Zur Wirksamkeit einer adjuvanten patientenzentrierten Prozessbegleitung (APP) zur beruflichen Wiedereingliederung von Patienten1 der psychiatrischen Klinik des Bundeswehrkrankenhauses Berlin
Effectiveness of Adjuvant Patient-Centered Process Support (APP) for the Professional Reintegration of Patients of Department VI (Psychiatry) of the Bundeswehr Hospital Berlin
Sonja Heinricha, Rene Giesenb, Franziska Langnera, Peter Zimmermanna, Gerd Willmunda, Kai Köhlera
1 In dieser Arbeit wird im Sinne der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, das stellvertretend für alle Geschlechter steht.
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
b Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, Sachgebiet VII 1.4.2 – Sozialarbeit, Sankt Augustin
Zusammenfassung
Speziell für Patienten mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen ist eine rehabilitative Nachsorge unmittelbar nach einem (teil)-stationären Aufenthalt von Bedeutung, da diese in besonderer Weise mit langfristigen erwerbsbezogenen Teilhabestörungen verbunden sind. Die Zielstellungen einer psychotherapeutischen (teil)-stationären Rehabilitation werden während des Aufenthalts nicht abgeschlossen, sondern oft erst begonnen. Patienten haben nach der Entlassung Schwierigkeiten, das Erlernte im Alltag umzusetzen. Eine stabile Verankerung des Gelernten in die Gewohnheit ist zumeist ein längerer Prozess, der auch nach der medizinischen Rehabilitation psychosozial weitergestaltet und begleitet werden sollte. Dies kann im Rahmen einer psychosozialen Prozessbegleitung mithilfe einer ergänzenden Erarbeitung von Lösungsansätzen für die individuellen berufsbezogenen und sozialrechtlichen Problemsituationen, Motivierung, Begleitung und Anleitung bzw. Unterstützung der Rehabilitanden bei ihrer Wiedereingliederung in das Arbeitsleben/den Dienstbetrieb ein zentrales Thema sein.
Das Forschungsvorhaben der nachsorgenden Intervention der adjuvanten patientenzentrierten Prozessbegleitung zur beruflichen Wiedereingliederung (APP) trägt dazu bei, eine mögliche poststationäre Versorgungs- und Betreuungslücke zu schließen und Patienten unter Einbezug ihrer Angehörigen in dieser kritischen Phase wöchentlich online zu begleiten. Der Transfer von therapeutischen Lernerfahrungen wird in den sozialen, familiären und beruflichen Alltag der Patienten für die Dauer von drei Monaten unterstützt und begleitet. Das Risiko, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, soll reduziert werden. Im Projekt wird geprüft, inwieweit nachhaltigere Ergebnisse insbesondere im Prozess der beruflichen Wiedereingliederung erreicht werden und wie sich dies auf die Beschwerdelast, Lebenszufriedenheit und den soldatischen Alltag auswirkt.
Schlüsselworte: Psychiatrie, poststationär, Nachsorge, Prozessbegleitung, Forschungsvorhaben
Summary
Especially for patients with mental and psychosomatic disorders, rehabilitative care immediately after inpatient (ward or day clinic) treatment is of great importance, in particular, as these disorders are associated with long-term employment-related participation problems. Mostly the rehabilitation process is not completed during a psychotherapeutic inpatient or day clinic treatment. After discharge, patients often have difficulties in applying what they have learned in their everyday lives. A stable implementation of new behavior usually takes much longer and should be shaped and accompanied professionally.
In the context of psychosocial process support, developing problem-solving approaches for individual occupational and socio-legal problems could be a core issue. Furthermore, this support could help regarding motivation, accompaniment, and patient´s guiding, thereby optimizing their reintegration into the workplace.
The research project of adjuvant patient-centered process support for professional reintegration (APP) contributes to closing a possible support gap by providing weekly online support to patients and their relatives in this critical phase (voluntarily). The transfer of new behavioral strategies from the clinical treatment into everyday life is to be supported for three months. This could reduce the risks of falling back into old behavioral patterns. The project will examine the long-term effects, especially in occupational reintegration, and the impact on specific psychiatric symptoms and the quality of life.
Keywords: psychiatry; rehabilitation; aftercare; process support, research project
Einleitung
Psychisch Erkrankte beanspruchen in der truppenärztlichen Versorgung nach stationärer Behandlung besondere Aufmerksamkeit. Aspekte wie die medikamentöse und ambulante psychotherapeutische Weiterbetreuung, Verwendungsfähigkeit im militärischen Alltag und dienstliche Wiedereingliederung, Management der Restsymptomatik bis hin zum Erkennen von suizidalen Krisen erfordern regelmäßige Kontakte mit den Betroffenen. Im Einzelfall ist aufwändige und zeitbindende Kommunikation mit den Kliniken, ambulant Versorgenden bis hin zu Dienstleistern wie Sozialdienst, Seelsorge und Truppenpsychologie oder Vorgesetzten notwendig.
Aus Sicht der Erkrankten in der Bundeswehr ist der Übergang von der stationären Versorgung in die ambulante Versorgung für die Betroffenen trotz vorbereitenden Gesprächen und Entlassungsplänen mit Ängsten, Unsicherheit und Überforderungserleben verbunden. Von Vorteil für die Soldaten ist es zweifellos, dass die truppenärztliche Versorgung mit der Wiedervorstellung nach einem Klinikaufenthalt als erster Pflichttermin nahtlos gewährleistet ist. Psychische Erkrankungen sind nach einem Klinikaufenthalt allerdings meist nicht in Gänze remittiert, sondern führen häufig dazu, dass die Betroffenen Schwierigkeiten entwickeln, notwendige Verhaltensmodifikationen umzusetzen. Trotz Restsymptomatik müssen direkt nach Entlassung die Behandlungsempfehlungen fortgesetzt, Psychotherapieplätze eigenständig gesucht, Gespräche mit Vorgesetzten und Truppenärzten koordiniert und die dienstliche Wiedereingliederung vorbereitet werden. Den Betroffenen fehlt dazu häufig die notwendige Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, sie fühlen sich mitunter allein gelassen und überfordert.
Aus psychiatrischer und sozialdienstlicher Sicht sind Optimierungen und Weiterentwicklungen des Entlassungsprozesses und des ambulanten Übergangs jedoch besonders erfolgsversprechend, Langzeiterkrankungen und lange Dienstunfähigkeitszeiten zu verringern.
Ziel unseres hier dargestellten Projektes ist es, die Adhärenz der Erkrankten mit spezifischen poststationär-begleitenden Maßnahmen zu fördern. Um entsprechende Interventionen im Militär zu entwickeln, ist zuvor der Blick in die Versorgung der gesetzlich Versicherten lohnenswert. Gerade im zivilen Kontext wurde auf Betreiben der Deutschen Rentenversicherung dieser bekannten Schnittstellenproblematik zwischen stationärer und ambulanter Versorgung mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket begegnet, um Langzeitverläufe und Frühberentungen zu reduzieren.
Situation im Bereich der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter
Im Folgenden werden im Bereich der gesetzlich Krankenversicherten in Bezug auf den Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung psychisch Erkrankter gewonnene Erkenntnisse umrissen.
Psychisch Erkrankte sind im stationär-ambulanten Übergang mit der Umsetzung des Krankheitsmanagements häufig überfordert.
Wirksamkeitsanalysen bei gesetzlich Versicherten zeigen, dass die positiven Effekte der medizinischen Rehabilitation nicht bei allen Patienten dauerhaft stabil bleiben. Sie sehen eine Ursache der Schnittstellenproblematik darin, dass „Patienten am Ende ihres stationären Reha-Aufenthaltes vor der Schwierigkeit stehen, sich im Dickicht psychosozialer Hilfsangebote zurechtfinden zu müssen“ [11]. Erkrankte wenden das in der Klinik neu erworbene Verhalten nicht zwingend auch zu Hause an, da die ambulante psychotherapeutische Nachbetreuung fehlt [1].
Für den Langzeiterfolg einer Therapie ist es aber unerlässlich, dass Patienten die in der Behandlung erworbenen Techniken und Fähigkeiten anwenden, um Rückfälle zu reduzieren. Wenn Kliniken weit vom Wohnort entfernt sind oder vor Ort weder ein ambulantes Nachsorgeangebot noch eine Ansprechperson verfügbar sind, bedingt eine mangelnde Betreuung ein schnelleres Nachlassen der Therapiewirkung [19]. Eine strukturierte Vorbereitung auf den Alltag bereits während des Klinikaufenthalts trägt dazu bei, das psychische und körperliche Wohlbefinden zu stabilisieren und die Therapiewirkung zu verlängern. So bietet die Deutsche Rentenversicherung Bund ihren Versicherten die Rehabilitationsnachsorge bei psychischen Erkrankungen „Psy-RENA“ an [4][5].
Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf Trainingsmaßnahmen für Veränderungen des Verhaltens und Lebensstils sowie auf Hilfen bei der beruflichen Wiedereingliederung.
Um den durch in der medizinischen Rehabilitation erreichten Erfolg weiter zu verbessern und nachhaltig zu sichern, werden im Anschluss an eine stationäre oder ganztägig ambulante medizinische Rehabilitation bestimmte Leistungen wie gesundheitsbezogene Verhaltens- und Lebensstiländerungen, die Entwicklung eines adäquaten Umgangs mit der Erkrankung sowie Verhaltens- und Erlebensänderungen im Erwerbskontext angeboten. In der Nachsorgephase werden entsprechend des Rahmenkonzepts zur Reha-Nachsorge der Deutschen Rentenversicherung insbesondere Eigenaktivitäten gefördert und damit die in der Rehabilitation geweckten Selbsthilfepotenziale gestärkt [3]. Für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen ist die Reha-Nachsorge von besonderer Bedeutung, da diese häufig mit langfristigen erwerbsbezogenen Teilhabestörungen verbunden sind. Das zeigen die hohen Arbeitsunfähigkeitszahlen und -zeiten sowie die hohe Rate an Erwerbsminderungsrenten wegen dieser Erkrankungen.
Die Umsetzung langfristiger Verhaltens- und Erlebensänderungen hat bei psychisch Erkrankten eine herausragende Bedeutung für deren Teilhabe am Erwerbsleben [3]. Während der vorausgehenden Leistung zur medizinischen Rehabilitation können diese langfristigen teilhabebezogenen Veränderungen aber oft nur angestoßen werden. Die stabile Verankerung des Gelernten in die alltäglichen Lebensbezüge ist meist ein längerer Prozess, der auch nach der Reha-Maßnahme weitergestaltet und psychosozial begleitet werden muss. Außerdem fehlen in den Rehabilitationseinrichtungen nicht selten die Möglichkeiten zur praktischen Erprobung und Festigung neuer Fertigkeiten im Alltagskontext, im Lebensumfeld und im realen Erwerbsleben. Dieser Prozess ist bei psychisch Erkrankten zur Stabilisierung des Rehabilitationserfolgs häufig erforderlich und bedarf einer nachsorgenden Begleitung, um eine Rückkehr zu problematischen Verhaltens- und Erlebensweisen zu verhindern. Die Bedeutung von Reha-Nachsorge für den Langzeiterfolg der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Bereich Psychosomatik wurde durch die Deutsche Rentenversicherung evaluiert und wissenschaftlich belegt [4].
Schnittstellen- und Umsetzungsprobleme zur beruflichen Rehabilitation treten bei 50 % der stationär behandelten Sozialversicherten auf.
Nach einer stationären Reha-Maßnahme entstehen häufig auch Schwierigkeiten an der Schnittstelle zur beruflichen Rehabilitation (Umschulung, Veränderung der Arbeitsplatzbedingungen bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit) sowie bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach Arbeitslosigkeit bzw. nach langer Arbeitsunfähigkeit [2]. Im Durchschnitt wird 10 % der Sozialversicherten nach stationären Rehabilitationsleistungen eine stufenweise Wiedereingliederung empfohlen, von denen wiederum bis zu 10 % eine Empfehlung zur Teilhabe zum Arbeitsleben erhalten [21]. Allerdings ist eine Umsetzung der Empfehlungen oft schwierig [16]. In diesem Zusammenhang wurde ein Nicht-Umsetzungsanteil von 50 Prozent bei Wiedereingliederungen festgestellt, Umschulungen werden in 90 Prozent der Fälle nicht umgesetzt. Bei der Analyse der Empfehlungen und ihrer Umsetzung nennen Rentenversicherte hierfür häufig „Zeitmangel“, „kein Schwung“, „Überforderung“ und eine „unklare Finanzierung“ als Gründe. Eine zentrale Aufgabe der psychosomatischen Nachsorge sollte also sein, die Rehabilitanden vor dem Hintergrund der festgestellten Leistungsfähigkeit bei der Wiedereingliederung in das Berufsleben zu betreuen und zu unterstützen, um so langfristig die Arbeitsfähigkeit zu sichern [12].
Situation im Bereich der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung
Soldaten der Bundeswehr haben Anspruch auf Heilfürsorge in Form der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung. Anders als im zivilen Bereich mit heterogenen Zuständigkeiten (Rentenversicherung, Krankenkasse Agentur für Arbeit, Sozialamt, Arbeitgeber usw.) sind alle Ansprechpartner (Medizinischer Dienst, Sozialdienst, Seelsorge, Vorgesetzte usw.) Angehörige derselben Organisation. Dennoch gibt es in Bezug auf die Nachsorge nach (teil-)stationärer psychiatrischer Behandlung dringenden Optimierungsbedarf.
Mehr als 80 % der eingeleiteten militärischen Dienstunfähigkeitsverfahren sind psychiatrisch begründet.
Auch bei psychisch erkrankten Soldaten kann bei langwierigen Behandlungsverläufen die fehlende Wiederaufnahme des Dienstes den Gesundungsprozess beeinflussen. Trotz neuer bzw. ergänzender Vorschriften stellt der Rehabilitationsprozess komplexer Patientenfälle im Bereich der somatischen, psychosomatischen und psychischen Leiden die Erkrankten selbst, deren Angehörige, die Vorgesetzten in den Dienststellen, den Sozialdienst und die zuständigen Behandelnden wie Truppenärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten vor große Herausforderungen.
Die Begleitung der möglichst raschen Wiedereingliederung in den Dienst hat dabei eine besondere Bedeutung. Mehr als 80 % der Diagnosen, die zu der Einleitung eines Dienstunfähigkeitsverfahrens führen, sind im psychiatrischen Bereich begründet. Unabhängig davon wurden im Jahr 2021 3 832 Krankheitsfälle mit einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als 42 Tagen (2,7 % aller Krankheitsfälle) und 295 Krankheitsfälle mit als 180 bis 365 Tagen identifiziert.
Bezüglich der besonderen Gruppe der Einsatzgeschädigten wird im Bericht der Wehrbeauftragten vom Dezember 2021 [2] aufgeführt, dass die Zentrale Ansprech-, Leit- und Koordinierungsstelle (ZALK) für Menschen, die unter Einsatzfolgen leiden, 1 581 Vorgänge bearbeitet. Hiervon betrafen 546 Fälle das Antragsverfahren zur Aufnahme in die Schutzzeit beziehungsweise zur Einstellung in ein Wehrdienstverhältnis besonderer Art. 1 035 Soldaten befanden sich in der Schutzzeit, 547 davon in einem Wehrdienstverhältnis besonderer Art. Die Dauer des Verbleibs in der Schutzzeit hängt dabei stark von den individuellen Genesungsverläufen sowie unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Soldaten ab. Weiterhin wird zu bedenken gegeben, dass der Bekanntheitsgrad der strukturierten Wiedereingliederung in den einzelnen Organisationsbereichen noch sehr gering ist und beim durchschnittlichen Verbleib in der Schutzzeit von mehr 5 Jahren eine weiter steigende Tendenz zu erkennen ist.
Poststationär ist das Risiko von suizidalem Verhalten bei psychisch erkrankten Soldaten stark erhöht.
Für die truppenärztliche Versorgung ist besonders komplex, dass mögliche psychische Erkrankungen nach einer stationären Entlassung häufig mit reduzierter Symptomlast fortbestehen, einer zügigen Anschlussbehandlung bedürfen und auch poststationäre suizidale Krisen begründen. Entgegen der Erwartungen ist international die poststationäre Suizidrate in den vergangenen Jahrzehnten trotz aller Verbesserung der Versorgungssysteme, Fortschritten in der psychosozialen Integration und der De-Stigmatisierung psychisch Kranker sowie hinsichtlich medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlungsstrategien angestiegen [14]. Vor allem scheinen die ersten drei Monate nach der Entlassung die vulnerabelste Phase zu sein. Die Suizidrate lag hier fast 100-fach über der ermittelten Rate in der Allgemeinbevölkerung. Weitere Verbesserungen im poststationären Management beziehungsweise eine gute Vorbereitung der Entlassung und eine intensivere Begleitung von Patienten an der Schnittstelle von stationärer zu ambulanter Betreuung in den Wochen und Monaten nach dem Aufenthalt sind somit sinnvoll und notwendig. Dies gilt insbesondere für Patienten mit suizidalen Gedanken und Suizidversuchen bei stationärer Aufnahme, deren Risiko besonders hoch ist, was auch in mehreren militärischen Untersuchungen nachgewiesen wurde [15].
Forschungsprojekt poststationäre „Adjuvante patientenzentrierte Prozessbegleitung“
Möglichkeiten der Schnittstellenverbesserung durch zusätzliche poststationäre patientenorientierte Prozessbegleitung
Um den komplexen Herausforderungen der Rückkehr in Alltag und Beruf zu begegnen, wurde in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Berlin in der (teil)-stationären Versorgung der Psychiatrie mit der Pilotphase einer adjuvanten patientenzentrierten Prozessbegleitung (APP) begonnen. Nach mehrwöchigen Aufenthalten werden in einem gemeinsamen Entlassungsgespräch wichtige Schritte und Ziele für die Zeit nach der Entlassung im Hinblick auf medizinische Weiterbehandlungen und ggf. Wiedereingliederung in den Dienst besprochen. Nach der Entlassung sind die Patienten gefordert, diese Schritte umzusetzen und im Hinblick auf eine Wiedereingliederung den Kontakt zu allen beteiligten Akteuren zu suchen. Die Maßnahme soll in erster Linie einen bruchfreien und nahtlosen Übergang an eine poststationäre Weiterversorgung im häuslichen Umfeld sicherstellen und die Betroffenen im weiteren Verlauf der beruflichen Wiedereingliederung durch Förderung der Eigenverantwortung sowie deren aktiven Mitwirkung unterstützen. Weitere Ziele sind, aufkommende Krisen der Betroffenen unmittelbar nach der Entlassung zu erkennen bzw. zu verhindern.
Verbesserung der Inanspruchnahme von Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen durch regelmäßige niedrigschwellige videogestützte Kontakte
Durch wöchentliche videogestützte Kontakte werden die gemeinsam besprochenen Schritte innerhalb des stationären Aufenthalts in engem wöchentlichem Austausch priorisiert und nachgehalten. Gespräche mit Vorgesetzten und Truppenärzten werden inhaltlich vorbereitet und eine Anbindung in den Informationsfluss hinsichtlich aller Beteiligten einer beruflichen Wiedereingliederung hergestellt. Das Inanspruchnahmeverhalten von Hilfs- und Unterstützungsangeboten soll gesteigert und ein Umgang mit der psychischen Erkrankung im Alltag unterstützt werden. Eine mögliche Überforderung soll vermieden und der Behandlungserfolg hierdurch aufrechterhalten werden.
Der Transfer von Lernerfahrungen aus der Klinik in den sozialen, familiären und beruflichen Alltag soll für die Dauer von 3 Monaten unterstützt werden, um die Gefahr zu reduzieren, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen [7]. Die berufliche Wiedereingliederung soll durch Stärkung von Adhärenz gefördert werden.
Die Prozessbegleitung steht dabei im Einklang mit den Zielen der zentralen Dienstvorschrift A-2640/36 als auch des Konzepts „Medizinische Rehabilitation“ [20].
Geplante Maßnahmen und Studiendesign
Um die Wirksamkeit der Maßnahme zu evaluieren, soll im Längsschnittdesign mittels psychometrischer Testungen im Paper-Pencil-Format eine Interventionsgruppe (N = 32) zu einer Kontrollgruppe ohne Intervention verglichen werden. Mögliche durch die Maßnahme begründete Veränderungen im Bereich von psychischen Belastungen bei gleichzeitiger Reduktion von Suizidalität, Krankheitstagen und langen Rehabilitationsverläufen sollen erfasst werden. Patienten werden nach Empfehlung des behandelnden Personals unabhängig von der Diagnose durch das Studienteam rekrutiert und nach Aufklärung gemäß Studienablauf eingeschlossen. Teilnehmende der Kontrollgruppe werden ebenfalls in Absprache mit dem behandelnden Arzt durch das Studienteam rekrutiert.
Die Teilnahme an der prozessbegleitenden Maßnahme ist freiwillig. Soldaten ohne ausreichende psychische Stabilität zur intensiven Auseinandersetzung mit einer beruflichen Wiedereingliederung sollten in Absprache mit Therapeuten nicht an der APP teilnehmen. Die Daten werden im Längsschnitt betrachtet und umfassen Messzeitpunkte vor Beginn, während sowie nach Beendigung der Maßnahme (nach 3 Monaten), katamnestisch (nach 6 Monaten) sowie 1 Jahr nach Ende der Intervention.
Die Testbatterie ist zu allen Messzeitpunkten identisch und umfasst mit einer ungefähren Dauer von 50 Minuten einen Begrüßungstext, eine Einverständniserklärung, allgemeine Informationen zu Projekt und Datenschutz, den Basisfragebogen sowie 7 Testinstrumente. An standardisierten Instrumenten werden mit
- dem „World Health Organization Quality of Life” (WHOQOL-BREF) Angaben zur Lebensqualität [9],
- dem „Patient Health Questionnaire” (PHQ) [8][13] die Symptomlast,
- den Fragebögen zu Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM) [17] gesundheitsfördernde und -hemmende Faktoren,
- dem „COMMIT“ die Bindung und gefühlte Verpflichtung bzgl. der eigenen Organisation [5],
- der Skala zur Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) [18],
- dem Fragebogen zur Erfassung von Ressourcen und Selbstmanagementfähigkeiten [10] die Ressourcennutzung, Kompetenzerwartung und Selbstüberzeugungen sowie
- dem „State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar“ - 2(STAXI-2) Auswirkungen von Ärger [16] erfasst.
Eine detaillierte Darstellung der Testinstrumente erfolgt in der Online-Version des Artikels (wmm-online.de).
Abb.1: Darstellung der Studienziele
Fragestellung
Steigern sich Adhärenz und aktive Mitwirkung im Prozess der beruflichen Wiedereingliederung nach poststationärer psychosozialer Nachsorge von psychisch Erkrankten?
Die Grundsätzliche Fragestellung ist, inwieweit die Adhärenz mithilfe der patientenzentrierten Prozessbegleitung und hier besonders unter Einbezug der Ressource „Angehörige“ die berufliche Wiedereingliederung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe beeinflusst wird. Weiterführende Fragen könnten hier sein:
- Sinkt die Anzahl der Krankheitstage bzw. steigt die wöchentliche Arbeitszeit der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe?
- Sind die Teilnehmenden der Interventionsgruppe zufriedener bezüglich der bereitgestellten Informationen zur beruflichen Wiedereingliederung als Teilnehmende der Kontrollgruppe?
- Nimmt eine Re-Hospitalisierung innerhalb der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe ab?
Im biopsychosozialen Kontext ergeben sich unter anderem Fragestellungen wie:
- Erhöht sich die Selbstwirksamkeit der Probanden in der Intervention?
- Gibt es Unterschiede bei der subjektiv wahrgenommenen Unterstützung?
- Gibt es einen Unterschied der Interventionsgruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe in Bezug auf Suizidalität?
Abb. 2: Geplanter Studienablauf
Darstellung der Intervention
Bereits während des Klinikaufenthalts werden Probanden durch das Studienteam zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses persönlich kontaktiert. Gemeinsame Gespräche mit den Behandelnden und Probanden sollen frühzeitig einen Überblick über die Situation und die poststationäre Planung insbesondere im Hinblick auf die berufliche Wiedereingliederung ermöglichen. Das Entlassungsgespräch dient als Grundlage für die Erarbeitung und Erfassung der geplanten Ziele, die sich während des Klinikaufenthalts nicht abschließend klären ließen.
Eine Woche nach der Entlassung findet das online-gebundene Erstgespräch mit der Prozessbegleiterin statt. Über den gesamten Zeitraum der Intervention ist fakultativ der Einbezug von Angehörigen möglich. Der Einbezug der Angehörigen soll die psychosoziale Unterstützung stärken, kann zu den Auswirkungen der Erkrankung und zum weiteren Verlauf aufklären und parallel über weitere Hilfs- und Unterstützungsangebote der Bundeswehr oder auch externe Angebote für Betroffene und Familien informieren.
Das Verständnis für die Erkrankung wird verbessert und das subjektive Belastungsempfinden kann reduziert werden. Die sich anschließenden wöchentlichen Beratungstermine dienen der Priorisierung und Umsetzung einzelner Teilziele. Sie beinhalten auch die Vorbereitung gegebenenfalls anstehender Gespräche mit Akteuren der beruflichen Wiedereingliederung. Gemeinsame Online Meetings wie z. B. mit der ZALK, dem Berufsförderungsdienst (BFD) sowie den Truppenärzten werden nach Bedarf initiiert, um die Teilnehmenden mithilfe intensiver Vorbereitung und Stärkung zur Eigenverantwortung, quasi zu eigenen Experten im Genesungs- und Wiedereingliederungsprozess, zu entwickeln. Aufkommende Krisen unmittelbar nach der Entlassung der Betroffenen sollen früher erkannt bzw. Krisenbewältigungsstrategien gestärkt werden. Gerade in Fällen mangelnder Adhärenz bedarf es – dem Ziel der für den Sanitätsdienst der Bundeswehr erlassenen Regelungen zur Medizinischen Rehabilitation und deren Durchführung (K1–9000/4021 und C1–860/0–4003) folgend – einer intensiven Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure, um mögliche Hemmnisse zu erkennen und Rehabilitationsziele unter Umständen neu zu definieren, Angehörige verstärkt einzubeziehen und ggfs. Personal- und Berufsförderungsmaßnahmen neu zu planen. Diesen Anforderungen soll die APP in allen aufgeführten und notwendigen Punkten durch individuelle Unterstützung für einen Zeitraum von drei Monaten nach der Entlassung gerecht werden. Nach Ablauf der dreimonatigen Intervention ist es geplant, die Teilnehmenden nach vorheriger Kontaktaufnahme an den örtlich zuständigen Sozialdienst der Bundeswehr weiterzuleiten, um eine nahtlose Weiterbetreuung zu gewährleisten.
Ausblick
Die Effektivität von ambulanten Nachsorgeprogrammen im Sinne einer Verbesserung der Nachhaltigkeit des Reha-Effektes ist bereits in mehreren Studien belegt [1][11], der Einfluss von Nachsorge auf den Erwerbsstatus von Rehabilitanden wurde bisher jedoch wenig und im Bereich der deutschen Streitkräfte noch nie untersucht.
Das Forschungsvorhaben könnte durch die individuelle und patientenorientierte Unterstützung unter Einbindung des Lebenspartners/der -partnerin für einen Zeitraum von drei Monaten nach der Entlassung einen wichtigen Beitrag leisten, die truppenärztliche und sozialdienstliche Versorgung zu unterstützen und ggf. zu ergänzen, um darauf aufbauende notwendige Strukturen, Lösungen und zielgerichtete Angebote weiter entwickeln zu können. Eine Erhebung in dieser Form und Tiefe wäre angesichts der Krankheitszahlen ohne berufliche Reintegration notwendig, wurde aber in der Bundeswehr bisher noch nicht durchgeführt.
Literatur
- Bischoff C, Gönner S, Ehrhardt M, Limbacher K: Ambulante vor- und nachbereitende Maßnahmen zur Optimierung der stationären psychosomatischen Rehabilitation – Ergebnisse des Bad Dürkheimer Prä-Post-Projekts. Verhaltenstherapie 2005; 15(2): 78–87. mehr lesen
- Deutscher Bundestag. Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte, 20. Wahlperiode, Drucksache 20/900, Jahresbericht 2021. Berlin; 2021 mehr lesen
- Deutsche Rentenversicherung. Reha-Nachsorge bei psychischen Erkrankungen - Anlage 2c zum Rahmenkonzept zur Nachsorge nach medizinischer Rehabilitation. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/nachsorge/fachkonzept_psy_rena.html, letzter Aufruf 29. August 2023. mehr lesen
- Deutsche Rentenversicherung Bund. Die medizinische und berufliche Rehabilitation der Rentenversicherung im Licht der Statistik. www.reha-wissenschaften-drv.de, letzter Aufruf 29. August 2023. mehr lesen
- Felfe J, Pundt F: COMMIT - Commitment-Skalen Fragebogen zur Erfassung von Commitment gegenüber Organisation, Beruf/Tätigkeit, Führungskraft, Team und Beschäftigungsform. Bern: Huber; 2012. http://slubdd.de/katalog?TN_libero_mab216459140, letzter Aufruf 29. August 2023) mehr lesen
- Gerdes N, Bührlen B, Lichtenberg S, Jäckel WH: Rehabilitationsnachsorge: Analyse der Nachsorgeempfehlungen und ihrer Umsetzungen. Rehabilitationswissenschaften, Rehabilitationspsychologie, Rehabilitationsmedizin (Bd. 10). Regensburg: Roderer 2005.
- Gönner S, Bischoff C, Ehrhardt M, Limbacher K: Effekte therapiezielorientierter kognitiv-verhaltenstherapeutischer Nachsorgemaßnahmen auf den Therapietransfer im Anschluss an eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsbehandlung. Rehabilitation 2006; 45(6): 369–76. mehr lesen
- Gräfe K, Zipfel S, Herzog W, Löwe B: Screening psychischer Störungen mit dem “Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D)“. Diagnostica. 2004; 50(4): 171–181. mehr lesen
- Gunzelmann T, Brähler E, Angermeyer C et al: Deutschsprachige Version der WHO-Instrumente zur Erfassung von Lebensqualität WHOQOL-100 und WHOQOL-BREFM. Z Für Med Psychol 2002; 11(1): 44–48. mehr lesen
- Jack M: Fragebogen zur Erfassung von Ressourcen und Selbstmanagementfähigkeiten (FERUS). Göttingen: Hogrefe; 2007.
- Kobelt A, Grosch E: Indikation zur ambulanten Nachsorge (Curriculum Hannover) in der Psychosomatischen Rehabilitation. Psychotherapeut 2005; 50(5): 340–346. mehr lesen
- Kobelt A, Lieverscheidt B, Grosch E, Petermann F: Ambulante psychosomatische Nachsorge und soziale Ungleichheit: Katamnestische Studie vor dem Hintergrund überwunden geglaubter Schichtspezifität. Psychotherapeut 2010; 55(1): 43–48. mehr lesen
- Kroenke K, Spitzer RL, Williams JB: The PHQ-9: validity of a brief depression severity measure. J Gen Intern Med. 2001; 16(9): 606–613 mehr lesen
- Lange-Asschenfeldt C: Hohes Suizidrisiko direkt nach der Entlassung. InFo Neurol Psychiatr 2018; 20(1): 14. mehr lesen
- Riemer R, Blöss L, Bölting J et al.: Herausforderungen und Barrieren der ambulanten Anschlussversorgung und der dienstlichen Wiedereingliederung von militärischen Psychiatriepatienten nach stationärer Therapie unter besonderer Berücksichtigung poststationären suizidalen Verhaltens: WMM 2023; 67(9): 354–361. mehr lesen
- Rohrmann S, Hodapp V, Schnell K et al.: Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar – 2 (STAXI-2). Bern: Hans Huber 2013. mehr lesen
- Schaarschmidt U, Fischer A: AVEM - Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster. Handanweisung. Dritte überarbeitete und erweiterte Auflage. Frankfurt am Main: Pearson 2008.
- Schwarzer R, Jerusalem M: Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. Dokumentation der psychometrischen Verfahren im Rahmen der Wissenschaftlichen Begleitung des Modellversuchs Selbstwirksame Schulen. 1999. mehr lesen
- Sonnenmoser M: Nachsorgekonzepte: Damit die Wirkung nicht verpufft. Dtsch Arztebl Int 2002; 1(12): 561. mehr lesen
- Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI). §17 - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) neugefasst durch B. v. 19.02.2002 BGBl. I S. 754, 1404, 3384; zuletzt geändert durch Artikel 1 G. v. 28.06.2022 BGBl. I S. 975. 2022. mehr lesen
- Staender J, Schott T: Qualitätssteigerung durch Vernetzung: ,,Brückenschläge‘‘. Public Health Forum 2014; 22(2):3–6. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Heinrich S, Giesen R, Langner F, Zimmermann P, Willmund G, Köhler K: Zur Wirksamkeit einer adjuvanten patientenzentrierten Prozessbegleitung (APP) zur beruflichen Wiedereingliederung von Patienten der psychiatrischen Klinik des Bundeswehrkrankenhauses Berlin. WMM 2023; 67(10-11): 424-429.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-208
Für die Verfasser
Regierungsamtsrätin Sonja Heinrich, Diplom-Sozialpädagogin
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Psychotraumazentrum der Bundeswehr
E-Mail: sh@ptzbw.org
Manuscript Data
Citation
Heinrich S, Giesen R, Langner F, Zimmermann P, Willmund G, Köhler K: Effectiveness of Adjuvant Patient-Centered Process Support (APP) for the Professional Reintegration of Patients of Department VI (Psychiatry) of the Bundeswehr Hospital Berlin. WMM 2023; 67(10-11): 424-429.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-208
For the Authors
Sonja Heinrich, Graduated Social Education Worker
Bundeswehr Hospital Berlin
Bundeswehr Center for Psychotraumatology
E-Mail: sh@ptzbw.org