Vorsorge für den Ernstfall: Deutschland braucht ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz1
Ulrich Baumgärtnera
1 Zuerst erschienen in der Ärzte Zeitung 32/2023 am 10. August < https://www.aerztezeitung.de/Politik/Vorsorge-fuer-den-Ernstfall-441924.html>; Nachdruck in modifizierter Form mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
a Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Koblenz
Zusammenfassung
Die Sicherheitsarchitektur in Europa hat sich verändert. Die Vorgaben und Richtlinien für die Gesamtverteidigung aus dem Jahre 1989 sind veraltet. Daher braucht Deutschland ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz, um für zukünftige nationale und internationale Krisen resilient und durchhaltefähig aufgestellt zu sein. Insbesondere die aktuelle geopolitische Lage unterstreicht diese Notwendigkeit. Es gilt, das Momentum zu nutzen, Deutschland als Drehscheibe im Zentrum Europas zu festigen und eine gesetzliche Grundlage für eine konsequente Gesundheitsvorsorge auch im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung zu schaffen.
Einleitung und Hintergrund
Die aktuellen Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Europas und der Welt stellen Deutschland und die Bundeswehr vor gewaltige neue Herausforderungen [1]. Sie betreffen die globale Wirtschaft, die Versorgung mit Energie, aber auch das zivile und militärische Gesundheitssystem. Der Begriff „Zeitenwende“ hat in diesem Zusammenhang erstaunlich einfach Eingang in die allgemeine Diskussion gefunden. Die letzten drei Jahre haben gezeigt, wie schnell Krisen jedweder Art die staatliche Grundversorgung in Bedrängnis bringen können. Gerade die Corona-Pandemie hat in bemerkenswerter Form deutlich gemacht, wie schnell das Gesundheitssystem unter Druck geraten kann. In dieser Situation haben die Bundeswehr und besonders der Sanitätsdienst der Bundeswehr einen großen Beitrag zur Unterstützung der Bevölkerung geleistet, weil in diesem besonderen Bedarfsfall klare Kommunikations- und Kommandostrukturen sowie medizinisch-fachliche Expertise sehr hilfreich waren. Es ist also angebracht, darüber nachzudenken, wie die sanitätsdienstlichen Einrichtungen für den Krisen- und Katastrophenfall genutzt werden können.
All dies kann nur unter Abwägung der zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel, dem notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über Gesundheits- und Daseinsvorsorge und dem Zusammenwirken aller hieran beteiligten Institutionen und Akteure im Sinne eines gesamtstaatlichen Ansatzes gelingen [2].
Im Folgenden will ich Ihnen daher meine Überlegungen dazu vorstellen, wie hier der Sanitätsdienst der Bundeswehr seinen Beitrag leisten kann.
Stellenwert der sanitätsdienstlichen Versorgung
Die Qualität und Verfügbarkeit der sanitätsdienstlichen Versorgung hat im Hinblick auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sowie beim Kampf- und Durchhaltewillen eine hohe Priorität.
Diese Notwendigkeit und den Einfluss einer effizienten und verfügbaren sanitätsdienstlichen Versorgung erkannte Henry Dunant bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Unter dem Eindruck der blutigen Schlacht von Solferino entwickelte er den Grundgedanken einer völkerrechtlich getragenen sanitätsdienstlichen Versorgung im Felde. Diese hat nicht nur einen großen Einfluss auf die Resilienz der Streitkräfte, sondern vielmehr noch auf die Moral jeder einzelnen Soldatin und jedes einzelnen Soldaten.
Der Krieg in der Ukraine zeigt uns heute deutlich auf, wie entscheidend eine effektive und gute sanitätsdienstliche Versorgung für die Kampfkraft und die Durchhaltefähigkeit einer Armee ist. Tanisha M. Fazal, Politikwissenschaftlerin an der University of Minnesota, überschreibt ihre Analyse des Ukraine-Krieges in der Zeitschrift „Foreign Policy“ mit der treffenden Überschrift „Military Medicine is a Critical Advantage“ [3].
Neuere Erkenntnisse aus dem Krieg in der Ukraine zeigen, dass der Wehrersatz durch Rückführung verwundeter und erkrankter Soldaten in den ukrainischen Streitkräften bei zirka 70 % liegt. Für die Akzeptanz von Streitkräften in der Gesellschaft ist das Wissen um eine herausragende medizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten auf Spitzenniveau entscheidend. Nur unter diesen Annahmen und mit dieser Gewissheit lässt sich die Entsendung von Töchtern und Söhnen, Brüdern und Schwestern, Müttern und Vätern rechtfertigen. Soldatinnen und Soldaten sind, als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform, untrennbar mit der Gesellschaft verbunden.
Ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz (GVSG) ist nicht nur die notwendige Voraussetzung für die Bewältigung dieser Herausforderung, sondern vielmehr auch ein Bekenntnis zu dieser hohen moralischen Verantwortung. Konkret bedeutet ein GVSG die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die gesamtstaatlichen gesundheitlichen Aufgaben im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV), aber durchaus auch für andere Katastrophenlagen. Dabei geht es auch um die Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr bei der ambulanten und klinischen Versorgung sowie der Rehabilitation durch zivile Partner.
Transformation des Sanitätsdienstes notwendig
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Bundeswehr vor allem im Rahmen des internationalen Krisenmanagements eingesetzt. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr wurde auf die Bedarfe der medizinischen Unterstützung dieser Einsatzoptionen hin ausgerichtet. Die angesprochene politische „Zeitenwende“ bedingt eine Transformation der Gesundheitsversorgung, die sowohl das militärische wie auch das zivile Gesundheitssystem betreffen wird, und ist nunmehr Auslöser für eine Schwerpunktverlagerung der Einsatzmedizin hin zur medizinischen Versorgung im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Auch wenn die Aufgabe der LV/BV historisch bekannt scheint, erfordern die Rahmenbedingungen der heute gegebenen sicherheitspolitischen und militärischen, aber auch der medizinischen und gesundheitspolitischen Gegebenheiten doch deutlich andere Strukturen und Prozesse.
Als zentrales Element sichert die Rettungskette mit spezifischen, einsatzbezogenen Besonderheiten die umfassende Behandlung der Soldatinnen und Soldaten vom Einsatzgebiet bis zur klinischen Versorgung und Rehabilitation im Heimatland.
Zu den Aufgaben Deutschlands in der LV/BV als Drehscheibe für alliierte Bündnispartner gehört unweigerlich auch die gesundheitliche Versorgung von Kräften verbündeter Nationen. In diesem Sinne müssen (haftungs-)rechtliche Einschränkungen bei der Versorgung alliierter Patientinnen und Patienten, aber auch Möglichkeiten für alliiertes medizinisches Fachpersonal zur Behandlung verbündeter Staatsangehöriger in Deutschland geregelt werden.
Ferner ist die Vergütung ziviler Leistungen für die Behandlung und Rehabilitation deutscher und alliierter Staatsangehöriger im Rahmen der „Drehscheibenfunktion“ Deutschlands zu regeln. Infolge dessen muss der Daten- und Informationsaustausch zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und den zivilen Stellen geregelt und technisch ermöglicht werden.
Abseits der Verabschiedung eines GVSG ist eine umfassende Realisierung der Digitalisierung in den Streitkräften, insbesondere im Sanitätsdienst der Bundeswehr, dringend erforderlich, z. B. um die digitale Anschlussfähigkeit der Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) und ihre Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitssystem zu erhalten. Lediglich eine Anschubfinanzierung hierzu ist im Jahr 2023 erfolgt. Darüber hinaus ist jedoch eine deutliche Anpassung im Verteidigungshaushalt dringend erforderlich, um letztlich einen Fähigkeitsabbau der BwKrhs auszuschließen.
Im Falle der LV/BV ist mit einer größeren Anzahl verwundeter, verletzter und erkrankter Soldatinnen und Soldaten pro Tag zu rechnen, die nach Deutschland transportiert und versorgt werden müssen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr kann diese Aufgabe mit seinen verfügbaren Ressourcen nicht allein stemmen. Im Ernstfall wird beispielsweise das militärische Fachpersonal der Bundeswehrkrankenhäuser weitgehend in den Feldsanitätseinrichtungen gebunden sein und die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten ist mit 1 800 viel zu gering.
Viele der bislang zur Unterstützung vorgesehenen Reservedienstleistenden werden in anderen Rollen – etwa primär beruflich im zivilen Gesundheitssystem, dem Technischen Hilfswerk oder anderen ehrenamtlichen Aufgaben – eingesetzt sein. Dies muss bei allen Planungen berücksichtigt werden. Eine Verstärkung muss durch das zivile Gesundheitssystem, das Deutsche Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen erfolgen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist der strategische Langstreckentransport von Verwundeten. Gleiches gilt für ihren Weitertransport und ihre Verteilung in Deutschland, um die Folgeversorgung zu sichern. Auch hier ist die Bundeswehr auf die Unterstützung insbesondere der Hilfsorganisationen angewiesen. Ein weiteres Augenmerk liegt auch auf der resilienten, durchhaltefähigen Versorgung mit Sanitätsmaterial oder mit Blut und Blutprodukten.
Auch die demografische Entwicklung in Deutschland und Europa darf bei diesen Überlegungen nicht außer Acht gelassen werden. Über die vergangenen Jahre hat sich ein zunehmender Fachkräftemangel über alle Branchen hinweg aufgebaut. Durch die Corona-Pandemie wurde dieser insbesondere in den Gesundheitsfachberufen verstärkt. Es fehlt an effektiven Instrumenten der Attraktivitätssteigerung in einem Berufsfeld, welches durch einen persönlichen, ortsgebundenen und zeitlich wenig flexiblen Einsatz geprägt ist.
Somit ist eine durchhaltefähige Allokation von Kräften in Szenarien von LV/BV eine weitere Herausforderung, für die gesamtstaatliche Lösungen gefunden werden müssen.
Vor diesem Hintergrund wird die Gesundheitsversorgung zu einer Aufgabe, die nur in einem gesamtstaatlichen Ansatz zu lösen ist. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den zivilen und militärischen Gesundheitssystemen ist hierzu unabdingbar. Die bisherigen Vorgaben und Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung aus dem Jahr 1989 sind veraltet. Im Ernstfall bleibt keine Zeit für Ausschreibungen und langfristige Planungen. Zuständigkeiten, Prozesse und Zusammenarbeitsbeziehungen müssen vorab festgelegt, ausgestaltet und geübt werden.
Abb. 3: Moderne Patientenversorgung muss in Bundeswehrkrankenhäusern gesichert sein.
Beispiel: Bundeswehrkrankenhäuser
Die BwKrhs nehmen als Krankenhäuser des Bundes mit grundständiger Finanzierung eine herausgehobene Position in der militärischen Auftragserfüllung ein (Abbildung 3). Ein zentraler hoheitlicher Auftrag der BwKrhs als Militärkrankenhäuser ist es, medizinisches Fachpersonal für die Rettungskette in den Einsätzen der Bundeswehr bereitzustellen. Dieses Personal braucht spezifische Fachkenntnisse und erweiterte Fähigkeiten, um komplexe Kriegsverletzungen unter den besonderen Bedingungen eines Gefechts erfolgreich behandeln zu können. Dies schließt neben Verwundungen auch Verletzungen und Erkrankungen aller Art ein, darunter auch solche, die durch den Einsatz atomarer, biologischer oder chemischer Mittel/Waffen entstehen. Der Sanitätsdienst ist auf Möglichkeiten einer Aus-, Fort-, und Weiterbildung mit dieser besonderen Qualität in einem breiten Spektrum angewiesen, wenn er sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten will. Die BwKrhs sind die zentralen Einrichtungen, die diese spezifische, einsatzorientierte Aus- und Weiterbildung im klinischen Alltag anbieten. Dies ist allerdings nur möglich, wenn in den BwKrhs Patientinnen und Patienten mit entsprechend komplexen und im Schweregrad vergleichbaren Krankheitsbildern behandelt werden. Gerade deshalb ist der Zugang von zivilen Patientinnen und Patienten zu den BwKrhs unabdingbar. Um diesen Zugang nachhaltig zu sichern, müssen die BwKrhs in der Gesetzgebung in Folge der Regierungskommission zur Zukunft der Krankenhausversorgung spezielle Berücksichtigung finden.
Zudem sind die BwKrhs die einzige Ressource des Bundes zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Krisen und Konfliktsituationen.
Vor diesem Hintergrund befindet sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr aktuell im Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG-Kliniken). Ziel dabei ist es, für die BwKrhs und die BG-Kliniken einen Status als Spezialversorger zu erreichen, um so ihrer besonderen Stellung in der Gesundheitsfürsorge und ihrem spezifischen Ausbildungsauftrag Rechnung zu tragen. Die BwKrhs müssen ein fester Bestandteil im Gesundheitssystem bleiben.
Gleichzeitig müssen spezifische Regelungen für die aufgezeigten Kooperationspartner geschaffen werden, damit der hoheitliche Auftrag der BwKrhs weiter erfüllt werden kann. Nur so können im Falle der LV/BV die Herausforderungen der medizinischen Versorgung der Soldatinnen und Soldaten und gleichzeitig die gesicherte Versorgung der Zivilbevölkerung bewältigt werden.
Aus militärischer Sicht gilt es, die notwendigen und militärmedizinisch spezifischen Fähigkeiten aufzubauen sowie aufrecht zu erhalten, die das Fachpersonal in die Lage versetzen, im Einsatz unter den dort gegebenen Bedingungen zu bestehen. Dies erfolgt primär über die arbeitstägliche medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten in den Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr, darunter auch von Schwersterkrankten und -verletzten.
So werden beispielsweise in den BwKrhs jährlich – zusätzlich zu Soldatinnen und Soldaten – rund 42 000 Patientinnen und Patienten der gesetzlichen (auf Grundlage einer Zulassung der BwKrhs nach §108 SGB V) sowie privaten Krankenversicherung stationär versorgt – ein Beitrag auch für die zivile Gesundheitsversorgung.
Zur Sicherstellung des hoheitlichen Auftrags der BwKrhs müssen jedoch aus meiner Sicht der Zugang zur stationären Behandlung von gesetzlich Versicherten nachhaltig gewährleistet und die BwKrhs hierzu als Plankrankenhäuser im erforderlichen Umfang in den jeweiligen Krankenhausplänen der Länder aufgenommen sein, wozu es einer Erweiterung des §108 SGB V bedarf.
Der Schwerpunkt der ambulanten ärztlichen Versorgung der BwKrhs liegt momentan auf Soldatinnen und Soldaten. Eine ambulante Zulassung für den Bereich der gesetzlich Krankenversicherten liegt nicht vor.
Eine breite und querschnittliche Aus-, Fort-, Weiterbildung sowie Inübunghaltung erfordern es jedoch, gleichermaßen auf die ambulante wie auf die stationäre Behandlung in allen Einsatzszenarien vorbereitet zu sein.
Aufgrund ihrer Sonderrolle als Krankenhäuser des Bundes mit speziellem Ausbildungsauftrag ist daher die Zulassung zur unbegrenzten ambulanten Versorgung gesetzlich Versicherter in Anlehnung zu den Regelungen für Hochschulambulanzen notwendig. Dies könnte im Regelbetrieb auch zu regionalen Entlastungen auf ziviler Seite führen.
Im Rahmen der Notfallversorgung nehmen die BwKrhs präklinisch bereits am zivilen Rettungsdienst teil und leisten mittels ihrer Zentralen Interdisziplinären Notfallaufnahmen einen Beitrag zur Behandlung ziviler Notfallpatientinnen und -patienten. Jährlich werden dort rund 90 000 Notfallpatientinnen und -patienten versorgt. Bereits heute, ungeachtet von Vorschlägen zur Struktur der Notfallversorgung in Deutschland, tragen die fünf BwKrhs somit maßgeblich zur Akut- und Notfallbehandlung der Zivilbevölkerung in ihren Regionen bei.
Die umfassende Einbindung in die zivile Versorgung ist eine essenzielle Voraussetzung, um eine breite und hochwertige Ausbildung sowohl des ärztlichen Personals als auch der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe zu erreichen und das medizinische Fachpersonal damit in großem Umfang zur Versorgung komplexer, schwerer Erkrankungs-, Verletzungs- und Verwundungsmuster in der LV/BV, internationalen Krisenmissionen sowie besonderen Gesundheitslagen zu befähigen.
Das von der Bundeswehr ausgebildete Fachpersonal – hierbei geht es um die Aus- und Weiterbildung unterschiedlicher nichtärztlicher Assistenzberufe im Gesundheitsdienst, aber auch um ärztliche Weiterbildungen, insbesondere auch der Allgemeinmedizin – steht nach Ende seiner Dienstzeit auch dem zivilen Gesundheitsmarkt zur Verfügung und ist ein relevanter Beitrag der Bundeswehr für das zivile Gesundheitssystem.
Beispiel: Physische und Psychische Rehabilitation
Neben der Akut- und Notfallversorgung spielt die physische und psychische Rehabilitation eine entscheidende Rolle für den Erhalt der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.
Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen aus den Einsätzen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements wissen wir heute um die Notwendigkeit der Etablierung von starken Netzwerken der Hilfe und notwendiger Behandlungskapazitäten für unsere seelisch verwundeten Kameradinnen und Kameraden. Nicht nur traumatische Erlebnisse aus Einsätzen und Missionen, sondern auch die seelischen Belastungen der Pandemie prägen das heutige Behandlungsspektrum psychischer Erkrankungen.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr trägt diesem Umstand mit dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr im besonderen Maße Rechnung. Neben der kurativen Versorgung und Behandlung bilden die wissenschaftliche Forschung und die Vernetzung multiprofessioneller Teams weitere Säulen des Zentrums.
Es wird von entscheidender Bedeutung für uns werden, aus den Erkenntnissen zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation von seelisch verwundeten Kameradinnen und Kameraden die notwendigen Ableitungen für zukünftige Versorgungskapazitäten zu treffen. Dies wird nicht ohne zivile Kooperationen, wie zum Beispiel mit den BG-Kliniken und weiterer Partner gelingen.
Neben der psychischen Rehabilitation müssen Streitkräfte auch über die Kapazitäten und Fähigkeiten für eine multiprofessionelle Rehabilitation verfügen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr verfügt mit dem Zentrum für Sportmedizin in Warendorf über eine fachlich ausgezeichnete Einrichtung für die medizinisch-dienstlich orientierte Rehabilitation (MDOR). Ergänzt wird diese durch Reha-Stützpunkte an 5 Standorten. Aktuell noch als eine Anfangsbefähigung zu verstehen, sollen diese in Zukunft auf 13 Standorte ausgeweitet werden.
Diese Kapazitäten werden jedoch für den zu erwartenden Versorgungsumfang in einem Szenar der LV/BV nicht ausreichen. Hier kommt es darauf an, mit geeigneten zivilen Partnern Netzwerke aufzubauen und klare Regelungen seitens der Gesetzgebung zu formulieren.
Beispiel: Resilienz für Katastrophenlagen
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr leistet mit seinen Forschungseinrichtungen (z. B. Forschungsinstitute im medizinischen ABC-Schutz) bereits heute einen weltweit respektierten und nachgefragten Beitrag. Gerade diese Spezialfähigkeiten für außergewöhnliche gesundheitliche Gefahrenlagen, wie dem medizinischen ABC-Schutz oder MedIntel, und weitere spezialisierte „Hochwertfähigkeiten“ für NATO und EU können und sollen als strategische Notreserve des Bundes dienen.
Neben der Forschung in speziellen Forschungseinrichtungen ist wehrmedizinische Forschung beispielsweise auch ein weiterer Auftrag der Bundeswehrkrankenhäuser, hier mit klinischen Schwerpunkten. Durch die dadurch gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse kann moderne Medizin angemessen und bestmöglich auf ein militärisches Einsatzszenario übertragen werden, sodass die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten stets weiterentwickelt und auf Basis des aktuellen Stands der Wissenschaft erfolgen kann.
Dem Stellenwert und der Notwendigkeit für die Weiterentwicklung und den Erhalt von Fähigkeiten der gesundheitlichen Gefahrenabwehr trägt die im Juni verabschiedete Nationale Sicherheitsstrategie bereits Rechnung. Neben der unmittelbaren Gefahrenabwehr wird es zukünftig wichtig sein, im Rahmen der Prävention die engen Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit von Menschen, Tier und Umwelt in den Fokus zu rücken. Unter dem Stichwort „One-Health“ werden diese Interaktionen zusammengefasst und als Rahmen für die Bewältigung zukünftiger nationaler, wie auch internationaler, Gesundheitslagen vereint. Hier wurde also schon ein Anfang gemacht.
Ausblick auf die Zukunft
Neben den Aufgaben im Grundbetrieb und der damit zwingend einhergehenden Einbindung in das zivile Gesundheitswesen, bringt sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr als wesentlicher „Enabler“ in die Kräftedisposition der Bundeswehr im Rahmen der NATO-Verpflichtungen an der Ostflanke ein. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Fähigkeiten des Sanitätsdienstes in der Fläche zur Unterstützung der Truppe für Aufträge im Rahmen LV/BV an den Standorten der „Division 2025“ deutlich gestärkt und damit die Möglichkeit der Kohäsionsbildung zwischen Truppe und Sanitätsdienst grundlegend verbessert.
Aktuell laufen die ersten Konkretisierungen für die seitens des Bundesministers der Verteidigung zugesagte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen. Der Sanitätsdienst wird hierbei einen wesentlichen Beitrag in dem Spannungsfeld einer regionalen sanitätsdienstlichen Versorgung der Brigade auf der einen Seite und einem reaktionsschnellen und nahtlosen Übergang in eine Kampfunterstützung im Bündnisfall auf der anderen Seite leisten.
Das Momentum muss nun genutzt werden, da die wichtigen und richtigen Überlegungen aktuell gedacht wurden und werden. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr und ich als Inspekteur setzen uns aktiv dafür ein, die einmalige Chance für eine gesetzlich fundierte und krisenstabile Vorsorge sowohl für die Sicherheit der Zivilbevölkerung als auch der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform, zu nutzen.
Alle Bilder: Bundeswehr/Thilo Pulpanek, Berlin
Literatur
- Auswärtiges Amt (Hrsg.): Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland. Nationale Sicherheitsstrategie. Publikationsversand der Bundesregierung, Juni 2023 mehr lesen
- Baumgärtner, Ulrich: Vorsorge für den Ernstfall. Ärzte Zeitung 2023, https://www.aerztezeitung.de/Politik/Vorsorge-fuer-den-Ernstfall-441924.htm, letzter Aufruf 25. August 2023 mehr lesen
- Fazal, TM.: Military Medicine is a Critical Advantage, Foreign Policy 2022, Epub ahead of print. , letzer Aufruf 25. August 2023. mehr lesen
- Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Baumgärtner U: Vorsorge für den Ernstfall: Deutschland braucht ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz. WMM 2023; 67 (10-11): 398-403.
Verfasser
Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner
Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Kommando Sanitätsdienst
Von-Kuhl-Str. 50, D 56070 Koblenz