Studie zur Vitalparameterextraktion mit MIMO-Radarsystemen
Study on vital parameter extraction with MIMO radar systems
Philipp Stockela, Reinhold Herschela, Magdalena Liebetruthb, Patrick Wallratha, Stefan Sammitob,c
Zusammenfassung
Einleitung: In militärischen Konflikten, aber auch in Katastrophenfällen, ist das möglichst schnelle und gefahrlose Auffinden von verwundeten und verletzten Personen für eine zuverlässige medizinische Versorgung von großer Bedeutung. Die Möglichkeiten einer radargestützten Vitalwertbestimmung kombiniert mit den zunehmenden Fähigkeiten der Drohnentechnologie ermöglicht hier neue Perspektiven.
Methodik: Im Rahmen einer Literaturübersicht werden die Verwendung dieser Technologie allgemein und besonders im wehrmedizinischen Kontext und die Nutzbarkeit für diesen Anwendungsfall dargestellt. Ferner werden Ergebnisse einer ersten Pilotuntersuchung der Radartechnologie präsentiert. Hierzu wurden in verschiedenen Körperpositionen Messungen der Atemfrequenz und der Herzschlagfrequenz mittels eines Multiple-Input-Multiple-Output (MIMO)-Radars mit denen eines kabelgebundenen Referenzsystem verglichen.
Ergebnisse: Die Ergebnisse dieser Pilotuntersuchung konnte an einer recht kleinen Stichprobe von jeweils zehn Messungen zeigen, dass es nur zu geringen Abweichungen bei der Messung von Atem- (0,1 bpm) sowie Herzschlagfrequenz (1,0–5,5 bpm) kommt. Die Herzratenvariabilitätsanalyse zeigt größere Abweichungen und ist vor allem bei Personen, die sich ruhig verhalten, noch brauchbar.
Diskussion: Die vorliegende Pilotuntersuchung zeigt die Möglichkeiten der vorliegenden Technologie, welche kombiniert mit einer entsprechenden Drohne zu einer kontaktlosen Vitalwertbestimmung führen wird. Dies ist Ziel eines vom Bundesministerium der Verteidigung finanzierten Kooperationsprojektes zwischen verschiedenen Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft sowie Ressortforschungseinrichtungen des Sanitätsdiensts der Bundeswehr.
Stichworte: Drohne, Triage, ABC-Bedrohung, Vitalparameter, Rettungskette
Summary
Introduction: In military conflicts and disaster situations it is of great importance for reliable medical care that wounded and injured persons could be founded as quickly and safely as possible. The possibilities of radar-based vital sign determination combined with the increasing capabilities of drone technology opens up new perspectives here.
Methods: Based on a literature review, the use of this technology in general and especially in a military medical context and the usability for this application are presented. Furthermore, results of a first pilot investigation of the radar technology are presented. For this purpose, measurements of respiratory rate and heart rate were compared in various body positions using a multiple-input multiple-output (MIMO) radar with those of a wired reference system.
Results: The results of this pilot study show on a rather small sample of ten measurements each that there are only minor deviations in the measurement of breathing rate (0.1 bpm) as well as heart rate (1.0–5.5 bpm). The heart rate variability analysis shows larger deviations and is still useful especially for people who are calm.
Discussion: The present pilot study shows the possibilities of the present technology, which, combined with a corresponding drone, will lead to contactless vital sign determination. This is the aim of a cooperation project funded by the Federal Ministry of Defence between various institutes of the Fraunhofer-Gesellschaft and departmental research facilities of the German Armed Forces Medical Service.
Keywords: drone; triage; NBC threat; vital signs; rescue chain
Einleitung
Das Themenfeld der Vitalparameterbestimmung mit Radarsystemen ist ein aktives Forschungsfeld, da diese Systeme es erlauben, ohne Kontakt und aus Entfernung erste Diagnosen über den Vitalzustand von Personen zu erstellen [2]. Dies eröffnet insbesondere sowohl im wehrmedizinischen wie im katastrophenmedizinischen Kontext neue Möglichkeiten [11]. Beispielsweise können verletzte Personen mittels eines an einer Drohne angebrachten Radars geortet und in Abhängigkeit des damit ermittelten Vitalzustandes spezifische Maßnahmen ergriffen werden. Rettungskräfte können hierdurch zielgerichtet eingesetzt werden, was insbesondere bei militärischen Konflikten, z. B. mit ABC-Bedrohung, auch zu einer Risikominimierung für die sanitätsdienstlichen Kräfte führen würde [7].
Da Herzschlagrate und Atemfrequenz die primären mit Radar erfassbaren Vitalparameter sind, liegt auch hier der Fokus bisheriger technischer Bemühungen. Insbesondere bei der Herzschlagrate gibt es jedoch verschiedene Herangehensweisen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Darüber hinaus wird neben der Atem- und Herzschlagrate auch die Herzratenvariabilität als weiteres für die Diagnose interessantes Merkmal betrachtet. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand einer Literaturübersicht die Verwendung dieser Technologie allgemein und im Besonderen im wehrmedizinischen Kontext, die Nutzbarkeit für diesen Anwendungsfall darzustellen sowie mittels Daten einer Pilotuntersuchung die derzeitigen Möglichkeiten aufzuzeigen.
Abb. 2: Nahaufnahme der verwendeten Drohne SA-Hammer XBB mit einer Spannweite von 1,5 m (© Fraunhofer FHR)
Hintergrund
MIMO-Radar und Signalverarbeitung
Radarsysteme versenden elektromagnetische Signale und werten die von Objekten oder Personen reflektierten Signale aus. Durch Auswertung von Signallaufzeit und Frequenz des empfangenen Signals können zum einen die Entfernung zum reflektierenden Objekt, zum anderen die relative Geschwindigkeit des Objektes zum Radarsystem bestimmt werden. Während klassische einkanalige Radare über eine Sendeantenne und eine Empfangsantenne verfügen, haben Multiple-Input-Multiple-Output (MIMO) Radare mehrere Sende- und Empfangsantennen. Durch geeignete Taktung der Sendesignale der einzelnen Antennen und eine entsprechende Auswertung der Empfangssignale können mit MIMO-Radaren neben der Entfernung bestimmter Objekte auch deren Richtung bestimmt werden [2][11].
Durch die Betrachtung des dreidimensionalen Sichtbereiches des Radars über die Zeit und die Auswertung der Veränderungen, können Ziele, die sich bewegen, ebenso wie Menschen lokalisiert werden [11]. Insbesondere können auch die Bewegungsfrequenzen der Personen mit einem Dopplerfilter ausgewertet werden, um robust Menschen von anderen bewegten Objekten zu unterscheiden. Abbildung 3 zeigt das Ergebnis einer solchen Auswertung. Es lässt sich erkennen, dass sich eine Person in etwa drei Metern Entfernung neben der Hauptstrahlachse des Radars befindet.
Abb. 3: Entfernungs-Azimut-Darstellung einer mit einem Dopplerfilter ausgewerteten Szene. Die Person befindet sich in 3 Metern Entfernung bei etwa -11 Grad Azimut.
Erfassung von Vitalparametern
Nach Lokalisation einer Person über den dargestellten Ansatz kann das von diesem Objekt reflektierte Signal noch genauer untersucht werden, indem die Phasenlage des empfangenen sinusartigen Signals ausgewertet wird, wodurch die Analyse sehr kleiner Entfernungsänderungen ermöglicht wird. Dies kann dazu genutzt werden, um unter anderem die Bewegungen des Thorax der betreffenden Person zu analysieren. In Abbildung 4 ist ein solches von einer Testperson extrahiertes Phasensignal zu sehen, in dem die Atembewegungen der Person zu erkennen sind.
Abb. 4: Darstellung des aus den Radardaten extrahierten Phasensignals
Um ausschließlich die Atmung zu analysieren, wird das Signal mit einem Bandpass-Filter versehen. Dies unterdrückt alle Frequenzen, welche kleiner als 6 bpm oder größer als 30 bpm sind. Danach sollten nur noch Frequenzen im Bereich der Atemfrequenz vorhanden sein, womit dann eine Fourier-Transformation genutzt werden kann, um das Spektrum zu berechnen. Im Spektrum sollte sich die Atemfrequenz als Frequenz des Maximums identifizieren lassen. In Abbildung 5 a) und 5 b) sind das gefilterte Radarsignal sowie das zugehörige Spektrum zu sehen [8].
Abb. 5: Darstellung des im Bereich der Atemfrequenz gefilterten Phasensignals oben und unten zusammen mit dem von einem Referenzsystem aufgenommen Atemsignals in (a) sowie Darstellung des Spektrums der beiden Signale in (b)
Im Vergleich zur Atembewegung sind die Amplituden der Herzbewegung nur sehr schwach im Phasensignal ausgeprägt und daher schwerer auszuwerten. Hier bieten sich verschiedene Ansätze zur Verarbeitung des Signals an.
Die erste mögliche Methode zur Bestimmung der Herzschlagrate arbeitet im Frequenzbereich [8][12]. Da es sich bei dem Herzschlag jedoch nicht um ein sinusförmiges Signal handelt, wurde in der vorliegenden technischen Demonstration eine andere Verarbeitung als bei der Atemfrequenz gewählt. Hierzu wird zunächst das empfangene Phasensignal zweimal diskret abgeleitet. Dies erlaubt die Analyse von schnellen Änderungen, wie sie unter anderem von dem Herzschlag erzeugt werden. In Abbildung 6 ist das daraus resultierende Signal zu sehen.
Abb. 6: Darstellung des zweifach differenzierten Phasensignals
Für das zweifach differenzierte Phasensignal wird anschließend die Autokorrelation berechnet. Durch die Korrelation wird die Periodizität der Herzschläge hervorgehoben. Mittels einer Fourier-Transformation kann dann das Leistungsdichtespektrum berechnet werden. Das Maximum des Spektrums sollte nun mit der durchschnittlichen Herzschlagfrequenz im betrachteten Zeitintervall korrespondieren. In Abbildung 7 ist das Leistungsspektrum des zweifach differenzierten Phasensignals abgebildet.
Abb. 7: Darstellung des Leistungsdichtespektrums des zweifach differenzierten Phasensignals. Zu erkennen ist das mit der durchschnittlichen Herzschlagrate korrespondierende Maximum sowie die obere und untere Herzschlagfrequenz als Nebenmaxima
Um ein dem klassischen EKG-Signal ähnliches Ausgangssignal zu erlangen, kann das Phasensignal auch im Zeitbereich verarbeitet werden [13]. Es wird wieder das zweifach differenzierte Phasensignal betrachtet. Durch eine Filterung des Signals mit einem geeignet gewählten Fenster lassen sich die einzelnen Herzschläge noch deutlicher hervorheben. Das hier gewählte Fenster hat eine Länge und die ersten Werte sind auf 1 gesetzt, während die letzten Werte auf -1 gesetzt sind. Die Länge sollte dabei auf die ungefähre Herzschlagrate angepasst sein. Dementsprechend sollte zunächst mittels der Verarbeitung im Frequenzbereich die grobe Herzschlagrate bestimmt werden. Das resultierende Signal nach der Filterung ist in Abbildung 8 zu sehen.
Abb. 8: In der Grafik ist das differenzierte Phasensignal nach Filterung mit Fensterfunktion zusammen mit dem Referenz-EKG abgebildet.
Mit einem Constant-False-Alarm-Rate-Detektor (CFAR-Detektor) können im Anschluss die einzelnen Herzschläge identifiziert werden [9][10]. Ein solcher CFAR-Detektor wertet jeden Punkt relativ zu seiner Umgebung aus und markiert Punkte als lokales Maximum, wenn das Verhältnis von Punkt-zu-Umgebung einen bestimmten Schwellwert überschreitet. Anschließend können die Abstände zwischen den einzelnen lokalen Maxima verwendet werden, um die Herzschlagrate zu berechnen. In Abbildung 9 ist die Herzschlagrate über die Zeit dargestellt.
Abb. 9: Darstellung der berechneten Herzschlagrate über die Zeit zusammen mit der vom Referenzsystem bestimmten Herzschlagrate
Durch die Auswertung der Veränderung der Herzschlagrate mittels der Berechnung der Standardabweichung der Herzschlagraten in einem bestimmten Zeitintervall, kann zudem ein Maß für die Herzratenvariabilität berechnet werden [3][4].
Vergleich der Verfahren
Die Bestimmung der Herzschlagrate durch eine Verarbeitung im Zeitbereich hat den großen Vorteil, dass ein Signal erzeugt wird, welches dem klassischen EKG-Signal sehr ähnlich ist. Dadurch kann das medizinische Personal die Daten ohne große Einarbeitung oder Umstellung bewerten. Dies ermöglicht es auch, die korrekte Bestimmung der Herzschlagrate nachzuvollziehen und erhöht dementsprechend das Vertrauen in die neue Technologie. Des Weiteren kann auch die klassische Berechnung des Maßes für die Herzratenvariabilität verwendet werden. Die Problematik der Prozessierung im Zeitbereich ist die hohe Anfälligkeit für Störungen. Dementsprechend kann die Prozessierung im Zeitbereich nur bei sehr reinen Signalen verwendet werden. Um dies zu erreichen, sollte die betrachtete Person sich möglichst regungslos verhalten und das Radarsignal sollte ein sehr gutes Signal-Rausch-Verhältnis aufweisen.
Die Prozessierung des Signals im Frequenzbereich hat den Vorteil, dass sie weit robuster gegenüber Störungen ist. Jedoch kann nur eine Durchschnitts-Herzschlagfrequenz in einem Zeitintervall von einigen Sekunden bestimmt werden und es fehlt eine zuverlässige Aussage über die Herzratenvariabilität. Das bedeutet, dass die Methode in weit störungsanfälligeren Szenarien verwendet werden kann. Bei diesen sollte es aber hauptsächlich um eine erste Diagnose oder die grobe Überwachung des Gesundheitszustandes gehen.
Messszenario und Referenzsystem
Für die Messungen wurde ein MIMO-FMCW-Radar verwendet, dessen Sendefrequenz bei 60 GHz liegt. In Tabelle 1 sind die Parameter des Radars aufgeführt. Es wurden drei Szenarien mit jeweils einer Testperson untersucht: Zuerst Messungen mit einer liegenden Person, bei denen das Radar etwa 1,5 m entfernt war, danach Messungen mit einer stehenden Person sowie zuletzt Messungen mit verschieden Ausprägungen von Oberkörperbekleidung. Für alle Messungen zeigt die Brust der Testperson zum Radar.
Als Referenzsystem wurde ein HealthLab Flash-Master HFM-01 (Firma: KORA Industrie-Elektronik GmbH, Hambühren, Deutschland) genutzt und ein 3-Kanal-Elektrokardiogramm (EKG) über Brustelektroden aufgenommen sowie die Atembewegungen der Testpersonen über einen Brustgurt gemessen. Für die Atemfrequenz wurde eine Analyse im Frequenzbereich, für die Herzschlagfrequenz im Zeitbereich wie auch im Frequenzbereich durchgeführt, da hierdurch auch die Herzratenvariabilität ausgewertet werden konnte (hierbei wurde die „standard deviation of NN intervals“ [SDNN] berechnet). Für die Verarbeitung im Zeitbereich wurden vorab Schätzungen der Bestimmung der Herzschlagfrequenz durchgeführt, um die entsprechenden Messgrenzwerte (Fensterlängen) zu bestimmen.
Da es sich um eine Vorstudie zur Beurteilung der Möglichkeiten handelt, wurde nur eine Person für die Messungen betrachtet. Pro Messposition (liegend, stehend, mit unterschiedlichen Oberkörperbekleidungen) wurden zehn Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden mit Microsoft Excel ausgewertet.
Ergebnisse
Für die Messungen der Atemfrequenz zeigte sich ein durchschnittlicher quadratischer Fehler im Vergleich zu der Referenzmessung von 0,1 Atemzügen pro Minute, welcher stabil unabhängig von der Position der Testperson oder ihrer Kleidung war.
Bei den Messungen der Herzschlagfrequenz zeigte sich in der liegenden Position ein durchschnittlicher quadratischer Fehler im Zeitbereich von 1,38 bpm und im Frequenzbereich von 1,00 bpm. Für den die Herzratenvariabilität beschreibenden SDNN-Wert lag die durchschnittliche Abweichung bei 18,31 ms.
Bei den Messungen mit der stehenden Person lag der durchschnittliche quadratische Fehler für die Herzschlagfrequenzbestimmung im Frequenzbereich bei 5,46 bpm. Der durchschnittliche quadratische Fehler für die Verarbeitung im Zeitbereich lag bei lediglich 3,68 bpm. Der Fehler des SDNN-Wertes liegt für den stehenden Fall bei 51,13 ms. Eine Übersicht zeigt Tabelle 2.
Tab. 2: Übersicht über die mittel mobPhysioLab (HFM) bzw. der Radartechnologie (Radar) gemessenen Vitalparameter sowie die entsprechende Abweichung
Darüber hinaus wurde untersucht, inwiefern sich unterschiedliche Oberkörperbekleidung auf die Vitalparameterbestimmung auswirkt. Als Ergebnisse lassen sich zusammenfassen, dass für das Tragen eines T-Shirts oder eines Pullovers keine Vergrößerung des statistischen Messfehlers zu erkennen ist. Für die Testperson bekleidet mit T-Shirt, Pullover und Jacke vergrößerte sich der Fehler bei der Bestimmung der Atemfrequenz um 0,1 bpmt. Bei der Bestimmung der Herzschlagrate im Frequenzbereich und im Zeitbereich erhöhten sich die quadratischen Fehler ebenfalls leicht auf 1,4 bpm und 2,2 bpm. Der Fehler des SDNN-Wertes stieg am stärksten gestiegen auf 45,9 ms.
Diskussion
Die Messergebnisse zeigen, dass sowohl für die Atemfrequenz als auch für die Herzschlagrate recht genaue Werte erreicht werden können. Insbesondere bei der Atemfrequenz ist diese auch nicht von der Lageposition der Testperson abhängig. Bei der Bestimmung der Herzschlagrate weist die Verarbeitung im Zeitbereich etwas größere Abweichungen auf, da kurzzeitige Störungen des Signals größeren Einfluss auf den Messfehler haben als bei Verarbeitung im Frequenzbereich. Zudem benötigt die Verarbeitung im Zeitbereich grobes a-priori-Wissen über die aktuelle Herzschlagrate, um genaue Ergebnisse liefern zu können. Dieses a-priori-Wissen kann beispielsweise über die Verarbeitung im Frequenzbereich generiert werden.
Bei der Bestimmung der Herzratenvariabilität manifestierte sich im stehenden oder im stark bekleideten Szenario ein deutlich gestiegener Fehler, der auf die schlechtere Signalqualität zurückzuführen ist. Diese führt zu einer erhöhten Anzahl von Ausreißern in den über die Zeit bestimmten NN-Intervallen. Während diese Ausreißer sich bei der Bestimmung der mittleren Herzschlagrate mathematisch reduzieren, wirken sie sich bei der Bestimmung der Standardabweichung direkt auf den Ausgangswert aus. Dies bedeutet, dass, während die Herzschlagrate auch in unruhigeren Messungen bestimmt werden kann, sich genaue Werte für die Herzratenvariabilität nur in Szenarien mit hoher Signalqualität erreichen lassen.
Die dargestellten Ergebnisse zeigen die Möglichkeiten dieser kontaktlosen Messmethode zur Bestimmung von Vitalparametern, für die eine Reihe denkbarer Anwendungsfeldern sowohl im klinischen als auch im militärischen Setting vorliegen. Gerade die aktuell abklingende COVID-19-Pandemie hat die Notwendigkeit zur Messung von Vitalparametern in bestimmten öffentlichen Bereichen (z. B. an Flughäfen) oder im Eingangsbereich von Krankenhäusern aufgezeigt [1][6]. Im Katastrophenfall [5] oder besonders in militärischen Konflikten ist das Finden und Überwachen von verletzten Personen häufig nur erschwert möglich, da die Infrastruktur beschädigt ist darüber hinaus die sanitätsdienstlichen Kräfte weiteren Bedrohungen durch Feindbeschuss ausgesetzt sein können. Eine kontaktlose Radartechnologie, welche mittels einer Drohne über das entsprechende Gebiet platziert werden kann, kann hier eine schnelle, sichere und für die sanitätsdienstlichen Kräfte möglicherweise gefahrlosere Alternative zur Identifizierung von Verwundeten darstellen. Wenn diese Drohne zusätzlich über die hier dargestellte Vitalwertbestimmung verfügt, wäre eine erste grobe Einschätzung der Vitalparameter der gefundenen Patienten möglich, wodurch sanitätsdienstliche Kräfte effizienter eingesetzt werden könnten. Der Wert einer solchen Drohne nimmt bei entsprechender zusätzlicher ABC-Bedrohungslage noch zu.
Das Forschungsvorhaben „UAV-Triage“ des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) hat das Ziel, im Rahmen einer Zuwendung des Bundesministeriums der Verteidigung eine solche Drohne als Demonstrator zu konzipieren und in einer Studie die Nutzbarkeit der erfassten Vitalparameter zu untersuchen. Hierzu kooperieren die Fraunhofer-Institute mit dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe in Köln.
Fazit
Zusammenfassend konnte in dieser technischen Demonstration an einem MIMO-FMCW-Radar gezeigt werden, dass eine exakte Erfassung der Vitalparameter Herzschlagfrequenz und Atemfrequenz in verschiedenen Positionen kontaktlos möglich ist. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die Nutzbarkeit dieser Technologie, insbesondere auf einer sich selbst im dreidimensionalen Raum bewegenden Drohne, zu demonstrieren. Dies wäre für den Einsatz von sanitätsdienstlichen Kräften im Verteidigungsfall, insbesondere unter zeitgleicher (ABC-)Bedrohungslage zum Schutz und effektiven Einsatz dieser Hochwertkräfte von erheblichem Wert.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Stockel F, Herschel R, Liebetruth M, Wallrath P, Sammito S: Studie zur Vitalparameterextraktion mit MIMO-Radarsystemen. WMM 2023; 67(4): 125-131.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-117
Für die Verfasser
Philipp Stockel, M. Sc.
Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR),
Wachtberg
Fraunhoferstraße 20, 53343 Wachtberg
E-Mail: philipp.stockel@fhr.fraunhofer.de
Manuscript data
Citation
Stockel F, Herschel R, Liebetruth M, Wallrath P, Sammito S: [Study on vital parameter extraction with MIMO radar systems]. WMM 2023; 67(4): 125-131.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-117
For the Authors
Philipp Stockel, M. Sc.
Fraunhofer Institute for High Frequency Physics and Radar Techniques
(FHR), Wachtberg, Germany
Fraunhoferstraße 20, D-53343 Wachtberg
a Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR), Wachtberg
b Otto von Guericke Universität Magdeburg, Bereich Arbeitsmedizin
c Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln
Schlaganfall-Prävention unter Anwendung künstlicher Intelligenz
Stroke Prevention Using Artificial Intelligence
Frank Stachulskia, Jörg Schönfeldb
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik IX – Neurolgie
b Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Ingenieur Medizintechnik
Zusammenfassung
Etwa 250 000 Menschen in Deutschland erleiden im Jahr einen Schlaganfall. Ein solcher ist zum einen eine häufige Todesursache, zum anderen bleiben bei etwa einem Drittel der Patienten dauerhaft zum Teil schwere Behinderungen bestehen.
Ein Schlaganfall ist immer ein Notfall und bedarf der neurologischen Akutversorgung des Patienten. Es ist politisches Ziel, zur Verbesserung der Schlaganfallversorgung zukünftig vermehrt Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention in die Regelversorgung der Krankenkassen aufzunehmen. Hierzu gehören auch Projekte mit Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI).
Die Identifikation gefährdeter Patienten durch die Detektion relevanter Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern (VHF) oder das Erkennen einer transitorisch ischämischen Attacke (TIA) können dazu beitragen, die Häufigkeit von Schlaganfällen zu reduzieren und so schwerwiegende Folgen für den Patienten zu vermeiden. Eine frühzeitige Diagnose der Risiken und die Einleitung einer geeigneten Therapie können in der Summe das Schlaganfallrisiko um bis zu 70 % reduzieren. Im Bundeswehrkrankenhaus Berlin wurde zur Detektion von Vorhofflimmern die AI unterstützte Schlaganfall-Risiko-Analyse (SRA) eingeführt.
Schlüsselwörter: Schlaganfall-Risiko-Analyse, Transitorisch-ischämische Attacke, Vorhofflimmern, Krankenhauszukunftsgesetz, Klinische Entscheidungsunterstützung
Summary
Around 250,000 people in Germany suffer a stroke every year. On one hand, stroke is a frequent cause of death (14th place in ranking), on the other hand, one third of surviving patients experience severe or permanent disability.
A stroke is always an emergency and requires acute neurological care. It is a political intention in Germany to include more primary and secondary prevention measures in the standard care of the health system to improve stroke care in the future. This will also include projects that use artificial intelligence (AI). The identification of patients at risk by detecting relevant cardiac arrhythmias such as atrial fibrillation (AF) or detecting a transient ischemic attack (TIA) can help to reduce the frequency of strokes and thus avoid serious consequences for patients. Early diagnosis of risk factors and initiation of appropriate therapy can, in total, reduce the risk of stroke by up to 70 %. AI-assisted stroke risk analysis (SRA) has been introduced at the Bundeswehr Hospital Berlin for the detection of atrial fibrillation.
Keywords: stroke risk analysis; transient ischemic attack; atrial fibrillation; future hospital law; clinical decision support
Hintergrund
In Deutschland erleiden nach aktuellen Zahlen jährlich ca. 250 000 Menschen einen Schlaganfall [8]. Der Schlaganfall ist zum einen eine häufige Todesursache (Platz 14 im Ranking), zum anderen weist ein Drittel der überlebenden Patienten eine schwere oder andauernde Behinderung auf [10]. Für viele dieser betroffenen Patienten geht der Schlaganfall mit gravierenden Folgen wie körperlichen Lähmungserscheinungen oder dauerhaften Sprachstörungen einher.
Die Bundesregierung hat beschlossen, die Schlaganfallversorgung zukünftig noch deutlich zu verbessern, indem vermehrt Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention in die Regelversorgung der Krankenkassen mit aufgenommen werden [3]. Hierzu gehören auch Projekte, bei denen künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt.
Ein Schlaganfall tritt auf, wenn die Blutversorgung des Gehirns vorübergehend oder vollständig gestört ist oder eine Blutung die Funktion des Hirngewebes beeinträchtigt. Infolge der Unterversorgung mit sauerstoffreichem Blut sterben zeitabhängig Nervenzellen in dem betroffenen Gebiet ab, weshalb eine rasche Diagnostik und Therapie zur Verbesserung der Prognose essenziell sind. In Bezug auf die Ursache werden ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle unterschieden.
Ischämischer Schlaganfall
Diese häufigste Art des Schlaganfalls wird durch ein Blutgerinnsel in einer hirnversorgenden Arterie verursacht, welches zu einem Gefäßverschluss und einer Unterbrechung der Durchblutung der von diesem versorgten Hirnbereiche führt. Verursacht wird der ischämische Schlaganfall häufig durch eine Atherosklerose der hirnversorgenden Gefäße, aber auch durch embolische Ereignisse im Rahmen struktureller Herzerkrankungen oder Herzrhythmusstörungen, insbesondere durch paroxysmales Vorhofflimmern (pVHF). Unter einem pVHF, ICD-10 Code 148.9, versteht man eine (anfallsweise) Episode aus plötzlich auftretendem unregelmäßigen Herzschlag. Die Dauer einer Episode, in denen der Vorhof flimmert, kann von einigen Minuten bis zu mehreren Tagen anhalten und verschwindet in der Regel wieder von allein. Eine frühzeitige Diagnose der Risiken und die Einleitung einer geeigneten Therapie können in der Summe das Schlaganfallrisiko um bis zu 70 % reduzieren [6].
Hämorrhagischer Schlaganfall
In etwa 2 von 10 Fällen ist ein Schlaganfall durch die Ruptur eines hirnversorgenden Gefäßes mit Blutung in das Hirngewebe bedingt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff und sekundär zu einem Druckanstieg im Gehirn. Abbildung 1 stellt die beiden Schlaganfalltypen in Korrespondenz mit einer MRT-Bildgebung (A,B,C-ischämischer Schlaganfall) dar.
Manche ischämischen Schlaganfälle werden gar nicht wahrgenommen, da keine eloquenten Hirnbereiche betroffen sind. Diese werden als „stumme Infarkte“ bezeichnet. Eine TIA (transitorisch ischämische Attacke), die auch häufig als „Vorbote“ des Schlaganfalls gilt, zeichnet sich durch eine nur vorübergehende Störung der Blutversorgung aus, sodass Symptome sich wieder komplett zurückbilden.
Abb. 1: Schematische Darstellung von ischämischem und hämorrhagischem Schlaganfall und korrespondierender diagnostisch-radiologischer Bildgebung
Diagnostikverfahren
Krankenhäuser wie das BwKrhs Berlin, die Patientinnen und Patienten mit akutem Schlaganfall versorgen, halten eine interdisziplinäre Diagnostik 24/7 bereit. Zu den häufigsten angewandten Diagnostikverfahren gehören:
- EKG,
- Laboruntersuchungen (u. a. Gerinnung: INR+Quick, Kleines Blutbild: Erythrozyten+Thrombozyten, Elektrolyte: Ca+Na+Ka, Creatininkenase: Troponin+CK),
- Computertomografie (CT inklusive CT-Angiographie und CT-Perfusion),
- Kernspintomografie (MRT),
- Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Gefäße (Duplex-Sonografie),
- Echokardiografie (transthorakal/transösophageal) sowie
- kardiophysiologische Untersuchungen.
Der Klinik für Neurologie stehen dabei im stationären Setting Monitorbetten mit Patientenmonitoren und einer adäquaten Überwachungszentrale zur leitliniengerechten Akutversorgung zur Verfügung. Abbildung 2 stellt den digitalen Diagnostikverbund der medizinischen Diagnostikverfahren dar.
Stroke Risk Analysis
Neben den aufgeführten diagnostischen Standardmethoden hat sich ein innovatives Verfahren, die Schlaganfall-Risiko-Analyse SRA (Stroke Risk Analysis) durchgesetzt. Das Verfahren wird verwendet, um mehr Patienten mit Vorhofflimmern, einem bedeutsamen Risikofaktor für einen Schlaganfall, möglichst sicher zu erkennen [9]. Die SRA bietet folgende Vorteile:
- Das digitale System identifiziert Patienten mit Risiko für pVHF anhand einer mindestens einstündigen EKG-Aufzeichnung.
- Eine integrierte Künstliche Intelligenz (KI) findet automatisch und zuverlässig vorhandene Episoden von Vorhofflimmern, wobei der einfach zu tragende kleine EKG-Rekorder bis zu 7 Tage Aufzeichnungsmöglichkeit bietet.
- Der automatisierte Algorithmus (AI) unterstützt den Neurologen auf einfachste Weise und in kürzester Zeit bei der gezielten Suche und der erfolgreichen Detektion bei pVHF. Patientinnen und Patienten können von einer aktiven Schlaganfallprävention durch frühzeitiges Erkennen von bisher unbekanntem Vorhofflimmern profitieren.
Methode der SRA
Ziel der SRA ist es, ein pVHF rechtzeitig zu erkennen, um präventiv einen Schlaganfall zu verhindern. Bei einer SRA wird für mindestens eine Stunde ein EKG abgeleitet. Die EKG-Ableitung erfolgt entweder mit einem stationären Patientenmonitor (im Fallbeispiel Philips IntelliVue Patientenmonitor Serie-MX800 und Philips IntelliVue Zentrale PIIC iX) mit in der Zentrale integriertem EKG-Übergabe Modul per File-Sharing Export in die Digitale Medizinische IT-Plattform (MedSAN) der Klinik oder einem speziellen mobilen EKG-Aufzeichnungsrekorder (Langzeit-Holter-EKG) (Abbildung 2).
Das EKG wird im MedSAN im BwKrhs Berlin standardisiert und konfektioniert verarbeitet – bei gleichzeitiger Pseudonymisierung und Verschlüsselung der Patientendaten (Datenschutzkonformität). Über ein digital gesichertes VPN-Gateway mit Cloud-Konnektor nach BSI-Standard über eine durch die BWI1 überwachte Cloudanbindung wird die EKG-Episode zum Dienstleister Apoplex Medical Technologies GmbH mit auf SRA spezialisierter EKG-Auswertung transferiert. Moderne KI-Algorithmen werten das EKG in der Cloud des Herstellers Apoplex Medical aus und senden eine verschlüsselte Befunddatei innerhalb weniger Minuten in ein dediziertes BWI-Mailpostfach der Neurologischen Klinik im BwKrhs Berlin zurück. Das Ergebnis der Analyse dient der klinischen Entscheidungsunterstützung im Kontext weiterer Diagnostikverfahren. Abbildung 3 zeigt die EKG-Ableitung für eine SRA am Fallbeispiel einer Patientenmonitoring Anlage mit einem MX850 Monitor, einer Patientenzentrale des Herstellers Philips versus einem Holter EKG, einem Gatewayserver im MedSAN und dem Transfer (Cloud as a Service Dienst mit Nutzung KI aus der Telekom Cloud des Herstellers Apoplex Medical Technologies GmbH) über einen VPN-Connect der BWI.
Digitale Umsetzung
Die digitale Umsetzung des Projektes erfolgt im Server-Client-Verfahren, in einem sogenannten medizinischen IT-Netzwerk. Dabei kommen folgende Komponenten zum Einsatz:
Server-Umgebung
- Krankenhausinformationsysstem (KIS)-Server (NEXUS-KVI)
- Interoperabilitätsserver (Philips-IOP)
- Datenserver (Philips IBE/Apoplex medical)
Client-Umgebung
- Zentralen-Umgebung (Patientenmonitoring)
- KIS-Arzt-Arbeitsplatzcomputer (APC) versus PACS2-APC (Medizinische APC)
Datensicherheit
Medizinische IT-Netzwerke mit vernetzten Medizinprodukten (EKG-Rekorder, Patientenmonitoring, Computer mit medizinischer Software usw.) müssen nach einer aktualisierten Norm: DIN ISO/IEC 80001–1:2022 vom Februar 2022 risikobetrachtet werden, um die Patientensicherheit und die Sicherheit der Patientendaten zu erhöhen.
Eine Herausforderung besteht darin, alle im Workflow eingesetzten Komponenten an die neuen Anforderungen für eine medizinische Interoperabiltität anzupassen. Dazu traten im Oktober 2021 neue Interoperabilitätsvorgaben mit der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung – GIGV, in Kraft [2]. Im Sinne dieser Verordnung versteht man die Einhaltung der Vorgaben zur interoperablen Datenverarbeitung medizinischer Daten mit dem Ziel, der Fähigkeit zur Zusammenarbeit verschiedener digitaler Systeme auf den Ebenen:
- Strukturelle Interoperabilität
- Syntaktische Interoperabilität
- Semantische Interoperabilität
- Organisatorische Interoperabilität
Die neuen Anforderungen an die GIGV machen es erforderlich, die medizinischen Daten in einen neuen Standard: FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) zu überführen, damit diese auch weiteren Gesundheitsanwendungen bereitgestellt werden können. Die Konfektionierung der Medizindaten erfolgt auf einer im MedSAN integrierten Interoperabilitätsplattform (IOP). Die gewonnenen Ergebnisdaten stehen weiteren medizinischen Plattformen (z. B. EKG-Befundplattform, Patientendatenmanagementsystem (PDMS) bei Verlegung auf die Intensivstation oder radiologische 3D-CT-Befundung) interoperabel zur Verfügung und werden in Zukunft zur Auswertung an ein digitales System zur klinischen Entscheidungsunterstützung CDSS (Clinical Decision Support System) weitergeleitet.
Blick in die nahe Zukunft
Weitere digitale Anwendungen verfolgen in Zukunft das Ziel, die Daten dem behandelnden Arzt auf Grundlage aller medizinischen Daten und dem Hintergrundwissen einer angeschlossenen wissenschaftlichen medizinischen Datenbank in der Art aufzubereiten, dass potenziell eine evidenzbasierte Behandlung mit individualisierter Patientenmedizin möglich wird [1]. Der „Kliniker“ würde eine digital generierte Behandlungsempfehlung auf Plausibilität prüfen und die weitere Behandlung individualisiert freigeben. Alle digitalen Daten könnten dann in einer elektronischen Patientenakte/Gesundheitsakte (ePA) zusammengeführt werden [7]. Die Daten für die ePA stehen für eine interdisziplinäre weitere Behandlung sowohl den klinikeigenen Mitarbeitern als auch nach der Entlassung des Patienten, dem Truppen- oder Hausarzt sowie den mitbehandelnden (auch externen) Fachärzten zur Verfügung. Die Daten können digital interoperabel über einen BWI-gematik3-Konnektor im BwKrhs Berlin der Telematikinfrastruktur (TI) der gematik verschlüsselt bereitgestellt werden. Absicht des Bundesgesundheitsministeriums ist es, dass die digitale Gesundheitsakte (EMR – Electronic Medical Record oder EHR – Electronic Health Record) des Krankenhauses in Kürze über eine Interoperabilitätsplattform (IOP) den nachbehandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt wird. Abbildung 4 stellt den kausalen Zusammenhang zwischen der weiteren Verwendung eines SRA-Befunds innerhalb eines CDSS und der Ablage in einem EMR/EHR dar.
Abb. 4: Bearbeitung eines SRA-Befundes mit einem CDSS und Bereitstellung über IOP
Fazit
Die Schlaganfall-Risiko-Analyse, die im BwKrhs Berlin und BwKrhs Ulm genutzt wird, ist ein modernes Verfahren mit KI-Unterstützung, das die Diagnostik von Patientinnen und Patienten in der Schlaganfallsekundärprävention unterstützt. Die SRA-Analyse kann entscheidend dazu beitragen, das individuelle Schlaganfallrisiko signifikant zu senken. Neben der Einführung cloudbasierter Auswerteverfahren müssen regulatorische Anforderungen (MPDG, MPBetreibV, DSGVO, BSI, B3S usw.) an alle im Prozess beteiligten Medizinprodukte erfüllt werden. Für die Nutzung von KI als Medizinprodukt hat die EU im April 2021 die Webseite: „Neue Vorschriften für künstliche Intelligenz – Fragen und Antworten“ veröffentlicht [4]. Darin kündigt sie an, KI in allen Branchen risikobasiert regulieren und die Einhaltung der Vorschriften überwachen (lassen) zu wollen [5]. Es bleibt abzuwarten, wie diese komplexe Überwachung praktisch anwendbar umgesetzt werden kann, insbesondere unter dem Blickwinkel, dass bereits unzählige Apps mit KI-Algorithmus zur Anwendung kommen.
Zusätzlich zu den ohnehin technisch aufwändigen Betriebsbedingungen für die dargestellte Anwendung der Schlaganfallprävention mittels SRA müssen bei Cloudanwendungen umfangreiche Vorgaben zur Einhaltung des Patientendatenschutzes nach der DSGVO und der Cybersecurity nach Vorgaben des BSI und in Zusammenarbeit mit der BWI umgesetzt werden. Die Verantwortung für den sicheren Betrieb moderner medizinischer Anwendungen liegt nach der MPBetreibV beim Betreiber des Bundeswehrkrankenhauses. Das Ergebnis der SRA-Analyse dient der klinischen Entscheidungsunterstützung, kann aber die ärztliche Diagnose und Therapieentscheidung (noch) nicht ersetzen. Das Ergebnis kann aber zu einer Therapieentscheidung herangezogen werden. Dort, wo jede Sekunde zählt, um dem Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, werden in Zukunft cloudbasierte Anwendungen den Kliniker in den Bundeswehrkrankenhäusern unterstützen. Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) im Fokus der Umsetzung moderner digitaler Projekte dient als Innovationstreiber, damit Krankenhäuser sich modernen digitalen Analyseverfahren öffnen können. Die Teilhabe der BwKrhs und der gesamten Gesundheitsversorgung in der Bundeswehr an der Digitalen Transformation des Gesundheitswesens ist essenziell für den Sanitätsdienst.
Literatur
- Bundesministerium für Gesundheit: Evidenzbasierte Medizin. , letzter Aufruf 12.Februar2023 mehr lesen
- Bundesministerium für Gesundheit: Interoperabilität 2.0 auf Basis der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung. , letzter Aufruf 23.Februar 2023 mehr lesen
- Deutsche Ärzteschaft: Ärzte sehen Verbesserungsbedarf bei Schlaganfallnachsorge. , letzter Aufruf 12.Februar 2023 mehr lesen
- Europäische Kommission: Neue Vorschriften für künstliche Intelligenz – Fragen und Antworten. , letzter Aufruf 23. Februar 2023 mehr lesen
- Europäische Kommission: Proposal for a Regulation laying down harmonised rules on artificial intelligence. EC 2021; , letzter Aufruf 23.Februar 2023 mehr lesen
- Neurologienetz: Schlaganfall Risikoanalyse., letzter Aufruf 23.Februar 2023 mehr lesen
- praktisch Arzt Magazin: ePA, So funktioniert die elektronische Patientenakte.< https://www.praktischarzt.de/magazin/epa-so-funktioniert-die-elektronische-patientenakte/>, letzter Aufruf 12. Februar 2023 mehr lesen
- Strahmeyer JT, Stubenrauch S, Geyer S, Weissenborn K, Eberhard S:Häufigkeit und Zeitpunkt von Rezidiven nach inzidenten Schlaganfall. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 711-717. mehr lesen
- Theis G: Schlaganfallprävention: Vorhofflimmern als Risikofaktor erkennen. Dtsch Arztebl 2009; 106(18): [26]. mehr lesen
- von Büdingen H, Teil M: Schlaganfall - Zahlen, Daten, Fakten. , letzter Aufruf 23.Februar 2023. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Stachulski F, Schönfeld J: Schlaganfall-Präventionunter Anwendung künstlicher Intelligenz. WWM 2023; 67(4): 137-142.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-116
Für die Verfasser
Medizinal Direktor Dr. med. Frank Stachulski
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik IX – Neurologie
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: frankstachulski@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Stachulski F, Schönfeld J: [Stroke prevention using artificial intelligence]. WWM 2023: 67(4): 137-142.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-116
For the Authors
Medicine Director Dr. med. Frank Stachulski
Bundeswehr Hospital Berlin
Department IX – Neurology
Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin
E-Mail: frankstachulski@bundeswehr.org
1 Der Betrieb der IT-Infrastruktur der Bundeswehr und auch der BwKrhs erfolgt durch das Bundeswehr-IT-Dienstleistungszentrum (BWI)
2 PACS = Picture Archiving and Communication System: Datenspeichersystem für Bilddaten, z. B. Röntgenbilder
3 Gematik = Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte GmbH