Vorsorge für den Ernstfall: Deutschland braucht ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz1
Ulrich Baumgärtnera
1 Zuerst erschienen in der Ärzte Zeitung 32/2023 am 10. August < https://www.aerztezeitung.de/Politik/Vorsorge-fuer-den-Ernstfall-441924.html>; Nachdruck in modifizierter Form mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
a Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Koblenz
Zusammenfassung
Die Sicherheitsarchitektur in Europa hat sich verändert. Die Vorgaben und Richtlinien für die Gesamtverteidigung aus dem Jahre 1989 sind veraltet. Daher braucht Deutschland ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz, um für zukünftige nationale und internationale Krisen resilient und durchhaltefähig aufgestellt zu sein. Insbesondere die aktuelle geopolitische Lage unterstreicht diese Notwendigkeit. Es gilt, das Momentum zu nutzen, Deutschland als Drehscheibe im Zentrum Europas zu festigen und eine gesetzliche Grundlage für eine konsequente Gesundheitsvorsorge auch im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung zu schaffen.
Einleitung und Hintergrund
Die aktuellen Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Europas und der Welt stellen Deutschland und die Bundeswehr vor gewaltige neue Herausforderungen [1]. Sie betreffen die globale Wirtschaft, die Versorgung mit Energie, aber auch das zivile und militärische Gesundheitssystem. Der Begriff „Zeitenwende“ hat in diesem Zusammenhang erstaunlich einfach Eingang in die allgemeine Diskussion gefunden. Die letzten drei Jahre haben gezeigt, wie schnell Krisen jedweder Art die staatliche Grundversorgung in Bedrängnis bringen können. Gerade die Corona-Pandemie hat in bemerkenswerter Form deutlich gemacht, wie schnell das Gesundheitssystem unter Druck geraten kann. In dieser Situation haben die Bundeswehr und besonders der Sanitätsdienst der Bundeswehr einen großen Beitrag zur Unterstützung der Bevölkerung geleistet, weil in diesem besonderen Bedarfsfall klare Kommunikations- und Kommandostrukturen sowie medizinisch-fachliche Expertise sehr hilfreich waren. Es ist also angebracht, darüber nachzudenken, wie die sanitätsdienstlichen Einrichtungen für den Krisen- und Katastrophenfall genutzt werden können.
All dies kann nur unter Abwägung der zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel, dem notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über Gesundheits- und Daseinsvorsorge und dem Zusammenwirken aller hieran beteiligten Institutionen und Akteure im Sinne eines gesamtstaatlichen Ansatzes gelingen [2].
Im Folgenden will ich Ihnen daher meine Überlegungen dazu vorstellen, wie hier der Sanitätsdienst der Bundeswehr seinen Beitrag leisten kann.
Stellenwert der sanitätsdienstlichen Versorgung
Die Qualität und Verfügbarkeit der sanitätsdienstlichen Versorgung hat im Hinblick auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sowie beim Kampf- und Durchhaltewillen eine hohe Priorität.
Diese Notwendigkeit und den Einfluss einer effizienten und verfügbaren sanitätsdienstlichen Versorgung erkannte Henry Dunant bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Unter dem Eindruck der blutigen Schlacht von Solferino entwickelte er den Grundgedanken einer völkerrechtlich getragenen sanitätsdienstlichen Versorgung im Felde. Diese hat nicht nur einen großen Einfluss auf die Resilienz der Streitkräfte, sondern vielmehr noch auf die Moral jeder einzelnen Soldatin und jedes einzelnen Soldaten.
Der Krieg in der Ukraine zeigt uns heute deutlich auf, wie entscheidend eine effektive und gute sanitätsdienstliche Versorgung für die Kampfkraft und die Durchhaltefähigkeit einer Armee ist. Tanisha M. Fazal, Politikwissenschaftlerin an der University of Minnesota, überschreibt ihre Analyse des Ukraine-Krieges in der Zeitschrift „Foreign Policy“ mit der treffenden Überschrift „Military Medicine is a Critical Advantage“ [3].
Neuere Erkenntnisse aus dem Krieg in der Ukraine zeigen, dass der Wehrersatz durch Rückführung verwundeter und erkrankter Soldaten in den ukrainischen Streitkräften bei zirka 70 % liegt. Für die Akzeptanz von Streitkräften in der Gesellschaft ist das Wissen um eine herausragende medizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten auf Spitzenniveau entscheidend. Nur unter diesen Annahmen und mit dieser Gewissheit lässt sich die Entsendung von Töchtern und Söhnen, Brüdern und Schwestern, Müttern und Vätern rechtfertigen. Soldatinnen und Soldaten sind, als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform, untrennbar mit der Gesellschaft verbunden.
Ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz (GVSG) ist nicht nur die notwendige Voraussetzung für die Bewältigung dieser Herausforderung, sondern vielmehr auch ein Bekenntnis zu dieser hohen moralischen Verantwortung. Konkret bedeutet ein GVSG die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die gesamtstaatlichen gesundheitlichen Aufgaben im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV), aber durchaus auch für andere Katastrophenlagen. Dabei geht es auch um die Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr bei der ambulanten und klinischen Versorgung sowie der Rehabilitation durch zivile Partner.
Transformation des Sanitätsdienstes notwendig
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Bundeswehr vor allem im Rahmen des internationalen Krisenmanagements eingesetzt. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr wurde auf die Bedarfe der medizinischen Unterstützung dieser Einsatzoptionen hin ausgerichtet. Die angesprochene politische „Zeitenwende“ bedingt eine Transformation der Gesundheitsversorgung, die sowohl das militärische wie auch das zivile Gesundheitssystem betreffen wird, und ist nunmehr Auslöser für eine Schwerpunktverlagerung der Einsatzmedizin hin zur medizinischen Versorgung im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Auch wenn die Aufgabe der LV/BV historisch bekannt scheint, erfordern die Rahmenbedingungen der heute gegebenen sicherheitspolitischen und militärischen, aber auch der medizinischen und gesundheitspolitischen Gegebenheiten doch deutlich andere Strukturen und Prozesse.
Als zentrales Element sichert die Rettungskette mit spezifischen, einsatzbezogenen Besonderheiten die umfassende Behandlung der Soldatinnen und Soldaten vom Einsatzgebiet bis zur klinischen Versorgung und Rehabilitation im Heimatland.
Zu den Aufgaben Deutschlands in der LV/BV als Drehscheibe für alliierte Bündnispartner gehört unweigerlich auch die gesundheitliche Versorgung von Kräften verbündeter Nationen. In diesem Sinne müssen (haftungs-)rechtliche Einschränkungen bei der Versorgung alliierter Patientinnen und Patienten, aber auch Möglichkeiten für alliiertes medizinisches Fachpersonal zur Behandlung verbündeter Staatsangehöriger in Deutschland geregelt werden.
Ferner ist die Vergütung ziviler Leistungen für die Behandlung und Rehabilitation deutscher und alliierter Staatsangehöriger im Rahmen der „Drehscheibenfunktion“ Deutschlands zu regeln. Infolge dessen muss der Daten- und Informationsaustausch zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und den zivilen Stellen geregelt und technisch ermöglicht werden.
Abseits der Verabschiedung eines GVSG ist eine umfassende Realisierung der Digitalisierung in den Streitkräften, insbesondere im Sanitätsdienst der Bundeswehr, dringend erforderlich, z. B. um die digitale Anschlussfähigkeit der Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) und ihre Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitssystem zu erhalten. Lediglich eine Anschubfinanzierung hierzu ist im Jahr 2023 erfolgt. Darüber hinaus ist jedoch eine deutliche Anpassung im Verteidigungshaushalt dringend erforderlich, um letztlich einen Fähigkeitsabbau der BwKrhs auszuschließen.
Im Falle der LV/BV ist mit einer größeren Anzahl verwundeter, verletzter und erkrankter Soldatinnen und Soldaten pro Tag zu rechnen, die nach Deutschland transportiert und versorgt werden müssen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr kann diese Aufgabe mit seinen verfügbaren Ressourcen nicht allein stemmen. Im Ernstfall wird beispielsweise das militärische Fachpersonal der Bundeswehrkrankenhäuser weitgehend in den Feldsanitätseinrichtungen gebunden sein und die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten ist mit 1 800 viel zu gering.
Viele der bislang zur Unterstützung vorgesehenen Reservedienstleistenden werden in anderen Rollen – etwa primär beruflich im zivilen Gesundheitssystem, dem Technischen Hilfswerk oder anderen ehrenamtlichen Aufgaben – eingesetzt sein. Dies muss bei allen Planungen berücksichtigt werden. Eine Verstärkung muss durch das zivile Gesundheitssystem, das Deutsche Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen erfolgen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist der strategische Langstreckentransport von Verwundeten. Gleiches gilt für ihren Weitertransport und ihre Verteilung in Deutschland, um die Folgeversorgung zu sichern. Auch hier ist die Bundeswehr auf die Unterstützung insbesondere der Hilfsorganisationen angewiesen. Ein weiteres Augenmerk liegt auch auf der resilienten, durchhaltefähigen Versorgung mit Sanitätsmaterial oder mit Blut und Blutprodukten.
Auch die demografische Entwicklung in Deutschland und Europa darf bei diesen Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden. Über die vergangenen Jahre hat sich ein zunehmender Fachkräftemangel über alle Branchen hinweg aufgebaut. Durch die Corona-Pandemie wurde dieser insbesondere in den Gesundheitsfachberufen verstärkt. Es fehlt an effektiven Instrumenten der Attraktivitätssteigerung in einem Berufsfeld, welches durch einen persönlichen, ortsgebundenen und zeitlich wenig flexiblen Einsatz geprägt ist.
Somit ist eine durchhaltefähige Allokation von Kräften in Szenarien von LV/BV eine weitere Herausforderung, für die gesamtstaatliche Lösungen gefunden werden müssen.
Vor diesem Hintergrund wird die Gesundheitsversorgung zu einer Aufgabe, die nur in einem gesamtstaatlichen Ansatz zu lösen ist. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den zivilen und militärischen Gesundheitssystemen ist hierzu unabdingbar. Die bisherigen Vorgaben und Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung aus dem Jahr 1989 sind veraltet. Im Ernstfall bleibt keine Zeit für Ausschreibungen und langfristige Planungen. Zuständigkeiten, Prozesse und Zusammenarbeitsbeziehungen müssen vorab festgelegt, ausgestaltet und geübt werden.
Abb. 3: Moderne Patientenversorgung muss in Bundeswehrkrankenhäusern gesichert sein.
Beispiel: Bundeswehrkrankenhäuser
Die BwKrhs nehmen als Krankenhäuser des Bundes mit grundständiger Finanzierung eine herausgehobene Position in der militärischen Auftragserfüllung ein (Abbildung 3). Ein zentraler hoheitlicher Auftrag der BwKrhs als Militärkrankenhäuser ist es, medizinisches Fachpersonal für die Rettungskette in den Einsätzen der Bundeswehr bereitzustellen. Dieses Personal braucht spezifische Fachkenntnisse und erweiterte Fähigkeiten, um komplexe Kriegsverletzungen unter den besonderen Bedingungen eines Gefechts erfolgreich behandeln zu können. Dies schließt neben Verwundungen auch Verletzungen und Erkrankungen aller Art ein, darunter auch solche, die durch den Einsatz atomarer, biologischer oder chemischer Mittel/Waffen entstehen. Der Sanitätsdienst ist auf Möglichkeiten einer Aus-, Fort-, und Weiterbildung mit dieser besonderen Qualität in einem breiten Spektrum angewiesen, wenn er sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten will. Die BwKrhs sind die zentralen Einrichtungen, die diese spezifische, einsatzorientierte Aus- und Weiterbildung im klinischen Alltag anbieten. Dies ist allerdings nur möglich, wenn in den BwKrhs Patientinnen und Patienten mit entsprechend komplexen und im Schweregrad vergleichbaren Krankheitsbildern behandelt werden. Gerade deshalb ist der Zugang von zivilen Patientinnen und Patienten zu den BwKrhs unabdingbar. Um diesen Zugang nachhaltig zu sichern, müssen die BwKrhs in der Gesetzgebung in Folge der Regierungskommission zur Zukunft der Krankenhausversorgung spezielle Berücksichtigung finden.
Zudem sind die BwKrhs die einzige Ressource des Bundes zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Krisen und Konfliktsituationen.
Vor diesem Hintergrund befindet sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr aktuell im Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG-Kliniken). Ziel dabei ist es, für die BwKrhs und die BG-Kliniken einen Status als Spezialversorger zu erreichen, um so ihrer besonderen Stellung in der Gesundheitsfürsorge und ihrem spezifischen Ausbildungsauftrag Rechnung zu tragen. Die BwKrhs müssen ein fester Bestandteil im Gesundheitssystem bleiben.
Gleichzeitig müssen spezifische Regelungen für die aufgezeigten Kooperationspartner geschaffen werden, damit der hoheitliche Auftrag der BwKrhs weiter erfüllt werden kann. Nur so können im Falle der LV/BV die Herausforderungen der medizinischen Versorgung der Soldatinnen und Soldaten und gleichzeitig die gesicherte Versorgung der Zivilbevölkerung bewältigt werden.
Aus militärischer Sicht gilt es, die notwendigen und militärmedizinisch spezifischen Fähigkeiten aufzubauen sowie aufrecht zu erhalten, die das Fachpersonal in die Lage versetzen, im Einsatz unter den dort gegebenen Bedingungen zu bestehen. Dies erfolgt primär über die arbeitstägliche medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten in den Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr, darunter auch von Schwersterkrankten und -verletzten.
So werden beispielsweise in den BwKrhs jährlich – zusätzlich zu Soldatinnen und Soldaten – rund 42 000 Patientinnen und Patienten der gesetzlichen (auf Grundlage einer Zulassung der BwKrhs nach §108 SGB V) sowie privaten Krankenversicherung stationär versorgt – ein Beitrag auch für die zivile Gesundheitsversorgung.
Zur Sicherstellung des hoheitlichen Auftrags der BwKrhs müssen jedoch aus meiner Sicht der Zugang zur stationären Behandlung von gesetzlich Versicherten nachhaltig gewährleistet und die BwKrhs hierzu als Plankrankenhäuser im erforderlichen Umfang in den jeweiligen Krankenhausplänen der Länder aufgenommen sein, wozu es einer Erweiterung des §108 SGB V bedarf.
Der Schwerpunkt der ambulanten ärztlichen Versorgung der BwKrhs liegt momentan auf Soldatinnen und Soldaten. Eine ambulante Zulassung für den Bereich der gesetzlich Krankenversicherten liegt nicht vor.
Eine breite und querschnittliche Aus-, Fort-, Weiterbildung sowie Inübunghaltung erfordern es jedoch, gleichermaßen auf die ambulante wie auf die stationäre Behandlung in allen Einsatzszenarien vorbereitet zu sein.
Aufgrund ihrer Sonderrolle als Krankenhäuser des Bundes mit speziellem Ausbildungsauftrag ist daher die Zulassung zur unbegrenzten ambulanten Versorgung gesetzlich Versicherter in Anlehnung zu den Regelungen für Hochschulambulanzen notwendig. Dies könnte im Regelbetrieb auch zu regionalen Entlastungen auf ziviler Seite führen.
Im Rahmen der Notfallversorgung nehmen die BwKrhs präklinisch bereits am zivilen Rettungsdienst teil und leisten mittels ihrer Zentralen Interdisziplinären Notfallaufnahmen einen Beitrag zur Behandlung ziviler Notfallpatientinnen und -patienten. Jährlich werden dort rund 90 000 Notfallpatientinnen und -patienten versorgt. Bereits heute, ungeachtet von Vorschlägen zur Struktur der Notfallversorgung in Deutschland, tragen die fünf BwKrhs somit maßgeblich zur Akut- und Notfallbehandlung der Zivilbevölkerung in ihren Regionen bei.
Die umfassende Einbindung in die zivile Versorgung ist eine essenzielle Voraussetzung, um eine breite und hochwertige Ausbildung sowohl des ärztlichen Personals als auch der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe zu erreichen und das medizinische Fachpersonal damit in großem Umfang zur Versorgung komplexer, schwerer Erkrankungs-, Verletzungs- und Verwundungsmuster in der LV/BV, internationalen Krisenmissionen sowie besonderen Gesundheitslagen zu befähigen.
Das von der Bundeswehr ausgebildete Fachpersonal – hierbei geht es um die Aus- und Weiterbildung unterschiedlicher nichtärztlicher Assistenzberufe im Gesundheitsdienst, aber auch um ärztliche Weiterbildungen, insbesondere auch der Allgemeinmedizin – steht nach Ende seiner Dienstzeit auch dem zivilen Gesundheitsmarkt zur Verfügung und ist ein relevanter Beitrag der Bundeswehr für das zivile Gesundheitssystem.
Beispiel: Physische und Psychische Rehabilitation
Neben der Akut- und Notfallversorgung spielt die physische und psychische Rehabilitation eine entscheidende Rolle für den Erhalt der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.
Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen aus den Einsätzen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements wissen wir heute um die Notwendigkeit der Etablierung von starken Netzwerken der Hilfe und notwendiger Behandlungskapazitäten für unsere seelisch verwundeten Kameradinnen und Kameraden. Nicht nur traumatische Erlebnisse aus Einsätzen und Missionen, sondern auch die seelischen Belastungen der Pandemie prägen das heutige Behandlungsspektrum psychischer Erkrankungen.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr trägt diesem Umstand mit dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr im besonderen Maße Rechnung. Neben der kurativen Versorgung und Behandlung bilden die wissenschaftliche Forschung und die Vernetzung multiprofessioneller Teams weitere Säulen des Zentrums.
Es wird von entscheidender Bedeutung für uns werden, aus den Erkenntnissen zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation von seelisch verwundeten Kameradinnen und Kameraden die notwendigen Ableitungen für zukünftige Versorgungskapazitäten zu treffen. Dies wird nicht ohne zivile Kooperationen, wie zum Beispiel mit den BG-Kliniken und weiterer Partner gelingen.
Neben der psychischen Rehabilitation müssen Streitkräfte auch über die Kapazitäten und Fähigkeiten für eine multiprofessionelle Rehabilitation verfügen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr verfügt mit dem Zentrum für Sportmedizin in Warendorf über eine fachlich ausgezeichnete Einrichtung für die medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation (MDOR). Ergänzt wird diese durch Reha-Stützpunkte an 5 Standorten. Aktuell noch als eine Anfangsbefähigung zu verstehen, sollen diese in Zukunft auf 13 Standorte ausgeweitet werden.
Diese Kapazitäten werden jedoch für den zu erwartenden Versorgungsumfang in einem Szenar der LV/BV nicht ausreichen. Hier kommt es darauf an, mit geeigneten zivilen Partnern Netzwerke aufzubauen und klare Regelungen seitens der Gesetzgebung zu formulieren.
Beispiel: Resilienz für Katastrophenlagen
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr leistet mit seinen Forschungseinrichtungen (z. B. Forschungsinstitute im medizinischen ABC-Schutz) bereits heute einen weltweit respektierten und nachgefragten Beitrag. Gerade diese Spezialfähigkeiten für außergewöhnliche gesundheitliche Gefahrenlagen, wie dem medizinischen ABC-Schutz oder MedIntel, und weitere spezialisierte „Hochwertfähigkeiten“ für NATO und EU können und sollen als strategische Notreserve des Bundes dienen.
Neben der Forschung in speziellen Forschungseinrichtungen ist wehrmedizinische Forschung beispielsweise auch ein weiterer Auftrag der Bundeswehrkrankenhäuser, hier mit klinischen Schwerpunkten. Durch die dadurch gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse kann moderne Medizin angemessen und bestmöglich auf ein militärisches Einsatzszenario übertragen werden, sodass die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten stets weiterentwickelt und auf Basis des aktuellen Stands der Wissenschaft erfolgen kann.
Dem Stellenwert und der Notwendigkeit für die Weiterentwicklung und den Erhalt von Fähigkeiten der gesundheitlichen Gefahrenabwehr trägt die im Juni verabschiedete Nationale Sicherheitsstrategie bereits Rechnung. Neben der unmittelbaren Gefahrenabwehr wird es zukünftig wichtig sein, im Rahmen der Prävention die engen Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit von Menschen, Tier und Umwelt in den Fokus zu rücken. Unter dem Stichwort „One-Health“ werden diese Interaktionen zusammengefasst und als Rahmen für die Bewältigung zukünftiger nationaler, wie auch internationaler, Gesundheitslagen vereint. Hier wurde also schon ein Anfang gemacht.
Ausblick auf die Zukunft
Neben den Aufgaben im Grundbetrieb und der damit zwingend einhergehenden Einbindung in das zivile Gesundheitswesen, bringt sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr als wesentlicher „Enabler“ in die Kräftedisposition der Bundeswehr im Rahmen der NATO-Verpflichtungen an der Ostflanke ein. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Fähigkeiten des Sanitätsdienstes in der Fläche zur Unterstützung der Truppe für Aufträge im Rahmen LV/BV an den Standorten der „Division 2025“ deutlich gestärkt und damit die Möglichkeit der Kohäsionsbildung zwischen Truppe und Sanitätsdienst grundlegend verbessert.
Aktuell laufen die ersten Konkretisierungen für die seitens des Bundesministers der Verteidigung zugesagte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen. Der Sanitätsdienst wird hierbei einen wesentlichen Beitrag in dem Spannungsfeld einer regionalen sanitätsdienstlichen Versorgung der Brigade auf der einen Seite und einem reaktionsschnellen und nahtlosen Übergang in eine Kampfunterstützung im Bündnisfall auf der anderen Seite leisten.
Das Momentum muss nun genutzt werden, da die wichtigen und richtigen Überlegungen aktuell gedacht wurden und werden. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr und ich als Inspekteur setzen uns aktiv dafür ein, die einmalige Chance für eine gesetzlich fundierte und krisenstabile Vorsorge sowohl für die Sicherheit der Zivilbevölkerung als auch der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform, zu nutzen.
Alle Bilder: Bundeswehr/Thilo Pulpanek, Berlin
Literatur
- Auswärtiges Amt (Hrsg.): Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland. Nationale Sicherheitsstrategie. Publikationsversand der Bundesregierung, Juni 2023 mehr lesen
- Baumgärtner, Ulrich: Vorsorge für den Ernstfall. Ärzte Zeitung 2023, https://www.aerztezeitung.de/Politik/Vorsorge-fuer-den-Ernstfall-441924.htm, letzter Aufruf 25. August 2023 mehr lesen
- Fazal, TM.: Military Medicine is a Critical Advantage, Foreign Policy 2022, Epub ahead of print. , letzer Aufruf 25. August 2023. mehr lesen
- Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Baumgärtner U: Vorsorge für den Ernstfall: Deutschland braucht ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz. WMM 2023; 67 (10-11): 398-403.
Verfasser
Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner
Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Kommando Sanitätsdienst
Von-Kuhl-Str. 50, D 56070 Koblenz
Evaluation der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ an der Universitätsmedizin Rostock
Evaluation of the Lecture Series “Interdisciplinary Aspects of Military and Field Medicine” at University Medicine Rostock
Marika Schrötera, Kristin Schmidta, Thomas Emserb, Andreas Diericha
a Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg
b Sanitätsversorgungszentrum Cochem
Zusammenfassung
Der Beitrag wertet die Lehrveranstaltungsevaluationen der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ des Sanitätsunterstützungszentrums Neubrandenburg an der Universitätsmedizin Rostock sowie im Bereich der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2019 bis 2023 aus. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die Vorlesungsreihe in kürzester Zeit in ein digitales Format modifiziert. Die Teilnehmenden bewerteten die Vorlesungsreihe mit sehr guten Ergebnissen.
Schlüsselwörter: Evaluation, Hochschullehre, ambulante Versorgung, Qualitätssicherung
Summary
This article assesses the course evaluations of the lecture series “Interdisciplinary Aspects of Military and Operational Medicine”, conducted by the Bundeswehr Medical Support Center Neubrandenburg at the University Medical Center Rostock as well as in the area of the Medical Association Mecklenburg-Vorpommern from 2019 to 2023. Due to the Covid 19 pandemic, the lecture series was quickly modified into a digital format. The participants evaluated the lecture series with very good results.
Keywords: evaluation; university lectures; outpatient care; quality assurance
Einleitung und Hintergrund
Die Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ an der Universitätsmedizin Rostock wurde im Sommersemester 2023 zum neunten Mal durchgeführt. Diese Vorlesungsreihe bietet seit dem Jahr 2015 in akkreditierter Form einer Wahlpflichtveranstaltung die Option des fachlichen Austausches zur Thematik „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ zwischen den Studierenden der Universitätsmedizin Rostock, dem Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg als einer regionalen Sanitätseinrichtung sowie Vertretern verschiedener Fachrichtungen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr.
Im Rahmen ihres klinischen Studienabschnitts müssen die Studierenden der Humanmedizin an der Universitätsmedizin Rostock aus einer Gruppe von über 70 Wahlfächern ein Wahlpflichtfach belegen, das sie anschließend verbindlich im Semester studieren. Für die Studierenden der Zahnmedizin ist es im 10. Semester ein fakultatives Fach. Die Vorlesungsreihe ist zudem als Ärztliche Fortbildung von der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern anerkannt und zertifiziert. Sie ist somit Teil der Continuing Medical Education (CME) und es können in jeder Veranstaltung zwei CME-Punkte (Fortbildungspunkte, vergeben durch die Landesärztekammer) erworben werden. Die Vorlesungsreihe ist für weitere Gasthörerschaft, wie z. B. Personal aus der Pharmazie, der Zahnmedizin, dem Rettungsdienst oder andere interessierte Teilnehmende nach Anmeldung offen zugänglich.
Zur thematischen und inhaltlichen Ausgestaltung der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ konnten eine Vielzahl von Referierenden vorwiegend mit militärischem Hintergrund gewonnen werden, die Experten ihres Fachgebietes sind. Sie dozieren zu Themen aus den Themenkomplexen „Patientenversorgung im Einsatz“, „Patientenversorgung im Inland“ und „Allgemeine Aspekte der Gesundheitsversorgung“ (Tabelle 1).
Tab.1: Themen der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ kategorisiert nach Themenkomplexen
Bis einschließlich 2019 erfolgte die Teilnahme an den Vorlesungen ausschließlich in Präsenz an der Universitätsmedizin Rostock. Nachdem im März 2020 die COVID-19-Pandemie von der WHO zur weltweiten Pandemie erklärt worden ist, erforderten die zahlreichen Beschränkungen, wie z. B. die Kontaktverbote, eine Anpassung der Veranstaltungsform hin zu einem Live-Webinar. Hierzu wurde zunächst in 2020 ein geschlossener Streamingkanal verwendet. Im Sommersemester 2021 erfolgte die Umstellung auf ein an der Universität Rostock eingeführtes Open-Source-Webkonferenzsystem.
Für die Referentinnen und Referenten besteht kontinuierlich die Option, für die Vorlesung nach Neubrandenburg oder Rostock anzureisen und die professionelle technische Unterstützung des Sanitätsunterstützungszentrums Neubrandenburg in Anspruch zu nehmen. Alternativ ist die Einwahl der Dozierenden von einem beliebigen Standort, z. B. der Dienststelle oder dem Home-Office, möglich. Beide Optionen werden regelmäßig genutzt.
Das Webkonferenzsystem wird ebenfalls zur Lehrveranstaltungsevaluation und der Evaluation einzelner Vorlesungen, eingesetzt. Diese ist eine Standardmethode der Qualitätssicherung an Hochschulen.
„Evaluation … hat aber im Hochschulbereich die meiste Aufmerksamkeit und Differenzierung erfahren. Evaluation kann im Hochschulbereich auf eine lange Geschichte als Metainstanz der Lehre zurückblicken und ist als Teil der Hochschulforschung theoretisch und methodisch fundiert.“ [1].
Die Lehrveranstaltungsevaluation erfolgt durch das Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg. Die Referierenden erhalten nach Auswertung und Aufbereitung der Evaluation ihrer eigenen Vorlesung per E-Mail ein Feedback in Form einer Auswertung der zu ihrer Vorlesung eingegangenen Fragebögen.
Methodik
Die Evaluation der Vorlesungsreihe erfolgte seit dem Sommersemester 2019 mit einem Fragebogen nach dem „Münsteraner Fragebogen zur Evaluation von Vorlesungen – revidiert (MFE-Vr)“ [4]. Dieser Fragebogen zur Lehrveranstaltungsevaluation der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ zeichnet sich zum einen durch seine nachgewiesene Reliabilität und Validität aus sowie zum anderen durch die begrenzte Anzahl an Items, die einen geringen Zeitaufwand zur Bearbeitung und Auswertung gewährleistet.
Zu Beginn des verwendeten Fragebogens werden soziodemografische Angaben erhoben. Anschließend sind Bewertungen der Kategorien „Dozent & Didaktik“, „Überforderung“ sowie „verwendete Materialien“ anhand eines 7-stufigen Antwortformats mit den Optionen: 1 (stimme gar nicht zu), 2 (stimme nicht zu), 3 (stimme eher nicht zu), 4 (neutral), 5 (stimme eher zu), 6 (stimme zu) und 7 (stimme vollkommen zu) ermittelt. Daran anschließend wird die Weiterempfehlung mittels einer Ja/Nein-Antwortmöglichkeit erhoben. Darauf erfolgt die Gesamtbewertung mit einer Skala nach Schulnoten von 0 (ungenügend) bis 15 (sehr gut) Punkten. Diese quantitative Befragung wurde durch eine qualitative offene Fragestellung mithilfe eines Freitextes mit der Gelegenheit für Anmerkungen ergänzt.
Die Fragebögen wurden mittels deskriptiver Statistik und qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.
Im Rahmen der Strukturierung der Vorlesungsreihe erfolgte die Unterteilung in 3 Themenkomplexe „Patientenversorgung im Einsatz“, „Patientenversorgung im Inland“ und „Allgemeine Aspekte der Gesundheitsversorgung“. Die Zuordnung der Vorlesungsthemen ist in der Tabelle 1 dargestellt.
Ergebnisse
Teilnehmende und soziodemografische Daten
In den Jahren 2019 bis 2023 bestand das Auditorium aus 2 143 Teilnehmenden. Die Anzahl der Vorlesungen pro Sommersemester beziffert sich auf 12 bis 13 Veranstaltungen. An der im Sommersemester 2019 einzigen evaluierten Präsenzveranstaltungsreihe partizipierten 203 Teilnehmende. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die Veranstaltungsform ab dem Sommersemester 2020 zu einem Live-Webinar modifiziert. In dem Jahr setzte sich die Hörerschaft aus 528 Teilnehmenden zusammen. 2021 waren es 396 Teilnehmende. Die Zahl stieg 2022 auf 428 und erhöhte sich 2023 auf 588 Teilnehmende. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl je Vorlesung beträgt 34 (über alle Vortlesungen, siehe Tabelle 2).
Insgesamt wurden 843 Evaluationsbögen abgegeben. Die Rücklaufquote 2019 betrug 87,2 %. 2020 gaben 19,9 % der Teilnehmenden einen Fragebogen ab. 2021 und 2022 betrug die Rücklaufquote 44,9 % und 44,6 % und im Jahr 2023 32,7 %.
Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden, die den Fragebogen zurückgaben, betrug 37,0 Jahre. Das durchschnittliche Alter 2019 war 33,5 Jahre und stieg zwischendurch und zuletzt bis zum Jahr 2023 auf 41,4 Jahre an.
Nahmen 2019 noch mit 91 mehr Männer als Frauen (77) an der Befragung teil (neun Teilnehmende machten keine Angabe zum Geschlecht), begann sich das Verhältnis bereits 2020 mit 49 Teilnehmern und 53 Teilnehmerinnen zu drehen. 3 Teilnehmende tätigten keine Aussage zu ihrem Geschlecht. 2021 nahmen 66 Männer teil und 111 Frauen, eine Angabe fehlte. Die Anzahl der Teilnehmerinnen war 2022 doppelt so hoch (128) wie die der Teilnehmer (61), zwei Angaben fehlten. 2023 änderte sich das Verhältnis auf 133 Teilnehmerinnen zu 58 Teilnehmern und einer diversen Person.
In den soziodemografischen Angaben bestand die Option zwischen folgenden Personengruppen zu wählen: Studierende, Arzt bzw. Ärztin oder Zugehöriger bzw. Zugehörige einer anderen Personengruppe (Abbildung 1). Von den 843 Evaluationsbögen wurden 450 von Ärzten und Ärztinnen abgegeben, 245 von Studierenden, 141 von Angehörigen einer anderen Personengruppe und 7 blieben ohne Angabe. 2019 gaben 41 Ärzte und Ärztinnen den Fragebogen zurück, 2020 45, 2021 62, 2022 165 und 2023 nahmen 137 an der Befragung teil. Die Zahl der an der Befragung teilnehmenden Studierenden lag 2019 bei 63, 2020 bei 43, 2021 bei 89, 2022 bei 20 und 2023 gaben 30 Studierende den Fragebogen ab.
582 Teilnehmende, die den Fragebogen im Erhebungszeitraum zurückgaben, nahmen die Vorlesungen als Fortbildung wahr, 189 als Wahlpflichtfach und 72 machten keine Angabe dazu (siehe Tabelle 2). Die Zahl derjenigen, die die Veranstaltung in den Jahren 2019 bis 2023 als Fortbildung nutzten, lag zwischen 43 und 184 Teilnehmenden pro Jahr.
Abb. 1: Anzahl teilnehmender Personengruppen, die den Fragebogen abgaben
Fragenkategorien
Die 3 Kategorien des Fragebogens „Dozent & Didaktik“, „Überforderung“ sowie „Materialien“ wurden anhand der eingangs beschriebenen 7-stufigen Bewertungsskala wie folgt bewertet:
Die Bewertung von „Dozent & Didaktik“ ergab einen Mittelwert von 6,1 Punkten (95 %-Konfidenzintervall [6][10;6][20]). Der Wert bewegte sich im genannten Zeitraum zwischen 5,8 [5][70;5][96] und 6,3 Punkten [6][17;6][36] (Abbildung 2).
Abb. 2: Bewertung nach den Kategorien des Fragebogens
Die Bewertung der Kategorie „Überforderung“ liegt auf derselben Skala bei 1,8 [1][75;1][90] Punkten. Von 2019 bis 2023 lagen die Jahreswerte zwischen 1,7 [1][52;1][94] und 2,0 Punkten [1][76;2][18] (Abbildung 2). Die niedrigen Zahlenwerte sind hierbei als positiv zu bewerten.
Die verwendeten „Materialien“ wurden mit 6,2 Punkten [6][09;6][22] bewertet. Die Werte lagen zwischen 5,8 Punkten [5][67;5][97] im Jahr 2022 und 6,3 Punkten in den Jahren 2019–2021 (Abbildung 2).
Der Mittelwert der Gesamtbewertung liegt bei 13,2 Punkten [13][07;13][32]. 2019 war der Mittelwert 13,3 Punkte [13][06;13][58], 2020 sank er auf 13,0 Punkte [12][69;13][36], lag 2021 bei 13,4 Punkten [13][14;13][64], sank 2022 auf 12,7 Punkte [12][42;13][02] und stieg 2023 auf 13,5 Punkte [13][24;13][70] (Abbildung 3).
Die aufgeführten Themenkomplexe „Patientenversorgung im Einsatz“, „Patientenversorgung im Inland“ und „Allgemeine Aspekte der Gesundheitsversorgung“ wurden wie folgt bewertet: „Patientenversorgung im Einsatz“ erhielt 2019–2023 Punktwerte zwischen 12,8 und 13,9. Der Themenkomplex „Patientenversorgung im Inland“ erhielt im genannten Zeitraum zwischen 12,6 bis 13,5 Punkte. Der Themenkomplex „Allgemeine Aspekte der Gesundheitsversorgung“ im gleichen Zeitraum 12,0 bis 13,6 Punkte.
Die Weiterempfehlungsquote liegt im Durchschnitt bei 92,6 %. 2019 erreichte die Weiterempfehlungsquote einen Wert von 87,6 %, verbesserte sich 2020 auf 94,3 %, lag 2021 bei 93,8 %, reduzierte sich 2022 auf 90,1 %. 2023 erreichte sie einen Wert von 97,9 % (Abbildung 3).
Abb. 3: Gesamtbewertung und Weiterempfehlung
Diskussion
Im März 2020 wurde die universitäre Präsenzlehre in Mecklenburg-Vorpommern ausgesetzt. Um den Lehrbetrieb weiterhin zu gewährleisten, war es unabdingbar, die Lehre an den Hochschulen unter Zeitdruck zu digitalisieren. Auch das Format der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ wurde in ein Live-Webinar modifiziert.
„Während vor der Corona-Krise gerade einmal 12 Prozent der durchgeführten Lehrveranstaltungen in einem digitalen Format stattfanden, waren es im Sommersemester 2020 bereits 91 Prozent. Laut 89 Prozent der befragten Lehrenden erfolgte die Umstellung innerhalb von nur 30 Tagen. 54 Prozent gaben sogar an, dass die Umstellung innerhalb von nur 14 Tagen bewerkstelligt werden konnte“ [5].
Für die Teilnehmenden und Dozierenden wurde durch diesen Digitalisierungsschub eine ortsunabhängige Teilnahme möglich. Dies wirkte sich mit der Umstellung positiv auf die Reichweite und die Teilnehmendenzahl aus. Diese hat sich seit 2019 mit 203 Teilnehmenden bis zum Sommersemester 2023 mit 588 Teilnehmenden nahezu verdreifacht. Durch die ortsunabhängige Teilnahme entfallen für die meisten Teilnehmenden die Reisezeiten. Die Teilnahme an dem Live-Webinar ist für örtlich und zeitlich gebundene Teilnehmende eine Option, die sich in der gestiegenen Teilnehmendenzahl widerspiegelt.
“…digitale Angebote deutlich inklusiver sein, da sie Menschen mit den verschiedensten Lebensmodellen entgegenkommen. Studierende sind nicht mehr zwangsläufig verpflichtet, in der Universitätsstadt zu leben oder lange zu pendeln, sondern können von überall an der Videokonferenz teilnehmen. Studium, Beruf und Kinderbetreuung lassen sich so besser vereinbaren. Nicht zuletzt kann dadurch für Studierende mit körperlichen, psychischen oder emotionalen Beeinträchtigungen die Teilhabe an der universitären Lehre erleichtert werden.“ [2].
Mit der Digitalisierung der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ im Jahr 2020 wurde die Evaluation in das Webkonferenzsystem integriert. Die Rücklaufquote der Fragebögen war 2019 in Papierform mit 87,2 % am höchsten. Mit der ersten elektronischen Erhebung 2020 sank sie auf 19,9 % bei gleichzeitigem deutlichem Anstieg der Teilnehmendenzahl und stieg in den Jahren 2021 und 2022 auf 44,9 % und 44,6 %, um 2023 auf 32,7 % zu sinken. Die Rücklaufquote von Präsenzveranstaltungen ist allgemein höher.
„An Online-Erhebungen nehmen weniger Studierende teil (in einer deutschen Untersuchung: 38 % vs. 81 % schriftlich)“ [3].
Dementsprechend werden die Rücklaufquoten für in Präsenz erfasste Fragebögen wie auch die ab 2021 online erhobenen Fragebögen im Vergleich gut bis sehr gut bewertet. Nach der anschließenden Auswertung der Fragebögen erfolgt die Rückmeldung an die Referierenden. Das zeitnahe gezielte Feedback wird dankbar angenommen. Es ermöglicht den Dozierenden, die eigene Vorlesung zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Die weitere Optimierung der Vorlesung trägt zur Qualitätssteigerung der Vorlesungsreihe im jeweils nächsten Sommersemester bei.
Wie die Auswertung der Fragebögen zeigt, ist die Zahl der Ärzte und Ärztinnen, die sich an der Evaluation der Vorlesung beteiligen, mit den Jahren angestiegen. Dies kann auf einer höheren Teilnehmerzahl von Ärzten und Ärztinnen an der Vorlesungsreihe beruhen und ein Grund für die steigende Zahl der Gesamtheit der Teilnehmenden sein. Die jährliche Ankündigung der Vorlesungsreihe als zertifizierte Fortbildung im Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern in den Monaten März bis Juli könnte zur vermehrten Teilnahme unter der Ärzteschaft beigetragen haben.
Die konstant hohe Gesamtbewertung in allen Themenkomplexen und von allen Personengruppen mit 13,2 Punkten (Mittelwert) auf der Skala 1–15 sowie die sehr hohe Weiterempfehlungsquote zeugen von hoher Zufriedenheit der Teilnehmenden. Die Qualität der Vorlesungsreihe profitiert von den Dozierenden, die die Vorlesungen halten und hochwertige Inhalte kompetent vermitteln. Die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit diesen Vorlesungen spiegelt sich in der gestiegenen Weiterempfehlungsquote wieder.
Betrachtet man die Werte des Sommersemesters 2023 mit der bislang höchsten Teilnehmendenzahl von 588, der bislang höchsten Gesamtbewertung von 13,5 Punkten und der Weiterempfehlungsquote von 97,9 % zeugt dies von einer gut angenommenen und geschätzten Veranstaltung.
Schlussfolgerungen
Das Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg bietet mit der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ – aus einer Regionalen Sanitätsdienstlichen Einrichtung heraus – einen wertvollen Beitrag sowohl zur universitären Lehre und ärztlichen Fortbildung als auch zur Wahrnehmung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, vor allem in den regionalen zivil-fachlichen Netzwerken.
Gleichzeitig bietet diese Vorlesungsreihe die Möglichkeit, auch als Plattform für den Erwerb von Kompetenzen in der akademischen Lehre zu dienen. Die durchweg sehr positiven Evaluationsergebnisse bestätigen eindrucksvoll das hohe fachliche Niveau dieser Vorlesungsreihe und liefern auch einen Beitrag zum wissenschaftlichen Potenzial in den Regionalen Sanitätseinrichtungen.
Um weitere potenzielle Hörerschaft über die Vorlesungsreihe zu informieren, wäre die Publikation der Vorlesungsreihe in weiteren Fachmedien und Fachportalen eine Option.
Die Auswertung der Fragebögen könnte zukünftig einmal jährlich allen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden, um die Transparenz zu erhöhen und Maßnahmen und Schlussfolgerungen zu kommunizieren. Auf diese Weise kann auch die Akzeptanz der Evaluation steigen und die Rücklaufquote positiv beeinflusst werden. Die Evaluationsergebnisse bestätigen die aufgezeigten Vorteile der digitalen Variante der Vorlesung, so dass die Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ auch in Zukunft als Live-Webinar stattfinden wird.
Die regelmäßige Teilnahme an der Vorlesungsreihe ermöglicht es Ärzten und Ärztinnen, Zahnärzten und Zahnärztinnen sowie Pharmazeuten und Pharmazeutinnen einen wesentlichen Teil der vorgeschriebenen jährlichen Fortbildungspunkte zu erlangen.
Die angebotene Vorlesungsreihe wurde somit erfolgreich im Medizinstudium an der Universitätsmedizin Rostock und überregional im Bereich der ärztlichen Fortbildung etabliert.
Literatur
- Bülow-Schramm M: Qualitätsmanagement in Bildungseinrichtungen. Münster: Waxmann Verlag GmbH, 2006.
- Gregor F, Heying M, Neumann A et al: Präsenz. Online. Hybrid. In: Frings A, Hensel-Grobe M, Pöppinghege R, Seidl T (Hrsg.): Kleine Reihe Hochschuldidaktik. Frankfurt/M.: Wochenschau Verlag, 1980.
- Meinefeld W, zit n Rindermann H: Lehrveranstaltungsevaluation an Hochschulen. In: Großmann D., Wolbring T (Hrsg.): Evaluation von Studium und Lehre Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2016, 235.
- Thielsch MT, Hirschfeld G: Münsteraner Fragebogen zur Evaluation von Vorlesungen. , letzter Aufruf 20. August 2023. mehr lesen
- Winde M, Werner SD, Gumbmann B, Hieronimus S: Hochschulen, Corona und jetzt? Wie Hochschulen vom Krisenmodus zu neuen Lehrstrategien für die digitale Welt gelangen. Diskussionspapier, Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, 2020. mehr lesen
Danksagung
Ein herzlicher Dank gilt allen Dozierenden der Vorlesungsreihe. Die Vorlesungsreihe lebt von Ihren Vorträgen und Ihrer Unterstützung.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Schröter M, Schmidt K, Emser T, Dierich A: Evaluation der Vorlesungsreihe „Interdisziplinäre Aspekte der Wehr- und Einsatzmedizin“ an der Universitätsmedizin Rostock. WMM 2023; 67(10-11): 404-410.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-212
Für die Verfasser
Flottillenarzt Marika Schröter
Sanitätsunterstützungszentrum Neubrandenburg
Qualitätsmanagement
Weg am Hang 35, 17033 Neubrandenburg
E-Mail: marikaschroeter@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Schröter M, Schmidt K, Emser T, Dierich A: Evaluation of the Lecture Series “Interdisciplinary Aspects of Military and Field Medicine” at Universitätsmedizin Rostock. WMM 2023; 67(10-11): 404-410.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-212
For the Authors
Commander (Navy MC) Marika Schröter, MD
Major Medical Clinic Neubrandenburg
Medical Quality Management
Weg am Hang 35, D-17033 Neubrandenburg
E-Mail: marikaschroeter@bundeswehr.org