Sport gegen Tagesschläfrigkeit – ein additiver Behandlungsansatz der Hypersomnie
Ein Projekt der Schlafambulanz Klinik für Neurologie (BwKrhs Hamburg) und dem Zentrum für Sportmedizin der Bw (Warendorf)
Exercise against Daytime Sleepiness – an Additive Treatment Approach for Hypersomnia
A project of the sleep outpatient clinic (Department of Neurology, Bundeswehr Hospital Hamburg) and the Bundeswehr Centre of Sports Medicine (Warendorf)
Reinhard Starka, Martina Grunwaldb
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik IX – Neurologie
b Zentrum für Sportmedizin der Bw (Warendorf)
Zusammenfassung:
Tagesschläfrigkeit (Hypersomnie) ist für Betroffene und ihr Umfeld sehr belastend. Aufgrund einer therapeutisch häufig nur unzureichenden Beeinflussbarkeit hat sie teilweise die Berufsunfähigkeit zur Folge. Zu den primären Hypersomnien zählen die Narkolepsie und die idiopathische Hypersomnie (IH). Es gibt zudem multifaktorielle, sich gegenseitig verstärkende Faktoren wie Stress, Übergewicht, Ernährung, Bildschirmzeit und Immobilisation als Trigger einer sekundären Hypersomnie. Zudem werden auch die SARS-CoV-2-Infektion und die COVID-19 Impfung als Auslöser der Tagesschläfrigkeit diskutiert. Kann für die Narkolepsie leitlinienbasierte medikamentöse Therapie vorgehalten werden, ist jegliche Substanzmitteltherapie der IH ein off-Label-Use. Dies schränkt die therapeutischen Möglichkeiten deutlich ein. Zunehmend Gewicht bekommt bei beiden Erkrankungen der rehabilitative Ansatz: Mit steigender Fitness reduziert sich die Tagesschläfrigkeit und die weiteren Symptome der Narkolepsie. Im Rahmen einer prospektiven Studie der Schlafambulanz Klinik für Neurologie (BwKrhs Hamburg) und des Zentrums für Sportmedizin der Bw (ZSportMedBw, Warendorf) steht dieser sportmedizinische Therapieansatz nun auch Erkrankten der Bundeswehr zur Verfügung.
Schlüsselworte: Tagesschläfrigkeit, Hypersomnie, Narkolepsie, SARS-CoV-2-Infektion, COVID-19 Impfung, sportmedizinische Rehabilitation.
Summary:
Daytime sleepiness (hypersomnia) is very exhausting for sufferers. Due to the often insufficient therapeutic influence, it sometimes results in the inability to work. Primary hypersomnia includes diagnosis like narcolepsy and idiopathic hypersomnia (IH). There are also multifactorial, mutually reinforcing factors such as stress, obesity, diet, screen time and immobilization as triggers of secondary hypersomnia. In addition, the SARS-CoV-2 infection and the COVID-19 vaccination are also discussed as triggers for daytime sleepiness. A guideline-based drug therapy may be offered for narcolepsy. For the IH any substance therapy is an off-label use. This significantly limits the therapeutic options. The rehabilitative approach is becoming increasingly important in both diseases: with increasing fitness, daytime sleepiness and other symptoms of narcolepsy may be reduced. As part of a prospective study by the sleep outpatient clinic for neurology (BwKrhs Hamburg) and the Bundeswehr Centre of Sports Medicine (Warendorf), this sports medicine therapeutic approach is now also available to affected soldiers in the Bundeswehr.
Keywords: Hypersomnia, narcolepsy, SARS-CoV-2 infection, COVID-19 vaccination, sports medicine rehabilitation.
Einleitung
Tagesschläfrigkeit ist für Betroffene und ihr Umfeld sehr belastend. Sie führt zu einer deutlichen Minderung der Lebensqualität und ist therapeutisch häufig nur unzureichend beeinflussbar. In den letzten Jahren erlangten mit den Generika Pitolisant und Solriamfetol zwei neue medikamentöse „Hoffnungsträger“ (persönliche Anmerkung des Autors) zur Behandlung der Hypersomnie bei Narkolepsie die Zulassung. Leider konnten aber auch diese Medikamente nur bei einem Teil der Patientinnen und Patienten eine durchgreifende Vigilanzzunahme bewirken, teilweise überwiegen zudem bei Erkrankten die Medikamentennebenwirkungen, was ein Abbruch der Tabletteneinnahme zur Folge haben kann. Brisanz bekommt die Thematik durch die SARS-CoV-2-Pandemie: Bemerkenswerterweise beklagen auch ein Drittel der Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion Tagesschläfrigkeit, teilweise auch als überdauerndes Symptom [14]. Zudem können COVID-19 Impfungen Hypersomnie triggern [24][20][28].
Im folgenden Artikel wird im ersten Abschnitt der Zusammenhang zwischen Schläfrigkeit, Fatigue, Stress, Übergewicht und Immobilisation dargestellt. Der zweite Teil beschreibt die beiden häufigsten zentralnervösen Krankheitsbilder der Tagesschläfrigkeit, die Narkolepsie und die idiopathische Hypersomnie. Der dritte Abschnitt stellt das Gemeinschaftsprojekt der Schlafambulanz Klinik für Neurologie (BwKrhs Hamburg) und des ZSportMedBw (Warendorf) vor: Im Rahmen einer prospektiven Studie soll mittels sportmedizinischer Verfahren die Tagesschläfrigkeit reduziert werden. Abschließend werden die therapeutischen Möglichkeiten gegen Schläfrigkeit und Fatigue kompakt diskutiert.
Multifaktorielle Trigger der Tagesschläfrigkeit – Wissenswertes aus der Literatur
Hypersomnie, Fatigue, Stress, Übergewicht, Ernährung, Bildschirmzeit und Immobilisation sind Faktoren, die sich gegenseitig in Richtung Schläfrigkeit potenzieren. Die Optimierung nur eines dieser Parameter kann bereits zur Verbesserung der übrigen führen. Der diesbezügliche Zusammenhang ergibt sich aus den im Folgenden angeführten Studien und Reviews:
Die Arbeitsgruppe Slater [25] untersuchte den Schlaf adipöser und nicht adipöser Probanden (N ∑ = 335) mittels einer Polysomnografie, zudem wurde die subjektive Schläfrigkeit anhand der Epworth-Schläfrigkeitsskala (ESS, 0–24 Punkte) erfragt. 155 Probanden waren adipös (Adipositas >Grad 1, der durchschnittliche Body Mass Index (BMI) 37,3 kg/m²), die Kontrollgruppe (N=180) wurde als normgewichtig bis leicht übergewichtig klassifiziert (BMI < 30 kg/m², durchschnittlicher BMI 25,3 kg/m²). Die adipöse Gruppe stellte sich als signifikant schläfriger dar mit einem mittleren ESS von 12,9 Punkten, verglichen mit 10,4 Punkten der nicht adipösen Probanden (p < 0,001). Es konnte aufgezeigt werden, dass Adipositas unabhängig von einer möglicherweise begleitenden Schlafstörung ein eigenständiger Prädiktor für Tagesschläfrigkeit ist. Zum gleichen Ergebnis kommt auch das Review von VGONTZAS et al. [27]: Adipöse Patienten, auch ohne Schlafapnoe, sind schläfriger im Vergleich zu nicht übergewichtigen Kontrollen. Eine Gewichtsabnahme geht mit der Reduktion der Tagesschläfrigkeit einher [22].
Die Arbeitsgruppe um Kline [12] untersuchte die Frage, ob sich Schlaf unter Gewichtsabnahme verbessert: 125 adipöse Erwachsene nahmen an einer 12-monatigen verhaltenstherapiebasierten Intervention zur Gewichtsabnahme teil. Zu Studienbeginn, nach 6 und 12 Monaten mussten die Probanden ihren Schlaf unter der Gewichtsveränderung anhand des SATED Scale [7] bewerten. Schlussfolgernd konnte gefunden werden, dass Gewichts- und Fettabbau zu einer besseren Schlafqualität führt. Malheiros et al. [16] untersuchten den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität, Bildschirmzeit, Essgewohnheiten und Tagesmüdigkeit bei brasilianischen Jugendlichen (n = 876, 49,8 % weiblich, 16,4 ± 1,2 Jahre). Es zeigte sich, dass körperliche Aktivität umgekehrt mit subjektivem Schläfrigkeitsempfinden, hier gemessen mit dem Pediatric Daytime Sleepiness Scale (PDSS), assoziiert ist. Der häufige Konsum von Süßigkeiten, frittierten Snacks, gesüßten Getränken und Fast Food (entgegen dem Verzehr von Früchten und Gemüse) und die verstärkte Nutzung sozialer Medien sind hingegen positiv mit erhöhtem subjektiven Schläfrigkeitsempfinden (erhöhten PDSS-Scores) assoziiert.
JAROSZ et al. [10] führten eine Studie an 69 afroamerikanischen Frauen (Durchschnittsalter 33.9 + 6.1 Jahre) mit einem BMI größer als 30 kg/m² (Durchschnitts-BMI 40.0 + 7.4 kg/m²) durch. Untersucht wurde der Zusammenhang von Schlafqualität, Tagesschläfrigkeit, Fatigue, körperlicher Aktivität und Body-Mass-Index. Es zeigte sich, dass ein höherer BMI mit verstärkter Fatigue und reduzierter körperlicher Leistungsfähigkeit verbunden war, zudem mit zunehmender Fatigue die Schlafqualität abnahm und sich entsprechend die Tagesschläfrigkeit verstärkt darstellte. Mehta [19] zeigt das Zusammenspiel zwischen Adipositas, Stress, neuromuskulärer Ermüdung und der damit verbundenen Herzfrequenzvariabilität (HRV) auf. Dafür ließ er achtundvierzig nicht-adipöse (BMI zwischen 18.5 und 25 kg/m²) und adipöse (BMI > 30 kg/m²) Erwachsene wiederholte Handgriffübungen mit 30 % ihrer maximalen Kraft durchführen, bis sie sich erschöpft fühlten. Gemessen wurden u. a. die Ausdauerzeit und Rate des Kraftverlusts, die wahrgenommene Anstrengung, die Herzfrequenz und HRV-Indizes. Er konnte aufzeigen, dass die stressbedingte neuromuskuläre Ermüdungsentwicklung bei adipösen Personen beschleunigt ist. Darüber hinaus führt der Stresszustand zu schlechteren HRV-Indizes, was auf eine autonome Dysfunktion insbesondere in der adipösen Gruppe hinweist.
Zentralnervöse Krankheitsbilder mit dem Leitsymptom der Tagesschläfrigkeit
Die Narkolepsie und die idiopathische Hypersomnie (IH) gehören gemäß der ICSD-3 (International Classification of Sleep Disorders) [2] zu den zentralnervösen Störungen mit Tagesschläfrigkeit und stellen hirnorganische Funktionsstörungen mit pathologisch verändertem Schlaf-Wach-Rhythmus dar. Die Schlafambulanz der Klinik für Neurologie, BwKrhs Hamburg betreut aktuell ca. 20 Patienten mit entsprechenden Krankheitsbildern.
Idiopathische Hypersomnie
Die Erkrankung beginnt häufig im jungen Erwachsenenalter, sie kann aber alle Altersstufen betreffen. Die Prävalenz der IH beträgt 1–5/10 000 Einwohner. Beide Geschlechter sind gleich betroffen. Die Ätiologie der Erkrankung ist bis heute ungeklärt [4][5]. Basierend auf neurochemischen, genetischen und immunologischen Untersuchungen sowie Studien über den circadianen Schlafprozess wurden verschiedene pathophysiologische Hypothesen aufgestellt. Diese werden in dem Review der Arbeitsgruppe Billiard detailliert beschrieben [6]. Klinisch ist die IH gekennzeichnet durch chronische, tägliche exzessive Tagesschläfrigkeit trotz langem Nachtschlaf. In der ICSD-2 wurde noch die IH mit langer Schlafzeit (> 10 Stunden) von der IH ohne lange Schlafzeit unterschieden. Diese Abgrenzung wurde in der ICSD-3 aufgehoben [4].
Die Patienten sind morgens teilweise schwer erweckbar, Wecker werden überhört, bzw. in einem tranceähnlichen Zustand deaktiviert [26]. Nach dem Erwachen kann Schlaftrunkenheit bestehen.
Über die therapeutischen Möglichkeiten liegen kaum solide Daten vor [26]. Stimulantien (z. B. das Generikum Modafinil) können nur off-Label rezeptiert werden. Die große Mehrheit der IH-Patienten (96,1 %) befürwortet die Anwendung mindestens einer nicht-pharmakologischen Therapie zur Behandlung ihrer Krankheit [21]. Die am häufigsten verwendeten nicht-pharmakologischen Strategien umfassen Koffein (befürwortet von 82,2 % der IH-Patienten), Nickerchen tagsüber (81,4 %) und die Planung von nächtlichem Schlaf (75,2 %).
Narkolepsie
Sie beginnt zumeist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, kann aber in jedem Alter auftreten. Bereits Kinder können betroffen sein. Die Prävalenz der Narkolepsie beträgt 2,6–5/10 000 Einwohner. Obwohl klare Diagnosekriterien vorliegen, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen [15]. Die Ursache der Erkrankung ist ungeklärt [13]. In einem Review von Nishino und Kanabayashi [23] wurden 116 als symptomatisch berichtete Narkolepsien Erkrankungen zugeordnet. Dabei waren genetisch determinierte Fälle (n = 38), Tumore (n = 33) und Kopftraumata (n =19) die drei häufigsten Ursachen. Zudem werden infektiöse Auslöser und autoimmune Prozesse diskutiert (u. a. Influenza-A-Virus H1N1 [9] und Streptokokkeninfektionen [8]). Auch ist eine Induktion durch die Grippeschutzimpfung möglich [1].
Ob in den nächsten Jahren, durch SARS-CoV-2-Infektionen, bzw. COVID-19 Impfungen angestoßen, mit einer Zunahme der Narkolepsie, bzw. Hypersomnie zu rechnen ist, wird in der Fachliteratur diskutiert: Aufgrund der Erfahrungen mit Influenza-A H1N1-Infektionen und Impfungen bezüglich einer Triggerung der Narkolepsie, bzw. der sekundären Hypersomnie erscheint dies plausibel [20][24][28].
Die Narkolepsie zeichnet sich durch eine erhöhte Einschlafneigung am Tage (auch in ungewöhnlichen Situationen, beispielsweise bei einer lebhaften Diskussion oder dem Spazierengehen), Kataplexien (plötzlicher Muskeltonusverlust, also ein Zusammensacken bei emotionaler Erregung ohne Verlust des Bewusstseins), Schlaflähmungen und sogenannten hypnagogen Halluzinationen („verfrühter Traumschlaf“ – lebhafte Vorstellungen, die während des Einschlafens auftreten und meist negativ getönt sind) aus [15]. Im Gehirn von Narkolepsie-Patienten wird weniger Hypocretin (auch bekannt als Orexin) exprimiert, möglicherweise verursacht durch einen Immundefekt hypocretin sezernierender Zellen [11]. Hypocretin wirkt stimulierend auf die Wachheit fördernden Systeme. Nur etwa ein Drittel der Patienten weist das Vollbild der Erkrankung auf [26], die sich zu Beginn auch in einer monosymptomatischen Form äußern kann, wobei dann insbesondere das Leitsymptom „Tagesschläfrigkeit“ auftritt. Erst im Laufe von Jahren zeigen sich bei den meisten Patienten dann weitere der klassischen Symptome.
Zur medikamentösen Behandlung der Tagesschläfrigkeit sind die Substanzen Modafinil, Pitolisant, Solriamfetol (1. Wahl) und Methylphenidat (2. Wahl), zur Therapie der REM-Schlaf-assoziierten Symptome (Kataplexien, Schlaflähmungen und Halluzinationen) Natriumoxybat, Pitolisant und Clomipramin gem. europäischer Leitlinie [3] zugelassen.
Diese Leitlinie benennt zur Behandlung der Narkolepsie neben der medikamentösen Therapie v. a. verhaltenstherapeutische Interventionen. Verbesserungen können durch die Anwendung von Coping-Strategien, eine konsequente Schlafhygiene und die Einrichtung individuell angepasster Tagschlafepisoden erreicht werden. Unter Schlafhygiene sind hierbei Verhaltensweisen und Lebensgewohnheiten zu verstehen, die einen erholsamen Schlaf fördern. Mittels der Verhaltenstherapie sollen die Betroffenen lernen, ihr Leben mit Narkolepsie zu meistern und mit Beschwerden oder Folgen besser zurechtzukommen. Hierbei hilft eine Tagesstrukturierung, bei der auch der Aufbau der Fitness nicht vergessen werden sollte: Narkolepsie-Patienten verlieren teilweise das Vertrauen in ihre körperliche Leistungsfähigkeit, obgleich diese häufig von der Erkrankung wenig betroffen ist. Die Folge ist ein weiterer Rückzug, fehlender körperlicher Ausgleich und Beendigung von liebgewonnenen Freizeitaktivitäten. Als Konsequenz droht weiterer körperlicher Abbau und Beschleunigung der Negativspirale. Matoulek et al. [17] beschäftigten sich daher mit der Frage, ob körperlich fittere Narkoleptiker weniger Krankheitssymptome aufweisen. Dafür führten sie 32 Patienten mit Narkolepsie mit Kataplexie, 10 Patienten mit Narkolepsie ohne Kataplexie und 36 alters- und geschlechtsangepasste Kontrollpersonen einer Spiroergometrie zu. Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2peak) werteten sie als Parameter zur Darstellung der kardiopulmonalen Fitness: Je höher diese ausfiel, desto besser ist die körperliche Leistungsfähigkeit eines Probanden (unabhängig von einer Erkrankung) zu bewerten. Für die Narkolepsiepatienten im Speziellen zeigte sich, dass mit ansteigender Leistungsfähigkeit der Grad der Schläfrigkeit und die Häufigkeit der Kataplexie-Episoden abnahmen. Kurzum: Die Hauptsymptome der Narkolepsie lassen sich durch Ausdauertraining teilweise „abtrainieren“!
Neuer additiver Behandlungsansatz der Tagesschläfrigkeit für Soldaten
Die oben beschriebenen Erkenntnisse von Matoulek et al. [17] sind die Gedankengrundlage für das „Hamburg-Warendorfer-Kooperationsprojekt“. Es handelt sich dabei um eine offene prospektive Studie für an Hypersomnie erkrankten Patienten.
Betroffene Soldaten, die von der Schlafambulanz BwKrhs Hamburg betreut werden, stellen sich zu einem standardisierten Leistungs-Check-up im Zentrum für Sportmedizin der Bw vor. Innerhalb von 2 Tagen erhalten die Patienten dort eine umfangreiche sportkardiologische Diagnostik zur Abbildung ihrer körperlichen Fähigkeiten. Abschließend erfolgen als zentraler Baustein dieser ersten Vorstellung die Befunderöffnung und ein intensives Aufklärungsgespräch über die vorhandenen Stärken sowie individuell angepasste Empfehlungen zum Erhalt und Ausbau der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Nach 6 Monaten erfolgt eine Follow-Up-Untersuchung mit erneuter Datenerhebung und Befundbesprechung. Die im Erstkontakt gemeinsam erarbeiteten Möglichkeiten zur regelmäßigen körperlichen Bewegung werden mit dem Patienten gemeinsam hinsichtlich Durchführbarkeit und Effekt evaluiert und bewertet. Je nach korrigierter Leistungsfähigkeit oder veränderten Wünschen des Patienten erfolgt gemeinsam eine entsprechende Anpassung der Zielwerte sowie der Art und des Umfangs der Bewegungseinheiten. Auch in diesem Aufklärungsgespräch liegt der Hauptfokus auf der Patientenmotivation. Nach weiteren 6 Monaten ist der dritte und aus aktueller Sicht abschließende sportmedizinische Kontakt vorgesehen. Der Schwerpunkt entspricht dem ersten Follow-up. Betroffene haben zusätzlich über eine telefonische Erreichbarkeit der betreuenden Sportmedizinerin die Möglichkeit, zwischen den Vorstellungsterminen auftretende Fragen oder Probleme zeitnah klären zu können.
Hier das Programm im Überblick:
- Körperliche Untersuchung
- Echokardiographie
- Langzeit- EKG mit Analyse der Herzratenvariabilität
- Spiroergometrie zur Erfassung der körperlichen Leistungsfähigkeit
- Ergebnisanalyse und individualisierte Trainingsempfehlung
Selbstverständlich steht dieses Programm allen Soldatinnen und Soldaten mit Tagesschläfrigkeit offen. Eine Einsteuerung der Betroffenen erfolgt über die Schlafambulanz des BwKrhs Hamburg, Tel. 040 6947 16300.
Diskussion
Anhand einer Auswahl von Studien wird im ersten Teil des Artikels exemplarisch der Zusammenhang zwischen Hypersomnie, Fatigue, Stress, Übergewicht, Ernährung, Bildschirmzeit und Immobilisation aufgezeigt. Die schlafmedizinisch treffendste Übersetzung der Hypersomnie ist dabei Schläfrigkeit, die der Fatigue Erschöpfung. Einen diesbezüglich sehr lesenswerten Übersichtsartikel verfassten Matti et al. [18]. Die Begriffe Schläfrigkeit und Erschöpfung sind keineswegs immer mit Pathologie behaftet: Beide Befindlichkeitsstörungen treten selbstverständlich auch bei gesunden Individuen auf, wenn sie sich Schlafentzug aussetzen. Im Unterschied zu Erkrankten sistieren diese Symptome jedoch rasch, sobald die Schlafzeit wieder auf das normale Maß ausgeweitet wird. Zeichen von Krankheitswert sind dann erkennbar, wenn sich trotz einer ausreichend langen Schlafdauer (Betroffene schlafen oftmals mehr als 10 h/24 h, siehe auch Abbildung 1 – Schlaftagebuch eines Hypersomnikers) kein Erholungseffekt einstellt.
Abbildung 1: Schlaftagebuch eines Hypersomnikers
Dargestellt ist die subjektiv empfundene Schlafdauer über 7 Tage (05.05 bis 11.05). Eine Spalte spiegelt einen Tag (24 Stunden) wider, in der Skalierung beträgt dabei ein horizontaler Teilstrich eine Stunde. Die eingetragenen Kreuze [+] auf dem Zeitstrahl bedeuten „Schlaf“, die Querstriche [-] „Dösen“. Es ergeben sich Schlafzeiten von bis zu 15h pro Tag, der Patient lässt sich morgens jeweils durch einen Wecker wachmachen.
Bei moderater Ausprägung der Symptome können die Patienten bereits durch Ausbau ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit in Eigenregie einen Rückgang der Fatigue oder Schläfrigkeit erzielen. Bei hartnäckigen Beschwerden, bzw. einem diagnostizierten zentralnervösen Krankheitsbild als Ursache der Hypersomnie bedarf es aber häufig einer engen ärztlichen Führung. Hier macht nicht nur die Anbindung an einen Schlafmediziner Sinn, sondern auch eine ärztliche sportphysiologische Betreuung zum Erhalt, bzw. optimaler Weise Ausbau der körperlichen Leistungsfähigkeit. Nachgewiesenermaßen reduziert sich zeitgleich die Tagesschläfrigkeit [17].
Falls die Truppenärztin/der Truppenarzt von Soldatinnen/Soldaten aufgrund von „Müdigkeit“ (Betroffene benutzen nur sehr selten den Fachterminus der „Schläfrigkeit“) in der Sprechstunde konsultiert wird, kann gerne die Vorstellung in der Schlafsprechstunde (Tel: 90 7947 16300) erfolgen. Häufig ist es aber auch der Disziplinarvorgesetzte, der sich hilfesuchend primär an den Truppenarzt wendet, da „immer der eine Soldat einschläft“.
Mittlerweile stehen eine Reihe von spezialisierten Rehabilitationskliniken parat, die Hypersomniker im stationären Setting u. a. mit dem Konzept der Fitnesssteigerung therapieren. Durch die Kooperation mit dem Zentrum für Sportmedizin der Bw in Warendorf kann nun auch betroffenen Soldaten diese Leistung, zumindest im ambulanten Setting bundeswehrintern angeboten werden.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stark R, Grunwald M: Sport gegen Tagesschläfrigkeit – ein additiver Behandlungsansatz der Hypersomnie. WMM 2022; 66(11): 373-378.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Reinhard Stark
Klinik für Neurologie
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Lesserstraße 180, 22149 Hamburg
E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org">reinhardstark@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Stark, R, Grunwald M: [Exercise against Daytime Sleepiness – an Additive Treatment Approach for Hypersomnia]. WMM 2022; 66(11): 373-378.
For the Authors:
Lieutenant Colonel Dr. Reinhard Stark
Departement of Neurology
Bundeswehrhospital Hamburg
Lesserstraße 180, D - 22149 Hamburg
E-Mail: reinhardstark@bundeswehr.org">reinhardstark@bundeswehr.org