Als Teamarzt bei den Invictus Games 2022 – ein Erfahrungsbericht
As Team Physician at the 2022 Invictus Games – a Field Report
Philipp Georg Schnadthorsta, Christoph Holtherma, Andreas Lisona
a Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr, Warendorf
Zusammenfassung
In diesem Artikel stellen wir die medizinische Versorgung der 15 Athleten des Team Germany rund um die Invictus Games 2022 in Den Haag vor. Diese durch Prinz Harry begründete paralympische Sportveranstaltung lenkt öffentliche Aufmerksamkeit auf körperliche und seelische Einsatzfolgen und kann für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten einen wichtigen Beitrag im Rehabilitationsprozess leisten. Etwas Besonderes ist dabei die Implementierung der Angehörigen (Family & Friends) in das Grundkonzept der Spiele, wodurch das soziale Umfeld der Einsatzversehrten im Rehabilitationsprozess berücksichtigt wird. Die Teilnahme an den Invictus Games kann ein Zwischenschritt in der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation (MDORBw) sein und folgt stets einer individuellen Zielsetzung, um eventuell bestehende Teilhabestörungen positiv zu beeinflussen. Dafür werden einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten rehabilitativ am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) geführt und in ambulanten und teilstationären Reha-Maßnahmen behandelt. Erst nach interdisziplinärer Indikationsstellung wird das Sondervorhaben Invictus Games in Zusammenarbeit mit der Gruppe Sporttherapie der Sportschule der Bundeswehr (SportSBw) durchgeführt.
Vorbereitung und Training für die Spiele erfolgen in zweiwöchigen Trainingslagern unter truppenpsychologischer Begleitung. Vor dem Wettkampf werden die Teilnehmenden durch eine Kategorisierung in Schadensklassen eingeteilt, um faire Bedingungen zu ermöglichen. Der Teamarzt wird vom ZSportMedBw gestellt und sichert die allgemein-, sport- und notfallmedizinische Versorgung am Wettkampfort, wobei vor dem Hintergrund einer zielgerichteten Rehabilitation die Vermeidung von negativen Einflüssen priorisiert wird. Beispielhaft dafür ist das Invictus Loch, bei dem nach Beendigung der Invictus Games durch das Wegfallen von produktiver Zielsetzung Sinn der rehabilitative Behandlungserfolg gefährdet wird. Um negativen Auswirkungen entgegenzuwirken, ist eine fachkundige rehabilitative Betreuung auch über die Dauer der Invictus Games hinaus essenziell.
Schlüsselwörter: Invictus Games, medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation, Teamarzt, Invictus Loch, Family & Friends
Summary
In this article, we present the medical care for the 15 athletes of Team Germany around the Invictus Games 2022 in The Hague. This paralympic sports event, founded by Prince Harry, draws public attention to the physical and mental consequences of deployment and contributes to the rehabilitation of wounded soldiers. A special feature is the integration of the relatives (Family & Friends) in the basic concept of the games. Hereby, the social environment of the soldiers is considered as part of rehabilitation process. Competing in the Invictus Games always follows an individual goal in order to positively influence any existing participation disorders. At the Bundeswehr Centre of Sports Medicine (ZSportMedBw), traumatized soldiers with disabilities are rehabilitated and treated in outpatient and day-care rehabilitation measures. Following an interdisciplinary indication, the special project Invictus Games can be carried out in cooperation with the Gruppe Sporttherapie (SportSBw).
Preparation and training for the games are conducted in two-week training camps under psychological support. Before the competition, the participants are categorized into different damage classes to ensure fair conditions. The team phasician is provided by the ZSportMedBw and ensures general, sports and emergency medical care at the competition site, whereby the avoidance of negative influences for rehabilitation is prioritized. An example is the “post-games blues”, a condition that may occur after the end of the Invictus Games due to the loss of productive goals. In order to counteract negative effects, expert rehabilitative care is essential, even beyond the duration of the Invictus Games.
Keywords: Invictus Games, rehabilitation, team doctor, post-game blues, family & friends
Hintergrund
Die Invictus Games gewinnen als paralympische Sportveranstaltung für im Einsatz an Körper und Seele verwundete, in und außer Dienst verletzte und erkrankte Soldaten1 weltweit zunehmend an Bedeutung [6]. Die Spiele wurden durch den Begründer und Schirmherrn Prinz Harry an die US Warrior Games angelehnt und fanden erstmalig 2014 in London statt [6]. Die fünfte Edition der Invictus Games in Den Haag war ursprünglich für 2020 terminiert, musste jedoch der SARS-CoV-2-Pandemie geschuldet auf 2022 verschoben werden [6]. Die sechste Edition wird 2023 in Düsseldorf stattfinden [5]. Mit seinem Besuch am Stand der Invictus Games 2023 bekräftigte Prinz Harry seine Unterstützung (Abbildung 1).
Abb. 1: Prinz Harry bekräftigt beim Tischtennis am Stand der Invictus Games 2023 seine Unterstützung.
Durch das gewählte Motto „A Home for Respect“ wird deutlich: Die Spiele wollen vermitteln, was Soldatinnen und Soldaten im Einsatz leisten [5]. Grundsätzlich unterstreichen sie die Bedeutung des Sports in einem ganzheitlichen Rehabilitationsprozess [10][14]. Hierbei lenken sie die öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur auf die seelischen und körperlichen Folgen von militärischen Einsätzen, sondern stehen unter dem Motto „wounded, injured, sick“ (WIS) in besonderer Weise für einen inklusiven Ansatz [10][14]. Dazu passt, dass die Namensgebung der Spiele aus dem Gedicht „Invictus“ (Unbezwungen) von William Ernest Henley entnommen wurde, der im Alter von 12 Jahren wegen Knochentuberkulose beinamputiert wurde (Abbildung 2). Henleys kraftvolle Schilderung seines Kampfes gegen die Erkrankung und gegen eine weitere Amputation enden mit den Worten: „I am the master of my fate, I am the captain of my soul.“
Mit der Kurzform „I AM“ im Logo der Invictus Games (siehe Header des Beitrags) senden die Spiele am Beispiel des Sports die zentrale Botschaft des Rechts auf selbstbestimmte Entscheidungen im Umgang mit Beeinträchtigungen und greifen damit den modernen Behinderungsbegriff auf [4].
Abb. 2: „Invictus“ von William Ernest Henley (1849-1903)
Bemerkenswert ist, dass die Invictus Games im Gegensatz zu den Paralympics einen besonderen Schwerpunkt auf die Partizipation des sozialen Umfeldes legen. Jeweils zwei, von den Athletinnen und Athleten im Vorfeld bestimmte nahestehende Personen können als „Family & Friends“ (FFS) kostenfrei zum Austragungsort mitreisen und so den sportlichen Wettkampf unterstützen sowie die einzigartige Atmosphäre miterleben. Damit erfahren nicht nur die Teilnehmenden, sondern auch die FFS ein sichtbares Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung [5]. Die Spiele schaffen so gemeinsame und positive Erinnerungen, welche der bedeutsamen Rolle des familiären Umfeldes aller Soldaten gerecht werden sollen.
„If you sign up for military service, the family is signing up too.“ (Prinz Harry bei der Begrüßung im Nations Home am 15.04.2022).
Absicht der Autoren ist es, Hintergründe und Voraussetzungen für die Teilnehmenden aufzuzeigen sowie das allgemeine Interesse an den Invictus Games 2023 in Deutschland zu wecken.
Gründe für die Teilnahme an den Invictus Games
Der militärische Dienst einschließlich der Auslandseinsätze beinhaltet grundsätzlich das Risiko bleibender körperlicher und/oder seelischer Beeinträchtigungen. Beispielsweise können Schuss- und Explosionsverletzungen oder einsatzbedingte psychische Erkrankungen zu einer Gefährdung der Dienst- bzw. Verwendungsfähigkeit führen und die Partizipation der Betroffenen sowie deren Angehörigen auch in anderen Bereichen das Lebens nachhaltig beeinträchtigen. So steigert die Teilnahme an Auslandseinsätzen das PTBS-Risiko um das 2- bis 4-fache [16]. Im Jahr 2021 wurde bei insgesamt 210 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr eine einsatzbezogene PTBS festgestellt, wobei schätzungsweise die Hälfte der tatsächlich Erkrankten nicht diagnostiziert wurde [2]. 6 % der im Irak verwundeten US-Soldaten erlitten den Verlust einer Extremität, was einer Verdoppelung der Amputationsrate im Vergleich zu früheren Kriegen entspricht [8].
Unabhängig von der Ursache, ob im Einsatz, im Dienst im Inland oder im privaten Umfeld: Die Prognose für die jeweils bestmögliche dienstliche und private Teilhabe entscheidet sich nicht nur anhand der Qualität der Akutversorgung und weiteren medizinischen Therapie. Immer dann, wenn die dienstliche Teilhabe der Betroffenen durch die erlittene Verwundung, Verletzung oder Erkrankung gefährdet ist, ist sofortiges rehabilitatives Denken und Handeln erforderlich. In der am militärischen Bedarf ausgerichteten medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation kommt Truppenärztinnen und -ärzten dabei eine Schlüsselfunktion zu. Erschwert ist die Diagnosestellung bei Einsatzfolgen, welche erst mit zeitlicher Latenz und heterogener Manifestation symptomatisch werden.
Grundlagen der Rehabilitation
Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen unterstreichen die Bedeutung einer rehabilitativen Eigenkompetenz im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Die Rehabilitation erfolgt dabei am militärischen Bedarf ausgerichtet durch die medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation (MDORBw). Sofern dabei die Dienstfähigkeit nicht wiederhergestellt werden kann, haben die Rehabilitationsmaßnahmen ausdrücklich den bestmöglichen Übergang in das Zivilleben zum Ziel. Die Rehabilitation kann durch sporttherapeutische Konzepte ergänzt und komplettiert werden.
Abb. 3: Team Germany mit ukrainischen, italienischen und amerikanischen Kameraden nach dem Sitzvolleyballturnier – gemeinsame Schicksale und Sport verbinden.
Die positiven Auswirkungen von Sport in der Rehabilitationsbehandlung von Militärangehörigen sind belegt und können zu signifikanten Verbesserungen in physischen, psychischen und sozialen Bereichen beisteuern [3] (Abbildung 3). Indikation, Gestaltung und Evaluation sport- und bewegungstherapeutischer Maßnahmen unterliegen dabei stets der ärztlichen Verantwortung. Je komplexer die erlittenen Funktionsstörungen sind, umso höher ist auch das Gefährdungspotenzial durch Sport. Dies betrifft nicht nur das Auftreten von Sportverletzungen und Überlastungsschäden. Die Erfahrungen der am ZSportMedBw seit Jahren etablierten Rehamaßnahmen zeigen, dass inadäquates sportliches Training fall- und phasenweise in Konkurrenz mit anderen wesentlichen Teilhabezielen tritt und damit die Wiedereingliederung verzögern kann. Es bedarf daher besonderer Erfahrung und einer lückenlosen Verlaufsdokumentation des bisher zurückgelegten Rehabilitationsweges, um eine sinnvolle Indikation für die Teilnahme an sporttherapeutischen Maßnahmen zu stellen. Aufgrund der erheblichen psychomentalen Anforderungen der Invictus Games als besonders exponierte Veranstaltung kann selbst bei geeigneten Teilnehmenden der Effekt auf den weiteren Rehabilitationsverlauf nicht sicher vorausgesagt werden. Die Entwicklung von Zielen ist ein Aspekt der Rehabilitation und muss dabei alle Lebensbereiche betreffen, für die eine überwindbare Teilhabestörung identifiziert werden kann.
Im Rahmen der Vorbereitung auf die Invictus Games werden sportliche Ziele interdisziplinär definiert und dynamisch an die im Training erbrachten Leistungen angepasst. Vordergründig wird dabei nicht die maximale Leistungsfähigkeit fokussiert, sondern Ziele gesetzt, welche den psychischen und physischen Rehabilitationsprozess unterstützen (Abbildung 4). Eine Zielsetzung, welche sich nur auf die Invictus Games erstreckt, kann dabei insgesamt negative Auswirkungen haben, wenn nach Beendigung der Spiele der Prozess nicht fortgesetzt werden kann. Außerdem kann das Scheitern an Zielen oder eventuell auftretende Verletzungen ebenfalls mit negativen Emotionen assoziiert sein [12]. Dieses Konzept der negativen Konsequenzen durch unzweckmäßige Zielsetzung nach sportlichen Spitzenveranstaltungen ist auch bei Profi-Athleten bekannt (Post-Olympia-Depression) [1]. In der Studie von ROBERTS et al. wurde das Konzept des „post-Games Blues“ im Kontext der Invictus Games bereits beschrieben und in Interviews bei den britischen Teilnehmenden der Spiele 2016 in London erfasst [11]. Vorbereitung und Aufklärung über Stress-Entstehung während und nach den Spielen sowie regelmäßige Anpassung der individuellen Zielsetzung zur Prophylaxe ist zentraler Teil dieser Psychoedukation [12].
Abb. 4: Team Germany hochkonzentriert im Mannschaftswettbewerb Bogenschießen – mentale Stärke unter Beweis stellen.
Hieraus ergibt sich – unabhängig vom medizinischen Standard der ausrichtenden Nationen – die zwingende Notwendigkeit der mannschaftsärztlichen Betreuung des Teams durch mit den möglichen Risiken der Spiele vertrautes und handlungsfähiges ärztliches Personal, verbunden mit einer zielgerichteten, rehaspezifischen Dokumentation.
Vorbereitung auf die Invictus Games 2022
Das Team Germany war bei den Invictus Games 2022 in Den Haag mit 15 Athleten vertreten, die am ZSportMedBw im Vorfeld die Maßnahmen einer MDOR durchlaufen hatten. Als Kompetenzzentrum für somatische Rehabilitation im Sanitätsdienst hat das ZSportMedBw den Auftrag, Soldatinnen und Soldaten zu betreuen, sofern diese nach Verwundung, Verletzung im und außer Dienst oder nach schweren Erkrankungen mit der Notwendigkeit einer Hilfsmittelversorgung komplexen Rehabilitationsbedarf aufweisen [13]. Darüber hinaus erfolgt die rehabilitative Betreuung von Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbedingter PTBS-Erkrankung, sofern allgemeinmedizinisch-orthopädische Komorbiditäten vorliegen und eine entsprechende wehrpsychiatrische Empfehlung ausgesprochen wurde. Dabei ist nach truppenärztlicher Zuweisung eine ambulante Erstbegutachtung am ZSportMedBw erforderlich, welche die Grundlage für die Indikationsstellung und weitere Rehabilitationsplanung bildet. Ziel ist eine optimale MDOR zur Wiederherstellung bzw. Sicherung der Dienst- und Verwendungsfähigkeit [13].
Die MDOR am ZSportMedBw umfasst regelmäßige, interdisziplinär angelegte ambulante Betreuungstermine als unverzichtbare Basis, die mit 3-wöchigen sportmedizinischen Intensiv-Rehamaßnahmen (SMIR) und/oder sporttherapeutischen Interventionen ergänzt werden können. Letztere werden in Form von 2- oder 3-wöchigen sporttherapeutischen Lehrgängen nach Indikationsstellung durch die Gruppe Sporttherapie der SportSBw eigenverantwortlich durchgeführt [14]. Bei entsprechender Indikationsstellung gehören hierzu auch sogenannte Sondervorhaben wie die Teilnahme an den Invictus Games [14]. Die teilstationäre SMIR kann nach dem Phasenmodell der Traumarehabilitation im Anschluss an die Behandlung im Akutkrankenhaus (Phase D) beginnen, legt jedoch einen besonderen Fokus auf die Beseitigung von beruflichen Teilhabestörungen (Phase E) [15]. Darüber hinaus können mit entsprechender Indikation dreiwöchige interdisziplinäre Intensiv-Reha-Aufenthalte im Sinne der Nachsorge indiziert sein (Phase F), um die Dienst- und Verwendungsfähigkeit langfristig zu erhalten [15].
Bei einigen der Teilnehmenden war die medizinische Rehabilitation am ZSportMedBw bereits beendet. Die Mannschaftsmitglieder wurden bereits 2019 durch den Leiter ZSportMedBw als benanntem National Categorisation Lead (NCL) für das Invictus Team Germany klassifiziert. Die mit Einverständnis der Betroffenen übermittelten Klassifizierungsergebnisse wurden sodann in Anwesenheit der Klassifizierer der Invictus Foundation, des NCL und den ausgewählten Soldaten überprüft und ohne Beanstandung übernommen. Durch den Ausfall der Spiele in den beiden Folgejahren wurde seitens der Foundation entschieden, die persönliche Überprüfung nicht noch einmal durchzuführen. Da die Teilnehmenden zudem im Vorfeld der Spiele am ZSportMedBw nicht mehr zur Aktualisierung ihres Status vorstellig wurden, musste eine Begutachtung nach Aktenlage erfolgen – ein Vorgehen, das aus verschiedenen Gründen als problematisch bewertet werden muss. Die Athleten wurden sowohl im Vorfeld als auch bei den Spielen selbst durch die Gruppe Sporttherapie (Sportlehrer, Truppenpsychologin, Truppenpsychologiefeldwebel, Masseurin und Organisationspersonal) betreut und nach Den Haag begleitet (Abbildung 5). Der Teamarzt wurde aus dem ZSportMedBw gestellt. Dabei bildete eine intensive Vorbereitung mit zweiwöchigen Trainingslagern, zahlreichen Planungsgesprächen vorab sowie täglichen Briefings während der Spiele die Grundlage für die Teilnahme.
Abb. 5: Team Germany – Athleten, Family & Friends und Betreuungspersonal unmittelbar vor der Abreise von Warendorf nach Den Haag
Zweimalig erfolgten über zwei Wochen Trainingslager zur Intensivierung und Abstimmung der individuellen Trainingspläne. Dabei wurden sportart-spezifisches Techniktraining, Kardiotraining sowie Mannschaftstraining bei Teamsportarten angeboten. Ebenfalls wurde ein Schwerpunkt auf teambildende und soziale Maßnahmen gelegt. In die Formung des Teams war die Implementierung der FFS mittels Familienwochenende geplant, dieses musste jedoch aufgrund der SARS-CoV-2-Inzidenzen und den damit verbundenen Vorgaben bedauerlicherweise ausfallen.
Medizinische Betreuung durch den Teamarzt
Der Teamarzt sorgt in Zusammenarbeit mit Trainern und Psychologen für die bestmöglichen Grundvoraussetzungen, damit der Athlet sowohl in der Wettkampfvorbereitung als auch im Wettkampf selbst seine sportliche Leistung möglichst optimal abrufen kann (Abbildung 6).
Abb. 6: 100 m-Sprinter auf der Bahn – die intensive Vorbereitung zahlt sich aus.
Das Aufgabenspektrum des Teamarztes ist aufgrund der Überschneidung zu zahlreichen medizinischen Fachdisziplinen herausfordernd (Tabelle 1). Dabei steht aus medizinischer Sicht stets der Rehabilitationsaspekt im Vordergrund. So sollte nicht primär eine maximale Leistungsfähigkeit angestrebt werden, sondern vielmehr die aus psychischer oder physischer Überlastung resultierenden Konsequenzen für die Rehabilitation bedacht werden.
Tab. 1: Aufgabenspektrum des Teamarztes
Zwei Sportler waren zeitnah vor Beginn der Spiele an SARS-CoV-2 erkrankt und beschrieben persistierende Symptome im Sinne eines Leistungsknicks. Um pathologische Limitationen und daraus resultierende Gefährdungen nach akuten Viruserkrankungen auszuschließen, führten wir vor den Spielen eine „Back-to-Sports“-Untersuchung durch, welche eine Anamnese, körperliche Untersuchung, Ruhe-Elektrokardiographie, Lungenfunktionsdiagnostik, ausführliche Laboruntersuchungen (einschließlich Blutbild, Retentionsparameter, Leberwerte, Troponin, Kreatininkinase, Elektrolyte), Belastungs-EKG und Echokardiographie umfassten. Erfreulicherweise konnte bei beiden betroffenen Sportlern eine akute pathologische Limitierung durch die kürzlich durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion ausgeschlossen werden, sodass aus fachärztlich internistischer Sicht keine medizinischen Bedenken an der Teilnahme bei den Invictus Games bestanden.
Durch die Präsenz eines Teamarztes während des Trainings und der Wettkämpfe kann ebenfalls Sicherheit vermittelt werden. Davon profitieren Athleten mit psychischer Grunderkrankung besonders, da ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis bestehen kann, welches auch durch das enge Vertrauensverhältnis zu Sportlehrern und Truppenpsychologen ermöglicht wird. Darüber hinaus ist der Teamarzt in seiner originären Funktion als Truppenarzt tätig und für eine allgemeinmedizinische Betreuung (z. B. bei Reiseerkrankungen, Allergien, Kopfschmerzen) zuständig. In diese Zuständigkeit fallen ebenfalls Sportverletzungen, welche alle Bereiche des Bewegungsapparates betreffen und von unkritischen Verletzungen bis hin zu schweren Traumata reichen können. Schwere Traumata werden durch eine notfallmedizinische Kompetenz des Teamarztes in der ersten Behandlungsphase versorgt und anschließend unter Abstützung auf das Rettungssystem des Veranstalters sowie der zivilen Gesundheitseinrichtungen am Austragungsort behandelt. Zusammenfassend müssen sportmedizinische, notfallmedizinische und allgemeinmedizinische Qualifikationen bei der Tätigkeit als Teamarzt gefordert werden.
Ein Sportler wurde bedauerlicherweise von der Teilnahme an den Spielen abgelöst, da ein kurz zurückliegender signifikanter Kontakt zu einer an SARS-CoV-2 erkrankten Person bestanden hat (K1-Kontakt). Weiterhin hatten drei Teilnehmende im Selbsttest auf SARS-CoV-2 positive Ergebnisse, darunter ein symptomatischer Patient. Die betroffenen Mannschaftsmitglieder verlegten unter Isolationsbedingungen nach Warendorf zurück. Die Tests wurden innerhalb der letzten zwei Veranstaltungstage positiv, sodass davon auszugehen ist, dass die Infektion in Den Haag stattgefunden hat. Alle weiteren Behandlungsfälle waren mit den vor Ort verfügbaren Mitteln ohne Komplikationen beherrschbar.
Weiterhin war der Teamarzt in der akutmedizinischen Behandlung eines italienischen Athleten zusammen mit medizinischem Personal verschiedener Nationalitäten involviert. Während des 100 m-Sprints der Männer ereignete sich bei Zieleinlauf ein Sturz im Leichtathletik-Stadion, der Sportler schlug mit dem Kopf auf die Bahn auf und entwickelte einen mehrminütigen Krampfanfall. Nach In-Line-Stabilisierung konnte er mit stabilen Vitalparametern an das Rettungspersonal des Veranstalters übergeben werden. Erfreulicherweise wurde der Athlet nach anschließender Diagnostik und Überwachung im lokalen Krankenhaus mit Restitutio ad integrum entlassen. Dieser Fall unterstreicht die Notwendigkeit einer sofortigen notfallmedizinischen Versorgung am Veranstaltungsort sowie einer reibungslos organisierten Rettungskette.
Auswirkungen der Invictus Games auf den weiteren Rehabilitationsverlauf
Die Invictus Games können für einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten ein wichtiger Beitrag im Rehabilitationsprozess sein. Jedoch sind die Auswirkungen nach den Spielen nicht in jedem Einzelfall positiv. Einzelne Teilnehmende berichteten im Rahmen ambulanter Betreuungstermine am ZSportMedBw nach den Spielen in Den Haag über Erschöpfung während und nach der Veranstaltung. Häufig waren den Spielen intensive Trainingsmaßnahmen vorangegangen. Auch muss berücksichtigt werden, dass das 10- tägige Programm mit Eröffnungs- und Abschlusszeremonie, Lärm, Licht und Menschenmassen über 12 bis 14 Stunden täglich eine erhebliche Herausforderung für alle Teammitglieder, einschließlich des Betreuungspersonals, ist. Der plötzliche Wegfall von Anspannung und Aufmerksamkeit ist geeignet, die Rückkehr in den Alltag zu erschweren. Durch eine Studie von ROBERTS et al. ist anhand der britischen Streitkräfte ein „post-games blues“ beschrieben worden [11]. Ähnliche Verläufe in der Rehabilitation, jedoch unabhängig von sportlichen Großvorhaben, werden im deutschen Phasenmodell der Traumarehabilitation als „Reha-Loch“ angegeben, somit wäre die kombinierte Bezeichnung „Invictus-Loch“ nach unserer Meinung passend [11][15].
Am ZSportMedBw werden daher in Zusammenarbeit mit der Gruppe Sporttherapie (SportSBw) den Teilnehmenden ambulante Betreuungstermine angeboten. Die Invictus Games sollen einen Beitrag für eine erfolgreiche dienstliche Wiedereingliederung leisten. Ob dies gelingt, hängt entscheidend vom Zusammenwirken medizinischer und nicht-medizinischer Rehamaßnahmen (sozialdienstlich, personalwirtschaftlich) ab. Es bleibt zu hoffen, dass die für die Invictus Games 2023 in Düsseldorf formulierten Legacy-Ziele im Bereich der Inklusion und Rehabilitation die hierfür erforderliche Weiterentwicklung einer multiprofessionellen Wiedereingliederung nachhaltig ermöglichen [5]. Den Kompetenzzentren für die somatische und psychische Rehabilitation, dem ZSportMedBw in Warendorf und dem Psychotraumazentrum (PTZ) in Berlin kommen sowohl fachlich wie auch konzeptionell in den kommenden Monaten zunehmende Bedeutung und Aufgaben zu [9].
Kernaussagen
- Die Invictus Games haben einen hohen Stellenwert im Rahmen der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation.
- Die Teilnahme eines Teamarztes an den Spielen ist trotz der zu erwartenden geringen Inanspruchnahme medizinischer Versorgung unverzichtbar.
- Zu den Aufgaben des Teamarztes gehören die sportärztliche Tätigkeit unter Berücksichtigung der Rehabilitation, truppenärztliche Grundversorgung, Vermittlung von Sicherheit durch Präsenz und Ansprechbarkeit sowie rehaorientierte Dokumentation.
- Das Invictus-Loch kann eine ernsthafte Hürde im Rehabilitationsprozess darstellen.
- Die Implementierung der Family & Friends im Konzept der Invictus Games ist förderlich und aktuell einzigartig.
Literatur
- Bennie A, Walton CC, O'Connor D et al.: Exploring the Experiences and Well-Being of Australian Rio Olympians During the Post-Olympic Phase: A Qualitative Study. Front Psychol 2021; 26(12): 685322. mehr lesen
- Bundeswehr: Bundeswehr-Statistik zu PTBS und psychischen Erkrankungen. , letzter Aufruf 26. Juli 2022. mehr lesen
- Caddick N, Smith B: The impact of sport and physical activity on the well-being of combat veterans: A systematic review. Psychology of Sport and Exercise 2014; 15(1): 9-18. mehr lesen
- Die UN-Behindertenrechtskonvention - Übereinkommen über die Rechte von Menschen. , letztere Aufruf 26. Juli 2022. mehr lesen
- Invictus Games Düsseldorf 2023. , letzter Aufruf 26. Juli 2022. mehr lesen
- Invictus Games Foundation. < https://invictusgamesfoundation.org/games/the-hague-2020/>, letzter Aufruf 26. Juli 2022. mehr lesen
- Invictus Gedicht. < https://de.wikipedia.org/wiki/Invictus_(Gedicht)> (last accessed on 26 July 2022). mehr lesen
- Kriegschirurgische Verletzungsmuster moderner Kriege und Krisensituationen. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2008/3. mehr lesen
- Langner F, Finke U, Zimmermann PL et al.: Am Dienst orientierte Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen – Individuelle Begleitung von Beginn an. WMM 2021; 65(3-4): 127-134. mehr lesen
- Lison A, Maul M: Team Respect - Die Invictus Games und ihre Bedeutung für die Rehabilitation. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2018. mehr lesen
- Roberts GA, Arnold R, Gillison F et al.: Military veteran athletes' experiences of competing at the 2016 Invictus Games: a qualitative study. Disabil Rehabil 2021; 43(24): 3552-3561. mehr lesen
- Roberts GA, Arnold R, Turner JE et al.: A Longitudinal Examination of Military Veterans' Invictus Games Stress Experiences. Front Psychol 2019; 22(10): 1934. mehr lesen
- Schnadthorst PG, Schulze C, Lison A. Dienstlich orientierte Rehabilitation nach Amputation am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (Poster-Abstract). WMM 2021; 66(1): 20-22. mehr lesen
- Schubmann R, Tatje J, Lison A: Bewegung ist Leben - INVICTUS Games 2016 in Orlando. Wehrmedizinische Monatsschrift 2016; 60(9-10): 270-275. mehr lesen
- Simmel S, Müller WD, Reimertz C et al.: Phasenmodell der Traumarehabilitation: Wie können wir das „Rehaloch“ vermeiden? Unfallchirurg 2017; 120(9): 804-812. mehr lesen
- Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C et al.: Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? Dtsch Arztebl Int 2012; 109(35-36): 559-568. mehr lesen
Erklärung der Autoren
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Bildnachweis: Alle Fotos©Henner Feddersen & Sebastian Fieber, Projektteam Invictus Games Düsseldorf 2023
Manuskriptdaten
Zitierweise
Schnadthorst PG, Holtherm C, Lison A: Als Teamarzt bei den Invictus Games 2022 - ein Erfahrungsbericht. WMM 2022; 66(11): 379-386.
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. med. Philipp Georg Schnadthorst
Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr
Dr.-Rau-Allee 32, 48231 Warendorf
E-Mail: philippschnadthorst@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Schnadthorst PG, Holtherm C, Lison A: [As team physician at the 2022
invictus games – a field report]. WMM 2022; 66(11): 379-386.
For the authors
Major Philipp Georg Schnadthorst, MD
Bundeswehr Centre of Sports Medicine
Dr.-Rau-Allee 32, D-48231 Warendorf
E-Mail: philippschnadthorst@bundeswehr.org
1 Zur besseren Lesbarkeit wird überwiegend nur die männliche Form (z. B. Soldat) benutzt. Gemeint sind immer alle Geschlechter.