Auswirkungen von „Adipositas“ und „Arterieller Hypertonie“ auf die individuelle Verwendungsfähigkeit
Eine erste Betrachtung der AVU-IGF aus epidemiologischer Sicht auf dem Weg von analog zu digital
Impact of Obesity and Arterial Hypertension on Individual Operational Readiness
David Willemsa, Azad Ghasimib, Ulrich Rohdea, Ivonne Neuhoffc, Manuela Andrea Hoffmanna, b
a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Abteilung A, Koblenz
b Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Abteilung B, Andernach
c Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Unterabteilung A II, Koblenz
Zusammenfassung
Hintergrund: Für die Beurteilung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bilden Daten aus der „Allgemeinen Verwendungsfähigkeitsuntersuchung auf Individuelle Grundfertigkeiten“ (AVU-IGF) eine wertvolle Grundlage. Diese Daten sind wichtige, bislang nicht verfügbare Informationen für die militärische Leitungsebene. In dieser für alle Soldatinnen und Soldaten im 3-Jahres-Zyklus durchgeführten truppenärztlichen Begutachtung wird die gesundheitliche Eignung für die Teilnahme an den Überprüfungen der „Individuellen Grundfertigkeiten“ beurteilt. Eine avisierte Datenbank der AVU-IGF mit kontinuierlicher Datenakquise dient dabei als Proof of Concept für die Erstellung pseudonymisierter Gesundheitsregister, aus denen sich bedarfsgerechte Beiträge zur gesundheitlichen Lage ergeben können.
Erste Ergebnisse: Adipositas und arterielle Hypertonie haben einen signifikanten Einfluss auf die individuelle Leistungsfähigkeit von Menschen in der Arbeitswelt. Beim militärischen Personal der Bundeswehr konnten wir dies statistisch ebenfalls nachweisen. Mit Dienstsport und dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) in der Bundeswehr existieren bereits Möglichkeiten zum Erhalt und zur Förderung der körperlichen Gesundheit [1]. Soldatinnen und Soldaten können mindestens 4 Trainingseinheiten pro Woche Dienstsport treiben [2] sowie zweimal pro Woche an vielfältigen BGM-Maßnahmen freiwillig teilnehmen.
Die festgestellten negativen Gesundheitstrends scheinen mit diesen Angeboten nicht vollumfänglich kompensiert zu werden. Dies wird auch durch einen Vergleich mit Daten des Robert Koch-Institutes (RKI) für die zivile Bevölkerung bestätigt.
Fazit: Mit gezielten Präventionsmaßnahmen ist eine positive Einflussnahme auf die Gesundheit möglich. Aus den nun vorliegenden Daten lässt sich für die Bundeswehr Handlungsbedarf ableiten.
Schlüsselwörter: Adipositas, arterielle Hypertonie, Risikofaktoren, Prävention, Waist-to-Height-Ratio, AVU-IGF
Summary
Background: Data from the “General Fitness for Service Examination for Individual Basic Skills” (AVU-IGF) provide a valuable basis for assessing the operational capability of the Bundeswehr. Such information is cricial and has been previously unavailable for the military decision makers. This examination, which is carried out by a troop physician for all soldiers in a 3-year cycle, assesses health suitability for participation in the “Individual Basic Skills” examinations. An upcoming AVU-IGF database with continuous data acquisition serves as a proof of concept to establish a pseudonymized health register, from which demand-oriented contributions to the health situation can be derived.
Initial results: Obesity and arterial hypertension have a significant impact on the individual performance of people in the working world. We can provide statistical evidence of this in the military personnel of the Bundeswehr. The Bundeswehr already offers opportunities to maintain and promote physical health by means of service sports and occupational health management. Soldiers can take part in at least 4 training sessions per week of service sport and participate in a wide range of health management measures twice a week on a voluntary basis.
It seems that these opportunities can not fully counter the negative health trends identified. This is also confirmed by comparing with data from the Robert Koch Institute (RKI) for the civilian population.
Conclusion: With targeted preventive measures, a positive influence on health is possible. From the data now available, a need for action can be derived for the Bundeswehr.
Keywords: obesity; arterial hypertension; risk factors; prevention; waist-to-height-ratio; AVU-IGF
Hintergrund und Einleitung
Der Wandel der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten ist durch die Ausübung zunehmend sitzender Tätigkeiten bei abnehmender körperlicher Aktivität gekennzeichnet und wird in den nördlichen Ländern zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. In der Folge sehen sich auch die Streitkräfte in diesen Ländern mit entsprechenden Herausforderungen konfrontiert [4][8–13][15][16][18][21]. Eine der Grundvoraussetzungen für die Auftragserfüllung der Bundeswehr ist – auch vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen – eine adäquate individuelle Einsatzfähigkeit. Bislang gibt es jedoch keine umfassende Bewertung des Gesundheitszustandes der deutschen Soldatinnen und Soldaten.
Die umfangreichen Digitalisierungsprojekte des Sanitätsdienstes der Bundeswehr befinden sich noch in einer frühen Realisierungs- (z. B. IT-U RegSanEinr1) bzw. Planungsphase (HIMS-Health Information Management System/ HERAS-Health Evaluation Reporting & Analysis System). Die Erfassung, Aufbereitung und Auswertung dieser Gesundheitsdaten sind daher noch mit einem enormen Aufwand verbunden. Mit Blick auf die Auswertung bereitet die Heterogenität der Datensätze besondere Probleme. Die erwartete hohe Aussagekraft dieser Daten lässt es jedoch nicht zu, auf die Einsatzfähigkeit der oben genannten Technologien zu warten. Ziel muss es sein, möglichst frühzeitig aus den Daten zu lernen und entsprechende Maßnahmen einleiten zu können.
Mit der seit Januar 2019 in der Bundeswehr flächendeckend eingeführten AVU-IGF wird die gesundheitliche Eignung der Soldatinnen und Soldaten zur Teilnahme an den jährlich verpflichtenden Überprüfungen „IGF-Leistungen“ und „KLF-Leistungen“ (Körperliche Leistungsfähigkeit) truppenärztlich beurteilt. Zu den KLF-Leistungen gehören ein 6 km-Marsch mit 15 kg Gepäck, der Basis-Fitness-Test (BFT) und das Schwimmen/Kleiderschwimmen. Die IGF-Leistungen umfassen Schießen, ABC- und Sanitätsausbildung. Die im 3-Jahres-Turnus durchgeführte AVU-IGF ist keine Tauglichkeitsuntersuchung: Das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung „verwendungsfähig“ bedeutet lediglich die gesundheitliche Eignung zur Teilnahme an den genannten militärischen Teilleistungen. Es ist daher nicht möglich, aus dem Begutachtungsergebnis eine generelle Verwendungsfähigkeit abzuleiten .
Das Ziel der vorliegenden Publikation ist es, einen ersten Überblick über die Daten aus der AVU-IGF in ausgewählten Themenfeldern aus epidemiologischer Sicht zu geben und dabei die Limitationen in der Datenauswertung aufzuzeigen. Der Fokus dieser ersten Auswertung und Gegenüberstellung mit der zivilen Bevölkerung liegt auf den Themenfeldern „Adipositas“ und „Arterielle Hypertonie“. Zum Vergleich wird anhand der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des RKI ein Vergleich des Kollektivs „Bundeswehr“ mit der Zivilbevölkerung durchgeführt. Als aktuelle Alternative zum Body-Mass-Index wurde auch die Waist-to-Height-Ratio (WHtR) der Soldatinnen und Soldaten betrachtet. Diese biometrischen Daten wurden mit den Ergebnissen der medizinischen Begutachtung für die beiden KLF-Leistungen „Marsch mit 15 kg Gepäck“ und „Basis-Fitness-Test“ in Verbindung gebracht. Dies ermöglicht erstmals, den Gesundheitszustand der Bundeswehrangehörigen zu analysieren und zu bewerten.
Datengrundlage und Methodik
Grundlage der ausgewerteten Daten sind die von den regionalen Sanitätseinrichtungen an das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) übermittelten Untersuchungsbögen Bw-2070 mit Begutachtungsanlass AVU-IGF.
Aus dem angegebenen Alter wurde die jeweilige Altersklasse ermittelt (siehe Tabelle 1). Gemäß den Vorgaben der AVU-IGF [3] erfolgt die Begutachtung in der Regel ab dem 22. Lebensjahr. In der im Rahmen der Untersuchung analysierten Altersklasse „bis 29 Jahre“ sind jedoch auch Personen enthalten, die entgegen der Vorschrift bereits im Alter von 17 bis 22 Jahren begutachtet wurden. Eine Altersgruppe „65 Jahre und älter“ gibt es aufgrund der aktuellen Regelungen zum Pensionierungsalter nicht.
Frauen sind in der Bundeswehr erst seit 2001 in allen militärischen Bereichen zugelassen. Daher gibt es vergleichsweise wenige Frauen in den Altersgruppen ab 50 Jahren. Für die Begutachtung im Rahmen der AVU-IGF sind keine Kriterien zur Bewertung der erhobenen Befunde vorgegeben. Somit ist das Begutachtungsergebnis (teilweise) von der individuellen ärztlichen Expertise abhängig. Aus dem ärztlichen Urteil „verwendungsfähig“ kann nicht abgeleitet werden, ob die betreffende Person auch in der Lage sein wird, die jeweilige Teilleistung erfolgreich zu absolvieren.
Bei den Studien des RKI, über die in dieser Publikation berichtet wird, ist die Teilnahme der Probandinnen und Probanden auf freiwilliger Basis erfolgt. Die Responserate lag bei 21,6 % (N = 23 001) der Befragten für Adipositas [19] und bei 26,9 % (N = 23 967) für Bluthochdruck [17]. Die AVU-IGF ist dagegen eine duldungspflichtige Regelbegutachtung, deren Nichtteilnahme Konsequenzen nach sich zieht [3].
Zum Stichtag 31. Oktober 2022 wurden dem InstPrävMedBw insgesamt 59 658 Untersuchungsbögen mit Begutachtungsanlass AVU-IGF übermittelt. Werden alle Datensätze verworfen, bei denen die für die Auswertung erforderlichen Daten (Alter, Körpergröße, Gewicht, Bauchumfang, Blutdruckwerte (systolisch und diastolisch) sowie die Begutachtungsergebnisse für die Teilleistungen „Marschieren mit 15 kg Gepäck“ und „Basis Fitness-Test“) fehlen oder unplausible Angaben gemacht wurden, verbleiben 41 761 Datensätze für die Auswertung.
Die Begutachtung der AVU-IGF erfolgt alle drei Jahre. Die erhobene Stichprobe kann daher als Clusterstichprobe betrachtet werden. Die Repräsentativität der Stichprobe für die gesamte Bundeswehr ist eingeschränkt, da nicht alle Soldatinnen und Soldaten eines Clusters begutachtet wurden. Die Abweichungen zwischen der Zahl der eingegangenen Vordrucke Bw-2070 mit Begutachtungsauftrag „AVU-IGF“, der Zahl der durchgeführten Begutachtungen und der Zahl der erwarteten Begutachtungen sind seitens InstPrävMedBw nicht nachvollziehbar.
Die statistische Auswertung der vorliegenden Daten erfolgte deskriptiv und im Rahmen einer interferenzstatistischen Analyse. Diese wurden mit R (R 4.2.1 – „Funny looking kid“, R Core Team, 2022. R Foundation for Statistical Computing, Wien, Österreich. Verwendete Pakete: tidyverse, rcompanion) durchgeführt. Die Analyse des Zusammenhangs zwischen den ausgewerteten Bereichen erfolgt mittels Kontingenztafeln. Der Zusammenhang wird mit Chi2-Tests ermittelt. Die Effektstärke wird mit Cohens w beurteilt. Alle p-Werte sind zweiseitig, zudem wurde ein Signifikanzniveau von α = 5 % verwendet.
Ergebnisse
Insgesamt liegen die Daten von 4 312 (10,3 %) Soldatinnen und 37 449 (89,7 %) Soldaten vor. Das Verhältnis im gesamten militärischen Personalkörper im Jahr 2022 war 13,2 % Soldatinnen und 86,8 % Soldaten [6]. Die Altersspanne der Stichprobe reichte von 17 bis 62 Jahren. Die Verteilung der Altersklassen ist in Tabelle 1 zusammengefasst.
Der Mittelwert für das Alter lag bei 34,1 ± 8,6 Jahren (Soldatinnen 31,0 ± 6,7 Jahre, Soldaten 34,4 ± 8,7 Jahre), der Median bei 33 Jahren (Soldatinnen 31 Jahre, Soldaten 33 Jahre). In den vorliegenden Daten gehören 13 273 Soldatinnen und Soldaten (31,8 %) zur Statusgruppe der Berufssoldaten, 28 488 (68,2 %) sind Zeitsoldaten. Im Jahr 2022 lag das Verhältnis in der gesamten Bundeswehr bei 30,9 % Berufssoldaten und 63,9 % Zeitsoldaten [6].
Adipositas
Gemäß Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beginnt Adipositas ab einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2 [23]. Dieser Grundlage folgt auch das RKI in seinem Gesundheitsmonitoring im Rahmen der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA 2019/2020-EHIS) [14][19]. Hierbei handelt es sich um eine qualitative Erhebung im Rahmen einer Befragung der Probanden. Im Ergebnis dieser Studie ist festzuhalten, dass 19 % der Erwachsenen in Deutschland (Prävalenz: 19 % bei Männern, 19 % bei Frauen) adipös sind.
Aus den dem InstPrävMedBw vorliegenden Daten der AVU-IGF ergibt sich, dass 17,1 % der Soldatinnen und Soldaten einen BMI von über 30 kg/m2 haben. Die Prävalenz bei den Soldatinnen beträgt 8,8 % und bei den Soldaten 18,1 %. Eine Aufschlüsselung der Daten nach Geschlecht und Altersgruppen ist in Abbildung 2 dargestellt.
Abb. 2: Anteil von Soldatinnen und Soldaten mit Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) in in den entsprechenden Altersbändern in der Bundeswehr
Auffallend ist der hohe Anteil von Soldaten mit Adipositas im Altersband bis 29 Jahre. Während gemäß den Daten des RKI 9,3 % der Männer (95 %-KI [7][2%–12][1%]) in dieser Altersklasse adipös sind, beträgt der Anteil innerhalb der Bundeswehr 14,3 %. In den restlichen Altersgruppen sind die Prävalenzwerte für Soldaten mit denen aus der GEDA-Studie vergleichbar (18,7 % für die Altersgruppe 30–44 Jahre 95 %-KI [16][3%-21][5%], 23,8 % für die Altersgruppe 45–64 Jahre 95 %-KI [21][7%–26][0%]).
Die Adipositas-Prävalenz der Soldatinnen ist in allen ausgewerteten Altersgruppen deutlich unter denen der vom RKI ermittelten Werte für die zivile Bevölkerung (10,0 % für die Altersgruppe 18–29 Jahre 95 %-KI [7][2%–13][2%], 14,6 % für die Altersgruppe 30–44 Jahre 95 %-KI [12][4%–16][9%] und 22,9 % für die Altersgruppe 45–64 Jahre 95 %-KI [21][1%–24][8%]).
Waist-to-Height-Ratio
Waist-to-Height-Ratio (WHtR) ist das Verhältnis aus Taillenumfang und Körpergröße (Abbildung 3). Gemäß Schneider et al. erlaubt WHtR im Gegensatz zum BMI bessere Aussagen zur Verteilung des Körperfettes und ist damit ein besserer Prädiktor für kardiovaskuläre Risiken [20]. Da WHtR mit Ausnahme der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KIGGS, [5]) in den anderen großen Studien des RKI noch nicht verwendet wird, kann hier kein Vergleich zum Zivilen gezogen werden.
Abb. 3: Meßmethode der Waist-to-Height-Ratio in der Praxis, hier Bestimmung des Taillenumfangs (Bild: Bundeswehr /Michael Demuss)
Betrachtet man die gängigen, altersabhängigen Grenzwerte für die WHtR, so ergibt sich für die Bundeswehr, dass 41,5 % der Soldatinnen und Soldaten den von ihrem Alter (zum Zeitpunkt der Messung) abhängigen Grenzwert überschreiten. Der Anteil bei den Soldatinnen beträgt 26,0 % und bei den Soldaten 43,3 %.
Eine Aufschlüsselung der Daten nach Geschlecht und Altersgruppen ist in Abbildung 4 dargestellt.
Abb. 4: Anteil von Soldatinnen und Soldaten in den entsprechenden Altersbändern in der Bundeswehr, deren WHtR den altersabhängigen kritischen Wert übersteigt. Dabei wurden die kritischen WHtR Werte für jedes im Altersband enthaltenen Jahre berücksichtigt.
Die Auswertung zeigt im Vergleich zu den BMI-Ergebnissen zunächst ein schlechteres Gesundheitsbild der Bundeswehr auf. Allerdings ist dies differenzierter zu betrachten.
Betrachtet man die Abweichungen zwischen den gemessenen WHtR-Werten und den korrespondierenden altersabhängigen Grenzwerten, so ergibt sich, dass in der Gruppe der 30 bis 44-jährigen Soldaten der kritische Wert im Mittel um 0,0113 ± 0,0541 Punkte (Median: 0,01 Punkte) überschritten wird. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in der Gruppe der 45- bis 64-jährigen Männer der kritische Wert im Mittel um 0,0473 ± 0,0597 Punkte (Median: -0,05) unterschritten wird.
Die Soldatinnen unterschreiten den Schwellwert in allen Gruppen deutlich (18–29 Jahre: -0,0287 ± 0,0543, 30–44 Jahre: -0,0161 ± 0,0584 sowie die Altersgruppe von 45–64 Jahre: -0,0669 ± 0,0691).
Arterielle Hypertonie
Arterielle Hypertonie gehört zu den wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die sich wiederum auf die körperliche Fitness und die individuelle Verwendungsfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten auswirken.
Gemäß der Definition europäischer Fachgesellschaften [7][22] sowie der WHO [24] liegt arterielle Hypertonie ab einem Blutdruckwert von dauerhaft über 140 mmHg systolisch oder 90 mmHg diastolisch vor. Dieser Definition folgt das RKI in seiner Auswertung der Studie GEDA 2014/2015-EHIS [17], in der die 12-Monats-Prävalenz von Bluthochdruck in der deutschen Bevölkerung mittels einer Befragung bestimmt wurde.
Nach Angabe der durch das RKI Befragten wurde bei fast jedem dritten Erwachsenen (31,8 % der Gesamtbevölkerung, 30,9 % der Frauen, 32,8 % der Männer) im vergangenen Jahr Bluthochdruck ärztlich diagnostiziert. Wie bereits beschrieben, ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den Zahlen des RKI um Daten von freiwilligen Probandinnen und Probanden handelt, wohingegen die AVU-IGF eine duldungspflichtige Regelbegutachtung ist. Zudem ist die Schiefheit der Geschlechtsverteilung in der Bundeswehr (10,3 % Soldatinnen und 89,7 % Soldaten im Vergleich zu 54,7 % Frauen und 45,3 % Männer beim RKI) zu berücksichtigen. Somit kann davon ausgegangen werden, dass aus diesem Grund die Prävalenz bei den Soldaten größer sein wird.
Aus den Daten der AVU-IGF ergibt sich, dass die Prävalenz für Bluthochdruck bei allen im Betrachtungszeitraum begutachteten Soldatinnen und Soldaten bei 26,4 % liegt. Diese gliedert sich in eine Prävalenz von 11,3 % bei den Soldatinnen und 30,2 % bei den Soldaten auf.
Eine Aufschlüsselung der Daten nach Geschlecht und Altersgruppen ist in Abbildung 5 dargestellt.
Abb. 5: Anteil von Soldatinnen und Soldaten mit Bluthochdruck (systolischer Blutdruck ≥140 mmHg oder diastolischer Blutdruck ≥90 mmHg) in den entsprechenden Altersbändern in der Bundeswehr
Bei den Soldatinnen in der Altersklasse 18–29 Jahre beträgt die Prävalenz 10,2 %, wohingegen sie im zivilen Vergleichskollektiv lediglich 4,2 % beträgt. Die Prävalenz in der Altersgruppe von 30–44 Jahren ist ähnlich zur zivilen Population, deren Prävalenz 9,0 % beträgt. In der Gruppe der 45–64-jährigen Soldatinnen liegt die Prävalenz mit 22,6 % deutlich unter den 31,6 % im zivilen Bereich.
Bemerkenswert ist der große Unterschied zwischen Männern und Frauen. Im Vergleich zur zivilen Bevölkerung fällt auf, dass die Prävalenz bei den Soldaten in allen Altersgruppen über der Prävalenz der Gesamtbevölkerung (18–29 Jahre: 4,4 %, 30–44 Jahre: 14,5 %, 45–64 Jahre: 38,3 %) liegt.
Diskussion
Auswirkungen auf die individuelle Verwendungsfähigkeit
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist unter anderem von der Fitness (Veranlagung, Training sowie Ernährung) abhängig. In dieser Arbeit wird der Zusammenhang von Adipositas bzw. arterieller Hypertonie auf die körperliche Leistungsfähigkeit betrachtet.
Hierzu wurden die statistischen Zusammenhänge zwischen Adipositas bzw. arterieller Hypertonie und den Ergebnissen der Begutachtung der Teilleistungen „Marsch mit 15 kg Gepäck“ und „BFT“ mittels Chi-Quadrat Test untersucht. Die Effektstärke des Zusammenhangs wird mit Cohens w beurteilt. Gemäß üblichen Konventionen wird der Wert der Effektstärke 0,1 als klein, 0,3 als mittel und 0,5 als groß angesehen.
Es ist zu beachten, dass lediglich die statistischen Zusammenhänge untersucht wurden. Diese erlauben keine Aussagen über kausale Zusammenhänge. Hierzu wären weitere Befunde und Diagnosen, welche jedoch im Rahmen der AVU-IGF nicht dokumentiert werden, zu berücksichtigen.
Es wurden lediglich die beiden ärztlichen Urteile „verwendungsfähig“ und „nicht verwendungsfähig“ für die beiden Teilleistungen betrachtet, da im Falle des Urteils „vorrübergehend nicht verwendungsfähig“ keine Aussage zu den Gründen oder zur Dauer der temporären Einschränkung getroffen wird.
Marsch mit 15 kg Gepäck
Für den Marsch wurden 91,0 % (n = 37 988) der Soldatinnen und Soldaten als „verwendungsfähig“, die verbleibenden 9,0 % (n = 3 773) wurden entsprechend als „nicht verwendungsfähig“ beurteilt (Abbildung 6).
Abb. 6: Die Teilnahme am Marsch ist eine Verpflichtung (Bild: Bundeswehr/Björn Wilke)
Von den 7 139 Personen mit Adipositas wurden 6 031 als „verwendungsfähig“ beurteilt, die restlichen 1 108 Personen erhielten das Begutachtungsurteil „nicht verwendungsfähig“. Daraus ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang mit geringer Effektstärke zwischen Adipositas und dem ärztlichen Urteil für die Teilleistung Marsch (X2 = 439.78, p < 2.2e-16, Cohens w = 0.1027).
Von den 11 038 Personen mit arterieller Hypertonie wurden 9 657 als „verwendungsfähig“ beurteilt, die restlichen 1 381 Personen erhielten das Begutachtungsurteil „nicht verwendungsfähig“. Daraus ergibt sich zwar ein signifikanter Zusammenhang zwischen arterieller Hypertonie und dem ärztlichen Urteil für die Teilleistung Marsch (X2 = 220.08, p < 2.2e-16, Cohens w = 0.0727), die Effektstärke ist jedoch als sehr gering anzusehen.
Basis-Fitness-Test
Für den Basis-Fitness-Test wurden 90,6 % (n = 37 842) Soldatinnen und Soldaten als „verwendungsfähig“, die verbleibenden 9,4 % (n = 3 919) wurden entsprechend als „nicht verwendungsfähig“ beurteilt.
Von den 7 139 Personen mit Adipositas wurden 5 968 als „verwendungsfähig“ beurteilt, die restlichen 1 171 Personen erhielten das Begutachtungsurteil „nicht verwendungsfähig“. Daraus ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang mit geringer Effektstärke zwischen Adipositas und dem ärztlichen Urteil für die Teilleistung BFT (X2 = 497.82, p < 2.2e-16, Cohens w = 0.1093).
Von den 11 038 Personen mit arterieller Hypertonie wurden 9 582 als „verwendungsfähig“ beurteilt, die restlichen 1 456 Personen erhielten das Begutachtungsurteil „nicht verwendungsfähig“. Daraus ergibt sich zwar ein signifikanter Zusammenhang zwischen arterieller Hypertonie und dem ärztlichen Urteil für die Teilleistung BFT (X2 = 255.03, p < 2.2e-16, Cohens w = 0.0782), die Effektstärke ist jedoch als sehr gering anzusehen.
Fazit
Die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten als Bürgerinnen und Bürger in Uniform hinsichtlich „Adipositas“ und „Arterieller Hypertonie“ ähnelt dem Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung. Dies verwundert nicht, da die Herausforderungen der Arbeitswelt und die gesundheitlichen Auswirkungen einer modernen Gesellschaft einen so großen und vielfältig aufgestellten Arbeitgeber wie die Bundeswehr naturgemäß nicht unberührt lassen [18].
Eine differenzierte Datenbetrachtung zeigt jedoch, dass es in den betrachteten Themenkomplexen Bereiche gibt, in denen Bundeswehrangehörige „gesünder“ sind als das zivile Vergleichskollektiv. Gleichzeitig wird in anderen Bereichen Handlungsbedarf deutlich.
Auffällig ist der hohe Anteil adipöser Soldaten in der Altersgruppe bis 29 Jahre. In den übrigen Altersgruppen sind die entsprechenden Prävalenzen für Soldaten mit denen der zivilen Bevölkerung auf vergleichbarem Niveau. Die Prävalenzen für Soldatinnen sind in allen ausgewerteten Altersgruppen deutlich niedriger als die Werte, die das RKI für die Zivilbevölkerung ermittelt hat.
WHtR erlaubt im Vergleich zum BMI eine strengere Bewertung des kardiovaskulären Risikos durch Übergewicht. Auf den ersten Blick vermitteln die Daten ein schlechtes Bild über den Gesundheitszustand der Soldatinnen und Soldaten. Bei einer differenzierten Betrachtung zeigt sich, dass die Soldatinnen in allen Altersgruppen und die Soldaten in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen unter dem kritischen Grenzwert liegen und die Soldaten in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen über dem kritischen Grenzwert liegen.
Die Prävalenz für arterielle Hypertonie im begutachteten Kollektiv der Bundeswehr beträgt 26,4 % (Soldatinnen: 11,3 %, Soldaten: 30,2 %). Dem gegenüber steht eine Gesamtprävalenz von 31,8 % (Frauen: 30,9 %, Männer: 32,8 %) in der deutschen Zivilbevölkerung. Insofern liegen die Prävalenzwerte der Bundeswehr unter den entsprechenden Werten der Bevölkerung.
Statistische Tests zeigen einen signifikanten Zusammenhang von Adipositas bzw. arterieller Hypertonie auf die individuelle Verwendungsfähigkeit in den Teilleistungen „Marsch mit 15 kg Gepäck“ und „Basis-Fitness-Test“.
Die ermittelten Ergebnisse lassen somit trotz vorhandener Präventionsmöglichkeiten (z. B. BGM oder Dienstsport) negative Auswirkungen auf die individuelle Verwendungsfähigkeit vermuten. Dies zeigt, dass bereits heute Handlungsbedarf besteht.
Dazu gehört die Stärkung der Primärprävention innerhalb und außerhalb des Dienstes. Zielgruppengerechte Maßnahmen helfen, die Aktivierungsquote in der Bundeswehr zu erhöhen. Im Bereich der Sekundärprävention werden durch die AVU-IGF erstmals wichtige Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gewonnen. Darüber hinaus ist die präventivmedizinische AVU-IGF eine geeignete Datenquelle, um pseudonymisierte Gesundheitsregister in der Bundeswehr aufzubauen, mit denen Trends frühzeitig erkannt werden können. Eine zielgruppengerechte Tertiärprävention in Form von kurativen Patientenschulungen, z. B. im Rahmen des BGM-Angebotes, kann helfen, einer weiteren Chronifizierung entgegenzuwirken.
Durch eine Verstetigung der AVU-IGF als Regelbegutachtung steht damit erstmals ein Tool zur Verfügung, um Gesundheits- und Leistungstrends in der Bundeswehr sichtbar zu machen und so gegebenenfalls bei negativen Trends den anstehenden und zukünftigen Herausforderungen frühzeitig begegnen zu können.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Willems D, Ghasimi A, Rohde U, Neuhoff I, Hoffmann MA: Auswirkungen von „Adipositas“ und „Arterieller Hypertonie“ auf die individuelle Verwendungsfähigkeit. Eine erste Betrachtung der AVU-IGF aus epidemiologischer Sicht auf dem Weg von analog zu digital. WMM 2023; 67(4): 110-116.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-119
Für die Verfasser
Oberfeldarzt
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Manuela Andrea Hoffmann
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Aktienstrasse 87, 56626 Andernach
E-Mail: instpraevmedbwleiter@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Willems D, Ghasimi A, Rohde U, Neuhoff I, Hoffmann MA: [Impact of Obesity and Arterial Hypertension on Individual Operational Readiness]. WMM 2023; 67(4): 110-116.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-119
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC)
Associate Professor Dr. med. habil. Manuela Andrea Hoffmann
Bundeswehr Institute for Preventive Medicine
Aktienstrasse 87, D-56626 Andernach
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