darstellen kann. Die berechtigte Frage war also: wie langlebig sind Burgess-Stümpfe, insbesondere bei jungen und hochaktiven bilateral amputierten Patienten? Man bedenke: Der einseitig Amputierte kann sich in einer Schmerz- oder Überlastungssituation des Stumpfes auf seinem erhaltenen Bein kompensieren oder durch eine asymmetrische Belastungszeit während eines Doppelschrittes. Dem Doppelamputierten ist diese Kompensation nicht möglich.
Als finaler Härtetest erreichte der Patient gemeinsam mit dem verantwortlichen Orthopädietechniker-Meister (Co-Autor) in einem fast sechs stündigem Aufstieg (Mai 2023) den 3751 m hohen Mount Heydar in Aserbaidschan.
Anforderungen an den Stumpf
Eine Stumpfrevision war bei unserem Patienten aus mehreren Gründen indiziert: Zuerst waren die transversalen Sägeschnitte am Ende von Tibia und Fibula nicht zur definitiven Prothesenversorgung nutzbar. Beide Stumpflängen mussten reduziert werden, insbesondere um eine funktionelle Prothesenversorgung sicherstellen zu können. Die vernarbten Weichteilareale mit mineralischen und metallischen Verunreinigungen, verursacht durch die Explosion, und die minimal weichteilgedeckten Partien, vorrangig die distalen Tibiaspitzen mit den medialen Tibiaflächen, würden bei hoher mechanischer Beanspruchung zu oberflächlichen Schädigungen führen. Die avisierte Länge für die neu zu gestaltenden Stümpfe wurde auch durch die Weichteilqualität mitbestimmt. Hierfür sollten die Tibialängen minimal 16 cm betragen.
Anforderungen an die prothetische Versorgung
Welche Möglichkeiten gibt es für eine so intensive Prothesennutzung bei diesen speziellen Anforderungen?
Bei jedem Liner-Haftschaftsystem gilt es, das dauerhafte zu tiefe Hineinrutschen des Stumpfes in den Schaft durch Änderung an der Schaftform zu verhindern, denn auch bei einem gut gestalteten Burgess-Stumpf ist das Stumpfende nur teilbelastbar. Ein transkutan osseointegriertes System war als Reserveoption evaluiert; dafür wurde auch die o.g. Minimallänge der Tibiae definiert. Zielstellung war, die Stümpfe so zu gestalten, dass sie zukünftig eine höhere und länger einwirkende Endbelastung aufnehmen können. Zusätzlich sollte dadurch im prothetischen Interface eine optimale Verbindung gefunden werden. Vor diesem Hintergrund wurde entschieden, die modifizierte Stumpfgestaltungstechnik nach Ertl als Versorgung zu wählen. Die Knochenbrücke bietet eine stabilere und flächigere Basis und macht dadurch eine höhere distale Lastaufnahme möglich. Dieses Mehr an Stumpfendbelastbarkeit garantiert eine längere Belastungszeit der Prothese und bietet jungen, gesunden und hochaktiven Patienten somit Vorteile gegenüber dem konventionellen Amputationsverfahren. [1–3][6][10][12][15–18]
Die endgültige Entscheidung wurde interprofessionell und gemeinsam mit dem Patienten getroffen. Um eine stabile Vereinigung der tibiofibularen Synostose zu schaffen, ist eine lange Wartezeit notwendig, bedingt durch eine ca. dreimonatige Fixierung mit Kirschner-Drähten. Der Patient muss das explizit verstehen und streng befolgen. Eine Stumpfrevision dieser speziellen Art sollte nur von einem Team mit hoher Amputationsexpertise ausgeführt werden. Durch Vermeidung von permanentem Fremdmaterial im Stumpf sowie die restriktive Anwendung eines individuellen postoperativen Programms wurden wichtige Risikofaktoren vermieden. Ab dem Zeitpunkt der radiologisch nachgewiesenen gesicherten Synostose kann eine hohe Belastung auf die Knochenbrücke wirken, damit erfolgt die vollständige Verknöcherung schneller. Die sichtbaren nicht störenden Ecken werden durch aktive Knochenumbauprozesse allmählich „abgerundet“. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Exostosen des Röhrenknochens dauerhaft verhindert werden. Der zweijährige Rückblick gibt Anlass zu verhaltenem Optimismus.
Aus der Stumpfgestaltung mit modifiziertem Ertl ergeben sich zusammengefasst folgende Nutzungsvorteile: Beeindruckend ist die Möglichkeit die Prothesen so intuitiv sicher zu kontrollieren – trotz des minimalistischem Schaftrandes und der Prothesenfüße mit ihrem großen Bewegungsumfang (Alltagsprothesen). Eine ganztägige dynamische Nutzung der Prothesen ist möglich. Bei sportlichen Aktivitäten (Sportprothesen) wird sichtlich viel Energie aus den Bodenreaktionskräften in den Fußkonstruktionen aufgenommen und für eine hohe Dynamik genutzt.
Die Knochenbrücke erzeugt eine kompakte Einheit, welche hohe Kraftmomente aus dem Hüft- und Kniegelenk auf die Prothese übertragen kann [8]. Ein weiterer Nutzen besteht darin, dass sich die Stümpfe mit ihrer Knochenbrücke beim allmählichen täglichen Hineinrutschen im Schaftboden vermutlich besser abstützen können. Dadurch verringern sich die mechanischen Stressursachen, die u. a. durch die zusätzlichen Stumpfstrümpfe an den bekannten proximalen Stumpfpartien entstehen.
Es ist nicht mit einer tibiofibularen Stumpfgestaltung getan, sondern der versierte Orthopädietechniker ist mit seinen Spezialkenntnissen gefordert. Letztendlich entscheidet die Qualität des prothetischen Sitzes und die Ausrichtung am Stumpf über eine nachhaltig hohe Nutzungsqualität. Die Bildergalerie (Abbildungen 7a-d) zeigen eindrücklich den Wert einer prothetischen Versorgung in einem ausgewiesenen Experten-Team, der eindrücklich anhand der gezeigten Aktivitäten des Patienten dargestellt werden kann.
Fazit
Der Artikel beschreibt anhand eines Versorgungsbeispiels eine bilaterale Osteomyoplastik an den Unterschenkeln zwischen Tibia und Fibula durch Nutzung einer Fibulastrebe. Die so entstandene Brücke kann für den Unterschenkelamputierten deutliche Nutzungsvorteile bieten, insbesondere bei einer bilateralen transtibialen Amputation. In einigen Lehrbüchern für Amputationsmedizin findet diese tibiofibulare Osteomyoplastik zur Stumpfumgestaltung Erwähnung. Möglicherweise wird sie aufgrund der bestehenden Kontraindikationen, des höheren operativen Aufwandes und weil die bewährte Unterschenkelamputation nach Burgess und die Anwendung der aktuellen Versorgungstechniken befriedigende bis sehr gute Nutzungsergebnisse zeigt, nur selten angewandt.
Der aktuelle (Ukraine-)Krieg vergrößert zukünftig in Europa das Klientel an hochaktiven Amputierten, für die die tibiofibulare Osteomyoplastik als eine Möglichkeit für eine optimale an die zukünftige Leistungsfähigkeit des Patienten adaptierte Therapie angesehen werden kann.
Besonderheiten der Versorgung
(Takeaway Message):
- Verwendung von Kirschner-Drähten zur temporären Fixierung.
- An die OP anschließende Wartezeit von drei Monaten.
- Zunächst Verwendung von nicht gehfähigen Therapieschäften mit speziellem distalem Schaftdesign.
- Erstmalige Belastung in den Prothesen erst nach vier Monaten.
Seit Beginn der ersten Gehübungen konnten folgende Ergebnisse erzielt werden:
- Innerhalb eines Monats konnte der Anwender uneingeschränkt laufen (trotz vorangegangener achtmonatiger Rollstuhlbindung).
- Nach gleicher Dauer waren ein freihändiger Treppenaufstieg sowie ein stabiler Einbeinstand möglich.
- Drei Monate später wurden erste Treckingtouren durch unebenes Gelände und Jogging auf dem Laufband absolviert.
- Ein Jahr später war alpine Skiabfahrt ausführbar.
- Ab dieser Zeit wurde die Intensität und die Komplexität der sportlichen Aktivität kontinuierlich erhöht (intensives Laufbandtraining,Bergtouren > 15 km, Gewichtheben, Fußball, Reiten, Skifahren).
Bildquellen:
Abbildungen 1, 3 und 5: Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Abbildungen 2, 4, 6, und 7: pro-samed Sanitätshaus e.K., Berlin
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Danksagung
Unser besonderer Dank gilt dem vorbildlichen und experimentierfreudigen Patienten, dessen Motto immer „Think positive“ war.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Vosloo M, Kretschmer G, Vogt D, Willy C: Modifizierte Ertl-Technik zur Versorgung einer beidseitigen Unterschenkel-Amputation: Falldarstellung. WMM 2024; 68(5): 218-225.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-290
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Miriam Vosloo
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik II : Allgemein- und Viszeralchirurgie, Fachbereich Gefäßchirurgie
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: miriamvosloo@bundeswehr.org
Orthopädietechnikermeister Gernot Kretschmer
pro-samed Sanitätshaus e.K.
Greifswalder Str. 154–156, 10409 Berlin
E-Mail: gernot.kretschmer@pro-samed.de
Manuscript Data
Citation
Vosloo M, Kretschmer G, Vogt D, Willy C: Modifizierte Ertl-Technik zur Versorgung einer beidseitigen Unterschenkel-Amputation: Falldarstellung. WMM 2024; 68(5): 218-225.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-290
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) t Miriam Vosloo
Bundeswehr Hospital Berlin
Department General and Visceral Surgery, Section Vascular Surgery
Scharnhorststr. 13, D-10115 Berlin
E-Mail: miriamvosloo@bundeswehr.org
Prosthetist Gernot Kretschmer
pro-samed Sanitätshaus e.K.
Greifswalder Str. 154–156, 10409 Berlin
E-Mail: gernot.kretschmer@pro-samed.de