30 Jahre ARCHIS – Gemeinsam!
Bericht über die Jubiläumstagung vom 1. bis 3. März 2023 in Bad Nauheim
Respekt und Anerkennung. Das trifft es vermutlich am besten.
Vom 1. bis zum 3. März 2023 fand die 30. Tagung des Arbeitskreises Einsatzmedizin der chirurgisch tätigen Sanitätsoffiziere (ARCHIS) statt. 1993 gegründet, weist die ARCHIS nunmehr eine mehr als traditionsreiche 30-jährige Geschichte auf. Sie steht für Diskussion und Diskurs, Forschung und Fortschritt, Anspruch und Ansage, vor allem aber für die chirurgische Gemeinschaft im Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Gemeinsam! So sollte die 30-jährige Jubiläumstagung ein Highlight im Kongresskalender der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP) und für die chirurgische „Community“ werden.
Wahl des Durchführungsortes
Traditionell findet die jährliche ARCHIS Tagung, die lediglich einmalig in Folge der Corona-Krise ausgesetzt werden musste, im unmittelbaren Umfeld des ausrichtenden Bundeswehrkrankenhauses (Bw(Z)Krhs) statt. Ein adäquater Veranstaltungsort war jedoch im noch durch die Pandemie gezeichneten lokalen Umfeld des ausrichtenden BwZKrhs Koblenz weder terminlich noch zu vernünftigen Bedingungen realisierbar. So fiel die Wahl in gemeinsamer Absprache auf das Tagungshotel Dolce in Bad Nauheim.
Der Tatsache geschuldet, dass der Tagungsort nicht in Nähe des Koblenzer Krankenhauses lag, wurde der sog. „DSC-Contest“, in dem sich chirurgische Teams der Krankenhäuser einer Übung ähnlich in einem Parcours fachlich, militärisch und sportlich miteinander messen, in diesem Jahr ausgesetzt. Am grundsätzlichen DCS-Wettstreit der Kliniken wird jedoch festgehalten, denn er soll dauerhaft als Highlight in den ARCHIS Auftakt integriert bleiben.
Schlussendlich konnten der Tagungsort, wie auch die dort von der DGWMP organisierten Rahmenbedingungen sehr überzeugen. Es wurde dabei mehr gehalten, als es zuvor versprochen war.
Workshops und mehr zum Auftakt
Die Tagung begann am Mittwoch, den 1. März 2023, mit den im Vorprogramm ausgeschriebenen aktiven Workshops. Insgesamt konnten drei interaktive Kurse stattfinden, die jeweils durch hohe Teilnehmerzahlen gewürdigt wurden.
Abb. 1: Ausbildung in der REBOA-Kathetertechnik
Wundbehandlung, Simulation und Ballon-Okklusion der Aorta
Ein interaktiver Workshop befasste sich mit der Wundbehandlung durch kaltes Plasma bzw. spezielle Wundauflagen. Hier wurden theoretische Inhalte und praktische Versorgungsprinzipien von chronischen Wunden ausführlich und anschaulich nahegebracht.
Im zweiten Workshop wurden die theoretischen Hintergründe des Lernens durch Simulation im Rahmen der Einweisung in einen der modernsten Simulatoren auf dem Gebiet der minimalinvasiven Chirurgie ermöglicht. Den Hauptanteil stellte dabei das eigene praktische Üben am Simulator durch Manöver zur Auge-Hand-Koordination bis hin zu komplexeren, minimal invasiven Operationsabläufen (laparoskopische Cholezystektomie).
Erfreulicherweise ließ sich zudem ein weiterer Kurs durchführen, in dem es um die Anwendung des aktuellsten Ballonkatheters für die Unterbrechung des intraabdominellen aortalen Blutflusses (REBOA-Verfahren, Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta) bei unkontrollierbaren Blutungen ging. Die Kursteilnehmenden konnten am Modell die Ballonokklusion selbst durchführen. Die Einweisung in das Kathetersystem mit den theoretischen Hintergründen erfolgte durch erfahrene Tutoren aus den USA.
Die Gestaltung und Planung der Workshops ermöglichte es, dass die frühzeitig angereisten Teilnehmenden durch alle angebotenen Kurse rotieren konnten, was zu einem abwechslungsreichen, informativen und aktiven Nachmittag führte.
Industrieausstellung und Get-together
Am frühen Abend des ersten Tages wurde die begleitende Industrieausstellung der ARCHIS-Tagung mit dem Auftakt in das traditionelle „Get-together“ vom Bundesgeschäftsführer der DGWMP, Peter Katzmarek, eröffnet. Hier war bereits erkennbar, die „chirurgische Community“ ist im besten Sinn eine Besondere. Ausführliche Gespräche, Diskussionen und ein kollegiales und freundschaftliches Wiedersehen standen dabei unter sehr angenehmen Bedingungen im Vordergrund. In dieser Atmosphäre und mit hohem persönlichen Engagement der Teilnehmenden ging die ursprünglich bis 21.00 Uhr angesetzte Einführungsveranstaltung auch in diesem Jahr wieder über die geplante Zeit hinaus.
Abb. 2: Simulation im Bereich der Laparoskopischen Chirurgie mit modernster Technik
Wissenschaftliches Programm
Die Tagung selbst war mit vier übergeordneten Themenbereichen konzipiert worden. Zunächst standen authentische Berichte aus dem Krieg in der Ukraine im Focus. Vorgesehen waren Informationen zur aktuellen und allgemeinen Lage sowie zur Situation der sanitätsdienstlichen Versorgung der ukrainischen Verletzten. Die präklinische und innerklinische notärztliche bzw. chirurgische Versorgung sollten ebenso thematisiert werden, wie die Verteilung und Weiterversorgung der Verwundeten über die Grenzen der Ukraine hinaus nach Westeuropa.
Abb. 3: Nahezu volles Haus bei der Eröffnung der Tagung
Als relevantes Schwerpunktthema war ebenfalls die Vorstellung der Arbeitsgruppenergebnisse zur neuen chirurgischen Weiterbildungsordnung (WBO 2020), die in Kooperation mit dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) und der Konsiliargruppe Chirurgie erarbeitet wurden, vorgesehen. Ein Muss bestand zudem aus der Vorstellung wissenschaftlicher Studien- und Forschungsergebnisse der chirurgischen Kliniken, speziell auch im traditionellen jungen Forum. Die wissenschaftlichen Sitzungen hatten die „Verletzung, Kontamination und Rekonstruktion von Kriegsverletzungen“ als übergeordnetes Thema.
Die aktuelle Situation und mögliche Verbesserungsoptionen des chirurgisch organisatorischen Arbeitsalltags bildeten einen vierten thematischen Schwerpunkt.
Das geplante Tagungsprogramm war damit sehr aktuell, informativ, wissenschaftlich hochkarätig und besonders im zeitlichen Ablauf sehr ambitioniert geplant.
Donnerstag, 2. März 2023
Die Tagung wurde pünktlich mit den Gruß- und Eröffnungsworten des Sprechers des Arbeitskreises ARCHIS, Oberstarzt Dr. Christoph Güsgen, auch im Namen seiner Stellvertreter Oberfeldarzt Dr. Thorsten Hauer und Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Christian Beltzer, begonnen. In Vertretung des Präsidenten der DGWMP, Generaloberstabsarzt Dr. Stefan Schoeps, fand Generalarzt a. D. Prof. Dr. Horst Peter Becker als Vizepräsident motivierende und äußerst anerkennende Worte für die chirurgische Community. Als Gründungsmitglied des Arbeitskreises ARCHIS zog er ein bewegendes Resümee über die vergangenen 30 Jahre und wies bereits die Richtung für die Weiterentwicklung des AK. Weitere Grußworte durch den stellvertretenden Kommandeur des BwZKrhs Koblenz, Oberstarzt Dr. Rainer Volb, welches sich für die inhaltliche und thematische Gestaltung der Tagung verantwortlich zeigte, folgten. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes musste – trotz festem Willen zur Teilnahme – dem Berliner Termindruck nachgeben und wurde von Generalarzt Dr. Johannes Backus sowohl beim Grußwort als auch über die gesamte Tagung würdig vertreten.
Entwicklung in der Ukraine
Abb. 4: Posterpreissitzung mit Prof. Dr. Tim Pohlemann und GenArzt a. D. Prof Dr. Horst Peter Becker
Der erste Themenblock startete mit den aktuellen sanitätsdienstlichen Entwicklungen in der Ukraine. Die ursprüngliche Zusage der Inspekteurin des ukrainischen Sanitätsdienstes, Generalmajor Tetiana Ostashchenko, eine Darstellung der aktuellen Situation des Sanitätsdienstes in der Ukraine zu geben, ließ sich aufgrund ihrer aktuellen Aufgaben vor Ort auch nicht als Video-Zuschaltung realisieren. Ihr Vortrag wurde von Oberstarzt Dr. Dominique Mayer, Section Head Medical/IMS Medical Advisor (NATO), im Original übernommen und dankenswerterweise aufgrund eigener Kenntnis vorgetragen. Auch der Transport der Verwundeten sowie die Verlegung in westeuropäische Kliniken wurde von ihm in sehr anschaulicher Weise nachvollziehbar gemacht. Oberstarzt Dr. Mayer gebührt nicht nur für die Übernahme der Vorträge, sondern auch für die Gestaltung und Realisierung der Sitzung im Vorfeld ausdrücklicher Dank. In einer Live-Video Übertragung wurde die „Hospital Clinical Care of War Casualties in Ukraine“ durch den ukrainischen Militärchirurgen Oberst Prof. Dr. Y. Yarmoljuk auf eindrucksvolle und zugleich bedrückende Weise dargestellt. Die komplexen Verletzungsmuster moderner Kriege erreichen, wie erkennbar wurde, eine neue und traurige Dimension. Umso beeindruckender wurden die verschiedenen Therapiestrategien nahegebracht. Durch die Live-Übertragung aus dem Kiewer Hospital wurde zudem die anschließende Diskussion ermöglicht.
Die Gesellschaft realisierte auch die aktive Teilnahme von Dr. J. Quinn, einem in London lebenden Notfallmediziner, der über seine eindrucksvollen Erfahrungen in der präklinischen Versorgung von Kriegsverletzten und Verwundeten von 2014 bis heute berichtete.
Die Sitzung ließ bereits zum Beginn der Tagung deutlich über den Tellerrand hinausschauen.
Einsatzchirurgie
In der Thematik bleibend schloss sich die erste wissenschaftliche Sitzung mit dem Thema der Einsatzchirurgie an. Zu Beginn berichtete Oberarzt Prof. Dr. Uwe Max Mauer, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am BwKrhs Ulm, über die Notwendigkeit und Projektierung einer Leitlinie zur Versorgung von Schädel-Hirn-Traumen (SHT) und Wirbelsäulenverletzungen. Oberfeldazt Priv.-Doz. Dr. Chris Schulz aus seiner Klinik ergänzte die Ausführungen durch Studienergebnisse zur Anlage einer Ventrikeldrainge beim schweren SHT. Ebenfalls aus dem Ulmer BwKrhs präsentierte Oberfeldart Priv.-Doz. Dr. Christian R. Beltzer die Evidenz zur Clamshell-Thorakotomie. Besonderes „Augenmerk“ wurde dann auf die Augenverletzungen in kriegerischen Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen aus dem Ukraine-Krieg und den Herausforderungen von LV/BV-Szenarien von Oberstarzt Dr. Frank Weinand, dem klinischen Direktor der Augenklinik im BwZKrhs, vorgestellt. Die aktuellen Zahlen erreichen dort eine bisher nicht gekannte hohe Inzidenz. Die in der Bundeswehr standardisiert zur Einsatzausrüstung gehörende Schutzbrille drängt sich hier als unterstützende Schutzausstattung für die ukrainischen Streitkräfte auf. Die Thematik dieses „augenöffnenden“ Vortrags wurde diskutiert und zur Prüfung in die Entscheidungsebene durch den Vertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes aufgegriffen1. Antworten von Flottenarzt Dr. Falk von Lübken auf die Frage zur „Evidenz der Damage Control Orthopedics“ schlossen die Sitzung ab.
Verletzung, Kontamination und chirurgische Rekonstruktion
Straff dem Zeitplan folgend folgte die wissenschaftliche Sitzung zur Thematik „Verletzung, Kontamination und chirurgische Rekonstruktion“. Im Rahmen eines Übersichtsvortrags berichtete Oberfeldarzt Dr. Frieder Fuchs als Mikrobiologe aus Koblenz – im „Kleinsten“ beginnend – zum Status quo der klinischen Mikrobiologie im Einsatz, in der Klinik und in der Lehre. Zur Versorgung von Verwundeten aus der Ukraine und dem Irak trug Oberstarzt Matthias Johann, Direktor der unfallchirurgischen Klinik am BwKrhs Hamburg, vor1. Dr. Vinzent Forstmeier berichtete im Anschluss aus Ulmer Erfahrungen über das mikrobiologische Keimspektrum der dort versorgten ukrainischen Patienten. Die klinische Direktorin der Klinik für Nuklearmedizin im BwZKrhs Koblenz, Oberfeldarzt Dr. Birte Diekmeyer, stellte den Umgang mit radioaktiv kontaminierten Wunden aus nuklarmedizinischer Sicht auf den Prüfstand und gab nützliche Hinweise zum persönlichen Schutz und optimierten Behandlungsverfahren.
Oberstarzt Prof. Dr. Christian Willy aus Berlin konnte einen beeindruckenden Einblick in seine jahrzehntelange Forschung zur vakuum-assistierten Wundbehandlung geben. Er ist federführend in der Leitlinienentwicklung zur Vakuumtherapie. In seinem zweigeteilten Vortrag ging er auf den aktuellen Stand der Wissenschaft zur phagentherapeutischen Behandlung komplexer Infektionen ein. Von ihm wurde hochdosierte Information als beeindruckende Essenz jahrelanger Forschungsarbeit präsentiert.
Neue Weiterbildungsordnung
Am späteren Nachmittag wurden im Rahmen einer eigenen Sitzung die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Neukonzeption des einsatz-/militärchirurgischen Kompetenzerwerbs und -erhalts“ präsentiert. Im Kontext der neuen Musterweiterbildungsordnung (MWBO) 2018 erfolgte im letzten Jahr die Empfehlung der Konsiliargruppe Chirurgie, nicht mehr flächendeckend am bisher obligaten Standard des DUO-Facharzt-Konzeptes festzuhalten und grundsätzlich die frühzeitige Einsteuerung der chirurgischen Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten in die militärchirurgischen Kernfächer zu ermöglichen. Mit enger Zeitlinie erarbeitete die Arbeitsgemeinschaft aus allen chirurgischen Kliniken der Bundeswehr um Oberfeldarzt Leif Wagner, Oberarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie am Krankenhaus in Koblenz und dem Konsiliargruppenvorsitzenden, Flottenarzt Dr. Wilm Rost, eine entsprechende Konzeption. Hieraus konnte in der Folge bereits zusammen mit dem Bundesamt für das Personalmanagement und dem Kommando Sanitätsdienstes der Bundeswehr Werdegangsmodelle abgestimmt werden; den entsprechenden gemeinsamen Vorschlag finden Sie als Leit-Artikel in diesem Heft.
Den Auftakt zu dieser Sitzung machte Flottenarzt Dr. Rost, in dem er aufzeigte, wie dem Bedarf der Bundeswehr im Sinne des Status quo zur derzeitigen Ausbildungsplanung unserer jungen „chirurgischen“ Sanitätsstabsoffiziere demonstriert wurde. Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Dan Bieler und Oberfeldarzt Dr. Joachim Sahm (beide BwZKrhs Koblenz) stellten dann die Herleitung der Umsetzungskonzeption vor, indem sie sowohl die wissenschaftlichen Grundlagen der Anforderungen an den Einsatzchirurgen in der Literatur als auch die tatsächlichen personellen Anforderungen für die jeweiligen Einsatzszenarien zusammenfassten. Oberfeldarzt Wagner schloss die Sitzung mit der Vorstellung des Konzeptentwurfs zur zukünftigen Umsetzung in der Ausbildungssteuerung. Mit lebendiger und konstruktiver Diskussion konnte der erste, äußerst intensive und informative Tag der Tagung in den Abend übergeleitet werden.
Posterwettbewerb
Unmittelbar an die Sitzung schloss sich die Begehung der eingereichten wissenschaftlichen Poster an. Einen echten Dank auch an alle Teilnehmenden, die einen Posterbeitrag erstellt hatten und sich der angeregten Diskussion hinsichtlich ihrer Ergebnisse stellten. Die Bewertung der Poster wurde neben dem Vizepräsidenten der DGWMP auch von Flottenarzt d. R. Univ.-Prof. Dr. Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universität Homburg, vorgenommen.
Die Gewinner des Posterpreises der DGWMP 2023 hießen:
- Stabsarzt Katja Schneider, BwKrhs Berlin: Mesenchymal und mobil, das Leiomyom als seltene Differentialdiagnose eines soliden Tumors des Dünndarmmesenteriums,
- Oberstabsarzt Dr. Nina Kühler, BwZKrhs Koblenz: Retrospektive Evaluation von gastrointestinalen Stoffwechselerhöhungen im PET-CT und Korrelation mit den histologischen Ergebnissen,
- Oberfelddarzt Priv.-Doz. Dr. Dan Bieler, BwZKrhs Koblenz: Bildgebende Diagnostik im Schockraum – ein Algorithmus.
Festabend
Der sich anschließende Festabend führte zur ganzheitlichen Stärkung der Gemeinschaft und ließ die chirurgische Community zur Hochform auflaufen. Wünsche blieben kaum offen und der Festabend konnte an beste Zeiten aus der Geschichte der ARCHIS anknüpfen. Gemeinsam!
Freitag, 3. März 2023
KIS, PEP, G-CAP III
Der Auftakt am frühen Morgen des zweiten Tages war von den Rahmenbedingungen der chirurgischen Arbeitsbedingungen in den Kliniken geprägt. Oberfeldarzt Dr. Simon Mayer stellte mit seinem beeindruckenden Vortrag zur „RPA – eine zukunftsfähige Lösungsoption gegen die administrative Sinnkrise“ echte Lösungsansätze zur Effizienzsteigerung und Arbeitserleichterung in der klinischen, digitalen Dokumentation und Auswertung vor. Als Leiter Controlling des Zentralen Klinischen Managements am BwKrhs Ulm zeigte er auf, was softwareunterstützt möglich sein könnte, wenn man es tatsächlich umsetzen würde – ein wahrhaft visionärer Vortrag mit viel Potenzial, Erleichterungen der Dokumentationsarbeit durch digitale Hilfe zu ermöglichen. Diese Thematik wurde ebenfalls in die Entscheidungsebenen des Kdo SanDstBw zur Prüfung auf Umsetzbarkeit mitgenommen. Oberfeldarzt Sebastian Klinger konnte im Anschluss als leitender KIS2-Koordinator der Bundeswehrkrankenhäuser und Sachgebietsleiter der IT-Unterstützung in der Gesundheitsversorgung perspektivische Verbesserung des aktuellen KIS in Aussicht stellen. In einem zweiten Anteil seiner Ausführungen bezog er sich auf die Umsetzung des PEP3-Moduls und die damit verbundenen Änderungen in der Arbeitszeiterfassung.
Das G-CAP III4 modulare Containersystem zur sanitätsdienstlichen Versorgung im Einsatzgebiet wurde detailliert von Oberfeldarzt Dr. Andreas Jocksch, Kdo SanDstBw, vorgestellt – ein Vorgeschmack und die Perspektive auf zukünftige chirurgische Arbeitsbedingungen im Einsatz?
Forum des chirurgischen Nachwuchses
Es schlossen sich zwei weitere intensive und wissenschaftliche Sitzungen an, in denen v. a. die jungen chirurgischen Kollegen eindrucksvoll unter Beweis stellten, dass sie den an sie gestellten Anforderungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung gewachsen sind.
Während Oberstabsarzt Dr. Lena Herrmann (Westerstede) die Ergebnisse und Auswirkungen von Handgelenksarthroskopien bei Soldaten auf die Dienst- und Verwendungsfähigkeiten vorstellte, zeigten die handchirurgischen Kollegen aus dem BwKrhs Ulm eine Serie von erfolgreich therapierten Patienten durch die Variante der Kallusdistraktion an kleinen Knochen (Hand/Fuss). Die Auswertung behandelter proximaler Tibiafrakturen am BwKrhs Hamburg durch Oberstabsarzt Dr. Tors-Henrik Lüer beeindruckte ebenso, wie die Vorstellung der präoperativen Anämie-Diagnostik im Rahmen des Patient-Blood-Management von Oberstabsarzt Katja Schneider aus Berlin.
Oberstabsarzt Dr. Patricia Gerlach aus Koblenz präsentierte die LIBOD (Sonderforschung) Studienergebnisse (der Liquid Biopsy of Organ Damage). Über die Anwendung von nichtinvasivem Plasma (NIPP) in einem in-vitro Gewebemodell der Hernienchirurgie berichtete Oberstabsarzt Alexander Abazid aus Berlin. Oberfeldarzt Dr. Sebastian Schaaf aus Koblenz stellte die perspektivisch als im Systemverbund multizentrisch geplante Studie PROMSO-TRIAL vor, welche die prophylaktische Netzeinlage beim Bauchdeckenverschluss zur Verringerung der Narbenhernienrate überprüft.
Verletzung, Kontamination, Rekonstruktion (Teil 2)
Anknüpfend an den ersten Tag der ARCHIS Tagung schloss das wissenschaftliche Programm mit dem zweiten Teil der „Verletzung, Kontamination und Rekonstruktions-Sitzung“. Aus dem Bereich der plastischen Chirurgie stellte Oberfeldarzt Dr. Katrin Ettmüller aus der unfallchirurgischen Klinik am BwZKrhs Koblenz Möglichkeiten der Weichteilsanierung und -rekonstruktion bei höchst komplexen Verletzungen vor. Zwei Vorträge, die sich ergänzten bezogen sich auf die verschiedenen Optionen der Kallusdistraktion am langen Röhrenknochen. Oberfeldarzt Dr. Dennis Vogt aus Berlin fokussierte sich auf die Differenzierung von bewährten und innovativen Verfahren, während Oberfeldarzt Dr. Florian Pavlu aus Koblenz verschiedene innere und äußere Verfahren zur Distraktion demonstrierte. Als Zusammenfassung langjähriger Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Laparostomabehandlung stellte in Vertretung für Flottillenarzt Priv.-Doz. Dr. Arnulf Willms (Hamburg) Oberfeldarzt Dr. Schaaf (Koblenz) den evidenzbasierten Versorgungsalgorithmus bei schwersten abdominellen Infektsituationen vor. Stellvertretend für die Fachgebiete der Thorax- und Herzchirurgie berichtete Oberfeldarzt Dr. Christian Eckermann (Koblenz) über thorakale Verletzungen und die differenzierte Behandlung des Thoraxempyems unter einsatzchirurgischer Sicht.
Ehrung für Prof. Dr. Tim Pohlemann
Nach Abschluss der letzten Sitzung erfolgte die Ehrung von Fottenarzt d. R. Prof. Dr. Pohlemann als langjährigen Freund und unermüdlichen Unterstützer der DGWMP und der Wehrmedizin durch den Vizepräsidenten der Gesellschaft, Generalarzt a. D. Prof. Dr. Becker. Mit Danksagungen und abschließenden Worten wurde die Tagung beendet.
Fazit und Ausblick
Der Arbeitskreis Einsatzmedizin der DGWMP und die Tagung ARCHIS sind lebendig! Die chirurgische Community und der AK benötigen die DGWMP ebenso wie die DGWMP „ihre“ Chirurgen.
Es hat sich einiges getan. Zu danken gilt es der besonders gelungenen Kongressorganisation und der Schaffung von guten Rahmenbedingungen durch die Gesellschaft. Der Blick auf vermeintlich „kleine“ aber auszuzeichnende Dinge durch die Organisation war merklich. So wurde beispielsweise eigens für die Ukraine Sitzung der Vortragssaal zusätzlich mit der ukrainischen Flagge ausgestattet. Auch bei den Aufmerksamkeiten, die den Referenten als Dank zu kam, handelte es sich um einen sehr ausgewählten, hochwertigen Wein von einem durch die Flutkatastrophe im Ahrtal schwer betroffenen Winzers. Die unkomplizierte Teilnahme von Kolleginnen und Kollegen befreundeter Streitkräfte, wie aber auch die Ermöglichung von Gastreferenten aus Europa durch die DGWMP soll nicht ohne Dank bleiben. Die wissenschaftlichen Sitzungen katapultierten die Tagung auf 22 Fortbildungspunkte, mehr ist hier nicht hinzuzufügen.
Die Militärchirurgen waren GEMEINSAM!
In der Erwartung des Austauschs und Dialogs wäre sowohl eine über die Community hinausgehende Beteiligung von Angehörigen benachbarter Fachdisziplinen als auch von Entscheidungsträgern aus dem Bereich der Führung des Sanitätsdienstes für die Zukunft mehr als wünschenswert. Die chirurgische Community freut sich darauf.
Die ARCHIS-Tagung wird zur besseren und frühzeitigeren Planung ab 2025 wieder auf das letzte Wochenende im Januar festgelegt werden. Die nächste Tagung wird 2024 in Westerstede stattfinden. Oberstarzt Prof. Dr. Axel Franke, der den wissenschaftlichen Teil der Tagung mit konzipierte und leider nicht persönlich teilnehmen konnte, sei an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt.
Mit einem nochmaligen ausdrücklichen Dank an alle Referenten, Vorsitzenden und Teilnehmer, v. a. aber an die DGWMP, erlaube ich mir zu sagen:
Auf die nächsten 30 Jahre – Gemeinsam!
Verfasser
Oberstarzt Dr. Christoph Güsgen
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Sprecher der ARCHIS
1 Die Vorträge von Mauer, Beltzer, Schulz, Weinand und Johann werden als Artikel in dieser bzw. der folgenden Ausgabe der WMM abgedruckt.
2 KIS = Krankenhausinformationssystem
3 PEP = Personaleinsatzplanung
4 G-CAP III = “German Armed Forces – Contractor Augmentation Program”; Vertragswerk zur Sicherstellung adäquater Einsatzunterstützung. Siehe auch < https://www.bundeswehr.de/de/organisation/infrastruktur-umweltschutz-und-dienstleistungen/aktuelles/erfolgsmodell-wird-fortgesetzt-5054922>