109. Tagung der Mittelrheinischen Chirurgenvereinigung in Koblenz – ein beachtenswerter Kongress
Am 6. und 7. Oktober 2022 fand in Koblenz unter Leitung von Oberstarzt Prof. Dr. Robert Schwab, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs), die 109. Tagung der Mittelrheinischen Chirurgenvereinigung statt. Zusammen mit seinem Team war es ihm gelungen, exzellente Redner zu gewinnen und eine Veranstaltung auf wissenschaftlich hohem Niveau auszurichten. Wie er in seiner Begrüßungsrede vor über 300 registrierten Teilnehmenden ausführte, war es ihm wichtig, mit dem Motto des Kongresses „Standard und Innovation“ in dieser komplexen Zeit eine Standortbestimmung zu Brennpunktthemen des Faches Chirurgie vorzunehmen (Abbildung 1).
Abb 1: Oberstarzt Prof. Dr. Schwab konnte mehr als 300 Teilnehmende zu der von ihm geleiteten Tagung begrüßen.
Generalarzt Dr. Jens Diehm, Kommandeur des Krankenhauses, vertrat den Inspekteur des Sanitätsdienstes und betonte in seinem Grußwort die besondere Rolle der Bundeswehr in der Kooperation mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften (Abbildung 2). Die Mittelrheinische Chirurgenvereinigung ist eine der regionalen wissenschaftlichen Zusammenschlüsse, die unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie existieren. Mitglieder sind vor allem Kollegen und Kolleginnen aus dem südwestdeutschen Raum. Weitere Grußworte wurden vom Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen, und vom Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Prof. Dr. Jens Werner, gehalten. Die musikalische Eröffnung der Tagung gestaltete übrigens der Direktor der Klinik für Herzchirurgie des Bundeswehrzentralkrankenhauses, Oberstarzt Prof. Dr. Richard Feyrer, mit klassischen Musikstücken auf der Bachtrompete.
Abb. 2: Generalarzt Dr. Diehm hob in seinem Grußwort die Bedeutung von Koorperationen der Bundeswehr mit den Fachgesellschaften hervor.
So beschäftigte sich der erste Themenblock des Vormittags gleich mit digitalen Innovationen. Prof. Dr. Peter Görlich sprach in seiner Keynote-Lecture über die Rolle des digitalen Zwillings in Sport und Medizin. Er verwies auf das gewaltige Potenzial von menschlichen Daten, die im Sinne der Modellierung von Organen zur Vorbereitung von Operationen und zur Therapieplanung genutzt werden können. Oberfeldarzt PD Dr. Daniel Oberhoff, Radiologe am BwZKrhs Koblenz, hob in seinem brillanten Vortrag die Steigerung der Bildqualität der neuen photonenzählenden Computertomografietechnologie hervor. Weitere Dimensionen liegen vor allem in der Reduktion der Strahlendosis und der Artefaktunterdrückung. Prof. Dr. Dirk Weye beschäftigte sich ausgiebig mit dem Operationssaal der Zukunft, ein für Chirurgen elementares Thema. Immer mehr zählen Aspekte der Patientensicherheit und der Arbeitsplatzbelastung, hier ganz besonders neu entwickelte Lichtquellen und smarte Beleuchtungssysteme. Eine besondere Bedeutung wird derzeit dem Einsatz von Operationsrobotern eingeräumt. Dadurch entsteht eine spezielle Dimension der Mensch-Maschine-Interaktion, die von den Chirurgen gerade entdeckt wird.
Der Nachmittag des 7. Oktober war dem Thema „Standards und Innovation“ unter Betrachtung wesentlicher Regionen und Organsysteme gewidmet. Die Allgemein- und Viszeralchirurgie unterliegt heutzutage einem gewaltigen Transformationsprozess, der im Wesentlichen durch eine verbesserte Datenlage und durch den Einsatz der Robotertechnik geprägt ist. Alle Redner betonten, dass grundsätzlich jede Körperhöhle für robotergeführte Operationsmethoden geeignet ist. Die Machbarkeitsstudien sind gelaufen, die zentrale Frage zielt auf den wirklichen Mehrwert für Patienten unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte.
Erfreulich war, dass Oberstabsarzt Dr. Sebastian Schaaf aus der Arbeitsgruppe des BwZKrhs auf dem Boden ihrer Forschung der vergangenen Jahre über einen neuen Standard des Bauchdeckenverschlusses nach offener Bauchbehandlung, den sog. „Koblenzer Algorhithmus“, berichten konnte.
Prof. Dr. Andreas Zielke aus Stuttgart zeigte anhand seiner Daten, dass verbesserte Ergebnisqualität der Schilddrüsenchirurgie vor allem auf einer restriktiveren Indikationsstellung, dem Einsatz apparativer Techniken zur Blutstillung und der Zentrumsbildung beruht. Die Chirurgie in Thorax und Abdomen durchläuft aktuell die Prüfstrecke, welche Organe vom Einsatz robotergeführter Systeme profitieren. Über alle Vorträge lässt sich feststellen, dass im Vergleich zu herkömmlicher Technik die höhere Lichtqualität und die gesteigerten Freiheitsgerade der Instrumente möglicherweise zu besseren Ergebnissen am Patienten führen. Die Studien sind allerdings nicht immer eindeutig. Verbesserte Überlebensraten bei malignen Befunden des Ösophagus und Magens sowie im Bereich von Pankreas und Leber werden auf den perioperativen Einsatz von Chemotherapeutika zurückgeführt. Wie Prof. Dr. Christoph Reißfelder ausführte, liegen für die kolorektale Chirurgie benigner Erkrankungen mittlerweile eindeutige Leitlinien vor. Für die Karzinome des Colons und des Rektums laufen derzeit noch große Studien, vor allem mit dem Ziel, die optimale Operationstechnik zu finden.
Einen herausragenden Vortrag hielt Oberstarzt Dr. Stephan Waldeck, Direktor der Radiologie vom BwZkrhs Koblenz, über Standards und Innovationen bei der interventionellen Behandlung von Blutungen verschiedener Lokalisationen (Abb). Er zeigte, dass die kathetergeführte Applikation moderner Technologien für Patienten eindeutige Vorteile erbringt.
Der zweite Kongresstag war vollständig dem Thema „Aus- und Weiterbildung“ für die Chirurgie gewidmet. Generell ist festzustellen, dass die chirurgischen Fächer in Deutschland erheblich unter den herrschenden Rahmenbedingungen in den Kliniken und den ökonomischen Herausforderungen leiden. So erscheint es logisch, dass die Simulation beim Training von Operationsmethoden einen immer größeren Raum im Arbeitsalltag einnehmen muss.
Der Themenkomplex des Trainings am Modell wurde zum Auftakt in einer bemerkenswerten Keynote Lecture von General a. D. Thomas Reiter behandelt. Er stellte an mehreren Beispielen heraus, dass Astronautenausbildung ohne Simulation nicht denkbar ist. Neben der Routine haben wiederholte on-board-Trainings zur Reaktion auf Notfallsituationen eine besondere Bedeutung. PD Dr. Tobias Huber aus Mainz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Junge Chirurgie“, unterstrich in seinem Vortrag die zwingende Integration zur Simulation in die Chirurgenausbildung, weil für den Nachwuchs nicht mehr genügend Ausbildungsoperationen und vor allem tägliche Arbeitszeit verfügbar sind. Allerdings ist das Kursangebot aktuell nicht ausreichend und die Modelle sind in Bezug auf die Abbildung der intraoperativen Realität noch nicht ausgereift. Die Weiterbildungsordnung muss zukünftig auch Simulationseingriffe als geleistete Operationen vorsehen. Wie Prof. Dr. Ulrich Dietz, Olten, darstellte, muss die Software für computergestütztes Training eindeutig verbessert werden, um die Ausbildung für jüngere Chirurginnen und Chirurgen attraktiv gestalten zu können.
Kongressbilder von Andreas Weidner, BwZKrhs Koblenz
Ein weiterer Themenblock beschäftigte sich mit der Vermeidung von Lernkurven am Patienten. Es ist aus der Vergangenheit eigentlich ein Kennzeichen der chirurgischen Ausbildung, dass man Erfahrungen live während seiner Operationen erwirbt. Verschiedene Vortragende konnten allerdings zeigen, dass Simulation von dem ersten Real-Einsatz die Komplikationsrate deutlich senken kann. Oberfeldarzt Dr. Joachim Sahm und Oberstarzt Dr. Christoph Güsgen, beide vom BwZKrhs Koblenz, erläuterten den kursgestützen Werdegang des Einsatzchirurgen der Bundeswehr als High-End-Variante von Simulation. Beide Vorträge erfuhren besondere Beachtung, weil beide Chirurgen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine die Notwendigkeit der Vorbereitung auf besondere Traumsituationen klarstellen konnten.
Die letzte Sitzung des Kongresses hatte noch einmal sehr intensiv das Thema „Aus- und Weiterbildung in der Zukunft“. Im Grunde beschäftigten sich alle Vortragenden mit der Frage, wie der Chirurgenberuf angesichts der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsbelastung attraktiv gehalten werden kann. Optimale Wege gibt es hierzu nicht. Auf die jeweiligen Weiterbildungsverantwortlichen kommt jedoch die immense Aufgabe zu, junge Chirurginnen und Chirurgen auf ihren Wegen zum Facharzt empathisch zu begleiten und die Berufsausübung zu annehmbaren Bedingungen zu ermöglichen. Andernfalls droht ein Braindrain, der die Patientenversorgung gewaltig beeinträchtigen wird. Letztlich muss der politische Wille induziert werden, um eine Verbesserung der aktuellen Ausbildungssituation zu erreichen.
Fazit: Die Tagung der Mittelrheinischen Chirurgenvereinigung war ein lohnenswerter Kongress mit inhaltlichen Highlights, einer präzisen Organisation und einer herzlichen Atmosphäre für Jung und Alt. Der organisierenden Mannschaft aus Koblenz darf herzlich zu dieser gelungenen Veranstaltung gratuliert werden.
Prof. Dr. Horst Peter Becker
Generalarzt a. D.