Editorial
Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,
mit offener und ehrlicher Freude darf ich Ihnen die gemeinsam mit dem Chefredakteur von langer Hand geplante Jubiläumsausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift zum 30-jährigen Bestehen des Arbeitskreises Einsatzmedizin (ARCHIS) der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP) präsentieren.
1993 als „Arbeitskreis der chirurgisch tätigen Sanitätsoffiziere“ (ARCHIS) gegründet, wurde diese Gruppe der Chirurgen später als eigenständiger Arbeitskreis „Einsatzmedizin“ in die DGWMP aufgenommen und freut sich seitdem auch über das Mitwirken von benachbarten, einsatzrelevanten Fachdisziplinen. Das Akronym „ARCHIS“ blieb im Namen traditionell erhalten, deutet auf ihren Ursprung und ist dem Arbeitskreis gleichsam auch eine Verpflichtung.
Die Gemeinschaft der deutschen Militärchirurgen wächst in eine neue Zeit, in der sich die Herausforderungen und Rahmenbedingungen wie selten zuvor verändern. Das Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung erhält eine von vielen nicht mehr erwartete Aktualität. Die chirurgische Aus- und Weiterbildung steht in Folge der zunehmenden, vor allem in Europa, aber auch hierzulande bereits stattgehabten Sub- und Superspezialisierung im Fachgebiet, in den nächsten Jahren vor einer enormen strukturellen Veränderung. So stellt sich in zivilen allgemein- und viszeralchirurgischen Kliniken nicht mehr die Frage, ob konventionell oder minimalinvasiv, sondern ob minimalinvasiv oder robotisch operiert wird. Zentrums- und zertifizierte Chirurgie verändern die Kliniklandschaft radikal und werden dies noch weiter tun. Diese Umwälzungen betreffen in unterschiedlicher Ausprägung alle chirurgischen Fächer.
Umso mehr gilt es bereits jetzt, im Sanitätsdienst zu reagieren, um für die nächsten Jahre die Weichen für eine planbare, effiziente und dem Bedarf der Bundeswehr angepasste Weiterbildung des militärchirurgischen Nachwuchses sicherzustellen.
Die bereits im Editorial der Vorausgabe angekündigten Ergebnisse der damit befassten Arbeitsgruppe können nun präsentiert werden. Sie stellen einen Konzeptentwurf dar, der alle beteiligten Entscheidungsebenen einbezieht und dessen Umsetzung mit relevanten Umstrukturierungen verbunden sein dürfte. Er bietet aber, bei aller gebotenen Notwendigkeit der Reaktion auf die strukturellen Veränderungen der chirurgischen Weiterbildung, auch eine große Chance.
Die vorliegende Ausgabe bietet aber noch viel mehr. Es finden sich neben dem eigentlichen Tagungsbericht über die 30. ARCHIS-Tagung auch zahlreiche wissenschaftlich hochkarätige Artikel. Übersichtsartikel wie die Arbeit zur Evidenz der Laparostomatherapie, also der Behandlung des offenen Abdomens, fassen jahrelange Forschungsergebnisse und ein ganzes Bündel von Publikationen in ihrer Essenz zusammen.
Dass die Chirurgie auch weiterhin im Schulterschluss mit ihren benachbarten Disziplinen steht, wird durch die hier veröffentlichten Artikel neurochirurgischer, thoraxchirurgischer und herzchirurgischer Kollegen bewiesen. Die vorliegende Ausgabe der Wehrmedizinischen Monatsschrift vereint visionäre Projektierung, wissenschaftliches Arbeiten und fachübergreifende Expertise.
Ich wünsche Ihnen nun bei der Lektüre dieses besonderen Heftes zum 30-jährigen Bestehen der ARCHIS eine informative und angenehme Zeit.
Herzlichst Ihr
Christoph Güsgen
Vorsitzender AK Einsatzmedizin ARCHIS
Neukonzeption der militärchirurgischen Weiterbildung –
Vorschlag für künftige Werdegangsmodelle
Leif Wagnera, b, Gerhard Achatza, e, Christoph Güsgena, b, Andre Gutckea, f, Nils Huschitta, g, Matthias Johanna, j, Christof Schreyera, b, Christian Willya, h, Christian Beltzera, d, Dan Bielera, c, Thorsten Hauera, g, Niko Preußa, g, Joachim Sahma, b, Arnulf Willmsa, i, Alexander Nohla , Alexander Bellh, Michael Neuhoffi, Wilm Rosta, i
a Arbeitsgemeinschaft „Neukonzeption des einsatz-/militärchirurgischen Kompetenzerwerbs und -erhalts“ der Konsiliargruppe Chirurgie im Sanitätsdienst der Bundeswehr
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie
d Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
e Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Rekonstruktive und Septische Chirurgie, Sporttraumatologie
f Bundeswehrkrankenhaus Westerstede, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie
g Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
h Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie
i Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
j Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie
h Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, Unterabteilung III 4, Köln
i Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Unterabteilung IX, Koblenz
Hintergrund
Die zeit- und bedarfsgerechte Verfügbarkeit von zielgerichtet ausgebildetem Personal ist gemäß Bereichsvorschrift C-1–872/0–4005 – Ausbildung und Verwendungsaufbau der Offiziere des Sanitätsdienstes[1]elementare Voraussetzung für die Auftragserfüllung; hierauf hat sich der Verwendungsaufbau auszurichten. Aufgrund des umfangreichen Anforderungsprofils im militärchirurgischen Kontext (Tabelle 1) handelt es sich bei dem militärchirurgischen Kompetenzerwerb um Personalentwicklungsmaßnahmen für höchst einsatzrelevantes fachliches Spitzenpersonal.
Tab. 1: Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr (Bw) gemäß Verteidigungspolitischer Richtlinien (VPR)
„Die jeweils gültigen Weiterbildungsordnungen (WBO) der Landesärztekammern (LÄK) stellen unter Berücksichtigung der Empfehlungen bzw. Leitlinien der Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärztinnen und Ärzte sowie der wissenschaftlichen Fachgesellschaften in der Chirurgie den Rahmen für eine differenzierte Weiterbildungsplanung im Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) dar.“ [2]
Bedingt durch die Änderungen der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) 2018 und deren konsekutive Umsetzung in die entsprechenden Weiterbildungsordnungen (WBO) der Landesärztekammern (LÄK) kann für die einsatz- bzw. militärchirurgische Aus- und Weiterbildung im Sanitätsdienst nicht mehr ausschließlich am bisherigen Modell „Duo Plus“1 festgehalten werden. Aufgrund der – militärchirurgisch nicht zweckmäßigen – deutlich gestiegenen Richtzahlen und der konsekutiv längeren Aus- und Weiterbildungszeit von schätzungsweise acht Jahren ist im Kontext der Ausbildungskapazitäten eine weiterhin flächendeckende Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinchirurgie nicht mehr rational und im Hinblick auf die Versorgungsrealität im Heimatland (i. e. zunehmende Sub-/Superspezialisierung) auch nicht sinnvoll. Daher wird das grundsätzliche Festhalten am Duo Plus für alle Chirurginnen und Chirurgen der Bundeswehr verlassen.
Das neue militärchirurgische Konzept sieht primär die direkte Qualifikation in einem der chirurgischen Kernfächer als Militärchirurg (MilChir A: chirurgischer Monofacharzt: Viszeralchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, Plastisch-Ästhetische Chirurgie) mit zusätzlicher Vermittlung von Notfall-/Schlüsselkompetenzen (aus den jeweiligen komplementären Kernfächern sowie supplementären Gebieten2) im Sinne einer Plus-Komponente (+) und den gemeinsamen Einsatz der Militärchirurgie zur Abdeckung der Höhlen- und muskuloskelettalen Kompetenz vor – als militärchirurgische (d. h. fachärztliche mindestens) Zweiergruppe (hunting in pairs), idealtypisch aus einem viszeralchirurgischen und einen orthopädisch-unfallchirurgischen Militärchirurgen bestehend. Der Personalansatz und die Kombination der militärchirurgischen Kernkompetenzen ist hierbei abhängig von der Versorgungsebene sowie den spezifischen Einsatzanforderungen und kann flexibel auch beispielsweise mit Blick auf die Anforderung des NATO Force Model (NFM) angepasst werden (Tabelle 2).
Tab. 2: Planungsbeispiel für den militärchirurgischen Kompetenzeneinsatz und -verteilung in den unterschiedlichen Behandlungsebenen; modifiziert nach [3]
Im Hinblick auf spezielle Bedarfe wird für einen – lage- und regenerationsabhängig jeweils durch den Bedarfsträger festzulegenden – spezifischen Anteil (5–10 pro Jahr [4]) die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinchirurgie nach neuer WBO mit zusätzlicher curricularer militärchirurgischer Aus- und Weiterbildung (als MilChir C) zugelassen.
Durch das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr „Kdo SanDstBw“ wurde die zeitnahe Ausarbeitung der künftigen Werdegänge unter Federführung der Unterabteilung IX in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) und der Konsiliargruppe Chirurgie beauftragt [4].
Der Kompetenzerwerb zum Militärchirurgen A und C
Die Neukonzeption der militärchirurgischen Weiterbildung im Sinne der Überarbeitung der Allgemeinen Regelung (AR) C1–873/0–4004 sieht primär die direkte Qualifikation in einem chirurgischen Kernfach nach neuer MWBO (2018), d. h. in der
- Viszeralchirurgie,
- Orthopädie und Unfallchirurgie,
- Gefäßchirurgie,
- Thoraxchirurgie oder
- Plastisch-Ästhetischen Chirurgie
inklusive Vermittlung von militärchirurgisch relevanten Schlüsselkompetenzen aus den anderen komplementären Kernfächern und den supplementären Gebieten als Militärchirurg (MilChir) A vor.
Für einen ausgewählten Anteil an Sanitätsstabsoffizieren (SanStOffz) wird (weiterhin) die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinchirurgie – allerdings mit vorgeschriebener curricularer militärchirurgischer Aus- und Weiterbildung als Militärchirurg (MilChir) C zugelassen.
Der militärchirurgische Kompetenzerwerb sollte optimalerweise im Sinne des „train as you fight“ mit arbeitstäglicher Versorgung von einsatztypischen Verletzungsmustern erfolgen. Dies ist allerding nur in (Krisen-)Regionen mit entsprechend hohen Fallzahlen (caseload) an penetrierenden und thermomechanischen Kombinationsverletzungen realisierbar. Daher haben die militärchirurgische Expertise (z. B. i. R. von mandatierten Auslandseinsätzen) bzw. entsprechende Programme (z. B. Trauma-Fellowship i. R. der deutsch-südafrikanischen Trauma-Kooperation) in der Aus- und Weiterbildung einen hohen Stellenwert. Vor dem Hintergrund, dass im Heimatland Schussverletzungen oder Verletzungen durch Explosionen seltene Ereignisse sind, kann hier der arbeitstägliche Kompetenzerwerb und -erhalt insbesondere für den (traumatologischen) orthopädisch-unfallchirurgischen Bereich am günstigsten in einem (überregionalen) Traumazentrum abgebildet werden. Da es sich in Deutschland beim seltenen Trauma der Körperhöhle fast ausschließlich um stumpfe Verletzungen (96 %)[5][6] handelt, bei denen – bedingt durch den medizinischen Fortschritt – die Indikation zum nicht operativen Management (NOM)3 in den letzten Jahren deutlich zu- und konsekutiv die Zahl der (offenen) Notfalloperationen weiter abgenommen hat [7], ist für den viszeral- und thoraxchirurgischen Bereich zum Organ- und Handlungskompetenzerwerb zusätzlich die arbeitstägliche Tätigkeit im onkologischen Bereich erforderlich. Ergänzend müssen spezifische militärchirurgische Kenntnisse und Fertigkeiten – die ebenfalls nicht in ausreichender Anzahl (Fallzahl) im Regelbetrieb vermittelt werden können – über ein spezielles (militärchirurgisches) Kurs-Curriculum ausgebildet werden.
„Aus (militär)…chirurgischer Sicht ist die solide Ausbildung junger Chirurginnen und Chirurgen der nächsten Generation in den Schlüsselkompetenzen durch bundeswehreigene und einsatzerfahrene Lehrer unabdingbar. … Der Vorhalt spezialisierter Lehrer, die ihr Fachwissen auf militärchirurgische Besonderheiten zugeschnitten authentisch und motiviert weitergeben können, ist der unerlässliche Grundstock einer chirurgischen Klinik eines Bundeswehrkrankenhauses.“[8]
Um die Vermittlung von anatomischen Kenntnissen und chirurgischen Fertigkeiten (Organkompetenz) validierbar in ausreichender Qualität und Quantität sicherstellen zu können, sollte überdies die militärchirurgische Aus- und Weiterbildung in zertifizierten (bundeswehrinternen) Zentren oder in entsprechenden Kooperationen erfolgen.
Die Aus- und Weiterbildung zum Militärchirurgen A und C im Kontext der neuen MWBO (2018)
Die Qualifikation zu Fachärztinnen und Fachärzten stellt die mediocolegale Basis des militärchirurgischen Kompetenzerwerbs dar, wobei die klinische Weiterbildung gemäß WBO der jeweiligen LÄK unter Aufsicht von Weiterbildungsbefugten an einer Weiterbildungsstätte erfolgt.
Für die Weiterbildung mit dem Ziel der Qualifikation zum MilChir A sind die erforderlichen Rotationen weitestgehend durch die Weiterbildungsordnung vorgegeben; hier ergibt sich lediglich ein Zeitraum von 12 Monaten, in denen eine Weiterbildung in anderen Gebieten erworben und im Sinne des militärchirurgischen Curriculums genutzt werden kann (Tabelle 3).
Tab. 3: Diskriminierung und Spezifizierung der militärchirurgischen Kompetenz (MilChir A), modifiziert nach [9]
Für Weiterbildungsassistenten mit dem Ziel der Qualifikation zum MilChir C (Monofacharzt + Allgemeinchirurgie) ergeben sich durch die Vorgaben der Weiterbildungsordnung 24 Monate, in denen eine Weiterbildung in anderen Gebieten anrechenbar erworben und (neben den bereits vorgegebenen Rotationen) im Sinne des militärchirurgischen Curriculums genutzt werden kann. Aufgrund der umfangreichen Weiterbildungsinhalte, u. a. auch in anderen (operativen) Gebieten, ist eine Weiterbildungszeit von 96 Monaten (8 statt 6 Jahre im vgl. zu Monofachärzten+/MilChir A) avisiert (Tabelle 4).
Tab. 4: Diskriminierung und Spezifizierung der militärchirurgischen Kompetenz (MilChir C), modifiziert nach [9]
Vorschlag zu Werdegangsmodellen für den MilChir A und C
Die Einsteuerung in das Fachgebiet Chirurgie erfolgt im Rahmen der SanOA-Einplanungsveranstaltung für Sanitätsoffizieranwärter (SanOA) durch das BAPersBw am Ende des Studiums. Im Hinblick auf die neue militärchirurgische Konzeption wird hierbei bereits die individuelle Interessenlage durch BAPersBw für den ersten klinischen Weiterbildungsabschnitt aufgenommen und durch die Weiterbildungskoordination in den Bw(Z)Krhs ausdifferenziert.
Vorschlag zu „Werdegangsmodell MilChir A“
Analog zum bisherigen Werdegangsmodell Einsatzchirurgie können die
„in die … (militärchirurgischen) Fachgebiete eingesteuerten Sanitätsoffiziere …. nach Absolvierung der Modulgruppe A der „prä-, para- und postuniversitären Ausbildung von Sanitätsoffizieren der Bundeswehr (PumA)“ …. (weiterhin) für die Dauer einer grundsätzlich mindestens 24-monatigenersten klinischen Weiterbildungsphase in ein Bw(Z)Krhs versetzt werden. In dieser Phase erfolgt dann auf Basis einer bewertenden Dokumentation zur Eignung, Leistung und Befähigung die abschließende Einplanung in eine Facharztweiterbildung.“[2]
Im Gegensatz zum (bisherigen) einsatzchirurgischen Verwendungsaufbau sollte die anschließende truppenärztliche bzw. truppenarztäquivalente Verwendung im Werdegangsmodell MilChir A – abweichend zur grundsätzlichen Vorgabe der AR C1–872/0–4005, Nr. 721 – auf zwei Jahre festgelegt werden [4], um die zeit- und bedarfsgerechte Verfügbarkeit gewährleisten zu können. Nach Absolvierung schließt sich der zweite klinische Verwendungsabschnitt (48 Monate) mit Erwerb bzw. Komplettierung sowohl der geforderten Weiterbildungsinhalte für die Facharztqualifikation als auch der militärchirurgischen Notfall-/Schlüsselkompetenzen aus den komplementären Kernfächern bzw. supplementären Gebieten an. Hierbei müssen Eignung, Leistung und Befähigung zum MilChir A kontinuierlich bestätigt werden.
Idealtypisch steht der MilChir A somit nach 72 (WB-Zeit gemäß WBO) + 24 (truppenärztliche oder truppenarztäquivalente Verwendung) = 96 Monaten (8 Jahren) einsatzbereit, d. h. fachlich „combat ready“, zur Verfügung. Unter der Voraussetzung einer – bereits i. R. der Annahme des Facharztangebotes geleisteten – Dienstzeitverlängerung als Soldat auf Zeit (SaZ) um 4 Jahre (üblicherweise von SaZ 17 auf 21) ergibt sich somit modellhaft eine Nutzungszeit des zielgerichtet ausgebildeten Spitzenpersonals von 6 (statt 2 beim bisherigen einsatzchirurgischen Werdegangsmodell) Jahren, sofern keine weitere Personalbindung erfolgt (Abbildung 1).
Abb. 1: Vorschlag eines Werdegangsmodellsfür denMilChir A [mittlerer Zeitstrahl] und MilChir C [unterer Zeitstrahl] (im Vergleich zum bisherigen EinsChir-Konzept [oberer Zeitstrahl]); modifiziert nach [9]
* unterliegt fortlaufend der Re-Evaluation i. R. der Umstrukturierung der Bw(Z)Krhs/des level of ambition (LOA) im NATO Force Model
Vorschlag zu „Werdegangsmodell MilChir C“
Analog zur Einsteuerung der Sanitätsstaboffiziere MilChir A werden die SanStOffz, die für die Verwendung als MilChir C vorgesehen sind, nach dem Studium ebenfalls in die (militär)chirurgischen Kliniken/Kernfächer eingesteuert, um die ausstehenden PUMA-Module sowie den ersten klinischen Verwendungsabschnitt zu absolvieren. Ablauforganisatorisch muss in dieser Phase ebenfalls (auf Basis einer bewertenden Dokumentation zur Eignung, Leistung und Befähigung) die Einplanung der entsprechenden Sanitätsoffiziere in die Weiterbildung zum MilChir C erfolgen, da aufgrund der umfangreichen Aus- und Weiterbildungsinhalte mit avisierter Weiterbildungszeit von 96 Monaten (8 Jahre, analog MilChir A mit 6 + 2 Jahren) und zur Vermeidung von Laufbahnnachteilen4 keine truppenärztliche oder truppenarztäquivalente Verwendung erfolgen darf und somit die zweite klinische Weiterbildungsphase unmittelbar folgt. Hierbei schließen sich die Rotationen in die komplementären militärchirurgischen Kernfächer bzw. die supplementären Gebiete zur Vervollständigung sowohl der allgemeinchirurgischen Facharztweiterbildung als auch des militärchirurgischen Curriculums an. Auch in den komplementären Fächern ist die Eignung, Leistung und Befähigung zum MilChir C kontinuierlich zu überprüfen und zu bestätigen. Bei konsequentem Verlauf kann somit ebenfalls nach 96 Monaten (8 Jahren) der nachhaltig ausgebildete, reaktions- und durchhaltefähige Personalpool ergänzt werden. Unter der Voraussetzung einer – bereits i. R. der Annahme des Facharztangebotes geleisteten – Dienstzeitverlängerung um vier Jahre (üblicherweise von SaZ 17 auf 21) ergibt sich somit idealtypisch eine Nutzungszeit des MilChir C von 6 (statt 2 beim bisherigen EinsChir) Jahren, sofern keine weitere Personalbindung erfolgt (Abbildung 1).
Personalförderung und -entwicklung
(MilChir A und C)
Die (militärchirurgische) Personalentwicklung beginnt mit der im Idealfall wunschgemäßen und gleichzeitig bedarfsabgeleiteten Einsteuerung in die militärchirurgischen Kerngebiete (sowohl MilChir A als auch C) als Ärzte im Gebiet Chirurgie im Rahmen der SanOA-Einplanungsveranstaltung.
Im Verlauf des ersten klinischen Verwendungsabschnittes erfolgt durch die Klinischen Direktorinnen und Direktoren sowie Weiterbildungsbefugten der (militär)chirurgischen Kliniken der Bw(Z)Krhs dann zunächst die fachliche Einschätzung der Eignung, Leistung und Befähigung (bewertende Dokumentation) für einen möglichen Verwendungsaufbau. Die personalbearbeitende Stelle BAPersBw entscheidet auf dieser Grundlage am Ende des ersten klinischen Verwendungsabschnittes i. R. einer Facharztzusagekonferenz bedarfsabgeleitet den einzuschlagenden Verwendungsaufbau (MilChir A oder C). Dies beinhaltet neben der Facharztzusage konsekutiv auch die Dauer der truppenärztlichen bzw. truppenarztäquivalenten Verwendung. Hierbei kann zukünftig
- bei gegebener Eignung, Leistung und Befähigung sowie entsprechendem Bedarf ein positiver Bescheid für den Werdegang MilChir C (Gruppe 1),
- bei gegebener Eignung, Leistung und Befähigung sowie entsprechendem Bedarf ein positiver Bescheid für den Werdegang MilChir A in den jeweiligen chirurgischen Kernfächern (Gruppe 2),
- bei gegebener Eignung, Leistung und Befähigung aber fehlendem Bedarf bzw. nachrangiger Fördermöglichkeit ein (zumindest primär) negativer Bescheid für den Werdegang MilChir A/C (Gruppe 3) und
- bei fehlender Eignung, Leistung und Befähigung ein negativer Bescheid für den militärchirurgischen Verwendungsaufbau
resultieren. Zur Annahme eines Facharztangebotes ist eine Weiterverpflichtung des Soldaten nach Vorgaben der personalbearbeitenden Stelle erforderlich.
Weiterbildungsassistenten der Gruppen 1 und 2 können nach Annahme des Facharztangebotes durch entsprechende Weiterverpflichtung in die spezifischen Werdegangsmodelle (Abbildung 1) eingesteuert werden, müssen Ihre Eignung, Leistung und Befähigung jedoch (auch und für den MilChir C insbesondere in den Komplementärfächern/Supplementärgebieten) kontinuierlich bestätigen, um die Zielqualifikation (möglichst fristgerecht) erreichen zu können.
SanStOffz, die sich für eine militärchirurgische Laufbahn grundsätzlich eignen, sich aber im Eignungs-, Leistungs- und Befähigungsvergleich bzw. aufgrund der Bedarfslage primär nicht unmittelbar durchsetzen konnten [Gruppe 3], sollten nach einer möglichst herausgehobenen truppenarzt- bzw. truppenarztäquivalenten Verwendung (z. B. als Schiffsärztin/Schiffsarzt, im fliegerärztlichen Dienst, als Führer Beweglicher Arzttrupp (BAT) in einer springenden Einheit oder im Einsatzpool Arzt und Ärztin Rettungsmedizin in den Bw(Z)Krhs5), im Rahmen eines 18-monatigen zweiten klinischen Verwendungsabschnittes (ggf. auch in einem komplementärem militärchirurgischen Kerngebiet) reevaluiert werden. Bei Reüssieren wäre somit vor dem Hintergrund einer etwaig veränderten Bedarfslage dann sekundär die Einsteuerung in die Facharztweiterbildungmöglich. Eine Weiterverpflichtung ist bei Bewährung im Verlauf des dritten klinischen Weiterbildungsjahres obligat.
Für Ärzte im Gebiet (Chirurgie), die einen negativen Bescheid i. R. der bewertenden Dokumentation erhalten haben [Gruppe 4], besteht nach dem ersten Weiterbildungsabschnitt und einer truppenärztlichen bzw. truppenarztäquivalenten Verwendung, grundsätzlich die Möglichkeit einer Re-Evaluation im Rahmen der noch verbliebenen Weiterbildungszeit von 12 Monaten im Kontext einer Verpflichtungszeit SaZ 17. Alternativ ist auch ein Antrag auf Fachrichtungswechsel bzw. eine längerfristige truppenärztliche Verwendung möglich.
Personalbindung und Weiterentwicklung
zum MilChir B und D
MilChir B
Im Rahmen der angestrebten Personalbindung des zielgerichteten aus- und weitergebildeten MilChir A kann eine weitere (Sub-)Spezialisierung (z. B. im Sinne von Zusatzweiterbildungen gemäß WBO) bzw. ein weiterer militärchirurgischer Facharzt in einem komplementären Kernfach erworben werden.
Entsprechend wird der Facharzt
- Viszeral- und Thorax- bzw. Gefäßchirurgie oder mit der Zusatzweiterbildung (ZWB) spezielle Viszeralchirurgie, Proktologie als MilChir B (VCH/TCH+), (VCH/GCH+), (VCH/spezVCH+), (VCH/Prokto+),
- Orthopädie/Unfallchirurgie und Plastisch Ästhetische Chirurgie oder ZWB spezielle Unfallchirurgie bzw. spezielle orthopädische Chirurgie, Handchirurgie als MilChir B (OUCH/PÄCH+), (OUCH/spezUCH+), (OUCH/spezOrtho+), (OUCH/Hand+)
- Gefäß- und Thoraxchirurgie als MilChir B (GCH/TCH+)
definiert.
Eine Sonderform stellt die Kombination des (theoretisch vorstellbaren) Duo-Facharztes Viszeral- mit Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Durch die Höhlen- und muskuloskelettalen Kompetenzen ist er mit dem MilChir D (s. u.) vergleichbar. Bei Personalentwicklungsmaßnahmen durch die personalbearbeitende Stelle sind entsprechende Weiterverpflichtungen erforderlich (Tabelle 5/Abbildung 2).
Abb. 2:Flexibilität der vorgeschlagenen Werdegangsmodellefür die neue militärchirurgische Konzeption MilChir A – D inkl. nachhaltigen Personalentwicklungsoptionen; modifiziert nach [9]
* unterliegt fortlaufend der Re-Evaluation i. R. der Umstrukturierung der Bw(Z)Krhs/des level of ambition (LOA) im NATO Force Model
MilChir D
Im Rahmen eines längerfristigen Verwendungsaufbaus kann insbesondere auch der Facharzt für Allgemeinchirurgie eine Spezialisierung durch eine (weitere) Facharztqualifikation in den militärchirurgischen Kernfächern erwerben.
Entsprechend wird der Duo-Facharzt
- Allgemein- und Viszeralchirurgie als MilChir D (ACH/VCH+)
- Allgemein- und Orthopädie & Unfallchirurgie als MilChir D (ACH/OUCH+),
- Allgemein- und Gefäßchirurgie als MilChir D (ACH/GCH+),
- Allgemein- und Thoraxchirurgie als MilChir D (ACH/TCH+),
- Allgemein- und Plastisch-Ästhetische Chirurgie als MilChir D (ACH/PÄCH+)
definiert.
Er entspricht somit dem bisherigen EinsChir (Erwerb unter den Voraussetzungen der MWBO 2003) nach noch gültiger AR C1–873/0–4004, allerdings nun inklusive der konkludenten Aus- und Weiterbildung i. R. des militärchirurgischen Curriculums. Auch hier ist bei Zusage der personalbearbeitenden Stelle eine Weiterverpflichtung obligat (Tabelle 5 und Abbildung 2).
Durch Einführung eines modularen Stufenkonzeptes mit unterschiedlichen Qualifikationshöhen und Kombinationsmöglichkeiten ergeben sich nicht nur für die Behandlungsebenen Role 2 und 3 und insbesondere auch für die Ausrichtung der Bw(Z)Krhs (Role 4) deutlich flexiblere Einsatzmöglichkeiten der MilChir A – D im militärchirurgischen Anforderungsprofil, sondern auch Attraktivitätsmomente im Hinblick auf die Berücksichtigung der Interessen und Entwicklungswünsche des ausgebildeten Spitzenpersonals mit konsekutiver Personalbindungsmöglichkeit.
Sollte im Anschluss an den Erwerb der Facharztreife bzw. des Kompetenzerwerbs MilChir (A oder C) ein weiterer Verwendungsaufbau nicht gewünscht oder nicht möglich sein, kann im Rahmen der Abdienverpflichtung (Nutzungszeit MilChir A/C) im eigenen chirurgischen Kernfach – losgelöst von einer Zusage der personalbearbeitenden Stelle – bis zum festgelegten Dienstzeitende eine Weiterqualifikation abhängig von Eignung, Leistung und Befähigung und der vorliegenden Weiterbildungsbefugnis innerhalb der jeweiligen Klinik erworben werden.
Abb. 3: Einsatzrelevante unfallchirurgische Kompetenzen - wie hier die Anlage eines Fixateur externe´- sind von allen Militärchirurgen zu erwerben.
Zusammenfassung
Durch die Neukonzeption der militärchirurgischen Weiterbildung (MilChir A – D) und die vorgeschlagenen entsprechenden Werdegangsmodelle kann sowohl eine Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsqualität im Kontext des militärchirurgischen Anforderungsprofils, als auch eine – im Vergleich zum bisherigen einsatzchirurgischen Konzept – frühzeitigere Einsatzbereitschaft (combat readiness) im deutlich jüngeren Lebensalter erreicht werden6. Außerdem lassen sich hierdurch insbesondere im Hinblick auf eine anzustrebende Personalbindung äußerst flexibel an die Bedarfsdeckung angepasste und differenzierte Personalentwicklungsstrategien realisieren, die den Interessen und eigenen Vorstellungen des Spitzenpersonals (einfacher als im bisherigen starren einsatzchirurgischen Duo Plus) entsprechen und angepasst werden können.
Quellen
- Kdo SanDstBw IX-2: Bereichsvorschrift C1-872/0-4005 – Ausbildung und Verwendungsaufbau der Offiziere des Sanitätsdienstes. 2017; 11.
- Kdo SanDstBw B IX-2: Allgemeine Regelung C1-873/0-4004 – Kompetenzerwerb und-erhalt Einsatz- und Oralchirurgie. 2018.
- Sahm, J: Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Fachliche Anforderungen vor dem Hintergrund der verschiedenen Einsatzszenarien“. 30. ARCHIS-Tagung vom 01. - 3. März 2023 in Bad Nauheim
- Konsiliargruppe Chirurgie: Protokoll / Abschlussbericht der 46. Arbeitstagung der Konsiliargruppe Chirurgie. 2022.
- Bieler, D., Kollig, E., Hackenberg et. al.: Committee on Emergency Medicine, Intensive Care and Trauma. Penetrating injuries in Germany - epidemiology, management and outcome an analysis based on the TraumaRegister DGU®. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 2021, S. 29(1): 80. mehr lesen
- Willms, A., Güsgen, C., Schwab et. al.: Committee on Emergency Medicine, Intensive Care, Trauma Management (Sektion N. I. S.) of the German Trauma Society (DGU). Status quo of the use of DCS concepts and outcome with focus on blunt abdominal trauma: A registry-based analysis from the TraumaRegi. Langenbecks Arch Surg. 2022: S. 407(2):805-817. mehr lesen
- Güsgen, C., Anger, F., Hauer, T. et. al.: Fortbildung von Allgemein- und Viszeralchirurgen in der lebensrettenden Notfallchirurgie: Ergebnisse einer Umfrage unter Operationskursteilnehmern. Chirurg 2020; 91(12): 1044-1052. mehr lesen
- Huschitt, N.: Einsatzchirurgie im Sanitätsdienst der Bundewehr - Aktuelle Entwicklungen - Neue Konzepte. Konzept-/Diskussionspapier i. R. der ersten Arbeitsbesprechung der AG „Neukonzeption des einsatz-/militärchirurgischen Kompetenzerwerbs und -erhaltes“ der Konsiliargruppe Chirurgie unter Beteiligung Kdo SanDstBw IX 2 und BAPersBw III 4.2 am 12. Dezember 2022
- Wagner, L.: Überarbeitung der Konzeption EinsChir auf Grundlage der Muster-WBO 2018. Vortrag i. R. der ersten Arbeitsbesprechung der AG „Neukonzeption des einsatz-/militärchirurgischen Kompetenzerwerbs und -erhaltes“ der Konsiliargruppe Chirurgie unter Beteiligung Kdo SanDstBw IX 2 und BAPersBw III 4.2 am 12. Dezember 2022
Bilder: Bundeswehr/Güsgen
Für die Verfasser
Flottenarzt Dr. Wilm Rost
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
Lesserstraße 180, 22049 Hamburg
E-Mail: wilmrost@bundeswehr.org
11 Facharztqualifikation Allgemeine Chirurgie + 2. Facharztqualifikation + erweiterte nicht-chirurgisch operative Kompetenzen [2]
2 Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Herzchirurgie, Urologie und Gynäkologie
3 NOM (non operative management): konservative oder interventionelle Therapie
4 Eine Beförderung auf einen A15-Dienstposten (Oberfeldarzt/Flottillenarzt) in den (militär)chirurgischen Kliniken der Bw(Z)Krhs ist aktuell ohne eine entsprechende geforderte Facharztqualifikation nicht möglich.
5Allgemeine Regelung C1–872/0–4004 – Einsatzpool Arzt und Ärztin Rettungsmedizin in den Bw(Z)Krhs
6 Die körperlich und mental fordernden militärischen Anforderungen – vor allem in konfliktnahen Operationsgebieten wie SOST und R2F–können voraussichtlich hierdurch besser erfüllt werden bzw. es besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für die entsprechende gesundheitliche Eignung (vergl. Abbildung 1).
Tab. 5: Diskriminierung und Spezifizierung der militärchirurgischen Kompetenz (MilChir A –> B und C –> D); modifiziert nach [9]