Drei Jahre medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe in der sanitätsdienstlichen Versorgung der Bundeswehr
Three Years of Oral HIV Pre-Exposure Prophylaxis in Military Medical Care in Germany
Dominic Rauschninga, c, Nino Neumannb
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik I B – Innere Medizin
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik I – Innere Medizin
c Universitätsklinikum Köln, Klinik I für Innere Medizin – Klinische Infektiologie
Zusammenfassung
Die medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wurde im November 2019 in den Leistungskatalog der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (utV) aufgenommen. Diese Präventionsmaßnahme, die fester Bestandteil nationaler und internationaler Leitlinien und Präventionsstrategien ist, kann durch die in der Regel tägliche Einnahme einer Tablette vor einer HIV-Infektion schützen. Die PrEP hat sich bei guter Verträglichkeit als effektiv erwiesen, erfordert jedoch eine leitliniengerechte Betreuung der Nutzerinnen und Nutzer. Vorgesehen ist sie für Personengruppen, bei denen ein substanzielles Infektionsrisiko besteht. Auch Soldatinnen und Soldaten können diesen Gruppen angehören. Aktuell wird die Verordnung im Schwerpunkt in den infektiologischen Sprechstunden der internistischen Ambulanzen der Bundeswehrkrankenhäuser geleistet. Als Zuweisenden fällt jedoch den Truppenärztinnen und -ärzten in den regionalen Sanitätseinrichtungen eine entscheidende Rolle zu, so dass hier u. a. die breit gestreute Kenntnis über die PrEP einen niederschwelligen Zugang sicherstellen kann.
Schlüsselworte: Präexpositionsprophylaxe, HIV, Pandemie, sanitätsdienstliche Versorgung, Deutschland
Summary
Drug-based HIV pre-exposure prophylaxis (PrEP) has been included in the benefits catalogue of uniformed military medical care in November 2019. This preventive measure, which is an integral part of national and international guidelines and prevention strategies, can protect against HIV infection by usually taking one tablet daily. PrEP has proven to be effective and well tolerated, but requires guideline-based care for the user. It is intended for people who are at substantial risk of infection. Soldiers may also belong to these groups. Currently, the prescription is mainly performed in the infectious disease consultation-hours of the internal medicine outpatient clinics of the Bundeswehr hospitals. As referring physicians, however, the troop physicians in regional military medical facilities play a crucial role, so that here, among other things, broad knowledge of PrEP can ensure low-threshold access.
Keywords: Pre-exposure prophylaxis, HIV, pandemic, military medical care, Germany
Einleitung
Das Auftreten ungewöhnlicher Infektionserkrankungen mit zum Teil schwereren Verläufen bei scheinbar gesunden, eher jüngeren Männern Anfang der 1980er Jahre markierte den Beginn der weiterhin andauernden HIV-Pandemie. In verhältnismäßig kurzer Zeit ist es der Medizin gelungen, Diagnostik und Therapie zu entwickeln, um aus dieser tödlichen Erkrankung eine chronische Infektion zu machen. In Ländern mit hohem Einkommen, wie Deutschland eines ist, haben gut therapierte Patienten heutzutage eine nahezu unveränderte Lebenserwartung im Vergleich zu Nicht-Infizierten [22]. Früh war allerdings auch klar, dass die Vermeidung einer Infektion zentrales Mittel zur Bekämpfung des pandemischen Geschehens sein muss [21]. Maßnahmen wie zum Beispiel das Screening von Blutkonserven oder das kostenlose Angebot steriler Injektionsnadeln in suchtmedizinischen Einrichtungen leisteten und leisten einen wichtigen präventiven Beitrag, adressieren jedoch nicht den Hauptübertragungsweg, nämlich die sexuelle Übertragung. Hier standen das Kondom und die Bemühungen, eine Akzeptanz für diese Safer-Sex-Praktik zu schaffen, im Mittelpunkt der Präventionsmaßnahmen.
Mit der Etablierung antiretroviraler Substanzen, die hocheffektiv und stabil die Viruslast im Blut der Infizierten unterdrücken können, kam die Erkenntnis, dass dann eine Weitergabe des Virus nahezu unmöglich ist [6][26][32]. So wurde auch die Therapie der Infektion ein Präventionswerkzeug und ist unter dem Begriff „Treatment as Prevention (TasP)“ heute allgemein anerkannt. Antiretrovirale Wirkstoffe können jedoch auch den Erwerb einer Infektion verhindern – als sogenannte medikamentöse Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Der folgende Artikel soll dazu dienen, einen Überblick über die PrEP und ihre Anwendung in den Streitkräften zu gewinnen, und richtet sich insbesondere an die primärärztliche Versorgungsebene der regionalen Sanitätseinrichtungen.
Entwicklung und Etablierung der PrEP
Vor zehn Jahren, im Juli 2012, ließ die Federal Food and Drug Administration (FDA) der USA das Kombinationspräparat Truvada®, bestehend aus 245 mg Tenofovir-disoproxil (TDF) und 200 mg Emtricitabin (FTC), zur Verhinderung einer HIV-Infektion durch präexpositionelle Einnahme zu [13]. Zuvor war in einer klinisch-randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Phase III-Studie, der sog. iPrEx-Studie, gezeigt worden, dass durch tägliche Einnahme des Arzneimittels eine deutliche Risikoreduktion für den Erwerb einer HIV-Infektion erreicht werden konnte [14]. Ein weiterer Meilenstein war die 2015 publizierte französische IPERGAY-Studie, die bei bedarfsweiser Einnahme des Präparats ebenfalls eine deutliche Verminderung des Risikos von 86 % im Vergleich zum Placebo zeigte [23]. In der Folge dieser und anderer wissenschaftlicher Ergebnisse wurde die medikamentöse PrEP einer HIV-Infektion mit TDF/FTC in vielen Ländern der Welt zugelassen – so auch 2016 in der Europäischen Union [10] – und hielt Einzug in die medizinischen Leitlinien. Seit 2015 ist sie bereits Bestandteil der WHO-Leitlinien zur Prävention und Behandlung einer HIV-Infektion [33] sowie der UNAIDS-Strategie zur Beendigung der HIV-Pandemie bis 2030 [30]. Sie richtet sich an ausgewählte Personengruppen, die einem substanziellen Infektionsrisiko unterliegen. Dieses besteht für eine Population nach den WHO-Leitlinien bei einer HIV-Inzidenz von mehr als 3 pro 100 Personenjahren ohne Zugang zur PrEP [33].
Das Aufkommen generischer Präparate hat in der Folge die Kosten für die Wirkstoffe gesenkt, so dass die PrEP auch kosteneffektiv ist [31]. Seit 2018 übernehmen daher in einigen Ländern, beginnend in Neuseeland, die Träger der Gesundheitssysteme die Kosten für diese Präventionsmaßnahme. So hat am 06. Mai 2019 der Deutsche Bundestag im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) mit Wirkung zum 01. September 2019 die ärztliche Beratung, notwendige Untersuchungen und die medikamentöse Verordnung der PrEP in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen [5]. Am 24. Juli 2019 folgte die Umsetzungsregelung zur fachlichen Qualifikation der Verordnenden zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband [18].
Leitlinienkonforme Anwendung
Anspruchsberechtigt sind gemäß dieser Regelungen und der Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur HIV-PrEP HIV-negative Menschen mit dem bereits oben definierten substantiellen HIV-Expositionsrisiko [8][18]. In Deutschland als HIV-Niedriginzidenzland gehören hierzu gemäß Leitlinie insbesondere folgende HIV-negative Personen:
- Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) oder Transgender-Personen mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom innerhalb der letzten 36 Monate und/oder voraussichtlich in den nächsten Monaten bzw. einer STI in den letzten 12 Monaten,
- serodiskordante Konstellationen mit einem/einer virämischen HIV-positiven Partner/-in ohne aniretrovirale Therapie (ART), einer nicht suppressiven ART oder in der Anfangsphase einer ART (also einer HIV-RNA, die nicht schon 6 Monate bei mindestens < 200 RNA-Kopien/ml liegt).
Allerdings können individuelle Faktoren auch außerhalb der o.g. Gruppen ein substanzielles Risiko bedingen. Hier sind insbesondere Personen mit ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit Partnerinnen und Partnern, bei denen eine nicht diagnostizierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist, und drogeninjizierende Personen ohne Gebrauch steriler Injektionsmaterialien zu nennen [8].
Zum Einsatz kommt das Kombinationspräparat FTC/TDF 200 mg/245 mg einmal täglich. Die Listenpreise für dieses Präparat liegen bei 50–70 € pro Behandlungsmonat. Effektiv schützende Wirkstoffsiegel werden in der rektalen Schleimhaut nach 2 Tagen erreicht, in der vaginalen Schleimhaut allerdings erst nach 7 Tagen [1][9]. Für die Penisschleimhaut gibt es keine gesicherten Daten, man geht jedoch von einem Schutz nach 2 Tagen aus. Die bedarfsweise Einnahme („PrEP on demand“, „event-driven PrEP“ oder „2+1+1“ [23]) erfolgt außerhalb der Zulassung („off-label-use“) und wird daher in den Leitlinien nicht regelhaft empfohlen, kann jedoch im individuellen Fall sinnvoll sein. Für vaginale Sexualkontakte wird diese Form der Anwendung allerdings nicht empfohlen. Eine chronische Hepatitis-B-Virus-Infektion gilt als Kontraindikation für diese Form der PrEP [8]. Das konkrete Einnahmeschema soll hier nicht weiter beleuchtet werden.
Begleitet wird die PrEP-Verordnung zudem von quartalsweisen Kontrollen der HIV-Serologie. Der regelmäßig kontrollierte negative HIV-Status ist die Grundbedingung für die Fortführung der PrEP. Darüber hinaus werden regelmäßige Kontrollen der Nierenfunktion, Kontrollen der Syphilis-Serologie, Hepatitis-C-Serologie sowie Screening-Abstriche pharyngeal, rektal und urethral bzw. Direktnachweise im Urin auf Gonokokken, Chlamydien und Myko-/Ureaplasmen durchgeführt. Untersuchungen haben zwar unter PrEP-Einnahme keinen signifikanten Anstieg anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen zeigen können [16], die Datenlage ist hier aber heterogen [17][19]. Den Nutzerinnen und Nutzern muss allerdings klar sein, dass die PrEP zwar sehr effektiv vor einer HIV-Infektion schützen kann, nicht jedoch vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen. Bei der Erstverordnung findet daher eine ausführliche Aufklärung über Safer-Sex-Praktiken, Übertragungsrisiken von sexuell übertragbaren Infektionen, Symptome von solchen Infektionen, Limitationen, mögliche Nebenwirkungen sowie Interaktionen der PrEP mit anderen Wirkstoffen statt [8].
Die PrEP wird in der Regel durch die Einnehmenden gut vertragen. Zu Beginn kann es zu Allgemeinsymptomen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder abdominellen Beschwerden kommen, die allerdings meist innerhalb der ersten Wochen zurückgehen. TDF kann zu Einschränkungen der Nierenfunktion führen, weshalb regelmäßige Kontrollen zur leitliniengerechten Versorgung gehören (s.o.) und eine PrEP bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von < 60 ml/min nur nach individueller Risiko- und Nutzenabwägung erfolgen sollte [8]. Ein Absetzen der PrEP ist grundsätzlich jederzeit möglich, sollte aber am ehesten 2 Tage nach dem letzten sexuellen Kontakt erfolgen. Sollte eine Unterbrechung länger als eine Woche andauern und es zu Risikokontakten gekommen sein, wird eine erneute HIV-Testung wie vor Einleitung der PrEP empfohlen [8].
Präexpositionsprophylaxe in der Bundeswehr
Die medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe ist seit dem 20. November 2019 Bestandteil der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (utV) in der Bundeswehr, geregelt durch eine Weisung des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw). Die vorgeschriebene fachliche Qualifikation der Verordnenden entspricht inhaltlich den Anforderungen der kassenärztlichen Bundesvereinigung. Diese umfasst zur Erlangung und Aufrechterhaltung neben theoretischen und praktischen Fortbildungsinhalten auch die Betreuung einer gewissen Mindestzahl an Patientinnen und Patienten. Bei entsprechender Qualifikation kann die Erlaubnis zur Verordnung der PrEP beim Kdo SanDstBw beantragt werden. Schon vor der Einführung als Leistung der utV wurde durch infektiologisch ausgebildete Sanitätsoffiziere die PrEP gemäß den damals vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen verordnet. Aktuell wird in den internistischen fachärztlichen Untersuchungsstellen aller Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) eine Sprechstunde mit PrEP-Verordnung angeboten.
Nach 3 Jahren verzeichnen diese Ambulanzen insgesamt ca. 100 PrEP-Nutzende. Die Nachfrage nimmt zwar stetig zu (Abbildung 1), jedoch erscheint die Zahl niedrig im Vergleich zum anzunehmenden Umfang der potenziell eine PrEP Nutzenden: Umfragen aus den Jahren 2016 und 2017 ergaben einen Anteil von ca. 7 % bundesweit befragter Bürgerinnen und Bürger, die sich selbst als Angehörige von LGBTIQ+1beschrieben, die den Hauptteil der Personen mit substanziellem Infektionsrisiko für HIV in Deutschland umfasst, darunter ca. 3 % homosexuelle Männer [7][29]. Bei einer Truppenstärke von etwa 180 000 Soldatinnen und Soldaten sollte eine höhere Zahl an Personen erwartet werden, die von einer PrEP profitieren könnten. Allerdings zeigt auch eine federführend durch das RKI begleitete Studie, dass bundesweit die PrEP vor allem in den Großstädten nachgefragt wird und ein Defizit im ländlichen Raum sowie in der Gruppe der Transpersonen zu bestehen scheint [25].
Zu den Gründen für die geringe Inanspruchnahmen innerhalb der Bundeswehr liegen aktuell keine Daten vor. Anzunehmen ist, dass einige Nutzende ihre PrEP noch in zivilen Schwerpunktpraxen beziehen, wo sie sie bereits als private Präventionsleistung erhalten haben. Möglicherweise ist das Wissen um die Möglichkeit der Verordnung innerhalb der utV auch noch nicht präsent genug. Die US-Streitkräfte führten zu Beginn der PrEP-Ära epidemiologische Untersuchungen durch, die ähnliche Problemfelder aufdeckten: Neben Aspekten auf Seiten der Nutzenden wie niedrigem Bildungsstand oder Angst vor Stigmatisierung innerhalb der Streitkräfte wurden auch systemseitige Probleme wie geografische Versorgungsunterschiede und Einstellungen der Truppenärztinnen und -ärzte gegenüber der PrEP identifiziert [4]. Zwar waren die Truppenärztinnen und -ärzte der PrEP gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt, doch machten sie Unsicherheiten und Unwissen hinsichtlich der Wirkung und Nebenwirkungen sowie eine fragliche Adhärenz geltend, da nur wenige bereits Erfahrung mit dieser Präventionsmaßnahme gemacht hatten [15][34]. Eine ähnliche Situation treffen wir auch in Deutschland an: Die Ambulanzen der BwKrhs sind zwar im Bundesgebiet gut verteilt, jedoch mitunter für die einzelne Soldatin/den einzelnen Soldaten in Abhängigkeit des Dienstortes nur schwer zu erreichen (Abbildung 2).
Abb. 1: Entwicklung der Anzahl dauerhaft in Kontrolle befindlicher PrEP-Nutzender am Beispiel der fachärztlichen Untersuchungsstelle I – Innere Medizin des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz seit Beginn der utV-Leistung bis Januar 2022
Abb. 2: Geografische Verteilung der sanitätsdienstlichen Einrichtungen mit der Möglichkeit der HIV PrEP-Verordnung (BwKrhs Hamburg, BwKrhs Westerstede, BwKrhs Berlin, BwZKrhs Koblenz, BwKrhs Ulm), Stand August 2022
Die Truppen- bzw. Flieger-, Schiffs- und Kommandoärztinnen und -ärzte in den regionalen Sanitätseinrichtungen sind in der Regel die ersten Ansprechstellen. Inwieweit hier in der Breite das Wissen über die PrEP durch Studium, Facharztweiterbildung und Fortbildungsveranstaltungen verfügbar ist, lässt sich aufgrund fehlender Daten nicht beurteilen. Gesichert ist jedoch, dass das Wissen um und über die HIV-PrEP einer der entscheidenden Faktoren zur breiten Implementierung ist [28]. Truppenärztinnen und -ärzte spielen aktuell die wichtigste Rolle, um als „Gatekeeper“ Zugang zur PrEP zur verschaffen. Ihnen obliegt es im Alltag, aus dem Kreis der von ihnen betreuten Soldatinnen und Soldaten diejenigen zu identifizieren, die von einer PrEP profitieren können, aber auch auf Nachfrage eine Vorstellung in einer Schwerpunktambulanz an den BwKrhs unkompliziert zu ermöglichen.
Ausblick
Die medikamentöse PrEP hat sich mit Erfolg als Bestandteil der HIV-Prävention etabliert. In anderen Teilen der Welt wird sie aufgrund höherer lokaler Inzidenzraten umfassend in größeren Populationen eingesetzt. So empfehlen die südafrikanischen Leitlinien einen Einsatz in nahezu allen Bevölkerungsgruppen, sowohl heterosexueller als auch homosexueller oder anderer Orientierung [3]. Gemäß auf der diesjährigen 24. Internationalen AIDS-Konferenz vorgestellter Zahlen geht man davon aus, dass es bis Ende des Jahres 2022 weltweit ca. 3 Millionen PrEP-Nutzende geben wird [27].
Die Forschung hinsichtlich anderer Wirkstoffe und an die Anwendenden angepasster Darreichungsformen wurde und wird fortgesetzt [2][12]. Zukünftig könnte auch in der sanitätsdienstlichen Versorgung hier der langwirksame Integrasehemmer Cabotegravir relevant werden, der nach einer oralen Initiierungsphase intramuskulär injiziert wird und im Verlauf eine schützende Wirkung von 2 Monaten gewährt [20]. Diese Applikationsform ist insbesondere für Nutzende mit Problemen der täglichen Adhärenz oder in Situationen interessant, in denen die Verfügbarkeit oder das Mitführen von Tabletten eingeschränkt ist. Sie ist jedoch deutlich kostenintensiver als die Standard-PrEP [24]. Das Präparat wurde in den USA aufgrund überlegener Ergebnisse im Vergleich zu TDF/FTC für die PrEP von der FDA bereits im Dezember 2021 zugelassen [11].
Schlussfolgerungen
Die Bundeswehr als Abbild der Gesellschaft muss den einer offenen Gesellschaft gestellten Herausforderungen bezüglich sexueller Diversität und Migration auch zukünftig gerecht werden. Im Hinblick auf gesundheitliche Herausforderungen ist Prävention eine in der Regel einfache und meist kosteneffektive Maßnahme. Die medikamentöse Präexpositionsprophylaxe einer HIV-Infektion erfüllt diese Kriterien und schützt effektiv bei quasi vernachlässigbarem Nebenwirkungsprofil. Die weitere Etablierung und Fortführung dieser Präventionsmaßnahme sollte daher auch zukünftig wichtiger Bestandteil des Leistungsspektrums der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung sein. Hierzu ist ein möglichst niederschwelliger Zugang sicherzustellen. Dies erfordert neben grundsätzlicher Akzeptanz für menschliches Verhalten ein Gespür für mögliche Infektionsrisiken bei Soldatinnen und Soldaten und ein solides Wissen über mögliche Präventionsmaßnahmen auf allen Ebenen ärztlicher Versorgung. Insbesondere ist jedoch eine enge Verknüpfung zwischen truppenärztlicher Ebene und den infektiologischen Schwerpunktambulanzen der BwKrhs anzustreben.
Auch im Hinblick auf den weltweiten Einsatz von Soldatinnen und Soldaten mit ggf. längeren Aufenthalten in HIV-Hochinzidenzgebieten sollte die PrEP als mögliche nützliche Maßnahme für einen erweiterten Personenkreis als in Deutschland üblich in Erwägung gezogen und ggf. angeboten werden.
Kernaussagen
- Die HIV-PrEP ist eine Präventionsmaßnahme für Personengruppen mit substanziellem Infektionsrisiko und international fester Bestandteil von Leitlinien und Präventionsstrategien zur Beendigung der HIV-Pandemie.
- Die PrEP schützt effektiv vor einer HIV-Infektion und ist gut verträglich.
- Für die PrEP stehen in Deutschland Tabletten mit der Wirkstoffkombination aus Tenofovir-disoproxil und Emtricitabin zur Verfügung, die gemäß Leitlinie einmal täglich eingenommen werden soll.
- Eine Verordnung ist durch Ärztinnen und Ärzte mit entsprechender Qualifikation innerhalb der utV möglich.
- Truppenärztinnen und -ärzten fällt eine wichtige Rolle für die Sicherstellung eines niederschwelligen Zugangs zu dieser Prävention zu.
Literatur
- Anderson PL, Glidden DV, Liu A et al.: Emtricitabine-tenofovir concentrations and pre-exposure prophylaxis efficacy in men who have sex with men. Sci Transl Med 2012; 4(151): 151ra125. mehr lesen
- Baeten JM, Palanee-Phillips T, Brown ER et al.: Use of a vaginal ring containing dapivirine for HIV-1 prevention in women. N Engl J Med 2016; 375(22): 2121–2132. mehr lesen
- Bekker LG, Brown B, Joseph-Davey D et al.: Southern African guidelines on the safe, easy and effective use of pre-exposure prophylaxis: 2020. South Afr J HIV Med 2020; 21(1): 1152. mehr lesen
- Blaylock JM, Hakre S, Okulicz JF et al.: HIV preexposure prophylaxis in the U.S. Military Services - 2014-2016. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2018; 67 (20): 569–574. mehr lesen
- Bundesministerium für Gesundheit: Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz, TSVG) vom 6. Mai 2019. Bundesgesetzblatt 2019; I(18): 646-691. mehr lesen
- Cohen MS, Chen YQ, McCauley M et al.: Antiretroviral therapy for the prevention of HIV-1 transmission. N Engl J Med 2016; 375(9): 830–839. mehr lesen
- Dalia Research 2016: Europe´s LGBT population mapped. , letzter Aufruf 10. September 2022. mehr lesen
- Deutsche AIDS-Gesellschaft: Deutsch-Österreichische Leitlinien zur HIV-Präexpositionsprophylaxe. DAIG 2018; , letzter Aufruf 11. September 2022. mehr lesen
- Donnell D, Baeten DN, BumpusNN et al.: HIV protective efficacy and correlates of tenofovir blood concentrations in a clinical trial of PrEP for HIV prevention. J Acquir Immune Defic Syndr (1999) 2014; 66(3):340–348. mehr lesen
- EMA: EPAR Truvada. Eur Med Agency 2018; , letzter Aufruf 10. September 2022. mehr lesen
- FDA: FDA approves first injectable treatment for HIV pre-exposure prevention. FDA 2021. mehr lesen
- FDA: FDA approves second drug to prevent HIV infection as part of ongoing efforts to end the HIV epidemic. FDA 2019. mehr lesen
- FDA: Truvada for PrEP fact sheet: ensuring safe and proper use. FDA 2012; , letzter Aufruf 11. September 2022. mehr lesen
- Grant RM, Lama JR, Anderson PL et al.: Preexposure chemoprophylaxis for HIV prevention in men who have sex with men.N Engl J Med 2010; 363(27): 2587–2599. mehr lesen
- Hakre S, Blaylock JM, Dawson P et al.: Knowledge, attitudes, and beliefs about HIV pre-exposure prophylaxis among US Air Force Health Care Providers. Medicine (Baltimore) 2016; 95(32): e4511. mehr lesen
- Jansen K, Steffen G, Potthoff A et al.: STI in times of PrEP: high prevalence of chlamydia, gonorrhea, and mycoplasma at different anatomic sites in men who have sex with men in Germany. BMC Infect Dis 2020; 20(1): 110. mehr lesen
- Jenness SM, Sharma A, Goodreau SM et al.: Individual HIV risk versus population impact of risk compensation after HIV preexposure prophylaxis initiation among men who have sex with men. PLoS ONE 2017; 12: e0169484. mehr lesen
- Kassenärztliche Bundesvereinigung: Vereinbarung über die HIV-Präexpositionsprophylaxe zur Prävention einer HIV-Infektion gemäß § 20j SGB V vom 24. Juli 2019,. Dtsch Arztebl 2019; 116(33-34): A-1508/B-1244/C-1224. mehr lesen
- Kumar S, Haderxhanaj LT, Spicknall IH: Reviewing PrEP’s effect on STI incidence among men who have sex with men - balancing increased STI screening and potential behavioral sexual risk compensation. AIDS Behav 2021; 25(6): 1810–1818. mehr lesen
- Landovitz RJ, Donnell D, Clement ME et al.: Cabotegravir for HIV prevention in cisgender men and transgender women. N Engl J Med 2021; 385(7): 595–608. mehr lesen
- Mann JM: The World Health Organization’s global strategy for the prevention and control of AIDS. West J Med 1987; 147(6): 732–734. mehr lesen
- Marcus JL, Leyden WA, Alexeeff SE, et al., Comparison of overall and comorbidity-free life expectancy between insured adults with and without HIV infection, 2000-2016, JAMA Netw Open 2020; 3(6): e207954. mehr lesen
- Molina JM, Capitant C, Spire B, et al., On-demand preexposure prophylaxis in men at high risk for HIV-1 infection. N Engl J Med 2015;373(23): 2237-2246. mehr lesen
- Neilan AM, Landovitz RJ, Le MH et al.: Cost-effectiveness of long-acting injectable HIV preexposure prophylaxis in the United States : a cost-effectiveness analysis. Ann Intern. Med 2022; 175(4): 479–489. mehr lesen
- Robert Koch-Institut: Abschlussbericht: Evaluation der Einführung der HIV-Präexpositionsprophylaxe als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (“EvE-PrEP”). RKI 2022; , letzter Aufruf 11. September 2022 mehr lesen
- Rodger AJ, Cambiano V, Bruun T et al.: Sexual activity without condoms and risk of HIV transmission in serodifferent couples when the HIV-positive partner is using suppressive antiretroviral therapy. JAMA 2016; 316(2): 171–181. mehr lesen
- Rodrigues J: Scaling PrEP: What’s the secret sauce?Consultant 360 2022; , letzter Aufruf 11. September 2022. mehr lesen
- Sammons MK, Gaskins M, Kutscha F, Nast A, Werner RN: HIV pre-exposure prophylaxis (PrEP): Knowledge, attitudes and counseling practices among physicians in Germany - A cross-sectional survey. PloS One 2021; 16(4): e0250895. mehr lesen
- Stadt Köln: LSBTIQ als Wirtschaftsfaktor für Köln. Stadt Köln 2019; , letzter Aufruf 11. September 2022. mehr lesen
- UNAIDS: Fast-Track - Ending the AIDS epidemic by 2030. UNAIDS 2014; , letzter Aufruf 11. September 2022. mehr lesen
- van de Vijver DAMC, Richter AK, Boucher CAB et al.: Cost-effectiveness and budget effect of pre-exposure prophylaxis for HIV-1 prevention in Germany from 2018 to 2058, Euro Surveill 2019; 24(7): 1800398. mehr lesen
- Vernazza P, Hirschel B, Bernasconi E, Flepp M: HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös. Schweizerische Ärztezeitung 2008; 89(5): 165–169. mehr lesen
- WHO: Consolidated guidelines on HIV prevention, testing, treatment, service delivery and monitoring: recommendations for a public health approach. WHO 2021; , letzter Aufruf 11. September 2021. mehr lesen
- Wilson K, Beckett CG, Blaylock JM, Okulicz JF, Scott PT, Hakre S: Provider Knowledge Gaps in HIV PrEP Affect Practice Patterns in the US Navy. Mil Med 2020;185(1-2): e117-e124. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Rauschning D, Neumann N: Drei Jahre medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe in der sanitätsdienstlichen Versorgung der Bundeswehr. WMM 2022; 66(11): 387-392.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. med. Dominic Rauschning
Bundeswehrzentralkrankenhaus Konlenz
Klinik I B – Innere Medizin
Rübenacher Straße 170, 56072 Koblenz
E-Mail: dominicrauschning@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Rauschning D, Neumann N: [Three Years of Oral HIV Pre-Exposure Prophylaxis in Military Medical Care in Germany]. WMM 2022; 66(11): 387-392.
For the authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. med. Dominic Rauschning
Bundeswehr Central Hospital Koblenz
Department I B – Internal Medicine
Rübenacher Straße 170, D- 56072 Koblenz
E-Mail: dominicrauschning@bundeswehr.org
1 LGBTIQ+ steht als aus dem Englischen übernommene Abkürzung für lesbian (lesbisch), gay (schwul), bisexual (bisexuell), trans*, inter* und queer.